ART

 

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Phothogr. v. Buchner.
Charles Darwin.
E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung in Stuttgart.

Charles Darwin,

über die
ENTSTEHUNG DER ARTEN
im Thier- und Pflanzen-Reich
durch
natürliche Züchtung,

oder

Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe um’s Daseyn.


Nach der dritten Englischen Auflage und mit neueren Zusätzen des Verfassers für diese deutsche Ausgabe

aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen

von

Dr. H. G. Bronn.


Zweite verbesserte und sehr vermehrte Auflage.

Mit DARWIN’S Porträt in Photographie.

Titelseite, Deko

Stuttgart.

E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung und Druckerei.

1863.

Inhalt.

Vorrede des Verfassers.Seite 1.

Einleitung.S. 11.

Erstes Kapitel. Abänderung durch Domestizität.S. 17.

Ursachen der Veränderlichkeit. Wirkungen der Gewohnheit. Wechselbeziehungen der Bildung. Erblichkeit. Charaktere kultivirter Varietäten. Schwierige Unterscheidung zwischen Varietäten und Arten. Entstehung kultivirter Varietäten von einer oder mehren Arten. Zahme Tauben, ihre Verschiedenheiten und Entstehung. Frühere Züchtung und ihre Folgen. Planmässige und unbewusste Züchtung. Unbekannter Ursprung unsrer kultivirten Rassen. Günstige Umstände für das Züchtungs-Vermögen des Menschen.

Zweites Kapitel. Abänderung im Natur-Zustande.S. 55.

Variabilität. Individuelle Verschiedenheiten. Zweifelhafte Arten. Weit verbreitete, sehr zerstreute und gemeine Arten variiren am meisten. Arten grössrer Sippen in einer Gegend beisammen variiren mehr, als die der kleinen Sippen. Viele Arten der grossen Sippen gleichen den Varietäten darin, dass sie sehr nahe aber ungleich mit einander verwandt sind und beschränkte Verbreitungs-Bezirke haben.

Drittes Kapitel. Der Kampf um’s Daseyn.S. 72.

Stützt sich auf Natürliche Züchtung. Der Ausdruck im weitern Sinne gebraucht. Geometrische Zunahme. Rasche Vermehrung naturalisirter Pflanzen und Thiere. Natur der Hindernisse der Zunahme. Allgemeine Mitbewerbung. Wirkungen des Klimas. Schutz durch die Zahl der Individuen. Verwickelte Beziehungen aller Thiere und Pflanzen in der ganzen Natur. Kampf auf Leben und Tod zwischen Einzelwesen und Varietäten einer Art, oft auch zwischen Arten einer Sippe. Beziehung von Organismus zu Organismus die wichtigste aller Beziehungen.

Viertes Kapitel. Natürliche Züchtung.S. 92.

Natürliche Auswahl zur Züchtung; — ihre Gewalt im Vergleich zu der des Menschen; — ihre Gewalt über Eigenschaften von geringer Wichtigkeit; — ihre Gewalt in jedem Alter und über beide Geschlechter. — Sexuelle Zuchtwahl. — Über die Allgemeinheit der Kreutzung zwischen Individuen[S. vi] der nämlichen Art. — Umstände günstig oder ungünstig für die Natürliche Züchtung, insbesondere Kreutzung, Isolation und Individuen-Zahl. — Langsame Wirkung. — Erlöschung durch Natürliche Züchtung verursacht. — Divergenz des Charakters, in Bezug auf die Verschiedenheit der Bewohner einer kleinen Fläche und auf Naturalisation. — Wirkung der Natürlichen Züchtung auf die Abkömmlinge gemeinsamer Ältern durch Divergenz des Charakters und durch Unterdrückung. — Erklärt die Gruppirung aller organischen Wesen. — Fortschritt in der Organisation. — Erhaltung unvollkommener Formen. — Betrachtung der Einwände. — Unbeschränkte Vermehrung der Arten. — Zusammenfassung.

Fünftes Kapitel. Gesetze der Abänderung.S. 157.

Wirkungen äusserer Bedingungen. Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe in Verbindung mit Natürlicher Züchtung; — Flieg- und Seh-Organe. — Akklimatisirung. — Wechselbeziehungen des Wachsthums. — Kompensation und Ökonomie der Entwickelung. — Falsche Wechselbeziehungen. — Vielfache, rudimentäre und wenig entwickelte Organisationen sind veränderlich. — In ungewöhnlicher Weise entwickelte Theile sind sehr veränderlich; — spezifische mehr als Sippen-Charaktere. — Sekundäre Geschlechts-Charaktere veränderlich. — Zu einer Sippe gehörige Arten variiren auf analoge Weise. — Rückkehr zu längst verlornen Charakteren. — Summarium.

Sechstes Kapitel. Schwierigkeiten der Theorie.S. 197.

Schwierigkeiten der Theorie einer abändernden Nachkommenschaft. — Übergänge. — Abwesenheit oder Seltenheit der Zwischenabänderungen. — Übergänge in der Lebensweise. — Differenzirte Gewohnheiten in einerlei Art. — Arten mit Sitten weit abweichend von denen ihrer Verwandten. — Organe von äusserster Vollkommenheit. — Mittel der Übergänge. — Schwierige Fälle. — Natura non facit saltum. — Organe von geringer Wichtigkeit. — Organe nicht in allen Fällen absolut vollkommen. — Das Gesetz von der Einheit des Typus und den Existenz-Bedingungen enthalten in der Theorie der Natürlichen Züchtung.

Siebentes Kapitel. Instinkt.S. 234.

Instinkte vergleichbar mit Gewohnheiten, doch andern Ursprungs. — Abstufungen. — Blattläuse und Ameisen. — Instinkte veränderlich. — Instinkte gezähmter Thiere und deren Entstehung. — Natürliche Instinkte des Kuckucks, des Strausses und der parasitischen Bienen. — Sklaven-machende Ameisen. — Honigbienen und ihr Zellenbau-Instinkt. — Wechsel von Instinkt und Körperbau erfolgen nicht nothwendig gleichzeitig. — Schwierigkeiten der Theorie Natürlicher Züchtung in Bezug auf Instinkt. — Geschlechtslose oder unfruchtbare Insekten. — Zusammenfassung.

Achtes Kapitel. Bastard-Bildung.S. 273.

Unterschied zwischen der Unfruchtbarkeit bei der ersten Kreutzung und der Unfruchtbarkeit der Bastarde. — Unfruchtbarkeit der Stufe nach veränderlich, nicht allgemein; durch Inzucht vermehrt und durch Zähmung vermindert. [S. vii] — Gesetze für die Unfruchtbarkeit der Bastarde. — Unfruchtbarkeit keine besondre Eigenthümlichkeit, sondern mit andern Verschiedenheiten zusammenfallend. — Ursachen der Unfruchtbarkeit der ersten Kreutzung und der Bastarde. — Parallelismus zwischen den Wirkungen der veränderten Lebens-Bedingungen und der Kreutzung. — Fruchtbarkeit miteinander gekreutzter Varietäten und ihrer Blendlinge nicht allgemein. — Bastarde und Blendlinge unabhängig von ihrer Fruchtbarkeit verglichen. — Zusammenfassung.

Neuntes Kapitel. Unvollkommenheit der Geologischen Überlieferungen.S. 307.

Mangel mittler Varietäten zwischen den heutigen Formen. — Natur der erloschenen Mittel-Varietäten und deren Zahl. — Länge der Zeit-Perioden nach Maassgabe der Ablagerungen und Entblössungen. — Armuth unsrer paläontologischen Sammlungen. — Unterbrechung geologischer Formationen. — Abwesenheit der Mittel-Varietäten in allen Formationen. — Plötzliche Erscheinung von Arten-Gruppen. — Ihr plötzliches Auftreten in den ältesten Fossilien-führenden Schichten.

Zehntes Kapitel. Geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen.S. 342.

Langsame und allmähliche Erscheinung neuer Arten. — Ungleiches Maass ihrer Veränderung. — Einmal untergegangene Arten kommen nicht wieder zum Vorschein. — Arten-Gruppen folgen denselben allgemeinen Regeln des Auftretens und Verschwindens, wie die einzelnen Arten. — Erlöschen der Arten. — Gleichzeitige Veränderungen der Lebenformen auf der ganzen Erd-Oberfläche. — Verwandtschaft erloschener Arten mit andern fossilen und mit lebenden Arten. — Entwickelungs-Stufe aller Formen. — Aufeinanderfolge derselben Typen im nämlichen Länder-Gebiete. — Zusammenfassung des jetzigen mit früheren Abschnitten.

Eilftes Kapitel. Geographische Verbreitung.S. 378.

Die gegenwärtige Verbreitung der Organismen lässt sich nicht aus den natürlichen Lebens-Bedingungen erklären. — Wichtigkeit der Verbreitungs-Schranken. — Verwandtschaft der Erzeugnisse eines nämlichen Kontinentes. — Schöpfungs-Mittelpunkte. — Ursachen der Verbreitung sind Wechsel des Klimas, Schwankungen der Boden-Höhe und mitunter zufällige. — Die Zerstreuung während der Eis-Periode über die ganze Erd-Oberfläche erstreckt.

Zwölftes Kapitel. Geographische Verbreitung (Fortsetzung).S. 415.

Verbreitung der Süsswasser-Bewohner. — Die Bewohner der ozeanischen Inseln. — Abwesenheit von Batrachiern und Land-Säugthieren. — Beziehungen zwischen den Bewohnern der Inseln und der nächsten Festländer. — Über Ansiedelung aus den nächsten Quellen und nachherige Abänderung. — Zusammenfassung der Folgerungen aus dem letzten und dem gegenwärtigen Kapitel.

[S. viii]Dreizehntes Kapitel. Wechselseitige Verwandtschaft organischer Körper; Morphologie; Embryologie; Rudimentäre Organe.S. 443.

Klassifikation: Unterordnung der Gruppen. — Natürliches System. — Regeln und Schwierigkeiten der Klassifikation erklärt aus der Theorie der Fortpflanzung mit Abänderung. — Klassifikation der Varietäten. — Abstammung bei der Klassifikation gebraucht. — Analoge oder Anpassungs-Charaktere. — Verwandschaften: allgemeine, verwickelte und strahlenförmige. — Erlöschung trennt und begrenzt die Gruppen. — Morphologie: zwischen Gliedern einer Klasse und zwischen Theilen eines Einzelwesens. — Embryologie: deren Gesetze daraus erklärt, dass Abänderung nicht in allen Lebens-Arten eintritt, aber in korrespondirendem Alter vererbt wird. — Rudimentäre Organe: ihre Entstehung erklärt. — Zusammenfassung.

Vierzehntes Kapitel. Allgemeine Wiederholung und Schluss.S. 491.

Wiederholung der Schwierigkeiten der Theorie Natürlicher Züchtung. — Wiederholung der allgemeinen und besondern Umstände, zu deren Gunsten. — Ursachen des allgemeinen Glaubens an die Unveränderlichkeit der Arten. — Wie weit die Theorie Natürlicher Züchtung auszudehnen. — Folgen ihrer Annahme für das Studium der Naturgeschichte. — Schluss-Bemerkungen.

Fünfzehntes Kapitel. Schlusswort des Übersetzers.S. 525.

Eindruck und Wesen des Buches. — Stellung des Übersetzers zu demselben. — Zusammenfassung der Theorie des Verfassers. — Einreden des Übersetzers. — Aussicht auf künftigen Erfolg.

[S. 1]

Vorrede des Verfassers.

Ich will hier versuchen, eine kurze und sehr unvollkommene Skizze von der Entwickelung der Meinungen über die Entstehung der Species zu geben. Die grosse Mehrzahl der Naturforscher hat geglaubt, Arten seyen unveränderliche Erzeugnisse und jede einzelne für sich erschaffen: diese Ansicht ist von vielen Schriftstellern mit Geschick vertheidigt worden. Nur wenige Naturforscher nehmen dagegen an, dass Arten einer Veränderung unterliegen, und dass die jetzigen Lebenformen durch wirkliche Zeugung aus andern früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind. Abgesehen von den Schriftstellern der klassischen Periode bis zu BUFFON, mit deren Schriften ich nicht vertraut bin, war LAMARCK der erste, dessen Meinung, dass Arten sich verändern, Aufsehen erregte. Dieser mit Recht gefeierte Naturforscher veröffentlichte seine Ansichten zuerst 1801 und dann besser entwickelt 1809 in seiner Zoologie philosophique, so wie 1815 in seiner Einleitung in die Naturgeschichte der Wirbel-losen Thiere, in welchen Schriften er die Lehre von der Abstammung der Arten von einander aufstellt. Er hat das grosse Verdienst, die Aufmerksamkeit zuerst auf die Wahrscheinlichkeit gelenkt zu haben, dass alle Veränderungen in der organischen wie in der unorganischen Welt die Folgen von Natur-Gesetzen und nicht von wunderbaren Zwischenfällen sind. LAMARCK scheint hauptsächlich durch die Schwierigkeit Arten und Varietäten von einander zu unterscheiden, durch die fast ununterbrochene Stufen-Reihe der Formen in manchen Organismen-Gruppen und durch die Analogie mit unsren Züchtungs-Erzeugnissen zu jener Annahme geführt worden zu seyn. Was die Mittel betrifft, wodurch die Umwandlung der Arten in einander bewirkt werde, so schreibt er Einiges auf Rechnung der äusseren[S. 2] Lebens-Bedingungen, Einiges auf die einer Kreutzung der Formen und leitet das Meiste von dem Gebrauche und Nichtgebrauche der Organe oder von der Wirkung der Gewohnheit ab. Dieser letzten Kraft scheint er all’ die schönen Anpassungen in der Natur zuzuschreiben, wie z. B. den langen Hals der Giraffe, der sie in den Stand setzt, die Zweige grosser Bäume abzuweiden. Doch nahm er zugleich ein Gesetz fortschreitender Entwickelung an, und da hiernach alle Lebenformen fortzuschreiten gestrebt, so war er, um von dem Daseyn sehr einfacher Natur-Erzeugnisse auch in unsren Tagen Rechenschaft zu geben, noch eine Generatio spontanea zu Hülfe zu rufen genöthigt[1].

ETIENNE GEOFFROY SAINT-HILAIRE vermuthete, wie sein Sohn in dessen Lebens-Beschreibung berichtet, schon ums Jahr 1795, dass unsre sogenannten Species nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus seyen. Doch erst im Jahre 1828 veröffentlichte er seine Überzeugung[2], dass sich die Formen nicht in unveränderter Weise seit dem Anfang der Dinge fortgepflanzt haben. GEOFFROY scheint die Ursache der Veränderungen hauptsächlich in dem „Monde ambiant“ gesucht zu haben. Doch war er vorsichtig in dieser Beziehung, und sein Sohn sagt: „C’est donc un problème à réserver entièrement à l’avenir, supposé même, que l’avenir doive avoir prise sur lui“.

[S. 3]

In England erklärte der Hochwürdige W. HERBERT, nachheriger Dechant von Manchester, in seinem Werke über die Amaryllidaceae (1837, S. 1, 19, 339), es seye durch Hortikultur-Versuche unwiderlegbar dargethan, dass Pflanzen-Arten nur eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten seyen. Er dehnt die nämliche Ansicht auch auf die Thiere aus. Der Dechant ist der Meinung, dass anfangs nur einzelne Arten jeder Sippe von einer sehr bildsamen Organisation geschaffen worden seyen, und dass diese sodann durch Kreutzung und Abänderung alle unsre jetzigen Arten erzeugt haben.

Im Jahre 1826 erklärte Professor GRANT im Schluss-Paragraphen seiner wohl-bekannten Abhandlung über Spongilla (Edinburgh Philos. Journ. XIV, 283) seine Meinung ganz klar dahin, dass Arten von andern Arten entstanden sind und nur durch fortdauernde Veränderungen verbessert werden. Die nämliche Ansicht hat er auch 1834 im „Lancet“ in seiner 55. Vorlesung wiederholt.

Dann entwickelte PATRICK MATTHEW in seinem „Naval Timber and Arboriculture“ seine Überzeugung über die Entstehung der Arten ganz übereinstimmend mit der von WALLACE und mir selbst im „Linnean Journal“ und in dem gegenwärtigen Bande gegebenen Darstellung. Unglücklicher Weise jedoch schrieb MATTHEW seine Ansicht nur in zerstreuten Sätzen in einem Werke über einen ganz anderen Gegenstand nieder, so dass sie völlig unbeachtet blieb, bis er selbst 1860 im Gardeners Chronicle vom 7. April die Aufmerksamkeit darauf lenkte. Die Abweichungen seiner Ansicht von der meinigen sind nicht von wesentlicher Bedeutung. Er scheint anzunehmen, dass die Organismen-Welt der Erde in aufeinander-folgenden Zeiträumen beinahe ausgestorben und diese dann wieder neu bevölkert worden ist, und er gibt als eine Alternative, dass neue Formen erzeugt werden „ohne die Anwesenheit eines Modells oder Keimes von früheren Aggregaten“. Ich bin nicht gewiss, ob ich alle Stellen richtig verstehe; doch scheint er grossen Werth auf die unmittelbare Wirkung der äussern Lebens-Bedingungen zu legen. Er erkannte jedoch deutlich die volle Bedeutung des Prinzips der Natürlichen Züchtung.[S. 4] Auf einen Brief (a. a. O. April 13.), in welchem ich MATTHEW’N als meinen Vorgänger anerkannte, entgegnete er mit edler Offenheit (a. a. O. Mai 12.) unter Andern mit folgenden Worten: „dieses Natur-Gesetz bot sich meinem Blicke wie eine für sich selbst klare Thatsache und nicht in Folge darauf verwendeten Nachdenkens dar. DARWIN hat ein weit grösseres Verdienst bei dieser Entdeckung; denn ich habe nicht geglaubt eine Entdeckung zu machen. Er scheint es auf induktivem Wege ausgemittelt zu haben, indem er langsam und mit der nöthigen Vorsicht voranging und eine Thatsache an die andere reihete, — während mir nur im Hinblick auf die Verfahrungs-Weise der Natur im Allgemeinen die Wahlerzeugung der Arten vorkam wie eine a priori erkennbare Thatsache, wie ein Axiom, das man nur auszusprechen brauche, um ihm die Anerkennung eines jeden unbefangenen fähigen Beurtheilers zu verschaffen.“

RAFINESQUE schreibt 1836 in seiner New Flora of North America, p. 6, 18: „alle Arten mögen einmal blosse Varietäten gewesen und viele Varietäten durch allmähliche Befestigung ihrer Charaktere zu Species geworden seyn,“ — „mit Ausnahme jedoch des Original-Typus oder Stammvaters jeder Sippe“.

Im Jahre 1843–44 hat Professor HALDEMAN zu Boston in den Vereinten Staaten die Gründe für und gegen die Hypothese der Entwickelung und Umgestaltung der Arten in angemessener Weise zusammengestellt (im Journal of Natural History, vol. IV, p. 468) und scheint sich mehr zur Ansicht für die Veränderlichkeit zu neigen.

Die Vestiges of Creation sind zuerst 1844 erschienen. In der zehnten sehr verbesserten Ausgabe (1853, p. 155) sagt der ungenannte Verfasser: „das auf reichliche Erwägung gestützte Ergebniss ist, dass die verschiedenen Reihen beseelter Wesen von den einfachsten und ältesten an bis zu den höchsten und neuesten die unter Gottes Vorsehung gebildeten Erzeugnisse sind 1) eines den Lebenformen ertheilten Impulses, der sie in abgemessenen Zeiten auf dem Wege der Generation von einer zur anderen Organisations-Stufe bis zu den höchsten Dikotyledonen und Wirbelthieren erhebt, — welche Stufen nur[S. 5] wenige an Zahl und gewöhnlich durch Lücken in der organischen Reihenfolge von einander geschieden sind, die eine praktische Schwierigkeit bei Ermittelung der Verwandtschaften abgeben; — 2) eines andren Impulses, welcher mit den Lebenskräften zusammenhängt und im Laufe der Generationen die organischen Gebilde in Übereinstimmung mit den äusseren Bedingungen, wie Nahrung, Wohnort und meteorische Kräfte sind, abzuändern strebt: Diess sind die „Anpassungen des Natural-Theologen“. Der Verfasser ist offenbar der Meinung, dass die Organisation sich durch plötzliche Sprünge vervollkommne, die Wirkungen der äusseren Lebens-Bedingungen aber stufenweise seyen. Er folgert mit grossem Nachdruck aus allgemeinen Gründen, dass Arten keine unveränderlichen Produkte seyen. Ich vermag jedoch nicht zu ersehen, wie die unterstellten zwei „Impulse“ in einem wissenschaftlichen Sinne Rechenschaft geben können von den zahlreichen und schönen Zusammenpassungen, welche wir allerwärts in der ganzen Natur erblicken; ich vermag nicht zu erkennen, dass wir dadurch zur Einsicht gelangen, wie z. B. die Organisation des Spechtes seiner besondern Lebensweise angepasst worden ist. Das Buch hat sich durch seinen glänzenden und hinreissenden Styl sofort eine sehr weite Verbreitung errungen, obwohl es in seinen früheren Auflagen ungenaue Kenntnisse und einen grossen Mangel an wissenschaftlicher Vorsicht verrieth. Nach meiner Meinung hat es vortreffliche Dienste dadurch geleistet, dass es in unsrem Lande die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenkte und Vorurtheile beseitigte.

Im Jahre 1846 veröffentlichte der Veterane unter den Geologen, D’OMALIUS D’HALLOY, in einem vortrefflichen kurzen Aufsatze (im Bulletin de l’Académie Roy. de Bruxelles, Tome XIII, p. 581) seine Meinung, dass es wahrscheinlicher seye, dass neue Arten durch Descendenz mit Abänderung des alten Charakters hervorgebracht, als einzeln geschaffen worden seyen; er hatte diese Ansicht zuerst im Jahre 1831 aufgestellt.

In Professor R. OWEN’S Nature of Limbs, 1849, p. 86 kommt folgende Stelle vor: „Die Grund-Idee war in der Thier-Welt unseres Planeten in verschiedenen Modifikationen bereits ausgesprochen[S. 6] lange vor dem Daseyn der sie jetzt erläuternden Thier-Arten. Von welchen Natur-Gesetzen oder sekundären Ursachen aber das ordnungsmässige Aufeinanderfolgen und Fortschreiten solcher organischen Erscheinungen abhängig gewesen seye, Das ist uns bis jetzt nicht bekannt geworden.“ In seiner Ansprache an die Britische Gelehrten-Versammlung im Jahre 1858 spricht er (S. II) vom „Axiom der fortwährenden Thätigkeit der Schöpfungs-Kraft oder des geordneten Werdens lebender Wesen“, — und fügt später (S. XC) mit Bezugnahme auf die geographische Verbreitung bei: „Diese Erscheinungen erschüttern unser Vertrauen in die Annahme, dass der Apteryx in Neuseeland und das rothe Waldhuhn in England verschiedene Schöpfungen in und für die genannten Inseln allein seyen. Auch darf man nicht vergessen, dass das Wort Schöpfung für den Zoologen nur einen unbekannten Prozess bedeutet.“ OWEN führt diese Vorstellung dann weiter aus, indem er sagt, „wenn der Zoologe solche Fälle, wie den vom rothen Waldhuhn als eine besondere Schöpfung des Vogels auf und für eine einzelne Insel aufzählt, so will er damit eben nur ausdrücken, dass er nicht begreife, wie derselbe dahin und eben nur dahin gekommen seye, und dass er demzufolge beide, Insel wie Vogel, von einer grossen ersten Schöpfungs-Kraft abzuleiten geneigt seye.“

ISIDORE GEOFFROY ST.-HILAIRE spricht in seinen im Jahre 1850 gehaltenen Vorlesungen (von welchen ein Auszug in Revue et Magazin de Zoologie 1851, Jan. erschien) seine Meinung über Arten-Charaktere kürzlich dahin aus, dass sie „für jede Art feststehen, so lange als sich dieselbe inmitten der nämlichen Verhältnisse fortpflanze, dass sie aber abändern, sobald die äusseren Lebens-Bedingungen wechseln“. Im Ganzen „zeigt die Beobachtung der wilden Thiere schon die beschränkte Veränderlichkeit der Arten. Die Versuche mit gezähmten wilden Thieren und mit verwilderten Hausthieren zeigen Diess noch deutlicher. Dieselben Versuche beweisen auch, dass die hervorgebrachten Verschiedenheiten vom Werthe derjenigen seyn können, durch welche wir Sippen unterscheiden“. In seiner Histoire naturelle générale (1859, II, 430) gelangt er zu ähnlichen Folgerungen.

[S. 7]

Aus einer unlängst erschienenen Veröffentlichung scheint hervorzugehen, dass Dr. FREKE schon im Jahre 1851 (Dublin Medical Press p. 322) die Lehre aufgestellt, dass alle organischen Wesen von einer Urform abstammen. Seine Gründe und Behandlung des Gegenstandes sind aber von den meinigen gänzlich verschieden, und da sein „Origin of Species by means of organic affinity 1861“ jetzt erschienen ist, so dürfte mir der schwierige Versuch, eine Darstellung seiner Ansicht zu geben, wohl erlassen werden.

HERBERT SPENCER hat in einem Versuche (welcher zuerst im Leader vom März 1852 und später in SPENCER’S Essays 1858 erschien) die Theorie der Schöpfung und die der Entwickelung organischer Wesen in vorzüglich geschickter und wirksamer Weise einander gegenüber gestellt. Er folgert aus der Analogie mit den Züchtungs-Erzeugnissen, aus den Veränderungen, welchen die Embryonen vieler Arten unterliegen, aus der Schwierigkeit Arten und Varietäten zu unterscheiden, so wie endlich aus dem Prinzip einer allgemeinen Stufenfolge in der Natur, dass Arten abgeändert worden sind, und schreibt diese Abänderung dem Wechsel der Umstände zu. Derselbe Verfasser hat 1855 die Psychologie nach dem Prinzip einer nothwendig stufenweisen Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit bearbeitet.

Im Jahre 1852 hat NAUDIN, ein ausgezeichneter Botaniker (in der Revue horticole, p. 102) ausdrücklich erklärt, dass nach seiner Ansicht Arten in analoger Weise von der Natur, wie Varietäten durch die Kultur, gebildet worden seyen. Er zeigt aber nicht, wie die Züchtung in der Natur vor sich geht. Er nimmt wie Dechant HERBERT an, dass die Arten anfangs bildsamer waren als jetzt, legt Gewicht auf sein sogenanntes Prinzip der Finalilät, „eine unbestimmte geheimnissvolle Kraft, gleich-bedeutend mit blinder Vorbestimmung für die Einen, mit Wille der Vorsehung für die Andern, durch deren unausgesetzten Einfluss auf die lebenden Wesen in allen Weltaltern die Form, der Umfang und die Dauer eines jeden derselben je nach seiner Bestimmung in der Ordnung der Dinge, wozu es gehört, bedingt wird. Es ist diese Kraft, welche jedes Glied mit dem Ganzen in Harmonie bringt, indem sie dasselbe der Verrichtung anpasst, die es[S. 8] im Gesammt-Organismus der Natur zu übernehmen hat, einer Verrichtung, welche für dasselbe Grund des Daseyns ist“[3].

Im Jahre 1853 hat ein berühmter Geologe, Graf KEYSERLING (im Bulletin de la Société géologique, tome X, p. 357) die Meinung vorgebracht, dass zu verschiedenen Zeiten eine Art Seuche durch irgend welches Miasma veranlasst, sich über die Erde verbreitet und auf die Keime der bereits vorhandenen Arten chemisch eingewirkt habe, indem sie dieselben mit irgend welchen Molekülen von besonderer Natur umgab und hiedurch die Entstehung neuer Formen veranlasste!

Im nämlichen Jahre 1853 lieferte auch Dr. SCHAAFFHAUSEN einen Aufsatz in die Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der Preuss. Rhein-Lande, worin er die fortschreitende Entwickelung organischer Formen auf der Erde behauptet. Er nimmt an, dass viele Arten sich lange Zeiträume hindurch unverändert erhalten haben, während andere Abänderungen erlitten. Das Auseinanderweichen der Arten ist nach ihm durch die Zerstörung der Zwischenstufen zu erklären. „Lebende Pflanzen und Thiere sind daher von den untergegangenen nicht als neue Schöpfungen verschieden, sondern vielmehr als deren Nachkommen in Folge unausgesetzter Fortpflanzung zu betrachten.“

Ein wohl-bekannter französischer Botaniker, LECOQ, schreibt 1854 in seinen Études sur la géographie botanique I, 250: „man sieht dass unsre Untersuchungen über die Stetigkeit und Veränderlichkeit[S. 9] der Arten uns geradezu auf die von GEOFFROY ST.-HILAIRE und GÖTHE ausgesprochenen Vorstellungen führen“. Einige andere in dem genannten Werke zerstreute Stellen lassen uns jedoch darüber im Zweifel, wie weit LECOQ selbst diesen Vorstellungen zugethan seye.

Die „Philosophie der Schöpfung“ ist 1855 in bewundernswürdiger Weise durch den Hochwürdigen BADEN-POWELL (in seinen Essays on the Unity of Worlds) behandelt worden. Er zeigt auf’s treffendste, dass die Einführung neuer Arten „eine regelmässige und nicht eine zufällige Erscheinung“ oder, wie Sir JOHN HERSCHEL es ausdrückt, „eine Natur- im Gegensatze einer Wunder-Erscheinung“ ist.

Aufsätze von Herrn WALLACE und mir selbst im dritten Theile des Journal of the Linnean Society (August 1858) stellen zuerst, wie in der Einleitung zu diesem Bande gesagt wird, die Theorie der Natürlichen Züchtung auf.

VON BAER, der bei allen Zoologen in höchster Achtung steht, drückte im Jahre 1849 seine hauptsächlich auf die Gesetze der geographischen Verbreitung gegründete Überzeugung dahin aus, dass jetzt vollständig verschiedene Formen von je einer gemeinsamen Stamm-Form herrühren (RUD. WAGNER zoolog.-anthropolog. Untersuchungen 1861, S. 51).

Im Jahre 1859 hielt Professor HUXLEY einen Vortrag vor der Royal Institution über den bleibenden Typus des Thier-Lebens. In Bezug auf derartige Fälle bemerkt er: „Es ist schwierig die Bedeutung solcher Thatsachen zu begreifen, wenn wir voraussetzen, dass jede Pflanzen- und Thier-Art oder jeder grosse Organisations-Typus nach langen Zwischenzeiten durch je einen besondern Akt der Schöpfungs-Kraft gebildet und auf die Erd-Oberfläche versetzt worden seye; und man muss nicht vergessen, dass eine solche Annahme weder in der Tradition noch in der Offenbarung eine Stütze findet, wie sie denn auch der allgemeinen Analogie in der Natur zuwider ist. Betrachten wir anderseits die „persistenten Typen“ in Bezug auf die Hypothese, wornach die zu irgend einer Zeit vorhandenen Wesen das Ergebniss allmählicher Abänderung schon früherer Wesen sind — eine Hypothese, welche, wenn auch[S. 10] unerwiesen und auf klägliche Weise von einigen ihrer Anhänger verkümmert, doch die einzige ist, der die Physiologie einigen Halt verleiht —, so scheint das Daseyn dieser Typen zu zeigen, dass das Maass der Abänderung, welche lebende Wesen während der geologischen Zeit erfahren haben, sehr gering ist im Vergleich zu der ganzen Reihe von Veränderungen, welchen sie ausgesetzt gewesen sind.“

Im Dezember 1859 veröffentlichte Dr. HOOKER seine bewundernswürdige Einleitung in die Tasmanische Flora, in deren erstem Theile er die Entstehung der Arten durch Abkommenschaft und Umänderung von andern zugesteht und diese Lehre durch viele schätzbare Original-Beobachtungen unterstützt.

Im November 1859 erschien die erste Ausgabe dieses Werkes, im Januar 1860 die zweite, im April 1861 die dritte.

[S. 11]

Einleitung.

Als ich an Bord des Königlichen Schiffs „Beagle“ als Naturforscher Südamerika erreichte, ward ich überrascht von der Wahrnehmung gewisser Thatsachen in der Vertheilung der Bewohner und in den geologischen Beziehungen zwischen der jetzigen und der früheren Bevölkerung dieses Welttheils. Diese Thatsachen schienen mir, wie sich aus dem letzten Kapitel dieses Bandes ergeben wird, einiges Licht über die Entstehung der Arten zu verbreiten, diess Geheimniss der Geheimnisse, wie es einer unsrer grössten Philosophen genannt hat. Nach meiner Heimkehr im Jahre 1837 schien es mir, dass sich etwas über diese Frage müsse ermitteln lassen durch ein geduldiges Sammeln und Erwägen aller Arten von Thatsachen, welche möglicher Weise etwas zu deren Aufklärung beitragen könnten. Nachdem ich Diess fünf Jahre lang gethan, getraute ich mich erst eingehender über die Sache nachzusinnen und einige kurze Bemerkungen darüber niederzuschreiben, welche ich im Jahre 1844 weiter ausführte, indem ich die Schlussfolgerungen hinzufügte, welche sich mir als wahrscheinlich ergaben, und von dieser Zeit an war ich mit beharrlicher Verfolgung des Gegenstandes beschäftigt. Ich hoffe, dass man die Anführung dieser auf meine Person bezüglichen Einzelnheiten entschuldigen wird: sie sollen zeigen, dass ich nicht übereilt zu einem Entschlusse gelangt bin.

Mein Werk ist nun nahezu vollendet; aber ich will mir noch zwei oder drei weitere Jahre Zeit lassen, um es zu ergänzen; und da meine Gesundheit keineswegs fest ist, so sah ich mich zur Veröffentlichung dieses Auszugs gedrängt. Ich sah mich noch um so mehr dazu veranlasst, als Herr WALLACE beim Studium der Naturgeschichte der Malayischen Inselwelt zu fast genau[S. 12] denselben allgemeinen Schlussfolgerungen über die Arten-Bildung gelangt ist. Im Jahre 1858 sandte er mir eine Abhandlung darüber mit der Bitte zu, sie Herrn CHARLES LYELL zuzustellen, welcher sie der LINNÉischen Gesellschaft übersandte, in deren Journal sie nun im dritten Bande abgedruckt worden ist. Herr LYELL sowohl als Dr. HOOKER, welche beide meine Arbeit kennen (der letzte hat meinen Entwurf von 1844 gelesen), beehrten mich indem sie den Wunsch ausdrückten, ich möge einen kurzen Auszug aus meinen Handschriften zugleich mit WALLACE’S Abhandlung veröffentlichen.

Dieser Auszug, welchen ich hiemit der Lesewelt vorlege, muss nothwendig unvollkommen seyn. Er kann keine Belege und Autoritäten für meine verschiedenen Feststellungen beibringen, und ich muss den Leser ansprechen einiges Vertrauen in meine Genauigkeit zu setzen. Zweifelsohne mögen Irrthümer mit untergelaufen seyn; doch glaube ich mich überall nur auf verlässige Autoritäten berufen zu haben. Ich kann hier überall nur die allgemeinen Schlussfolgerungen anführen, zu welchen ich gelangt bin, in Begleitung von nur wenigen erläuternden Thatsachen, die aber, wie ich hoffe, in den meisten Fällen genügen werden. Niemand kann mehr als ich selber die Nothwendigkeit fühlen, alle Thatsachen, auf welche meine Schlussfolgerungen sich stützen, mit ihren Einzelnheiten bekannt zu machen, und ich hoffe Diess in einem künftigen Werke zu thun. Denn ich weiss wohl, dass kaum ein Punkt in diesem Buche zur Sprache kommt, zu welchem man nicht Thatsachen anführen könnte, die oft zu gerade entgegengesetzten Folgerungen zu führen scheinen. Ein richtiges Ergebniss lässt sich aber nur dadurch erlangen, dass man alle Erscheinungen und Gründe zusammenstellt, welche für und gegen jede einzelne Frage sprechen, und sie dann sorgfältig gegen einander abwägt, und Diess kann nicht wohl hier geschehen.

Ich muss bedauern nicht Raum zu finden, um so vielen Naturforschern meine Erkenntlichkeit für die Unterstützung auszudrücken, die sie mir, mitunter ihnen persönlich ganz unbekannt, in uneigennütziger Weise zu Theil werden liessen. Doch kann ich diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne wenigstens[S. 13] die grosse Verbindlichkeit anzuerkennen, welche ich Dr. HOOKER’N dafür schulde, dass er mich in den letzten fünfzehn Jahren in jeder möglichen Weise durch seine reichen Kenntnisse und sein ausgezeichnetes Urtheil unterstützt hat.

Wenn ein Naturforscher über die Entstehung der Arten nachdenkt, so ist es wohl begreiflich, dass er in Erwägung der gegenseitigen Verwandtschafts-Verhältnisse der Organismen, ihrer embryonalen Beziehungen, ihrer geographischen Verbreitung, ihrer geologischen Aufeinanderfolge und andrer solcher Thatsachen zu dem Schlusse gelangen könne, dass jede Art nicht unabhängig von andern erschaffen seye, sondern nach der Weise der Varietäten von andern Arten abstamme. Demungeachtet dürfte eine solche Schlussfolgerung, selbst wenn sie richtig wäre, kein Genüge leisten, so lange nicht nachgewiesen werden kann, auf welche Weise die zahllosen Arten, welche jetzt unsre Erde bewohnen, so abgeändert worden seyen, dass sie die jetzige Vollkommenheit des Baues und der Anpassung für ihre jedesmaligen Lebens-Verhältnisse erlangten, welche mit Recht unsre Bewunderung erregen. Die Naturforscher verweisen beständig auf die äusseren Bedingungen, wie Klima, Nahrung u. s. w. als die einzigen möglichen Ursachen ihrer Abänderung. In einem sehr beschränkten Sinne kann, wie wir später sehen werden, Diess wahr seyn. Aber es wäre verkehrt, lediglich äusseren Ursachen z. B. die Organisation des Spechtes, die Bildung seines Fusses, seines Schwanzes, seines Schnabels und seiner Zunge zuschreiben zu wollen, welche ihn so vorzüglich befähigen, Insekten unter der Rinde der Bäume hervorzuholen. Eben so wäre es verkehrt, bei der Mistel-Pflanze, die ihre Nahrung aus gewissen Bäumen zieht, und deren Saamen von gewissen Vögeln ausgestreut werden müssen, wie ihre Blüthen, welche getrennten Geschlechtes sind, die Thätigkeit gewisser Insekten zur Übertragung des Pollens von der männlichen auf die weibliche Blüthe voraussetzen, — es wäre verkehrt, die organische Einrichtung dieses Parasiten mit seinen Beziehungen zu jenen verschiedenerlei organischen Wesen als eine Wirkung äussrer Ursachen oder der Gewohnheit oder des Willens der Pflanze selbst anzusehen.

[S. 14]

Es ist daher von der grössten Wichtigkeit eine klare Einsicht in die Mittel zu gewinnen, durch welche solche Umänderungen und Anpassungen bewirkt werden. Beim Beginne meiner Beobachtungen schien es mir wahrscheinlich, dass ein sorgfältiges Studium der Hausthiere und Kultur-Pflanzen die beste Aussicht auf Lösung dieser schwierigen Aufgabe gewähren würde. Und ich habe mich nicht getäuscht, sondern habe in diesem wie in allen andern verwickelten Fällen immer gefunden, dass unsre Erfahrungen über die im gezähmten und angebauten Zustande erfolgenden Veränderungen der Lebenwesen immer den besten und sichersten Aufschluss gewähren. Ich stehe nicht an, meine Überzeugung von dem hohen Werthe solcher von den Naturforschern gewöhnlich sehr vernachlässigten Studien auszudrücken.

Aus diesem Grunde widme ich denn auch das erste Kapitel dieses Auszugs der Abänderung im Kultur-Zustande. Wir werden daraus ersehen, dass erbliche Abänderungen in grosser Ausdehnung wenigstens möglich sind, und, was nicht minder wichtig, dass das Vermögen des Menschen, geringe Abänderungen durch deren ausschliessliche Auswahl zur Nachzucht, d. h. durch künstliche Züchtung[4] zu häufen, sehr beträchtlich ist. Ich werde dann zur Veränderlichkeit der Lebenwesen im Natur-Zustande übergehen; doch bin ich unglücklicher Weise genöthigt diesen Gegenstand viel zu kurz abzuthun, da er angemessen eigentlich nur durch Mittheilung langer Listen von Thatsachen behandelt werden kann. Wir werden demungeachtet im Stande seyn zu erörtern, was für Umstände die Abänderung am meisten befördern. Im nächsten Abschnitte soll der Kampf um’s Daseyn unter den organischen Wesen der ganzen Welt abgehandelt werden, welcher unvermeidlich aus ihrem hoch geometrischen[S. 15] Zunahme-Vermögen hervorgeht. Es ist Diess die Lehre von MALTHUS auf das ganze Thier- und Pflanzen-Reich angewendet. Da viel mehr Einzelwesen jeder Art geboren werden, als fortleben können, und demzufolge das Ringen um Existenz beständig wiederkehren muss, so folgt daraus, dass ein Wesen, welches in irgend einer für dasselbe vortheilhafteren Weise von den übrigen auch nur etwas abweicht, unter manchfachen und oft veränderlichen Lebens-Bedingungen mehr Aussicht auf Fortdauer hat und demnach bei der Natürlichen Züchtung im Vortheil ist. Eine solche zur Nachzucht ausgewählte Varietät strebt dann nach dem strengen Erblichkeits-Gesetze jedesmal seine neue und abgeänderte Form fortzupflanzen.

Diese Natürliche Züchtung ist ein Hauptgegenstand, welcher im vierten Kapitel etwas weitläufiger abgehandelt werden soll; und wir werden dann finden, wie die Natürliche Züchtung gewöhnlich die unvermeidliche Veranlassung zum Erlöschen minder geeigneter Lebenformen wird und herbeiführt, was ich Divergenz des Charakters[5] genannt habe. Im nächsten Abschnitte werden die zusammengesetzten und wenig bekannten Gesetze der Abänderung und der Wechselbeziehungen in der Entwickelung besprochen. In den vier folgenden Kapiteln sollen die auffälligsten und bedeutendsten Schwierigkeiten unsrer Theorie angegeben werden, und zwar erstens die Schwierigkeiten der Übergänge, oder wie es zu begreifen ist, dass ein einfaches Wesen oder Organ verwandelt und in ein höher entwickeltes Wesen oder ein höher ausgebildetes Organ umgestaltet werden kann; zweitens der Instinkt oder die geistigen Fähigkeiten der Thiere; drittens die Kreutzung oder die Unfruchtbarkeit der gekreutzten Species und die Fruchtbarkeit der gekreutzten Varietäten; und viertens die Unvollkommenheit der geologischen Urkunde. Im nächsten Abschnitte werde ich die geologische Aufeinanderfolge der Organismen in der Zeit betrachten; im eilften und zwölften deren geographische Verbreitung im Raume; im dreizehnten ihre Klassifikation und gegenseitigen Verwandtschaften im reifen wie im Embryo-Zustande.[S. 16] Im letzten Abschnitte endlich werde ich eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes des ganzen Werkes mit einigen Schluss-Bemerkungen geben.

Darüber, dass noch so Vieles über die Entstehung der Arten und Varietäten unerklärt bleibe, wird sich niemand wundern, wenn er unsre tiefe Unwissenheit hinsichtlich der Wechselbeziehungen all’ der um uns her lebenden Wesen in Betracht zieht. Wie kann man erklären, dass eine Art in grosser Anzahl und weiter Verbreitung vorkömmt, während ihre nächste Verwandte selten und auf engen Raum beschränkt ist? Und doch sind diese Beziehungen von der höchsten Wichtigkeit, insoferne sie die gegenwärtige Wohlfahrt und, wie ich glaube, das künftige Gedeihen und die Modifikationen eines jeden Bewohners der Welt bedingen. Aber noch viel weniger Kenntniss haben wir von den Wechselbeziehungen der unzähligen Bewohner dieser Erde während der zahlreichen Perioden ihrer einstigen Bildungs-Geschichte. Wenn daher auch noch Vieles dunkel ist und noch lange dunkel bleiben wird, so zweifle ich nach den sorgfältigsten Studien und dem unbefangensten Urtheile, dessen ich fähig bin, doch nicht daran, dass die Meinung, welche die meisten Naturforscher hegen und auch ich lange gehabt habe, als wäre nämlich jede Species unabhängig von den übrigen erschaffen worden, eine irrthümliche sey. Ich bin vollkommen überzeugt, dass die Arten nicht unveränderlich sind; dass die zu einer sogenannten Sippe[6] zusammengehörigen Arten in einer Linie von anderen gewöhnlich erloschenen Arten abstammen in der nämlichen Weise, wie die anerkannten Varietäten einer Art Abkömmlinge dieser Species sind. Endlich bin ich überzeugt, dass Natürliche Züchtung das hauptsächlichste wenn auch nicht einzige Mittel zu Abänderung der Lebenformen gewesen ist.

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Erstes Kapitel.
Abänderung durch Domestizität.

Ursachen der Veränderlichkeit. Wirkungen der Gewohnheit. Wechselbeziehungen der Bildung. Erblichkeit. Charaktere kultivirter Varietäten. Schwierige Unterscheidung zwischen Varietäten und Arten. Entstehung kultivirter Varietäten von einer oder mehren Arten. Zahme Tauben, ihre Verschiedenheiten und Entstehung. Früher stattgefundene Züchtung und ihre Folgen. Planmässige und unbewusste Züchtung. Unbekannter Ursprung unsrer kultivirten Rassen. Günstige Umstände für das Züchtungs-Vermögen des Menschen.

Wenn wir die Einzelwesen einer Varietät oder Untervarietät unsrer alten Kultur-Pflanzen und -Thiere betrachten, so ist einer der Punkte, die uns zuerst auffallen, dass sie im Allgemeinen mehr von einander abweichen, als die Einzelwesen einer Art oder Varietät im Natur-Zustande. Erwägen wir nun die grosse Manchfaltigkeit der Kultur-Pflanzen und -Thiere, welche sich zu allen Zeiten unter den verschiedensten Klimaten und Behandlungs-Weisen abgeändert haben, so glaube ich sind wir zum Schlusse gedrängt, dass diese grössere Veränderlichkeit unsrer Kultur-Erzeugnisse die Wirkung minder einförmiger und von den natürlichen der Stamm-Ältern etwas abweichender Lebens-Bedingungen ist. Auch hat, wie mir scheint, ANDREW KNIGHT’S Meinung, dass diese Veränderlichkeit zum Theil mit überflüssiger Nahrung zusammenhänge, einige Wahrscheinlichkeit für sich. Es scheint ferner ganz klar zu seyn, dass die organischen Wesen einige Generationen hindurch neuen Lebens-Bedingungen ausgesetzt seyn müssen, ehe ein bemerkliches Maass von Veränderung in ihnen hervortreten kann, und dass, wenn ihre Organisation einmal abzuändern begonnen hat, diese Abänderung gewöhnlich durch viele Generationen fortwährt. Man kennt keinen Fall, dass ein veränderliches Wesen im Kultur-Zustande aufgehört hätte veränderlich zu seyn. Unsre ältesten Kultur-Pflanzen,[S. 18] wie der Weitzen z. B., geben oft noch neue Varietäten, und unsre ältesten Hausthiere sind noch immer rascher Umänderung oder Veredelung fähig.

Man hat darüber gestritten, in welchem Lebens-Alter die Ursachen der Abänderungen, worin sie immer bestehen mögen, wirksam zu seyn pflegen, ob in der ersten, oder in der letzten Zeit der Entwickelung des Embryos, oder im Augenblicke der Empfängniss. GEOFFROY ST.-HILAIRE’S Versuche ergeben, dass eine unnatürliche Behandlung des Embryos Monstrositäten erzeuge, und Monstrositäten können durch keinerlei scharfe Grenzlinie von Varietäten unterschieden werden. Doch bin ich sehr zu vermuthen geneigt, dass die häufigste Ursache zur Abänderung in Einflüssen zu suchen seye, welche das männliche oder weibliche reproduktive Element schon vor dem Akte der Befruchtung erfahren hat. Ich habe verschiedene Gründe für diese Meinung; doch liegt der Hauptgrund in den bemerkenswerthen Folgen, welche Einsperrung oder Anbau auf die Verrichtungen des reproduktiven Systemes äussern, indem nämlich dieses System viel empfänglicher für die Wirkung irgend eines Wechsels in den Lebens-Bedingungen als jeder andere Theil der Organisation zu seyn scheint. Nichts ist leichter, als ein Thier zu zähmen, und wenige Dinge sind schwieriger, als es in der Gefangenschaft zu einer freiwilligen Fortpflanzung zu veranlassen in den zahlreichen Fällen sogar, wo man Männchen und Weibchen bis zur Paarung bringt. Wie viele Thiere wollen sich nicht fortpflanzen, obwohl sie schon lange in nicht sehr enger Gefangenschaft in ihrer Heimath-Gegend leben! Man schreibt Diess gewöhnlich verdorbenen Naturtrieben zu; allein wie viele Kultur-Pflanzen gedeihen in der äussersten Kraft-Fülle, ohne jemals oder fast jemals Samen anzusetzen! In einigen wenigen solchen Fällen hat man herausgefunden, dass sehr unbedeutende Verhältnisse, wie etwas mehr oder weniger Wasser zu einer gewissen Zeit des Wachsthums für oder gegen die Samen-Bildung entscheidend wird. Ich kann hier nicht eingehen in die zahlreichen Einzelheiten, die ich über diese merkwürdige Frage gesammelt; um aber zu zeigen, wie eigenthümlich die Gesetze sind, welche die[S. 19] Fortpflanzung der Thiere in Gefangenschaft bedingen, will ich nur anführen, dass Raubthiere selbst aus den Tropen-Gegenden sich bei uns auch in Gefangenschaft ziemlich gerne fortpflanzen, doch mit Ausnahme der Sohlengänger oder der Bären-Familie, welche nur selten Junge erzeugen, während Fleisch-fressende Vögel nur in den seltensten Fällen oder fast niemals fruchtbare Eier legen. Viele ausländische Pflanzen haben ganz werthlosen Pollen genau in demselben Zustande, wie die meist unfruchtbaren Bastard-Pflanzen. Wenn wir auf der einen Seite Hausthiere und Kultur-Pflanzen oft selbst in schwachem und krankem Zustande sich in der Gefangenschaft ganz freiwillig fortpflanzen sehen, während auf der andern Seite jung eingefangene Individuen, vollkommen gezähmt, Geschlechts-reif und kräftig (wovon ich viele Beispiele anführen kann), in ihrem Reproduktiv-Systeme durch nicht wahrnehmbare Ursachen so angegriffen erscheinen, dass sie sich nicht zu befruchten vermögen, so dürfen wir uns um so weniger darüber wundern, wenn dieses System in der Gefangenschaft in nicht ganz regelmässiger Weise wirkt und eine Nachkommenschaft erzeugt, welche den Ältern nicht vollkommen ähnlich oder welche veränderlich ist.

Man hat Unfruchtbarkeit als den Untergang des Gartenbaues bezeichnet; aber Variabilität entsteht aus derselben Ursache wie Sterilität, und Variabilität ist die Quelle all der ausgesuchtesten Erzeugnisse unsrer Gärten. Ich möchte hinzufügen, dass, wenn einige Organismen (wie die in Kästen gehaltenen Kaninchen und Frettchen) sich unter den unnatürlichsten Verhältnissen fortpflanzen, Diess nur beweiset, dass ihr Reproduktions-System dadurch nicht angegriffen worden ist; und so widerstreben einige Thiere und Pflanzen der Veränderung durch Zähmung oder Kultur und erfahren nur sehr geringe Abänderung, vielleicht kaum eine stärkere als im Natur-Zustande.

Man könnte eine lange Liste von Spielpflanzen (Sporting plants) aufstellen, mit welchem Namen die Gärtner einzelne Knospen oder Sprossen bezeichnen, welche plötzlich einen neuen und von der übrigen Pflanze oft sehr abweichenden Charakter annehmen. Solche Pflanzen kann man durch Propfen und oft[S. 20] mittelst Samen fortpflanzen. Diese Spielpflanzen sind in der Natur ausserordentlich selten, im Kultur-Zustande aber nichts Ungewöhnliches, und wir sehen in diesem Falle, dass die abweichende Behandlung der Mutterpflanze die Knospe oder den Sprossen, nicht aber das Ei’chen oder den Pollen berührt hat. Die meisten Physiologen sind aber der Meinung, dass zwischen einer Knospe und einem Ei’chen auf ihrer ersten Bildungs-Stufe kein wesentlicher Unterschied ist, so dass die Spielpflanzen in der That meiner Meinung zur Stütze gereichen, dass die Veränderlichkeit grossentheils von Einflüssen herzuleiten seye, welche die Behandlung der Mutterpflanze auf das Ei’chen oder den Pollen oder auf beide schon vor dem Befruchtungs-Akte ausgeübt hat. Diese Fälle zeigen dann auch, dass Abänderung nicht, wie einige Autoren angenommen, nothwendig mit dem Generations-Akte zusammenhänge.

Sämlinge von derselben Frucht erzogen oder Junge von einem Wurfe weichen oft weit von einander ab, obwohl die Jungen und die Alten, wie MÜLLER bemerkt, offenbar genau denselben Lebens-Bedingungen ausgesetzt gewesen; und es ergibt sich daraus, wie unerheblich die unmittelbaren Wirkungen der Lebens-Bedingungen im Vergleiche zu den Gesetzen der Reproduktion, der Wechselbeziehungen des Wachsthums und der Erblichkeit sind; denn wäre die Wirkung der Lebens-Bedingungen in dem Falle, wo nur ein Junges abändert, eine unmittelbare gewesen, so würden zweifelsohne alle Jungen dieselben Abänderungen zeigen. Es ist sehr schwer zu beurtheilen, wie viel bei einer solchen Abänderung dem unmittelbaren Einflusse der Wärme, der Feuchtigkeit, des Lichtes und der Nahrung im Einzelnen zuzuschreiben seye; ich halte mich aber überzeugt, dass solche Kräfte bei Thieren nur sehr wenig unmittelbaren Erfolg haben können, während derselbe bei Pflanzen offenbar grösser ist. In dieser Beziehung sind BUCKMAN’S neuere Versuche mit Pflanzen von grossem Werthe. Wenn alle oder fast alle Einzelnwesen, welche den nämlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen, auch auf dieselbe Weise abgeändert werden, so scheint diese Wirkung anfangs jenen Einflüssen unmittelbar zugeschrieben werden zu müssen;[S. 21] es lässt sich aber in einigen Fällen nachweisen, dass ganz entgegengesetzte Bedingungen ähnliche Veränderungen des Baues bewirken können. Demungeachtet glaube ich, dass ein kleiner Betrag der stattfindenden Umänderung der unmittelbaren Einwirkung der Lebens-Bedingungen zugeschrieben werden kann, wie in einigen Fällen die veränderte Grösse von der Nahrungs-Menge, die Färbung von besonderen Arten der Nahrung und vom Lichte, und vielleicht die Dichte des Pelzes vom Klima ableitbar ist.

Auch Gewöhnung hat einen entschiedenen Einfluss, wie die Versetzung von Pflanzen aus einem Klima ins andere deren Blüthe-Zeit ändert. Bei Thieren ist er bemerkbarer; ich habe bei der Haus-Ente gefunden, dass die Flügel-Knochen leichter und die Bein-Knochen schwerer im Verhältniss zum ganzen Skelette sind als bei der wilden Ente; und ich glaube, dass man diese Veränderung getrost dem Umstande zuschreiben kann, dass die zahme Ente weniger fliegt und mehr geht, als bei dieser Enten-Art in ihrem wilden Zustande der Fall ist. Die erbliche stärkere Entwickelung der Euter bei Kühen und Geisen in solchen Gegenden, wo sie regelmässig gemelkt werden, im Verhältnisse zu andern, wo es nicht der Fall, ist ein anderer Beleg dafür. Es gibt keine Art von Haus-Säugethieren, welche nicht in dieser oder jener Gegend hängende Ohren hätte, und so ist die Meinung, die irgend ein Schriftsteller geäussert, dass dieses Hängendwerden der Ohren vom Nichtgebrauch der Ohr-Muskeln herrühre, weil das Thier sich nicht mehr durch drohende Gefahren beunruhigt fühle, ganz wahrscheinlich.

Es gibt nun viele Gesetze, welche die Veränderungen regeln, von welchen einige wenige sich dunkel erkennen lassen, und die nachher noch kürzlich erwähnt werden sollen. Hier will ich nur anführen, was man Wechselbeziehung der Entwicklung nennen kann. Eine Veränderung in Embryo oder Larve wird sicherlich meistens auch Veränderungen im reifen Thiere nach sich ziehen. Bei Monstrositäten sind die Wechselbeziehungen zwischen ganz verschiedenen Theilen des Körpers sehr sonderbar, und ISIDORE GEOFFROY ST.-HILAIRE führt davon viele Belege in seinem grossen Werke an. Viehzüchter glauben, dass verlängerte Beine gewöhnlich[S. 22] auch von einem verlängerten Kopfe begleitet sind. Einige Beispiele erscheinen ganz wunderlicher Art; so, dass ganz weisse Katzen mit blauen Augen allezeit taub sind. Farbe und Eigenthümlichkeiten der Konstitution sind mit einander in Verbindung, wovon sich viele merkwürdige Fälle bei Pflanzen und Thieren anführen lassen. Aus den von HEUSINGER gesammelten Thatsachen geht hervor, dass weisse Schaafe und Schweine von gewissen Pflanzen-Giften ganz anders als die dunkel-farbigen berührt werden. Professor WYMAN hat mir kürzlich einen sehr belehrenden Fall dieser Art mitgetheilt. Auf seine an einige Farmer in Florida gerichtete Frage, woher es komme, dass alle ihre Schweine schwarz seyen, erhielt er zur Antwort, dass die Schweine die Farbwurzel (Lachnanthes) fressen, die ihre Knochen Nelken-braun färbe und, ausser an den schwarzen Varietäten derselben, die Hufe abfallen mache; und einer der Ansiedler (in Florida Squatters genannt) fügte hinzu: wir wählen die schwarzen Glieder eines Wurfes zum Aufziehen aus, weil sie allein Aussicht auf Gedeihen geben. Unbehaarte Hunde haben unvollkommene Zähne; lang- und grob-haarige Wiederkäuer sollen geneigter seyn, lange und viele Hörner zu bekommen; Tauben mit Federfüssen haben eine Haut zwischen ihren äusseren Zehen; kurz-schnäbelige Tauben haben kleine Füsse, und die mit langen Schnäbeln auch lange Füsse. Wenn man daher durch Auswahl geeigneter Individuen von Pflanzen und Thieren für die Nachzucht irgend eine Eigenthümlichkeit derselben zu steigeren gedenkt, so wird man gewiss meistens, ohne es zu wollen, diesen geheimnissvollen Wechselbeziehungen der Entwickelung gemäss noch andre Theile der Struktur mit abändern.

Das Ergebniss der mancherlei entweder ganz unbekannten oder nur dunkel sichtbaren Gesetze der Variation ist ausserordentlich zusammengesetzt und vielfältig. Es ist wohl der Mühe werth, die verschiedenen Abhandlungen über unsre alten Kultur-Pflanzen, wie Hyazinthen, Kartoffeln, Dahlien u. s. w. sorgfältig zu studiren und von der endlosen Menge von Verschiedenheiten in Bau und Lebensäusserung Kenntniss zu nehmen, durch welche alle diese Varietäten und Subvarietäten von einander abweichen.[S. 23] Ihre ganze Organisation scheint bildsam geworden zu seyn, um bald in dieser und bald in jener Richtung sich etwas von dem älterlichen Typus zu entfernen.

Nicht-erbliche Abänderungen sind für uns ohne Bedeutung. Aber schon die Zahl und Manchfaltigkeit der erblichen Abweichungen in dem Bau des Körpers, sey es von geringerer oder von beträchtlicher physiologischer Wichtigkeit, ist endlos. Dr. PROSPER LUCAS’ Abhandlung in zwei starken Bänden ist das Beste und Vollständigste, was man darüber hat. Kein Viehzüchter ist darüber in Zweifel, dass die Neigung zur Vererbung sehr gross ist; „Gleiches erzeugt Gleiches“ ist sein Grund-Glaube, und nur theoretische Schriftsteller haben dagegen Zweifel erhoben. Wenn irgend eine Abweichung öfters zum Vorschein kommt und wir sie in Vater und Kind sehen, so können wir nicht sagen, ob sie nicht etwa von einerlei Grundursache herrühre, die auf beide gewirkt habe. Wenn aber unter Einzelwesen einer Art, welche offenbar denselben Bedingungen ausgesetzt sind, irgend eine seltene Abänderung in Folge eines ausserordentlichen Zusammentreffens von Umständen an einem Vater zum Vorschein kommt — an einem unter mehren Millionen — und dann am Kinde wieder erscheint, so nöthigt uns schon die Wahrscheinlichkeit diese Wiederkehr aus der Erblichkeit zu erklären. Jedermann hat schon von Fällen gehört, wo so seltene Erscheinungen, wie Albinismus, Stachelhaut, ganz behaarter Körper u. dgl. bei mehren Gliedern einer und der nämlichen Familie vorgekommen sind. Wenn aber so seltene und fremdartige Abweichungen der Körper-Bildung sich wirklich vererben, so werden minder fremdartige und ungewöhnliche Abänderungen um so mehr als erbliche zugestanden werden müssen. Ja vielleicht wäre die richtigste Art die Sache anzusehen die, dass man jedweden Charakter als erblich und die Nichterblichkeit als Ausnahme betrachtete.

Die Gesetze, welche die Erblichkeit der Charaktere regeln, sind gänzlich unbekannt, und niemand vermag zu sagen, wie es komme, dass dieselbe Eigenthümlichkeit in verschiedenen Individuen einer Art und in Einzelwesen verschiedener Arten [?] zuweilen erblich ist und zuweilen es nicht ist; wie es komme,[S. 24] dass das Kind zuweilen zu gewissen Charakteren des Grossvaters oder der Grossmutter oder noch früherer Vorfahren zurückkehre; wie es komme, dass eine Eigenthümlichkeit sich oft von einem Geschlechte auf beide Geschlechter übertrage, oder sich auf eines und zwar dasselbe Geschlecht beschränke. Es ist eine Thatsache von nur geringer Wichtigkeit für uns, dass eigenthümliche Merkmale, welche an den Männchen unsrer Hausthiere zum Vorschein kommen, ausschliesslich oder doch vorzugsweise wieder nur auf männliche Nachkommen übergehen. Eine wichtigere und wie ich glaube verlässige Erscheinung ist die, dass, in welcher Periode des Lebens sich die abweichende Bildung zeigen möge, sie auch in der Nachkommenschaft immer in dem entsprechenden Alter, oder zuweilen wohl früher, zum Vorschein kommt. In vielen Fällen ist Diess nicht anders möglich, weil die erblichen Eigenthümlichkeiten z. B. in den Hörnern des Rindviehs an den Nachkommen sich erst im reifen Alter zeigen können; und eben so gibt es bekanntlich Eigenthümlichkeiten des Seidenwurms, die nur den Raupen- oder den Puppen-Zustand betreffen. Aber erbliche Krankheiten u. e. a. Thatsachen veranlassen mich zu glauben, dass die Regel eine weitere Ausdehnung hat, und dass selbst da, wo kein offenbarer Grund für das Erscheinen einer Abänderung in einem bestimmten Alter vorliegt, doch das Streben vorherrscht, auch am Nachkommen in dem gleichen Lebens-Abschnitte sich zu zeigen, wo sie an dem Vorfahren erstmals eingetreten ist. Ich glaube, dass diese Regel von der grössten Wichtigkeit für die Erklärung der Gesetze der Embryologie ist. Diese Bemerkungen beziehen sich übrigens auf das erste Sichtbarwerden der Eigenthümlichkeit, und nicht auf ihre erste Veranlassung, die vielleicht schon in dem männlichen oder weiblichen Zeugungsstoff liegen kann, in der Weise etwa, wie der aus der Kreutzung einer kurzhörnigen Kuh und eines langhörnigen Bullen hervorgegangene Sprössling die grössre Länge seiner Hörner erst spät im Leben zeigen kann, obwohl die erste Ursache dazu schon im Zeugungsstoff des Vaters liegt.

Ich habe des Falles der Rückkehr zur grossälterlichen Bildung erwähnt und in dieser Beziehung noch anzuführen, dass[S. 25] die Naturforscher oft behaupten, unsre Hausthier-Rassen nähmen, wenn sie verwilderten, zwar nur allmählich, aber doch gewiss, wieder den Charakter ihrer wilden Stammältern an, woraus man dann geschlossen hat, dass Folgerungen von zahmen Rassen auf die Arten in ihrem Natur-Zustande nicht zulässig seyen. Ich habe jedoch vergeblich auszumitteln gestrebt, auf was für entscheidende Thatsachen sich jene so oft und so bestimmt wiederholte Behauptung stütze. Es möchte sehr schwer sein, ihre Richtigkeit nachzuweisen; denn wir können mit Sicherheit sagen, dass sehr viele der ausgeprägtesten zahmen Varietäten im wilden Zustande gar nicht leben könnten. In vielen Fällen kennen wir nicht einmal den Urstamm und vermögen uns daher noch weniger zu vergewissern, ob eine vollständige Rückkehr eingetreten ist oder nicht. Jedenfalls würde, um die Folgen der Kreutzung zu vermeiden, nöthig seyn, dass nur eine einzelne Varietät in die Freiheit zurückversetzt werde. Ungeachtet aber unsre Varietäten gewiss in einzelnen Merkmalen zuweilen zu ihren Urformen zurückkehren, so scheint mir doch nicht unwahrscheinlich, dass, wenn man die verschiedenen Abarten des Kohls z. B. einige Generationen hindurch in einem ganz armen Boden zu naturalisiren fortführe (in welchem Falle dann allerdings ein Theil des Erfolges der unmittelbaren Wirkung des Bodens zuzuschreiben wäre), dieselben ganz oder fast ganz wieder ihre wilde Urform annehmen würden. Ob der Versuch nun gelinge oder nicht, ist für unsere Folgerungs-Reihe ohne grosse Erheblichkeit, weil durch den Versuch selber die Lebens-Bedingungen geändert werden. Liesse sich beweisen, dass unsre kultivirten Rassen eine starke Neigung zur Rückkehr, d. h. zur Ablegung der angenommenen Merkmale an den Tag legten, wenn sie unter unveränderten Bedingungen und in beträchtlichen Massen beisammen gehalten würden, so dass freie Kreutzung etwaige geringe Abweichungen der Struktur in Folge ihrer Durcheinandermischung verhütete, — in diesem Falle wollte ich zugeben, dass sich aus den zahmen Varietäten nichts hinsichtlich der Arten folgern lasse. Aber es ist nicht ein Schatten von Beweis zu Gunsten dieser Meinung vorhanden. Die Behauptung, dass sich unsere Wagen- und[S. 26] Rasse-Pferde, unsre lang- und kurz-hörnigen Rinder, unsre manchfaltigen Federvieh-Sorten und Nahrungs-Gewächse nicht eine fast endlose Zahl von Generationen hindurch fortpflanzen lassen, wäre aller Erfahrung entgegen. Ich will noch hinzufügen, dass, wenn im Natur-Zustande die Lebens-Bedingungen wechseln, Abänderungen und Rückkehr des Charakters wahrscheinlich eintreten werden; aber die Natürliche Züchtung würde, wie nachher gezeigt werden soll, bestimmen, wie weit die hieraus hervorgehenden neuen Charaktere erhalten bleiben.

Wenn wir die erblichen Varietäten oder Rassen unsrer Haus-Thiere und Kultur-Gewächse betrachten und dieselben mit einander nahe verwandten Arten vergleichen, so finden wir in jeder zahmen Rasse, wie schon bemerkt worden, eine geringere Übereinstimmung des Charakters, als bei ächten Arten. Auch haben zahme Rassen von derselben Thier-Art oft einen etwas monströsen Charakter, womit ich sagen will, dass, wenn sie sich auch von einander und von den übrigen Arten derselben Sippe in mehren wichtigen Punkten unterscheiden, sie doch oft im äussersten Grade in irgend einem einzelnen Theile sowohl von den andern Varietäten als insbesondere von den übrigen nächstverwandten Arten derselben Sippe zurückweichen. Diese Fälle (und die der vollkommenen Fruchtbarkeit gekreutzter Varietäten einer Art, wovon nachher die Rede seyn soll) ausgenommen, weichen die kultivirten Rassen einer und derselben Spezies in gleicher Weise, nur gewöhnlich in geringerem Grade, von einander ab, wie die einander nächst verwandten Arten derselben Sippe im Natur-Zustande. Ich glaube, man wird Diess zugeben, wenn man findet, dass es kaum irgend-welche gepflegte Rassen unter den Thieren wie unter den Pflanzen gibt, die nicht schon von einigen urtheilsfähigen Richtern als wirkliche Varietäten und von andern ebenfalls sachkundigen Beurtheilern als Abkömmlinge einer ursprünglich verschiedenen Art erklärt worden wären. Gäbe es irgend einen bestimmten Unterschied zwischen kultivirten Rassen und Arten, so könnten dergleichen Zweifel nicht so oft wiederkehren. Oft hat man versichert, dass gepflegte Rassen nicht in Sippen-Charakteren von einander abweichen. Ich glaube[S. 27] zwar, dass sich diese Behauptung als irrig erweisen lässt; doch gehen die Meinungen der Naturforscher weit auseinander, wenn sie sagen sollen, worin Sippen-Charaktere bestehen, da alle solche Werthungen nur empirisch sind. Überdiess werden wir nach der Ansicht von der Entstehung der Sippen, die ich jetzt aufstellen will, kein Recht haben zur Erwartung, bei unseren Kultur-Erzeugnissen oft auf Sippen-Verschiedenheiten zu stossen.

Wenn wir den Betrag der Struktur-Verschiedenheiten zwischen den gepflegten Rassen von einer Art zu schätzen versuchen, so werden wir bald dadurch in Zweifel versetzt, dass wir nicht wissen, ob dieselben von einer oder von mehren älterlichen Arten abstammen. Es wäre von Interesse, wenn sich diese Frage aufklären, wenn sich z. B. nachweisen liesse, ob das Windspiel, der Schweisshund, der Dachshund, der Jagdhund und der Bullenbeisser, welche sich so genau in ihrer Form fortpflanzen, Abkömmlinge von nur einer Stamm-Art seyen? Denn solche Thatsachen würden sehr geeignet seyn unsre Zweifel zu erregen über die Unveränderlichkeit der vielen einander sehr nahe-stehenden natürlichen Arten der Füchse z. B., die so ganz verschiedene Weltgegenden bewohnen. Ich glaube nicht, dass wir jetzt im Stande sind zu erkennen, ob alle unsre Hunde von einer wilden Stamm-Art herkommen, obwohl Diess bei einigen andren Hausthier-Rassen wahrscheinlich oder sogar genau nachweisbar ist.

Es ist oft angenommen worden, der Mensch habe sich solche Pflanzen- und Thier-Arten zur Zähmung ausgewählt, welche ein angeborenes ausserordentlich starkes Vermögen abzuändern und in verschiedenen Klimaten auszudauern besässen. Ich will nicht bestreiten, dass diese Fähigkeiten viel zum Werthe unsrer meisten Kultur-Erzeugnisse beigetragen haben. Aber wie vermochte ein Wilder zu wissen, als er ein Thier zu zähmen begann, ob dasselbe in folgenden Generationen zu variiren geneigt und in anderen Klimaten auszudauern vermögend seyn werde? Oder hat die geringe Veränderlichkeit des Esels und des Perlhuhns, das geringe Ausdaurungs-Vermögen des Rennthiers in der Wärme und des Kameels in der Kälte ihre Zähmung gehindert? Ich hege keinen Zweifel, dass, wenn man andre Pflanzen- und[S. 28] Thier-Arten in gleicher Anzahl wie unsre gepflegten Rassen und aus eben so verschiedenen Klassen und Gegenden ihrem Natur-Zustande entnähme und eine gleich lange Reihe von Generationen hindurch im zahmen Zustande fortpflanzte, sie in gleichem Umfange variiren würden, wie es unsre jetzt schon kultivirten Arten thun.

In Bezug auf die meisten unsrer längst gepflegten Pflanzen- und Thier-Rassen halte ich es nicht für möglich zu einem bestimmten Ergebniss darüber zu gelangen, ob sie von einer oder von mehren Arten abstammen. Die Anhänger der Lehre von einem mehrfältigen Ursprung unsrer Rassen berufen sich hauptsächlich darauf, dass schon die ältesten geschichtlichen Nachrichten und insbesondere die Ägyptischen Denkmäler von einer grossen Verschiedenheit der Rassen Zeugniss geben, und dass einige derselben mit unseren jetzigen bereits die grösste Ähnlichkeit haben, wenn nicht gänzlich übereinstimmen. Wäre aber diese Thatsache auch besser begründet, als sie es zu seyn scheint, so würde sie doch nichts anderes beweisen, als dass eine oder die andre unsrer Rassen dort vor vier bis fünf Tausend Jahren entstanden ist. Seit den neuerlichen Entdeckungen von Celtischen Feuerstein-Geräthen in den obren Boden-Schichten Englands, Frankreichs und Deutschlands werden wenige Geologen mehr daran zweifeln, dass der Mensch in einem bereits genügend zivilisirten Zustande, um Waffen zu fabriziren, schon in einer nach Jahren ausgedrückt sehr frühen Zeit existirt hat; — und bekanntlich gibt es heutzutage kaum noch einen so wilden Volks-Stamm, der sich nicht wenigstens den Hund gezähmt hätte.

Der Ursprung der meisten unserer Hausthiere wird wohl immer ungewiss bleiben. Doch will ich hier bemerken, dass ich durch ein fleissiges Sammeln aller bekannten Thatsachen über die Haushunde in allen Theilen der Erde zu dem Ergebnisse gelangt bin, dass mehre wilde Hunde-Arten gezähmt worden sind und ihr Blut jetzt mehr und weniger gemischt in den Adern unsrer Hunde-Rassen fliesst. — In Bezug auf Schaf und Ziege vermag ich mir keine Meinung zu bilden. Nach den mir von Blyth über die Lebens-Weise, Stimme, Konstitution u. s. w. des[S. 29] Indischen Höckerochsen mitgetheilten Thatsachen sollte ich denken, dass er von einer anderen Art als unser Europäisches Rind herstammen müsse, welches manche sachkundige Beurtheiler von mehrfachen Stamm-Arten ableiten wollen, und diese Annahme dürfte nach den neueren Untersuchungen Professor RÜTIMEYER’S allerdings als die richtigste zu betrachten seyn. — Hinsichtlich des Pferdes bin ich aus Gründen, die ich hier nicht entwickeln kann, mit einigen Zweifeln gegen die Meinung einiger Schriftsteller anzunehmen geneigt, dass alle seine Rassen nur von einem wilden Stamme herrühren. BLYTH, dessen Meinung ich seiner reichen und manchfaltigen Kenntnisse wegen in dieser Beziehung höher als die fast eines jeden Andern anschlagen muss, glaubt dass alle unsre Hühner-Varietäten vom gemeinen Indischen Huhn (Gallus Bankiva) herkommen. Nachdem ich mir fast alle Englischen Rassen lebend gehalten, sie gekreutzt und ihre Skelette untersucht, bin auch ich zu einem ähnlichen Schlusse gelangt, wofür ich meine Gründe in einem späteren Werke auseinandersetzen will. — In Bezug auf Enten und Stall-Hasen, deren Rassen in ihrem Körper-Bau beträchtlich von einander abweichen, sprechen alle Anzeigen zu Gunsten der Annahme, dass sie alle von der gemeinen Wild-Ente und dem Kaninchen stammen.

Die Lehre der Abstammung unsrer verschiedenen Hausthier-Rassen von verschiedenen wilden Stamm-Arten ist von einigen Schriftstellern bis zu einem abgeschmackten Extreme getrieben worden. Sie glauben nämlich, dass jede wenn auch noch so wenig verschiedene Rasse, welche ihren unterscheidenden Charakter durch Inzucht bewahrt, auch ihre wilde Stamm-Form gehabt habe. Dann müsste es eine ganze Menge wilder Rinds-, viele Schaf- und einige Geisen-Arten in Europa und mehre selbst schon innerhalb Grossbritannien gegeben haben. Ein Autor meint, es hätten ehedem eilf wilde und dem Lande eigenthümliche Schaaf-Arten dort gelebt. Wenn wir nun erwägen, dass Britannien jetzt kaum eine ihm eigenthümliche Säugethier-Art, Frankreich nur sehr wenige nicht auch in Deutschland vorkommende, und umgekehrt, besitze, dass es sich eben so mit Ungarn, Spanien u. s. w. verhalte, dass aber jedes dieser Königreiche mehre ihm eigene[S. 30] Rassen von Rind, Schaaf u. s. w. darbiete, so müssen wir zugeben, dass in Europa viele Hausthier-Stämme entstanden sind; denn von woher sollen alle gekommen seyn, da keines dieser Länder so viele eigenthümliche Arten als abweichende Stamm-Rassen besitzt? Und so ist es auch in Ostindien. Selbst in Bezug auf die Haushunde der ganzen Welt kann ich, obwohl ich ihre Abstammung von mehren verschiedenen Arten ganz wahrscheinlich finde, nicht in Zweifel ziehen, dass da ein unermesslicher Betrag vererblicher Abweichungen vorhanden gewesen ist. Denn wer kann glauben, dass Thiere nahezu übereinstimmend mit dem Italienischen Windspiel, mit dem Schweisshund, mit dem Bullenbeisser, mit dem Blenheimer Jagdhund und so abweichend von allen wilden Caniden, jemals frei im Natur-Zustande gelebt hätten. Es ist oft hingeworfen worden, alle unsre Hunde-Rassen seyen durch Kreutzung einiger weniger Stamm-Arten miteinander entstanden; aber Kreutzung kann nur solche Formen liefern, welche mehr oder weniger das Mittel zwischen ihren Ältern halten, und gingen wir von dieser Erfahrung bei unsern zahmen Rassen aus, so müssten wir annehmen, dass einstens die äussersten Formen des Windspiels, des Schweisshundes, des Bullenbeissers u. s. w. im wilden Zustande gelebt hätten. Überdiess ist die Möglichkeit, durch Kreutzung verschiedene Rassen zu bilden, sehr übertrieben worden. Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass eine Rasse durch gelegentliche Kreutzung mittelst sorgfältiger Auswahl der Blendlinge, welche irgend einen bezweckten Charakter darbieten, sich bedeutend modifiziren lässt, so kann ich doch kaum glauben, dass man eine nahezu das Mittel zwischen zwei weit verschiedenen Rassen oder Arten haltende Rasse zu züchten im Stande ist. Sir J. SEBRIGHT hat absichtliche Versuche in dieser Beziehung angestellt und keinen Erfolg erlangt. Die Nachkommenschaft aus der ersten Kreutzung zwischen zwei reinen Rassen ist erträglich und zuweilen, wie ich bei Tauben gefunden, ausserordentlich einförmig, und Alles scheint einfach genug. Werden aber diese Blendlinge einige Generationen hindurch unter einander gepaart, so werden kaum zwei ihrer Nachkommen mehr einander ähnlich ausfallen,[S. 31] und dann wird die äusserste Schwierigkeit oder vielmehr gänzliche Hoffnungslosigkeit des Erfolges klar. Gewiss kann eine Mittel-Rasse zwischen zwei sehr verschiedenen reinen Rassen nicht ohne die äusserste Sorgfalt und eine lang fortgesetzte Wahl der Zuchtthiere gebildet werden, und ich finde nicht einen Fall berichtet, wo dadurch eine bleibende Rasse erzielt worden wäre.

Züchtung der Haus-Tauben.) Von der Ansicht ausgehend, dass es am zweckmässigsten seye, irgend eine besondere Thier-Gruppe zum Gegenstande der Forschung zu machen, habe ich mir nach einiger Erwägung die Haus-Tauben dazu ausersehen. Ich habe alle Rassen gehalten, die ich mir verschaffen konnte, und bin auf die freundlichste Weise mit Exemplaren aus verschiedenen Welt-Gegenden bedacht worden, insbesondere durch den ehrenwerthen W. ELLIOT aus Ostindien und den ehrenwerthen C. MURRAY aus Persien. Es sind viele Abhandlungen in verschiedenen Sprachen veröffentlicht worden und einige darunter durch ihr ansehnliches Alter von besonderer Wichtigkeit. Ich habe mich mit einigen ausgezeichneten Tauben-Liebhabern verbunden und mich in zwei Londoner Tauben-Clubs aufnehmen lassen. Die Verschiedenheit der Rassen ist oft erstaunlich gross. Man vergleiche z. B. die Englische Botentaube und den kurzstirnigen Purzler und betrachte die wunderbare Verschiedenheit in ihren Schnäbeln, welche entsprechende Verschiedenheiten in ihren Schädeln bedingt. Die Englische Botentaube (Carrier) und insbesondere das Männchen ist noch bemerkenswerth durch die wundervolle Entwickelung von Fleischlappen an der Kopfhaut, die mächtig verlängerten Augenlider, sehr weite äussere Nasenlöcher und einen weitklaffenden Mund. Der kurzstirnige Purzler hat einen Schnabel, im Profil fast wie beim Finken; und die gemeine Purzel-Taube hat die eigenthümliche und streng erbliche Gewohnheit, sich in dichten Gruppen zu ansehnlicher Höhe in die Luft zu erheben und dann Kopfüber herabzupurzeln. Die Runt-Taube ist von beträchtlicher Grösse mit langem massigem Schnabel und grossen Füssen; einige Unterrassen derselben haben einen sehr langen Hals, andre sehr lange[S. 32] Schwingen und Schwanz, noch andre einen ganz eigenthümlich kurzen Schwanz. Der „Barb“ ist mit der Botentaube verwandt, hat aber, statt des sehr langen, einen sehr kurzen und breiten Schnabel. Der Kröpfer hat Körper, Flügel und Beine sehr verlängert, und sein ungeheuer entwickelter Kropf, den er sich aufzublähen gefällt, mag wohl Verwunderung und selbst Lachen erregen. Die Möventaube (Turbit) besitzt einen sehr kurzen kegelförmigen Schnabel, mit einer Reihe umgewendeter Federn auf der Brust, und hat die Sitte den oberen Theil des Schlundes beständig etwas auszubreiten. Der Jakobiner oder die Perückentaube hat die Nacken-Federn so aufgerichtet, dass sie eine Perücke bilden, und verhältnissmässig lange Schwung- und Schwanz-Federn. Der Trompeter und die Trommeltaube[7] rucksen, wie ihre Namen ausdrücken, auf eine ganz andre Weise als die andern Rassen. Die Pfauentaube hat 30–40 statt der normalen 12–14 Schwanz-Federn und trägt diese Federn in der Weise ausgebreitet und aufgerichtet, dass in guten Vögeln sich Kopf und Schwanz berühren; die Öl-Drüse ist gänzlich verkümmert. Noch blieben einige minder ausgezeichnete Rassen aufzuzählen übrig.

Im Skelette der verschiedenen Rassen weicht die Entwickelung der Gesichtsknochen in Länge, Breite und Krümmung ausserordentlich ab. Die Form sowohl als die Breite und Länge des Unterkiefer-Astes ändern in sehr merkwürdiger Weise. Die Zahl der Heiligenbein- und Schwanz-Wirbel und der Rippen, die verhältnissmässige Breite und Anwesenheit ihrer Queerfortsätze wechseln ebenfalls. Sehr veränderlich sind ferner die Grösse und Form der Lücken im Brustbein, so wie der Öffnungs-Winkel und die bezügliche Grösse der zwei Schenkel des Gabelbeins. Die verglichene Weite des Mundspaltes, die verhältnissmässige Länge der Augenlider, der äusseren Nasenlöcher und der Zunge, welche sich nicht immer nach der des Schnabels richtet, die Grösse des Kropfes und des obern Theils des Schlundes, die[S. 33] Entwickelung oder Verkümmerung der Öl-Drüse, die Zahl der ersten Schwung- und der Schwanz-Federn, die verglichene Länge von Flügeln und Schwanz gegen einander und gegen die des Körpers, die des Laufs gegen die Zehen, die Zahl der Hornschuppen in der Zehen-Bekleidung sind Alles Abänderungs-fähige Punkte im Körper-Bau. Auch die Periode, wo sich das vollkommene Gefieder einstellt, ist ebenso veränderlich als die Beschaffenheit des Flaums, womit die Nestlinge beim Ausschlüpfen aus dem Eie bekleidet sind. Form und Grösse der Eier sind der Abänderung unterworfen. Die Art des Flugs ist eben so merkwürdig verschieden, wie es bei manchen Rassen mit Stimme und Gemüthsart der Fall ist. Endlich weichen bei gewissen Rassen die Männchen etwas von den Weibchen ab.

So könnte man wenigstens eine ganze Menge von Tauben-Formen auswählen, die ein Ornithologe, wenn er überzeugt wäre, dass es wilde Vögel, unbedenklich für wohl-bezeichnete Arten erklären würde. Ich glaube nicht einmal, dass irgend ein Ornithologe die Englische Botentaube, den kurzstirnigen Purzler, den Runt, den Barb, die Kropf- und die Pfauen-Taube in dieselbe Sippe zusammenstellen würde, zumal eine jede dieser Rassen wieder mehre erbliche Unterrassen in sich enthält, die er für Arten nehmen könnte.

Wie gross nun aber auch die Verschiedenheit zwischen den Tauben-Rassen seyn mag, so bin ich doch überzeugt, dass die gewöhnliche Meinung der Naturforscher, dass alle von der Felstaube (Columba livia) abstammen, richtig ist, wenn man unter diesem Namen nämlich verschiedene geographische Rassen oder Unterarten mit begreift, welche nur in den untergeordnetsten Merkmalen von einander abweichen. Da einige der Gründe, welche mich zu dieser Meinung bestimmt haben, mehr und weniger auch auf andre Fälle anwendbar sind, so will ich sie kurz angeben. Wären jene verschiedenen Rassen nicht Varietäten und nicht von der Felstaube entsprossen, so müssten sie von wenigstens 7–8 Stammarten herrühren; denn es wäre unmöglich alle unsere zahmen Rassen durch Kreutzung einer geringeren Arten-Zahl miteinander zu erlangen. Wie wollte man z. B. die[S. 34] Kropftaube durch Paarung zweier Arten miteinander erzielen, wovon nicht wenigstens eine den ungeheuern Kropf besässe? Die unterstellten wilden Stammarten müssten sämmtlich Fels-Tauben gewesen seyn, die nämlich nicht freiwillig auf Bäumen brüten oder sich auch nur darauf setzen. Doch ausser der C. livia und ihren geographischen Unterarten kennt man nur noch 2–3 Arten Fels-Tauben, welche aber nicht einen der Charaktere unsrer zahmen Rassen besitzen. Daher müssten dann die angeblichen Urstämme entweder noch in den Gegenden ihrer ersten Zähmung vorhanden und den Ornithologen unbekannt geblieben seyn, was wegen ihrer Grösse, Lebensweise und merkwürdigen Eigenschaften sehr unwahrscheinlich ist; oder sie müssten in wildem Zustande ausgestorben seyn. Aber Vögel, welche an Fels-Abhängen nisten und gut fliegen, sind nicht leicht auszurotten, und unsre gemeine Fels-Taube, welche mit unsren zahmen Rassen gleiche Lebens-Weise besitzt, hat noch nicht einmal auf einigen der kleineren Britischen Inseln oder an den Küsten des Mittelmeeres ausgerottet werden können. Daher mir die angebliche Ausrottung so vieler Arten, die mit der Felstaube gleiche Lebens-Weise besitzen, eine sehr übereilte Annahme zu seyn scheint. Überdiess sind die obengenannten so abweichenden Rassen nach allen Weltgegenden verpflanzt worden und müssten daher wohl einige derselben in ihre Heimath zurückgelangt seyn. Und doch ist nicht eine derselben verwildert, obwohl die Feld-Taube, d. i. die Felstaube in ihrer am wenigsten veränderten Form, in einigen Gegenden wieder wild geworden ist. Da nun alle neueren Versuche zeigen, dass es sehr schwer ist ein wildes Thier zur Fortpflanzung im Zustande der Zähmung zu vermögen, so wäre man durch die Hypothese eines mehrfältigen Ursprungs unsrer Haus-Tauben zur Annahme genöthigt, es seyen schon in alten Zeiten und von halb-zivilisirten Menschen wenigstens 7–8 Arten so vollkommen gezähmt worden, dass sie jetzt in der Gefangenschaft ganz wohl gedeihen.

Ein Beweisgrund, wie mir scheint, von grossem Werthe und auch anderweitiger Anwendbarkeit ist der, dass die oben aufgezählten Rassen, obwohl sie im Allgemeinen in organischer[S. 35] Thätigkeit, Lebens-Weise, Stimme, Färbung und den meisten Theilen ihres Körper-Baues mit der Felstaube übereinkommen, doch in anderen Theilen dieses letzten gewiss sehr weit davon abweichen; und wir würden uns in der ganzen grossen Familie der Columbiden vergeblich nach einem Schnabel, wie ihn die Englische Botentaube oder der kurzstirnige Purzler oder der Barb besitzen, — oder nach umgedrehten Federn, wie sie die Perückentaube hat, — oder nach einem Kropf wie beim Kröpfer, — oder nach einem Schwanz, wie bei der Pfauentaube umsehen. Man müsste daher annehmen, dass der halb-zivilisirte Mensch nicht allein bereits mehre Arten vollständig gezähmt, sondern auch absichtlich oder zufällig ausserordentlich abweichende Arten dazu erkoren habe, und dass diese Arten seitdem alle erloschen oder verschollen seyen. Das Zusammentreffen so vieler seltsamer Zufälligkeiten scheint mir im höchsten Grade unwahrscheinlich.

Noch möchten hier einige Thatsachen in Bezug auf die Färbung des Gefieders Berücksichtigung verdienen. Die Felstaube ist Schiefer-blau mit weissem (bei der Ostindischen Subspecies, C. intermedia STRICKL., blaulichem) Hinterrücken, hat am Schwanze eine schwarze End-Binde und an den äusseren Federn desselben einen weissen äusseren Rand, und die Flügel haben zwei schwarze Binden; einige halb und andere anscheinend ganz wilde Unterrassen haben auch noch schwarze Flecken auf den Flügeln. Diese verschiedenen Merkmale kommen bei keiner andern Art der ganzen Familie vereinigt vor. Nun treffen sich aber auch bei jeder unsrer zahmen Rassen zuweilen und selbst unter den ganz ausgebildeten Vögeln derselben alle jene Merkmale gut entwickelt in Verbindung miteinander, selbst bis auf die weissen Ränder der äusseren Schwanzfedern. Ja sogar, wenn man zwei oder mehr Vögel von verschiedenen Rassen, von welchen keine blau ist oder eines der erwähnten Merkmale besitzt, mit einander paart, sind die dadurch erzielten Blendlinge sehr geneigt, diese Charaktere plötzlich anzunehmen. So kreuzte ich z. B. einfarbig weisse Pfauentauben von sehr reiner Rasse mit einfarbig schwarzen Barb-Tauben, von deren blauen Varietäten mir kein Fall in England bekannt ist, und erhielt eine braune, schwarze und[S. 36] gefleckte Nachkommenschaft. Ich kreuzte nun auch eine Barb- mit einer Bläss-Taube, einen weissen Vogel mit rothem Schwanz und rothem Bläss von sehr beständiger Rasse, und die Blendlinge waren dunkelfarbig und fleckig. Als ich ferner einen der von Pfauen- und von Barb-Tauben erzielten Blendlinge mit einem der Blendlinge von Barb- und von Bläss-Tauben paarte, kam ein Enkel mit schön blauem Gefieder, weissem Unterrücken, doppelter schwarzer Flügelbinde, schwarzer Schwanzbinde und weissen Seitenrändern der Steuerfedern, Alles wie bei der wilden Felstaube, zum Vorschein. Man kann diese Thatsache aus dem wohl bekannten Prinzip der Rückkehr zu vorälterlichen Charakteren begreifen, wenn alle zahmen Rassen von der Felstaube abstammen. Wollten wir aber Dieses läugnen, so müssten wir eine von den zwei folgenden sehr unwahrscheinlichen Unterstellungen machen. Entweder: dass all’ die verschiedenen eingebildeten Stamm-Arten wie die Felstaube gefärbt und gezeichnet gewesen (obwohl keine andre lebende Art mehr so gefärbt und gezeichnet ist), so dass in dessen Folge noch bei allen Rassen eine Neigung zu dieser anfänglichen Färbung und Zeichnung zurückzukehren vorhanden wäre. Oder: dass jede und auch die reinste Rasse seit etwa den letzten zwölf oder höchstens zwanzig Generationen einmal mit der Felstaube gekreutzt worden seye; ich sage: höchstens zwanzig, denn wir kennen keine Thatsache zur Unterstützung der Meinung, dass ein Abkömmling nach einer noch längeren Reihe von Generationen sogar zu den Charakteren seiner Vorfahren zurückkehren könne. Wenn in einer Rasse nur einmal eine Kreutzung mit einer andern stattgefunden hat, so wird die Neigung zu einem Charakter dieser letzten zurückzukehren natürlich um so kleiner und kleiner werden, je weniger Blut von derselben noch in jeder späteren Generation übrig ist. Hat aber eine Kreutzung mit fremder Rasse nicht stattgefunden und ist gleichwohl in beiden Ältern die Neigung der Rückkehr zu einem Charakter vorhanden, der schon seit mehren Generationen verloren gegangen, so ist trotz Allem, was man Gegentheiliges sehen mag, die Annahme geboten, dass sich diese Neigung in ungeschwächtem Grade während einer unbestimmten Reihe von[S. 37] Generationen fortpflanzen könne. Diese zwei ganz verschiedenen Fälle werden in Abhandlungen über Erblichkeit oft miteinander verwechselt.

Endlich sind die Bastarde oder Blendlinge, welche durch die Kreutzung der verschiedenen Tauben-Rassen erzielt werden, alle vollkommen fruchtbar. Ich kann Diess mittelst meiner eigenen Versuche bestätigen, die ich absichtlich zwischen den aller-verschiedensten Rassen angestellt habe. Dagegen wird aber schwer und vielleicht unmöglich seyn, einen Fall anzuführen, wo ein Bastard an zwei bestimmt verschiedenen Arten schon selber vollkommen fruchtbar gewesen wäre. Einige Schriftsteller nehmen an, ein lang-dauernder Zustand der Zähmung beseitige allmählich diese Neigung zur Unfruchtbarkeit, und aus der Geschichte des Hundes zu schliessen scheint mir diese Hypothese einige Wahrscheinlichkeit zu haben, wenn sie auf einander sehr nahe verwandte Arten angewendet wird, obwohl sie noch durch keinen einzigen Versuch bestätigt worden ist. Aber eine Ausdehnung der Hypothese bis zu der Behauptung, dass Arten, die ursprünglich von einander eben so verschieden gewesen, wie es Botentaube, Purzler, Kröpfer und Pfauenschwanz jetzt sind, eine bei Inzucht vollkommen fruchtbare Nachkommenschaft liefern, scheint mir äusserst voreilig zu seyn.

Diese verschiedenen Gründe und zwar: die Unwahrscheinlichkeit, dass der Mensch schon in früher Zeit sieben bis acht wilde Tauben-Arten zur Fortpflanzung in der Gefangenschaft vermocht habe, die wir weder im wilden noch im verwilderten Zustande kennen, ihre in manchen Beziehungen von der Bildung aller Columbiden mit Ausnahme der Felstaube ganz abweichenden Charaktere, das gelegentliche Wiedererscheinen der blauen Farbe und charakteristischen Zeichnung in allen Rassen sowohl im Falle der Inzucht als der Kreutzung, die vollkommene Fruchtbarkeit der Blendlinge: alle diese Gründe zusammengenommen gestatten mir nicht zu zweifeln, dass alle unsre zahmen Tauben-Rassen von Columba livia und deren geographischen Unterarten abstammen.

Zu Gunsten dieser Ansicht will ich noch ferner anführen: 1) dass die Felstaube, C. livia, in Europa wie in Indien zur[S. 38] Zähmung geeignet gefunden worden ist, und dass sie in ihren Gewohnheiten wie in vielen Struktur-Beziehungen mit allen unsern zahmen Rassen übereinkommt. 2) Obwohl eine Englische Botentaube oder ein kurzstirniger Purzler sich in gewissen Charakteren weit von der Felstaube entfernen, so ist es doch dadurch, dass man die verschiedenen Unterformen dieser Rassen, mit Einschluss der z. Th. aus weit entfernten Gegenden abstammenden, mit in Vergleich ziehet, möglich, fast ununterbrochene Übergangs-Reihen zwischen den am weitesten auseinander-liegenden Bildungen derselben herzustellen. 3) Diejenigen Charaktere, welche die verschiedenen Rassen hauptsächlich von einander unterscheiden, wie die Fleischwarzen und der lange Schnabel der englischen Botentaube, der kurze Schnabel des Purzlers und die zahlreichen Schwanz-Federn der Pfauentaube sind in jeder Rasse doch äusserst veränderlich, und die Erklärung dieser Erscheinung wird uns erst möglich seyn, wenn von der Züchtung die Rede seyn wird. 4) Tauben sind bei vielen Völkern beobachtet und mit äusserster Sorgfalt und Liebhaberei gepflegt worden. Man hat sie schon vor Tausenden von Jahren in mehren Weltgegenden gezähmt; die älteste Nachricht von ihnen stammt aus der Zeit der fünften Ägyptischen Dynastie, etwa 3000 J. v. Chr., wie mir Professor LEPSIUS mitgetheilt; aber BIRCH benachrichtigt mich, dass Tauben schon auf einem Küchenzettel der vorangehenden Dynastie vorkommen. Von PLINIUS vernehmen wir, dass zur Zeit der Römer ungeheures Geld für Tauben ausgegeben worden ist; ja, es war dahin gekommen, dass man ihnen „Stammbaum und Rasse“ nachrechnete. Gegen das Jahr 1600 schätzte sie AKBER KHAN in Indien so sehr, dass ihrer nicht weniger als 20,000 zur Hof-Haltung gehörten. „Die Monarchen von Iran und Turan sandten einige sehr seltene Vögel heim und“, berichtet der Hof-Historiker weiter, „Ihre Majestät hat durch Kreutzung der Rassen, welche Methode früher nie angewendet worden war, dieselbe in erstaunlicher Weise verbessert“. Um diese nämliche Zeit waren die Holländer eben so sehr, wie früher die Römer, auf die Tauben erpicht. Die äusserste Wichtigkeit dieser Betrachtungen für die Erklärung der ausserordentlichen[S. 39] Veränderungen, welche die Tauben erfahren haben, wird uns erst bei den späteren Erörterungen über die Züchtung deutlich werden. Wir werden dann auch sehen woher es kommt, dass die Rassen so oft ein etwas monströses Aussehen haben. Endlich ist es ein sehr günstiger Umstand für die Erzeugung verschiedener Rassen, dass bei den Tauben ein Männchen mit einem Weibchen leicht lebenslänglich zusammengepaart, und dass verschiedene Rassen in einem und dem nämlichen Vogel-Hause beisammen gehalten werden können.

Ich habe die wahrscheinliche Entstehungs-Art der zahmen Tauben-Rassen mit einiger, wenn auch noch ganz ungenügender Ausführlichkeit besprochen, weil ich selbst zur Zeit, wo ich anfing Tauben zu halten und ihre verschiedenen Formen zu beobachten, es für ganz eben so schwer hielt zu glauben, dass alle ihre Rassen einem gemeinsamen Stammvater seit ihrer Zähmung entsprossen seyn könnten, als es einem Naturforscher schwer fallen würde, an die gemeinsame Abstammung aller Finken oder irgend einer andern grossen Vögel-Familie im Natur-Zustande zu glauben. Insbesondere machte mich der Umstand sehr betroffen, dass alle Züchter von Haus-Thieren und Kultur-Pflanzen, mit welchen ich je gesprochen oder deren Schriften ich gelesen, vollkommen überzeugt waren, dass die verschiedenen Rassen, welche ein Jeder von ihnen erzogen, von eben so vielen ursprünglich verschiedenen Arten herstammten. Fragt man, wie ich gefragt habe, irgend einen berühmten Veredler der Hereford’schen Rindvieh-Rasse, ob dieselbe nicht von der lang-hörnigen Rasse abstamme, so wird er spöttisch lächeln. Ich habe nie einen Tauben-, Hühner-, Enten- oder Kaninchen-Liebhaber gefunden, der nicht vollkommen überzeugt gewesen wäre, dass jede Haupt-Rasse von einer andern Stammart herkomme. VAN MONS zeigt in seinem Werke über die Äpfel und Birnen, wie wenig er zu glauben geneigt seye, dass die verschiedenen Sorten, wie z. B. der Ribston-pippin, der Codlin-Apfel u. a., je von Saamen des nämlichen Baumes entsprungen seyen. Und so könnte ich unzählige andere Beispiele anführen. Diess lässt sich, wie ich glaube, einfach erklären. In Folge lang-jähriger Studien haben[S. 40] diese Leute einen tiefen Eindruck von den Unterschieden zwischen den verschiedenen Rassen in sich aufgenommen; und obgleich sie wohl wissen, dass jede Rasse etwas variire, da sie eben durch die Züchtung solcher geringen Abänderungen ihre Preise gewinnen, so gehen sie doch nicht von allgemeineren Vernunftschlüssen aus und rechnen nicht den ganzen Betrag zusammen, der sich durch Häufung kleiner Abänderungen während vieler aufeinander-folgender Generationen ergeben muss. Werden nicht jene Naturforscher, welche, obschon viel weniger als diese Züchter mit den Erblichkeits-Gesetzen bekannt und nicht besser als sie über die Zwischenglieder in der langen Reihe der Abkommenschaft unterrichtet, doch annehmen, dass viele von unseren gehegten Rassen von gleichen Ältern abstammen, — werden sie nicht eine Lektion über Behutsamkeit zu gewärtigen haben, wenn sie über den Gedanken lachen, dass eine Art im Natur-Zustand in gerader Linie von einer andern Art abstammen könne?

Züchtung.) Wir wollen jetzt kürzlich die Wege betrachten, auf welchen die gehegten Rassen jede von einer oder von mehren einander nahe verwandten Arten erzeugt worden sind. Ein kleiner Theil der Wirkung mag dabei vielleicht dem unmittelbaren Einflusse äussrer Lebensbedingungen und ein kleiner der Gewöhnung zuzuschreiben seyn; es wäre aber thöricht, solchen Kräften die Verschiedenheiten zwischen einem Karrengaul und einem Rasse-Pferd, zwischen einem Windspiele und einem Schweisshund, einer Boten- und einer Purzel-Taube zuschreiben zu wollen. Eine der merkwürdigsten Eigenthümlichkeiten, die wir an unseren kultivirten Rassen wahrnehmen, ist ihre Anpassung nicht an der Pflanze oder des Thieres eigenen Vortheil, sondern an des Menschen Nutzen und Liebhaberei. Einige ihm nützliche Abänderungen sind zweifelsohne plötzlich oder auf ein Mal entstanden, wie z. B. manche Botaniker glauben, dass die Weber-Karde mit ihren Haken, welchen keine mechanische Vorrichtung an Brauchbarkeit gleichkommt, nur eine Varietät des wilden Dipsacus seye, und diese ganze Abänderung mag wohl plötzlich in irgend einem Sämlinge dieses letzten zum Vorschein gekommen seyn. So ist es wahrscheinlich auch[S. 41] mit der in England zum Drehen der Bratspiesse gebrauchten Hunde-Rasse der Fall, und es ist bekannt, dass eben so das Amerikanische Ancon-Schaaf entstanden ist. Wenn wir aber das Rasse-Pferd mit dem Karrengaul, den Dromedar mit dem Kameel, die für Kulturland tauglichen mit den für Berg-Weide passenden Schaafe-Rassen, deren Wollen sich zu ganz verschiedenen Zwecken eignen, wenn wir die manchfaltigen Hunde-Rassen vergleichen, deren jede dem Menschen in einer anderen Weise dient, — wenn wir den im Kampfe so ausdauernden Streit-Hahn mit andern friedfertigen und trägen Rassen, welche „immer legen und niemals zu brüten verlangen“, oder mit dem so kleinen und zierlichen Bantam-Huhne vergleichen, — wenn wir endlich das Heer der Acker-, Obst-, Küchen- und Zier-Pflanzenrassen in’s Auge fassen, welche dem Menschen jede zu anderem Zwecke und in andrer Jahreszeit so nützlich oder für seine Augen so angenehm sind, so müssen wir uns doch wohl weiter nach den Ursachen solcher Veränderlichkeit umsehen. Wir können nicht annehmen, dass alle diese Varietäten auf einmal so vollkommen und so nutzbar entstanden seyen, wie wir sie jetzt vor uns sehen, und kennen in der That von manchen ihre Geschichte genau genug um zu wissen, dass Diess nicht der Fall gewesen. Der Schlüssel liegt in des Menschen accumulativem Wahl-Vermögen, d. h. in seinem Vermögen, durch jedesmalige Auswahl derjenigen Individuen zur Nachzucht, welche die ihm erwünschten Eigenschaften im höchsten Grade besitzen, diese Eigenschaften bei jeder Generation um einen wenn auch noch so unscheinbaren Betrag zu steigern. Die Natur liefert allmählich mancherlei Abänderungen; der Mensch befördert sie in gewissen ihm nützlichen Richtungen. In diesem Sinne kann man von ihm sagen, er schaffe sich nützliche Rassen.

Die Macht dieses Züchtungs-Princips ist nicht hypothetisch; denn es ist gewiss, dass einige unserer ausgezeichnetsten Viehzüchter binnen einem Menschen-Alter mehre Rind- und Schaaf-Rassen in beträchtlichem Umfange modifizirt haben. Um das, was sie geleistet haben, in seinem ganzen Umfang zu würdigen, muss man einige von den vielen diesem Zwecke gewidmeten Schriften lesen[S. 42] und die Thiere selber sehen. — Züchter sprechen gewöhnlich von eines Thieres Organisation wie von einer ganz bildsamen Sache, die sie meistens völlig nach ihrem Gefallen modeln könnten. Wenn es der Raum gestattete, so würde ich viele Stellen von den sachkundigsten Gewährsmännern als Belege anführen. YOUATT, der wahrscheinlich besser als fast irgend ein Anderer mit den landwirthschaftlichen Werken bekannt und selbst ein sehr guter Beurtheiler eines Thieres war, sagt von diesem Züchtungs-Prinzip, es seye, „was den Landwirth befähige den Charakter seiner Heerde nicht allein zu modifiziren, sondern gänzlich zu ändern. Es ist der Zauberstab, mit dessen Hülfe er jede Form in’s Leben ruft, die ihm gefällt.“ Lord SOMERVILLE sagt in Bezug auf das, was die Züchter hinsichtlich der Schaaf-Rassen geleistet: „Es ist, als hätten sie eine in sich vollkommene Form an die Wand gezeichnet und dann belebt“. Der erfahrenste Züchter, Sir JOHN SEBRIGHT, pflegte in Bezug auf die Tauben zu sagen: „er wolle eine ihm aufgegebene Feder in drei Jahren hervorbringen, bedürfe aber sechs Jahre, um Kopf und Schnabel zu erlangen“. In Sachsen ist die Wichtigkeit jenes Prinzips für die Merino-Zucht so anerkannt, dass die Leute es gewerbsmässig verfolgen. Die Schaafe werden auf einen Tisch gelegt und studirt, wie der Kenner ein Gemälde studirt. Dieses wird je nach Monatsfrist dreimal wiederholt, und die Schaafe werden jedesmal gezeichnet und klassifizirt, so dass nur die allerbesten zuletzt für die Nachzucht übrig bleiben.

Was englische Züchter bis jetzt schon geleistet haben, geht aus den ungeheuren Preisen hervor, die man für Thiere bezahlt, die einen guten Stammbaum aufzuweisen haben, und diese hat man jetzt nach fast allen Weltgegenden ausgeführt. Diese Veredlung rührt im Allgemeinen keineswegs davon her, dass man verschiedene Rassen miteinander gekreutzt. All’ die besten Züchter sprechen sich streng gegen dieses Verfahren aus, es seye denn etwa zwischen einander nahe verwandten Unterrassen. Und hat eine solche Kreutzung stattgefunden, so ist die sorgfältigste Auswahl weit nothwendiger, als selbst in gewöhnlichen Fällen. Handelte es sich bei der Wahl nur darum, irgend welche[S. 43] sehr auffallende Abänderungen auszusondern und zur Nachzucht zu verwenden, so wäre das Prinzip so handgreiflich, dass es sich kaum der Mühe lohnte, davon zu sprechen. Aber seine Wichtigkeit besteht in dem grossen Erfolg von Generation zu Generation fortgesetzter Häufung von dem ungeübten Auge ganz unkenntlichen Abänderungen in einer Richtung hin: Abänderungen, die ich, einfach genommen, vergebens wahrzunehmen gestrebt habe. Nicht ein Mensch unter Tausend hat ein hinreichend scharfes Auge und Urtheil, um ein ausgezeichneter Züchter zu werden. Ist er mit diesen Eigenschaften versehen, studirt seinen Gegenstand Jahre lang und widmet ihm seine ganze Lebenszeit mit ungeschwächter Beharrlichkeit, so wird er Erfolg haben und grosse Verbesserungen bewirken. Ermangelt er aber jener Eigenschaften, so wird er sicher nichts ausrichten. Es haben wohl nur Wenige davon eine Vorstellung, was für ein Grad von natürlicher Befähigung und wie viele Jahre Übung dazu gehören, um nur ein geschickter Tauben-Züchter zu werden.

Die nämlichen Grundsätze werden beim Garten-Bau befolgt, aber die Abänderungen erfolgen oft plötzlicher. Doch glaubt niemand, dass unsere edelsten Garten-Erzeugnisse durch eine einfache Abänderung unmittelbar aus der wilden Urform entstanden seyen. In einigen Fällen können wir beweisen, dass Diess nicht geschehen ist, indem genaue Protokolle darüber geführt worden sind; um aber ein sehr treffendes Beispiel anzuführen, können wir uns auf die stetig zunehmende Grösse der Stachelbeeren beziehen. Wir nehmen eine erstaunliche Veredlung in manchen Zierblumen wahr, wenn man die heutigen Blumen mit Abbildungen vergleicht, die vor 20–30 Jahren davon gemacht worden sind. Wenn eine Pflanzen-Rasse einmal wohl ausgebildet worden ist, so entfernt der Samen-Züchter nicht die besten Pflanzen, sondern diejenigen aus den Saamen-Beeten, welche am weitesten von ihrer eigenthümlichen Form abweichen. Bei Thieren findet diese Art von Auswahl ebenfalls statt; denn kaum dürfte Jemand so sorglos seyn, seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zu verwenden.

Bei den Pflanzen gibt es noch ein anderes Mittel das Maas der Wirkungen der Zuchtwahl zu beobachten, nämlich die Vergleichung[S. 44] der Verschiedenheit der Blüthen in den mancherlei Varietäten einer Art im Blumen-Garten; der Verschiedenheit der Blätter, Hülsen, Knollen oder was sonst für Theile in Betracht kommen, im Küchen-Garten, gegenüber den Blüthen der nämlichen Varietäten; und der Verschiedenheit der Früchte bei den Varietäten einer Art im Obst-Garten, gegenüber den Blättern und Blüthen derselben Varietäten-Reihe. Wie verschieden sind die Blätter der Kohl-Sorten und wie ähnlich einander ihre Blüthen! wie unähnlich die Blüthen des Jelängerjeliebers und wie ähnlich die Blätter! wie sehr weichen die Früchte der verschiedenen Stachelbeer-Sorten in Grösse, Farbe, Gestalt und Behaarung von einander ab, während an den Blüthen nur ganz unbedeutende Verschiedenheiten zu bemerken sind! Nicht als ob die Varietäten, die in einer Beziehung weit auseinander, in andern gar nicht verschieden wären: Diess ist schwerlich je und (ich spreche nach sorgfältigen Beobachtungen) vielleicht niemals der Fall! Die Gesetze der Wechselbeziehungen des Wachsthums, deren Wichtigkeit nie übersehen werden sollte, werden immer einige Verschiedenheiten veranlassen; im Allgemeinen aber kann ich nicht zweifeln, dass die fortgesetzte Auswahl geringer Abänderungen in den Blättern, in den Blüthen oder in der Frucht solche Rassen erzeuge, welche hauptsächlich in diesen Theilen von einander abweichen.

Man könnte einwenden, das Prinzip der Zuchtwahl seye erst seit kaum drei Vierteln eines Jahrhunderts zu planmässiger Anwendung gebracht worden; gewiss ist es erst seit den letzten Jahren mehr in Übung und sind viele Schriften darüber erschienen; die Ergebnisse sind in einem entsprechenden Grade immer rascher und erheblicher geworden. Es ist aber nicht entfernt wahr, dass dieses Prinzip eine neue Entdeckung seye. Ich kann mehre Beweise anführen, aus welchen sich die volle Anerkennung seiner Wichtigkeit schon in sehr alten Schriften ergibt. Selbst in den rohen und barbarischen Zeiten der Englischen Geschichte sind ausgesuchte Zucht-Thiere oft eingeführt und ist ihre Ausfuhr gesetzlich verboten worden; auch war die Zerstörung der Pferde unter einer gewissen Grösse angeordnet, was sich mit dem oben erwähnten Ausjäten der Pflanzen vergleichen lässt.[S. 45] Das Prinzip der Züchtung finde ich auch in einer alten Chinesischen Encyklopädie bestimmt angegeben. Bestimmte Regeln darüber sind bei einigen Römischen Klassikern niedergelegt. Aus einigen Stellen in der Genesis erhellt, dass man schon in jener frühen Zeit der Farbe der Hausthiere seine Aufmerksamkeit zugewendet hat. Wilde kreutzen noch jetzt zuweilen ihre Hunde mit wilden Hunde-Arten, um die Rasse zu verbessern, wie es nach PLINIUS’ Zeugniss auch vormals geschehen ist. Die Wilden in Süd-Afrika spannen ihre Zug-Ochsen nach der Farbe zusammen, wie einige Esquimaux ihre Zug-Hunde. LIVINGSTONE berichtet, wie hoch gute Hausthier-Rassen von den Negern im innern Afrika, welche nie mit Europäern in Berührung gewesen, geschätzt werden. Einige der angeführten Thatsachen sind zwar keine Belege für wirkliche Züchtung; aber sie zeigen, dass die Zucht der Hausthiere schon in älteren Zeiten ein Gegenstand der Bestrebung gewesen und es bei den rohesten Wilden noch jetzt ist. Es würde aber in der That doch befremden müssen, wenn sich bei der Züchtung die Aufmerksamkeit nicht sofort auf die Erblichkeit der so auffälligen guten und schlechten Eigenschaften gelenkt hätte.

In jetziger Zeit versuchen es ausgezeichnete Züchter durch planmässige Wahl, mit einem bestimmten Ziel im Auge, neue Stämme oder Unterrassen zu bilden, die alles bis jetzt bei uns Vorhandene übertreffen sollen. Für unseren Zweck jedoch ist diejenige Art von Züchtung wichtiger, welche man die unbewusste nennen kann und welche ein Jeder in Anwendung bringt, der von den besten Thieren zu besitzen und nachzuziehen strebt. So wird Jemand, der einen guten Hühnerhund zu haben wünscht, zuerst möglichst gute Hunde zu erhalten suchen und hernach von den besten seiner eignen Hunde Nachzucht zu bekommen streben, ohne die Absicht oder die Erwartung zu haben, die Rasse hiedurch bleibend zu ändern. Demungeachtet zweifle ich nicht daran, dass, wenn er dieses Verfahren einige Jahrhunderte lang fortsetzte, er seine Rasse ändern und veredeln würde, wie BAKEWELL, COLLINS u. A. durch ein gleiches und nur mehr planmässiges Verfahren schon während ihrer eigenen Lebens-Zeit die Formen[S. 46] und Eigenschaften ihrer Rinder-Heerden wesentlich verändert haben. Langsame und unmerkliche Veränderungen dieser Art lassen sich nicht erkennen, wenn nicht wirkliche Ausmessungen oder sorgfältige Zeichnungen der fraglichen Rassen von Anfang her gemacht worden sind, welche zur Vergleichung dienen können; zuweilen kann man jedoch noch unveredelte oder wenig veränderte Individuen in solchen Gegenden auffinden, wo die Veredlung derselben ursprünglichen Rasse noch nicht oder nur wenig fortgeschritten ist. So hat man Grund zu glauben, dass König KARL’S Jagdhund-Rasse[8] seit der Zeit dieses Monarchen unbewusster Weise beträchtlich verändert worden ist. Einige völlig sachkundige Gewährsmänner hegen die Überzeugung, dass der Spürhund in gerader Linie vom Jagdhund abstammt und wahrscheinlich durch langsame Veränderung aus demselben hervorgegangen ist. Es ist bekannt, dass der Vorstehehund im letzten Jahrhundert grosse Umänderung erfahren hat, und hier glaubt man seye die Umänderung hauptsächlich durch Kreutzung mit dem Fuchs-Hunde bewirkt worden; aber was uns berührt, das ist, dass diese Umänderung unbewusster und langsamer Weise geschehen und dennoch so beträchtlich ist, dass, obwohl der alte Vorstehehund gewiss aus Spanien gekommen, Herr BORROW mich doch versichert hat, in ganz Spanien keine einheimische Hunde-Rasse gesehen zu haben, die unserem Vorstehehund gliche.

Durch ein gleiches Wahl-Verfahren und sorgfältige Aufzucht ist die ganze Masse der Englischen Rasse-Pferde dahin gelangt in Schnelligkeit und Grösse ihren Arabischen Urstamm zu übertreffen, so dass dieser letzte bei den Bestimmungen über die Goodwood-Rassen hinsichtlich des zu tragenden Gewichtes begünstigt[S. 47] werden musste. Lord SPENCER u. A. haben gezeigt, dass in England das Rindvieh an Schwere und früher Reife gegen frühere Zeiten zugenommen. Vergleicht man die Nachrichten, welche in alten Tauben-Büchern über die Boten- und Purzel-Tauben enthalten sind, mit diesen Rassen, wie sie jetzt in Britannien, Indien und Persien vorkommen, so kann man, scheint mir, deutlich die Stufen verfolgen, welche sie allmählich zu durchlaufen hatten, um endlich so weit von der Felstaube abzuweichen.

YOUATT gibt eine vortreffliche Erläuterung von den Wirkungen einer fortdauernden Züchtung, welche man in so ferne als unbewusste betrachten kann, als die Züchter nie das von ihnen erlangte Ergebniss selbst erwartet oder gewünscht haben können, nämlich die Erzielung zweier ganz verschiedener Stämme. Es sind die zweierlei Leicestrer Schaaf-Heerden, welche von Mr. BUCKLEY und Mr. BURGESS seit etwas über 50 Jahren lediglich aus dem BAKEWELL’schen Urstamme gezüchtet worden. Unter Allen, welche mit der Sache bekannt sind, glaubt Niemand von Ferne daran, dass die beiden Eigner dieser Heerden dem reinen BAKEWELL’schen Stamme jemals fremdes Blut beigemischt hätten, und doch ist jetzt die Verschiedenheit zwischen deren Heerden so gross, dass man glaubt ganz verschiedene Rassen zu sehen.

Gäbe es Wilde so barbarisch, dass sie keine Vermuthung von der Erblichkeit des Charakters ihrer Hausthiere hätten, so würden sie doch jedes ihnen zu einem besondern Zwecke vorzugsweise nützliche Thier während Hungersnoth und anderen Unglücks-Fällen sorgfältig zu erhalten bedacht seyn, und ein derartig auserwähltes Thier würde mithin mehr Nachkommenschaft als ein anderes von geringerem Werthe hinterlassen, so dass schon auf diese Weise eine Auswahl zur Züchtung stattfände. Welchen Werth selbst die Barbaren des Feuerlandes auf ihre Thiere legen, sehen wir, wenn sie in Zeiten der Noth lieber ihre alten Weiber als ihre Hunde verzehren, weil ihnen diese nützlicher sind als jene.

Bei den Pflanzen kann man dasselbe stufenweise Veredlungs-Verfahren in der gelegentlichen Erhaltung der besten Individuen wahrnehmen, mögen sie nun hinreichend oder nicht genügend verschieden seyn, um bei ihrem ersten Erscheinen schon als[S. 48] eine eigene Varietät zu gelten; mögen sie aus der Kreutzung von zwei oder mehr Rassen oder Arten hervorgegangen seyn. Wir erkennen Diess klar aus der zunehmenden Grösse und Schönheit der Blumen von Jelängerjelieber, Dahlien, Pelargonien, Rosen u. a. Pflanzen im Vergleich zu den älteren Varietäten von denselben Arten. Niemand wird erwarten eine Jelängerjelieber oder Dahlie erster Qualität aus dem Samen einer wilden Pflanze zu erhalten, oder eine Schmelzbirne erster Sorte aus dem Samen einer wilden Birne zu erziehen, obwohl es von einem wild-gewachsenen Sämlinge der Fall seyn könnte, welcher von einer im Garten gebildeten Varietät entstammte. Die schon in der klassischen Zeit kultivirte Birne scheint nach Plinius’ Bericht eine Frucht von sehr untergeordneter Qualität gewesen zu seyn. Ich habe in Gartenbau-Schriften den Ausdruck grossen Erstaunens über die wunderbare Geschicklichkeit von Gärtnern gelesen, die aus dürftigem Material so glänzende Erfolge geärndet; aber ihre Kunst war ohne Zweifel einfach und, wenigstens in Bezug auf das End-Ergebniss, eine unbewusste. Sie bestand nur darin, dass sie die jederzeit beste Varietät wieder aussäeten und, wenn dann zufällig eine neue etwas bessere Abänderung zum Vorschein kam, nun diese zur Nachzucht wählten u. s. w. Aber die Gärtner der klassischen Zeit, welche die beste Birne, die sie erhalten konnten, nachzogen, dachten nie daran, was für eine herrliche Frucht wir einst essen würden; und doch schulden wir dieses treffliche Obst in geringem Grade wenigstens dem Umstande, dass schon sie begonnen haben, die besten Varietäten auszuwählen und zu erhalten.

Der grosse Umfang von Veränderungen, die sich in unseren Kultur-Pflanzen langsamer und unbewusster Weise angehäuft haben, erklärt die wohl-bekannte Thatsache, dass wir in den meisten Fällen die wilde Mutterpflanze nicht wieder erkennen und daher nicht anzugeben vermögen, woher die am längsten in unseren Blumen- und Küchen-Gärten angebauten Pflanzen abstammen. Wenn es aber Hunderte oder Tausende von Jahren bedurft hat, um unsre Kultur-Pflanzen bis auf deren jetzige dem Menschen so nützliche Stufe zu veredeln, so wird es uns auch begreiflich, warum weder Australien, noch das Kap der guten Hoffnung oder irgend[S. 49] eine andre von ganz unzivilisirten Menschen bewohnte Gegend uns eine der Kultur werthe Pflanze geboten hat. Nicht als ob diese an Pflanzen so reichen Gegenden in Folge eines eigenen Zufalles gar nicht mit Urformen nützlicher Pflanzen von der Natur versehen worden wären; sondern ihre einheimischen Pflanzen sind nur nicht durch unausgesetzte Züchtung bis zu einem Grade veredelt worden, welcher mit dem der Pflanzen in den schon längst kultivirten Ländern vergleichbar wäre.

Was die Hausthiere nicht zivilisirter Völker betrifft, so darf man nicht übersehen, dass diese in der Regel, zu gewissen Jahreszeiten wenigstens, um ihre eigene Nahrung zu kämpfen haben. In zwei sehr verschieden beschaffenen Gegenden können Individuen von einerlei Organismen-Art aber zweierlei Bildung und Thätigkeit der Organe oft die einen in der ersten und die andern in der zweiten Gegend besser fortkommen und dann durch eine Art natürlicher Züchtung, wie nachher weiter erklärt werden soll, zwei Unterrassen bilden. Diess erklärt vielleicht zum Theile, was einige Gewährsmänner von den Thier-Rassen der Wilden berichten, dass dieselben mehr die Charaktere besonderer Species an sich tragen, als die bei zivilisirten Völkern gehaltenen Abänderungen.

Nach der hier aufgestellten Ansicht von dem äusserst wichtigen Einflusse, den die Züchtung des Menschen geübt, erklärt es sich auch wie es komme, dass unsre veredelten Rassen sich in Struktur und Lebensweise so an die Bedürfnisse und Launen des Menschen anpassen. Es lassen sich daraus ferner, wie ich glaube, der so oft abnorme Charakter unsrer veredelten Rassen und die gewöhnlich äusserlich so grossen, in innern Theilen oder Organen aber verhältnissmässig so unbedeutenden Verschiedenheiten derselben begreifen. Denn der Mensch kann kaum oder nur sehr schwer andre als äusserlich sichtbare Abweichungen der Struktur bei seiner Auswahl beachten, und er bekümmert sich in der That nur selten um das Innere. Er kann durch Wahl nur auf solche Abänderungen verfallen, welche ihm von der Natur selbst in anfänglich schwachem Grade dargeboten werden. So würde niemals Jemand versuchen eine Pfauentaube zu machen, wenn er nicht zuvor schon eine Taube mit einem in etwas unregelmässiger[S. 50] Weise entwickelten Schwanz gesehen hätte, oder einen Kröpfer zu züchten, ehe er eine Taube mit einem grösseren Kropfe gefunden. Je eigenthümlicher und ungewöhnlicher ein Charakter bei dessen erster Wahrnehmung erscheint, desto mehr wird derselbe die Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Doch wäre der Ausdruck „Versuchen eine Pfauentaube zu machen“ in den meisten Fällen äusserst unangemessen. Denn der, welcher zuerst eine Taube mit einem etwas stärkeren Schwanz zur Nachzucht ausgewählt, hat sich gewiss nicht träumen lassen, was aus den Nachkommen dieser Taube durch theils unbewusste und theils planmässige Züchtung werden könne. Vielleicht hat der Stammvater aller Pfauentauben nur vierzehn etwas ausgebreitete Schwanz-Federn gehabt, wie die jetzige Javanesische Pfauentaube oder wie Individuen von verschiedenen andren Rassen, an welchen man bis zu 17 Schwanz-Federn gezählt hat. Vielleicht hat die erste Kropftaube ihren Kropf nicht stärker aufgeblähet, als es jetzt die Möventaube mit dem oberen Theile des Schlundes zu thun pflegt, eine Gewohnheit, welche bei allen Tauben-Liebhabern unbeachtet bleibt, weil sie keinen Gesichtspunkt für ihre Züchtung abgibt.

Es lässt sich nicht annehmen, dass es erst einer grossen Abweichung in der Struktur bedürfe, um den Blick des Liebhabers auf sich zu ziehen; er nimmt äusserst kleine Verschiedenheiten wahr, und es ist in des Menschen Art begründet, auf eine wenn auch geringe Neuigkeit in seinem eigenen Besitze Werth zu legen. Auch ist der anfangs auf geringe individuelle Abweichungen bei einer Art gelegte Werth nicht mit demjenigen zu vergleichen, welcher denselben Verschiedenheiten beigelegt wird, wenn einmal mehre reine Rassen dieser Art hergestellt sind. Manche geringe Abänderungen mögen unter solchen Tauben vorgekommen seyn und noch vorkommen, welche als fehlerhafte Abweichungen vom vollkommenen Typus einer jeden Rasse zurückgeworfen worden. Die gemeine Gans hat keine auffallende Varietät geliefert, daher die Thoulouse- und die gewöhnliche Rasse, welche nur in der Farbe als dem biegsamsten aller Charaktere verschieden sind, bei unseren Geflügel-Ausstellungen für verschiedene Arten ausgegeben wurden.

Diese Ansichten mögen ferner eine zuweilen gemachte Bemerkung[S. 51] erklären, dass wir nämlich nichts über die Entstehung oder Geschichte einer unsrer veredelten Rassen wissen. Denn man kann von einer Rasse, so wie von einem Sprach-Dialekte, in Wirklichkeit schwerlich sagen, dass sie einen bestimmten Anfang gehabt habe. Es pflegt jemand und gebraucht zur Züchtung irgend ein Einzelwesen mit geringen Abweichungen des Körper-Baues, oder er verwendet mehr Sorgfalt als gewöhnlich darauf, seine besten Thiere mit einander zu paaren; er verbessert dadurch seine Zucht und die verbesserten Thiere verbreiten sich unmittelbar in der Nachbarschaft. Da sie aber bis jetzt noch schwerlich einen besonderen Namen haben und sie noch nicht sonderlich geschätzt sind, so achtet niemand auf ihre Geschichte. Wenn sie dann durch dasselbe langsame und stufenweise Verfahren noch weiter veredelt worden, breiten sie sich immer weiter aus und werden jetzt als etwas Ausgezeichnetes und Werthvolles anerkannt und erhalten wahrscheinlich nun erst einen Provinzial-Namen. In halb-zivilisirten Gegenden mit wenig freiem Verkehr mag die Ausbreitung und Anerkennung einer neuen Unterrasse ein langsamer Vorgang seyn. Sobald aber die einzelnen werthvolleren Eigenschaften der neuen Unterrasse einmal vollständig anerkannt sind, wird das von mir sogenannte Prinzip der unbewussten Züchtung langsam und unaufhörlich — wenn auch mehr zu einer als zur andern Zeit, je nachdem eine Rasse in der Mode steigt oder fällt, und vielleicht mehr in einer Gegend als in der andern, je nach der Zivilisations-Stufe ihrer Bewohner — auf die Vervollkommnung der charakteristischen Eigenschaften der Rasse hinwirken, welcher Art sie nun seyn mögen. Aber es ist unendlich wenig Aussicht vorhanden, einen geschichtlichen Bericht von solchen langsam wechselnden und unmerklichen Veränderungen zu erhalten.

Ich habe nun einige Worte über die für die künstliche Züchtung günstigen oder ungünstigen Umstände zu sagen. Ein hoher Grad von Veränderlichkeit ist insoferne offenbar günstig, als er ein reicheres Material zur Auswahl für die Züchtung liefert. Doch nicht als ob bloss individuelle Verschiedenheiten nicht vollkommen genügten, um mit äusserster Sorgfalt durch Häufung endlich eine[S. 52] bedeutende Umänderung in fast jeder beliebigen Richtung zu erwirken. Da aber solche dem Menschen offenbar nützliche oder gefällige Variationen nur zufällig vorkommen, so muss die Aussicht auf deren Erscheinen mit der Anzahl der gepflegten Individuen zunehmen, und so wird eine Vielzahl dieser letzten von höchster Wichtigkeit für den Erfolg. Mit Rücksicht auf dieses Prinzip hat MARSCHALL über die Schaafe in einigen Theilen von Yorkshire gesagt, dass, weil sie gewöhnlich nur armen Leuten gehören und meistens in kleine Loose vertheilt sind, sie nie veredelt werden können. Auf der andern Seite haben Handelsgärtner, welche alle Pflanzen in grossen Massen erziehen, gewöhnlich mehr Erfolg als die blossen Liebhaber in Bildung neuer und werthvoller Varietäten. Die Haltung einer grossen Anzahl von Einzelwesen einer Art in einer Gegend verlangt, dass man diese Species in günstige Lebens-Bedingungen versetze, so dass sie sich in dieser Gegend freiwillig fortpflanze. Sind nur wenige Individuen einer Art vorhanden, so werden sie gewöhnlich alle, wie auch ihre Beschaffenheit seyn mag, zur Nachzucht verwendet, und Diess hindert ihre Auswahl. Aber wahrscheinlich der wichtigste Punkt von allen ist, dass das Thier oder die Pflanze für den Besitzer so nützlich oder so hoch gewerthet sey, dass er die genaueste Aufmerksamkeit auf jede auch die geringste Abänderung in den Eigenschaften und dem Körper-Baue eines jeden Individuums verwende. Ist Diess nicht der Fall, so ist auch nichts zu erwirken. Ich habe es als wesentlich hervorheben sehen, es seye ein sehr glücklicher Zufall gewesen, dass die Erdbeere gerade zu variiren begann, als Gärtner diese Pflanze näher zu beobachten anfingen. Zweifelsohne hatte die Erdbeere immer variirt, seitdem sie angepflanzt worden; aber man hatte die geringen Abänderungen vernachlässigt. Als jedoch Gärtner später die Pflanzen mit etwas grösseren, früheren oder besseren Früchten heraushoben, Sämlinge davon erzogen und dann wieder die besten Sämlinge und deren Abkommen zur Nachzucht verwendeten, da lieferte diese, unterstützt durch die Kreutzung mit andern Arten, die vielen bewundernswerthen Varietäten, welche in den letzten 30–40 Jahren erzielt worden sind.

[S. 53]

Was Thiere getrennten Geschlechtes betrifft, so hat die Leichtigkeit, womit ihre Kreutzung gehindert werden kann, einen wichtigen Antheil an dem Erfolge in Bildung neuer Rassen, in einer Gegend wenigstens, welche bereits mit anderen Rassen besetzt ist. Dazu kann die Einschliessung des Landes in Betracht kommen. Wandernde Wilde oder die Bewohner offner Ebenen besitzen selten mehr als eine Rasse derselben Art. Man kann zwei Tauben lebenslänglich zusammen-paaren, und Diess ist eine grosse Bequemlichkeit für den Liebhaber, weil er viele Vollblut-Rassen im nämlichen Vogelhause beisammen erziehen kann. Dieser Umstand hat gewiss die Bildung und Veredlung neuer Rassen sehr befördert. Ich will noch beifügen, dass man die Tauben sehr rasch und in grosser Anzahl vermehren und die schlechten Vögel leicht beseitigen kann, weil sie getödtet zur Speise dienen. Auf der andern Seite lassen sich Katzen ihrer nächtlichen Wanderungen wegen nicht zusammen-paaren, daher man auch, trotzdem dass Frauen und Kinder sie gerne haben, selten eine neue Rasse aufkommen sieht; solche Rassen, wenn wir dergleichen jemals sehen, sind immer aus anderen Gegenden und zumal aus Inseln eingeführt. Obwohl ich nicht bezweifle, dass einige Hausthiere weniger als andre variiren, so wird doch die Seltenheit oder der gänzliche Mangel verschiedener Rassen bei Katze, Esel, Perlhuhn, Gans u. s. w. hauptsächlich davon herrühren, dass keine Züchtung bei ihnen in Anwendung gekommen ist: bei Katzen, wegen der Schwierigkeit sie zu paaren; bei Eseln, weil sie bei uns nur in geringer Anzahl von armen Leuten gehalten werden, welche auf ihre Züchtung wenig achten; wogegen dieses Thier in einigen Theilen von Spanien und den Vereinten Staaten durch sorgfältige Züchtung in erstaunlicher Weise abgeändert und veredelt worden ist; — bei Perlhühnern, weil sie nicht leicht aufzuziehen und eine grosse Zahl nicht beisammen gehalten wird; bei Gänsen, weil sie nur zu zwei Zwecken dienen mittelst ihrer Federn und ihres Fleisches, welche noch nicht zur Züchtung neuer Rassen gereitzt haben; doch scheint die Gans auch eine eigenthümlich unbiegsame Organisation zu besitzen.

Versuchen wir das über die Entstehung unsrer Hausthier-[S. 54] und Kulturpflanzen-Rassen Gesagte zusammenzufassen. Ich glaube, dass die äusseren Lebens-Bedingungen wegen ihrer Einwirkung auf das Reproduktiv-System von der höchsten Wichtigkeit für die Entstehung von Abänderungen sind. Ich glaube aber nicht, dass Veränderlichkeit als eine inhärente und nothwendige Eigenschaft allen organischen Wesen unter allen Umständen zukomme, wie einige Schriftsteller angenommen haben. Die Wirkungen der Veränderlichkeit werden in verschiedenem Grade modifizirt durch Vererblichkeit und Rückkehr. Sie wird durch viele unbekannte Gesetze geleitet, insbesondre aber durch das der Wechselbeziehungen des Wachsthums. Einiges mag der direkten Einwirkung der äusseren Lebens-Bedingungen, Manches dem Gebrauche und Nichtgebrauche der Organe zugeschrieben werden. Dadurch wird das End-Ergebniss ausserordentlich verwickelt. Ich bezweifle nicht, dass in einigen Fällen die Kreutzung ursprünglich verschiedener Arten einen wesentlichen Antheil an der Bildung unserer veredelten Erzeugnisse gehabt habe. Wenn in einer Gegend einmal mehre veredelte Rassen vorhanden gewesen sind, so hat ihre gelegentliche Kreutzung mit Hilfe der Wahl zweifelsohne mächtig zur Bildung neuer Rassen mitwirken können; aber die Wichtigkeit der Varietäten-Mischung ist, wie ich glaube, sehr übertrieben worden sowohl in Bezug auf die Thiere wie auf die Pflanzen, die sich aus Saamen verjüngten. Bei solchen Pflanzen dagegen, welche zeitweise durch Stecklinge, Knospen u. s. w. fortgepflanzt werden, ist die Wichtigkeit der Kreutzung zwischen Arten wie Varietäten unermesslich, weil der Pflanzenzüchter hier die ausserordentliche Veränderlichkeit sowohl der Bastarde als der Blendlinge ganz ausser Acht lässt; doch haben die Fälle, wo Pflanzen nicht aus Saamen fortgepflanzt werden, wenig Bedeutung für uns, weil ihre Dauer nur vorübergehend ist. Aber die über alle diese Änderungs-Ursachen bei weitem vorherrschende Kraft ist nach meiner Überzeugung die fortdauernd anhäufende Züchtung, mag sie nun planmässig und schnell, oder unbewusst und allmählicher aber wirksamer in Anwendung kommen.

[S. 55]

Zweites Kapitel.
Abänderung im Natur-Zustande.

Variabilität. Individuelle Verschiedenheiten. Zweifelhafte Arten. Weit verbreitete, sehr zerstreute und gemeine Arten variiren am meisten. Arten grössrer Sippen in einer Gegend beisammen variiren mehr, als die der kleinen Sippen. Viele Arten der grossen Sippen gleichen den Varietäten darin, dass sie sehr nahe aber ungleich mit einander verwandt sind und beschränkte Verbreitungs-Bezirke haben.

Ehe wir von den Prinzipien, zu welchen wir im vorigen Kapitel gelangten, Anwendung auf die organischen Wesen im Natur-Zustande machen, müssen wir kürzlich untersuchen, in wieferne diese letzten veränderlich sind oder nicht. Um diesen Gegenstand angemessen zu behandeln, müsste ich ein langes Verzeichniss trockner Thatsachen aufstellen; doch will ich diese für mein künftiges Werk versparen. Auch will ich nicht die verschiedenen Definitionen erörtern, welche man von dem Worte „Species“ gegeben hat. Keine derselben hat bis jetzt alle Naturforscher befriedigt. Gewöhnlich schliesst die Definition ein unbekanntes Element von einem besondren Schöpfungs-Akte ein. Der Ausdruck „Varietät“ ist eben so schwer zu definiren; gemeinschaftliche Abstammung ist meistens mit einbedungen, obwohl so selten erweislich. Auch hat man von Monstrositäten gesprochen, die aber stufenweise in die Varietäten übergehen. Unter einer „Monstrosität“ versteht man nach meiner Meinung irgend eine beträchtliche Abweichung der Struktur in einem einzelnen Theile, welche der Art entweder nachtheilig oder doch nicht nützlich ist und sich gewöhnlich nicht vererbt. Einige Schriftsteller gebrauchen noch den Ausdruck „Variation“ in einem technischen Sinne, um Abänderungen durch die unmittelbare Einwirkung äussrer Lebens-Bedingungen zu bezeichnen, und die Variationen dieser Art gelten nicht für erblich. Doch, wer kann behaupten, dass die zwergartige Beschaffenheit der Konchylien im Brackwasser des Baltischen Meeres, oder die verringerte Grösse der Pflanzen auf den Höhen der Alpen, oder der dichtere Pelz eines Thieres in höheren Breiten nicht auf wenigstens einige Generationen vererblich seye? und in diesem[S. 56] Falle würde man, glaube ich, die Form eine „Varietät“ nennen.

Es mag wohl zweifelhaft seyn, ob Monstrositäten oder solche plötzliche und grosse Abweichungen der Struktur, wie wir sie zuweilen in unsren gezähmten Rassen, zumal unter den Pflanzen auftauchen sehen, sich im Natur-Zustande stetig fortpflanzen können. Monstrositäten sind zur Unfruchtbarkeit geneigt, und gewöhnlich steht jeder Theil eines organischen Wesens wenigstens bei den Thieren in einer so schönen Beziehung zu den gesammten Lebens-Bedingungen, dass es eben so unwahrscheinlich ist, dass irgend ein Theil auf einmal in seiner ganzen Vollkommenheit erschienen seye, als dass ein Mensch irgend eine zusammengesetzte Maschine sogleich in vollkommenem Zustande erfunden habe. Es ist mir wenigstens nicht gelungen, im Natur-Zustande gute Beispiele von Arten zu finden, welche den Abänderungen der Struktur in den Monstrositäten ihrer Verwandten entsprächen. Wenn dergleichen vorgekommen sind, so muss ihre Fortpflanzung durch ihre Nützlichkeit bedingt gewesen seyn, so dass mithin Natürliche Züchtung dabei mitwirkte. Man kennt viele Pflanzen, welche an verschiedenen Zweigen, oder am Umfange, oder in der Mitte ihres Blüthenstandes Blüthen von ganz abweichender Beschaffenheit tragen; und wenn diese Pflanzen aufhören sollten, Blüthen der einen Art zu tragen, so dürfte wohl plötzlich eine bedeutende Veränderung im Art-Charakter eintreten. Doch scheint gerade in einigen dieser Fälle die Entstehung von zweierlei Blüthen stufenweise vor sich gegangen zu seyn; denn wir finden in gewissen Campanula- und Viola-Arten Mittelstufen zwischen den zweierlei Hauptzuständen der Blüthe einer und der nämlichen Pflanze.

Was anderseits aber die kultivirten Pflanzen betrifft, so ist in den wenigen bekannten Fällen, wo eine Varietät Blüthen oder Früchte von zweierlei Beschaffenheit hervorzubringen pflegt, die Entstehung dieser Varietät eine plötzliche gewesen.

Dagegen gibt es manche geringe Verschiedenheiten, welche man als individuelle bezeichnen kann, da man von ihnen weiss, dass sie oft unter den Abkömmlingen von einerlei Ältern vorkommen,[S. 57] oder unter solchen die wenigstens dafür gelten, weil sie zur nämlichen Art gehören und auf begrenztem Raume nahe beisammen wohnen. Niemand unterstellt, dass alle Individuen einer Art genau nach demselben Model gebildet seyen. Diese individuellen Verschiedenheiten sind nun gerade sehr wichtig für uns, theils weil sie oft ererbt sind, wie wohl Jedermann schon zu beobachten Gelegenheit hatte, und theils weil sie der Natürlichen Züchtung Stoff zur Häufung liefern, wie der Mensch in seinen kultivirten Rassen individuelle Verschiedenheiten in gegebener Richtung zusammenhäuft. Diese individuellen Verschiedenheiten betreffen in der Regel nur die in den Augen des Naturforschers unwesentlichen Theile; ich könnte jedoch aus einer langen Liste von Thatsachen nachweisen, dass auch Theile, die man aus dem physiologischen wie aus dem klassifikatorischen Gesichtspunkte als wesentliche bezeichnen muss, zuweilen bei den Individuen von einerlei Art variiren. Ich bin überzeugt, dass die erfahrensten Naturforscher erstaunt seyn würden über die Menge von Fällen möglicher Abänderungen sogar in wichtigen Theilen des Körpers, die ich im Laufe der Jahre nach guten Gewährsmännern zusammengetragen habe. Man muss sich aber auch dabei noch erinnern, dass Systematiker nicht erfreut sind Veränderlichkeit in wichtigen Charakteren zu entdecken, und dass es nicht viele Leute gibt, die ein Vergnügen daran fänden, innre wichtige Organe sorgfältig zu untersuchen und in vielen Exemplaren einer und der nämlichen Art mit einander zu vergleichen. So hätte ich nimmer erwartet, dass die Verzweigungen des Hauptnerven dicht am grossen Zentralnervenknoten eines Insektes in der nämlichen Species abändern könne, sondern hätte vielmehr gedacht, Veränderungen dieser Art könnten nur langsam und stufenweise eintreten. Und doch hat Mr. LUBBOCK kürzlich an Coccus einen Grad von Veränderlichkeit an diesen Hauptnerven nachgewiesen, welcher zumeist an die unregelmässige Verzweigung eines Baumstamms erinnert. Ebenso hat dieser ausgezeichnete Naturforscher ganz kürzlich gezeigt, dass die Muskeln in den Larven gewisser Insekten von Gleichförmigkeit weit entfernt sind. Die Schriftsteller bewegen sich oft in einem[S. 58] Zirkelschluss, wenn sie behaupten, dass wichtige Organe nicht variiren; denn dieselben Schriftsteller zählen praktisch diejenigen Organe zu den wichtigen (wie einige wenige ehrlich genug sind zu gestehen), welche nicht variiren, und unter dieser Voraussetzung kann dann allerdings niemals ein Beispiel von einem variirenden wichtigen Organe angeführt werden; aber von einem andern Gesichtspunkte aus lassen sich deren viele aufzählen.

Mit den individuellen Verschiedenheiten steht noch ein andrer Punkt in Verbindung, der mir sehr verwirrend zu seyn scheint; ich will nämlich von den Sippen reden, die man zuweilen „proteische“ oder „polymorphe“ genannt hat, weil deren Arten ein ungeordnetes Maass von Veränderlichkeit zeigen, so dass kaum zwei Naturforscher darüber einig werden können, welche Formen als Arten und welche als Varietäten zu betrachten seyen. Man kann Rubus, Rosa, Hieracium unter den Pflanzen, mehre Insekten- und Brachiopoden-Sippen unter den Thieren als Beispiele anführen. In den meisten dieser polymorphen Sippen haben einige Arten feste und bestimmte Charaktere. Sippen, welche in einer Gegend polymorph sind, scheinen es mit einigen wenigen Ausnahmen auch in andern Gegenden zu seyn und, nach den Brachiopoden zu urtheilen, in früheren Zeiten gewesen zu seyn. Diese Thatsachen nun scheinen in soferne geeignet Verwirrung zu bewirken, als sie zeigen, dass diese Art von Veränderlichkeit unabhängig von den Lebens-Bedingungen ist. Ich bin zu vermuthen geneigt, dass wir in diesen polymorphen Sippen Veränderlichkeit nur in solchen Struktur-Verhältnissen begegnen, welche der Art weder nützlich noch schädlich sind und daher bei der Natürlichen Züchtung nicht berücksichtigt und befestigt worden sind, wie nachher erläutert werden soll.

Diejenigen Formen, welche zwar einen schon etwas mehr entwickelten Art-Charakter besitzen, aber andren Formen so ähnlich oder durch Mittelstufen so enge verkettet sind, dass die Naturforscher sie nicht als besondre Arten aufführen wollen, sind in mehren Beziehungen die wichtigsten für uns. Wir haben allen Grund zu glauben, dass viele von diesen zweifelhaften und eng-verwandten Formen ihre Charaktere in ihrer Heimath-Gegend[S. 59] lange Zeit beharrlich behauptet haben, lang genug um sie für gute und ächte Species zu halten. Praktisch genommen pflegt ein Naturforscher, welcher zwei Formen durch Zwischenglieder mit einander verbinden kann, die eine als eine Varietät der anderen gewöhnlichern oder zuerst beschriebenen zu behandeln. Zuweilen treten aber sehr schwierige Fälle, die ich hier nicht aufzählen will, bei Entscheidung der Frage ein, ob eine Form als Varietät der anderen anzusehen seye oder nicht, sogar wenn beide durch Zwischenglieder enge miteinander verkettet sind; auch die gewöhnliche Annahme, dass diese Zwischenglieder Bastarde seyen, will nicht immer genügen um die Schwierigkeit zu beseitigen. In sehr vielen Fällen jedoch wird eine Form als eine Varietät der andern erklärt, nicht weil die Zwischenglieder wirklich gefunden worden, sondern weil Analogie den Beobachter verleitet anzunehmen, entweder dass sie noch irgendwo vorhanden sind, oder dass sie früher vorhanden gewesen sind; und damit ist dann Zweifeln und Vermuthungen eine weite Thüre geöffnet.

Wenn es sich daher um die Frage handelt, ob eine Form als Art oder als Varietät zu bestimmen seye, scheint die Meinung der Naturforscher von gesundem Urtheil und reicher Erfahrung der einzige Führer zu bleiben. Gleichwohl können wir in vielen Fällen uns nur auf eine Majorität der Meinungen berufen; denn es lassen sich nur wenige wohl-bezeichnete und wohl-bekannte Varietäten namhaft machen, die nicht schon bei wenigstens einem oder dem anderen sachkundigen Richter als Species gegolten hätte.

Dass Varietäten von so zweifelhafter Natur keinesweges selten seyen, kann nicht in Abrede gestellt werden. Man vergleiche die von verschiedenen Botanikern geschriebenen Floren von Grossbritannien, Frankreich oder den Vereinten Staaten mit einander und sehe, was für eine erstaunliche Anzahl von Formen von dem einen Naturforscher als gute Arten und von dem andern als blosse Varietäten angesehen werden. Herr H. C. WATSON, welchem ich zur innigsten Erkenntlichkeit für Unterstützung aller Art verbunden bin, hat mir 182 Britische Pflanzen bezeichnet, welche gewöhnlich als Varietäten eingereiht werden, aber auch[S. 60] schon alle von Botanikern für Arten erklärt worden sind; dabei hat er noch manche leichtere aber auch schon von einem oder dem anderen Botaniker als Art aufgenommene Varietät übergangen und einige sehr polymorphe Sippen gänzlich ausser Acht gelassen. Unter Sippen, welche die am meisten polymorphen Formen enthalten, führt BABINGTON 251, BENTHAM dagegen nur 112 Arten auf, ein Unterschied von 139 zweifelhaften Formen! Unter den Thieren, welche sich zu jeder Paarung vereinigen und sehr ortwechselnd sind, können dergleichen zweifelhafte zwischen Art und Varietät schwankende Formen nicht so leicht in einer Gegend beisammen vorkommen, sind aber in getrennten Gebieten nicht selten. Wie viele dieser Nordamerikanischen und Europäischen Insekten und Vögel sind von dem einen ausgezeichneten Naturforscher als unzweifelhafte Art und von dem anderen als Varietät oder sogenannte klimatische Rasse bezeichnet worden! Als ich vor vielen Jahren die Vögel von den einzelnen Inseln der Galapagos-Gruppe mit einander verglich und Andre sie vergleichen sah, war ich sehr darüber erstaunt, wie gänzlich schwankend und willkürlich der Unterschied zwischen Art und Varietät ist. Auf den Inselchen der kleinen Madeira-Gruppe kommen viele Insekten vor, welche in WOLLASTONS bewundernswürdigem Werke als Varietäten charakterisirt sind, die aber ohne allen Zweifel von vielen Entomologen als besondre Arten aufgestellt werden würden. Selbst Irland besitzt einige wenige jetzt allgemein als Varietäten angesehene Thiere, die aber von einigen Naturforschern für Arten erklärt worden sind. Einige sehr erfahrene Ornithologen betrachten unser Britisches Rothhuhn (Lagopus) nur als eine scharf bezeichnete Rasse der Norwegischen Art, während die meisten solche für eine unzweifelhaft eigenthümliche Art Grossbritanniens erklären. Eine weite Entfernung zwischen der Heimath zweier zweifelhaften Formen bestimmt viele Naturforscher dieselben für zwei Arten zu erklären; aber nun fragt es sich, welche Entfernung dazu genüge? Wenn die zwischen Europa und Amerika gross genug ist, kann dann auch jene zwischen erstem Kontinente und den Azoren oder Madeira oder den Canarischen Inseln oder Irland genügen? Nur wenige[S. 61] Naturforscher läugnen alle Varietäten-Bildung bei den Thieren; dann sind sie aber genöthigt den geringsten Verschiedenheiten den Werth selbstständiger Arten beizulegen; und wenn nun dieselbe Form identisch in zwei verschiedenen Gegenden oder in zwei verschiedenen geologischen Formationen gefunden wird, gehen sie so weit zu behaupten, dass zwei Arten im nämlichen Gewande stecken. Endlich kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass viele von hoch-befähigten Richtern als Varietäten betrachtete Formen so vollkommen den Charakter von Arten besitzen, dass sie von andern hoch-befähigten Beurtheilern für gute ächte Species erklärt werden. Aber es ist vergebene Arbeit die Frage zu erörtern, ob es Arten oder Varietäten seyen, so lange noch keine Definition von dem Begriffe dieser zwei Ausdrücke allgemein angenommen ist.

Viele dieser stark ausgeprägten Varietäten oder zweifelhaften Arten verdienten wohl eine nähere Beachtung, weil man vielerlei interessante Beweis-Mittel aus ihrer geographischen Verbreitung, analogen Variationen, Bastard-Bildungen u. s. w. herbeigeholt hat, um die ihnen gebührende Rangstufe festzustellen. Ich will hier nur ein Beispiel anführen, das von den zwei Formen der Schlüsselblumen, Primula veris und Pr. elatior. Diese zwei Pflanzen weichen bedeutend im Aussehen von einander ab; jede hat einen anderen Geruch und Geschmack; sie blühen zu etwas verschiedener Zeit und wachsen an etwas verschiedenen Standorten; sie gehen an Bergen bis in verschiedene Höhen hinauf und haben eine verschiedene geographische Verbreitung; endlich lassen sie sich nach den vielen in den letzten Jahren von einem äusserst sorgfältigen Beobachter, GÄRTNER, angestellten Versuchen nur sehr schwierig mit einander kreutzen. Man kann also schwerlich bessre Beweise dafür wünschen, dass beide Formen verschiedene Arten bilden. Auf der andern Seite aber werden sie durch zahlreiche Zwischenglieder mit einander verkettet, und es ist zweifelhaft, ob Solches Bastarde sind; darin liegt aber ein überwiegender Grad von Experimental-Beweis dafür, dass sie von gemeinsamen Ältern abstammen und mithin nur als Varietäten zu betrachten sind. Ich muss jedoch erklären, dass nach[S. 62] meinen neueren Beobachtungen über die Geschlechts-Verhältnisse der lang- und kurz-griffeligen Formen dieser Sippe und nach andern noch nicht beendigten Versuchen Primula vulgaris und Primula veris zwei gute und ganz verschiedene Arten seyn dürften.

Sorgfältige Forschung wird in den meisten Fällen die Naturforscher zur Verständigung darüber bringen, wofür die zweifelhaften Formen zu halten sind. Doch müssen wir bekennen, dass es gerade in den am besten bekannten Gegenden die meisten zweifelhaften Formen gibt. Ich war über die Thatsache erstaunt, dass von solchen Thieren und Pflanzen, welche dem Menschen in ihrem Natur-Zustande sehr nützlich sind oder aus irgend einer anderen Ursache seine besondre Aufmerksamkeit erregen, fast überall Varietäten angeführt werden. Diese Varietäten werden jedoch oft von einem oder dem andern Autor als Arten bezeichnet. Wie sorgfältig ist die gemeine Eiche studirt worden! Nun macht aber ein Deutscher Autor über ein Dutzend Arten aus den Formen, welche bis jetzt stets als Varietäten angesehen wurden; und in diesem Lande können unter den höchsten botanischen Gewährsmännern und vorzüglichsten Praktikern welche sowohl zu Gunsten der Meinung, dass die Trauben- und die Stiel-Eiche gut unterschiedene Arten seyen, wie auch andre für die gegentheilige Ansicht nachgewiesen werden.

Wenn ein junger Naturforscher eine ihm ganz unbekannte Gruppe von Organismen zu studiren beginnt, so macht ihn anfangs die Frage verwirrt, was für Unterschiede die Arten bezeichnen, und welche von ihnen nur Varietäten angehören; denn er weiss noch nichts von der Art und der Grösse der Abänderungen, deren die Gruppe fähig ist; und Diess beweiset eben wieder, wie allgemein wenigstens einige Variation ist. Wenn er aber seine Aufmerksamkeit auf eine Klasse in einer Gegend beschränkt, so wird er bald darüber im Klaren seyn, wofür er diese zweifelhaften Formen anzuschlagen habe. Er wird im Allgemeinen geneigt seyn, viele Arten zu machen, weil ihn, so wie die vorhin erwähnten Tauben- oder Hühner-Freunde, das Maas der Abänderung in den seither von ihm studirten Formen[S. 63] betroffen macht, und weil er noch wenig allgemeine Kenntniss von analoger Abänderung in andern Gruppen und andern Gegenden zur Berichtigung jener zuerst empfangenen Eindrücke besitzt. Dehnt er nun den Kreis seiner Beobachtung weiter aus, so wird er noch auf andre Schwierigkeiten stossen; er wird einer grossen Anzahl nahe verwandter Formen begegnen. Erweitern sich seine Erfahrungen noch mehr, so wird er endlich in seinem eignen Kopfe darüber einig werden, was Varietät und was Spezies zu nennen seye; aber er wird zu diesem Ziele nur gelangen, indem er viel Veränderlichkeit zugibt, und er wird die Richtigkeit seiner Annahme von andern Naturforschern oft in Zweifel gezogen sehen. Wenn er nun überdiess verwandte Formen aus andern nicht unmittelbar angrenzenden Ländern zu studiren Gelegenheit erhält, in welchem Falle er kaum hoffen darf die Mittelglieder zwischen diesen zweifelhaften Formen zu finden, so wird er sich fast ganz auf Analogie verlassen müssen, und seine Schwierigkeiten werden sich bedeutend steigern.

Eine bestimmte Grenzlinie ist bis jetzt sicherlich nicht gezogen worden, weder zwischen Arten und Unterarten, d. i. solchen Formen, welche nach der Meinung einiger Naturforscher den Rang einer Spezies nahezu aber doch nicht gänzlich erreichen, noch zwischen Unterarten und ausgezeichneten Varietäten, noch endlich zwischen den geringeren Varietäten und individuellen Verschiedenheiten. Diese Verschiedenheiten greifen, in eine Reihe geordnet, unmerklich in einander, und die Reihe weckt die Vorstellung von einem wirklichen Übergang.

Daher werden die individuellen Abweichungen, welche für den Systematiker nur wenig Werth haben, für uns von grosser Wichtigkeit, weil sie die erste Stufe zu denjenigen geringeren Varietäten bilden, welche man in naturgeschichtlichen Werken der Erwähnung werth zu halten pflegt. Ich sehe ferner diejenigen Abänderungen, welche etwas erheblicher und beständiger sind, als die nächste Stufe an, welche uns zu den mehr auffälligen und bleibenderen Varietäten führt, wie uns diese zu den Subspezies und endlich Spezies leiten. Der Übergang von einer dieser Stufen in die andre nächst-höhere mag in einigen Fällen[S. 64] lediglich von der lang-währenden Einwirkung verschiedener natürlicher Bedingungen in zwei verschiedenen Gegenden herrühren; doch habe ich nicht viel Vertrauen zu dieser Ansicht und schreibe den Übergang von einer leichten Abänderung zu einer wesentlicher verschiedenen Varietät der Wirkung der Natürlichen Züchtung mittelst Anhäufung individueller Abweichungen der Struktur in gewisser steter Richtung zu, wie nachher näher auseinandergesetzt werden soll. Ich glaube daher, dass man eine gut ausgeprägte Varietät mit Recht eine beginnende Spezies nennen kann; ob sich aber dieser Glaube rechtfertigen lasse, muss aus dem allgemeinen Gewichte der in diesem Werke beigebrachten Thatsachen und Ansichten ermessen werden.

Es ist nicht nöthig zu unterstellen, dass alle Varietäten oder beginnenden Spezies sich wirklich zum Range einer Art erheben. Sie können in diesem Beginnungs-Zustande wieder erlöschen; oder sie können als solche Varietäten lange Zeiträume durchlaufen, wie WOLLASTON von den Varietäten gewisser Landschnecken-Arten auf Madeira gezeigt[9]. Gedeihet eine Varietät derartig, dass sie die älterliche Spezies in Zahl übertrifft, so sieht man sie für die Art und die Art für die Varietät an; sie kann die älterliche Art aber allmählich auch ganz ersetzen und überleben; oder endlich beide können wie unabhängige Arten neben einander fortbestehen. Doch, wir werden nachher auf diesen Gegenstand zurückkommen.

Aus diesen Bemerkungen geht hervor, dass ich den Kunstausdruck „Species“ als einen nur willkürlich und der Bequemlichkeit halber auf eine Reihe von einander sehr ähnlichen Individuen angewendeten betrachte, und dass er von dem Kunstausdrucke „Varietät“ nicht wesentlich, sondern nur insofern verschieden ist, als dieser auf minder abweichende und noch mehr schwankende Formen Anwendung findet. Und eben so ist die[S. 65] Unterscheidung zwischen „Varietät“ und „individueller Abänderung“ nur eine Sache der Willkür und Bequemlichkeit.

Durch theoretische Betrachtungen geleitet habe ich geglaubt, dass sich einige interessante Ergebnisse in Bezug auf die Natur und die Beziehungen der am meisten variirenden Arten darbieten würden, wenn man alle Varietäten aus verschiedenen wohl-bearbeiteten Floren tabellarisch zusammenstellte. Anfangs schien mir Diess eine einfache Sache zu seyn. Aber Herr H. C. WATSON, dem ich für seine werthvollen Dienste und Hilfe in dieser Beziehung sehr dankbar bin, überzeugte mich bald, dass Diess mit vielen Schwierigkeiten verknüpft seye, was späterhin Dr. HOOKER in noch bestimmterer Weise bestätigte. Ich behalte mir daher für mein künftiges Werk die Erörterung dieser Schwierigkeiten und die Tabellen über die Zahlen-Verhältnisse der variirenden Spezies vor. Dr. HOOKER erlaubt mir noch beizufügen, dass, nachdem er meine handschriftlichen Aufzeichnungen und Tabellen sorgfältig durchgelesen, er die folgenden Feststellungen für vollkommen wohl begründet halte. Der ganze Gegenstand aber, welcher hier nothwendig nur sehr kurz abgehandelt werden muss, ist ziemlich verwickelt, zumal Bezugnahmen auf das „Ringen um Existenz“ auf die „Divergenz des Charakters“ und andre erst später zu erörternde Fragen nicht vermieden werden können.

ALPHONS DECANDOLLE u. a. Botaniker haben gezeigt, dass solche Pflanzen, die sehr weit ausgedehnte Verbreitungs-Bezirke besitzen, gewöhnlich auch Varietäten darbieten, wie sich ohnediess schon erwarten lässt, weil sie verschiedenen physikalischen Einflüssen ausgesetzt sind und mit anderen Gruppen von Organismen in Mitbewerbung kommen, was, wie sich nachher ergeben soll, von noch viel grösserer Wichtigkeit ist. Meine Tabellen zeigen aber ferner, dass auch in einem beschränkten Gebiete die gemeinsten, d. h. die in den zahlreichsten Individuen vorkommenden Arten und jene, welche innerhalb ihrer eignen Gegend am meisten verbreitet sind (was von „weiter Verbreitung“ und in gewisser Weise von „Gemeinseyn“ wohl zu unterscheiden), oft zur Entstehung von hinreichend bezeichneten[S. 66] Varietäten Veranlassung geben, um sie in botanischen Werken aufgezählt zu finden. Es sind mithin die am üppigsten gedeihenden oder, wie man sie nennen kann, dominirenden Arten, nämlich die am weitesten über die Erd-Oberfläche ausgedehnten, die in ihrer eignen Gegend am allgemeinst verbreiteten, es sind die an Individuen reichsten Arten, welche am öftesten wohl ausgeprägte Varietäten oder, wie man sie nennen möchte, Beginnende Spezies liefern. Und Diess ist vielleicht vorauszusehen gewesen; denn so wie Varietäten, um einigermaassen stet zu werden, nothwendig mit andern Bewohnern der Gegend zu kämpfen haben, so werden auch die bereits herrschend gewordenen Arten am meisten geeignet seyn Nachkommen zu liefern, welche, mit einigen leichten Veränderungen, diejenigen Vorzüge noch weiter zu vererben im Stande sind, wodurch ihre Ältern über ihre Landesgenossen das Übergewicht errungen haben. Bei diesen Bemerkungen über das Übergewicht ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie sich nur auf diejenigen Formen beziehen, welche zu andern und namentlich zu Gliedern derselben Sippe oder Klasse mit ganz ähnlicher Lebensweise im Verhältnisse der Mitbewerbung stehen.

Hinsichtlich der Gemeinheit oder der Individuen-Zahl einer Art erstreckt sich daher die Vergleichung nur auf Glieder der nämlichen Gruppe. Man mag eine Pflanze eine herrschende nennen, wenn sie an Individuen reicher und weiter verbreitet als die andern unter nahezu ähnlichen Verhältnissen lebenden Pflanzen der nämlichen Gegend ist. Eine solche Pflanze wird in dem hier gebrauchten Sinne darum nicht weniger eine herrschende seyn, weil etwa eine Konferve des Wassers oder ein schmarotzender Pilz unendlich viel zahlreicher an Individuen und noch weiter verbreitet ist als sie. Wenn aber eine Konferve oder ein Schmarotzer-Pilz seine Verwandten in den oben genannten Beziehungen übertrifft, dann ist es eine herrschende Form unter den Pflanzen ihrer eignen Klasse.

Wenn man die eine Gegend bewohnenden und in einer Flora derselben beschriebenen Pflanzen in zwei gleiche Haufen theilt, wovon der eine alle Arten aus grossen, und der andre[S. 67] alle aus kleinen Sippen enthält, so wird man eine etwas grössere Anzahl sehr gemeiner und sehr verbreiteter oder herrschender Arten auf Seiten der grossen Sippen finden. Auch Diess hat vorausgesehen werden können; denn schon die einfache Thatsache, dass viele Arten einer und der nämlichen Sippe eine Gegend bewohnen, zeigt etwas in der organischen oder unorganischen Beschaffenheit der Gegend für die Sippe Günstiges an, daher man erwarten durfte, in den grösseren oder viele Arten enthaltenden Sippen auch eine verhältnissmässig grosse Anzahl herrschender Arten zu finden. Aber es gibt so viele Ursachen, welche dieses Ergebniss zu verhüllen streben, dass ich erstaunt bin, in meinen Tabellen doch noch ein kleines Übergewicht auf Seiten der grossen Sippen zu finden. Ich will hier nur zwei Ursachen dieser Verhüllungen anführen. Süsswasser- und Salz-Pflanzen haben gewöhnlich weit ausgedehnte Bezirke und eine starke Verbreitung; Diess scheint aber mit der Natur ihrer Standorte zusammenzuhängen und hat wenig oder gar keine Beziehung zu dem Arten-Reichthum der Sippen, wozu sie gehören. Ebenso sind Pflanzen von unvollkommenen Organisations-Stufen gewöhnlich viel weiter als die hoch organisirten verbreitet, und auch hier besteht keine nahe Beziehung zur Grösse der Sippen. Die Ursache dieser letzten Erscheinung soll in unseren Kapiteln über die geographische Verbreitung erörtert werden.

Indem ich die Arten nur als stark ausgeprägte und wohl umschriebene Varietäten betrachtete, war ich im Stande vorauszusagen, dass die Arten der grösseren Sippen einer Gegend öfter, als die der kleineren, Varietäten darbieten würden; denn wo immer sich viele einander nahe verwandte Arten (die der grösseren Sippen) gebildet haben, werden sich im Allgemeinen auch viele Varietäten derselben oder beginnende Arten zu bilden geneigt seyn, — wie da, wo viele grosse Bäume wachsen, man viele junge Bäumchen aufkommen zu sehen erwarten darf. Wo viele Arten einer Sippe durch Variation entstanden sind, da sind die Umstände günstig für Variation gewesen und möchte man mithin auch erwarten, sie noch jetzt günstig zu finden. Wenn wir dagegen jede Art als einen besonderen Akt der Schöpfung[S. 68] betrachten, so ist kein Grund einzusehen, wesshalb verhältnissmässig mehr Varietäten in einer Arten-reichen Gruppe als in einer solchen mit wenigen Arten vorkommen sollten.

Um die Richtigkeit dieser Voraussagung zu beweisen, habe ich die Pflanzen-Arten in zwölf verschiedenen Ländern und die Käfer-Arten in zwei verschiedenen Gebieten in je zwei einander fast gleiche Haufen getheilt, die Arten der grossen Sippen auf der einen und die der kleinen auf der andern Seite, und es hat sich beharrlich überall dasselbe Ergebniss gezeigt, dass eine verhältnissmässig grössre Anzahl von Arten bei den grossen Sippen Varietäten haben als bei den kleinen. Überdiess bieten die Arten der grossen Sippen, welche überhaupt Varietäten haben, eine verhältnissmässig grössere Varietäten-Zahl dar, als die der kleineren. Zu diesen beiden Ergebnissen gelangt man auch, wenn man die Eintheilung anders macht und alle Sippen mit nur 1–4 Arten ganz aus den Tabellen ausschliesst. Diese Thatsachen sind von klarer Bedeutung für die Ansicht, dass Arten nur streng ausgeprägte und bleibende Varietäten sind; denn wo immer viele Arten in einerlei Sippe gebildet worden sind oder wo, wenn der Ausdruck erlaubt ist, die Arten-Fabrikation thätig betrieben worden ist, müssen wir gewöhnlich diese Fabrikation noch in Thätigkeit finden, zumal wir alle Ursache haben zu glauben, dass das Fabrikations-Verfahren ein sehr langsames seye. Und Diess ist sicherlich der Fall, wenn Varietäten als beginnende Arten zu betrachten; denn meine Tabellen zeigen deutlich ganz allgemein, dass, wo immer viele Arten einer Sippe gebildet worden sind, diese Arten eine den Durchschnitt übersteigende Anzahl von Varietäten oder beginnenden neuen Arten enthalten. Damit soll nicht gesagt werden, dass alle grossen Sippen jetzt sehr variiren und in Vermehrung ihrer Arten-Zahl begriffen sind, oder dass keine kleine Sippe jetzt Varietäten bilde und wachse; denn dieser Fall wäre sehr verderblich für meine Theorie, zumal uns die Geologie klar beweiset, dass kleine Sippen im Laufe der Zeit oft sehr gross geworden, und dass grosse Sippen, nachdem sie ihr Maximum erreicht, wieder zurückgesunken und endlich verschwunden sind.[S. 69] Alles, was hier zu beweisen nöthig ist, beschränkt sich darauf, dass da, wo viele Arten in einer Sippe gebildet worden, auch noch jetzt durchschnittlich viele in Bildung begriffen sind; und Diess ist nachgewiesen.

Es gibt aber noch andere beachtenswerthe Beziehungen zwischen den Arten grosser Sippen und den angeführt werdenden Varietäten derselben. Wir haben gesehen, dass es kein untrügliches Unterscheidungs-Merkmal zwischen Arten und stark ausgeprägten Varietäten gibt; und in jenen Fällen, wo Mittelglieder zwischen zweifelhaften Formen noch nicht gefunden worden, sind die Naturforscher genöthigt, ihre Bestimmung von der Grösse der Verschiedenheiten zwischen zwei Formen abhängig zu machen, indem sie nach der Analogie urtheilen, ob deren Betrag genüge, um nur eine oder alle beide zum Range von Arten zu erheben. Der Betrag der Verschiedenheit ist mithin ein sehr wichtiges Merkmal bei der Bestimmung, ob zwei Formen für Arten oder für Varietäten gelten sollen. Nun haben FRIES in Bezug auf die Pflanzen und WESTWOOD hinsichtlich der Insekten die Bemerkung gemacht, dass in grossen Sippen der Grad der Verschiedenheit zwischen den Arten oft ausserordentlich klein ist. Ich habe Diess in Zahlen-Durchschnitten zu prüfen gesucht und, so weit meine noch unvollkommenen Ergebnisse reichen, bestätigt gefunden. Ich habe mich desshalb auch bei einigen genauen und erfahrenen Beobachtern befragt und nach Auseinandersetzung der Sache gefunden, dass sie in derselben übereinstimmen. In dieser Hinsicht gleichen demnach die Arten der grossen Sippen den Varietäten mehr, als die Arten der kleinen. Nun kann man die Sache aber auch anders ausdrücken und sagen, dass in den grösseren Sippen, wo eine den Durchschnitt übersteigende Anzahl von Varietäten oder beginnenden Species noch jetzt fabricirt worden, viele der bereits fertigen Arten doch bis zu einem gewissen Grade Varietäten gleichen, insofern sie durch einen weniger als gewöhnlich grosses Maass von Verschiedenheit von einander getrennt werden.

Überdiess stehen die Arten grosser Sippen in derselben Beziehung, wie die Varietäten einer Art zu einander. Kein[S. 70] Naturforscher glaubt, dass alle Arten einer Sippe in gleichem Grade von einander verschieden sind; sie werden daher gewöhnlich noch in Subgenera, in Sectionen oder noch untergeordnetere Gruppen getheilt. Wie FRIES bemerkt, sind diese kleinen Arten-Gruppen gewöhnlich wie Satelliten um gewisse andere Arten geschaart. Und was sind Varietäten anders als Formen-Gruppen von ungleicher wechselseitiger Verwandtschaft um gewisse Formen versammelt, um die Stamm-Arten nämlich? Unzweifelhaft ist ein grössrer Unterschied zwischen Arten als zwischen Varietäten, insbesondre ist der Betrag der Verschiedenheit der Varietäten von einander oder von ihren Stamm-Arten kleiner, als der zwischen den Arten derselben Sippe. Wenn wir aber zur Erörterung des Princips, wie ich es nenne, der „Divergenz des Charakters“ kommen, so werden wir sehen, wie Diess zu erklären, und wie die geringeren Verschiedenheiten zwischen Varietäten erwachsen zu den grösseren Verschiedenheiten zwischen den Arten.

Es gibt da noch einen andern Punkt, welcher mir der Beachtung werth scheint. Varietäten haben gewöhnlich eine beschränktere Verbreitung, was schon aus dem Vorigen folgt; denn wäre eine Varietät weiter verbreitet, als ihre angebliche Stamm-Art, so müsste deren Bezeichnung umgekehrt werden. Es ist aber auch Grund vorhanden zu glauben, dass diejenigen Arten, welche sehr nahe mit anderen Arten verwandt sind und insoferne Varietäten gleichen, oft engre Verbreitungs-Grenzen haben. So hat mir z. B. Herr H. C. WATSON in dem wohlgesichteten Londoner Pflanzen-Katalog (vierte Ausgabe) 63 Pflanzen bemerkt, welche als Arten darin aufgeführt sind, die er aber für so nahe mit anderen Arten verwandt hält, dass ihr Rang zweifelhaft wird. Diese 63 gering-werthigen Arten verbreiten sich im Mittel über 6,9 der Provinzen, in welche WATSON Grossbritannien eingetheilt hat. Nun sind im nämlichen Kataloge auch 53 anerkannte Varietäten aufgezählt, und diese erstrecken sich über 7,7 Provinzen, während die Arten, wozu diese Varietäten gehören, sich über 14,3 Provinzen ausdehnen. Daher denn die anerkannten Varietäten eine beinahe eben so beschränkte mittle[S. 71] Verbreitung besitzen, als jene nahe verwandten Formen, welche WATSON als zweifelhafte Arten bezeichnet hat, die aber von Britischen Botanikern gewöhnlich für gute und ächte Arten genommen werden. Endlich haben dann Varietäten auch die nämlichen allgemeinen Charaktere, wie Species; denn sie können von Arten nicht unterschieden werden, ausser, erstens, durch die Entdeckung von Mittelgliedern, und das Vorkommen solcher Glieder kann den wirklichen Charakter der Formen, welche sie verketten, nicht berühren, — und ausser, zweitens, durch ein gewisses Maass von Verschiedenheit, indem zwei Formen, welche nur sehr wenig von einander abweichen, allgemein nur als Varietäten angesehen werden, wenn auch verbindende Mittelglieder noch nicht entdeckt worden sind; aber dieser Betrag von Verschiedenheit, welcher zur Erhebung zweier Formen zum Arten-Rang nöthig, ist ganz unbestimmt. In Sippen, welche mehr als die mittle Arten-Zahl in einer Gegend haben, zeigen die Arten auch mehr als die Mittelzahl von Varietäten. In grossen Sippen lassen sich die Arten nahe, aber in ungleichem Grade, mit einander verbinden zu kleinen um gewisse Arten geordneten Gruppen. Sehr nahe mit einander verwandte Arten sind von offenbar beschränkter Verbreitung. In all diesen verschiedenen Beziehungen zeigen die Arten grosser Sippen eine strenge Analogie mit Varietäten. Und man kann diese Analogie’n klar begreifen, wenn Arten einstens nur Varietäten gewesen und aus diesen hervorgegangen sind; wogegen diese Analogie’n ganz unverständlich seyn würden, wenn jede Species von den andern unabhängig erschaffen worden wäre.

Wir haben nun gesehen, dass es die am besten gedeihende und herrschende Species der grösseren Sippen in jeder Klasse ist, die im Durchschnitte genommen am meisten variirt; und Varietäten haben, wie wir hernach finden werden, Neigung in neue und unterschiedene Arten überzugehen. Dadurch neigen auch die grossen Sippen zur Vergrösserung, und in der ganzen Natur streben die Lebens-Formen, welche jetzt herrschend sind, noch immer mehr herrschend zu werden durch Hinterlassung vieler abgeänderter und herrschender Abkömmlinge. Aber durch nachher[S. 72] zu erläuternde Abstufungen streben auch die grösseren Sippen immer mehr in kleine auseinander zu treten. Und so werden die Lebensformen auf der ganzen Erde in Gruppen und Untergruppen weiter abgetheilt.

Drittes Kapitel.
Der Kampf um’s Daseyn.

Stützt sich auf natürliche Züchtung. Der Ausdruck im weitern Sinne gebraucht. Geometrische Zunahme. Rasche Vermehrung naturalisirter Pflanzen und Thiere. Natur der Hindernisse der Zunahme. Allgemeine Mitbewerbung. Wirkungen des Klimas. Schutz durch die Zahl der Individuen. Verwickelte Beziehungen aller Thiere und Pflanzen in der ganzen Natur. Kampf auf Leben und Tod zwischen Einzelwesen und Varietäten einer Art, oft auch zwischen Arten einer Sippe. Beziehung von Organismus zu Organismus die wichtigste aller Beziehungen.

Ehe wir auf den Gegenstand dieses Kapitels eingehen, muss ich einige Bemerkungen voraussenden, um zu zeigen, wie das Ringen um das Daseyn sich auf natürliche Züchtung stütze. Es ist im letzten Kapitel nachgewiesen worden, dass die Organismen im Natur-Zustande eine individuelle Variabilität besitzen, und ich wüsste in der That nicht, dass Diess je bestritten worden wäre. Es ist für uns unwesentlich, ob eine Menge von zweifelhaften Formen Art, Unterart oder Varietät genannt werde; welchen Rang z. B. die 200–300 zweifelhaften Formen Britischer Pflanzen einzunehmen berechtigt sind, wenn die Existenz ausgeprägter Varietäten zulässig ist. Aber das blosse Daseyn einer individuellen Veränderlichkeit und einiger wohl-bezeichneter Varietäten, wenn auch nothwendig zu Begründung dieses Werkes, hilft uns nicht viel, um zu begreifen, wie Arten in der Natur entstehen. Wie sind alle diese vortrefflichen Anpassungen von einem Theile der Organisation an den andern und an die äusseren Lebensbedingungen, und von einem organischen Wesen an ein anderes bewirkt worden? Wir sehen diese schöne Anpassung am klarsten bei dem Specht und der Mistelpflanze und nur wenig minder[S. 73] deutlich am niedersten Parasiten, welcher sich an das Haar eines Säugthieres oder die Federn eines Vogels anklammert; am Bau des Käfers, welcher ins Wasser untertaucht; am befiederten Saamen, der vom leichtesten Lüftchen getragen wird; kurz wir sehen schöne Anpassungen überall und in jedem Theile der organischen Welt.

Dagegen kann man fragen, wie kommt es, dass die Varietäten, die ich beginnende Species genannt habe, sich zuletzt in gute und abweichende Species verwandeln, welche meistens unter sich viel mehr, als die Varietäten der nämlichen Art verschieden sind? Wie entstehen diese Gruppen von Arten, welche als verschiedene Genera bezeichnet werden und mehr als die Arten dieser Genera von einander abweichen? Alle diese Wirkungen erfolgen unvermeidlich, wie wir im nächsten Abschnitte sehen werden, aus dem Ringen um’s Daseyn. In diesem Wettkampfe wird jede Abänderung, wie gering und auf welche Weise immer sie entstanden seyn mag, wenn sie nur einigermassen vortheilhaft für das Individuum einer Species ist, in dessen unendlich verwickelten Beziehungen zu anderen Wesen und zur äusseren Natur mehr zur Erhaltung dieses Individuums mitwirken und sich gewöhnlich auf dessen Nachkommen übertragen. Ebenso wird der Nachkömmling mehr Aussicht haben, die vielen anderen Einzelwesen dieser Art, welche von Zeit zu Zeit geboren werden, von denen aber nur eine kleinere Zahl am Leben bleibt, zu überdauern. Ich habe dieses Princip, wodurch jede solche geringe, wenn nützliche Abänderung erhalten wird, mit dem Namen „Natürliche Züchtung“ belegt, um dessen Beziehung zur Züchtung des Menschen zu bezeichnen. Wir haben gesehen, dass der Mensch durch Auswahl zum Zwecke der Nachzucht grosse Erfolge sicher zu erzielen und organische Wesen seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen im Stande ist durch die Häufung kleiner aber nützlicher Abweichungen, die ihm durch die Hand der Natur dargeboten werden. Aber die Natürliche Auswahl ist, wie wir nachher sehen werden, unaufhörlich thätig und des Menschen schwachen Bemühungen so unvergleichbar überlegen, wie es die Werke der Natur überhaupt denen der Kunst sind.

[S. 74]

Wir wollen nun den Kampf um’s Daseyn etwas mehr ins Einzelne erörtern. In meinem späteren Werke über diesen Gegenstand soll er, wie er es verdient, in grösserem Umfang besprochen werden. Der ältere DECANDOLLE und LYELL haben reichlich und in philosophischer Weise nachgewiesen, dass alle organischen Wesen im Verhältnisse der Mitbewerbung zu einander stehen. In Bezug auf die Pflanzen hat Niemand diesen Gegenstand mit mehr Geist und Geschicklichkeit behandelt als W. HERBERT, der Dechant von Manchester, offenbar in Folge seiner ausgezeichneten Gartenbau-Kenntnisse. Nichts ist leichter als in Worten die Wahrheit des allgemeinen Wettkampfes um’s Daseyn zuzugestehen, und nichts schwerer, als — wie ich wenigstens gefunden habe — dieselbe im Sinne zu behalten. Und bevor wir solche nicht dem Geiste fest eingeprägt, bin ich überzeugt, dass wir den ganzen Haushalt der Natur, die Vertheilungs-Weise, die Seltenheit und den Überfluss, das Erlöschen und Abändern in derselben nur dunkel oder ganz unrichtig begreifen werden. Wir sehen die Natur äusserlich in Heiterkeit strahlen, wir sehen bloss Überfluss an Nahrung; aber wir sehen nicht oder vergessen, dass die Vögel, welche um uns her sorglos ihren Gesang erschallen lassen, meistens von Insekten oder Saamen leben und mithin beständig Leben vertilgen; oder wir vergessen, wie viele dieser Sänger oder ihrer Eier oder ihrer Nestlinge unaufhörlich von Raubvögeln u. a. Feinden zerstört werden; wir behalten nicht immer im Sinne, dass, wenn auch das Futter jetzt im Überfluss vorhanden, Diess doch nicht zu allen Zeiten im Umlaufe des Jahres der Fall ist.

Ich will voraussenden, dass ich den Ausdruck „Ringen um’s Daseyn“ in einem weiten und metaphorischen Sinne gebrauche, in sich begreifend die Abhängigkeit der Wesen von einander und, was wichtiger ist, nicht allein das Leben des Individuums, sondern auch die Sicherung seiner Nachkommenschaft. Man kann mit Recht sagen, dass zwei Hunde in Zeiten des Mangels um Nahrung und Leben miteinander kämpfen. Aber man kann auch sagen, eine Pflanze ringe am Rande der Wüste um ihr Daseyn mit der Trockniss, obwohl es angemessener wäre zu sagen, sie[S. 75] seye von Feuchtigkeit abhängig. Von einer Pflanze, welche alljährlich tausend Saamen erzeugt, unter welchen im Durchschnitte nur einer zur Entwicklung kommt, kann man noch richtiger sagen, sie ringe um’s Daseyn mit andern Pflanzen derselben oder anderer Arten, welche bereits den Boden bekleiden. Die Mistel ist abhängig vom Apfelbaum und einigen anderen Baum-Arten; doch kann man nur in einem weit-ausholenden Sinne sagen, sie ringe mit diesen Bäumen; denn wenn zu viele dieser Schmarotzer auf demselben Stamme wachsen, so wird er verkümmern und sterben. Wachsen aber mehre Sämlinge derselben dicht auf einem Aste beisammen, so kann man in Wahrheit sagen, sie ringen miteinander. Da die Saamen der Mistel von Vögeln ausgestreut werden, so hängt ihr Daseyn mit von dem der Vögel ab und man kann metaphorisch sagen, sie ringen mit andern Beeren-tragenden Pflanzen, damit die Vögel eher ihre Früchte verzehren und ihre Saamen ausstreuen, als die der andern. In diesen mancherlei Bedeutungen, welche ineinander übergehen, gebrauche ich der Bequemlichkeit halber den Ausdruck „um’s Daseyn ringen“.

Ein Kampf um’s Daseyn folgt unvermeidlich aus der Neigung aller Organismen, sich in starkem Verhältnisse zu vermehren. Jedes Wesen, das während seiner natürlichen Lebenszeit mehre Eier oder Saamen hervorbringt, muss während einer Periode seines Lebens oder zu gewisser Jahreszeit oder in einem zufälligen Jahre Zerstörung erfahren; sonst würde seine Zahl in geometrischer Progression rasch zu so ausserordentlicher Grösse anwachsen, dass keine Gegend das Erzeugniss zu ernähren im Stande wäre. Wenn daher mehr Individuen erzeugt werden, als möglicher Weise fortbestehen können, so muss jedenfalls ein Kampf um das Daseyn entstehen, entweder zwischen den Individuen einer Art oder zwischen denen verschiedener Arten, oder zwischen ihnen und den äusseren Lebens-Bedingungen. Es ist die Lehre von MALTHUS, in verstärkter Kraft übertragen auf das gesammte Thier- und Pflanzen-Reich; denn in diesem Falle ist keine künstliche Vermehrung der Nahrungsmittel und keine vorsichtige Enthaltung vom Heirathen möglich. Obwohl[S. 76] daher einige Arten jetzt in mehr oder weniger rascher Zunahme begriffen seyn mögen: alle können es nicht zugleich, denn die Welt würde sie nicht fassen.

Es gibt keine Ausnahme von der Regel, dass jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise in dem Grade vermehre, dass, wenn es nicht durch Zerstörung litte, die Erde bald von der Nachkommenschaft eines einzigen Paares bedeckt seyn würde. Selbst der Mensch, welcher sich doch nur langsam vermehrt, verdoppelt seine Anzahl in fünfundzwanzig Jahren, und bei so fortschreitender Vervielfältigung würde die Welt schon nach einigen Tausend Jahren keinen Raum mehr für seine Nachkommenschaft haben. LINNÉ hat berechnet, dass, wenn eine einjährige Pflanze nur zwei Saamen erzeugte (und es gibt keine Pflanze, die so wenig produktiv wäre) und ihre Sämlinge gäben im nächsten Jahre wieder zwei u. s. w., sie in zwanzig Jahren schon eine Million Pflanzen liefern würde. Man sieht den Elephanten als das sich am langsamsten vermehrende von allen bekannten Thieren an. Ich habe das wahrscheinliche Minimum seiner natürlichen Vermehrung zu berechnen gesucht, unter der Voraussetzung, dass seine Fortpflanzung erst mit dreissig Jahren beginne und bis zum neunzigsten Jahre währe, und dass er in dieser Zeit nur drei Paar Junge zur Welt bringe. In diesem Falle würden nach fünfhundert Jahren schon fünfzehn Millionen Elephanten von dem ersten Paare vorhanden seyn.

Doch wir haben bessre Belege für diese Sache, als bloss theoretische Berechnungen, namentlich in den oft berichteten Fällen von erstaunlich rascher Vermehrung verschiedener Thier-Arten im Natur-Zustande, wenn die natürlichen Bedingungen zwei oder drei Jahre lang dafür günstig gewesen sind. Noch schlagender sind die von unseren in verschiedenen Weltgegenden verwilderten Hausthier-Arten hergenommenen Beweise, so dass, wenn die Behauptungen von der Zunahme der sich doch nur langsam vermehrenden Rinder und Pferde in Süd-Amerika und neuerlich in Australien nicht sehr wohl bestätigt wären, sie ganz unglaublich erscheinen müssten. Eben so ist es mit den Pflanzen. Es lassen sich Fälle von eingeführten Pflanzen aufzählen, welche[S. 77] auf ganzen Inseln gemein geworden sind in weniger als zehn Jahren. Einige der Pflanzen, welche jetzt in solcher Zahl über die weiten Ebenen von la Plata verbreitet sind, dass sie alle anderen Pflanzen daselbst ausschliessen, sind aus Europa eingebracht worden; und eben so gibt es, wie ich von Dr. FALCONER gehört, in Ostindien Pflanzen, welche jetzt vom Cap Comorin bis zum Himalaya reichen und seit der Entdeckung von Amerika von dorther eingeführt worden sind. In Fällen dieser Art, von welchen endlose Beispiele angeführt werden könnten, wird Niemand unterstellen, dass die Fruchtbarkeit solcher Pflanzen und Thiere plötzlich und zeitweise in einem bemerklichen Grade zugenommen habe. Die handgreifliche Erklärung ist, dass die äussern Lebens-Bedingungen sehr günstig, dass in dessen Folge die Zerstörung von Jung und Alt geringer und mithin fast alle Abkömmlinge im Stande gewesen sind, sich fortzupflanzen. In solchen Fällen genügt schon das geometrische Verhältniss der Zahlen-Vermehrung, dessen Resultat nie verfehlt Erstaunen zu erregen, um einfach das ausserordentliche Wachsthum und die weite Verbreitung eingeführter Natur-Produkte in ihrer neuen Heimath zu erklären. Im Natur-Zustande bringen fast alle Pflanzen jährlich Saamen hervor, und unter den Thieren sind nur sehr wenige, die sich nicht jährlich paarten. Wir können daher mit Sicherheit behaupten, dass alle Pflanzen und Thiere sich in geometrischem Verhältnisse vermehren, dass sie jede zu ihrer Ansiedelung geeignete Gegend sehr rasch zu bevölkern im Stande seyen, und dass das Streben zur geometrischen Vermehrung zu irgend einer Zeit ihres Lebens beschränkt werden muss. Unsre genauere Bekanntschaft mit den grösseren Hausthieren könnte zwar unsre Meinung in dieser Beziehung irre leiten, da wir keine grosse Störung unter ihnen eintreten sehen; aber wir vergessen, dass Tausende jährlich zu unsrer Nahrung geschlachtet werden, und dass im Natur-Zustande wohl eben so viele irgendwie beseitigt werden würden.

Der einzige Unterschied zwischen den Organismen, welche jährlich Tausende von Eiern oder Saamen hervorbringen, und jenen welche deren nur sehr wenige liefern, besteht darin, dass[S. 78] diese unter günstigen Verhältnissen ein paar Jahre länger als jene zur Bevölkerung eines Bezirks nöthig haben, seye derselbe auch noch so gross. Der Condor legt zwei Eier und der Strauss deren zwanzig, und doch dürfte in einer und derselben Gegend der Condor leicht der häufigere von beiden werden. Der Eis-Sturm-Vogel (Procellaria glacialis) legt nur ein Ei, und doch glaubt man er seye der zahlreichste Vogel in der Welt. Die eine Fliege legt hundert Eier und die andre wie z. B. Hippobosca deren nur eines; Diess bedingt aber nicht die Menge der Individuen, die in einem Bezirk ihren Unterhalt finden können. Eine grosse Anzahl von Eiern ist von einiger Wichtigkeit für eine Art, deren Futter-Vorräthe raschen Schwankungen unterworfen sind; denn diese muss ihre Vermehrung in kurzer Frist bewirken. Aber wesentliche Wichtigkeit erlangt eine grosse Zahl von Eiern oder Saamen der Grösse der Zerstörung gegenüber, welche zu irgend einer Lebenszeit erfolgt, und diese Zeit des Lebens ist in der grossen Mehrheit der Fälle eine sehr frühe. Kann ein Thier in irgend einer Weise seine eigenen Eier und Junge schützen, so wird es deren eine geringere Anzahl erzeugen und diese ganze durchschnittliche Anzahl aufbringen; werden aber viele Eier oder Junge zerstört, so müssen deren viele erzeugt werden, wenn die Art nicht untergehen soll. Wird eine Baum-Art durchschnittlich tausend Jahre alt, so würde es zur Erhaltung ihrer vollen Anzahl genügen, wenn sie in tausend Jahren nur einen Saamen hervorbrächte, vorausgesetzt, dass dieser eine nie zerstört würde und auf einen sicheren für die Keimung geeigneten Platz gelangen könnte. So hängt in allen Fällen die mittle Anzahl von Individuen einer Pflanzen- oder Thier-Art nur indirekt von der Zahl der Saamen oder Eier ab, die sie liefert.

Bei Betrachtung der Natur ist es nöthig, diese Ergebnisse immer im Sinne zu behalten und nie zu vergessen, dass man von jedem einzelnen Organismus unsrer Umgebung sagen kann, er strebe nach der äussersten Vermehrung seiner Anzahl, dass aber jeder in irgend einem Zeit-Abschnitte seines Lebens in einem Kampfe mit feindlichen Bedingungen begriffen seye, und dass grosse Zerstörung unvermeidlich über Jung oder Alt ergehe[S. 79] in jeder Generation oder in wiederkehrenden Perioden. Wird irgend ein Hinderniss beseitigt oder die Zerstörung noch so wenig gemindert, so wird in der Regel augenblicklich die Zahl der Individuen stärker anwachsen.

Was für Hindernisse es sind, welche das natürliche Streben jeder Art nach Vermehrung ihrer Anzahl beschränken, ist meistens unklar. Betrachtet man die am kräftigsten gedeihenden Arten, so wird man finden dass, je grösser ihre Zahl wird, desto mehr ihr Streben nach weitrer Vermehrung zunimmt. Wir wissen nicht einmal in einem einzelnen Falle genau, welches die Hindernisse der Vermehrung sind. Diess wird jedoch niemanden in Verwunderung setzen, der sich erinnert, wie unwissend wir in dieser Beziehung bei dem Menschen selbst sind, welcher doch ohne Vergleich besser bekannt ist als irgend eine andre Thier-Art. Doch ist dieser Gegenstand von mehren Schriftstellern vortrefflich erörtert worden; ich werde in meinem späteren Werke über mehre der Hindernisse mit einiger Ausführlichkeit handeln und insbesondre auf die Raubthiere Südamerika’s etwas näher eingehen. Hier mögen nur einige wenige Bemerkungen Raum finden, nur um dem Leser einige Hauptpunkte ins Gedächtniss zu rufen. Eier und ganz junge Thiere scheinen am meisten zu leiden, doch ist Diess nicht ganz ohne Ausnahme. Den Pflanzen wird zwar eine gewaltige Menge von Saamen zerstört; aber nach einigen Beobachtungen scheint es mir, als litten die Sämlinge am meisten, wenn sie auf einem schon mit andern Pflanzen dicht bestockten Boden wachsen. Auch die Sämlinge werden noch in grosser Menge durch verschiedene Feinde vernichtet. So beobachtete ich auf einer locker umgegrabenen Boden-Fläche von 3′ Länge und 2′ Breite 357 Sämlinge unsrer verschiedenen Holz-Arten, wovon nicht weniger als 295 hauptsächlich durch Schnecken und Insekten zerstört wurden. Wenn man einen Rasen, der lang abgemähet wurde (und der Fall wird der nämliche bleiben, wenn er durch Säugthiere kurz abgeweidet worden), wachsen lässt, so werden die kräftigeren Pflanzen allmählich die minder kräftigen wenn auch voll ausgewachsenen tödten; und in einem solchen Falle hat man von zwanzig auf[S. 80] einem nur 3′ auf 4′ grossen Fleck beisammen wachsenden Arten neun zwischen den anderen nun üppiger aufwachsenden zu Grunde gehen sehen.

Die für eine jede Art vorhandene Nahrungs-Menge bestimmt die äusserste Grenze, bis zu welcher sie sich vermehren kann; aber in vielen Fällen wird die Vermehrung einer Thier-Art schon weit unter dieser Grenze dadurch gehemmt, dass sie selbst wieder einer andern zur Beute wird. Es scheint daher wenig Zweifel unterworfen zu seyn, dass der Bestand an Feld- und Hasel-Hühnern, Hasen u. s. w. grossentheils hauptsächlich von der Zerstörung der kleinen Raubthiere abhängig ist. Wenn in England in den nächsten zwanzig Jahren kein Stück Wildpret geschossen, aber auch keine solche Raubthiere zerstört würden, so würde nach aller Wahrscheinlichkeit der Wild-Stand nachher geringer seyn als jetzt, obwohl jetzt Hunderte und Tausende von Stücken Wildes erlegt werden. Anderseits gibt es aber auch einige Fälle wo, wie bei Elephant und Nashorn, eine Zerstörung durch Raubthiere gar nicht stattfindet, und selbst der Indische Tiger wagt es nur sehr selten einen jungen von seiner Mutter geschützten Elephanten anzugreifen.

Das Klima hat ferner einen wesentlichen Antheil an Bestimmung der durchschnittlichen Individuen-Zahl einer Art, und ich glaube dass ein periodischer Eintritt von äusserst kalter oder trockener Jahreszeit zu den wirksamsten aller Hemmnisse gehört. Ich schätze hauptsächlich nach der geringen Anzahl von Nestern im nachfolgenden Frühling, dass der Winter 1854–55 auf meinen eigenen Jagd-Gründen vier Fünftheile aller Vögel zerstört hat; und Diess ist eine furchtbare Zerstörung, wenn wir berücksichtigen, dass bei dem Menschen eine durch Seuchen verursachte Sterblichkeit von 10 Prozent schon ganz ausserordentlich stark ist. Die Wirkung des Klimas scheint beim ersten Anblick ganz unabhängig von dem Kampfe um die Existenz zu seyn; wenn aber das Klima hauptsächlich die Nahrung vermindert, veranlasst es den heftigsten Kampf zwischen den Einzelwesen, seye es nur einer oder seye es verschiedener Arten, welche von derselben Nahrung leben. Selbst wenn ein, z. B. äusserst kaltes, Klima[S. 81] unmittelbar wirkt, sind es die mindest kräftigen oder diejenigen Individuen, die beim vorrückenden Winter am wenigsten Futter bekommen haben, welche am meisten leiden. Wenn wir von Süden nach Norden oder aus einer feuchten in eine trockene Gegend wandern, werden wir stets einige Arten immer seltener und seltener werden und zuletzt gänzlich verschwinden sehen; und da der Wechsel des Klima’s zu Tage liegt, so werden wir am ehesten versucht seyn den ganzen Erfolg seiner direkten Einwirkung zuzuschreiben. Und doch ist Diess eine falsche Ansicht; wir vergessen dabei, dass jede Art selbst da, wo sie am häufigsten ist, in irgend einer Zeit ihres Lebens durch Feinde oder durch Mitbewerber um ihre Nahrung oder ihre Wohnstelle ungeheure Zerstörung erfährt; und wenn diese Feinde oder Mitbewerber nur im Mindesten durch irgend einen Wechsel des Klima’s begünstigt werden, so wachsen sie an Zahl, und da jede Fläche bereits vollständig mit Bewohnern besetzt ist, so muss die andre Art zurückweichen. Wenn wir auf dem Wege nach Süden eine Art in Abnahme begriffen sehen, so fühlen wir gewiss, dass die Ursache mehr in anderen begünstigten Arten liegt, als in dieser einen benachtheiligten. Eben so, wenn wir nordwärts gehen, obgleich in einem etwas geringeren Grade, weil die Zahl aller Arten und somit aller Mitbewerber gegen Norden hin abnimmt. Daher kömmt es, dass, wenn wir nach Norden oder einen Berg hinauf gehen, wir weit öfters verkümmerten Formen begegnen, welche von unmittelbar schädlichen Einflüssen des Klima’s herrühren, als wenn wir nach Süden oder bergab gehen. Erreichen wir endlich die arktischen Regionen oder die Schnee-bedeckten Berg-Spitzen oder vollkommene Wüsten, so findet das Ringen ums Daseyn hauptsächlich gegen die Elemente statt.

Dass die Wirkung des Klima’s vorzugsweise eine indirekte und durch Begünstigung andrer Arten vermittelt seye, ergibt sich klar aus der wunderbar grossen Menge solcher Pflanzen in unseren Gärten, welche zwar vollkommen im Stande sind unser Klima zu ertragen, aber niemals naturalisirt werden können, weil sie weder den Wettkampf mit anderen Pflanzen aushalten[S. 82] noch der Zerstörung durch unsere einheimischen Thiere widerstehen können.

Wenn sich eine Art durch sehr günstige Umstände auf einem kleinen Raume zu ausserordentlicher Anzahl vermehrt, so sind Seuchen (so ist es wenigstens bei unseren Hausthieren gewöhnlich der Fall) oft die Folge davon, und hier haben wir ein vom Ringen ums Daseyn unabhängiges Hemmniss. Doch scheint wenigstens ein Theil dieser sogenannten Epidemien von parasitischen Würmern herzurühren, welche durch irgend eine Ursache und vielleicht durch die Leichtigkeit der Verbreitung zwischen gekreuzten Rassen unverhältnissmässig begünstigt worden sind, und so fände hier gewissermaassen ein Ringen zwischen den Würmern und ihren Nährthieren statt.

Andrerseits ist in vielen Fällen wieder ein grosser Bestand von Individuen derselben Art unumgänglich für ihre Erhaltung nöthig. Man kann daher leicht Getreide, Repssaat u. s. w. in Masse auf unseren Feldern erziehen, weil hier deren Saamen in grossem Übermaasse gegenüber den Vögeln vorhanden sind, welche davon leben; und doch können diese Vögel, wenn sie auch mehr als nöthig Futter in der einen Jahreszeit haben, nicht im Verhältniss zur Menge dieses Futters zunehmen, weil die ganze Anzahl im Winter nicht ihr Fortkommen fände. Dagegen weiss jeder, der es versucht hat, Saamen aus Weitzen oder andern solchen Pflanzen im Garten zu erziehen, wie mühesam Diess ist. Ich habe in solchen Fällen jedes Saamenkorn verloren. Diese Anschauungsweise von der Nothwendigkeit eines grossen Bestandes einer Art für ihre Erhaltung erklärt, wie mir scheint, einige eigenthümliche Fälle in der Natur, wie z. B. dass sehr seltene Pflanzen zuweilen sehr zahlreich auf einem kleinen Fleck beisammen vorkommen; und dass manche gesellige Pflanzen gesellig oder in grosser Zahl beisammen selbst auf der äussersten Grenze ihres Verbreitungs-Bezirkes gefunden werden. In solchen Verhältnissen kann man glauben, eine Pflanzen-Art vermöge nur da zu bestehen, wo die Lebens-Bedingungen so günstig sind, dass ihrer viele beisammen leben und so einander vor äusserster Zerstörung bewahren können. Ich möchte hinzufügen, dass die[S. 83] guten Folgen einer häufigen Kreutzung und die schlimmen einer reinen Inzucht wahrscheinlich in einigen dieser Fälle mit in Betracht kommen; doch will ich mich über diesen verwickelten Gegenstand hier nicht weiter verbreiten.

Man berichtet viele Beispiele, aus denen sich ergibt, wie zusammengesetzt und wie unerwartet die gegenseitigen Beschränkungen und Beziehungen zwischen organischen Wesen sind, die in einerlei Gegend mit einander zu ringen haben. Ich will nur ein solches Beispiel anführen, das, wenn auch einfach, mich angesprochen hat. In Staffordshire auf einem Gute, über dessen Verhältnisse nachzuforschen ich in günstiger Lage war, befand sich eine grosse äusserst unfruchtbare Haide, die nie von eines Menschen Hand berührt worden. Doch waren einige Hundert Acker derselben von genau gleicher Beschaffenheit mit dem Übrigen fünfundzwanzig Jahre zuvor eingezäunt und mit der Schottischen Kiefer bepflanzt worden. Die Veränderung in der ursprünglichen Vegetation des bepflanzten Theiles war äusserst merkwürdig, mehr als man gewöhnlich wahrnimmt, wenn man auf einen ganz verschiedenen Boden übergeht. Nicht allein erschienen die Zahlen-Verhältnisse zwischen den Haide-Pflanzen gänzlich verändert, sondern es blüheten auch in der Pflanzung noch zwölf solche Arten, Ried- u. a. Gräser ungerechnet, von welchen auf der Haide nichts zu finden war. Die Wirkung auf die Kerbthiere muss noch viel grösser gewesen seyn, da in der Pflanzung sechs Species Insekten-fressender Vögel sehr gemein waren, von welchen in der Haide nichts zu sehen gewesen, welche dagegen von zwei bis drei andren Arten derselben besucht wurde. Wir bemerken hier, wie mächtig die Folgen der Einführung einer einzelnen Baum-Art gewesen, indem durchaus nichts sonst geschehen war, ausser der Abhaltung des Wildes durch die Einfriedigung. Was für ein wichtiges Element aber die Einfriedigung seye, habe ich deutlich zu Farnham in Surrey erkannt. Hier waren ausgedehnte Haiden mit ein paar Gruppen alter Schottischer Kiefern auf den Rücken der entfernteren Hügel; in den letzten 10 Jahren waren ansehnliche Strecken eingefriedigt worden, und innerhalb dieser Einfriedigungen schoss in Folge[S. 84] von Selbstbesaamung eine Menge junger Kiefern auf, so dicht beisammen, dass nicht alle fortleben können. Nachdem ich erfahren, dass diese jungen Stämmchen nicht absichtlich gesäet oder gepflanzt worden, war ich um so mehr erstaunt über deren Anzahl, als ich mich sofort nach mehren Seiten wandte, um Hunderte von Acres der nicht eingefriedigten Haide zu untersuchen, wo ich jedoch ausser den gepflanzten alten Gruppen buchstäblich genommen auch nicht eine Kiefer zu finden vermochte. Da ich mich jedoch genauer zwischen den Stämmen der freien Haide umsah, fand ich eine Menge Sämlinge und kleiner Bäumchen, welche aber fortwährend von den Rinder-Heerden abgeweidet worden waren. Auf einem eine Elle im Quadrat messenden Fleck mehre Hundert Schritte von den alten Baum-Gruppen entfernt zählte ich 32 solcher abgeweideten Bäumchen, wovon eines nach der Zahl seiner Jahres-Ringe zu schliessen 26 Jahre lang gehindert worden war sich über die Haide-Pflanzen zu erheben und dann zu Grunde gegangen ist. Kein Wunder also, dass, sobald das Land eingefriedigt worden, es dicht von kräftigen jungen Kiefern überzogen wurde. Und doch war die Haide so äusserst unfruchtbar und so ausgedehnt, dass niemand geglaubt hätte, dass das Rindvieh hier so dicht und so erfolgreich nach Futter gesucht habe.

Wir sehen hier das Vorkommen der Schottischen Kiefer in Abhängigkeit vom Rinde; in andern Weltgegenden ist es von gewissen Insekten abhängig. Vielleicht bietet Paraguay das merkwürdigste Beispiel dar; denn hier sind niemals Rinder, Pferde oder Hunde verwildert, obwohl sie im Süden und Norden davon in verwildertem Zustande umherschwärmen. AZARA und RENGGER haben gezeigt, dass die Ursache dieser Erscheinung in Paraguay in dem häufigeren Vorkommen einer gewissen Fliege zu finden seye, welche ihre Eier in den Nabel der neu-geborenen Jungen dieser Thier-Arten legt. Die Vermehrung dieser Fliege muss gewöhnlich durch irgend ein Gegengewicht und vermuthlich durch Vögel gehindert werden. Wenn daher gewisse Insekten-fressende Vögel, deren Zahl wieder durch Raubvögel und Fleisch-Fresser geregelt werden mag,[S. 85] in Paraguay zunähme, so würden sich die Fliegen vermindern und Rind und Pferd verwildern, was dann wieder (wie ich in einigen Theilen Südamerika’s wirklich beobachtet habe) eine bedeutende Veränderung in der Pflanzen-Welt veranlassen würde. Diess müsste nun in hohem Grade auf die Insekten und hiedurch, wie wir in Staffordshire gesehen, auf die Insekten-fressenden Vögel wirken, und so fort in immer und verwickelteren Kreisen. Wir haben diese Belege mit Insekten-fressenden Vögeln begonnen und endigen damit. Doch sind in der Natur die Verhältnisse nicht immer so einfach, wie hier. Kampf um Kampf mit veränderlichem Erfolge muss immer wiederkehren; aber in die Länge halten die Kräfte einander so genau das Gleichgewicht, dass die Natur auf weite Perioden hinaus immer ein gleiches Aussehen behält, obwohl gewiss oft die unbedeutendste Kleinigkeit genügen würde, einem organischen Wesen den Sieg über das andre zu verleihen. Demungeachtet ist unsre Unwissenheit so gross, dass wir uns verwundern, wenn wir von dem Erlöschen eines organischen Wesens vernehmen; und da wir die Ursache nicht sehen, so rufen wir Umwälzungen zu Hilfe um die Welt zu verwüsten, oder erfinden Gesetze über die Dauer der Lebenformen.

Ich bin versucht durch ein weitres Beispiel nachzuweisen, wie solche Pflanzen und Thiere, welche auf der Stufenleiter der Natur am weitesten von einander entfernt stehen, durch ein Gewebe von verwickelten Beziehungen mit einander verkettet werden. Ich werde nachher Gelegenheit haben zu zeigen, dass die ausländische Lobelia fulgens in diesem Theile von England niemals von Insekten besucht wird und daher nach ihrem eigenthümlichen Blüthen-Bau nie eine Frucht ansetzen kann. Viele unsrer Orchideen-Pflanzen müssen unbedingt von Motten besucht werden, um ihre Pollen-Massen wegzunehmen und sie zu befruchten. Ich habe durch Versuche ermittelt, dass Hummeln zur Befruchtung der Jelängerjelieber (Viola tricolor) unentbehrlich sind, indem andre Bienen sich nie auf dieser Blume einfinden. Eben so habe ich gefunden, dass der Besuch der Bienen zur Befruchtung von mehren unsrer Klee-Arten nothwendig seye. So lieferten mir hundert Stöcke weissen Klee’s (Trifolium repens)[S. 86] 2290 Saamen, während 20 andre Pflanzen dieser Art, welche den Bienen unzugänglich gemacht waren, nicht einen Saamen zur Entwicklung brachten. Und eben so ergaben hundert Stöcke rothen Klee’s (Trifolium pratense) 2700 Saamen, und die gleiche Anzahl gegen Bienen geschützter Stöcke nicht einen! Hummeln besuchen allein diesen rothen Klee, indem andre Bienen-Arten den Nektar dieser Blume nicht erreichen können. Auch von Motten hat man unterstellt, dass sie zur Befruchtung des Klee’s beitragen; ich zweifle aber wenigstens daran, dass Diess mit dem rothen Klee der Fall ist, indem sie nicht schwer genug sind, um die Seiten-Blätter der Blumenkrone niederzudrücken, daher man wohl annehmen darf, dass wenn die ganze Sippe der Hummeln in England sehr selten oder ganz vertilgt würde, auch Jelängerjelieber und rother Klee sehr selten werden oder ganz verschwinden müssten. Die Zahl der Hummeln steht grossentheils in einem entgegengesetzten Verhältnisse zu der der Feldmäuse in derselben Gegend, welche deren Nester und Waben aufsuchen. Herr H. NEWMAN, welcher die Lebens-Weise der Hummeln lange beobachtet, glaubt dass über zwei Drittel derselben durch ganz England zerstört werden. Nun findet aber, wie Jedermann weiss, die Zahl der Mäuse ein grosses Gegengewicht in der der Katzen, so dass NEWMAN sagt, in der Nähe von Dörfern und Flecken habe er die Zahl der Hummel-Nester am grössten gefunden, was er der reichlicheren Zerstörung der Mäuse durch die Katzen zuschreibe. Daher ist es denn wohl glaublich, dass die reichliche Anwesenheit eines Katzen-artigen Thieres in irgend einem Bezirke durch Vermittelung von Mäusen und Bienen auf die Menge gewisser Pflanzen daselbst von Einfluss seyn kann!

Bei jeder Species kommen wahrscheinlich verschiedene Arten Gegengewicht in Betracht, solche die in verschiedenen Perioden des Lebens, und solche die während verschiedener Jahres-Zeiten wirken. Eines oder einige derselben mögen mächtiger als die andern seyn; aber alle zusammen bedingen die Durchschnitts-Zahl der Individuen oder selbst die Existenz der Art. In manchen Fällen lässt sich nachweisen, dass sehr verschiedene Gegengewichte in verschiedenen Gegenden auf eine Species einwirken.[S. 87] Wenn wir Büsche und Pflanzen betrachten, welche einen zerfallenen Wall überziehen, so sind wir geneigt, ihre Arten und deren Zahlen-Verhältnisse dem Zufalle zuzuschreiben. Doch wie falsch ist diese Ansicht! Jedermann hat gehört, dass, wenn in Amerika ein Wald niedergehauen wird, eine ganz verschiedene Pflanzenwelt zum Vorschein kommt, und doch ist beobachtet worden, dass die Bäume, welche jetzt auf den alten Indianer-Wällen im Süden der Vereinten Staaten wachsen, deren früherer Baum-Bestand abgetrieben worden, jetzt wieder eben dieselbe bunte Manchfaltigkeit und dasselbe Arten-Verhältniss wie die umgebenden jungfräulichen Haine darbieten. Welch ein Wettringen muss hier Jahrhunderte lang zwischen den verschiedenen Baum-Arten stattgefunden haben, deren jede ihre Saamen jährlich zu Tausenden abwirft! Was für ein Kampf zwischen Insekten und Insekten u. a. Gewürm mit Vögeln und Raubthieren, welche alle sich zu vermehren strebten, alle sich von einander oder von den Bäumen und ihren Saamen und Sämlingen, oder von jenen andern Pflanzen nährten, welche anfänglich den Grund überzogen und hiedurch das Aufkommen der Bäume gehindert hatten. Wirft man eine Hand voll Federn in die Lüfte, so müssen alle nach bestimmten Gesetzen zu Boden fallen; aber wie einfach ist das Problem, wohin eine jede fallen wird, in Vergleich zu der Wirkung und Rückwirkung der zahllosen Pflanzen und Thiere, die im Laufe von Jahrhunderten Arten und Zahlen-Verhältniss der Bäume bestimmt haben, welche jetzt auf den alten indianischen Ruinen wachsen!

Abhängigkeit eines organischen Wesens von einem andern, wie die des Parasiten von seinem Ernährer, findet in der Regel zwischen solchen Wesen statt, welche auf der Stufenleiter der Natur weit auseinander sind. Diess ist oft bei solchen der Fall, von denen man ganz richtig sagen kann, sie kämpfen miteinander auch um ihr Daseyn, wie Gras-fressende Säugthiere und Heuschrecken. Aber der meistens ununterbrochen-fortdauernde Kampf wird der heftigste seyn, der zwischen den Einzelwesen einer Art stattfindet, welche dieselben Bezirke bewohnen, dasselbe Futter verlangen und denselben Gefahren ausgesetzt sind. Bei[S. 88] Varietäten der nämlichen Art wird der Kampf meistens eben so heftig seyn, und zuweilen sehen wir den Streit schon in kurzer Zeit entschieden. So werden z. B., wenn wir verschiedene Weitzen-Varietäten durcheinander säen, und ihren gemischten Saamen-Ertrag wieder säen, einige Varietäten, welche dem Klima und Boden am besten entsprechen oder von Natur die fruchtbarsten sind, die andern überbieten und, indem sie mehr Saamen liefern, schon nach wenigen Jahren gänzlich ersetzen. Um einen gemischten Stock von so äusserst nahe verwandten Varietäten aufzubringen, wie die verschieden-farbigen Zuckererbsen sind, muss man sie jedes Jahr gesondert ärndten und dann die Saamen im erforderlichen Verhältnisse jedesmal auf’s Neue mengen, wenn nicht die schwächeren Sorten von Jahr zu Jahr abnehmen und endlich ganz ausgehen sollen.

So verhält es sich auch mit den Schaaf-Rassen. Man hat versichert, dass gewisse Gebirgs-Varietäten derselben unter andern Gebirgs-Varietäten aussterben, so dass sie nicht durch einander gehalten werden können. Zu demselben Ergebnisse ist man gelangt, als man versuchte, verschiedene Abänderungen des medizinischen Blutegels durcheinander zu halten. Und ebenso ist zu bezweifeln, dass die Varietäten von irgend einer unsrer Kultur-Pflanzen oder Hausthier-Arten so genau dieselbe Stärke, Gewohnheiten und Konstitution besitzen, dass sich die ursprünglichen Zahlen-Verhältnisse eines gemischten Bestandes derselben auch nur ein halbes Dutzend Generationen hindurch zu erhalten vermöchten, wenn sie wie die organischen Wesen im Natur-Zustande mit einander zu ringen veranlasst wären und der Saamen oder die Jungen nicht alljährlich sortirt würden.

Da die Arten einer Sippe gewöhnlich, doch keineswegs immer, einige Ähnlichkeit mit einander in Gewohnheiten und Konstitution und immer in der Struktur besitzen, so wird der Kampf zwischen Arten einer Sippe, welche in Mitbewerbung mit einander gerathen, gewöhnlich ein härterer seyn, als zwischen Arten verschiedener Sippen. Wir sehen Diess an der neuerlichen Ausbreitung einer Schwalben-Art über einen Theil der Vereinten Staaten, wo sie die Abnahme einer andern Art veranlasst. Die[S. 89] Vermehrung der Misteldrossel in einigen Theilen von Schottland hat daselbst die Abnahme der Singdrossel zur Folge gehabt. Wie oft hören wir, dass eine Ratten-Art den Platz einer andern eingenommen, in den verschiedensten Klimaten. In Russland hat die kleine asiatische Schabe (Blatta) ihren grösseren [?] Sippen-Genossen überall vor sich hergetrieben. Eine Art Ackersenf ist im Begriffe eine andre zu ersetzen. In Australien ist die eingeführte Stock-Biene im Begriff die kleine einheimische Biene ohne Stachel rasch zu vertilgen u. s. w. Wir vermögen undeutlich zu erkennen, warum die Mitbewerbung zwischen den verwandtesten Formen am heftigsten ist, welche nahezu denselben Platz im Haushalte der Natur ausfüllen; aber wahrscheinlich werden wir in keinem einzigen Falle genauer anzugeben im Stande seyn, wie es zugegangen, dass in dem grossen Wettringen um das Daseyn die eine den Sieg über die andre davon getragen hat.

Aus den vorangehenden Bemerkungen lässt sich als Folgesatz von grösster Wichtigkeit ableiten, dass die Struktur eines jeden organischen Wesens auf die innigste aber oft verborgene Weise mit der aller andern organischen Wesen zusammenhängt, mit welchen es in Mitbewerbung um Nahrung oder Wohnung in Beziehung steht, welche es zu vermeiden hat, und von welchen es lebt. — Diess erhellt eben so deutlich im Baue der Zähne und der Klauen des Tigers, wie in der Bildung der Beine und Krallen des Parasiten, welcher an des Tigers Haaren hängt. Zwar an dem zierlich gefiederten Saamen des Löwenzahns wie an den abgeplatteten und gewimperten Beinen des Wasserkäfers scheint anfänglich die Beziehung nur auf das Luft- und Wasser-Element beschränkt. Aber der Vortheil des fiedergrannigen Löwenzahn-Saamens steht ohne Zweifel in der engsten Beziehung zu dem durch andre Pflanzen bereits dicht besetzten Lande, so dass er in der Luft erst weit umhertreiben muss, um auf einen noch freien Boden fallen zu können. Den Wasserkäfer dagegen befähigt die Bildung seiner Beine vortrefflich zum Untertauchen, wodurch er in den Stand gesetzt wird, mit anderen Wasser-Insekten in Mitbewerbung zu treten, indem er nach seiner eignen[S. 90] Beute jagt, und anderen Thieren zu entgehen, welche ihn zu ihrer Ernährung verfolgen.

Der Vorrath von Nahrungs-Stoff, welcher in den Saamen vieler Pflanzen niedergelegt ist, scheint anfänglich keine Art von Beziehung zu anderen Pflanzen zu haben. Aber aus dem lebhaften Wachsthum der jungen Pflanzen, welche aus solchen Saamen (wie Erbsen, Bohnen u. s. w.) hervorgehen, wenn sie mitten in hohes Gras ausgestreut worden, vermuthe ich, dass jener Nahrungs-Vorrath hauptsächlich dazu bestimmt ist, das Wachsthum des jungen Sämlings zu beschleunigen, welcher mit andern Pflanzen von kräftigem Gedeihen rund um ihn her zu kämpfen hat.

Warum verdoppelt oder vervierfacht eine Pflanze in der Mitte ihres Verbreitungs-Bezirkes nicht ihre Zahl? Wir wissen, dass sie recht gut etwas mehr oder weniger Hitze und Kälte, Trockne und Feuchtigkeit aushalten kann; denn anderwärts verbreitet sie sich in etwas wärmere oder kältere, feuchtere oder trockenere Bezirke. Wir sehen wohl ein, dass, wenn wir in Gedanken wünschten, der Pflanze das Vermögen noch weiterer Zunahme zu verleihen, wir ihr irgend einen Vortheil über die andern mit ihr werbenden Pflanzen oder über die sich von ihr nährenden Thiere gewähren müssten. An den Grenzen ihrer geographischen Verbreitung würde eine Veränderung ihrer Konstitution in Bezug auf das Klima offenbar von wesentlichem Vortheil für unsre Pflanze seyn. Wir haben jedoch Grund zu glauben, dass nur wenige Pflanzen- oder Thier-Arten sich so weit verbreiten, dass sie durch die Strenge des Klima’s allein zerstört werden. Nur wo wir die äussersten Grenzen des Lebens überhaupt erreichen, in den arktischen Regionen oder am Rande der dürresten Wüste, da hört auch die Mitbewerbung auf. Mag das Land noch so kalt oder trocken seyn, immer werden sich noch einige Arten oder noch die Individuen derselben Art um das wärmste oder feuchteste Fleckchen streiten.

Daher sehen wir auch, dass, wenn eine Pflanzen- oder eine Thier-Art in eine neue Gegend zwischen neue Mitbewohner versetzt wird, die äusseren Lebens-Bedingungen meistens wesentlich[S. 91] andre sind, wenn auch das Klima genau dasselbe wie in der alten Heimath bliebe. Wünschten wir das durchschnittliche Zahlen-Verhältniss dieser Art in ihrer neuen Heimath zu steigern, so müssten wir ihre Natur in einer andern Weise modifiziren, als es hätte in ihrer alten Heimath geschehen müssen; denn sie bedarf eines Vortheils über eine andre Reihe von Mitbewerbern oder Feinden, als sie dort gehabt hat.

Versuchten wir in unsrer Einbildungskraft, dieser oder jener Form einen Vortheil über eine andre zu verleihen, so wüssten wir wahrscheinlich in keinem einzigen Falle, was zu thun seye, um zu diesem Ziele zu gelangen. Wir würden die Überzeugung von unsrer Unwissenheit über die Wechselbeziehungen zwischen allen organischen Wesen gewinnen: einer Überzeugung, welche eben so nothwendig ist, als sie schwer zu erlangen scheint. Alles was wir thun können, ist: stets im Sinne behalten, dass jedes organische Wesen nach Zunahme in einem geometrischen Verhältnisse strebt; dass jedes zu irgend einer Zeit seines Lebens oder zu einer gewissen Jahreszeit, während seiner Fortpflanzung oder nach unregelmässigen Zwischenräumen grosse Zerstörung zu erleiden hat. Wenn wir über diesen Kampf um’s Daseyn nachdenken, so mögen wir uns selbst trösten mit dem vollen Glauben, dass der Krieg der Natur nicht ununterbrochen ist, dass keine Furcht gefühlt wird, dass der Tod im Allgemeinen schnell ist, und dass es der Kräftigere, der Gesundere und Geschicktere ist, welcher überlebt und sich vermehrt.

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Viertes Kapitel.
Natürliche Züchtung.

Natürliche Auswahl zur Nachzucht; — ihre Gewalt im Vergleich zu der des Menschen; — ihre Gewalt über Eigenschaften von geringer Wichtigkeit; — ihre Gewalt in jedem Alter und über beide Geschlechter; — Sexuelle Zuchtwahl. — Über die Allgemeinheit der Kreutzung zwischen Individuen der nämlichen Art. — Umstände günstig oder ungünstig für die Natürliche Züchtung, insbesondere Kreutzung, Isolation und Individuen-Zahl. — Langsame Wirkung. Erlöschung durch Natürliche Züchtung verursacht. — Divergenz des Charakters, in Bezug auf die Verschiedenheit der Bewohner einer kleinen Fläche und auf Naturalisation. — Wirkung der Natürlichen Züchtung auf die Abkömmlinge gemeinsamer Ältern durch Divergenz des Charakters und durch Unterdrückung. — Erklärt die Gruppirung aller organischen Wesen. — Fortschritt in der Organisation. — Erhaltung unvollkommener Formen. — Betrachtung der Einwände. — Unbeschränkte Vermehrung der Arten. — Zusammenfassung.

Wie mag wohl der Kampf um das Daseyn, welcher im letzten Kapitel allzukurz abgehandelt worden, in Bezug auf Variation wirken? Kann das Prinzip der Auswahl für die Nachzucht, welche in des Menschen Hand so viel leistet, in der Natur angewendet werden? Ich glaube, wir werden sehen, dass ihre Thätigkeit eine äusserst wirksame ist. Erwägen wir in Gedanken, mit welch’ endloser Anzahl neuer Eigenthümlichkeiten die Erzeugnisse unsrer Züchtung und, in minderem Grade, die der Natur variiren, und wie stark die Neigung zur Vererbung ist. Durch Zähmung und Kultivirung, kann man wohl sagen, wird die ganze Organisation in gewissem Grade bildsam. Aber die Veränderlichkeit, welche wir an unseren Kultur-Erzeugnissen fast allgemein antreffen, ist, wie HOOKER und ASA GRAY richtig bemerkt haben, nicht direkt durch den Menschen herbeigeführt worden; er kann weder Varietäten entstehen machen, noch ihr Entstehen hindern; er kann nur die vorkommenden erhalten und vermehren. Absichtslos setzt er organische Wesen neuen verändernden Lebens-Bedingungen aus und die Abänderungen beginnen. Aber ähnliche Wechsel der Lebens-Bedingungen kommen auch in der Natur vor. Erwägen wir ferner, wie unendlich[S. 93] verwickelt und wie genau anschliessend die gegenseitigen Beziehungen aller organischen Wesen zu einander und zu den natürlichen Lebens-Bedingungen sind und wie unendlich vielfältige Abänderungen der Struktur mithin einem jeden Wesen unter wechselnden Lebens-Bedingungen nützlich seyn können. Kann man es denn bei Erwägung, wie viele für den Menschen nützliche Abänderungen unzweifelhaft vorkommen, für unwahrscheinlich halten, dass auch andre mehr und weniger einem jeden Wesen selbst in dem grossen und zusammengesetzten Kampfe um’s Leben diensame Abänderungen im Laufe von Tausenden von Generationen zuweilen vorkommen werden? Wenn solche aber vorkommen, bleibt dann noch zu bezweifeln, dass (da offenbar viel mehr Individuen geboren werden, als möglicher Weise fortleben können) diejenigen Einzelwesen, welche irgend einen wenn auch geringen Vortheil vor andern voraus besitzen, die meiste Wahrscheinlichkeit haben, die andern zu überdauern und wieder ihresgleichen hervorzubringen? Andrerseits werden wir gewiss fühlen, dass eine im geringsten Grade nachtheilige Abänderung in gleichem Verhältnisse mehr der Vertilgung ausgesetzt ist. Diese Erhaltung vortheilhafter und Zurücksetzung nachtheiliger Abänderungen ist es, was ich „Natürliche Auswahl oder Züchtung“ nenne[10]. Abänderungen, welche weder vortheilhaft noch nachtheilig sind, werden von der Natürlichen Auswahl nicht berührt, und bleiben ein schwankendes Element, wie wir es vielleicht in den sogenannten polymorphen Arten sehen.

Einige Schriftsteller haben den Ausdruck „Natural Selection“ missverstanden oder unpassend gefunden. Die einen haben sich vorgestellt, Natürliche Züchtung führe zur Veränderlichkeit, während sie doch nur die Erhaltung solcher Varietäten vermittelt, welche dem Organismus in seinen eigenthümlichen Lebens-Beziehungen von Nutzen sind. Niemand macht dem Landwirth einen Vorwurf daraus, dass er von den grossen Wirkungen der Züchtung auf den Menschen spricht, und in diesem Falle müssen die individuellen Eigenthümlichkeiten, welche die Auswahl des Menschen[S. 94] bestimmen, nothwendig zuerst von der Natur verliehen seyn. Andre haben eingewendet, dass der Ausdruck „Selection“ ein Bewusstsein in den Thieren voraussetze, welche verändert werden, — und doch hätten die Pflanzen keinen Willen und seye der Ausdruck auf sie nicht anwendbar. Es unterliegt allerdings keinem Zweifel, dass buchstäblich genommen „Natural Selection“ ein falscher Ausdruck ist; wer hat aber je den Chemiker getadelt, wenn er von einer Wahlverwandtschaft unter seinen chemischen Elementen gesprochen? und doch kann man nicht sagen, dass eine Säure sich die Basis auswähle, mit der sie sich vorzugsweise verbinden wolle. Man hat gesagt ich spreche von Natural Selection wie von einer thätigen Macht oder Gottheit; wer aber erhebt gegen andere einen Einwand, wenn sie von der Anziehung reden, welche die Bewegung der Planeten regelt? Jedermann weiss, was damit gemeint, und ist an solche bildliche Ausdrücke gewöhnt; sie sind ihrer Kürze wegen nothwendig. Eben so schwer ist es eine Personifizirung der Natur zu vermeiden; und doch verstehe ich unter Natur bloss die vereinte Thätigkeit und Leistung der mancherlei Naturgesetze. Bei ein bis’chen Bekanntschaft mit der Sache sind solche oberflächliche Einwände bald vergessen.

Wir werden den wahrscheinlichen Hergang bei der Natürlichen Zuchtwahl am besten verstehen, wenn wir den Fall annehmen, eine Gegend erfahre irgend eine physikalische Veränderung z. B. im Klima. Das Zahlen-Verhältniss seiner Bewohner wird dann unmittelbar ein andres werden, und ein oder die andre Art wird gänzlich erlöschen. Wir dürfen ferner aus dem innigen Abhängigkeits-Verhältnisse der Bewohner einer Gegend von einander schliessen, dass, ausser dem Klima-Wechsel an sich, die Änderung im Zahlen-Verhältnisse eines Theiles ihrer Bewohner auch sehr wesentlich auf die andern wirke. Hat diese Gegend offene Grenzen, so werden gewiss neue Formen einwandern und das Verhältniss eines Theiles der alten Bewohner zu einander ernstlich stören; denn erinnern wir uns, wie folgenreich die Einführung einer einzigen Baum- oder Säugthier-Art in den früher mitgetheilten Beispielen gewesen ist. Handelte es sich dagegen um[S. 95] eine Insel oder um ein so umschränktes Land, dass neue und besser angepasste Formen nicht eindringen können, so werden sich Lücken im Hausstande der Natur ergeben, welche sicherlich besser dadurch ausgefüllt werden, dass einige der ursprünglichen Bewohner eine angemessene Abänderung erfahren; denn, wäre das Land der Einwanderung geöffnet gewesen, so würden sich wohl Eindringlinge dieser Stellen bemächtigt haben. In diesem Falle würde daher jede geringe Abänderung, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hat und irgendwie die Individuen einer oder der andern Species durch bessre Anpassung an die geänderten Lebens-Bedingungen begünstigt, ihre Erhaltung zu gewärtigen haben und die Natürliche Auswahl wird freien Spielraum für ihr Verbesserungs-Werk finden.

Wie in dem ersten Kapitel gezeigt worden, ist Grund zur Annahme vorhanden, dass eine solche Änderung in den Lebens-Bedingungen, welche insbesondere auf das Reproduktiv-System wirkt, Variabilität verursacht, oder sie erhöhet. In dem vorangehenden Falle ist eine Änderung der Lebens-Bedingungen unterstellt worden, und diese wird gewiss für die Natürliche Züchtung insofern günstig gewesen seyn, als mit ihr die Aussicht auf das Vorkommen nützlicher Abänderungen verbunden war; kommen nützliche Abänderungen nicht vor, so kann die Natur keine Auswahl zur Züchtung treffen. Nicht als ob dazu ein äusserstes Mass von Veränderlichkeit nöthig wäre; denn wenn der Mensch grosse Erfolge durch Häufung bloss individueller Verschiedenheiten in einer und derselben Richtung erzielen kann, so vermag es die Natürliche Zuchtwahl in noch weit höherm Grade, da ihr unvergleichlich längre Zeitraume für ihre Plane zu Gebot stehen. Auch glaube ich nicht, dass eben eine grosse klimatische oder andre Veränderung oder ein ungewöhnlicher Grad von Abschränkung gegen die Einwanderung nöthig ist, um neue und noch unausgefüllte Stellen zu schaffen, damit die Natürliche Zuchtwahl sie durch Abänderung und Verbesserung einiger variirender Bewohner der Gegend ausfüllen könne. Denn da alle Bewohner einer jeden Gegend mit gegenseitig genau abgewogenen Kräften in beständigem Kampfe mit einander liegen, so genügen oft schon äusserst[S. 96] geringe Modifikationen in der Bildung oder Lebensweise eines Bewohners, um ihm einen Vortheil über andre zu geben, und weitre Abänderungen in gleicher Richtung werden sein Übergewicht noch vergrössern, so lange als das Wesen unter den nämlichen Lebens-Bedingungen fortbesteht und aus ähnlichen Subsistenz- und Vertheidigungs-Mitteln Nutzen zieht. Es lässt sich keine Gegend bezeichnen, in welcher alle natürlichen Bewohner bereits so vollkommen aneinander und an die äusseren Bedingungen des Lebens angepasst wären, dass keine unter ihnen mehr einer Veredelung fähig wäre; denn in allen Gegenden sind die eingebornen Arten so weit von naturalisirten Erzeugnissen überwunden worden, dass diese Fremdlinge im Stande gewesen sind festen Besitz vom Lande zu nehmen. Und da die Fremdlinge überall einige der Eingeborenen aus dem Felde geschlagen haben, so darf man wohl daraus schliessen dass, wenn diese mit mehr Vorzügen ausgestattet gewesen wären, sie solchen Eindringlingen mehr Widerstand geleistet haben würden.

Da nun der Mensch durch methodisch oder unbewusst ausgeführte Wahl zum Zwecke der Nachzucht so grosse Erfolge erzielen kann und gewiss erzielt hat, was muss nicht die Natürliche Züchtung leisten können? Der Mensch kann absichtlich nur auf äusserliche und sichtbare Charaktere wirken; die Natur (wenn es gestattet ist die natürliche Erhaltung veränderlicher und begünstigter Individuen während des Kampfes ums Daseyn zu personificiren) fragt nicht nach dem Aussehen, ausser wo es zu irgend einem Zwecke nützlich seyn kann. Sie kann auf jedes innere Organ, auf den geringsten Unterschied in der organischen Thätigkeit, auf die ganze Machinerie des Lebens wirken. Der Mensch wählt nur zu seinem eignen Nutzen; die Natur nur zum Nutzen des Wesens, das sie pflegt. Jeder von ihr ausgewählte Charakter wird daher in voller Thätigkeit erhalten und das Wesen in günstige Lebens-Bedingungen versetzt. Der Mensch dagegen hält die Eingebornen aus vielerlei Klimaten in derselben Gegend beisammen und entwickelt selten irgend einen Charakter in einer besonderen und ihm entsprechenden Weise fort. Er füttert eine lang- und eine kurz-schnäbelige Taube auf dieselbe Weise; er[S. 97] beschäftigt einen lang-rückenigen oder einen lang-beinigen Vierfüsser nicht in einer besondern Art; er setzt das lang- und das kurz-wollige Schaaf demselben Klima aus. Er veranlasst die kräftigeren Männchen nicht, um ihre Weibchen zu kämpfen. Er zerstört nicht mit Beharrlichkeit alle unvollkommenen Thiere, sondern schützt vielmehr alle diese Erzeugnisse, so viel in seiner Gewalt liegt, in jeder verschiedenen Jahreszeit. Oft beginnt er seine Auswahl mit einer halb-monströsen Form oder mindestens mit einer schon hinreichend vorragenden Abänderung, um sein Auge zu fesseln oder ihm offenbaren Nutzen zu versprechen. In der Natur dagegen kann schon die geringste Abweichung in Bau und organischer Thätigkeit das bisherige genaue Gleichgewicht zwischen den ringenden Formen aufheben und hiedurch ihre Erhaltung bewirken. Wie flüchtig sind die Wünsche und die Anstrengungen des Menschen! wie kurz ist seine Zeit! wie dürftig sind mithin seine Erzeugnisse denjenigen gegenüber, welche die Natur im Verlaufe ganzer geologischer Perioden anhäuft! Dürfen wir uns daher wundern, wenn die Natur-Produkte einen weit „ächteren“ Charakter als die des Menschen haben, wenn sie den verwickelten Lebens-Bedingungen weit besser angepasst sind und das Gepräge einer weit höheren Meisterschaft an sich tragen?

Man kann figürlich sagen, die Natürliche Züchtung seye täglich und stündlich durch die ganze Welt beschäftigt, eine jede auch die geringste Abänderung ausfindig zu machen, sie zurückzuwerfen wenn sie schlecht, und sie zu erhalten und zu verbessern wenn sie gut ist. Stille und unmerkbar ist sie überall und allezeit, wo sich die Gelegenheit darbietet, mit der Vervollkommnung eines jeden organischen Wesens in Bezug auf dessen organische und unorganische Lebens-Bedingungen beschäftigt. Wir sehen nichts von diesen langsam fortschreitenden Veränderungen, bis die Hand der Zeit auf eine abgelaufene Welt-Periode hindeutet, und dann ist unsre Einsicht in die längst verflossenen Zeiten so unvollkommen, dass wir nur noch das Eine wahrnehmen, dass die Lebensformen jetzt ganz andre sind, als sie früher gewesen.

Um irgend eine Modifikation mit der Länge der Zeit bis zu einer hohen Stufe steigern zu können, muss man unterstellen,[S. 98] dass eine aufgetauchte Varietät wenn auch vielleicht erst nach einem langen Zeitraume von Neuem variire und ihre Varietäten, wenn sie vortheilhaft, erhalten werden — u. s. w. Nicht leicht wird jemand läugnen wollen, dass zuweilen Varietäten vorkommen, die mehr oder weniger vom älterlichen Stamm-Bilde abweichen; dass aber dieser Abänderungs-Prozess in’s Unendliche fortdauern könne, das ist eine Unterstellung, deren Richtigkeit beurtheilt werden muss nach dem Grad ihrer Übereinstimmung der Hypothese mit den allgemeinen Natur-Erscheinungen und ihrer Fähigkeit sie zu erklären. Eben so beruht aber auch die gewöhnlichere entgegengesetzte Meinung, dass die Abänderung eine scharf bestimmte Grenze nicht überschreiten könne, auf einer blossen Voraussetzung.

Obwohl die Natürliche Züchtung nur durch und für das Gute eines jeden Wesens wirken kann, so werden doch wohl auch Eigenschaften und Bildungen dadurch berührt, denen wir nur eine untergeordnete Wichtigkeit beilegen möchten. Wenn Blätter-fressende Insekten grün, Rinden-fressende grau-gefleckt, das Alpen-Schneehuhn im Winter weiss, die Schottische Art Haiden-farbig, der Birkhahn mit der Farbe der Moorerde erscheinen, so haben wir zu vermuthen Grund, dass solche Farben den genannten Vögeln und Insekten nützlich sind und sie vor Gefahren schützen. Wald- und Schnee-Hühner würden sich, wenn sie nicht in irgend einer Zeit ihres Lebens der Zerstörung ausgesetzt wären, in endloser Anzahl vermehren. Man weiss, dass sie sehr von Raubvögeln leiden, welche ihre Beute mit dem Auge entdecken; daher man in manchen Gegenden von Europa auch nicht gerne weisse Tauben hält, weil diese der Entdeckung und Zerstörung am meisten ausgesetzt sind. So finde ich keinen Grund zu zweifeln, dass es hauptsächlich die Natürliche Züchtung ist, welche jeder Art von Wald- und Schnee-Hühnern die ihr eigenthümliche Farbe verleiht und, wenn solche einmal hergestellt ist, dieselbe fortwährend erhält. Auch müssen wir nicht glauben, dass die zufällige Zerstörung eines Thieres von abweichender Färbung nur wenig Wirkung habe, sondern vielmehr uns erinnern, wie wesentlich es ist aus einer weissen Schaaf-Heerde jedes weisse Lämmchen zu beseitigen, das die geringste Spur von[S. 99] Schwarz an sich hat. Wir haben oben gesehen wie in Florida die Farbe der Schwanen, welche sich von der Farbwurzel nähren, über deren Leben und Tod entscheidet. Bei den Pflanzen rechnen die Botaniker den flaumigen Überzug der Früchte und die Farbe ihres Fleisches mit zu den mindest wichtigen Merkmalen; und doch vernehmen wir von einem ausgezeichneten Garten-Freunde, DOWNING, dass in den Vereinten Staaten nackthäutige Früchte viel mehr durch einen Rüsselkäfer leiden als die flaumigen, und dass die Purpur-farbenen Pflaumen von einer gewissen Krankheit viel mehr leiden, als die gelben, während eine andre Krankheit die gelb-fleischigen Pfirsiche viel mehr angreift, als die andersfarbigen. Wenn bei aller Hilfe der Kunst diese geringen Unterschiede zwischen den Varietäten schon einen grossen Unterschied in deren Behandlung erheischen, so werden sich gewiss im Zustande der Natur, wo die Bäume mit andern Bäumen und mit einer Menge von Feinden zu kämpfen haben, diejenigen Varietäten am sichersten behaupten, deren Früchte, mögen sie nun nackt oder behaart seyn, ein gelbes oder ein purpurnes Fleisch haben, am besten gedeihen.

Was endlich eine Menge von kleinen Verschiedenheiten zwischen Species betrifft, welche, so weit unsre Unkenntniss zu urtheilen gestattet, ganz unwesentlich zu seyn scheinen, so dürfen wir nicht vergessen, dass auch Klima, Nahrung u. s. w. wohl einigen unmittelbaren Einfluss haben mögen. Weit nöthiger ist es aber noch im Gedächtniss zu behalten, dass es viele noch unbekannte Wechselbeziehungen des Wachsthums gibt, welche, wenn ein Theil der Organisation durch Variation modifizirt und wenn diese Modifikationen durch Natürliche Züchtung zum Besten des organischen Wesens gehäuft werden, dann wieder andre Modifikationen oft von der unerwartetsten Art veranlassen.

Wie die Abänderungen, welche im Kultur-Zustande zu irgend einer Zeit des Lebens hervorgetreten sind, auch beim Nachkömmling in der gleichen Lebens-Periode wieder zu erscheinen geneigt sind: in Form, Grösse und Geschmack der Saamen vieler Küchen- und Acker-Gewächse, in den Raupen und Coccons der Seidenwurm-Varietäten, in den Eiern des Hof-Geflügels und in der Färbung des Dunenkleides seiner Jungen, in den Hörnern unsrer[S. 100] Schaafe und Rinder, wenn sie fast ausgewachsen, — so ist auch die Züchtung im Natur-Zustande fähig, in einem besondern Alter auf die organischen Wesen zu wirken, für diese Lebenszeit nützliche Abänderung zu häufen und sie in einem entsprechenden Alter zu vererben. Wenn es für eine Pflanze von Nutzen ist, ihre Saamen immer weiter und weiter mit dem Winde umherzustreuen, so ist für die Natur die Schwierigkeit diess Vermögen durch Züchtung zu bewirken nicht grösser, als sie für den Baumwollen-Pflanzer ist durch Züchtung die Baumwolle in den Fruchtkapseln seiner Pflanzen zu vermehren und zu verbessern. Natürliche Züchtung kann die Larve eines Insektes modifiziren und zu zwanzigerlei Bedürfnissen geeignet anpassen, welche ganz verschieden sind von jenen, die das reife Thier betreffen. Diese Abänderungen in der Larve werden zweifelsohne nach den Gesetzen der Wechselbeziehungen auch auf die Struktur des reifen Insektes wirken, und wahrscheinlich ist bei solchen Insekten, welche im reifen Zustande nur wenige Stunden zu leben und keine Nahrung zu sich zu nehmen haben, ein grosser Theil ihres Baues nur als ein korrelatives Ergebniss allmählicher Veränderungen in der Struktur ihrer Larven zu betrachten. So können aber wahrscheinlich auch umgekehrt gewisse Veränderungen im reifen Insekte oft die Struktur der Larve berühren, in allen Fällen aber nur unter der Bedingung, dass diejenige Modifikation, welche bloss die Folge einer Modifikation auf einer anderen Lebensstufe ist, durchaus nicht nachtheiliger Art seye, weil sie dann das Erlöschen der Species zur Folge haben müsste.

Natürliche Züchtung kann auch die Struktur des Jungen in Bezug zum Alten und die des Vaters derjenigen seiner Kinder gegenüber modifiziren. Bei Hausthieren passt sie die Struktur eines jeden Einzelwesens den Zwecken der Gemeinde an, vorausgesetzt, dass auch ein jedes Einzelne bei dem so bewirkten Wechsel gewinne. Was die natürliche Züchtung nicht bewirken kann, das ist: Umänderung der Struktur einer Species, ohne Ersatz, zu Gunsten einer anderen Species; und obwohl in naturhistorischen Werken Beispiele dafür angeführt werden, so ist doch keines darunter, das eine Prüfung aushielte. Selbst ein organisches[S. 101] Gebilde, das nur einmal im Leben eines Thieres gebraucht wird, kann, wenn es ihm von grosser Wichtigkeit ist, durch die Natürliche Zuchtwahl bis zu jedem Betrage modifizirt werden, wie die grossen Kinnladen einiger Insekten, welche nur zum Öffnen ihrer Coccons dienen, oder das zarte Spitzchen auf dem Ende des Schnabels junger Vögel, womit sie beim Ausschlüpfen die Ei-Schaale aufbrechen. Man hat versichert, dass von den besten kurzschnäbeligen Purzel-Tauben mehr im Eie zu Grunde gehen, als auszuschlüpfen im Stande sind, was Liebhaber mitunter veranlasst, bei Durchbrechung der Schaale mitzuwirken. Wenn demnach die Natur den Schnabel einer Taube zu deren eignem Nutzen im ausgewachsenen Zustande sehr zu verkürzen hätte, so würde dieser Prozess sehr langsam vor sich gehen, und müsste dabei zugleich eine sehr strenge Auswahl derjenigen jungen Vögel im Eie stattfinden, welche den stärksten und härtesten Schnabel besitzen, weil alle mit weichem Schnabel unvermeidlich zu Grunde gehen würden; oder aber müsste eine Auswahl der dünnsten und zerbrechlichsten Ei-Schaalen erfolgen, deren Dicke bekanntlich so wie jedes andere Gebilde variirt.

Sexuelle Zuchtwahl.) Wie im Kultur-Zustande Eigenthümlichkeiten oft an einem Geschlechte zum Vorschein kommen und sich erblich an dieses Geschlecht heften, so wird es wohl auch im Natur-Zustande geschehen, und, wenn Diess der Fall, so muss die Natürliche Züchtung fähig seyn, ein Geschlecht in seinen funktionellen Beziehungen zum andern zu modifiziren, oder ganz verschiedene Gewohnheiten des Lebens in beiden Geschlechtern zu bewirken, wie es bei Insekten zuweilen der Fall ist, — und Diess veranlasst mich, einige Worte über das zu sagen, was ich Sexuelle Züchtung nennen will. Sie hängt ab nicht von einem Kampfe um’s Daseyn, sondern von einem Kampfe zwischen den Männchen um den Besitz der Weibchen, dessen Folgen für den Besiegten nicht in Tod und erfolgloser Mitbewerbung, sondern in einer spärlicheren oder ganz ausfallenden Nachkommenschaft bestehen. Diese Geschlechtliche Auswahl ist daher minder verhängnissvoll, als die Natürliche. Im Allgemeinen werden die kräftigsten, die ihre Stelle in der Natur am besten ausfüllenden Männchen[S. 102] die meiste Nachkommenschaft hinterlassen. In manchen Fällen jedoch wird der Sieg nicht von der Stärke im Allgemeinen, sondern von besondern nur dem Männchen verliehenen Waffen abhängen. Ein Geweih-loser Hirsch und Sporn-loser Hahn haben wenig Aussicht Erben zu hinterlassen. Eine Sexuelle Züchtung, welche stets dem Sieger die Fortpflanzung ermöglichen sollte, müsste ihm unzähmbaren Muth, lange Spornen und starke Flügel verleihen, um mit dem gespornten Laufe kämpfen zu können; wie denn der Kampfhahn-Züchter seine Zucht durch sorgfältige Auswahl in dieser Beziehung sehr zu veredeln versteht. Wie weit hinab in der Stufenleiter der Natur dergleichen Kämpfe noch vorkommen, weiss ich nicht. Doch hat man männliche Alligatoren beschrieben, wie sie um den Besitz eines Weibchens kämpfen, brüllen und sich im Kreise drehen; männliche Salmen hat man Tage lang miteinander streiten sehen; männliche Hirschkäfer haben zuweilen Wunden von den mächtigen Kiefern andrer; — und die Männchen gewisser Hymenopteren sah der unerreichbare Beobachter FABRE um ein besonderes Weibchen kämpfen, das wie ein unbefangener Zuschauer dem Kampfe beiwohnt und sich dann mit dem Sieger zurückzieht. Übrigens ist der Kampf am heftigsten zwischen den Männchen polygamischer Thiere, und diese scheinen auch am gewöhnlichsten mit besondern Waffen dazu versehen zu seyn. Die Männchen der Raub-Säugethiere sind schon an sich wohl bewehrt; doch pflegen ihnen u. e. a. durch sexuelle Züchtung noch besondere Waffen verliehen zu werden, wie dem Löwen seine Mähne, dem Eber sein Hauzahn, dem männlichen Salmen seine Haken-förmige Kinnlade; und der Schild mag für den Sieg eben so wichtig seyn, als das Schwert oder der Speer. Unter den Vögeln hat der Bewerbungskampf oft einen friedlicheren Charakter. Alle, welche diesen Gegenstand behandelt haben, glauben, die eifrigste Rivalität finde unter den Sing-Vögeln statt, wo die Männchen durch Gesang die Weibchen anzuziehen suchen. Der Felshahn in Guiana (Rupicola), die Paradiesvögel u. e. a. schaaren sich zusammen, und ein Männchen um das andere entfaltet sein prächtiges Gefieder, um in theatralischen Stellungen vor den Weibchen zu paradiren, welche als Zuschauer dastehen[S. 103] und sich zuletzt den liebenswürdigsten Bewerber erkiesen. Sorgfältige Beobachter der in Gefangenschaft gehaltenen Vögel wissen sehr wohl, dass oft individuelle Bevorzugungen und Abneigungen stattfinden; so hat Herr R. HERON beschrieben, wie ein scheckiger Perlhahn ausserordentlich anziehend für alle seine Hennen gewesen. Es mag kindisch aussehen, solchen anscheinend schwachen Mitteln irgend eine Wirkung zuzuschreiben, und ich kann hier nicht in Einzelnheiten eingehen, um jene Ansicht zu unterstützen; wenn jedoch der Mensch im Stande ist seinen Bantam-Hühnern in kurzer Zeit eine elegante Haltung und Schönheit je nach seinen Begriffen von Schönheit zu geben, so kann ich keinen genügenden Grund zum Zweifel finden, dass weibliche Vögel, indem sie Tausende von Generationen hindurch den Melodie-reichsten oder schönsten Männchen, je nach ihren Begriffen von Schönheit, bei der Wahl den Vorzug geben, nicht ebenfalls einen merklichen Effekt bewirken können. Ich habe starke Vermuthung, dass einige wohlbekannte Gesetze in Betreff des Gefieders männlicher und weiblicher Vögel dem der jungen gegenüber sich aus der Ansicht erklären lassen, das Gefieder seye hauptsächlich durch die Geschlechtliche Wahl modifizirt worden, welche im Geschlechts-reifen Alter während der Jahres-Zeit wirkt, welche der Fortpflanzung gewidmet ist. Die dadurch erfolgten Abänderungen sind dann auf entsprechende Alter und Jahres-Zeiten wieder vererbt worden entweder durch die Männchen allein, oder durch Männchen und Weibchen; ich habe aber hier nicht Raum weiter auf diesen Gegenstand einzugehen.

Wenn daher Männchen und Weibchen einer Thier-Art die nämliche allgemeine Lebens-Weise haben, aber in Bau, Farbe oder Verzierungen von einander abweichen, so sind nach meiner Meinung diese Verschiedenheiten hauptsächlich durch die Geschlechtliche Wahl bedingt; d. h. männliche Individuen haben in aufeinander-folgenden Generationen einige kleine Vortheile über andre Männchen gehabt in Waffen, Vertheidigungs-Mitteln oder Reitzen und haben diese Vortheile auf ihre männlichen Nachkommen übertragen. Doch möchte ich nicht alle solche Geschlechts-Verschiedenheiten aus dieser Quelle ableiten; denn wir sehen Eigenthümlichkeilen[S. 104] entstehen und beim männlichen Geschlechte unsrer Hausthiere erblich werden, wie die Hautlappen bei den Englischen Boten-Tauben, die Horn-artigen Auswüchse bei den Männchen einiger Hühner-Vögel u. s. w., von welchen wir nicht annehmen können, dass sie den Männchen im Kampfe nützlich sind oder eine Anziehungskraft auf die Weibchen ausüben[11]. Analoge Fälle sehen wir auch in der Natur, wo z. B. der Haar-Büschel auf der Brust des Puterhahns weder nützlich im Kampfe noch eine Zierde für den Brautwerber seyn kann; — und wirklich, hätte sich dieser Büschel erst im Zustande der Zähmung gebildet, wir würden ihn eine Monstrosität nennen!

Beleuchtung der Wirkungsweise der Natürlichen Züchtung.) In der Absicht die Art und Weise klar zu machen, wie nach meiner Meinung die Natürliche Wahl wirke, muss ich um die Erlaubniss bitten, ein oder zwei erdachte Beispiele zur Erläuterung vorzutragen. Denken wir uns zunächst einen Wolf, der sich seine Beute an verschiedenen Thieren theils durch List, theils durch Stärke und theils durch Schnelligkeit verschaffe, und nehmen wir an, seine schnelleste Beute, der Hirsch z. B., hätte sich aus irgend einer Ursache in einer Gegend sehr vervielfältigt, oder andre zu seiner Nahrung dienende Thiere hätten in der Jahreszeit, wo sich der Wolf seine Beute am schwersten verschaffen kann, sehr vermindert. Unter solchen Umständen kann ich keinen Grund zu zweifeln finden, dass die schlanksten und schnellsten Wölfe am meisten Aussicht auf Fortkommen und somit auf Erhaltung und Verwendung zur Nachzucht hätten, immerhin vorausgesetzt, dass sie dabei Stärke genug behielten, um sich ihrer Beute auch zu einer andern Jahreszeit zu bemeistern, wo sie veranlasst seyn könnten, auf andre Thiere auszugehen. Ich finde um so weniger Ursache daran zu zweifeln, da ja der Mensch auch die Schnelligkeit seines Windhundes durch sorgfältige und planmässige Auswahl oder durch jene unbewusste Wahl zu erhöhen im Stande ist, welche schon stattfindet, wenn nur[S. 105] Jedermann den besten Hund zu haben strebt, ohne einen Gedanken an Veredelung der Rasse.

So könnte auch ohne eine Veränderung in den Verhältnisszahlen der Thiere, die dem Wolfe zur Beute dienen, ein junger Wolf zur Welt kommen mit angeborner Neigung gewisse Arten von Beutethieren zu verfolgen. Auch Diess ist nicht sehr unwahrscheinlich; denn wie oft nehmen wir grosse Unterschiede in den natürlichen Neigungen unsrer Hausthiere wahr! Eine Katze z. B. ist geneigt Ratten und die andre Mäuse zu fangen. Eine Katze bringt nach Hrn. St. JOHN geflügelte Beute nach Hause, die andre Hasen und Kaninchen, und die dritte jagt auf Marschland und meistens nächtlicher Weile nach Waldhühnern und Schnepfen. Man weiss, dass die Neigung Ratten statt Mäuse zu fangen, vererblich ist. Wenn nun eine angeborne schwache Veränderung in Gewohnheit oder Körper-Bau einen einzelnen Wolf begünstigt, so hat er am meisten Aussicht auszudauern und Nachkommen zu hinterlassen. Einige seiner Jungen werden dann vermuthlich dieselbe Gewohnheit oder Körper-Eigenschaft erben, und so kann durch oftmalige Wiederholung dieses Vorgangs eine neue Varietät entstehen, welche die alte Stamm-Form des Wolfes ersetzt oder zugleich mit ihr fortbesteht. Nun werden ferner Wölfe, welche Gebirgs-Gegenden bewohnen, und solche, die sich im Tieflande aufhalten, von Natur genöthigt, auf verschiedene Beute auszugehen, und mithin bei fortdauernder Erhaltung der für jede der zwei Landstriche geeignetsten Individuen allmählich zwei Abänderungen bilden. Diese Varietäten müssen da, wo ihre Verbreitungs-Bezirke zusammenstossen, sich vermischen und kreutzen; doch werden wir auf die Frage von der Kreutzung später zurückkommen. Hier will ich noch beifügen, dass nach PIERCE im Catskill-Gebirge in den Vereinten Staaten zwei Varietäten des Wolfes hausen, eine leichtere von Windspiel-Form, welche Hirsche verfolgt, und eine andere schwerfälligere und mit kurzen Beinen, welche häufiger die Schaaf-Heerden angreift.

Nehmen wir nun einen zusammengesetzteren Fall an. Gewisse Pflanzen scheiden eine süsse Flüssigkeit aus, wie es scheint, um irgend etwas Nachtheiliges aus ihrem Safte zu entfernen.[S. 106] Diess wird bei manchen Schmetterlings-blüthigen Gewächsen durch Drüsen am Grunde der Stipulä und beim gemeinen Lorbeerbaum auf dem Rücken seiner Blätter bewirkt. Diese Flüssigkeit, wenn auch nur in geringer Menge zu finden, wird von Insekten begierig aufgesucht. Nehmen wir nun an, es werde ein wenig solchen süssen Saftes oder Nektars an der inneren Basis der Kronenblätter einer Blume ausgesondert. In diesem Falle werden die Insekten, welche den Nektar aufsuchen, mit Pollen bestäubt werden und denselben gewiss oft von einer Blume auf das Stigma der andern übertragen. Die Blumen zweier verschiedener Individuen einer Art werden dadurch gekreutzt, und die Kreutzung liefert (wie nachher ausführlicher gezeigt werden soll) vorzugsweise kräftige Sämlinge, welche mithin die beste Aussicht haben auszudauern und sich fortzupflanzen. Einige dieser Sämlinge können wohl das Nektar-Absonderungs-Vermögen erben, und diejenigen Nektar-absondernden Blüthen, welche die stärksten Drüsen besitzen und den meisten Nektar liefern, werden am öftesten von Insekten besucht und am öftesten mit andern gekreutzt werden und so mit der Länge der Zeit allmählich die Oberhand gewinnen. Ebenso werden diejenigen Blüthen, deren Staubfäden und Staubwege so gestellt sind, dass sie je nach Grösse und sonstigen Eigenthümlichkeiten der sie besuchenden Insekten einigermaassen die Übertragung ihres Samenstaubs von Blüthe zu Blüthe erleichtern, glücklicherweise begünstigt und zur Nachzucht geeigneter seyn. Nehmen wir den Fall an, die zu den Blumen kommenden Insekten wollten Pollen statt Nektar einsammeln, so wäre zwar die Entführung des Pollens, der allein zur Befruchtung der Pflanze erzeugt wird, ein Verlust für dieselbe; wenn jedoch anfangs gelegentlich und nachher gewöhnlich ein wenig Pollen von den ihn einsammelnden Insekten entführt und von Blume zu Blume getragen wird, so wird die hiedurch bewirkte Kreutzung zum grossen Vortheil der Pflanzen seyn, mögen ihnen auch neun Zehntel der ganzen Pollen-Masse zerstört werden; denn diejenige Pflanze, welche mehr und mehr Pollen erzeugt und immer grössere Antheren bekommt, wird für die Nachzucht das Übergewicht haben.

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Wenn nun unsre Pflanze, welche auf diese Weise vor andern erhalten und durch Natürliche Wahl mit Blumen versehen worden, welche die Pollen verschleppenden Insekten immer mehr anziehen, so kann die Überführung des Pollens von einer Pflanze zur andern endlich zur Regel werden, wie Diess in vielen Fällen wirklich geschieht. Ich will nun einen nicht einmal sehr zutreffenden Fall als Beleg dafür anführen, welcher jedoch geeignet ist zugleich als Beispiel eines ersten Schrittes zur Trennung der Geschlechter zu dienen, von welcher noch weiter die Rede seyn wird. Einige Stechpalmen-Stämme bringen nur männliche Blüthen hervor, welche vier nur wenig Pollen erzeugende Staubgefässe und ein verkümmertes Pistill enthalten; andre Stämme liefern nur weibliche Blüthen, die ein vollständig entwickeltes Pistill und vier Staubfäden mit verschrumpften Antheren einschliessen, in welchen nicht ein Pollen-Körnchen bemerkt werden kann. Nachdem ich einen weiblichen Stamm genau 60 Ellen von einem männlichen entfernt gefunden, nehme ich die Stigmata aus zwanzig Blüthen von verschiedenen Zweigen unter das Mikroskop und entdecke an allen ohne Ausnahme einige Pollen-Körner und an einigen sogar eine übermässige Menge desselben. Da der Wind schon einige Tage lang vom weiblichen gegen den männlichen Stamm hin gewehet hatte, so kann er es nicht gewesen seyn, der den Pollen dahin geführt. Das Wetter war schon einige Tage lang kalt und stürmisch und daher nicht günstig für die Bienen gewesen, und demungeachtet war jede von mir untersuchte weibliche Blüthe durch den Pollen befruchtet worden, welchen die Bienen, von Blüthe zu Blüthe nach Nektar suchend, an ihren Haaren vom männlichen Stamme mit herüber gebracht hatten. Doch kehren wir nun zu unserem ersonnenen Falle zurück. Sobald jene Pflanze in solchem Grade anziehend für die Insekten geworden, dass sie den Pollen regelmässig von einer Blüthe zur andern tragen, wird ein andrer Prozess beginnen. Kein Naturforscher zweifelt an dem Vortheil der sogen. „physiologischen Theilung der Arbeit“; daher man glauben darf, es seye nützlich für eine Pflanzen-Art in einer Blüthe oder an einem ganzen Stocke nur Staubgefässe und in der andern Blüthe[S. 108] oder auf dem andern Stocke nur Pistille hervorzubringen. Bei kultivirten oder in neue Existenz-Bedingungen versetzten Pflanzen schlagen manchmal die männlichen und zuweilen die weiblichen Organe mehr oder weniger fehl. Nehmen wir aber an, Diess geschehe auch in einem wenn noch so geringen Grade im Natur-Zustande derselben, so würden, da der Pollen schon regelmässig von einer Blume zur andern geführt wird und eine vollständige Trennung der Geschlechter unsrer Pflanze ihr nach dem Prinzipe der Arbeitstheilung vortheilhaft ist, Individuen mit einer mehr und mehr entwickelten Tendenz dazu fortwährend begünstigt und zur Nachzucht ausgewählt werden, bis endlich die Trennung der Geschlechter vollständig wäre.

Kehren wir nun zu den von Nektar lebenden Insekten in unserem ersonnenen Falle zurück; nehmen wir an, die Pflanze mit durch andauernde Züchtung zunehmender Nektar-Bildung sey eine gemeine Art, und unterstellen wir, dass gewisse Insekten hauptsächlich auf deren Nektar als ihre Nahrung angewiesen sind. Ich könnte durch manche Beispiele nachweisen, wie sehr die Bienen bestrebt sind, Zeit zu ersparen. Ich will mich jedoch nur auf ihre Gewohnheit berufen, in den Grund gewisser Blumen Öffnungen zu machen, um durch diese den Nektar zu saugen, welchen sie mit ein Bischen mehr Weile durch die Mündung heraus holen könnten. Dieser Thatsachen eingedenk halte ich es nicht für gewagt anzunehmen, dass eine zufällige Abweichung in der Grösse und Form ihres Körpers oder in der Länge und Krümmung ihres Rüssels, wenn auch viel zu unbedeutend für unsere Wahrnehmung, von solchem Nutzen für eine Biene oder ein anderes Insekt seyn könne, das sich mit deren Hülfe sein Futter leichter verschafft, dass es mehr Wahrscheinlichkeit der Fortdauer und der Fortpflanzung als andre Thiere seiner Art besitzt. Seine Nachkommen werden wahrscheinlich eine Neigung zu einer ähnlichen Abweichung des Organes erben. Die Röhren der Blumen-Kronen des rothen und des Inkarnat-Klee’s (Trifolium pratense und Tr. incarnatum) scheinen bei flüchtiger Betrachtung nicht sehr an Länge auseinander zu weichen; demungeachtet kann die Honig- oder Korb-Biene (Apis[S. 109] mellifica) den Nektar leicht aus der ersten aber nicht aus der letzten saugen, welche daher nur von Hummeln besucht wird, so dass ganze Felder rothen Klee’s der Korb-Biene vergebens einen Überschuss von köstlichem Nektar darbieten. Dass die Korb-Biene den Nektar aufsaugt, ist gewiss; denn ich habe unlängst, obschon bloss im Herbst viele dieser Bienen den Nektar durch Löcher aussaugen sehen, welche (wie ich glaube) die kleine Hummelart in die Basis der Korolle gebissen hatte. Es würde daher für die Korb-Biene von grösstem Vortheil seyn, einen etwas längeren oder abweichend gestalteten Rüssel zu haben. Auf der andern Seite habe ich (wie schon oben erwähnt) durch Versuche gefunden, dass die Fruchtbarkeit des rothen Klee’s grossentheils durch den Besuch der Honig-suchenden Bienen bedingt ist, welche bei diesem Geschäfte die Theile der Blumenkrone verschieben und dabei den Pollen auf die Oberfläche der Narbe wischen. Sollten dagegen die Hummeln in einer Gegend selten werden, so müsste eine kürzere oder tiefer getheilte Blumenkrone von grösstem Nutzen für den rothen Klee werden, damit die Honig-Biene seine Blüthen besuchen könne. Auf diese Weise begreife ich, wie eine Blüthe und eine Biene nach und nach, seye es gleichzeitig oder eine nach der andern, abgeändert und auf die vollkommenste Weise einander angepasst werden könnten durch fortwährende Erhaltung von Einzelnwesen mit beiderseits nur ein wenig günstigeren Abweichungen der Struktur.

Ich weiss wohl, dass die durch die vorangehenden ersonnenen Beispiele erläuterte Lehre von der Natürlichen Auswahl denselben Einwendungen ausgesetzt ist, welche man anfangs gegen CH. LYELL’S grossartige Ansichten in „the Modern Changes of the Earth, as illustrative of Geology“ vorgebracht hat; indessen hört man jetzt die Wirkung der Brandung z. B. in ihrer Anwendung auf die Aushöhlung riesiger Thäler oder auf die Bildung der längsten binnenländischen Klippen-Linien selten mehr als eine unbedeutende und lächerliche Ursache bezeichnen. Die Natürliche Züchtung kann nur durch Häufung unendlich kleiner vererbter Modifikationen wirken, deren jede für Erhaltung des Wesens, dem sie angehört, günstig ist; und wie die neuere Geologie[S. 110] solche Ansichten, wie die Aushöhlung grosser Thäler durch eine einzige Diluvial-Woge meistens verbannt hat, so wird auch die Natürliche Züchtung, wenn sie ein wahres Prinzip ist, den Glauben an eine fortgesetzte Schöpfung neuer Organismen oder an eine grosse und plötzliche Modifikation ihrer Organisation verbannen.

Über die Kreutzung der Individuen.) Ich muss hier mit einem kleinen Absprung beginnen. Es liegt vor Augen, dass bei Pflanzen und Thieren getrennten Geschlechtes jedesmal zwei Individuen sich vereinigen müssen, um eine Geburt zu Stande zu bringen. Bei Hermaphroditen aber ist Diess keineswegs klar. Demungeachtet bin ich stark geneigt zu glauben, dass bei allen Hermaphroditen zwei Individuen gewöhnlich oder ausnahmsweise zu jeder einzelnen Fortpflanzung ihrer Art zusammenwirken (die sonderbaren und noch nicht recht begriffenen Fälle von Parthenogenesis ausgenommen). Diese Ansicht hat zuerst ANDREAS KNIGHT aufgestellt. Wir werden jetzt ihre Wichtigkeit erkennen. Zwar kann ich diese Frage nur in äusserster Kürze abhandeln; jedoch habe ich die Materialien für eine ausführlichere Erörterung vorbereitet. Alle Wirbelthiere, alle Insekten und noch einige andre grosse Thiergruppen paaren sich für jede Geburt. Neuere Untersuchungen haben die Anzahl der früher angenommenen Hermaphroditen sehr vermindert, und von den wirklichen Hermaphroditen paaren sich viele, d. h. zwei Individuen vereinigen sich zur Reproduktion; Diess ist alles, was uns hier angeht. Doch gibt es noch viele andere zwitterliche Thiere, welche gewiss sich gewöhnlich nicht paaren. Auch bei weitem die grösste Anzahl der Pflanzen sind Hermaphroditen. Man kann nun fragen, was ist in diesen Fällen für ein Grund zur Annahme vorhanden, dass jedesmal zwei Individuen zur Reproduktion zusammenwirken? Da es hier nicht möglich ist in Einzelnheiten einzugehen, so muss ich mich auf einige allgemeine Betrachtungen beschränken.

Für’s Erste habe ich eine grosse Masse von Thatsachen gesammelt, welche übereinstimmend mit der fast allgemeinen Überzeugung der Viehzüchter beweisen, dass bei Thieren wie bei[S. 111] Pflanzen eine Kreutzung zwischen Thieren verschiedener Varietäten, oder zwischen solchen verschiedener Stämme einer Varietät der Nachkommenschaft Stärke und Fruchtbarkeit verleiht, während andrerseits enge Inzucht Kraft und Fruchtbarkeit vermindert. Diese Thatsachen allein machen mich glauben, dass es ein allgemeines Natur-Gesetz ist (wie unwissend wir auch über die Bedeutung des Gesetzes seyn mögen), dass kein organisches Wesen sich selbst für eine Ewigkeit von Generationen befruchten könne, dass daher eine Kreutzung mit einem andern Individuum von Zeit zu Zeit und vielleicht nach langen Zwischenräumen einmal unentbehrlich ist.

Von dem Glauben ausgehend, dass Diess ein Natur-Gesetz seye, werden wir verschiedene grosse Klassen von Thatsachen verstehen, welche auf andre Weise unerklärlich sind. Jeder Blendlingsgetreide-Züchter weiss, wie nachtheilig für die Befruchtung einer Blüthe es ist, wenn sie während derselben der Feuchtigkeit ausgesetzt wird. Und doch, was für eine Menge von Blumen haben Staubbeutel und Narben vollständig dem Wetter ausgesetzt! Wenn aber eine Kreutzung von Zeit zu Zeit nun doch unerlässlich, so erklärt sich jene Aussetzung aus der Nothwendigkeit, dass die Blumen für den Eintritt fremden Pollens offen seyen, und zwar um so mehr, als die zusammengehörigen Staubgefässe und Pistille einer Blume gewöhnlich so nahe beisammen stehen, dass Selbstbefruchtung unvermeidlich scheint. Andrerseits aber haben viele Blumen ihre Befruchtungs-Werkzeuge sehr enge umschlossen, wie die Schmetterlingsblüthigen z. B.; aber in den meisten solchen Blumen ist eine sehr merkwürdige Anpassung zwischen dem Bau der Blume und der Art und Weise, wie die Bienen den Nektar daraus saugen, indem sie alsdann entweder den eignen Pollen der Blume über ihre Narbe wischen oder fremden Pollen mitbringen. Zur Befruchtung der Schmetterlingsblüthen ist der Besuch der Bienen so nothwendig, dass, wie ich durch anderwärts veröffentlichte Versuche gefunden, ihre Fruchtbarkeit sehr abnimmt, wenn dieser Besuch verhindert wird. Nun ist es aber kaum möglich, dass Bienen von Blüthe zu Blüthe fliegen, ohne den Pollen der einen zur andern zu bringen,[S. 112] wie ich überzeugt bin zum grossen Vortheil der Pflanze. Die Bienen wirken dabei wie ein Kameelhaar-Pinsel, und es ist vollkommen zur Befruchtung genügend, wenn man mit einem und demselben Bürstchen zuerst das Staubgefäss der einen Blume und dann die Narbe der andern berührt. Dabei ist aber nicht zu fürchten, dass die Bienen viele Bastarde zwischen verschiedenen Arten erzeugen; denn, wenn man den eignen Pollen und den einer andern Pflanzen-Art zugleich mit demselben Pinsel auf die Narbe streicht, so hat der erste eine so überwiegende Wirkung, dass er, wie schon GÄRTNER gezeigt, jeden Einfluss des andern gänzlich zerstört.

Wenn die Staubgefässe einer Blume sich plötzlich gegen das Pistill schnellen oder sich eines nach dem andern langsam gegen dasselbe neigen, so scheint diese Einrichtung nur auf Sicherung der Selbstbefruchtung berechnet, und ohne Zweifel ist sie auch dafür nützlich. Aber die Thätigkeit der Insekten ist oft nothwendig, um die Staubfäden aufschnellen zu machen, wie KÖLREUTER beim Sauerdorn insbesondere gezeigt hat; und sonderbarer Weise hat man gerade bei dieser Sippe (Berberis), welche so vorzüglich zur Selbstbefruchtung eingerichtet zu seyn scheint, die Beobachtung gemacht, dass, wenn man nahe verwandte Formen oder Varietäten dicht neben einander pflanzt, es in Folge der reichlichen Kreutzung kaum möglich ist noch eine reine Rasse zu erhalten. In vielen andern Fällen aber findet man, wie C. C. SPRENGEL’S Schriften und meine eignen Erfahrungen lehren, statt der Einrichtungen zu Begünstigung der Selbstbefruchtung vielmehr solche, welche das Stigma hindern, den Saamenstaub der nämlichen Blüthe aufzunehmen. So ist bei Lobelia fulgens eine wirklich schöne und sorgfältig ausgearbeitete Einrichtung, wodurch jedes der unendlich zahlreichen Pollen-Körnchen aus den verwachsenen Antheren einer jeden Blüthe fortgeführt wird, ehe das Stigma derselben Blüthe bereit ist dieselben aufzunehmen. Da nun, wenigstens in meinem Garten, diese Blumen niemals von Insekten besucht werden, so haben sie auch niemals Saamen angesetzt, bis ich auf künstlichem Wege den Pollen einer Blüthe auf die Narbe der andern übertrug und mich hiedurch auch in[S. 113] den Besitz zahlreicher Sämlinge zu setzen vermochte. Eine andere daneben stehende Lomelia-Art, die von Bienen besucht wird, bildet von freien Stücken Saamen. In sehr vielen anderen Fällen, wo keine besondere mechanische Einrichtung vorhanden ist, um das Stigma einer Blume an der Aufnahme des eignen Saamenstaubs zu hindern, platzen entweder, wie sowohl C. C. SPRENGEL als ich selbst gefunden, die Staubbeutel schon bevor die Narbe zur Befruchtung reif ist, oder das Stigma ist vor dem Pollen derselben Blüthe reif, so dass diese Pflanzen in der That getrennte Geschlechter haben und sich fortwährend kreutzen. Wie wundersam erscheinen diese Thatsachen! Wie wundersam, dass der Pollen und die Oberfläche des Stigmas einer und derselben Blüthe so nahe zusammengerückt sind, als sollte dadurch die Selbstbefruchtung unvermeidlich werden, und dass beide gerade in so vielen dieser Fälle völlig unnütz für einander sind. Wie einfach sind dagegen diese Thatsachen zu erklären aus der Ansicht, dass von Zeit zu Zeit eine Kreutzung mit einem anderen Individuum vortheilhaft oder sogar unentbehrlich seye?

Wenn verschiedene Varietäten von Kohl, Radies’chen, Lauch u. e. a. Pflanzen dicht nebeneinander zur Saamen-Bildung gebracht werden, so liefern ihre Saamen, wie ich gefunden, grossentheils Blendlinge. So z. B. erzog ich 233 Kohl-Sämlinge aus dem Saamen einiger Stöcke von verschiedenen Varietäten, die nahe bei einander gewachsen, und von diesen entsprachen nur 78 der Varietät des Stocks, von dem sie eingesammelt worden, und selbst diese nicht alle genau. Nun ist aber das Pistill einer jeden Kohl-Blüthe nicht allein von deren eignen sechs Staubgefässen, sondern auch von denen aller übrigen Blüthen derselben Pflanze nahe umgeben und der Pollen jeder Blüthe gelangt ohne Insekten-Hilfe leicht auf deren eignes Stigma; denn ich habe gefunden, dass eine sorgfältig bedeckte Pflanze eine Vollzahl von Schoten entwickelte. Wie kommt es aber, dass sich eine so grosse Anzahl von Sämlingen als Blendlinge erwiesen? Ich muss vermuthen, dass es davon herrührt, dass der Pollen einer fremden Varietät einen überwiegenden Einfluss auf das eigne Stigma habe, und zwar eben in Folge des Natur-Gesetzes, dass die[S. 114] Kreutzung zwischen verschiedenen Individuen derselben Species für diese nützlich ist. Werden dagegen verschiedene Arten mit einander gekreutzt, so ist der Erfolg gerade umgekehrt, indem der Pollen einer Art einen über den der andern überwiegenden Einfluss hat. Doch auf diesen Gegenstand werde ich in einem späteren Kapitel zurückkommen.

Handelt es sich um mächtige mit zahllosen Blüthen bedeckte Bäume, so kann man einwenden, dass deren Pollen nur selten von einem Stamme auf den andern übertragen werden und meistens nur von einer Blüthe auf eine andre Blüthe desselben Stammes gelangen kann, dass aber verschiedene Blüthen eines Baumes nur in einem beschränkten Sinne als Individuen angesehen werden können. Ich halte diese Einrede für triftig; doch hat die Natur in dieser Hinsicht vorgesorgt, indem sie den Bäumen ein Streben zur Bildung von Blüthen getrennten Geschlechtes verliehen hat. Sind die Geschlechter getrennt, wenn gleich männliche und weibliche Blüthen auf einem Stamme vereinigt, so muss der Pollen regelmässig von einer Blüthe zur andern geführt werden, was denn auch mehr Aussicht gewährt, dass er gelegentlich von einem Stamm zum anderen komme. Ich finde, dass in unsren Gegenden die Bäume aller Pflanzen-Ordnungen öfter als Sträucher und Kräuter getrennte Geschlechter haben, und tabellarische Zusammenstellungen der Neuseeländischen Bäume, welche Dr. HOOKER, und der Vereinten Staaten, welche ASA GRAY mir auf meine Bitte geliefert, haben, wie vorauszusehen, zum nämlichen Ergebnisse geführt. Doch andrerseits hat mich Dr. HOOKER neuerlich benachrichtigt, dass diese Regel nicht für Australien gelte, und ich habe daher diese wenigen Bemerkungen über die Geschlechts-Verhältnisse der Bäume nur machen wollen, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.

Was die Thiere betrifft, so gibt es unter den Landbewohnern nur wenige Zwitter wie Schnecken und Regenwürmer, und diese paaren sich alle. Ich habe noch kein Beispiel kennen gelernt, wo ein Landthier sich selbst befruchtete. Man kann diese merkwürdige Thatsache, welche einen so schroffen Gegensatz zu den Landpflanzen bildet, nach der Ansicht, dass eine Kreutzung[S. 115] von Zeit zu Zeit nöthig seye, erklären, indem man das Medium, worin die Landthiere leben, und die Beschaffenheit des befruchtenden Elementes berücksichtigt; denn wir kennen keinen Weg, auf welchem, wie durch Insekten und Wind bei den Pflanzen, eine gelegentliche Kreutzung zwischen Landthieren anders bewirkt werden könnte, als durch die unmittelbare Zusammenwirkung der beiderlei Individuen. Bei den Wasserthieren dagegen gibt es viele sich selbst befruchtende Hermaphroditen; hier liefern aber die Strömungen des Wassers ein handgreifliches Mittel für gelegentliche Kreutzungen. Und, wie bei den Pflanzen, so habe ich auch bei den Thieren, sogar nach Besprechung mit einer der ersten Autoritäten, mit Professor HUXLEY nämlich, vergebens gesucht, auch nur eine hermaphroditische Thier-Art zu finden, deren Geschlechts-Organe so vollständig im Körper eingeschlossen wären, dass dadurch der gelegentliche Einfluss eines andern Einzelwesens physisch unmöglich gemacht wurde. Die Cirripeden schienen mir zwar langezeit einen in dieser Beziehung sehr schwierigen Fall darzubieten; ich bin aber durch einen glücklichen Umstand in die Lage gesetzt gewesen, schon anderwärts zeigen zu können, dass zwei Individuen, wenn auch in der Regel sich selbst befruchtende Zwitter, sich doch zuweilen kreutzen.

Es muss den meisten Naturforschern als eine sonderbare Ausnahme schon aufgefallen seyn, dass bei den meisten Pflanzen und Thieren solche Arten in einer Familie und oft in einer Sippe beisammen stehen, welche, obwohl im grösseren Theile ihrer übrigen Organisation unter sich nahe übereinstimmend, doch zum Theile Zwitter und zum Theile eingeschlechtig sind. Wenn aber auch alle Hermaphroditen sich von Zeit zu Zeit mit andern Einzelwesen kreutzen, so wird der Unterschied zwischen hermaphroditischen und eingeschlechtigen Arten, was ihre Geschlechts-Funktionen betrifft, ein sehr kleiner.

Nach diesen mancherlei Betrachtungen und den vielen einzelnen Fällen, die ich gesammelt habe, jedoch hier nicht mittheilen kann, bin ich sehr zur Vermuthung geneigt, dass im Pflanzen- wie im Thier-Reiche die von Zeit zu Zeit erfolgende Kreutzung mit einem fremden Einzelwesen ein Natur-Gesetz ist. Ich[S. 116] weiss wohl, dass es in dieser Beziehung viele schwierige Fälle gibt, unter welchen einige sind, worüber ich mit Forschungen beschäftigt bin. Als Endergebniss können wir folgern, dass in vielen organischen Wesen die Kreutzung zweier Individuen eine offenbare Nothwendigkeit für jede Fortpflanzung ist; bei vielen andern genügt es, wenn sie von Zeit zu Zeit wiederkehrt; dagegen vermuthe ich, dass Selbstbefruchtung allein nirgends für immer ausreichend seye.

Für natürliche Züchtung günstige Verhältnisse.) Das ist ein sehr verwickelter Gegenstand. Eine grosse Summe von erblicher Veränderlichkeit ist dafür günstig; aber ich glaube, dass schon individuelle Verschiedenheiten genügen. Eine grosse Anzahl von Individuen bietet mehr Aussicht auch auf das Hervortreten nutzbarer Abänderungen in einem gegebenen Zeitraum, selbst bei geringerem Betrag schon vorhandener Veränderlichkeit derselben, und ist eine äusserst wichtige Bedingung des Erfolges. Obwohl die Natur lange Zeiträume auf die Züchtung verwendet, so braucht sie doch keine von unendlicher Länge; denn da alle organischen Wesen sozusagen streben eine Stelle im Haushalte der Natur einzunehmen, so muss eine Art, welche nicht gleichen Schrittes mit ihren Mitbewerbern verändert und verbessert wird, bald erlöschen. Wenn vortheilhafte Abänderungen sich nicht wenigstens auf einige Nachkommen vererben, so vermag die Natürliche Zuchtwahl wohl nichts auszurichten. Nichtvererbung des neuen Charakters ist nichts andres als Rückkehr zum Charakter der Grossältern oder noch früherer Vorgänger. Gewiss mag diese Neigung zur Rückkehr die Thätigkeit der Natürlichen Züchtung oft vereitelt haben; aber ihre Bedeutung ist von einigen Schriftstellern weit überschätzt worden. Denn wenn diese Neigung nicht an der Ausbildung so vieler erblichen Rassen im Thier- wie im Pflanzen-Reich gehindert hat, wie sollte sie die Vorgänge der Natürlichen Züchtung verhindert haben?

Bei planmässiger Züchtung wählt der Züchter stets bestimmte Objekte, und freie Kreutzung würde sein Werk gänzlich hemmen. Haben aber viele Menschen, ohne die Absicht ihre Rasse zu veredeln, eine ungefähr gleiche Ansicht von Vollkommenheit, und[S. 117] sind alle bestrebt, nur die besten und vollkommensten Thiere zur Nachzucht zu verwenden, so wird, wenn auch langsam, aus dieser unbewussten Züchtung gewiss schon viele Umänderung und Veredlung hervorgehen, wenn auch viele Kreutzung mit schlechteren Thieren zwischendurchläuft. So ist es auch in der Natur. Findet sich ein beschränktes Gebiet mit einer nicht ganz angemessen ausgefüllten Stelle in ihrer geselligen Zusammensetzung, so wird die Natürliche Züchtung bestrebt seyn, alle Individuen zu erhalten, die, wenn auch in verschiedenem Grade, doch in der angemessenen Richtung so variiren, dass sie die Stelle allmählich besser auszufüllen im Stande sind. Ist jenes Gebiet aber gross, so werden seine verschiedenen Bezirke gewiss ungleiche Lebens-Bedingungen darbieten; und wenn dann durch den Einfluss der Natürlichen Züchtung irgend eine Spezies auf eine andre Weise in jedem Bezirke abgeändert worden, so wird an den Grenzen dieser Bezirke eine Kreutzung zwischen den Individuen jener verschiedenen Abänderungen eintreten, und in diesem Falle kann die Wirkung der Kreutzung durch die der Natürlichen Züchtung, welche bestrebt ist alle Individuen eines jeden Bezirks genau in derselben Weise den Lebens-Bedingungen anzupassen, kaum aufgewogen werden, weil in einer zusammenhängenden Fläche die Lebens-Bedingungen des einen in die des anderen Bezirkes allmählich übergehen. Die Kreutzung wird hauptsächlich diejenigen Thiere berühren, welche sich zu jeder Fortpflanzung paaren, viel wandern und sich nicht rasch vervielfältigen. Daher bei Thieren dieser Art, Vögeln z. B., die Abänderungen gewöhnlich auf getrennte Gegenden beschränkt seyn müssen, wie es auch der Fall zu seyn scheint. Bei Zwitter-Organismen, welche sich nur von Zeit zu Zeit mit andern kreutzen, sowie bei solchen Thieren, die zu jeder Verjüngung ihrer Art sich paaren, aber wenig wandern und sich sehr rasch vervielfältigen können, dürfte sich eine neue und verbesserte Varietät an irgend einer Stelle rasch bilden und sich dort in Masse zusammenhalten, so dass alle Kreutzung, wie sie auch beschaffen seye, nur zwischen Einzelthieren derselben neuen Varietät erfolgt. Ist eine örtliche Varietät auf solche Weise einmal gebildet, so wird sie sich nachher[S. 118] nur langsam über andre Bezirke verbreiten. Nach dem obigen Prinzip ziehen Pflanzschulen-Besitzer es immer vor, Saamen von einer grossen Pflanzen-Masse gleicher Varietät zu ziehen, weil hiedurch die Möglichkeit einer Kreutzung mit anderen Varietäten gemindert wird.

Selbst bei Thieren mit langsamer Vermehrung, die sich zu jeder Fortpflanzung paaren, dürfen wir die Wirkungen der Kreutzung auf Verzögerung der Natürlichen Züchtung nicht überschätzen; denn ich kann eine lange Liste von Thatsachen beibringen, woraus sich ergibt, dass in einem Gebiete Varietäten der nämlichen Thier-Art lange unterschieden bleiben können, wenn sie verschiedene Stationen innehaben, in etwas verschiedener Jahreszeit sich fortpflanzen, oder im Falle nur einerlei Varietät sich unter einander paart.

Kreutzung spielt in der Natur insoferne eine grosse Rolle, als sie die Individuen einer Art oder einer Varietät rein und einförmig in ihrem Charakter erhält. Sie wird Diess offenbar weit wirksamer zu thun vermögen bei solchen Thieren, die sich für jede Fortpflanzung paaren; aber ich habe schon vorher zu zeigen gesucht, dass Ursache zur Vermuthung vorliegt, dass bei allen Pflanzen und bei allen Thieren von Zeit zu Zeit Kreutzungen erfolgen; — und wenn Diess auch nur nach langen Zwischenräumen wieder einmal erfolgt, so bin ich überzeugt, dass die hiebei erzielten Abkömmlinge die durch lange Selbstbefruchtung erzielte Nachkommenschaft an Stärke und Fruchtbarkeit so sehr übertreffen, dass sie mehr Aussicht haben dieselben zu überleben und sich fortzupflanzen, und so wird in langen Zeiträumen der Einfluss der wenn auch nur seltenen Kreutzungen doch gross seyn. Bei Organismen, die sich niemals kreutzen, kann eine Gleichförmigkeit des Charakters so lange währen, als ihre äusseren Lebens-Bedingungen die nämlichen bleiben, theils in Folge der Vererbung und theils in Folge der Natürlichen Züchtung, welche jede zufällige Abweichung von dem eigenen Typus immer wieder zerstört; wenn aber die Lebens-Bedingungen sich ändern und jene Wesen dem entsprechende Abänderungen erleiden, so kann ihre hienach abgeänderte Nachkommenschaft nur dadurch[S. 119] Einförmigkeit des Charakters behaupten, dass Natürliche Züchtung dieselbe vortheilhafte Varietät erhält.

Abschliessung ist eine wichtige Bedingung im Prozesse der Natürlichen Zuchtwahl. In einem umgrenzten oder vereinzelten Gebiete werden, wenn es nicht sehr gross ist, die unorganischen wie die organischen Lebens-Bedingungen gewöhnlich in hohem Grade einförmig seyn; daher die Natürliche Zuchtwahl streben wird, alle Individuen einer veränderlichen Art in gleicher Weise mit Hinsicht auf die gleichen Lebens-Bedingungen zu modifiziren. Auch Kreutzungen mit solchen Individuen derselben Art, welche die den Bezirk umgrenzenden und anders beschaffenen Gegenden bewohnen mögen, kommen da nicht vor. Isolirung wirkt aber vielleicht noch kräftiger, insoferne sie nach irgend einem physikalischen Wechsel im Klima, in der Höhe des Landes u. s. w. die Einwanderung hindert; und so bleiben die neuen Stellen im Natur-Haushalte der Gegend offen für die Bewerbung der alten Bewohner, bis diese sich durch geeignete Veränderungen in organischer Bildung und Thätigkeit derselben angepasst haben. Abschliessung wird endlich dadurch, dass sie Einwanderung und daher Mitbewerbung hemmt, Zeit geben zur Bildung neuer Varietäten, und Diess kann mitunter von Wichtigkeit seyn für die Hervorbringung neuer Arten. Wenn dagegen ein isolirtes Land-Gebiet sehr klein ist, so wird nothwendig auch, entweder der es umgebenden Schranken halber oder in Folge seiner ganz eigenthümlichen Lebens-Bedingungen, die Gesammtzahl der darin vorhandenen Individuen sehr klein seyn; und geringe Individuen-Zahl verzögert sehr die Bildung neuer Arten durch Natürliche Züchtung, weil sie die Möglichkeit des Auftretens neuer angemessener Abänderungen vermindert.

Die blosse Zeit an und für sich thut nichts für und nichts gegen die Natürliche Züchtung. Ich bemerke Diess ausdrücklich, weil man irrig behauptet hat, dass ich dem Zeit-Element dabei einen allmächtigen Antheil zugestehe, als ob alle Species mit der Zeit nothwendig eine allmählige Veränderung erfahren müssten. Zeit ist aber nur insoferne von Bedeutung, als sie den vorkommenden Abänderungen die allmählich vergrösserte Möglichkeit der Wahl,[S. 120] Häufung und Befestigung in Bezug auf die langsam wechselnden organischen und unorganischen Lebens-Bedingungen gewährt. Auch begünstigt sie die direkte Wirkung neuer oder veränderter physischer Lebens-Bedingungen.

Wenden wir uns zur Bestätigung der Wahrheit dieser Bemerkungen an die Natur und sehen uns um nach irgend einem kleinen abgeschlossenen Gebiete, nach einer ozeanischen Insel z. B., so werden wir finden dass, obwohl die Gesammtzahl der es bewohnenden Arten nur klein ist, wie sich in dem Kapitel über geographische Verbreitung ergeben wird, doch eine verhältnissmässig grosse Zahl dieser Arten endemisch ist, d. h. hier an Ort und Stelle und nirgends anderwärts erzeugt worden ist. Auf den ersten Anblick scheint es demnach, es müsse eine ozeanische Insel sehr geeignet zur Hervorbringung neuer Arten gewesen seyn; um jedoch thatsächlich zu ermitteln, ob ein kleines abgeschlossenes Gebiet oder eine weite offene Fläche für die Erzeugung neuer organischer Formen mehr geeignet gewesen seye, müssten wir auch gleich-lange Zeiträume dabei vergleichen können, und Diess sind wir nicht im Stande zu thun.

Obwohl ich nun nicht zweifle, dass Isolirung bei Erzeugung neuer Arten ein sehr wichtiger Umstand ist, so möchte ich doch im Ganzen genommen glauben, dass grosse Ausdehnung des Gebietes noch wichtiger insbesondere für die Hervorbringung solcher Arten ist, die sich einer langen Dauer und weiten Verbreitung fähig zeigen. Auf einer grossen und offenen Fläche wird nicht nur die Aussicht auf vortheilhafte Abänderungen wegen der grösseren Anzahl von Individuen einer Art günstiger, es werden auch die Lebens-Bedingungen wegen der grossen Anzahl schon vorhandener Arten unendlich zusammengesetzter seyn; und wenn einige von diesen zahlreichen Arten verändert oder verbessert werden, so müssen auch andere in entsprechendem Grade verbessert werden oder untergehen. Eben so wird jede neue Form, sobald sie sich stark verbessert hat, fähig seyn, sich über die offene und zusammenhängende Fläche auszubreiten, und wird hiedurch in Mitbewerbung mit vielen andern treten. Es werden hiermit mehr neu zu besetzende Stellen entstehen, und[S. 121] die Mitbewerbung um deren Ausfüllung wird viel heftiger als auf einem kleinen und abgeschlossenen Gebiete werden. Ausserdem aber mögen grosse Flächen, wenn sie jetzt auch zusammenhängend sind, in Folge der Schwankungen ihrer Oberfläche, oft noch unlängst von unterbrochener Beschaffenheit gewesen seyn, so dass sie an den guten Wirkungen der Isolirung wenigstens bis zu einem gewissen Grade mit theilgenommen haben. Ich komme demnach zum Schlusse, dass, wenn kleine abgeschlossene Gebiete auch in manchen Beziehungen wahrscheinlich sehr günstig für die Erzeugung neuer Arten gewesen sind, doch auf grossen Flächen die Abänderungen im Allgemeinen rascher erfolgt sind und, was noch wichtiger ist, die auf den grossen Flächen entstandenen neuen Formen, welche bereits den Sieg über viele Mitbewerber davon getragen, solche sind, die sich am weitesten verbreiten und die zahlreichsten neuen Varietäten und Arten liefern, mithin den wesentlichsten Antheil an den geschichtlichen Veränderungen der organischen Welt nehmen.

Wir können von diesen Gesichtspunkten aus vielleicht einige Thatsachen verstehen, welche in unserem Kapitel über die geographische Verbreitung erörtert werden sollen; z. B. dass die Erzeugnisse des kleineren Australischen Kontinentes früher vor denen der grössern Europäisch-Asiatischen Fläche gewichen und anscheinend noch jetzt im Weichen begriffen sind. Daher kommt es ferner, dass festländische Erzeugnisse allenthalben so reichlich auf Inseln naturalisirt worden sind. Auf einer kleinen Insel wird der Wettkampf ums Daseyn viel weniger heftig, Erlöschung wird weniger und Abänderung geringer gewesen seyn. Daher rührt es vielleicht auch, dass die Flora von Madeira nach OSWALD HEER der erloschenen Tertiär-Flora Europas gleicht. Alle Süsswasser-Becken zusammengenommen nehmen dem Meere wie dem trockenen Lande gegenüber nur eine kleine Fläche ein, und demgemäss wird die Mitbewerbung zwischen den Süsswasser-Erzeugnissen minder heftig gewesen seyn als anderwärts; neue Formen sind langsamer entstanden und alte langsamer erloschen. Im süssen Wasser finden wir sieben Sippen ganoider oder schmelzschuppiger Fische als übrig-gebliebene Vertreter einer[S. 122] einst vorherrschenden Ordnung dieser Klasse; und im süssen Wasser finden wir auch einige der anomalsten Wesen, welche auf der Erde bekannt sind, den Ornithorhynchus und den Lepidosiren, welche gleich fossilen Formen bis zu gewissem Grade solche Ordnungen miteinander verbinden, welche jetzt auf der natürlichen Stufenleiter weit von einander entfernt sind. Man kann daher diese anomalen Formen immerhin „lebende Fossile“ nennen. Sie haben ausgedauert bis auf den heutigen Tag, weil sie eine beschränkte Fläche bewohnt haben und in dessen Folge einer minder heftigen Mitbewerbung ausgesetzt gewesen sind.

Fassen wir die der Natürlichen Züchtung günstigen und ungünstigen Umstände schliesslich zusammen, so weit die äusserst verwickelte Beschaffenheit Solches gestattet. Ich gelange mit Hinsicht auf die Zukunft zum Schlusse: dass für Land-Erzeugnisse eine weite Festland-Fläche, welche wahrscheinlich noch vielfältige Höhenwechsel zu erfahren hat und sich daher lange Zeiträume hindurch in einem unterbrochenen Zustande befinden wird, für Hervorbringung vieler neuen zu langer Dauer und weiter Verbreitung geeigneter Lebens-Formen die günstigsten Bedingungen darbieten wird. Eine solche Fläche kann zuerst ein Festland gewesen seyn, dessen Bewohner in jener Zeit zahlreich an Arten und Individuen sehr lebhafter Mitbewerbung ausgesetzt gewesen sind. Ist sodann der Kontinent durch Senkung in grosse Inseln geschieden worden, so werden noch viele Individuen einer Art auf jeder Insel übrig seyn, welche sich an den Grenzen ihrer Verbreitungs-Bezirke (der Inseln) mit einander zu kreutzen gehindert sind. Eben so können nach irgend welchen physikalischen Veränderungen keine Einwanderungen stattfinden, daher die neu entstehenden Stellen in der gesellschaftlichen Verbindung jeder Insel durch Abänderungen ihrer alten Bewohner ausgefüllt werden müssen. Um die Varietäten einer jeden zu diesem Zwecke umzugestalten und zu vervollkommnen, wird lange Zeit nöthig seyn. Sollten durch eine neue Hebung die Inseln wieder in ein Festland zusammenfliessen, so wird eine heftige Mitbewerbung erfolgen. Die am meisten begünstigten oder verbesserten Varietäten werden sich ausbreiten, viele minder[S. 123] vollkommene Formen erlöschen und die Verhältniss-Zahlen des erneuerten Kontinents sich bedeutend ändern. Es wird daher der Natürlichen Züchtung ein reiches Feld zur ferneren Verbesserung der Bewohner und zur Hervorbringung neuer Arten geboten seyn.

Ich gebe vollkommen zu, dass die Natürliche Züchtung zuweilen mit äusserster Langsamkeit wirke. Ihre Thätigkeit hängt davon ab, ob in dem gesellschaftlichen Verbande der Natur Stellen vorhanden sind, welche dadurch besser besetzt werden könnten, dass einige Bewohner der Gegend irgend welche Abänderung erführen. Das Vorhandenseyn solcher Stellen wird oft von gewöhnlich langsamen physikalischen Veränderungen und davon abhängen, ob die Einwanderung besser anpassender Formen gehindert ist. Aber die Thätigkeit der Natürlichen Züchtung wird wahrscheinlich noch öfter davon bedingt seyn, dass einige der Bewohner langsame Abänderungen erleiden, indem hiedurch die Wechselbeziehungen vieler alten Bewohner zu einander gestört werden. Nichts kann bewirkt werden, bevor nicht vortheilhafte Abänderungen vorkommen, und Abänderung selbst ist offenbar stets ein sehr langsamer Vorgang. Viele werden der Meinung seyn, dass diese verschiedenen Ursachen ganz genügend seyen, um die Thätigkeit der Natürlichen Züchtung vollständig zu hindern; ich bin jedoch nicht dieser Ansicht. Auf der andern Seite glaube ich, dass Natürliche Züchtung immer sehr langsam wirke, oft erst wieder nach langen Zeitzwischenräumen und gewöhnlich nur bei sehr wenigen Bewohnern einer Gegend zugleich. Ich glaube ferner, dass diese sehr langsame und aussetzende Thätigkeit der Natürlichen Züchtung ganz gut demjenigen entspricht, was uns die Geologie in Bezug auf die Ordnung und Art der Veränderung lehrt, welche die Bewohner dieser Erde allmählich erfahren haben.

Wie langsam aber auch der Prozess der Züchtung seyn mag; wenn der schwache Mensch in kurzer Zeit schon so viel durch seine künstliche Züchtung thun kann, so vermag ich keine Grenze für den Umfang der Veränderungen, für die Schönheit und endlose Verflechtung der Anpassungen aller organischen[S. 124] Wesen an einander und an ihre natürlichen Lebens-Bedingungen zu erkennen, welche die natürliche Züchtung im Verlaufe unermesslicher Zeiträume zu bewirken im Stande ist.

Erlöschen.) — Dieser Gegenstand wird in unsrem Abschnitte über Geologie vollständiger abzuhandeln seyn; hier berühren wir ihn nur, insoferne er mit der Züchtung zusammenhängt. Natürliche Züchtung wirkt nur durch Erhaltung vortheilhafter Abänderungen, welche die andern zu überdauern vermögen. Wenn jedoch in Folge des geometrischen Vervielfältigungs-Vermögens aller organischen Wesen jeder Bezirk schon genügend mit Bewohnern und wenn die meisten Bezirke bereits mit einer grossen Manchfaltigkeit der Formen versorgt sind, so muss nothwendig in demselben Grade, in welchem die ausgewählte und begünstigte Form an Menge zunimmt, die minder begünstigte allmählich abnehmen und seltener werden. Seltenwerden ist, wie die Geologie uns lehrt, Anfang des Erlöschens. Man erkennt auch, dass eine nur durch wenige Individuen vertretene Form durch Schwankungen in den Jahreszeiten oder in der Zahl ihrer Feinde grosse Gefahr gänzlicher Vertilgung läuft. Doch können wir noch weiter gehen und sagen: wenn neue Formen langsam aber beständig erzeugt werden, so müssen andre unvermeidlich fortwährend erlöschen, wenn nicht die Zahl der specifischen Formen beständig und fast unendlich anwachsen soll. Die Geologie zeigt uns klärlich, dass die Zahl der Art-Formen nicht in’s Unbegrenzte gewachsen ist, und wir wollen jetzt versuchen nachzuweisen, wohin es komme, dass die Arten-Zahl auf der Erd-Oberfläche nicht unermesslich geworden ist.

Wir haben gesehen, dass diejenigen Arten, welche die zahlreichsten Individuen zählen, die meiste Wahrscheinlichkeit für sich, innerhalb einer gegebenen Zeit vortheilhafte Abänderungen hervorzubringen. Die im zweiten Kapitel mitgetheilten Thatsachen können zum Beweise dafür dienen, indem sie zeigen, dass gerade die gemeinsten Arten die grösste Anzahl ausgezeichneter Varietäten oder anfangender Species liefern. Daher werden denn auch die selteneren Arten in einer gegebenen Periode weniger rasch umgeändert oder verbessert werden und demzufolge in[S. 125] dem Kampfe mit den umgeänderten Abkömmlingen der gemeineren Arten unterliegen.

Aus diesen verschiedenen Betrachtungen scheint nun unvermeidlich zu folgen, dass in dem Masse, wie im Laufe der Zeit neue Arten durch Natürliche Züchtung entstehen, andre seltener und seltener werden und endlich erlöschen müssen. Diejenigen Formen werden natürlich am meisten leiden, welche den umgeänderten und verbesserten am nächsten stehen. Und wir haben in dem Abschnitte vom Ringen um’s Daseyn gesehen, dass es die miteinander am nächsten verwandten Formen — Varietäten der nämlichen Art und Arten der nämlichen oder einander zunächst verwandten Sippen sind, die, weil sie nahezu gleichen Bau, Konstitution und Lebensweise haben, meistens auch in die heftigste Mitbewerbung miteinander gerathen. Wir sehen den nämlichen Prozess der Austilgung unter unseren Kultur-Erzeugnissen vor sich gehen, in Folge der Züchtung verbesserter Formen durch den Menschen. Ich könnte mit vielen merkwürdigen Belegen zeigen, wie schnell neue Rassen von Rindern, Schaafen und andern Thieren oder neue Varietäten von Blumen die Stelle der früheren und unvollkommeneren einnehmen. In Yorkshire ist es geschichtlich bekannt, dass das alte schwarze Rindvieh durch die Langhorn-Rasse verdrängt und dass diese nach dem Ausdruck eines landwirthschaftlichen Schriftstellers, wie durch eine mörderische Seuche von den Kurzhörnern weggefegt worden ist.

Divergenz des Charakters.) — Das Princip, welches ich mit diesem Ausdruck bezeichne, ist von hoher Wichtigkeit für meine Theorie und erklärt nach meiner Meinung verschiedene wichtige Thatsachen. Erstens gibt es manche sehr ausgeprägte Varietäten, die, obwohl sie etwas vom Charakter der Species an sich haben, wie in vielen Fällen aus den hoffnungslosen Zweifeln über ihren Rang erhellet, doch gewiss viel weniger als gute und ächte Arten von einander abweichen. Demungeachtet sind nach meiner Anschauungsweise Varietäten eben anfangende Species. Auf welche Weise wächst nun jene kleinere Verschiedenheit zur grössern specifischen Verschiedenheit an? Dass Diess[S. 126] allgemein geschehe, müssen wir aus den fast unzähligen in der ganzen Natur vorhandenen Arten mit wohl ausgeprägten Varietäten schliessen, während Varietäten, die von uns unterstellten Prototype und Ältern künftiger wohl unterschiedener Arten, nur geringe und schlecht-ausgeprägte Unterschiede darbieten. Wenn es bloss der sogenannte Zufall wäre, der die Abweichung einer Varietät von ihren Ältern in einigen Beziehungen und dann die noch stärkere Abweichung des Nachkömmlings dieser Varietät von jenen Ältern in gleicher Richtung veranlasste, so würde dieser doch nicht genügen, ein so gewöhnliches und grosses Maass von Verschiedenheit zu erklären, als zwischen Varietäten einer Art und zwischen Arten einer Sippe vorhanden ist.

Wir wollen daher, wie ich es bis jetzt zu thun gewöhnt war, auch diesen Gegenstand mit Hilfe unsrer Kultur-Erzeugnisse erläutern. Wir werden dabei etwas Analoges finden. Nehmen wir an, dass die Bildung so weit auseinander laufender Rassen wie die des Kurzhorn- und des Hereforder-Rindes, des Rasse- und des Karren-Pferdes, der verschiedenen Tauben-Rassen u. s. w. durch bloss zufällige Häufung der Abänderungen in einerlei Richtung während vieler aufeinander folgender Generationen nicht hätte zu Stande kommen können. Wenn nun aber in der Wirklichkeit ein Liebhaber seine Freude an einer Taube mit merklich kürzerem und ein anderer die seinige an einer solchen mit viel längerem Schnabel hätte, so würden sich beide bestreben, da „Liebhaber Mittelmässigkeiten nicht bewundern, sondern Extreme lieben“ (wie es mit Purzeltauben wirklich der Fall gewesen), zur Nachzucht Vögel mit immer kürzeren und kürzeren oder immer längeren und längeren Schnäbeln zu wählen. Eben so können wir unterstellen, es habe Jemand in früherer Zeit schlankere und ein andrer Jemand stärkere und schwerere Pferde vorgezogen. Die ersten Unterschiede werden nur sehr gering gewesen seyn; wenn nun aber im Laufe der Zeit einige Züchter fortwährend die schlankeren, und andre ebenso die schwereren Pferde zur Nachzucht erkiesen, so werden die Verschiedenheiten immer grösser werden und Veranlassung geben zwei Unterrassen zu unterscheiden, und nach Verlauf von Jahrhunderten[S. 127] können diese Unterrassen sich endlich zu zwei wohlbegründeten verschiedenen Rassen ausbilden. Da die Verschiedenheiten langsam zunehmen, so werden die unvollkommeneren Thiere von mittlem Charakter, die weder sehr leicht noch sehr schwer sind, vernachlässigt werden und sich zum Erlöschen neigen. Daher sehen wir dann auch in diesen künstlichen Erzeugnissen des Menschen, dass in Folge des Divergenz-Prinzips, wie man es nennen könnte, die anfangs kaum bemerkbaren Verschiedenheiten immer zunehmen und die Rassen immer weiter unter sich wie von ihren gemeinsamen Stamm-Ältern abweichen.

Aber wie, kann man fragen, lässt sich ein solches Prinzip auf die Natur anwenden? Ich glaube, dass es schon durch den einfachen Umstand eine erfolgreiche Anwendung findet (obwohl ich selbst Diess lange Zeit nicht erkannt habe), dass, je weiter die Abkömmlinge einer Species in Bau, organischen Verrichtungen und Lebensweise auseinandergehen, um so besser sie geeignet seyn werden, viele und sehr verschiedene Stellen im Haushalte der Natur einzunehmen und somit an Zahl zuzunehmen.

Diess zeigt sich deutlich bei Thieren mit einfacher Lebensweise. Nehmen wir ein vierfüssiges Raubthier zum Beispiel, dessen Zahl in einer Gegend schon längst zu dem vollen Betrage angestiegen ist, welches die Gegend zu ernähren vermag. Hat das ihm innewohnende Vervielfältigungs-Vermögen freies Spiel, so kann dieselbe Thier-Art (vorausgesetzt dass die Gegend keine Veränderung ihrer natürlichen Verhältnisse erfahre) nur dann noch weiter zunehmen, wenn ihre Nachkommen in der Weise abändern, dass sie allmählich solche Stellen einnehmen können, welche jetzt andere Thiere schon innehaben, wenn z. B. einige derselben geschickt werden auf neue Arten von lebender oder todter Beute auszugehen, indem sie neue Standorte bewohnen, Bäume erklimmen, in’s Wasser gehen oder auch einen Theil ihrer Raubthier-Natur aufgeben. Je mehr nun diese Nachkommen unsres Raubthieres in Organisation und Lebensweise auseinandergehen, desto mehr Stellen werden sie fähig seyn in der Natur einzunehmen. Und was von einem Thiere gilt, das gilt durch alle Zeiten von allen Thieren, vorausgesetzt, dass sie[S. 128] variiren; denn ausserdem kann Natürliche Züchtung nichts ausrichten. Und dasselbe gilt von den Pflanzen. Es ist durch Versuche dargethan worden, dass wenn man eine Strecke Landes mit Gräsern verschiedener Sippen besäet, man eine grössere Anzahl von Pflanzen erzielen und ein grösseres Gewicht von Heu einbringen kann, als wenn man eine gleiche Strecke nur mit einer Gras-Art ansäet. Zum nämlichen Ergebniss ist man gelangt, indem man zuerst eine Varietät und dann verschiedene gemischte Varietäten von Weitzen auf zwei gleich grosse Grund-Stücke säete. Wenn daher eine Gras-Art in Varietäten auseinandergeht und diese Varietäten, unter sich in derselben Weise verschieden wie die Arten und Sippen der Gräser verschieden sind, immer wieder zur Nachzucht gewählt werden, so wird eine grössere Anzahl einzelner Stöcke dieser Gras-Art mit Einschluss ihrer Varietäten auf gleicher Fläche wachsen können, als zuvor. Bekanntlich streut jede Gras-Art und Varietät jährlich eine fast zahllose Menge von Saamen aus, so dass man fast sagen könnte, ihr hauptsächlichstes Streben seye Vermehrung ihrer Anzahl. Daher zweifle ich nicht daran, dass im Verlaufe von vielen Tausend Generationen gerade die am weitesten auseinander gehenden Varietäten einer Gras-Art immer am meisten Wahrscheinlichkeit des Erfolges durch Vermehrung ihrer Anzahl und durch Verdrängung der geringeren Abweichungen für sich haben; und sind diese Varietäten nun weit von einander verschieden, so nehmen sie den Charakter der Arten an.

Die Wahrheit des Prinzips, dass die grösste Summe von Leben vermittelt werden kann durch die grösste Differenzirung der Struktur, lässt sich unter vielerlei natürlichen Verhältnissen erkennen. Wir sehen auf ganz kleinen Räumen, zumal wenn sie der Einwanderung offen sind und mithin das Ringen der Arten mit einander heftig ist, stets eine grosse Manchfaltigkeit von Bewohnern. So fand ich z. B. auf einem 3′ langen und 4′ breiten Stück Rasen, welches viele Jahre lang genau denselben Bedingungen ausgesetzt gewesen, zwanzig Arten von Pflanzen aus achtzehn Sippen und acht Ordnungen beisammen, woraus sich ergibt, wie verschieden von einander eben diese Pflanzen sind.[S. 129] So ist es auch mit den Pflanzen und Insekten auf kleinen einförmigen Inseln; und ebenso in kleinen Süsswasser-Behältern. Die Landwirthe wissen, dass sie bei einer Rotation mit Pflanzen-Arten aus den verschiedensten Ordnungen am meisten Futter erziehen können[12], und die Natur bietet, was man eine simultane Rotation nennen könnte. Die meisten Pflanzen und Thiere, welche rings um ein kleines Grundstück wohnen, würden auch auf diesem Grundstücke (wenn es nicht in irgend einer Beziehung von sehr abweichender Beschaffenheit ist) leben können und streben so zu sagen in hohem Grade darnach da zu leben; wo sie aber in nächste Mitbewerbung mit einander kommen, da sehen wir, dass ihre aus der Differenzirung ihrer Organisation, Lebensweise und Konstitution sich ergebenden wechselseitigen Vorzüge bedingen, dass die am unmittelbarsten mit einander ringenden Bewohner im Allgemeinen verschiedenen Sippen und Ordnungen angehören.

Dasselbe Princip erkennt man, wo der Mensch Pflanzen in fremdem Lande zu naturalisiren strebt. Man hätte erwarten dürfen, dass diejenigen Pflanzen, die mit Erfolg in einem Lande naturalisirt werden können, im Allgemeinen nahe verwandt mit den Eingeborenen seyen; denn diese betrachtet man gewöhnlich als besonders für ihre Heimath geschaffen und angepasst. Eben so hätte man vielleicht erwartet, dass die naturalisirten Pflanzen zu einigen wenigen Gruppen gehörten, welche nur etwa gewissen Stationen entsprächen. Aber die Sache verhält sich ganz anders, und ALPHONS DECANDOLLE hat in seinem grossen und vortrefflichen Werke ganz wohl gezeigt, dass die Floren durch Naturalisirung, der Anzahl der eingeborenen Sippen und Arten gegenüber, weit mehr an neuen Sippen als an neuen Arten gewinnen. Um nur ein Beispiel zu geben, so sind in Dr. ASA GRAY’S „Manual of the Flora of the northern United states“ 260 naturalisirte Pflanzen-Arten aus 162 Sippen aufgezählt. Wir sehen ferner, dass diese naturalisirten Pflanzen von sehr verschiedener Natur sind, und auch von den eingebornen in[S. 130] so ferne nicht abweichen, als aus jenen 162 Sippen nicht weniger als 100 ganz fremdländisch sind, daher die eingeborene Flora verhältnissmässig mehr an Sippen als an Arten bereichert worden ist.

Berücksichtigt man die Natur der Pflanzen und Thiere, welche der Reihe nach erfolgreich mit den eingeborenen einer Gegend gerungen haben und in dessen Folge naturalisirt worden sind, so kann man eine rohe Vorstellung davon gewinnen, wie etwa einige die eingeborenen hätten modificirt werden müssen, um einen Vortheil über die andern eingeborenen zu erlangen; wir können, wie ich glaube, wenigstens mit Sicherheit schliessen, dass eine Differenzirung ihrer Struktur bis zu einem zur Bildung neuer Sippen genügenden Betrage für sie erspriesslich gewesen wäre.

Der Vortheil einer Differenzirung der Eingeborenen einer Gegend ist in der That derselbe, welcher für einen individuellen Organismus aus der physiologischen Theilung der Arbeit unter seine Organe entspringt, ein von MILNE EDWARDS so trefflich erläuterter Gegenstand. Kein Physiologe zweifelt daran, dass ein Magen, welcher nur zur Verdauung von vegetabilischer oder von animalischer Materie allein geeignet ist, die meiste Nahrung aus diesen Stoffen zieht. So werden auch in dem grossen Haushalte eines Landes um so mehr Individuen von Pflanzen und Thieren ihren Unterhalt zu finden im Stande seyn, je mehr dieselben hinsichtlich ihrer Lebensweise differenzirt sind. Eine Gesellschaft von Thieren mit nur wenig differenzirter Organisation kann schwerlich mit einer andern von vollständiger differenzirtem Baue werben. So wird man z. B. bezweifeln müssen, dass die Australischen Beutelthiere, welche nach WATERHOUSE’S u. A. Bemerkung, in weniger von einander abweichende Gruppen unterschieden, unsere Raub-Thiere, Wiederkäuer und Nager vertreten, im Stande seyn würden, mit diesen wohl ausgesprochenen Ordnungen zu werben. In den Australischen Säugethieren erblicken wir den Prozess der Differenzirung auf einer noch frühen und unvollkommenen Entwicklungs-Stufe.

Nach dieser vorangehenden Erörterung, die einer grösseren[S. 131] Ausdehnung bedürfte, dürfen wir wohl annehmen, dass die abgeänderten Nachkommen einer Species um so mehr Erfolg haben werden, je mehr sie in ihrer Organisation differenzirt und hiedurch geeignet seyn werden, sich auf die bereits von andern Wesen eingenommenen Stellen einzudrängen. Wir wollen nun zusehen, wie dieses nützliche von der Divergenz des Charakters abgeleitete Prinzip in Verbindung mit den Prinzipien der Natürlichen Züchtung und der Erlöschung zusammenwirke.

Das beigefügte Bild wird uns dienen, diese sehr verwickelte Frage besser zu begreifen. Gesetzt es bezeichnen die Buchstaben A bis L die Arten einer grossen Sippe in ihrer Heimath-Gegend; diese Arten gleichen einander in verschiedenen Abstufungen, wie es eben in der Natur der Fall zu seyn pflegt, und was durch verschiedene Entfernung jener Buchstaben von einander ausgedrückt werden soll. Wir wählen eine grosse Sippe, weil wir schon im zweiten Kapitel gesehen, dass verhältnissmässig mehr Arten grosser Sippen als kleiner variiren, und dass dieselben eine grössere Anzahl von Varietäten darbieten. Wir haben ferner gesehen, dass die gemeinsten und am weitesten verbreiteten Arten mehr als die seltenen mit kleinen Wohn-Bezirken abändern. Es seye nun A eine gemeine weit verbreitete und abändernde Art einer grossen Sippe in ihrer Heimath-Gegend; der kleine Fächer divergirender Punkt-Linien von ungleicher Länge, welche von A ausgehen, möge ihre variirende Nachkommenschaft darstellen. Es ist ferner angenommen, deren Abänderungen seyen ausserordentlich gering, aber von der manchfaltigsten Beschaffenheit, nicht von gleichzeitiger, sondern oft durch lange Zwischenzeiten getrennter Erscheinung, und endlich von ungleich langer Dauer. Nur jene Abänderungen, welche in irgend einer Beziehung nützlich sind, werden erhalten und zur Natürlichen Züchtung verwendet. Und hier ist es wichtig, dass das Prinzip der Nützlichkeit von der Divergenz des Charakters abgeleitet ist; denn Diess wird meistens zu den am weitesten auseinandergehenden Abänderungen führen (welche durch unsre punktirten Linien dargestellt sind), wie sie durch Natürliche Züchtung erhalten und gehäuft worden. Wenn nun in[S. 132] unsrem Bilde eine der punktirten Linien eine der wagrechten Linien erreicht und dort mit einem kleinen numerirten Buchstaben bezeichnet erscheint, so ist angenommen, dass darin eine Summe von Abänderung gehäuft seye, genügend zur Bildung einer ganz wohl-bezeichneten Varietät, wie wir sie der Aufnahme in ein systematisches Werk werth achten.

Die Zwischenräume zwischen zwei wagrechten Linien des Bildes mögen je 1000 (besser wären 10,000) Generationen entsprechen. Nach 1000 Generationen hätte die Art A zwei ganz wohl ausgeprägte Varietäten a1 und m1 hervorgebracht. Diese zwei Varietäten seyen fortwährend denselben Bedingungen ausgesetzt, welche ihre Stammältern zur Abänderung veranlassten, und das Streben nach Abänderung in ihnen erblich. Sie werden daher nach weitrer Abänderung und gewöhnlich in derselben Art und Richtung streben wie ihre Stammältern. Überdiess werden diese zwei Varietäten, als nur erst wenig modificirte Formen, streben diejenigen Vorzüge wieder zu erwerben, welche ihren gemeinsamen Ältern A das numerische Übergewicht über die meisten andern Bewohner derselben Gegend verschafft haben; sie werden gleicherweise theilnehmen an denjenigen Vortheilen, welche die Sippe, wozu ihre Stammältern gehört, zur grossen Sippe ihrer Heimath erhoben. Und wir wissen, dass alle diese Umstände zur Hervorbringung neuer Varietäten günstig sind.

Wenn nun diese zwei Varietäten ebenfalls veränderlich sind, so werden die divergentesten ihrer Abänderungen gewöhnlich in den nächsten 1000 Generationen fortbestehen. Nach dieser Zeit, ist in unsrem Bilde angenommen, habe Varietät a1 die Varietät a2 hervorgebracht, die nach dem Differenzirungs-Principe weiter als a1 von A verschieden ist. Varietät m1 hat zwei andre Varietäten m2 und s2 ergeben, welche unter sich und noch mehr von ihrer gemeinsamen Stamm-Form A abweichen. So können wir den Vorgang lange Zeit von Stufe zu Stufe verfolgen und einige der Varietäten von je 1000 zu 1000 Generationen bald nur eine Abänderung von mehr und weniger abweichender Beschaffenheit, bald auch 2–3 derselben hervorbringen sehen, während andre keine neuen Formen darbieten. Doch[S. 133] werden gewöhnlich diese Varietäten oder abgeänderten Nachkommen eines gemeinsamen Stamm-Vaters A im Ganzen immer zahlreicher werden und immer weiter auseinander laufen. In dem Bilde ist der Vorgang bis zur zehntausendsten Generation, — und in einer mehr verdichteten und vereinfachten Weise bis zur vierzehntausendsten Generation dargestellt.

Doch muss ich hier bemerken, dass ich nicht der Meinung bin, dass der Prozess jemals so regelmässig vor sich gehe, als er im Bilde dargestellt ist, obwohl er auch da schon etwas unregelmässig erscheint. Eben so bin ich entfernt nicht der Meinung, dass die am weitesten differirenden Varietäten unabänderlich vorherrschen und sich vervielfältigen werden. Oft mag auch eine Mittelform von langer Dauer seyn und entweder keine oder mehr als eine in ungleichem Grade abgeänderte Varietät hervorbringen; die Natürliche Züchtung wird immer thätig seyn, je nach der Beschaffenheit der noch gar nicht oder nur unvollständig von anderen Wesen eingenommenen Stellen; und Diess wird von unendlich verwickelten Beziehungen abhängen. Doch werden der allgemeinen Regel zufolge die Abkömmlinge einer Art um so mehr geeignet seyn jene Stellen einzunehmen und ihre abgeänderte Nachkommenschaft zu vermehren, je weiter sie in ihrer Organisation differenzirt sind. In unsrem Bilde ist die Successions-Linie in regelmässigen Zwischenräumen unterbrochen durch kleine numerirte Buchstaben, zu Bezeichnung der successiven Formen, welche genügend unterschieden sind, um als Varietäten aufgeführt zu werden. Aber diese Unterbrechungen sind nur eingebildete und hätten anderwärts eingeschoben werden können nach hinlänglich langen Zwischenräumen für die Häufung eines ansehnlichen Betrags divergenter Abänderung.

Da alle diese verschiedenartigen Abkömmlinge von einer gemeinsamen und weit verbreiteten Art einer grossen Sippe an den gemeinsamen Verbesserungen theilzunehmen streben, welche den Erfolg ihrer Stamm-Ältern im Leben bedingt haben, so werden sie im Allgemeinen sowohl an Zahl als an Divergenz des Charakters zunehmen, und Diess ist im Bilde durch die verschiedenen von A ausgehenden Verzweigungen ausgedrückt. Die abgeänderten[S. 134] Nachkommen von den letzten und am meisten verbesserten Verzweigungen in den Nachkommenschafts-Linien werden wahrscheinlich oft die Stelle der ältern und minder vervollkommneten einnehmen und sie verdrängen, und Diess ist im Bilde dadurch ausgedrückt, dass einige der untern Zweige nicht bis zu den obern Horizontallinien hinauf reichen. In einigen Fällen zweifle ich nicht, dass der Prozess der Abänderung auf eine einfache Linie der Descendenz beschränkt bleiben und die Zahl der Nachkommen nicht vermehren wird, wenn auch das Maass divergenter Modifikation in den aufeinanderfolgenden Generationen zugenommen hat. Dieser Fall würde in dem Bilde dargestellt werden, wenn alle von A ausgehenden Linien bis auf die von a1 bis a10 beseitigt würden. Auf diese Weise sind z. B. die Englischen Rasse-Pferde und Englischen Windspiele langsam vom Charakter ihrer Stammform abgewichen, ohne je eine neue Abzweigung oder Nebenrasse abgegeben zu haben.

Es wird der Fall gesetzt, dass die Art A nach 10,000 Generationen drei Formen a10, f10 und m10 hervorgebracht habe, welche in Folge ihrer Charakter-Divergenz in den aufeinanderfolgenden Generationen weit, doch in ungleichem Grade unter sich und von ihren Stamm-Ältern verschieden sind. Nehmen wir nur einen äusserst kleinen Betrag von Veränderung zwischen je zwei Horizontalen unsres Bildes an, so werden unsre drei Formen nur bis zur Stufe wohl ausgeprägter Varietäten oder etwa zweifelhafter Unterarten gelangt seyn; wir haben aber nur nöthig, uns die Abstufungen im Änderungs-Prozesse etwas grösser zu denken, um diese Formen in gute Arten zu verwandeln; alsdann drückt das Bild die Stufen aus, auf welchen die kleinen nur Varietäten charakterisirenden Verschiedenheiten in grössere schon Arten unterscheidende Unterschiede übergehen. Denkt man sich denselben Prozess in einer noch grösseren Anzahl von Generationen fortwährend (wie es oben im Bilde in zusammengezogener und vereinfachter Weise geschehen), so erhalten wir acht von A abstammende Arten mit a14 bis m14 bezeichnet. So werden, wie ich glaube, Arten vervielfältigt und Sippen gebildet.

In einer grossen Sippe variirt wohl mehr als eine Art.[S. 135] Im Bilde habe ich angenommen, dass eine zweite Art I in analogen Abstufungen nach 10,000 Generationen entweder zwei wohlbezeichnete Varietäten w10 und x10, oder zwei Arten hervorgebracht habe, je nachdem man sich den Betrag der Veränderung, welcher zwischen zwei wagrechten Linien liegt, kleiner oder grösser denkt. Nach 14,000 Generationen werden nach unsrer Unterstellung sechs neue durch die Buchstaben n14–z14 bezeichnete Arten entstanden seyn. In jeder Sippe werden die bereits am weitesten in ihrem Charakter auseinander gegangenen Arten die grösste Anzahl modificirter Nachkommen hervorzubringen streben, indem diese die beste Aussicht haben, neue und weit von einander verschiedene Stellen im Natur-Staate einzunehmen; daher ich im Bilde die extreme Art A und die fast gleich extreme Art I als die am weitesten auseinander gelaufenen bezeichnete, welche auch zur Bildung neuer Varietäten und Arten Veranlassung gegeben haben. Die andren neun mit grossen Buchstaben (B–H, K, L) bezeichneten Arten unsrer Stamm-Sippe mögen sich noch lange Zeit ohne Veränderung fortpflanzen, was im Bilde durch die punktirten Linien ausgedrückt ist, welche wegen mangelnden Raumes nicht weiter aufwärts verlängert sind.

Inzwischen dürfte in dem auf unsrem Bilde dargestellten Umänderungs-Prozess noch ein andres unsrer Prinzipien, das der Erlöschung nämlich, eine wichtige Rolle gespielt haben. Da in jeder vollständig bevölkerten Gegend Natürliche Züchtung nothwendig durch Auswahl der Formen wirkt, welche in dem Kampfe um’s Daseyn irgend einen Vortheil vor den übrigen Formen voraus haben, so wird in den verbesserten Abkömmlingen einer Art ein beständiges Streben vorhanden seyn, auf jeder ferneren Stufe ihre Vorgänger und ihren Urstamm zu ersetzen und zu vertilgen. Denn man muss sich erinnern, dass der Kampf gewöhnlich am heftigsten zwischen solchen Formen ist, welche einander in Organisation, Konstitution und Lebensweise am nächsten stehen. Daher werden alle Zwischenformen zwischen den frühesten und spätesten, das ist zwischen den unvollkommensten und vollkommensten Stufen, sowie die Stamm-Art selbst zum Erlöschen geneigt seyn. Eben so wird es sich wahrscheinlich[S. 136] mit vielen ganzen Seiten-Linien verhalten, wenn sie durch spätere und vollkommenere Linien bekämpft werden. Wenn dagegen die abgeänderte Nachkommenschaft einer Art in einer besonderen Gegend aufkommt oder sich irgend einem ganz neuen Standorte rasch anpasst, wo Vater und Kind nicht in Mitbewerbung gerathen, dann mögen beide fortbestehen.

Nimmt man daher in unsrem Bilde an, dass es ein grosses Maass von Abänderung vorstelle, so werden die Art A und alle frühern Abänderungen derselben erloschen und durch acht neue Arten a14–m14 ersetzt seyn, und an der Stelle von I werden sich sechs neue Arten n14–z14 befinden.

Doch gehen wir noch weiter. Wir haben angenommen, dass die ursprünglichen Arten unsrer Sippe einander in ungleichem Grade ähnlich seyen, wie Das in der Natur gewöhnlich der Fall ist; dass die Art A näher mit B, C, D als mit den andern verwandt seye und I mehr Beziehungen mit G, H, K, L als zu den übrigen besitze; dass ferner diese zwei Arten A und I sehr gemein und weit verbreitet seyen, indem sie schon anfangs einige Vorzüge vor den andern Arten derselben Sippe voraus hatten. Ihre modifizirten Nachkommen, vierzehn an Zahl nach 14,000 Generationen, werden wahrscheinlich einige derselben Vorzüge geerbt haben; auch sind sie auf jeder weiteren Stufe der Fortpflanzung in einer divergenten Weise abgeändert und verbessert worden, so dass sie sich zur Besetzung vieler passenden Stellen im Natur-Haushalte ihrer Gegend eignen. Es scheint mir daher äusserst wahrscheinlich, dass sie nicht allein ihre Ältern A und I ersetzt und vertilgt haben, sondern auch einige andre diesen zunächst verwandte ursprüngliche Spezies. Es werden daher nur sehr wenige der ursprünglichen Arten sich bis in die vierzehntausendste Generation fortgepflanzt haben. Wir nehmen an, dass nur eine von den zwei mit den übrigen neun weniger nahe verwandten Arten, nämlich F, ihre Nachkommen bis zu dieser späten Generation erstrecke.

Der neuen von den eilf ursprünglichen Arten unsres Bildes abgeleiteten Spezies sind nun fünfzehn. Dem divergenten Streben der Natürlichen Züchtung gemäss, muss der äusserste Betrag von[S. 137] Charakter-Verschiedenheit zwischen den Arten a14 und z14 viel grösser als zwischen den unter sich verschiedensten der ursprünglichen eilf Arten seyn. Überdiess werden die neuen Arten in sehr ungleichem Grade mit einander verwandt seyn. Unter den acht Nachkommen von A mögen die drei a14, q14 und p14 näher beisammen stehen, weil sie sich erst spät von a10 abgezweigt haben, wogegen b14 und f14 als alte Abzweigungen von a5 etwas mehr von jenen drei entfernt sind; und endlich mögen o14, e14 und m14 zwar unter sich nahe verwandt seyn, aber als Seitenzweige seit dem ersten Beginne des Abänderungs-Prozesses weit von den andern fünf Arten abstehen und eine besondere Untersippe oder sogar eine eigne Sippe bilden.

Die sechs Nachkommen von I mögen zwei Subgenera oder selbst Genera bilden. Da aber die Stamm-Art I weit von A entfernt, fast am andern Ende der Arten-Reihe der ursprünglichen Sippe steht, so werden diese sechs Nachkommen durch Vererbung beträchtlich von den acht Nachkommen von A abweichen, indem überdiess angenommen worden, dass diese zwei Gruppen sich in auseinander weichenden Richtungen verändert haben. Auch sind die mittlen Arten, welche A mit I verbunden (was sehr wichtig ist zu beachten), mit Ausnahme von F erloschen, ohne Nachkommenschaft zu hinterlassen. Daher die sechs neuen von I entsprossenen und die acht von A abgeleiteten Spezies sich zu zwei sehr verschiedenen Sippen oder sogar Unterfamilien erhoben haben dürften.

So kommt es, wie ich meine, dass zwei oder mehr Sippen durch Abänderung aus zwei oder mehr Arten eines Genus entspringen können. Und von den zwei oder mehr Stamm-Arten ist angenommen worden, dass sie von einer Art einer früheren Sippe herrühren. In unsrem Bilde ist Diess durch die gebrochenen Linien unter den grossen Buchstaben A–L angedeutet, welche abwärts gegen je einen Punkt konvergiren. Dieser Punkt stellt eine einzelne Spezies, die unterstellte Stamm-Art aller unsrer neuen Subgenera und Genera vor.

Es ist der Mühe werth, einen Augenblick bei dem Charakter der neuen [S. 138]Art F14 zu verweilen, von welcher angenommen wird, dass sie ohne grosse Divergenz zu erfahren, die Form von F unverändert oder mit nur geringer Abänderung ererbt habe. Ihre Verwandtschaften zu den andern vierzehn neuen Arten werden ganz sonderbar seyn. Von einer zwischen den zwei Stamm-Arten A und I stehenden Spezies abstammend, welche aber jetzt erloschen und unbekannt sind, wird sie einigermassen das Mittel zwischen den zwei davon abgeleiteten Arten-Gruppen halten. Da aber beide Gruppen in ihren Charakteren vom Typus ihrer Stamm-Ältern auseinandergelaufen sind, so wird die neue Art F14 das Mittel nicht unmittelbar zwischen ihnen, sondern vielmehr zwischen den Typen beider Gruppen halten; und jeder Naturforscher dürfte im Stande seyn, sich ein Beispiel dieser Art in’s Gedächtniss zu rufen.

In dem Bilde entspricht nach unsrer bisherigen Annahme jeder Abstand zwischen zwei Horizontalen tausend Generationen; lassen wir ihn jedoch für eine Million oder hundert Millionen von Generationen und zugleich einem entsprechenden Theile der Schichtenfolge unsrer Erd-Rinde mit organischen Resten gelten! In unsrem Kapitel über Geologie werden wir wieder auf diesen Gegenstand zurückkommen und werden dann hoffentlich finden, dass unser Bild geeignet ist Licht über die Verwandtschaft erloschener Wesen zu verbreiten, die, wenn auch im Allgemeinen zu denselben Ordnungen, Familien oder Sippen wie ein Theil der jetzt lebenden gehörig, doch in ihrem Charakter oft in gewissem Grade das Mittel zwischen jetzigen Gruppen halten; und man wird diese Thatsache begreiflich finden, da die erloschenen Arten in sehr frühen Zeiten gelebt, wo die Verzweigungen der Nachkommenschaft noch wenig auseinander gegangen waren.

Ich finde keinen Grund, den Verlauf der Abänderung, wie er bisher auseinander gesetzt worden, bloss auf die Bildung der Sippen zu beschränken. Nehmen wir in unsrem Bilde den von jeder successiven Gruppe auseinander-strahlender Punktlinien dargestellten Betrag von Abänderung sehr hoch an, so werden die mit a14 bis p14, mit b14 bis f14 und mit o14 bis m14 bezeichneten Formen drei sehr verschiedene Genera darstellen. Wir werden dann zwei von I abgeleitete sehr verschiedene[S. 139] Sippen haben, und da diese zwei Sippen, in Folge sowohl einer fortdauernden Divergenz des Charakters als der Beerbung zweier verschiedener Stammväter, sehr weit von den von A hergeleiteten drei Sippen abweichen, so werden die zwei kleinen Sippen-Gruppen je nach dem Maasse der vom Bilde dargestellten divergenten Abänderung zwei verschiedene Familien oder selbst Ordnungen bilden. Und diese zwei neuen Familien oder Ordnungen leiten sich von zwei Arten einer Stamm-Sippe her, die selbst wieder einer Species eines viel älteren und noch unbekannten Genus entsprossen seyn dürfte.

Wir haben gesehen, dass es in jeder Gegend die Arten der grössern Sippen sind, welche am öftesten Varietäten oder neue anfangende Arten bilden. Diess war in der That zu erwarten; denn, wenn die Natürliche Züchtung durch eine im Rassenkampf vor den andern bevorzugte Form wirkt, so wird sie hauptsächlich auf diejenigen wirken, welche bereits einige Vortheile voraus haben; und die Grösse einer Gruppe zeigt, dass ihre Arten von einem gemeinsamen Vorgänger einige Vorzüge gemeinschaftlich ererbt haben. Daher der Wettkampf in Erzeugung neuer und abgeänderter Sprösslinge hauptsächlich zwischen den grösseren Gruppen stattfinden wird, welche sich alle an Zahl zu vergrössern streben. Eine grosse Gruppe wird nur langsam eine andre grosse Gruppe überwinden, deren Zahl verringern und so deren Aussicht auf künftige Abänderung und Verbesserung vermindern. Innerhalb einer und derselben grossen Gruppe werden die neueren und höher vervollkommneten Untergruppen immer bestrebt seyn, durch Verzweigung und durch Besetzung von möglichst vielen Stellen im Staate der Natur die früheren und minder vervollkommneten Untergruppen allmählich zu verdrängen. Kleine und unterbrochene Gruppen und Untergruppen neigen sich immer mehr dem gänzlichen Verschwinden zu. In Bezug auf die Zukunft kann man vorhersagen, dass diejenigen Gruppen organischer Wesen, welche jetzt gross und siegreich und am wenigsten durchbrochen sind, d. h. bis jetzt am wenigsten durch Erlöschung gelitten haben, noch auf lange Zeit hinaus zunehmen werde. Welche Gruppen aber zuletzt vorwalten werden, kann[S. 140] niemand vorhersagen; denn wir wissen, dass viele Gruppen von ehedem sehr ausgedehnter Entwickelung heutzutage erloschen sind. Blicken wir noch weiter in die Zukunft hinaus, so lässt sich voraussehen, dass in Folge der fortdauernden und steten Zunahme der grossen Gruppen eine Menge kleiner gänzlich erlöschen wird ohne abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen, und dass demgemäss von den zu irgend einer Zeit lebenden Arten nur äusserst wenige ihre Nachkommenschaft bis in eine ferne Zukunft erstrecken werden. Ich will in dem Kapitel über Klassifikation auf diesen Gegenstand zurückkommen und hier nur noch bemerken, dass nach der Ansicht, dass nur äusserst wenige der ältesten Spezies uns Abkömmlinge hinterlassen haben und die Abkömmlinge von einer und derselben Spezies heutzutage eine Klasse bilden, uns begreiflich werden muss, warum es in jeder Hauptabtheilung des Pflanzen- und Thier-Reiches nur sehr wenige Klassen gebe. Obwohl indessen nur äusserst wenige der ältesten Arten noch jetzt lebende veränderte Nachkommen hinterlassen haben, so mag doch die Erde in den ältesten geologischen Zeit-Abschnitten eben so bevölkert gewesen seyn mit zahlreichen Arten aus manchfaltigen Sippen, Familien, Ordnungen und Klassen, wie heutigen Tages.

Ein ausgezeichneter Naturforscher hat dagegen eingewendet, die fortwährende Thätigkeit der Züchtung, mit Divergenz des Charakters verbunden, müsse zu einer endlosen Menge von Arten-Formen führen. Was die bloss unorganischen Bedingungen betrifft, so würde allerdings wahrscheinlich eine genügende Anzahl von Arten allen erheblicheren Verschiedenheiten von Wärme, Feuchtigkeit u. s. w. angepasst werden können; ich nehme aber an, dass die Wechselbeziehungen der organischen Wesen zu einander bei weitem die wichtigsten sind, und wenn die Zahl der Arten in einer Gegend in Zunahme begriffen ist, so werden die organischen Lebens-Bedingungen immer verwickelter werden. Anfänglich scheint es daher wohl, als gebe es keine Grenze für den Betrag nützlicher Differenzirung der Organisation und daher keine Grenze für die Anzahl der möglicher Weise hervorzubringenden Arten. Es ist uns nicht bekannt, dass selbst das[S. 141] fruchtbarste Land-Gebiet mit organischen Formen vollständig besetzt seye, da ja selbst am Cap der guten Hoffnung, das eine so erstaunliche Arten-Zahl hervorbringt, noch viele Europäische Pflanzen naturalisirt worden sind. Die Geologie lehrt uns jedoch, dass wenigstens innerhalb der unermesslichen Tertiär-Periode die Arten-Zahl der Konchylien und wahrscheinlich auch der Säugthiere bis daher nicht vergrössert worden ist. Was hemmt nun dieses Wachsthum der Arten-Zahl in’s Unendliche? Erstens muss der Betrag des auf einem Gebiete unterhaltenen Lebens (ich meine damit nicht die Zahl der spezifischen Formen) eine Grenze haben, da es ja in so reichlichem Masse von physikalischen Bedingungen abhängt; wo daher viele Arten erhalten werden müssen, da werden sie alle oder meistens arm an Individuen seyn; und eine Art mit wenigen Individuen wird in Gefahr seyn durch zufällige Schwankungen in der Beschaffenheit der Jahres-Zeiten und in der Zahl ihrer Feinde zu erlöschen. Die Austilgung wird in solchen Fällen rasch erfolgen, während neue Arten immer nur langsam nachkommen. Man denke sich den äussersten Fall, es gebe in England so viele Arten als Individuen, so wird der erste strenge Winter oder trockne Sommer Tausende und Tausende von Arten vertilgen, und Individuen von andern Arten werden ihre Stelle einnehmen. Zweitens vermuthe ich, dass, wenn einige Arten sehr selten werden, es in der Regel nicht nahe Verwandte seyn werden, welche sie zu verdrängen streben; wenigstens haben einige Autoren gemeint, dass Diess bei dem Rückgang des Auerochsen in Lithauen, des Edelhirschs in Schottland und des Bären in Norwegen in Betracht komme. Drittens, was die Thiere im Besondern betrifft, so sind einige Arten ganz dazu gemacht, sich von irgend einem andern Wesen zu nähren; wenn dieses aber selten geworden, so wird es nicht zum Vortheil jener Thiere seyn, dass sie in so enger Beziehung zu einer Nahrung gestanden, und sie werden nicht mehr durch Natürliche Züchtung vermehrt werden. Viertens, wenn irgend welche Arten arm an Individuen werden, so wird der Vorgang der Umbildung langsamer seyn, weil die Möglichkeit vortheilhafter Abänderung verringert ist. Wenn wir daher eine von sehr vielen Arten bewohnte[S. 142] Gegend annehmen, so müssen alle oder die meisten Arten arm an Individuen seyn und wird demnach der Prozess der Umänderung und Bildung neuer Formen verzögert werden. Fünftens, und wie ich glaube, ist Diess der wichtigste Punkt, wird eine herrschende Art, welche schon viele Mitbewerber in ihrer eignen Heimath verdrängt hat, sich auszubreiten und noch viele andre zu ersetzen streben. ALPHONS DECANDOLLE hat nachgewiesen, dass diejenigen Arten, welche sich weit verbreiten, gewöhnlich streben sich sehr weit auszubreiten; sie werden folglich mehre andre in verschiedenen Gegenden auszutilgen streben; und Diess hemmt die ungeordnete Zunahme von Arten-Formen auf der ganzen Erd-Oberfläche. HOOKER hat neuerlich gezeigt, dass in der südöstlichen Ecke Australiens, wo es viele Einwanderer aus allerlei Weltgegenden zu geben scheint, die eigenthümlich Australischen Arten an Menge sehr abgenommen haben. Ich wage nicht zu bestimmen, wie viel Gewicht diesen mancherlei Ursachen beizulegen seye; aber ich glaube, dass sie alle zusammen genommen in jeder Gegend das Streben nach unendlicher Vermehrung der Arten-Formen beschränken müssen.

Über die Stufe, bis zu welcher die Organisation sich zu erheben strebt.) Natürliche Züchtung wirkt, wie wir gesehen haben, ausschliesslich durch Erhaltung und Zusammensparung solcher leichten Abweichungen, welche dem Geschöpfe, das sie betreffen, unter den organischen und unorganischen Bedingungen des Lebens, von welchen es in aufeinanderfolgenden Perioden abhängig ist, nützlich sind. Das Endergebniss wird seyn, dass jedes Geschöpf einer immer grösseren Verbesserung den Lebens-Bedingungen gegenüber entgegenstrebt. Diese Verbesserung dürfte unvermeidlich zu der stufenweisen Vervollkommnung der Organisation der Mehrzahl der über die ganze Erd-Oberfläche verbreiteten Wesen führen. Doch kommen wir hier auf einen sehr schwierigen Gegenstand, indem noch kein Naturforscher eine allgemein befriedigende Definition davon gegeben hat, was unter Vervollkommnung der Organisation zu verstehen seye. Bei den Wirbelthieren kommt deren geistige Befähigung und Annäherung an den Körper-Bau des Menschen offenbar mit in Betracht. Man[S. 143] möchte glauben, dass die Grösse der Veränderungen, welche die verschiedenen Theile und Organe während ihrer Entwickelung vom Embryo-Zustande an bis zum reifen Alter zu durchlaufen haben, als ein Anhalt bei der Vergleichung dienen könne; doch kommen Fälle vor, wie bei gewissen parasitischen Krustern, wo mehre Theile des Körper-Baues unvollkommener und sogar monströs werden, so dass man das reife Thier nicht vollkommener als seine Larve nennen kann. VON BAER’S Maasstab scheint noch der beste und allgemeinst anwendbare zu seyn, nämlich das Maass der Differenzirung der verschiedenen Theile („im reifen Alter“ dürfte wohl beizusetzen seyn) und ihre Anpassung zu verschiedenen Verrichtungen, oder die Vollständigkeit der Theilung in die physiologische Arbeit, wie MILNE EDWARDS sagen würde. Wir werden aber leicht ersehen, wie schwierig die wirkliche Anwendung jenes Kriteriums ist, wenn wir wahrnehmen, dass bei den Fischen z. B. die Haie von einem Theile der Naturforscher als die vollkommensten angesehen werden, weil sie den Reptilien am nächsten stehen, während andre den gewöhnlichen Knochen-Fischen (Teleosti) die erste Stelle anweisen, weil sie die ausgebildetste Fisch-Form haben und am meisten von allen andern Vertebraten abweichen[13]. Noch deutlicher erkennen wir die Schwierigkeit, wenn wir uns zu den Pflanzen wenden, wo der von geistiger Befähigung hergenommene Maasstab ganz wegfällt; und hier stellen einige Botaniker diejenigen Pflanzen am höchsten, welche sämmtliche Organe, wie Kelch- und Kronen-Blätter, Staubfäden und Staubwege in jeder Blüthe vollständig entwickelt besitzen, während Andre wohl mit mehr Recht jene für die vollkommensten erachten, deren verschiedenen Organe stärker metamorphosirt und auf geringere Zahlen zurückgeführt sind.

Nehmen wir die Differenzirung und Spezialisirung der einzelnen[S. 144] Organe als den besten Maasstab der organischen Vollkommenheit der Wesen im ausgewachsenen Zustande an (was mithin auch die fortschreitende Entwickelung des Gehirnes für die geistigen Zwecke mit in sich begreift), so muss die Natürliche Züchtung offenbar zur Vervollkommnung führen; denn alle Physiologen geben zu, dass die Spezialisirung seiner Organe, insoferne sie in diesem Zustande ihre Aufgaben besser erfüllen, für jeden Organismus von Vortheil ist; und daher liegt Häufung der zur Spezialisirung führenden Abänderungen im Zwecke der Natürlichen Züchtung. Auf der andern Seite ist es aber auch, unter Berücksichtigung, dass alle organischen Wesen sich in raschem Verhältnisse zu vervielfältigen und jeden schlecht besetzten Platz im Hausstande der Natur einzunehmen streben, der Natürlichen Züchtung wohl möglich, ein organisches Wesen solchen Verhältnissen anzupassen, wo ihnen manche Organe nutzlos und überflüssig sind, und dann findet ein Rückschritt auf der Stufenleiter der Organisation (eine rückschreitende Metamorphose) statt. Ob die Organisation im Ganzen seit den frühesten geologischen Zeiten bis jetzt fortgeschritten seye, wird zweckmässiger in unserem Kampf über die geologische Aufeinanderfolge der Wesen zu erörtern seyn.

Dagegen kann man einwenden, wie es denn komme, dass, wenn alle organischen Wesen von Anfang her fortwährend bestrebt gewesen sind, höher auf der Stufenleiter emporzusteigen, auf der ganzen Erd-Oberfläche noch eine Menge der unvollkommensten Wesen vorhanden sind, und dass in jeder grossen Klasse einige Formen viel höher als die andern entwickelt sind? Und warum haben diese viel höher ausgebildeten Formen nicht schon überall die minder vollkommenen ersetzt und vertilgt? LAMARCK, der an eine angeborene und unumgängliche Neigung zur Vervollkommnung in allen Organismen glaubte, scheint diese Schwierigkeit so sehr gefühlt zu haben, dass er sich zur Annahme veranlasst sah, einfache Formen würden überall und fortwährend durch Generatio spontanea neu erzeugt. Ich habe kaum nöthig zu sagen, dass die Wissenschaft auf ihrer jetzigen Stufe die Annahme, dass lebende Geschöpfe jetzt irgendwo aus unorganischer[S. 145] Materie erzeugt werden, keineswegs gestattet. Nach meiner Theorie dagegen bietet das gegenwärtige Vorhandenseyn niedrig organisirter Thiere keine Schwierigkeit dar; denn die Natürliche Züchtung schliesst denn doch kein nothwendiges und allgemeines Gesetz fortschreitender Entwickelung ein; sie benützt nur solche Abänderungen, die für jedes Wesen in seinen verwickelten Lebens-Beziehungen vortheilhaft sind. Und nun kann man fragen, welchen Vortheil (so weit wir urtheilen können) ein Infusorium, ein Eingeweidewurm, oder selbst ein Regenwurm davon haben könne, hoch organisirt zu seyn? Haben sie keinen Vortheil davon, so werden sie auch durch Natürliche Züchtung wenig oder gar nicht vervollkommnet werden und mithin für unendliche Zeiten auf ihrer tiefen Organisations-Stufe stehen bleiben. In der That lehrt uns die Geologie, dass einige der tiefsten Formen von Infusorien und Rhizopoden schon seit unermesslichen Zeiten nahezu auf ihrer jetzigen Stufe stehen. Demungeachtet möchte es voreilig seyn anzunehmen, dass einige der jetzt vorhandenen niedrigen Lebenformen seit den ersten Zeiten ihres Daseyns keinerlei Vervollkommnung erfahren hätten; denn jeder Naturforscher, der je welche von diesen Organismen zergliedert hat, welche jetzt als die niedrigsten auf der Stufenleiter der Natur gelten, muss oft über deren wunderbare und herrliche Organisation erstaunt gewesen seyn.

Nahezu dieselben Bemerkungen lassen sich hinsichtlich der grossen Verschiedenheit zwischen den Graden der Organisations-Höhe innerhalb fast jeder grossen Klasse mit Ausnahme jedoch der Vögel machen; so hinsichtlich des Zusammenstehens von Säugthieren und Fischen bei den Wirbelthieren, oder von Mensch und Ornithorhynchus bei den Säugethieren, von Hai und Amphioxus bei den Fischen, indem dieser letzte Fisch in der äussersten Einfachheit seiner Organisation den Wirbel-losen Thieren ganz nahe kommt. Aber Säugthiere und Fische gerathen kaum in Mitbewerbung miteinander; die hohe Stellung gewisser Säugthiere oder auch der ganzen Klasse auf der obersten Stufe der Organisation treibt sie nicht die Stelle der Fische einzunehmen und diese zu unterdrücken. Die Physiologen glauben, das Gehirn[S. 146] müsse mit warmem Blute gebadet werden, um seine höchste Thätigkeit zu entfalten, und dazu ist Luft-Respiration nothwendig, so dass warm-blütige Säugthiere, wenn sie das Wasser bewohnen, den Fischen gegenüber sogar in gewissem Nachtheile sind. Eben so wird in dieser Klasse die Familie der Haie wahrscheinlich nicht geneigt seyn, den Amphioxus zu ersetzen; und dieser wird allem Anscheine nach seinen Kampf um’s Daseyn mit Gliedern der Wirbel-losen Thier-Klassen auszumachen haben. Die drei untersten Säugthier-Ordnungen, die Beutelthiere, die Zahnlosen und die Nager bestehen in Süd-Amerika in einerlei Gegend beisammen mit zahlreichen Affen. Obwohl die Organisation im Ganzen auf der ganzen Erde in Zunahme begriffen seyn kann, so bildet die Stufenleiter der Vollkommenheit doch noch alle Abstufungen dar; denn die hohe Organisations-Stufe gewisser Klassen im Ganzen oder einzelner Glieder dieser Klasse führen in keiner Weise nothwendig zum Erlöschen derjenigen Gruppen, mit welchen sie nicht in nahe Bewerbung treten. In einigen Fällen scheinen tief organisirte Formen, wie wir hernach sehen werden, sich bis auf den heutigen Tag erhalten zu haben, weil sie eigenthümliche abgesonderte Wohnorte ohne alle erhebliche Mitbewerbung hatten, und wo auch sie selbst keine Fortschritte in der Organisation machten, weil ihre eigne geringe Individuen-Zahl der Bildung neuer vortheilhafter Abänderungen keinen Vorschub leistete.

Endlich glaube ich, dass das Vorkommen zahlreicher niedrig organisirter Formen aus allen Thier- und Pflanzen-Klassen über die ganze Erd-Oberfläche von verschiedenen Ursachen herrühre. In einigen Fällen mag es an vortheilhaften Abänderungen gefehlt haben, mit deren Hilfe die Natürliche Züchtung zu wirken und veredeln vermocht hätte. In keinem Falle vielleicht ist die Zeit ausreichend gewesen, um das Höchste in möglichster Vervollkommnung zu leisten. In einigen wenigen Fällen kann auch sogenannte „rückschreitende Organisation“ eingetreten seyn. Aber die Hauptsache liegt in dem Umstande, dass unter sehr einfachen Lebens-Bedingungen eine hohe Organisation ohne Nutzen, sondern vielleicht sogar nachtheilig seyn kann, weil sie zarter, empfindlicher und leichter zu beschädigen ist.

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Eine weitere Schwierigkeit, welche der so eben besprochenen gerade entgegengesetzt ist, ergibt sich noch, wenn wir auf die Morgenröthe des Lebens zurückblicken, wo alle organischen Wesen, nach unsrer Vorstellung, noch die einfachste Struktur besassen: wie konnten da die ersten Fortschritte in der Vervollkommnung, in der Differenzirung und Spezialisirung der Organe beginnen? Ich vermag darauf keine genügende Antwort zu geben, sondern nur zu sagen, dass wir nicht im Besitz leitender Thatsachen sind, wesshalb alle unsre Spekulationen in dieser Beziehung ohne Boden und ohne Nutzen sind. Es wäre jedoch ein Fehler zu unterstellen, dass kein Kampf um’s Daseyn und mithin keine Natürliche Zuchtwahl stattgefunden habe, bis es erst vielerlei Formen gegeben. Abänderungen einer einzelnen Art auf einem abgesonderten Standorte mögen vortheilhaft gewesen seyn und durch ihre Erhaltung entweder die ganze Masse von Individuen umgestaltet oder die Entstehung zweier verschiedenen Formen vermittelt haben. Doch ich muss auf Dasjenige zurückkommen, was ich schon am Ende der Einleitung ausgesprochen, dass sich nämlich Niemand wundern darf, wenn jetzt noch vieles in der Entstehung der Arten unerklärt bleiben muss, da wir in gänzlicher Unwissenheit über die Wechselbeziehungen der Erdbewohner während so vieler verflossenen Perioden ihrer Geschichte sind.

Es wird hier der geeignetste Ort seyn, auf verschiedene Einreden zu antworten, die man gegen meine Anschauungs-Weise erhoben hat, indem das Folgende durch ihre vorgängige Erörterung klarer werden wird. Man hat hervorgehoben, dass, da keine der seit 3000 Jahren bekannten Pflanzen- und Thier-Arten Ägyptens in der Zwischenzeit sich verändert habe, solche Veränderungen wahrscheinlich auch in anderen Welttheilen nicht erfolgt seyen. Die vielen Thier-Arten, welche seit dem Beginne der Eis-Zeit unverändert geblieben, bieten eine noch weit triftigere Einrede dar, indem dieselben einem grossen Klima-Wechsel ausgesetzt gewesen und über grosse Erd-Strecken zu wandern genöthigt waren, während in Ägypten die Lebens-Bedingungen in den letzten 3000 Jahren durchaus die nämlichen blieben.[S. 148] Diese von der Eis-Zeit entliehene Thatsache kann Denjenigen entgegengestellt werden, welche an das Daseyn eines den Organismen angeborenen Gesetzes nothwendiger Fortentwickelung glauben, vermag aber nichts gegen die Lehre von der Natürlichen Züchtung zu beweisen, welche nur verlangt, dass gelegentlich entstandene Abänderungen einer Spezies unter günstigen Bedingungen erhalten werden. Es fragt daher Mr. FAWCETT ganz richtig, was man wohl von einem Menschen denken würde, welcher behauptete, dass, weil der Montblanc und die übrigen Alpen-Gipfel seit 3000 Jahren genau dieselbe Höhe wie jetzt einnahmen, sie sich niemals langsam gehoben haben, und dass demnach auch die Höhe andrer Gebirge in anderen Weltgegenden neuerlich keine Veränderung erfahren haben können.

Man hat mir ferner eingewendet, wenn die Natürliche Züchtung so gewaltig seye, wie es denn komme, dass nicht dieses oder jenes Organ in neuerer Zeit verändert oder verbessert worden seye? warum sich nicht der Rüssel der Honigbiene so weit verlängert habe, um auch den Nektar im Grunde der rothen Kleeblüthe zu erreichen? warum der Strauss nicht Flug-Vermögen erlangt habe? Aber angenommen, dass diese Organe in der Lage waren in der gehörigen Richtung zu variiren, angenommen, dass trotz Zwischenpaarung und Neigung zur Rückkehr die Zeit für das langsame Werk der Natürlichen Züchtung genügt habe, wer vermag dann zu behaupten, dass er die Naturgeschichte irgend eines organischen Wesens genügend kenne, welche besondere Veränderung ihm zum Vortheil gereichen würde? Können wir z. B. mit Gewissheit sagen, dass ein langer Rüssel nicht der Honigbiene beim Aussaugen des Honigs aus so vielen andern von ihr besuchten Blüthen hinderlich werden würde? Können wir behaupten, dass nicht ein längerer Rüssel auch eine Vergrösserung andrer Mund-Theile erheischen würde, die mit ihrer Verwendung zum feineren Zellen-Bau im Widerspruch stände? Was den Strauss betrifft, so lässt sich alsbald einsehen, dass dieser Vogel der Wüste eine ausserordentliche Zulage zu seiner täglichen Futter-Ration nöthig haben würde, um seinen grossen und schweren[S. 149] Körper durch die Luft zu tragen. Doch sind Einwände solcher Art kaum einer Widerlegung werth.

Der ersten Deutschen Übersetzung meines Buches hat Professor BRONN einige Zusätze einverleibt, theils Einreden und theils Bemerkungen zu Gunsten meiner Ansicht. Unter den ersten sind einige nicht wesentlicher Art, andere beruhen auf Missverständniss, und noch andere sind nur da und dort in dem Buche eingestreut. In der irrthümlichen Voraussetzung, dass alle Arten einer Gegend einer gleichzeitigen Veränderung unterworfen seyn sollen[14], fragt er mit Recht, wie es denn komme, dass nicht alle Leben-Formen eine immer schwankende unentwirrbare Masse bilden? Für unsere Theorie aber genügt es schon, wenn nur einige wenige Formen zu gleicher Zeit abändern, und es wird nicht Viele geben, die Diess läugnen. Er fragt ferner, wie ist es möglich, dass eine Varietät in zahlreichen Individuen unmittelbar neben der älterlichen Art soll leben können, da ja die Individuen dieser Varietät auf dem Wege durch alle ihre vielzähligen Entwickelungs-Stufen hindurch sich beständig wieder mit der urälterlichen Stamm-Form mischen und neue Zwischenglieder bilden und endlich wohl die reine Stamm-Form selbst verdrängen mussten, statt dass beide ohne Vermittelung neben einander fortleben? Wenn Varietät und Stamm-Art zu einer etwas verschiedenen Lebens-Weise geschickt geworden sind, so mögen sie wohl miteinander leben können; bei den Thieren aber, die sich frei umher bewegen, scheinen die verschiedenen Varietäten in der Regel auch wieder auf verschiedene Örtlichkeiten beschränkt zu seyn. Ist es aber dann der Fall, dass Varietäten von Pflanzen und niederen Thieren oft in Menge neben den älterlichen Formen fortleben? Lässt man[S. 150] die polymorphen Arten bei Seite, deren zahllosen Abänderungen weder vortheilhaft noch nachtheilig zu seyn scheinen und nie stet geworden sind, lässt man die zeitweisen Abänderungen wie Albinos u. s. w. bei Seite, so scheinen mir die Varietäten und die älterlichen Spezies gewöhnlich entweder verschiedene Standorte in Hoch- und Flach-Land, auf trockenem oder nassem Boden zu haben oder ganz verschiedene Regionen zu bewohnen.

Mit Recht bemerkt BRONN weiter, dass verschiedene Spezies nicht in einem einzelnen, sondern in mehreren Charakteren zugleich von einander abweichen, und er fragt, wie es komme, dass die Natürliche Züchtung immer mehre Theile des Organismus ergreife. Wahrscheinlich sind aber alle diese Abänderungen nicht gleichzeitig durchgeführt worden und die unbekannten Gesetze der Correlation dürften gewiss viele gleichzeitige Abänderungen erläutern oder selbst vollkommen erklären[?]. Wir sehen dieselbe Erscheinung auch bei unseren gezüchteten Rassen. Mögen sie auch nur in irgend einem einzelnen Organe von den übrigen Rassen stark abweichen, immer werden doch andere Theile der Organisation ebenfalls etwas abändern. BRONN fragt ferner in nachdrücklicher Weise, wie es aus der Natürlichen Züchtung zu erklären, dass z. B. die verschiedenen (je einem Stamm-Vater von unbekanntem Charakter entsprossenen) Arten von Ratten und Hasen längere oder kürzere Schwänze, längere oder kürzere Ohren, ein helleres oder dunkleres Fell u. s. w. besitzen, — oder dass eine Pflanzen-Art spitze und die andere stumpfe Blätter besitze?[15] Ich kann keine bestimmte Antwort auf solche Fragen geben, möchte aber wohl die Frage umkehren und sagen: sollten diese Verschiedenheiten nach der Lehre von der unabhängigen Schöpfung ohne irgend einen Zweck hergestellt worden seyn? Sie sey vortheilhaft oder von der Correlation der Charaktere abhängig, so könnten sie gewiss auch durch[S. 151] die „Natürliche Erhaltung“ solcher nützlichen oder in Correlation mit einander stehenden Abänderungen gebildet werden. Ich glaube an die Lehre der Fortpflanzung mit Modifikationen, wenn auch dieser oder jener eigenthümliche Struktur-Wechsel unerklärlich bleibt, — weil diese Lehre, wie sich aus unserem letzten Kapitel ergeben wird, viele allgemeine Natur-Erscheinungen mit einander in Zusammenhang setzt und erklärt.

Der treffliche Botaniker H. C. WATSON glaubt, ich habe die Wichtigkeit des Princips der Divergenz der Charaktere (an welches er jedoch selbst zu glauben scheint) überschätzt, und sagt, dass auch die „Konvergenz der Charaktere“ mit in Betracht zu ziehen seye. Das ist jedoch eine zu verwickelte Frage, als dass wir hier darauf eingehen könnten. Ich will nur sagen, dass, wenn zwei Spezies von zwei nahe verwandten Sippen eine Anzahl neuer divergenter Arten hervorbringen, es wohl denkbar ist, dass auch einige darunter sich von beiden Seiten so sehr einander nähern, dass man sie in eine neue mittle Sippe zusammenstellen kann, in welcher also die zwei ersten Genera konvergiren. In Folge des Erblichkeits-Princips ist es aber kaum glaubbar, dass diese zwei Gruppen neuer Arten nicht wenigstens zwei Abtheilungen in der neuen Sippe bilden werden.

WATSON hat auch eingewendet, dass die fortwährende Thätigkeit der Natürlichen Züchtung mit Divergenz der Charaktere zuletzt zu einer unbegrenzten Anzahl von Arten-Formen führen müsse. Was jedoch die unorganischen äusseren Lebens-Bedingungen betrifft, so ist es wohl wahrscheinlich, dass sich bald eine genügende Anzahl von Species allen erheblicheren Verschiedenheiten der Wärme, der Feuchtigkeit u. s. w. angepasst haben würden; — doch gebe ich vollkommen zu, dass die Wechselbeziehungen zwischen den organischen Wesen erheblicher sind, und dass in dem Grade als die Arten der organisirten Bewohner einer Gegend sich vermehren, auch die organischen Lebens-Bedingungen verwickelter werden. Demgemäss scheint es dann beim ersten Anblick keine Grenze für den Betrag nutzbarer Struktur-Vervielfältigung und somit auch keine für die hervorzubringende Arten-Zahl zu geben. Wir können nicht behaupten,[S. 152] dass selbst das reichlichst bevölkerte Gebiet der Erd-Oberfläche vollständig mit Arten versorgt ist, indem selbst am Kap der guten Hoffnung und in Australien, die eine so erstaunliche Menge von Arten darbieten, noch viele Europäische Arten naturalisirt werden. Die Geologie jedoch lehrt uns, dass wenigstens in der ganzen unermesslich langen Tertiär-Periode die Zahl der Weichthier- und wahrscheinlich auch der Säugthier-Arten[16] nicht viel oder gar nicht vergrössert. Was ist es nun, das die unendliche Zunahme der Arten-Zahl beeinträchtigt. Die Summe des Lebens (ich meine nicht die der Arten-Formen) auf einer gegebenen Fläche muss eine von den physikalischen Verhältnissen bedingte Grenze haben, so dass, wenn dieselbe von sehr vielen Arten bewohnt ist, jede Art nur durch wenige Individuen vertreten seyn kann und sich mithin in Gefahr befindet schon durch eine zufällige Schwankung in der Natur der Jahres-Zeiten oder in der Zahl ihrer Feinde zu Grunde zu gehen. Ein solcher Vertilgungs-Prozess kann rasch von Statten gehen, während die Neubildung der Arten nur langsam erfolgt. Nehmen wir den äussersten Fall an, dass es in England eben so viele Arten als Individuen gebe, so würde der erste strenge Winter oder trockene Sommer Tausende und Tausende von Arten zu Grunde richten. Seltene Arten (und jede Art wird selten werden, wenn die Arten-Zahl in einer Gegend ins Unendliche wächst) werden nach dem oft entwickelten Principe in einem gegebenen Zeitraume nur wenige vortheilhafte Abänderungen darbieten und mithin nur langsam irgend welche neue Arten-Formen entwickeln können. Wird eine Art sehr selten, so muss auch die Paarung unter nahen Verwandten zu ihrer Vertilgung mitwirken; wenigstens haben einige Schriftsteller diesen Umstand als Grund für das allmählige Aussterben des Auerochsen in Lithauen, des Hirsches in Schottland, des Bären in Norwegen u. s. w. angeführt[17]. Unter den Thieren sind manche nur im Stande[S. 153] von bloss einer Nahrungs-Art zu leben; wird aber diese Kost nur selten, so ist die weitere Entwickelung der Organisation zur Aneignung dieser Nahrung nicht mehr vortheilhaft und die Natürliche Züchtung wird aufhören darauf hinzuwirken. Endlich (und Diess scheint mir das Wichtigste zu seyn) wird eine herrschende Spezies, die bereits viele Mitbewerber ihrer ersten Heimath überwunden, streben sich immer weiter auszubreiten und andre zu ersetzen. ALPHONS DECANDOLLE hat gezeigt, dass diejenigen Arten, welche sich weit ausbreiten, gewöhnlich nach sehr weiter Ausbreitung streben und daher in die Lage kommen in verschiedenen Flächen-Gebieten verschiedene Mitbewerber zu vertilgen und somit die ungeordnete Zunahme spezifischer Formen in der Welt zu hemmen. Dr. HOOKER hat kürzlich nachgewiesen, dass auf der Südost-Spitze Australiens, wo viele Eindringlinge aus mancherlei Weltgegenden vorzukommen scheinen, die einheimischen Australischen Arten sehr an Zahl abgenommen haben. Ich masse mir nur nicht an zu fragen, welches Gewicht allen diesen Betrachtungen beizulegen seye; doch müssen sie im Vereine miteinander jedenfalls der Neigung zu einer unendlichen Vermehrung der Arten-Formen in jeder Gegend eine Grenze setzen.

Zusammenfassung des Kapitels.) Wenn während einer langen Reihe von Zeit-Perioden und unter veränderten äusseren Lebens-Bedingungen die organischen Wesen in allen Theilen ihrer Organisation abändern, was, wie ich glaube, nicht bestritten werden kann; wenn ferner wegen ihres Vermögens geometrisch schneller Vermehrung alle Arten in jedem Alter, zu jeder Jahreszeit und in jedem Jahr einen ernsten Kampf um ihr Daseyn zu kämpfen haben, was sicher nicht zu läugnen ist: dann meine ich im Hinblick auf die unendliche Verwickelung der Beziehungen aller organischen Wesen zu einander und zu den äusseren Lebens-Bedingungen, welche eine endlose Verschiedenheit angemessener Organisationen, Konstitutionen und Lebensweisen erheischen, dass es ein ganz ausserordentlicher Zufall[S. 154] seyn würde, wenn nicht jeweils auch eine zu eines jeden Wesens eigner Wohlfahrt dienende Abänderung vorkäme, wie deren so viele vorgekommen, die dem Menschen vortheilhaft waren. Wenn aber solche für ein organisches Wesen nützliche Abänderungen wirklich vorkommen, so werden sicherlich die dadurch bezeichneten Individuen die meiste Aussicht haben, den Kampf um’s Daseyn zu bestehen, und nach dem mächtigen Prinzip der Erblichkeit in ähnlicher Weise ausgezeichnete Nachkommen zu bilden streben. Diess Prinzip der Erhaltung habe ich der Kürze wegen Natürliche Züchtung genannt; es führt zur Vervollkommnung eines jeden Geschöpfes seinen organischen und unorganischen Lebens-Bedingungen gegenüber und mithin auch in den meisten Fällen zu einer Vervollkommnung ihrer Organisation an und für sich. Demungeachtet können tiefer-stehende und einfachere Formen lange ausdauern, wenn sie ihren einfacheren Lebens-Bedingungen gut angepasst sind. Die Natürliche Züchtung kann nach dem Prinzip der Vererbung einer Eigenschaft in entsprechenden Altern eben sowohl das Ei und den Saamen oder das Junge wie das Erwachsene abändern machen. Bei vielen Thieren unterstützt geschlechtliche Auswahl noch die gewöhnliche Züchtung, indem sie den kräftigsten und geeignetesten Männchen die zahlreichste Nachkommenschaft sichert. Geschlechtliche Auswahl vermag auch solche Charaktere zu verleihen, welche den künftigen Männchen allein in ihren Kämpfen mit Männchen von gewöhnlicher Beschaffenheit den Sieg verschaffen.

Ob nun aber die Natürliche Züchtung zur Abänderung und Anpassung der verschiedenen Lebenformen an die mancherlei äusseren Bedingungen und Stationen wirklich mitgewirkt habe, muss nach Erwägung des Werthes der in den folgenden Kapiteln zu liefernden Beweise beurtheilt werden. Doch erkennen wir bereits, dass dieselbe auch Austilgung verursache, und die Geologie macht uns klar, in welch’ ausgedehntem Grade Austilgung bereits in die Geschichte der organischen Welt eingegriffen habe. Auch führt Natürliche Züchtung zur Divergenz des Charakters; denn je mehr die Wesen in Organisation, organischer Thätigkeit und Lebensweise abändern, desto mehr derselben können auf[S. 155] einer gegebenen Fläche neben einander bestehen, — wovon man die Beweise bei Betrachtung der Bewohner eines kleinen Land-Flecks oder der naturalisirten Erzeugnisse finden kann. Je mehr daher während der Umänderung der Nachkommen einer Art und während des beständigen Kampfes aller Arten um Vermehrung ihrer Individuen jene Nachkommen differenzirt werden, desto besser ist ihre Aussicht auf Erfolg im Ringen um’s Daseyn. Auf diese Weise streben die kleinen Verschiedenheiten zwischen den Varietäten einer Spezies stets grösser zu werden, bis sie den grösseren Verschiedenheiten zwischen den Arten einer Sippe oder selbst zwischen verschiedenen Sippen gleich kommen.

Wir haben gesehen, dass es die gemeinen, die weit verbreiteten und allerwärts zerstreuten Arten grosser Sippen in jeder Klasse sind, die am meisten abändern, und diese streben auf ihre abgeänderten Nachkommen dieselbe Überlegenheit zu vererben, welche sie jetzt in ihrer Heimath-Gegend zur herrschenden machen. Natürliche Züchtung führt, wie so eben bemerkt worden, zur Divergenz des Charakters und zu starker Austilgung der minder vollkommnen und der mitteln Lebenformen. Aus diesen Prinzipien lassen sich die Natur der Verwandtschaften und die im Allgemeinen deutliche Verschiedenheit der Organischen Wesen aus jeder Klasse auf der ganzen Erd-Oberfläche erklären. Es ist eine wirklich wunderbare Thatsache, obwohl wir das Wunder aus Vertrautheit damit zu übersehen pflegen, dass Thiere und Pflanzen zu allen Zeiten und überall so miteinander verwandt sind, dass sie in Untergruppen abgetheilte Gruppen bilden, so dass nämlich, wie wir allerwärts erkennen, Varietäten einer Art einander am nächsten stehen, dass Arten einer Sippe weniger und ungleiche Verwandtschaft zeigen und Untersippen und Sektionen bilden, dass Arten verschiedener Sippen einander noch weniger nahe stehen, und dass Sippen mit verschiedenen Verwandtschafts-Graden zu einander Unterfamilien, Familien, Ordnungen, Unterklassen und Klassen zusammensetzen. Die verschiedenen einer Klasse untergeordneten Gruppen können nicht in eine Linie aneinander gereihet werden, sondern scheinen vielmehr um gewisse Punkte geschaart und diese wieder um andre Mittelpunkte gesammelt zu[S. 156] seyn, und so weiter in fast endlosen Kreisen. Aus der Ansicht, dass jede Art unabhängig von der andern geschaffen worden seye, kann ich keine Erklärung dieser wichtigen Thatsache in der Klassifikation aller organischen Wesen entnehmen; sie ist aber nach meiner vollkommensten Überzeugung erklärlich aus der Erblichkeit und aus der zusammengesetzten Wirkungs-Weise der Natürlichen Züchtung, welche Austilgung der Formen und Divergenz der Charaktere verursacht, wie mit Hilfe bildlicher Darstellung (zu Seite 131) gezeigt worden ist.

Die Verwandtschaften aller Wesen einer Klasse zu einander sind manchmal in Form eines grossen Baumes dargestellt worden. Ich glaube, dieses Bild entspricht sehr der Wahrheit. Die grünen und knospenden Zweige stellen die jetzigen Arten, und die in jedem vorangehenden Jahre entstandenen die lange Aufeinanderfolge erloschener Arten vor. In jeder Wachsthums-Periode haben alle wachsenden Zweige nach allen Seiten hinaus zu treiben und die umgebenden Zweige und Äste zu überwachsen und zu unterdrücken gestrebt, ganz so wie Arten und Arten-Gruppen andre Arten in dem grossen Kampfe um’s Daseyn zu überwältigen suchen. Die grossen in Zweige getheilten und unterabgetheilten Äste waren zur Zeit, wo der Stamm noch jung, selbst knospende Zweige gewesen; und diese Verbindung der früheren mit den jetzigen Knospen durch unterabgetheilte Zweige mag ganz wohl die Klassifikation aller erloschenen und lebenden Arten in Gruppen und Untergruppen darstellen. Von den vielen Zweigen, die sich entwickelten, als der Baum noch ein Busch gewesen, leben nur noch zwei oder drei, die jetzt als mächtige Äste alle anderen Verzweigungen abgeben; und so haben von den Arten, welche in längst vergangenen geologischen Zeiten gelebt, nur sehr wenige noch lebende und abgeänderte Nachkommen. Von der ersten Entwickelung eines Stammes an ist mancher Ast und mancher Zweig verdürrt und verschwunden, und diese verlorenen Äste von verschiedener Grösse mögen jene ganzen Ordnungen, Familien und Sippen vorstellen, welche, uns nur im fossilen Zustande bekannt, keine lebenden Vertreter mehr haben. Wie wir hier und da einen vereinzelten dünnen Zweig aus einer[S. 157] Gabel tief unten am Stamme hervorkommen sehen, welcher durch Zufall begünstigt an seiner Spitze noch fortlebt, so sehen wir zuweilen ein Thier, wie Ornithorhynchus oder Lepidosiren, das durch seine Verwandtschaften gewissermassen zwei grosse Zweige der Lebenwelt, zwischen denen es in der Mitte steht, mit einander verbindet und vor einer verderblichen Mitwerberschaft offenbar dadurch gerettet worden ist, dass es irgend eine geschützte Station bewohnte. Wie Knospen bei ihrer Entwicklung neue Knospen hervorbringen und, wie auch diese wieder, wenn sie kräftig sind, nach allen Seiten ausragen und viele schwächere Zweige überwachsen, so ist es, wie ich glaube, durch Generation mit dem grossen Baume des Lebens ergangen, der mit seinen todten und heruntergebrochenen Ästen die Erd-Rinde erfüllt, und mit seinen herrlichen und sich noch immer weiter theilenden Verzweigungen ihre Oberfläche bekleidet.

Fünftes Kapitel.
Gesetze der Abänderung.

Wirkungen äusserer Bedingungen. — Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe in Verbindung mit Natürlicher Züchtung; — Flieg- und Seh-Organe. — Akklimatisirung. — Wechselbeziehungen des Wachsthums. — Kompensation und Ökonomie der Entwickelung. — Falsche Wechselbeziehungen. — Vielfache, rudimentäre und wenig entwickelte Organisationen sind veränderlich. — In ungewöhnlicher Weise entwickelte Theile sind sehr veränderlich; — spezifische mehr als Sippen-Charaktere. — Sekundäre Geschlechts-Charaktere veränderlich. — Zu einer Sippe gehörige Arten variiren auf analoge Weise. — Rückkehr zu längst verlornen Charakteren. — Summarium.

Ich habe bisher von den Abänderungen — die so gemein und manchfaltig im Kultur-Stande der Organismen und in etwas minderem Grade häufig in der freien Natur sind — zuweilen so gesprochen, als ob dieselben vom Zufall veranlasst wären. Diess ist aber eine ganz unrichtige Ausdrucks-Weise, welche nur geeignet ist unsre gänzliche Unwissenheit über die Ursache jeder besonderen Abweichung zu beurkunden. Einige Schriftsteller[S. 158] sehen es mehr als die Aufgabe des Reproduktiv-Systemes an, individuelle Verschiedenheiten oder ganz leichte Abweichungen des Baues hervorzubringen, als das Kind den Ältern gleich zu machen. Aber die viel grössere Veränderlichkeit sowohl als die viel häufigeren Monstrositäten der der Kultur unterworfenen Organismen leiten mich zur Annahme, dass Abweichungen der Struktur in irgend einer Weise von der Beschaffenheit der äusseren Lebens-Bedingungen, welchen die Ältern und deren Vorfahren mehre Generationen lang ausgesetzt gewesen sind, abhängen. Ich habe im ersten Kapitel die Bemerkung gemacht — doch würde ein langes Verzeichniss von Thatsachen, welches hier nicht gegeben werden kann, dazu nöthig seyn, die Wahrheit dieser Bemerkung zu beweisen —, dass das Reproduktiv-System für Veränderungen in den äussern Lebens-Bedingungen äusserst empfindlich ist; daher ich dessen funktionellen Störungen in den Ältern hauptsächlich die veränderliche oder bildsame Beschaffenheit ihrer Nachkommenschaft zuschreibe. Die männlichen und weiblichen Elemente der Organisation scheinen davon schon berührt zu seyn vor deren Vereinigung zur Bildung neuer Abkömmlinge der Spezies. Was die Spielpflanzen (S. 15) anbelangt, so wird die Knospe allein betroffen, die auf ihrer ersten Entwickelungs-Stufe von einem Ei’chen nicht sehr wesentlich verschieden ist. Dagegen sind wir in gänzlicher Unwissenheit darüber, wie es komme, dass durch Störung des Reproduktiv-Systems dieser oder jener Theil mehr oder weniger als ein andrer berührt werde. Demungeachtet gelingt es uns hier und da einen schwachen Lichtstrahl aufzufangen, und wir halten uns überzeugt, dass es für jede Abänderung irgend eine, wenn auch geringe Ursache geben müsse.

Wie viel unmittelbaren Einfluss Verschiedenheiten in Klima, Nahrung u. s. w. auf irgend ein Wesen auszuüben vermöge, ist äusserst zweifelhaft. Ich bin überzeugt, dass bei Thieren die Wirkung äusserst gering, bei Pflanzen vielleicht etwas grösser seye. Man kann wenigstens mit Sicherheit sagen, dass diese Einflüsse nicht die vielen trefflichen und zusammengesetzten Anpassungen der Organisation eines Wesens ans andre hervorgebracht[S. 159] haben können, welche wir in der Natur überall erblicken. Einige kleine Wirkungen mag man dem Klima, der Nahrung u. s. w. zuschreiben, wie z. B. EDUARD FORBES sich mit Bestimmtheit darüber ausspricht, dass eine Konchylien-Art in wärmeren Gegenden und seichtem Wasser glänzendere Farben als in ihren kälteren Verbreitungs-Bezirken annehmen kann. GOULD glaubt, dass Vögel derselben Art in einer stets heiteren Atmosphäre glänzender gefärbt sind, als auf einer Insel oder an der Küste[18]. So glaubt auch WOLLASTON, dass der Aufenthalt in der Nähe des Meeres die Farben der Insekten angreife. MOQUIN-TANDON gibt eine Liste von Pflanzen, welche an der See-Küste mehr und weniger fleischige Blätter bekommen, wenn sie auch landeinwärts nicht fleischig sind. Und so liessen sich noch manche ähnliche Beispiele anführen.

Die Thatsache, dass Varietäten einer Art, wenn sie in die Verbreitungs-Zone einer andern Art hinüberreichen, in geringem Grade etwas von deren Charakteren annehmen, stimmt mit unsrer Ansicht überein, dass Spezies aller Art nur ausgeprägtere bleibende Varietäten sind. So haben die Konchylien-Arten seichter tropischer Meeres-Gegenden gewöhnlich glänzendere Farben als die in tiefen und kalten Gewässern wohnenden. So sind die Vögel-Arten der Binnenländer nach GOULD lebhafter als die der Inseln gefärbt. So sind die Insekten-Arten, welche auf die Küsten beschränkt sind, oft Bronze-artig und trüb von Aussehen wie jeder Sammler weiss. Pflanzen-Arten, welche nur längs dem Meere fortkommen, sind sehr oft mit fleischigen Blättern versehen. Wer an die besondere Erschaffung einer jeden einzelnen Spezies glaubt, wird daher sagen müssen, dass z. B. diese Konchylien für ein wärmeres Meer mit glänzenderen Farben geschaffen worden sind, während jene andern die lebhaftere Färbung erst durch Abänderung angenommen haben, als sie in die seichteren und wärmeren Gewässer übersiedelten.

[S. 160]

Wenn eine Abänderung für ein Wesen von geringstem Nutzen ist, vermögen wir nicht zu sagen, wie viel davon von der häufenden Thätigkeit der Natürlichen Züchtung und wie viel von dem Einfluss äusserer Lebens-Bedingungen herzuleiten ist. So ist es den Pelz-Händlern wohl bekannt, dass Thiere einer Art um so dichtere und bessere Pelze besitzen, in je kälterem Klima sie gelebt haben. Aber wer vermöchte zu sagen, wie viel von diesem Unterschied davon herrühre, dass die am wärmsten gekleideten Einzelwesen durch Natürliche Züchtung viele Generationen hindurch begünstigt und erhalten worden sind, und wie viel von dem direkten Einflusse des strengen Klimas? Denn es scheint wohl, dass das Klima einige unmittelbare Wirkung auf die Beschaffenheit des Haares unserer Hausthiere ausübe.

Man kann Beispiele anführen, dass dieselbe Varietät unter den aller-verschiedensten Lebens-Bedingungen entstanden ist, während andrerseits verschiedene Varietäten einer Spezies unter gleichen Bedingungen zum Vorschein kommen[19]. Diese Thatsachen zeigen, wie mittelbar die Lebens-Bedingungen wirken. So sind jedem Naturforscher auch zahllose Beispiele von sich ächt erhaltenden Arten ohne alle Varietäten bekannt, obwohl dieselben in den entgegengesetztesten Klimaten leben. Derartige Betrachtungen veranlassen mich, nur ein sehr geringes Gewicht auf den direkten Einfluss der Lebens-Bedingungen zu legen. Indirekt scheinen sie, wie schon gesagt worden, einen wichtigen Antheil an der Störung des Reproduktiv-Systemes zu nehmen und hiedurch Veränderlichkeit herbeizuführen, und Natürliche Züchtung spart dann alle nützliche wenn auch geringe Abänderung zusammen, bis solche vollständig entwickelt und für uns wahrnehmbar wird. In einem weiter ausgeholten Sinne kann man sagen, dass die Lebens-Bedingungen nicht allein Veränderlichkeit, sondern auch Natürliche Züchtung einschliessen; denn es hängt von der Natur der Lebens-Bedingungen ab, ob diese oder jene Varietät aufkommen kann. Wir ersehen aber aus dem Züchtungs-Verfahren der Menschen, dass diese zwei Elemente der Veränderung[S. 161] wesentlich von einander verschieden sind; die Lebens-Bedingungen im Zustande der Domestizität verursachen Veränderlichkeit und der Wille des Menschen häuft bewusst oder unbewusst wirkend die Abänderung in diesen oder jenen bestimmten Richtungen an.

Wirkungen von Gebrauch und Nichtgebrauch.) Die im ersten Kapitel angeführten Thatsachen lassen wenig Zweifel bei unseren Hausthieren übrig, dass Gebrauch gewisse Theile stärke und ausdehne und Nichtgebrauch sie schwäche, und dass solche Abänderungen vererblich sind. In der freien Natur hat man keinen Massstab zur Vergleichung der Wirkungen lang fortgesetzten Gebrauches oder Nichtgebrauches, weil wir die älterlichen Formen nicht kennen; doch tragen manche Thiere Bildungen an sich, die sich als Folge des Nichtgebrauchs erklären lassen. Professor R. OWEN hat bemerkt, dass es eine grosse Anomalie in der Natur ist, dass ein Vogel nicht fliegen könne, und doch sind mehre in dieser Lage. Die Südamerikanische Dickkopf-Ente kann nur über der Oberfläche des Wassers hinflattern und hat Flügel von fast der nämlichen Beschaffenheit wie die Aylesburyer Hausenten-Rasse. Da die grossen Boden-Vögel selten zu andren Zwecken fliegen, als um einer Gefahr zu entgehen, so glaube ich, dass die fast ungeflügelte Beschaffenheit verschiedener Vögel-Arten, welche einige Inseln des Grossen Ozeans jetzt bewohnen oder einst bewohnt haben, wo sie keine Verfolgung von Raubthieren zu gewärtigen haben, vom Nichtgebrauche ihrer Flügel herrührt. Der Straus bewohnt zwar Kontinente und ist von Gefahren bedroht, denen er nicht durch Flug entgehen kann; aber er kann sich selbst durch Ausschlagen mit den Füssen gegen seine Feinde so gut vertheidigen wie einige der kleineren Vierfüsser. Man kann sich vorstellen, dass der Urvater des Strausses eine Lebens-Weise etwa wie der Trappe gehabt, und dass er in Folge Natürlicher Züchtung in einer langen Generationen-Reihe immer grösser und schwerer geworden seye, seine Beine mehr und seine Flügel weniger gebraucht habe, bis er endlich ganz unfähig geworden sey zu fliegen.

KIRBY hat bemerkt (und ich habe dieselbe Thatsache beobachtet), dass die Vordertarsen vieler männlicher Kothkäfer oft[S. 162] abgebrochen sind; er untersuchte siebenzehn Musterstücke seiner Sammlung, und fand in keinem eine Spur mehr davon. Onites Apelles hat seine Tarsen so gewöhnlich verloren, dass man diess Insekt beschrieben, als fehlten sie ihm gänzlich. In einigen anderen Sippen sind sie nur in verkümmertem Zustande vorhanden. Dem Ateuchus oder heiligen Käfer der Ägyptier fehlen sie gänzlich. Es ist zwar kein genügender Nachweis vorhanden, dass zufällige Verstümmelungen erblich seyen; aber der von BROWN-SEQUARD beobachtete Fall von der Vererbung der an einem Guinea-Schwein durch Beschädigung des Rückenmarks verursachten Epilepsie auf deren Nachkommen, müsste uns vorsichtig machen, wenn wir es läugnen wollten. Daher es gerathener erscheint den gänzlichen Mangel der Vordertarsen des Ateuchus und ihren verkümmerten Zustand in einigen anderen Sippen lieber der lang-fortgesetzten Wirkung ihres Nichtgebrauches bei deren Stamm-Vätern zuzuschreiben; denn da die Tarsen vieler Kothkäfer meistens fehlen, so müssen sie schon früh im Leben verloren gehen und können daher bei diesen Insekten nicht von wesentlichem Nutzen seyn noch viel gebraucht werden.

In einigen Fällen möchten wir leicht dem Nichtgebrauche gewisse Abänderungen der Organisation zuschreiben, welche jedoch gänzlich oder hauptsächlich von Natürlicher Züchtung herrühren. WOLLASTON hat die merkwürdige Thatsache entdeckt, dass von den 550 Käfer-Arten, welche Madeira bewohnen, 200 so unvollkommene Flügel haben, dass sie nicht fliegen können, und dass von den 29 der Insel ausschliesslich angehörigen Sippen nicht weniger als 23 lauter solche Arten enthalten. Manche Thatsachen, wie unter andern, dass in vielen Theilen der Welt fliegende Käfer beständig ins Meer geweht werden und zu Grunde gehen, dass die Käfer auf Madeira nach WOLLASTONS Beobachtung meistens verborgen liegen, bis der Wind ruhet und die Sonne scheint, dass die Zahl der Flügel-losen Käfer an den ausgesetzten kahlen Felsklippen verhältnissmässig grösser als in Madeira selbst ist, und zumal die ausserordentliche Thatsache, worauf WOLLASTON so beharrlich fusset, dass gewisse grosse anderwärts sehr zahlreiche Käfer-Gruppen, welche durch ihre Lebens-Weise[S. 163] viel zu fliegen genöthigt sind, auf Madeira gänzlich fehlen, — diese mancherlei Gründe machen mich glauben, dass die ungeflügelte Beschaffenheit so vieler Käfer dieser Insel hauptsächlich von Natürlicher Züchtung, doch wahrscheinlich in Verbindung mit Nichtgebrauch herrühre. Denn während tausend aufeinanderfolgender Generationen wird jeder einzelne Käfer, der am wenigsten fliegt, entweder weil seine Flügel am wenigsten entwickelt sind oder weil er der indolenteste ist, die meiste Aussicht haben alle andern zu überleben, weil er nicht ins Meer gewehet wird; und auf der andern Seite werden diejenigen Käfer, welche am liebsten fliegen, am öftesten in die See getrieben und vernichtet werden.

Diejenigen Insekten auf Madeira dagegen, welche sich nicht am Boden aufhalten und, wie die an Blumen lebenden Käfer und Schmetterlinge, von ihren Flügeln gewöhnlich Gebrauch machen müssen um ihren Unterhalt zu gewinnen, haben nach WOLLASTON’S Vermuthung keineswegs verkümmerte, sondern vielmehr stärker entwickelte Flügel. Diess ist ganz verträglich mit der Thätigkeit der Natürlichen Züchtung. Denn, wenn ein neues Insekt zuerst auf die Insel kommt, wird das Streben der Natürlichen Züchtung die Flügel zu verkleinern oder zu vergrössern davon abhängen, ob eine grössre Anzahl von Individuen durch erfolgreiches Ankämpfen gegen die Winde, oder durch mehr und weniger häufigen Verzicht auf diesen Versuch sich rettet. Es ist derselbe Fall wie bei den Matrosen eines in der Nähe der Küste gestrandeten Schiffes; für diejenigen, welche gut schwimmen, ist es um so besser, je besser sie schwimmen könnten um ihr Heil im Weiterschwimmen zu versuchen, während es für die schlechten Schwimmer am besten wäre, wenn sie gar nicht schwimmen könnten und sich daher auf dem Wrack Rettung suchten.

Die Augen der Maulwürfe und einiger wühlenden Nager sind an Grösse verkümmert und in manchen Fällen ganz von Haut und Pelz bedeckt. Dieser Zustand der Augen rührt wahrscheinlich von fortwährendem Nichtgebrauche her, dessen Wirkung vielleicht durch Natürliche Züchtung unterstützt wird. Ein Süd-Amerikanischer Nager, Ctenomys, hat eine noch mehr unterirdische[S. 164] Lebensweise als der Maulwurf, und ein Spanier, welcher oft dergleichen gefangen, versicherte mir, dass solcher oft ganz blind seye; einer, den ich lebend bekommen, war es gewiss und zwar, wie die Sektion ergab, in Folge einer Entzündung der Nickhaut. Da häufige Augen-Entzündungen einem jeden Thiere nachtheilig werden müssen, und da für unterirdische Thiere die Augen gewiss nicht unentbehrlich sind, so wird eine Verminderung ihrer Grösse, die Verwachsung des Augenlides damit und die Überziehung derselben mit dem Felle für sie von Nutzen seyn; und wenn Diess der Fall, so wird Natürliche Züchtung die Wirkung des Nichtgebrauches beständig unterstützen.

Es ist wohl bekannt, dass mehre Thiere aus den verschiedensten Klassen, welche die Höhlen in Kärnthen und Kentucky bewohnen, blind sind. In einigen Krabben ist der Augen-Stiel noch vorhanden, obwohl das Auge verloren ist: das Teleskopen-Gestell ist geblieben, obwohl das Teleskop mit seinem Glase fehlt. Da nicht wohl anzunehmen, dass Augen, wenn auch unnütz, den in Dunkelheit lebenden Thieren schädlich werden sollten, so schreibe ich ihren Verlust gänzlich auf Rechnung des Nichtgebrauchs. Bei einer der blinden Thier-Arten insbesondre, bei der Höhlen-Ratte (Neotoma), wovon Professor SILLIMAN zwei eine halbe englische Meile weit einwärts vom Eingange und mithin noch nicht gänzlich im Hintergrunde gefangen, waren die Augen gross und glänzend und erlangten, wie mir SILLIMAN mitgetheilt, nachdem sie einen Monat lang allmählich verstärktem Lichte ausgesetzt worden, ein unklares Wahrnehmungs-Vermögen für die ihnen vorgehaltenen Gegenstände und begannen zu blinzeln.

Es ist schwer sich ähnlichere Lebens-Bedingungen vorzustellen, als tiefe Kalkstein-Höhlen in nahezu ähnlichem Klima, so dass, wenn man von der gewöhnlichen Ansicht ausgeht, dass die blinden Thiere für die Amerikanischen und für die Europäischen Höhlen besonders erschaffen worden seyen, auch eine grosse Ähnlichkeit derselben in Organisation und Verwandtschaft zu erwarten stünde. Diess ist aber zwischen den beiderseitigen Faunen im Ganzen genommen keineswegs vorhanden und SCHIÖDTE bemerkt in Bezug auf die Insekten, dass die ganze Erscheinung[S. 165] nur als eine rein örtliche betrachtet werden dürfe, indem die Ähnlichkeit, die sich zwischen einigen Bewohnern der Monmouth-Höhle in Kentucky und den Kärnthen’schen Höhlen herausstellte, nur ein ganz einfacher Ausdruck der Analogie seye, die zwischen den Faunen Nord-Amerikas und Europas überhaupt bestehe. Nach meiner Meinung muss man annehmen, dass Amerikanische Thiere mit gewöhnlichem Sehe-Vermögen in nacheinanderfolgenden Generationen immer tiefer und tiefer in die entferntesten Schlupfwinkel der Kentucky’schen Höhle eingedrungen sind, wie es Europäische in den Höhlen von Kärnthen gethan. Und wir haben einigen Beweis für diese stufenweise Veränderung des Aufenthalts; denn SCHIÖDTE bemerkt: Wir betrachten demnach diese unterirdischen Faunen als kleine in die Erde eingedrungene Abzweigungen der geographisch-begrenzten Faunen der nächsten Umgegenden, welche in dem Grade, als sie sich weiter in die Dunkelheit ausbreiteten, sich den sie umgebenden Verhältnissen anpassten; Thiere, von gewöhnlichen Formen nicht sehr entfernt, bereiten den Übergang vom Tage zur Dunkelheit vor; dann folgen die fürs Zwielicht gebildeten und endlich die fürs gänzliche Dunkel bestimmten, deren Bildung ganz eigenthümlich ist. Diese Bemerkungen SCHIÖDTE’S beziehen sich daher nicht auf einerlei, sondern auf ganz verschiedene Species. Während der Zeit, in welcher ein Thier nach zahllosen Generationen die hintersten Theile der Höhle erreicht, wird hiernach Nichtgebrauch die Augen mehr oder weniger vollständig unterdrückt und Natürliche Züchtung oft andre Veränderungen erwirkt haben, die, wie verlängerte Fühler und Fressspitzen, einigermassen das Gesicht ersetzen. Ungeachtet dieser Modifikationen werden wir erwarten, noch Verwandtschaften der Höhlen-Thiere Amerikas mit den anderen Bewohnern dieses Kontinents, und der Höhlen-Bewohner Europas mit den übrigen Europäischen Thieren zu sehen. Und Diess ist bei einigen Amerikanischen Höhlen-Thieren der Fall, wie ich von Professor DANA höre; und einige Europäische Höhlen-Insekten stehen manchen in der Umgegend der Höhle wohnenden Arten ganz nahe. Es dürfte sehr schwer seyn, eine vernünftige Erklärung von der Verwandtschaft der blinden Höhlen-Thiere mit[S. 166] den andern Bewohnern der beiden Kontinente aus dem gewöhnlichen Gesichtspunkte einer unabhängigen Erschaffung zu geben. Dass einige von den Höhlen-Bewohnern der Alten und der Neuen Welt in naher Beziehung zu einander stehen, lässt sich aus den wohl-bekannten Verwandtschafts-Verhältnissen ihrer meisten übrigen Erzeugnisse zu einander erwarten. Da eine blinde Bathyscia-Art häufig an schattigen Felsen ausserhalb der Höhlen gefunden wird, so hat der Verlust des Gesichtes an der die Höhle bewohnenden Art wahrscheinlich in keiner Beziehung zum Dunkel dieser Wohnstätte gestanden; und es ist ganz begreiflich, dass ein bereits blindes Insekt sich in der Bewohnung einer dunklen Höhle nicht zurecht finden wird. Eine andere blinde Sippe, Anophthalmus, bietet die merkwürdige Eigenthümlichkeit dar, dass, wie MURRAY bemerkte, ihre verschiedenen Arten in verschiedenen Höhlen Europas sowohl als in der von Kentucky wohnen, und dass die Sippe überhaupt nur in Höhlen vorkommt. Es ist jedoch möglich, dass der Stamm-Vater oder die Stamm-Väter dieser verschiedenen Spezies vordem in beiden Kontinenten weit verbreitet gewesen und (gleich den Elephanten beider Festländer) allmählich auf ihre jetzigen engen Wohnstätten eingeschränkt worden sind. Weit entfernt mich darüber zu wundern, dass einige der Höhlen-Thiere von sehr anomaler Beschaffenheit sind, wie AGASSIZ von dem blinden Fische Amblyopsis in Amerika bemerkt, und wie es mit dem blinden Reptile Proteus in Europa der Fall ist, bin ich vielmehr erstaunt, dass sich darin nicht mehr Wracks der alten Lebenformen erhalten haben, da solche in diesen dunkeln Abgründen wohl einer minder strengen Mitbewerbung ausgesetzt gewesen seyn würden[20].

Akklimatisirung.) Gewohnheit ist bei Pflanzen erblich in Bezug auf Blüthe-Zeit, nöthige Regen-Menge für den Keimungs-Prozess, Schlaf u. s. w., und Diess veranlasst mich hier noch Einiges über Akklimatisirung zu sagen. Es ist sehr gewöhnlich, dass Arten von einerlei Sippe sehr heisse sowie sehr kalte Gegenden[S. 167] bewohnen; und da ich glaube, dass alle Arten einer Sippe von einem gemeinsamen Urvater abstammen, so muss, wenn Diess richtig, Akklimatisirung während einer langen Fortpflanzung leicht bewirkt werden können. Es ist bekannt, dass jede Art dem Klima ihrer eignen Heimath angepasst ist; Arten einer arktischen oder auch nur einer gemässigten Gegend können in einem tropischen Klima nicht ausdauern, u. u. So können auch manche Fettpflanzen nicht in feuchtem Klima fortkommen. Doch ist der Grad der Anpassung der Arten an das Klima, worin sie leben, oft überschätzt worden. Wir können Diess schon aus unsrer oftmaligen Unfähigkeit vorauszusagen, ob eine eingeführte Pflanze unser Klima ausdauren werde oder nicht, sowie aus der grossen Anzahl von Pflanzen und Thieren entnehmen, welche aus wärmerem Klima zu uns verpflanzt hier ganz wohl gedeihen. Wir haben Grund anzunehmen, dass im Natur-Stande Arten durch die Mitbewerbung andrer organischer Wesen eben so sehr oder noch stärker in ihrer Verbreitung beschränkt werden, als durch ihre Anpassung an besondre Klimate. Mag aber die Anpassung im Allgemeinen eine sehr genaue seyn oder nicht: wir haben bei einigen wenigen Pflanzen-Arten Beweise, dass dieselben schon von der Natur in gewissem Grade an ungleiche Temperaturen gewöhnt oder akklimatisirt werden. So zeigen die von Dr. HOOKER aus Saamen von verschiedenen Höhen des Himalaya erzogenen Pinus- und Rhododendron-Arten auch ein verschiedenes Vermögen der Kälte zu widerstehen. Herr TWAITES berichtet mir, dass er ähnliche Thatsachen auf Ceylon beobachtet habe, und Herr H. C. WATSON hat ähnliche Erfahrungen mit Pflanzen gemacht, die von den Azoren nach England gebracht worden sind. In Bezug auf Thiere liessen sich manche wohl beglaubigte Fälle anführen, dass Arten derselben binnen geschichtlicher Zeit ihre Verbreitung weit aus wärmeren nach kälteren Zonen oder umgekehrt ausgedehnt haben; jedoch wissen wir nicht mit Bestimmtheit, ob diese Thiere einst ihrem heimathlichen Klima enge angepasst gewesen, obwohl wir Diess in allen gewöhnlichen Fällen voraussetzen, — und ob demzufolge sie erst einer Akklimatisirung in ihrer neuen Heimath bedurft haben, oder nicht.

[S. 168]

Da ich glaube, dass unsre Hausthiere ursprünglich von noch unzivilisirten Menschen gezähmt worden sind, weil sie ihnen nützlich und in der Gefangenschaft leicht fortzupflanzen waren, und nicht wegen ihrer erst später erkundeten Tauglichkeit zu weit ausgedehnter Verpflanzung, so kann nach meiner Meinung das gewöhnlich ausserordentliche Vermögen unsrer Hausthiere die verschiedensten Klimate auszuhalten und sich darin (ein viel gewichtigeres Zeugniss) fortzupflanzen, zur Schlussfolgerung dienen, dass auch eine verhältnissmässig grosse Anzahl andrer Thiere, die sich jetzt noch im Natur-Zustande befinden, leicht dazu gebracht werden könnte, sehr verschiedene Klimate zu ertragen. Wir dürfen jedoch die vorangehende Folgerung nicht zu weit treiben, weil einige unsrer Hausthiere von verschiedenen wilden Stämmen herrühren können, wie z. B. in unsren Haushund-Rassen das Blut eines tropischen und eines arktischen Wolfes oder wilden Hundes gemischt seyn könnte. Ratten und Mäuse dürfen nicht als Hausthiere angesehen werden; und doch sind sie vom Menschen in viele Theile der Welt übergeführt worden und besitzen jetzt eine weitre Verbreitung als irgend ein andres Nagethier, indem sie frei unter dem kalten Himmel der Faröer im Norden und der Falklands-Inseln im Süden, wie auf vielen Inseln der Tropen-Zone leben. Daher ich geneigt bin, die Anpassung an ein besondres Klima als eine leicht auf eine angeborene weite Biegsamkeit der Konstitution, welche den meisten Thieren eigen ist, gepropfte Eigenschaft zu betrachten. Dieser Ansicht zu Folge hat man die Fähigkeit des Menschen und seiner meisten Hausthiere die verschiedensten Klimate zu ertragen und solche Thatsachen, wie das Vorkommen einstiger Elephanten- und Rhinoceros-Arten in einem Eis-Klima, während deren jetzt lebenden Arten alle eine tropische oder subtropische Heimath haben, nicht als Gesetzwidrigkeiten zu betrachten, sondern lediglich als Beispiele einer sehr gewöhnlichen Biegsamkeit der Konstitution anzusehen, welche nur unter besondern Umständen mehr zur Geltung gelangt ist.

Wie viel von der Akklimatisirung der Arten an ein besondres Klima bloss Gewohnheits-Sache seye, wie viel von der Natürlichen[S. 169] Züchtung von Varietäten mit verschiedenen Körper-Verfassungen abhänge, oder wie weit beide Ursachen zusammenwirken, ist eine sehr schwierige Frage. Dass Gewohnheit und Übung einigen Einfluss habe, will ich sowohl nach der Analogie als nach den ununterbrochenen Warnungen wohl glauben, welche in unsern landwirthschaftlichen Werken und selbst in alten Chinesischen Encyclopädien enthalten sind, recht vorsichtig bei Versetzung von Thieren aus einer Gegend in die andre zu seyn. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass man durch Züchtung so viele Rassen und Unterrassen mit eben so vielen verschiedenen Gegenden angepassten Konstitutionen gebildet habe; das Ergebniss rührt vielmehr von Gewöhnung her. Andrerseits sehe ich auch keinen Grund zu zweifeln, dass Natürliche Züchtung beständig diejenigen Individuen zu erhalten strebe, welche mit den für ihre Heimath-Gegenden am besten geeigneten Körper-Verfassungen geboren sind. In Schriften über verschiedene Sorten kultivirter Pflanzen heisst es von gewissen Varietäten, dass sie dieses oder jenes Klima besser als andre vertragen. Diess ergibt sich sehr schlagend aus den in den Vereinten Staaten erschienenen Werken über Obstbaum-Zucht, worin gewöhnlich diese Varietäten für die nördlichen und jene für die südlichen Staaten empfohlen werden; und da die meisten dieser Abarten noch neuen Ursprungs sind, so kann man die Verschiedenheit ihrer Konstitutionen in dieser Beziehung nicht der Gewöhnung zuschreiben. Man hat die Jerusalem-Artischoke, welche sich nicht aus Saamen fortpflanzt und daher niemals neue Varietäten geliefert hat, angeführt als Beweis, dass es nicht möglich seye eine Akklimatisirung zu bewirken, weil sie noch immer so empfindlich seye, wie sie jederzeit gewesen: zu gleichem Zwecke hat man sich oft auf die Schminkbohne, und zwar mit viel grösserem Nachdrucke berufen. So lange aber, als nicht jemand einige Dutzend Generationen hindurch seine Schminkbohnen so frühzeitig aussäet, dass ein sehr grosser Theil derselben durch Frost zerstört wird, und dann mit der gehörigen Vorsicht zur Vermeidung von Kreutzungen, seine Saamen von den wenigen überlebenden Stöcken nimmt und von deren Sämlingen mit gleicher Vorsicht abermals seine[S. 170] Saamen erzieht, so lange wird man nicht sagen können, dass der Versuch angestellt worden seye. Auch kann man nicht unterstellen, dass nicht zuweilen Verschiedenheiten in der Konstitution dieser verschiedenen Bohnen-Sämlinge zum Vorschein kommen; denn es ist bereits ein Bericht darüber erschienen, wie viel härter ein Theil dieser Sämlinge gegenüber den andern seye.

Im Ganzen kann man, glaube ich, schliessen, dass Gewöhnung, Gebrauch und Nichtgebrauch in manchen Fällen einen beträchtlichen Einfluss auf die Änderung der Konstitution und den Bau verschiedener Organe ausgeübt haben; dass jedoch diese Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs oft in ansehnlichem Grade vermehrt und mitunter noch überboten worden sind durch Natürliche Züchtung mittelst angeborner Abänderungen.

Wechselbeziehungen der Bildung.) — Ich will mit diesem Ausdrucke sagen, dass die ganze Organisation der natürlichen Wesen so unter sich verkettet ist, dass, wenn während der Entwickelung und dem Wachsthume des einen Theiles eine geringe Abänderung erfolgt und von der Natürlichen Züchtung gehäuft wird, auch andre Theile geändert werden müssen. Diess ist ein sehr wichtiger Punkt, aber noch wenig begriffen. Der gewöhnlichste Fall ist der, dass Abänderungen, welche nur zum Nutzen der Larve oder des Jungen gehäuft werden, zweifelsohne auch die Organisation des Erwachsenen berühren; eben so wie eine Missbildung, welche den frühesten Embryo betrifft, auch die ganze Organisation des Alten ernstlich berühren wird. Die mehrzähligen homologen und in der frühesten Embryo-Zeit einander noch ähnlichen Theile des Körpers scheinen in verwandter Weise zu variiren geneigt; daher die rechte und linke Seite des Körpers in gleicher Weise abzuändern pflegen, die vorderen Gliedmaassen in gleicher Weise wie die hintern, und sogar in gleicher Weise wie die Kinnladen, da man ja den Unterkiefer für ein Homologon der Gliedmaassen hält. Diese Neigungen können, wie ich nicht bezweifle, durch Natürliche Züchtung mehr und weniger beherrscht werden; so hat es früher eine Hirsch-Familie mit einem Augsprossen nur an einem Geweihe gegeben, und wäre diese Eigenheit von irgend einem grösseren Nutzen[S. 171] gewesen, so würde sie durch Natürliche Züchtung vermuthlich bleibend geworden seyn.

Homologe Theile streben, wie einige Autoren bemerkt haben, zusammenzuhängen, wie man es oft in monströsen Pflanzen sieht; und nichts ist gewöhnlicher als die Vereinigung homologer Theile zu normalen Bildungen, wie z. B. die Vereinigung der Kronen-Blätter zu einer Röhre[21]. Harte Theile scheinen auf die Form anliegender weicher einzuwirken, und einige Autoren sind der Meinung, dass die Verschiedenheit in der Form des Beckens der Vögel den merkwürdigen Unterschied in der Form ihrer Nieren verursache. Andere glauben, dass beim Menschen die Gestalt des Beckens der Mutter durch Druck auf die Schädel-Form des Kindes wirke[22]. Bei Schlangen bedingen nach SCHLEGEL die Form des Körpers und die Art des Schlingens die Lage einiger der wichtigsten Eingeweide.

Die Beschaffenheit des Bandes der Wechselbeziehung ist sehr oft ganz dunkel. ISIDORE GEOFFROY SAINT-HILAIRE hat auf nachdrückliche Weise hervorgehoben, dass gewisse Missbildungen sehr häufig und andre sehr selten zusammen vorkommen, ohne dass wir den Grund anzugeben vermöchten. Was kann eigenthümlicher seyn, als die Beziehung zwischen den blauen Augen und der Taubheit mancher weissen Katzen, oder die der Farbe des Panzers mit dem weiblichen Geschlechte der Schildkröten; die Beziehung zwischen den gefiederten Füssen und der Spannhaut zwischen den äusseren Zehen der Tauben, oder die zwischen der Anwesenheit von mehr oder weniger Flaum an den eben ausschlüpfenden Vögeln mit der künftigen Farbe ihres Gefieders; oder endlich zwischen Behaarung und Zahn-Bildung des nackten Türkischen Hundes, obschon hier wohl Homologie[S. 172] mit ins Spiel kommt. Mit Bezug auf diesen letzten Fall von Wechselbeziehung scheint es mir kaum zufällig zu seyn, dass diejenigen zwei Säugethier-Ordnungen, welche am abnormsten in ihrer Bekleidung, auch am abweichendsten in der Zahn-Bildung sind; nämlich die Cetaceen (Wale) und die Edentaten (Schuppenthiere, Gürtelthiere u. s. w.).

Ich kenne keinen Fall, der besser geeignet wäre, die Wesenheit der Gesetze der Wechselbeziehung bei Abänderung wichtiger Gebilde unabhängig von deren Nützlichkeit und somit auch von der Natürlichen Züchtung darzuthun, als es die Verschiedenheit der äussern und innern Blüthen im Blüthenstande einiger Compositiflorae und Umbelliferae ist. Jedermann kennt den Unterschied zwischen den mitteln und den Rand-Blüthen z. B. des Gänseblümchens (Bellis), und diese Verschiedenheit ist oft verbunden mit der Verkümmerung einzelner Blumen-Theile. Aber in einigen Compositifloren unterscheiden sich auch die Früchte der beiderlei Blüthen in Grösse und Skulptur, und selbst die Ovarien mit einigen Nebentheilen weichen ab, wie CASSINI nachgewiesen. Diese Unterschiede sind von einigen Botanikern dem Druck zugeschrieben worden, und die Frucht-Formen in den Strahlen-Blumen der Compositifloren unterstützen diese Ansicht; keineswegs aber trifft es bei den Umbelliferen zu, dass die Arten mit den dichtesten Umbellen die grösste Verschiedenheit zwischen den inneren und äusseren Blüthen wahrnehmen liessen. Man hätte denken können, dass die stärkere Entwickelung der im Rande des Blüthenstandes befindlichen Kronenblätter die Verkümmerung andrer Blüthen-Theile veranlasst habe, indem sie ihnen Nahrung entzogen; aber bei einigen Compositifloren zeigt sich ein Unterschied in der Grösse der Früchte der innern und der Strahlen-Blüthen, ohne vorgängige Verschiedenheit der Krone. Möglich, dass diese mancherlei Unterschiede mit irgend einem Unterschiede in dem Zufluss der Säfte zu den mittel- und den Rand-ständigen Blüthen zusammenhängt; wir wissen wenigstens, dass bei unregelmässig geformten Blüthen die der Achse zunächst stehenden am öftesten der Peloria-Bildung unterworfen sind und regelmässig werden. Ich will als Beispiel dieses und[S. 173] zugleich als treffenden Fall von Wechselbeziehung der Entwickelung anführen, wie ich kürzlich in einigen Garten-Pelargonien beobachtet, dass die mitteln Blüthen der Dolde oft die dunkleren Flecken an den zwei oberen Kronenblättern verlieren und dass, wenn Diess der Fall, das abhängende Nectarium gänzlich verkümmert; fehlt der Fleck nur an einem der zwei oberen Kronenblätter, so wird das Nectarium nur stark verkürzt.

Hinsichtlich der Verschiedenheiten der Blumenkronen der mitteln und randlichen Blumen einer Dolde oder eines Blüthenköpfchens, so halte ich C. C. SPRENGEL’S Einfall, dass die Strahlen-Blumen zur Anziehung der Insekten bestimmt seyen, deren Bewegungen die Befruchtung der Pflanzen jener zwei Ordnungen befördere, nicht für so weit hergeholt, als er beim ersten Blick scheinen mag; und wenn es wirklich von Nutzen, so kann Natürliche Züchtung mit in Betracht kommen. Dagegen scheint es kaum möglich, dass die Verschiedenheit zwischen dem Bau der äusseren und der inneren Früchte, welche in keiner Wechselbeziehung mit irgend einer verschiedenen Bildung der Blüthen steht, irgend wie den Pflanzen von Nutzen seyn kann. Jedoch erscheinen bei den Dolden-Pflanzen die Unterschiede von so auffallender Wichtigkeit (da in mehren Fällen nach TAUSCH die Früchte der äusseren Blüthen orthosperm und die der mittelständigen cölosperm sind), dass der ältere DECANDOLLE seine Hauptabtheilungen in dieser Pflanzen-Ordnung auf analoge Verschiedenheiten gründete. Wir sehen daher, dass Abänderungen der Struktur von gänzlich unbekannten Gesetzen in den Wechselbeziehungen der Entwickelung bedingt seyn können, und zwar ohne selbst den geringsten erkennbaren Vortheil für die Spezies darzubieten.

Wir mögen irriger Weise den Wechselbeziehungen der Entwickelung oft solche Bildungen zuschreiben, welche ganzen Arten-Gruppen gemein sind, aber in Wahrheit ganz einfach von Erblichkeit abhängen. Denn ein alter Stamm-Vater z. B. mag durch Natürliche Züchtung irgend eine Eigenthümlichkeit seiner Struktur und nach tausend Generationen irgend eine andre davon unabhängige Abänderung erlangt haben, und wenn dann beide[S. 174] Modifikationen mit einander auf eine ganze Gruppe von Nachkommen mit verschiedener Lebensweise übertragen worden sind, so wird man natürlich glauben, sie stünden in einer nothwendigen Wechselbeziehung mit einander. So zweifle ich auch nicht daran, dass einige anscheinende Wechselbeziehungen, welche in ganzen Ordnungen des Systemes vorkommen, lediglich nur von der möglichen Wirkungs-Weise der Züchtung bedingt sind. Wenn z. B. ALPHONS DECANDOLLE bemerkt, dass geflügelte Saamen nie in Früchten vorkommen, die sich nicht öffnen, so möchte ich diese Regel durch die Thatsache erklären, dass Saamen nicht durch Natürliche Züchtung allmählich beflügelt werden können, ausser in Früchten, die sich öffnen; so dass individuelle Pflanzen mit Saamen, welche etwas geflügelt und daher mehr zur weiten Fortführung geeignet sind, vor andern schlecht-beflügelten hinsichtlich ihrer Aussicht auf Erhaltung im Vortheil sind, und dieser Vorgang kann nicht wohl mit solchen Früchten vorkommen, welche nicht aufspringen.

Der ältre GEOFFROY und GÖTHE haben ihr Gesetz von der Compensation der Entwickelung fast gleichzeitig aufgestellt, wornach, wie GÖTHE sich ausdrückt, die Natur genöthigt ist auf der einen Seite zu ersparen, was sie auf der andern mehr gibt. Diess passt in gewisser Ausdehnung, wie mir scheint, ganz gut auf unsre Kultur-Erzeugnisse: denn wenn einem Theile oder Organe Nahrung in Überfluss zuströmt, so kann sie nicht, oder wenigstens nicht in Überfluss, auch einem andern zu Theil werden, daher man eine Kuh z. B. nicht zwingen kann, viel Milch zu geben und zugleich fett zu werden. Ein und dieselbe Kohl-Varietät kann nicht eine reichliche Menge nahrhafter Blätter und zugleich einen guten Ertrag von Öl-Saamen liefern. Wenn in unsrem Obste die Saamen verkümmern, gewinnt die Frucht selbst an Grösse und Güte. Bei unsern Hühnern ist einer grossen Federhaube auf dem Kopfe gewöhnlich ein kleinerer Kamm beigesellt, und ist ein grosser Feder-Bart mit kleinen Bartlappen verbunden. Dagegen ist kaum anzunehmen, dass dieses Gesetz auch auf Arten im Natur-Zustande allgemein anwendbar seye, obwohl viele gute Beobachter und namentlich Botaniker an seine[S. 175] Wahrheit glauben. Ich will jedoch hier keine Beispiele anführen; denn ich kann schwer ein Mittel finden zu unterscheiden einerseits zwischen der durch Natürliche Züchtung bewirkten ansehnlichen Vergrösserung eines Theiles und der durch gleiche Ursache oder durch Nichtgebrauch veranlassten Verminderung eines anderen nahe dabei befindlichen Organes, und anderseits der Verkümmerung eines Organes durch Nahrungs-Einbusse in Folge excessiver Entwickelung eines anderen nahe dabei befindlichen Theiles.

Ich vermuthe auch, dass einige der Fälle, die man als Beweise der Compensation vorgebracht, sich mit einigen anderen Thatsachen unter ein allgemeineres Prinzip zusammenfassen lassen, das Prinzip nämlich, dass Natürliche Züchtung fortwährend bestrebt ist, in jedem Theile der Organisation zu sparen. Wenn unter veränderten Lebens-Verhältnissen eine bisher nützliche Vorrichtung weniger nützlich wird, so dürfte wohl eine wenn gleich nur unbedeutende Verminderung ihrer Grösse durch die Natürliche Züchtung erstrebt werden, indem es für das Individuum ja vortheilhaft ist, wenn es seine Säfte nicht zur Ausbildung nutzloser Organe verschwendet. Nur auf diese Weise kann ich eine Thatsache begreiflich finden, welche mich, als ich mit der Untersuchung über die Cirripeden beschäftigt war, überraschte, nämlich dass, wenn ein Cirripede in anderen Organismen als Schmarotzer lebt und daher geschützt ist, er mehr oder weniger seine eigene Kalk-Schaale verliert. Diess ist mit dem Männchen von Ibla und in ausserordentlich hohem Grade mit Proteolepas der Fall; denn während der Panzer aller anderen Cirripeden aus den drei hochwichtigen Vordersegmenten des ungeheuer entwickelten Kopfes besteht und mit starken Nerven und Muskeln versehen ist, erscheint an dem parasitischen und geschützten Proteolepas der ganze Vordertheil des Kopfes als ein blosses an die Basen der Rankenfüsse befestigtes Rudiment. Nun dürfte die Ersparung eines grossen und zusammengesetzten Gebildes, wenn es, wie hier durch die parasitische Lebens-Weise des Proteolepas, überflüssig wird, obgleich nur stufenweise voranschreitend, ein entschiedener Vortheil für jedes spätere Individuum der Spezies[S. 176] seyn, weil im Kampfe um’s Daseyn, welchen das Thier zu kämpfen hat, jeder einzelne Proteolepas um so mehr Aussicht sich zu behaupten erlangt, je weniger Nahrstoff zur Entwickelung eines nutzlos gewordenen Organes verloren geht.

Darnach, glaube ich, wird es der Natürlichen Züchtung in die Länge immer gelingen, jeden Theil der Organisation zu verringern und zu ersparen, sobald er überflüssig geworden ist, ohne desshalb gerade einen anderen Theil in entsprechendem Grade stärker auszubilden. Und eben so dürfte sie, umgekehrt, vollkommen im Stande seyn ein Organ stärker auszubilden, ohne die Verminderung eines andern benachbarten Theiles als nothwendige Compensation zu verlangen.

Nach ISIDORE GEOFFROY SAINT-HILAIRE’S Wahrnehmung scheint es bei Varietäten wie bei Arten Regel zu seyn, dass, wenn ein Theil oder ein Organ oftmals im Baue eines Individuums vorkommt, wie der Wirbel in den Schlangen und die Staubgefässe in den polyandrischen Blüthen, dessen Zahl veränderlich wird, während die Zahl desselben Organes oder Theiles beständig bleibt, falls er sich weniger oft wiederholen muss. Derselbe Zoologe sowie einige Botaniker haben ferner die Bemerkung gemacht, dass sehr vielzählige Theile auch grösseren Veränderungen im inneren Bau ausgesetzt sind. Zumal nun diese vegetativen Wiederholungen, wie R. OWEN sie nennt, ein Anzeigen niedriger Organisation sind, so scheint die vorangehende Bemerkung mit der sehr allgemeinen Ansicht der Naturforscher zusammenzuhängen, dass solche Wesen, welche tief auf der Stufenleiter der Natur stehen, veränderlicher als die höheren sind. Ich verstehe unter tiefer Organisation in diesem Falle eine geringe Differenzirung der Organe für verschiedene besondere Verrichtungen; denn solange ein und dasselbe Organ verschiedene Arbeiten zu verrichten hat, lässt sich ein Grund für seine Veränderlichkeit vielleicht darin finden, dass Natürliche Züchtung jede kleine Abweichung der Form weniger sorgfältig erhält oder unterdrückt, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondern Zweck allein bestimmt wäre. So mögen Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Ganzen so ziemlich von[S. 177] einerlei Form seyn, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug für jeden andern Gebrauch auch eine andere Form haben muss.

Auch unvollkommen ausgebildete, rudimentäre Organe sind nach der Bemerkung einiger Schriftsteller, die mir richtig zu seyn scheint, sehr zur Veränderlichkeit geneigt. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Erörterung der rudimentären und abortiven Organe im Allgemeinen und will hier nur beifügen, dass ihre Veränderlichkeit durch ihre Gebrauchslosigkeit bedingt zu seyn scheint, indem in diesem Falle Natürliche Züchtung nichts vermag, um Abweichungen ihres Baues zu verhindern. Daher rudimentäre Theile dem freien Einfluss der verschiedenen Wachsthums-Gesetze, den Wirkungen lange fortgesetzten Nichtgebrauchs und dem Streben zur Rückkehr preisgegeben sind.

Ein in ausserordentlicher Stärke oder Weise in irgend einer Species entwickelter Theil hat, in Vergleich mit demselben Theile in anderen Arten, eine grosse Neigung zur Veränderlichkeit.) — Vor einigen Jahren wurde ich durch eine ähnliche von WATERHOUSE veröffentlichte Äusserung überrascht. Auch schliesse ich aus einer Bemerkung des Professors R. OWEN über die Länge der Arme des Orang-Utang, dass er zur nämlichen Ansicht gelangt seye. Es ist keine Hoffnung vorhanden, jemanden von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen, ohne die Aufzählung der langen Reihe von Thatsachen, die ich gesammelt, aber hier nicht mittheilen kann. Ich vermag nur meine Überzeugung auszusprechen, dass es eine sehr allgemeine Regel ist. Ich kenne zwar mehre Ursachen, welche zu Irrthum in dieser Hinsicht Veranlassung geben können, hoffe aber sie genügend berücksichtigt zu haben. Vor Allem ist zu bemerken, dass diese Regel auf keinen wenn auch an sich noch so ungewöhnlich entwickelten Theil Anwendung finden soll, woferne er nicht auch demselben Theile bei nahe verwandten Arten gegenüber ungewöhnlich ausgebildet ist. So abnorm daher auch die Flügel-Bildung der Fledermäuse in der Klasse der Säugethiere ist, so bezieht sich doch jene Regel nicht darauf, weil diese Bildung einer ganzen[S. 178] Ordnung zukommt; sie würde nur anwendbar seyn, wenn die Flügel einer Fledermaus-Art in merkwürdigem Verhältnisse gegen die Flügel andrer Arten derselben Sippe vergrössert wären. Diese Regel entspricht sehr gut den ungewöhnlich verwickelten „sekundären Sexual-Charaktern“, mit welchem Ausdrucke HUNTER diejenigen Merkmale bezeichnete, welche nur dem Männchen oder dem Weibchen allein zukommen, aber mit dem Fortpflanzungs-Akte nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Die Regel findet sowohl auf Männchen wie auf Weibchen Anwendung, doch mehr auf die ersten, weil auffallende Charaktere dieser Art bei Weibchen überhaupt selten sind. Die vollkommene Anwendbarkeit der Regel auf diese letzten Fälle dürfte mit der grossen und nicht zu bezweifelnden Veränderlichkeit dieser Charaktere überhaupt, mögen sie viel oder wenig entwickelt seyn, zusammenhängen. Dass sich aber unsre Regel in der That nicht auf die sekundären Charaktere dieser Art allein beziehe, erhellt aus den hermaphroditischen Cirripeden; und ich will hier beifügen, dass ich bei der Untersuchung dieser Ordnung Herrn WATERHOUSE’S Bemerkung besondre Beachtung zugewandt habe und vollkommen von der fast unveränderlichen Anwendbarkeit dieser Regel auf die Cirripeden überzeugt bin. In meinem späteren Werke werde ich eine vollständigere Liste der einzelnen Fälle geben; hier aber will ich nur einen anführen, welcher die Regel in ihrer ausgedehntesten Anwendbarkeit erläutert. Die Deckelklappen der sitzenden Cirripeden (Balaniden) sind in jedem Sinne des Wortes sehr wichtige Gebilde und variiren selbst von einer Sippe zur andern nur wenig. Nur in den verschiedenen Arten von Pyrgoma allein bieten diese Klappen einen wundersamen Grad von Differenzirung dar. Die homologen Klappen sind in verschiedenen Arten zuweilen ganz unähnlich in Form, und der Betrag möglicher Abweichung zwischen den Individuen einiger Arten ist so gross, dass man ohne Übertreibung behaupten darf, ihre Varietäten weichen in den Merkmalen dieser wichtigen Klappen weit auseinander, als sonst Arten verschiedener Sippen.

Da Vögel innerhalb einer und derselben Gegend ausserordentlich[S. 179] wenig variiren, so habe ich auch sie in dieser Hinsicht näher geprüft und die Regel auch in dieser Klasse sehr gut bewährt gefunden. Ich kann nicht nachweisen, dass sie sich auch bei den Pflanzen so verhalte, und mein Vertrauen auf ihre Allgemeinheit würde hiedurch sehr erschüttert worden seyn, wenn nicht eben die grosse Veränderlichkeit der Pflanzen überhaupt es sehr schwierig machte, die bezüglichen Veränderlichkeits-Grade beider miteinander zu vergleichen.

Wenn wir bei irgend einer Spezies einen Theil oder ein Organ in merkwürdiger Höhe oder Weise entwickelt sehen, so läge es am nächsten anzunehmen, dass dasselbe dieser Art von grosser Wichtigkeit seyn müsse, und doch ist der Theil in diesem Falle ausserordentlich veränderlich. Wie kommt Diess? Aus der Ansicht, dass jede Art mit allen ihren Theilen, wie wir sie jetzt sehen, unabhängig erschaffen worden seye, können wir keine Erklärung schöpfen. Dagegen scheint mir die Annahme, dass Arten-Gruppen eine gemeinsame Abstammung von andern Arten haben und nur durch Natürliche Züchtung modifizirt worden sind, einiges Licht über die Frage zu verbreiten. Wenn bei unsren Hausthieren ein einzelner Theil oder das ganze Thier vernachlässigt und ohne Züchtung fortgepflanzt wird, so wird ein solcher Theil (wie z. B. der Kamm bei den Dorking-Hühnern) oder die ganze Rasse aufhören einen einförmigen Charakter zu bewahren. Man wird dann sagen, sie seye ausgeartet. In rudimentären und solchen Organen, welche nur wenig für einen besondern Zweck differenzirt worden sind, sowie in polymorphen Gruppen, sehen wir einen fast gleichlaufenden Fall in der Natur; denn hier kann die Natürliche Züchtung nicht oder nur wenig zur Geltung kommen und die Organisation bleibt in einem schwankenden Zustande. Was uns aber hier näher angeht, das ist, dass eben bei unseren Hausthieren diejenigen Charaktere, welche durch fortgesetzte Züchtung so rascher Abänderung unterliegen, eben so rasch zu variiren geneigt werden. Man vergleiche einmal die Tauben-Rassen; was für ein wunderbar grosses Maass von Veränderung zeigt sich nur in den Schnäbeln der Purzeltauben, in den Schnäbeln und rothen Lappen der verschiedenen Botentauben (Cyprianer), in Haltung und[S. 180] Schwanz der Pfauentaube, weil die Englischen Liebhaber auf diese Punkte wenig achten. Schon die Unterrassen wie die kurzstirnigen Purzler sind bekanntlich schwer vollkommen zu finden, und oft kommen dabei einzelne Thiere zum Vorschein, welche weit von dem Musterbilde abweichen. Man kann daher mit Wahrheit sagen, es finde ein beständiger Kampf statt zwischen einerseits einem Streben zur Rückkehr in eine minder differenzirte Beschaffenheit und einer angeborenen Neigung zu weiterer Veränderung aller Art, und andrerseits dem Vermögen fortwährender Züchtung zur Reinerhaltung der Rasse. Bei langer Dauer gewinnt Züchtung den Sieg, und wir fürchten nicht mehr so weit vom Ziele abzuweichen, dass wir von einem guten kurzstirnigen Stamm nur einen gemeinen Purzler erhielten. So lange aber die Züchtung noch in raschem Fortschritt begriffen ist, wird immer eine grosse Unbeständigkeit in dem der Veränderung unterliegenden Gebilde zu erwarten seyn. Es verdient ferner bemerkt zu werden, dass diese durch künstliche Züchtung erzeugten veränderlichen Charaktere aus uns ganz unbekannten Ursachen sich zuweilen mehr an das eine als an das andre Geschlecht knüpfen, und zwar gewöhnlich an das männliche, wie die Fleischwarzen der Englischen Botentaube und der mächtige Kropf des Kröpfers.

Doch kehren wir zur Natur zurück. Ist ein Theil in irgend einer Spezies den andern Arten derselben Sippe gegenüber auf aussergewöhnliche Weise vergrössert, so können wir annehmen, derselbe habe seit ihrer Abzweigung von dem gemeinsamen Stamme einen ungewöhnlichen Betrag von Abänderung erfahren. Diese Zeit der Abzweigung wird selten ausserordentlich weit zurückliegen, da Arten nur selten länger als eine geologische Periode dauern. Ein ungewöhnlicher Betrag von Verschiedenheit setzt ein ungewöhnlich langes und ausgedehntes Maass von Veränderlichkeit voraus, deren Produkt durch Züchtung zum Besten der Spezies fortwährend gehäuft worden ist. Da aber die Veränderlichkeit des ausserordentlich entwickelten Theiles oder Organes in einer nicht sehr weit zurückreichenden Zeit so gross und andauernd gewesen ist, so möchten wir auch jetzt noch in der Regel mehr Veränderlichkeit in solchen als in andern Theilen[S. 181] der Organisation, welche schon seit viel längerer Zeit beständig geworden sind, anzutreffen erwarten. Und diese findet nach meiner Überzeugung statt. Dass aber der Kampf zwischen Natürlicher Züchtung einerseits und der Neigung zur Rückkehr und zur weiteren Abänderung anderseits mit der Zeit aufhören und auch die am abnormsten gebildeten Organe beständig werden können, ist kein Grund vorhanden zu bezweifeln. Wenn daher ein Organ, wie regelmässig es auch seyn mag, in ungefähr gleicher Beschaffenheit auf viele bereits abändernde Nachkommen übertragen wird, wie Diess mit dem Flügel der Fledermaus der Fall ist, so muss es meiner Theorie zufolge schon eine unermessliche Zeit hindurch in dem gleichen Zustande vorhanden gewesen und in dessen Folge jetzt nicht mehr veränderlicher als irgend ein andres Organ seyn. Nur in denjenigen Fällen, wo die Modifikation noch verhältnissmässig jung und ausserordentlich gross ist, werden wir daher die „generative Veränderlichkeit“, wie wir sie nennen wollen, noch in hohem Grade fortdauernd finden. Denn in diesem Falle wird die Veränderlichkeit nur selten schon durch ununterbrochene Züchtung der in irgend einer beabsichtigten Weise und Stufe variirenden und durch fortwährende Verdrängung der zur Rückkehr geneigten Individuen zu einem festen Ziele gelangt seyn.

Das in diesen Bemerkungen enthaltene Prinzip ist noch einer Ausdehnung fähig. Es ist nämlich bekannt, dass die spezifischen mehr als die Sippen-Charaktere abzuändern geneigt sind. Ich will mit einem einfachen Beispiele erklären, was ich meine. Wenn in einer grossen Pflanzen-Sippe einige Arten blaue Blüthen haben und andre haben rothe, so wird die Farbe nur ein Art-Charakter seyn und daher auch niemand überrascht werden, wenn eine blau-blühende Art zu Roth übergeht oder umgekehrt. Wenn aber alle Arten blaue Blumen haben, so wird die Farbe zum Sippen-Charaktere, und ihre Veränderung wird schon eine ungewöhnliche Erscheinung seyn. Ich habe gerade dieses Beispiel gewählt, weil eine Erklärung, welche die meisten Naturforscher sonst beizubringen geneigt seyn würden, darauf nicht anwendbar ist, dass nämlich spezifische Charaktere desshalb weniger als generische veränderlich erscheinen, weil sie von Theilen entlehnt sind, die[S. 182] eine mindere physiologische Wichtigkeit besitzen, als diejenigen, welche gewöhnlich zur Klassifikation der Sippen dienen. Ich glaube zwar, dass diese Erklärung theilweise, wenn auch nur indirekt, richtig ist, kann jedoch erst in dem Abschnitt über Klassifikation darauf zurückkommen. Es dürfte ganz überflüssig seyn, Beispiele zu Unterstützung der obigen Behauptung anzuführen, dass Arten-Charaktere veränderlicher als Sippen-Charaktere seyen; ich habe aber aus naturhistorischen Werken wiederholt entnommen, dass, wenn ein Schriftsteller durch die Wahrnehmung überrascht war, dass irgend ein wichtigeres Organ, welches sonst in ganzen grossen Arten-Gruppen beständig zu seyn pflegt, in nahe verwandten Arten ansehnlich abändere, dasselbe dann auch in den Individuen einiger der Arten variirte. Diese Thatsache zeigt, dass ein Charakter, der gewöhnlich von generischem Werthe ist, wenn er zu spezifischem Werthe herabsinkt, oft veränderlich wird, wenn auch seine physiologische Wichtigkeit die nämliche bleibt. Etwas Ähnliches findet auch auf Monstrositäten Anwendung; wenigstens scheint ISIDORE GEOFFROY SAINT-HILAIRE keinen Zweifel darüber zu hegen, dass ein Organ um so mehr individuellen Anomalien unterliege, je mehr es in den verschiedenen Arten derselben Gruppe verschieden ist.

Wie wäre es nach der gewöhnlichen Meinung, dass jede Art unabhängig erschaffen worden seye, zu erklären, dass derjenige Theil der Organisation, welcher von demselben Theile in anderen unabhängig erschaffenen Arten derselben Sippe mehr abweicht, auch veränderlicher ist, als jene Theile, welche in den verschiedenen Arten einer Sippe nahezu übereinstimmen. Ich sehe keine Möglichkeit ein Diess zu erklären. Wenn wir aber von der Ansicht ausgehen, dass Arten nur wohl unterschiedene und ständig gewordene Varietäten sind, so werden wir sicher auch erwarten dürfen zu sehen, dass dieselben noch jetzt oft fortfahren in denjenigen Theilen ihrer Organisation abzuändern, welche erst in verhältnissmässig neuer Zeit in Folge ihres Variirens von der gewöhnlicheren Bildung zurückgewichen sind. Oder, um den Fall in einer andern Weise darzustellen: die Merkmale, worin alle Arten einer Sippe einander gleichen, und worin dieselben[S. 183] von allen Arten einer andern Sippe abweichen, heissen generische, und diese Merkmale zusammengenommen leite ich mittelst Vererbung von einem gemeinschaftlichen Stammvater ab; denn nur selten kann es der Zufall gewollt haben, dass Natürliche Züchtung verschiedene mehr oder weniger abweichenden Lebensweisen angepasste Arten genau auf dieselbe Weise modifizirt hat; und da diese sogenannten generischen Charaktere schon von sehr frühe her, seit der Zeit nämlich wo sie sich von ihrer gemeinsamen Stamm-Art abgezweigt haben, vererbt worden sind, und sie sich später nicht mehr oder nur noch wenig verändert haben, so ist es nicht wahrscheinlich, dass sie noch heutiges Tages abändern. Anderseits nennt man die Punkte, wodurch sich Arten von andern Arten derselben Sippe unterscheiden, spezifische Charaktere, und da diese seit der Zeit der Abzweigung der Arten von der gemeinsamen Stamm-Art abgeändert haben, so ist es wahrscheinlich, dass dieselben noch jetzt oft einigermassen veränderlich sind, veränderlicher wenigstens, als diejenigen Theile der Organisation, welche während einer sehr langen Zeit-Dauer sich als beständig erwiesen haben.

Im Zusammenhang mit diesem Gegenstande will ich noch zwei andre Bemerkungen machen. — Ohne dass ich nöthig habe, darüber auf Einzelheiten einzugehen, wird man mir zugeben, dass sekundäre Sexual-Charaktere sehr veränderlich sind; man wird mir wohl auch ferner zugeben, dass die zu einerlei Gruppe gehörigen Arten hinsichtlich dieser Charaktere weiter als in andern Theilen ihrer Organisation auseinander gehen können. Vergleicht man Beispiels-weise die Grösse der Verschiedenheit zwischen den Männchen der Hühner-artigen Vögel, bei welchen diese Art von Charakteren vorzugsweise stark entwickelt sind, mit der Grösse der Verschiedenheit zwischen ihren Weibchen, so wird die Wahrheit jener Behauptung eingeräumt werden. Die Ursache der ursprünglichen Veränderlichkeit der sekundären Sexual-Charaktere ist nicht nachgewiesen; doch lässt sich begreifen, wie es komme, dass dieselben nicht eben so einförmig und beständig geworden sind als andre Theile der Organisation; denn die sekundären Sexual-Charaktere sind durch geschlechtliche Züchtung[S. 184] gehäuft worden, welche weniger strenge in ihrer Thätigkeit als die gewöhnliche ist, indem sie die minder begünstigten Männchen nicht zerstört, sondern bloss mit weniger Nachkommenschaft versieht. Welches aber immer die Ursache der Veränderlichkeit dieser sekundären Sexual-Charaktere seyn mag; da sie nun einmal sehr veränderlich sind, so hat die Natürliche Züchtung darin einen weiten Spielraum für ihre Thätigkeit gefunden und somit den Arten einer Gruppe leicht einen grösseren Betrag von Verschiedenheit in ihren Sexual-Charakteren, als in andern Theilen ihrer Organisation verleihen können.

Es ist eine merkwürdige Thatsache, dass die sekundären Sexual-Verschiedenheiten zwischen beiden Geschlechtern einer Art sich gewöhnlich genau in denselben Theilen der Organisation entfalten, in denen auch die verschiedenen Arten einer Sippe von einander abweichen. Um Diess zu erläutern will ich nur zwei Beispiele anführen, welche zufällig die ersten auf meiner Liste stehen; und da die Verschiedenheiten in diesen Fällen von sehr ungewöhnlicher Art sind, so kann die Beziehung kaum zufällig seyn. Sehr grosse Gruppen von Käfern haben eine gleiche Anzahl von Tarsal-Gliedern mit einander gemein; nur in der Familie der Engidae ändert nach WESTWOOD’S Beobachtung diese Zahl sehr ab, sogar in den zwei Geschlechtern einer Art. Ebenso ist bei den Grabenden Hymenopteren der Verlauf der Flügel-Adern ein Charakter von höchster Wichtigkeit, weil er sich in grossen Gruppen gleich bleibt; in einigen Sippen jedoch ändert er von Art zu Art und dann gleicher Weise auch oft in den zwei Geschlechtern der nämlichen Art ab. LUBBOCK hat kürzlich bemerkt, dass einige kleine Kruster vortreffliche Belege für dieses Gesetz darbieten. In Pontella z. B. sind es hauptsächlich die vorderen Fühler und das fünfte Bein-Paar, welche die Sexual-Charaktere liefern und dieselben Organe bieten auch die wichtigsten Arten-Unterschiede dar. Diese Beziehung hat eine klare Bedeutung in meiner Anschauungs-Weise: ich betrachte nämlich mit Bestimmtheit alle Arten einer Sippe als Abkömmlinge von demselben Stamm-Vater, wie die zwei Geschlechter in jeder Art. Folglich: was immer für ein Theil der Organisation des gemeinsamen[S. 185] Stamm-Vaters oder seiner ersten Nachkommen veränderlich geworden, so werden höchst wahrscheinlich Abänderungen dieser Theile durch Natürliche und Geschlechtliche Züchtung begünstigt worden seyn, um die verschiedenen Arten verschiedenen Stellen im Haushalte der Natur anzupassen, und ebenso um die zwei Geschlechter einer nämlichen Spezies für einander geschickt zu machen, oder auch um Männchen und Weibchen zu verschiedenen Lebensweisen zu eignen, oder endlich die Männchen in den Stand zu setzen mit anderen Männchen um die Weibchen zu kämpfen.

Endlich gelange ich also zu dem Schlusse, dass die grössre Veränderlichkeit der spezifischen Charaktere, wodurch sich Art von Art unterscheidet, gegenüber den generischen Merkmalen, welche die Arten einer Sippe gemein haben, — dass die oft äusserste Veränderlichkeit des in irgend einer einzelnen Art ganz ungewöhnlich entwickelten Theiles gegenüber der geringen Veränderlichkeit eines wenn auch ausserordentlich entwickelten, aber einer ganzen Gruppe von Arten gemeinsamen Theiles, — dass die grosse Unbeständigkeit sekundärer Sexual-Charaktere und das grosse Maass von Verschiedenheit in denselben Merkmalen zwischen einander nahe verwandten Arten, — dass die Entwickelung sekundärer Sexual- und gewöhnlicher Art-Charaktere gewöhnlich in einerlei Theilen der Organisation — Alles eng unter-einander verkettete Prinzipien sind. Alle entspringen hauptsächlich daher, dass die zu einer Gruppe gehörigen Arten von einem gemeinsamen Stamm-Vater herrühren, von welchem sie Vieles gemeinsam ererbt haben; — dass Theile, welche erst neuerlich noch starke Umänderungen erlitten, leichter zu variiren geneigt sind als solche, welche sich schon seit langer Zeit ohne alle Veränderung fortgeerbt haben; — dass die sexuelle Züchtung weniger streng als die gewöhnliche ist; — endlich, dass Abänderungen in einerlei Organen durch natürliche und durch sexuelle Züchtung gehäuft und für sekundäre Sexual- und gewöhnliche spezifische Zwecke angepasst worden sind.

Verschiedene Arten zeigen analoge Abänderungen; und die Varietät einer Spezies nimmt oft einige von den Charakteren einer verwandten Spezies an,[S. 186] oder sie kehrt zu einigen von den Merkmalen der Stamm-Art zurück.) Diese Behauptungen versteht man am leichtesten durch Betrachtung der Hausthier-Rassen. Die verschiedensten Tauben-Rassen bieten in weit auseinandergelegenen Gegenden Unter-Varietäten mit umgewendeten Federn am Kopfe und mit Federn an den Füssen dar, Merkmale, welche die ursprüngliche Felstaube nicht besitzt; Diess sind also analoge Abänderungen in zwei oder mehren verschiedenen Rassen. Die häufige Anwesenheit von vierzehn bis sechszehn Schwanzfedern im Kröpfer kann man als eine die Normal-Bildung einer andern Abart, der Pfauentaube nämlich, vertretende Abweichung betrachten. Ich unterstelle, dass Niemand daran zweifeln wird, dass alle solche analoge Abänderungen davon herrühren, dass die verschiedenen Tauben-Rassen die gleiche Konstitution und daher unter denselben unbekannten Einflüssen die gleiche Neigung zu variiren geerbt haben. Im Pflanzen-Reiche zeigt sich ein Fall von analoger Abänderung in dem verdickten Strunke (gewöhnlich wird er die Wurzel genannt) des Schwedischen Turnipses und der Rutabaga, Pflanzen, welche mehre Botaniker nur als durch die Kultur hervorgebrachte Varietäten einer Art ansehen. Wäre Diess aber nicht richtig, so hätten wir einen Fall analoger Abänderung in zwei sogenannten Arten, und diesen kann noch der gemeine Turnips als dritte beigezählt werden. Nach der gewöhnlichen Ansicht, dass jede Art unabhängig geschaffen worden seye, würden wir diese Ähnlichkeit der drei Pflanzen in ihrem verdickten Stengel nicht der wahren Ursache ihrer gemeinsamen Abstammung und einer daraus folgenden Neigung in ähnlicher Weise zu variiren zuzuschreiben haben, sondern drei verschiedenen aber enge unter sich verwandten Schöpfungs-Akten. Bei den Tauben haben wir noch einen andern Fall, nämlich das in allen Rassen gelegentliche Zumvorscheinkommen von Schiefer-blauen Vögeln mit zwei schwarzen Flügelbinden, einem weissen Steiss, einer Queerbinde auf dem Ende des Schwanzes und einem weissen äusseren Rande am Grunde der äusseren Schwanz-Federn. Da alle diese Merkmale für die Stamm-Art bezeichnend sind, so glaube ich wird Niemand bezweifeln, dass es sich hier um eine[S. 187] Rückkehr zum Ur-Charakter und nicht um eine analoge Abänderung in verschiedenen Rassen handle. Wir werden dieser Folgerung um so mehr vertrauen können, als, wie wir bereits gesehen, diese Farben-Charaktere sehr gerne in den Blendlingen zweier ganz verschieden gefärbter Rassen zum Vorschein kommen; und in diesem Falle ist auch in den äusseren Lebens-Bedingungen nichts zu finden, was das Wiedererscheinen der Schiefer-blauen Farbe mit den übrigen Farben-Abzeichen erklären könnte, als der Einfluss des Kreutzungs-Aktes auf die Erblichkeits-Gesetze.

Es ist in der That eine Erstaunen-erregende Thatsache, dass seit vielen und vielleicht Hunderten von Generationen verlorene Merkmale wieder zum Vorschein kommen. Wenn jedoch eine Rasse nur einmal mit einer andern Rasse gekreutzt worden ist, so zeigt der Blendung die Neigung gelegentlich zum Charakter der fremden Rasse zurückzukehren noch einige, man sagt 12–20, Generationen lang. Nun ist zwar nach 12 Generationen, nach der gewöhnlichen Ausdrucks-Weise, das Blut des einen fremden Vorfahren nur noch 1 in 2048, und doch genügt nach der allgemeinen Annahme dieser äusserst geringe Bruchtheil fremden Blutes noch, um eine Neigung zur Rückkehr in jenen Urstamm zu unterhalten. In einer Rasse, welche nicht gekreutzt worden, sondern worin beide Ältern einige von den Charakteren ihrer gemeinsamen Stamm-Art eingebüsst, dürfte die stärkere oder schwächere Neigung den verlornen Charakter wieder herzustellen, wie schon früher bemerkt worden, trotz Allem, was man Gegentheiliges sehen mag, sich noch eine Reihe von Generationen hindurch erhalten. Wenn ein Charakter, der in einer Rasse verloren gegangen, nach einer grossen Anzahl von Generationen wiederkehrt, so ist die wahrscheinlichste Hypothese nicht die, dass der Abkömmling jetzt erst plötzlich nach einem mehre hundert Generationen älteren Vorgänger zurückstrebt, sondern die, dass in jeder der aufeinanderfolgenden Generationen noch ein Streben zur Wiederherstellung des fraglichen Charakters vorhanden gewesen, welches nun endlich unter unbekannten günstigen Verhältnissen zum Durchbruch gelangt. So ist z. B. wahrscheinlich, dass in jeder Generation der Barb-Taube (S. 32), welche[S. 188] nur sehr selten einen blauen Vogel mit schwarzen Binden hervorbringt; das Streben diese Färbung anzunehmen vorhanden seye. Diese Ansicht ist hypothetisch, kann jedoch durch einige Thatsachen unterstützt werden; und ich kann an und für sich keine grössere Unwahrscheinlichkeit in der Unterstellung einer Neigung sehen, einen durch eine endlose Zahl von Generationen fortgeerbt gewesenen Charakter wieder anzunehmen, als in der Vererbung eines thatsächlich ganz unnützen oder rudimentären Organes. Und doch können wir zuweilen ein solches Streben ein ererbtes Rudiment hervorzubringen wahrnehmen, wie sich z. B. in dem gemeinen Löwenmaul (Antirrhinum) das Rudiment eines fünften Staubgefässes so oft zeigt, dass dieser Pflanze eine Neigung es hervorzubringen angeerbt seyn muss.

Da nach meiner Theorie alle Arten einer Sippe gemeinsamer Abstammung sind, so ist zu erwarten, dass sie zuweilen in analoger Weise variiren, so dass eine Varietät der einen Art in einigen ihrer Charaktere einer andern Art gleicht, welche ja nach meiner Meinung selbst nur eine ausgebildete und bleibend gewordene Abart ist. Doch dürften die hiedurch erlangten Charaktere nur unwesentlicher Art seyn; denn die Anwesenheit aller wesentlichen Charaktere wird durch Natürliche Züchtung in Übereinstimmung mit den verschiedenen Lebensweisen der Art geleitet und bleibt nicht der wechselseitigen Thätigkeit der Lebens-Bedingungen und einer ähnlichen ererbten Konstitution überlassen. Es wird ferner zu erwarten seyn, dass die Arten einer nämlichen Sippe zuweilen eine Neigung zur Rückkehr zu den Charakteren alter Vorfahren zeigen. Da wir jedoch niemals den genauen Charakter des gemeinsamen Stamm-Vaters einer Gruppe kennen, so vermögen wir diese zwei Fälle nicht zu unterscheiden. Wenn wir z. B. nicht wüssten, dass die Felstaube nicht mit Federfüssen oder mit umgewendeten Federn versehen ist, so hätten wir nicht sagen können, ob diese Charaktere in unsren Haustauben-Rassen Erscheinungen der Rückkehr zur Stamm-Form oder bloss analoge Abänderungen seyen; wohl aber hätten wir unterstellen dürfen, dass die blaue Färbung ein Beispiel von Rückkehr seye, wegen der Zahl der andern Zeichnungen, welche mit der blauen Färbung[S. 189] zugleich wieder zum Vorschein kommen und wahrscheinlich doch nicht bloss in Folge einfacher Abänderung damit zusammentreffen. Und noch mehr würden wir darauf geschlossen haben, weil die blaue Farbe und andren Zeichnungen so oft wiedererscheinen, wenn verschiedene Rassen von abweichender Färbung miteinander gekreutzt werden. Obwohl es daher in der freien Natur gewöhnlich zweifelhaft bleibt, welche Fälle als Rückkehr zu alten Stamm-Charakteren und welche als neue analoge Abänderungen zu betrachten sind, so müssen wir doch nach meiner Theorie zuweilen finden, dass die abändernden Nachkommen einer Art (seye es nun durch Rückkehr oder durch analoge Variation) Charaktere annehmen, welche schon in einigen andern Gliedern derselben Gruppe vorhanden sind. Das ist zweifelsohne in der Natur der Fall.

Ein grosser Theil der Schwierigkeit eine veränderliche Art in unsren systematischen Werken wiederzuerkennen, rührt davon her, dass ihre Varietäten gleichsam einige der andern Arten der nämlichen Sippe nachahmen. Auch könnte man ein ansehnliches Verzeichniss von Formen geben, welche das Mittel zwischen zwei andern Formen halten, von welchen es zweifelhaft ist, ob sie als Arten oder als Varietäten anzusehen seyen; und daraus ergibt sich, wenn man nicht alle diese Formen als unabhängig erschaffene Arten ansehen will, dass die eine durch Abänderung die Charaktere der andern so weit angenommen hat, um hiedurch eine Mittelform zu bilden. Aber der beste Beweis bietet sich dar, indem Theile oder Organe von wesentlicher und einförmiger Beschaffenheit zuweilen so abändern, dass sie einigermassen den Charakter desselben Organes oder Theiles in einer verwandten Art annehmen. Ich habe ein langes Verzeichniss von solchen Fällen zusammengebracht, kann solches aber leider hier nicht mittheilen, sondern bloss wiederholen, dass solche Fälle vorkommen und mir sehr merkwürdig zu seyn scheinen.

Ich will jedoch einen eigenthümlichen und zusammengesetzten Fall anführen, der zwar keinen wichtigen Charakter betrifft, aber in verschiedenen Arten einer Sippe theils im Natur- und theils im gezähmten Zustande vorkommt. Es ist offenbar ein Fall von Rückkehr. Der Esel hat manchmal sehr deutliche Queerbinden[S. 190] auf seinen Beinen, wie das Zebra. Man hat versichert, dass diese beim Füllen am deutlichsten zu sehen sind, und meine Nachforschungen scheinen Solches zu bestätigen. Auch hat man versichert, der Streifen an der Schulter seye zuweilen doppelt. Der Schulter-Streifen ist jedenfalls sehr veränderlich in Länge und Umriss. Man hat auch einen weissen Esel, der kein Albino ist, ohne Rücken- und Schulter-Streifen beschrieben; und diese Streifen sind auch bei dunkel-farbigen Thieren zuweilen sehr undeutlich oder gar nicht zu sehen. Der Kulan von PALLAS soll mit einem doppelten Schulter-Streifen gesehen worden seyn. Der Hemionus hat keinen Schulter-Streifen; doch kommen nach BLYTH’S u. A. Versicherung zuweilen Spuren davon vor, und Colonel POOLE hat mich benachrichtigt, dass die Füllen dieser Art zuweilen an den Beinen und schwach an der Schulter gestreift sind. Das Quagga, obwohl am Körper eben so deutlich gestreift als das Zebra, ist ohne Binden an den Beinen; doch hat Dr. GRAY ein Individuum mit sehr deutlichen denen des Zebras ähnlichen Binden an den Beinen abgebildet.

Was das Pferd betrifft, so habe ich in England Fälle vom Vorkommen des Rücken-Streifens bei den verschiedensten Rassen und allen Farben gesammelt. Beispiele von Queerbinden auf den Beinen sind nicht selten bei Braunen, Mäusebraunen und einmal bei einem Kastanienbraunen vorgekommen. Auch ein schwacher Schulter-Streifen tritt zuweilen bei Braunen auf, und eine Spur davon habe ich an einem Beerbraunen gefunden. Mein Sohn hat mir eine sorgfältige Untersuchung und Zeichnung von einem braunen Belgischen Karren-Pferde mitgetheilt mit einem doppelten Streifen auf der Schulter und mit Streifen an den Beinen; ich selbst habe einen braunen Devonshirer Pony gesehen, ein verlässiger Mann hat mir die sorgfältige Beschreibung eines kleinen braunen Waliser Pony mitgetheilt, welche alle beiden mit drei kurzen gleichlaufenden Streifen auf jeder Schulter versehen waren.

Im nordwestlichen Theile Ostindiens ist die Kattywarer Pferde-Rasse so allgemein gestreift, dass, wie ich von Colonel POOLE vernehme, welcher dieselbe im Auftrag der Regierung untersuchte, ein Pferd ohne Streifen nicht für Vollblut angesehen wird.[S. 191] Der Rückgrat ist immer gestreift; die Streifen auf den Beinen sind wie der Schulter-Streifen, welcher zuweilen doppelt und selbst dreifach ist, gewöhnlich vorhanden; überdiess sind die Seiten des Gesichts zuweilen gestreift. Die Streifen sind beim Füllen am deutlichsten und verschwinden zuweilen im Alter. POOLE hat ganz junge sowohl graue als beerbraune Füllen gestreift gefunden. Auch habe ich nach Mittheilungen, welche ich Herrn W. W. EDWARDS verdanke, Grund zu vermuthen, dass an Englischen Rennpferden der Rücken-Streifen häufiger an Füllen als an alten Pferden vorkommt. Ich habe kürzlich ein Fohlen von einer Kastanien-braunen Stute (der Tochter eines Turkomannischen Hengstes und einer Flämischen Stute) und einem Kastanien-braunen Englischen Rasse-Pferd gezüchtet. Dieses Fohlen war, eine Woche alt, am Rücken gegen den Schwanz hin sowie am Vorderkopfe mit schmalen Zebra-Streifen und an den Beinen mit blasseren solchen Streifen versehen, die zweifelsohne alle bald verschwinden werden. Ohne hier in Einzelnheiten noch weiter einzugehen, will ich anführen, dass ich Fälle von Bein- und Schulter-Streifen bei Pferden von ganz verschiedenen Rassen in verschiedenen Gegenden gesammelt habe von England bis Ost-China und von Norwegen im Norden bis zum Malayischen Archipel im Süden. In allen Theilen der Welt kommen diese Streifen weitaus am öftesten an Braunen und Mäusebraunen vor. Unter Braun schlechthin („Dun“) begreife ich hier Pferde mit einer langen Reihe von Farben-Abstufungen von Schwarzbraun an bis fast zum Rahmfarbigen[23].

Ich weiss, dass Colonel HAMILTON SMITH, der über diesen Gegenstand geschrieben, annimmt, unsre verschiedenen Pferde-Rassen rührten von verschiedenen Stamm-Arten her, wovon eine, die des Braunen, gestreift gewesen, und alle oben-beschriebenen Streifungen seyen Folge früherer Kreutzung mit dem Braunen-Stamme. Jedoch fühle ich mich durch diese Theorie in keiner Weise befriedigt und möchte sie nicht auf so verschiedene Rassen[S. 192] in Anwendung bringen, wie das Belgische Karren-Pferd, der Walliser Pony, der Renner, die schlanke Kattywar-Rasse u. a., die in den verschiedensten Theilen der Welt zerstreut sind.

Wenden wir uns nun zu den Folgen der Kreutzung zwischen den verschiedenen Arten der Pferde-Sippe: ROLLIN versichert, dass der gemeine Maulesel, von Esel und Pferd, sehr oft Queerstreifen auf den Beinen hat, und nach GOSSE kommt Diess in den Vereinten Staaten in zehn Fällen neunmal vor. Ich sah einst einen Maulesel mit so stark gestreiften Beinen, dass jedermann geneigt gewesen seyn würde ihn vom Zebra abzuleiten; und Herr W. C. MARTIN hat in seinem vorzüglichen Werke über das Pferd die Abbildung von einem ähnlichen Maulesel mitgetheilt. In vier in Farben ausgeführten Bildern von Bastarden des Esels mit dem Zebra fand ich die Beine viel deutlicher gestreift als den übrigen Körper, und in einem derselben war ein doppelter Schulter-Streifen vorhanden. An Lord MORTON’S berühmtem Bastard von einem Quagga-Hengst und einer kastanienbraunen Stute sowie an einem nachher erzielten reinen Füllen von derselben Stute mit einem schwarzen Araber waren die Beine viel deutlicher queer-gestreift, als selbst beim reinen Quagga. Kürzlich, und Diess ist ein andrer sehr merkwürdiger Fall, hat Dr. GRAY (dem noch ein zweites Beispiel dieser Art bekannt ist) einen Bastard von Esel und Hemionus abgebildet, an welchem Bastard, obwohl der Esel nur zuweilen und der Hemionus niemals Streifen auf den Beinen und letzter nicht einmal einen Schulter-Streifen hat, alle vier Beine queer gestreift und auch die Schulter mit drei Streifen wie die braunen Walliser und Devonshirer Pony (S. 190) versehen ist, und sogar einige Streifen wie beim Zebra an den Seiten des Gesichts vorhanden sind. Diese letzte Thatsache hat mich überzeugt, dass nicht einmal ein Farben-Streifen durch sogenannten Zufall entsteht, daher ich allein durch diese Erscheinung an einem Bastarde von Esel und Hemionus veranlasst wurde, Colonel POOLE zu fragen, ob solche Gesichts-Streifen jemals bei der stark gestreiften Kattywarer Pferde-Rasse vorkommen, was er, wie wir oben gesehen, bejahete.

Was bleibt uns nun zu diesen verschiedenen Thatsachen[S. 193] noch zu sagen? Wir sehen mehre wesentlich verschiedene Arten der Pferde-Sippe durch einfache Abänderung Streifen an den Beinen wie beim Zebra oder an der Schulter wie beim Esel erlangen. Beim Pferde sehen wir diese Neigung stark hervortreten, so oft eine der natürlichsten Pferde-Farben zum Vorschein kommt. Das Aussehen der Streifen ist von keiner Veränderung der Form und von keinem neuen Charakter begleitet. Wir sehen diese Neigung streifig zu werden sich am meisten bei Bastarden zwischen mehren der von einander verschiedensten Arten entwickeln. Vergleichen wir damit den vorhergehenden Fall von den Tauben: sie rühren von einer Stamm-Art (mit 2–3 geographischen Varietäten oder Unterarten) her, welche blaulich von Farbe und mit einigen bestimmten Band-Zeichnungen versehen ist, und nehmen, wenn eine ihrer Rassen in Folge einfacher Abänderung wieder einmal eine blaue Brut liefert, unfehlbar auch jene Bänder der Stamm-Form wieder an, doch ohne irgend eine andre Veränderung des Rasse-Charakters. Wenn man die ältesten und ächtesten Rassen von verschiedener Färbung mit einander kreutzt, so tritt in den Blendlingen eine starke Neigung hervor, die ursprüngliche schieferblaue Farbe mit den schwarzen und weissen Binden und Streifen wieder anzunehmen. Ich habe behauptet, die wahrscheinlichste Hypothese zur Erklärung des Wiedererscheinens sehr alter Charaktere seye die Annahme einer „Tendenz“ in den Jungen einer jeden neuen Generation den längst verlorenen Charakter wieder hervorzuholen, welche Tendenz in Folge unbekannter Ursachen zuweilen zum Durchbruch komme. Dann haben wir gesehen, dass in verschiedenen Arten des Pferde-Geschlechts die Streifen bei den Jungen deutlicher oder gewöhnlicher als bei den Alten sind. Wollte man nun die Tauben-Rassen, deren einige schon Jahrhunderte lang durch reine Inzucht fortgepflanzt worden, als Spezies bezeichnen, so wäre die Erscheinung genau dieselbe, wie bei der Pferde-Sippe. Über Tausende und Tausende von Generationen rückwärts schauend erkenne ich mit Zuversicht ein wie ein Zebra gestreiftes, aber sonst vielleicht sehr abweichend davon gebautes Thier als den gemeinsamen Stamm-Vater des Hauspferdes (rühre es nun von einem[S. 194] oder von mehren wilden Stämmen her), des Esels, des Hemionus, des Quaggas, und des Zebras.

Wer an die unabhängige Erschaffung der einzelnen Pferde-Spezies glaubt, wird vermuthlich sagen, dass einer jeden Art die Neigung im freien wie im gezähmten Zustande auf so eigenthümliche Weise zu variiren anerschaffen worden seye, derzufolge sie oft wie andre Arten derselben Sippe gestreift erscheine; und dass einer jeden derselben eine starke Neigung anerschaffen seye bei einer Kreutzung mit Arten aus den entferntesten Weltgegenden Bastarde zu liefern, welche in der Streifung nicht ihren eignen Ältern, sondern andern Arten derselben Sippe gleichen[24]. Sich zu dieser Ansicht bekennen heisst nach meiner Meinung eine thatsächliche für eine nichtthatsächliche oder wenigstens unbekannte Ursache aufgeben. Sie macht aus den Werken Gottes nur Täuschung und Nachäfferei; — und ich wollte fast eben so gerne mit den alten und unwissenden Kosmognisten annehmen, dass die fossilen Schaalen nie einem lebenden Thiere angehört, sondern im Gesteine erschaffen worden seyen, um die jetzt an der See-Küste lebenden Schaalthiere nachzuahmen.

Zusammenfassung.) Wir sind in tiefer Unwissenheit über die Gesetze, wornach Abänderungen erfolgen. Nicht in einem von hundert Fällen dürfen wir behaupten den Grund zu kennen, warum dieser oder jener Theil eines Organismus von dem gleichen Theile bei seinen Ältern mehr oder weniger abweiche. Doch woimmer wir die Mittel haben eine Vergleichung anzustellen, da scheinen in Erzeugung geringerer Abweichungen zwischen Varietäten derselben Art wie in Hervorbringung grösserer Unterschiede zwischen Arten einer Sippe die nämlichen Gesetze gewirkt zu haben. Die äusseren Lebens-Bedingungen, wie Klima, Nahrung u. dgl. haben wohl nur einige geringe Abänderungen[S. 195] bedingt. Wesentlichere Folgen dürften Angewöhnung auf die Körper-Konstitution, Gebrauch der Organe auf ihre Verstärkung, Nichtgebrauch auf ihre Schwächung und Verkleinerung gehabt haben. Homologe Theile sind geneigt auf gleiche Weise abzuändern und streben unter sich zusammenzuhängen. Abänderungen in den harten und in den äusseren Theilen berühren zuweilen weichere und innere Organe. Wenn sich ein Theil stark entwickelt, strebt er vielleicht andren benachbarten Theilen Nahrung zu entziehen; — und jeder Theil des organischen Baues, welcher ohne Nachtheil für das Individuum fortbestehen kann, wird erhalten. Eine Veränderung der Organisation in frühem Alter berührt auch die sich später entwickelnden Theile; dann gibt es aber noch viele Wechselbeziehungen der Entwickelung, deren Natur wir durchaus nicht im Stande sind zu begreifen. Vielzählige Theile sind veränderlicher in Zahl und Struktur, vielleicht desshalb, weil dieselben, durch Natürliche Züchtung für einzelne Verrichtungen noch nicht genug angepasst und differenzirt sind. Aus demselben Grunde werden wahrscheinlich auch die auf tiefer Organisations-Stufe stehenden Organismen veränderlicher seyn, als die höher entwickelten und in allen Beziehungen mehr differenzirten. Rudimentäre Organe bleiben ihrer Nutzlosigkeit wegen von der Natürlichen Züchtung unbeachtet und sind wahrscheinlich desshalb veränderlich. Spezifische Charaktere, solche nämlich, welche erst seit der Abzweigung der verschiedenen Arten einer Sippe von einem gemeinsamen Stamm-Vater auseinander gelaufen, sind veränderlicher als generische Merkmale, welche sich schon lange als solche vererbt haben, ohne in dieser Zeit eine Abänderung zu erleiden. Wir haben hier nur auf die einzelnen noch veränderlichen Theile und Organe Bezug genommen, weil sie erst neuerlich variirt haben und einander unähnlich geworden sind; wir haben jedoch schon im zweiten Kapitel gesehen, dass das nämliche Princip auch auf das ganze Thier anwendbar ist; denn in einem Bezirke, wo viele Arten einer Sippe gefunden werden, d. h. wo früher viele Abänderung und Differenzirung stattgefunden und die Fabrizirung neuer Arten-Formen lebhaft betrieben worden ist, in diesem Bezirke und[S. 196] unter diesen Arten finden wir jetzt durchschnittlich auch die meisten Varietäten. — Sekundäre Geschlechts-Charaktere sind sehr veränderlich, und solche Charaktere weichen am meisten in den Arten einer nämlichen Gruppe ab. Veränderlichkeit in denselben Theilen der Organisation hat gewöhnlich die sekundären Sexual-Verschiedenheiten für die zwei Geschlechter einer Spezies wie die Arten-Verschiedenheiten für die mancherlei Arten der nämlichen Sippe geliefert. Ein in ausserordentlicher Grösse oder Weise entwickeltes Glied oder Organ — nämlich vergleichungsweise mit der Entwickelung desselben Gliedes oder Organes in den nächst-verwandten Arten genommen — muss seit dem Auftreten der Sippe ein ausserordentliches Maass von Abänderung durchlaufen haben, woraus wir dann auch begreiflich finden, warum dasselbe noch jetzt in höherem Grade als andre Theile Veränderungen unterliegt; denn Abänderung ist ein langsamer und lang-währender Prozess, und die Natürliche Züchtung wird in solchen Fällen noch nicht die Zeit gehabt haben, das Streben nach fernerer Veränderung und nach der Rückkehr zu einem weniger modifizirten Zustande zu überwinden. Wenn aber eine Art mit irgend einem ausserordentlich entwickelten Organe Stamm vieler abgeänderter Nachkommen geworden — was nach meiner Ansicht ein sehr langsamer und daher viele Zeit erheischender Vorgang ist —, dann mag auch die Natürliche Züchtung im Stande gewesen seyn dem Organe, wie ausserordentlich es auch entwickelt seyn mag, schon ein festes Gepräge aufzudrücken. Haben Arten nahezu die nämliche Konstitution von einem Stamm-Vater geerbt und sind sie ähnlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen, so werden sie natürlich auch geneigt seyn, analoge Abänderungen zu bilden und werden zuweilen zu einigen der Charaktere ihrer frühesten Ahnen zurückkehren. Obwohl neue und wichtige Modifikationen aus dieser Umkehr und jenen analogen Abänderungen nicht hervorgehen werden, so tragen solche Modifikationen doch zur Schönheit und harmonischen Manchfaltigkeit der Natur bei.

Was aber auch die Ursache des ersten kleinen Unterschiedes zwischen Ältern und Nachkommen seyn mag, und eine Ursache muss dafür da seyn, so ist es doch nur die stete Häufung solcher[S. 197] für das Individuum nützlichen Unterschiede durch die Natürliche Züchtung, welche alle wichtigeren Abänderungen der Struktur hervorbringt, durch welche die zahllosen Wesen unsrer Erd-Oberfläche in den Stand gesetzt werden mit einander um das Daseyn zu ringen, und wodurch das hiezu am besten ausgestaltete die andern überlebt.

Sechstes Kapitel.
Schwierigkeiten der Theorie.

Schwierigkeiten der Theorie einer abändernden Nachkommenschaft. — Übergänge. — Abwesenheit oder Seltenheit der Zwischenabänderungen. — Übergänge in der Lebensweise. — Differenzirte Gewohnheiten in einerlei Art. — Arten mit Sitten weit abweichend von denen ihrer Verwandten. — Organe von äusserster Vollkommenheit. — Mittel der Übergänge. — Schwierige Fälle. — Natura non facit saltum. — Organe von geringer Wichtigkeit. — Organe nicht in allen Fällen absolut vollkommen. — Das Gesetz von der Einheit des Typus und den Existenz-Bedingungen enthalten in der Theorie der Natürlichen Züchtung.

Schon lange bevor der Leser zu diesem Theile meines Buches gelangt ist, mag sich ihm eine Menge von Schwierigkeiten dargeboten haben. Einige derselben sind von solchem Gewichte, dass ich nicht an sie denken kann, ohne wankend zu werden; aber nach meinem besten Wissen sind die meisten von ihnen nur scheinbare, und diejenigen, welche in Wahrheit beruhen, dürften meiner Theorie nicht verderblich werden.

Diese Schwierigkeiten und Einwendungen lassen sich in folgende Rubriken zusammenfassen: Erstens: wenn Arten aus andern Arten durch unmerkbar kleine Abstufungen entstanden sind, warum sehen wir nicht überall unzählige Übergangs-Formen? Warum bietet nicht die ganze Natur ein Mischmasch von Formen statt der wohl begrenzt scheinenden Arten dar?

Zweitens: Ist es möglich, dass ein Thier z. B. mit der Organisation und Lebensweise einer Fledermaus durch Umbildung irgend eines andren Thieres mit ganz verschiedener Lebensweise entstanden ist? Ist es glaublich, dass Natürliche Züchtung einerseits[S. 198] Organe von so unbedeutender Wesenheit, wie z. B. den Schwanz einer Giraffe, welcher als Fliegenwedel dient, und anderseits Organe von so wundervoller Struktur wie das Auge hervorbringe, dessen unnachahmliche Vollkommenheit wir noch kaum ganz begreifen.

Drittens: Können Instinkte durch Natürliche Züchtung erlangt und abgeändert werden? Was sollen wir z. B. zu einem so wunderbaren Instinkte sagen, wie der ist, welcher die Biene veranlasst Zellen zu bilden, durch welche die Entdeckungen tiefsinniger Mathematiker praktisch vornweg genommen sind.

Viertens: Wie ist es zu begreifen, dass Spezies bei der Kreutzung mit einander unfruchtbar sind oder unfruchtbare Nachkommen geben, während die Fruchtbarkeit gekreutzter Varietäten ungeschwächt bleibt.

Die zwei ersten dieser Hauptfragen sollen hier und die letzten, Instinkt und Bastard-Bildung nämlich, in besondren Kapiteln erörtert werden.

Mangel oder Seltenheit vermittelnder Varietäten.) Da Natürliche Züchtung nur durch Erhaltung nützlicher Abänderungen wirkt, so wird jede neue Form in einer schon vollständig bevölkerten Gegend streben ihre eignen minder vervollkommneten Ältern so wie alle andern minder vervollkommnete Formen, mit welchen sie in Bewerbung kommt, zu ersetzen und endlich zu vertilgen. Natürliche Züchtung geht, wie wir gesehen, mit dieser Verrichtung Hand in Hand. Wenn wir daher jede Spezies als Abkömmling von irgend einer andern unbekannten Form betrachten, so werden Urstamm und Übergangs-Formen gewöhnlich schon durch den Bildungs- und Vervollkommnungs-Prozess der neuen Form vertilgt seyn.

Wenn nun aber dieser Theorie zufolge zahllose Übergangs-Formen existirt haben müssen, warum finden wir sie nicht in unendlicher Menge eingebettet in den Schichten der Erd-Rinde? Es wird angemessener seyn, diese Frage in dem Kapitel von der Unvollständigkeit der geologischen Urkunden zu erörtern. Hier will ich nur anführen, dass ich die Antwort hauptsächlich darin zu finden glaube, dass jene Urkunden unvergleichlich minder[S. 199] vollständig sind, als man gewöhnlich annimmt, und dass jene Unvollständigkeit der geologischen Urkunden hauptsächlich davon herrührt, dass organische Wesen keine sehr grosse Tiefen des Meeres bewohnen, daher ihre Reste nur von solchen Sediment-Massen umschlossen und für künftige Zeiten erhalten werden konnten, welche hinreichend dick und ausgedehnt gewesen, um einem ungeheuren Maasse spätrer Zerstörung zu entgehen. Und solche Fossilien-führende Massen können sich nur da ansammeln, wo viele Niederschläge in seichten Meeren während langsamer Senkung des Bodens abgelagert werden. Diese Zufälligkeiten werden nur selten und nur nach ausserordentlich langen Zwischenzeiten zusammentreffen. Während der Meeres-Boden in Ruhe oder in Hebung begriffen ist oder nur schwache Niederschläge stattfinden, bleiben die Blätter unsrer geologischen Geschichtsbücher unbeschrieben. Die Erd-Rinde ist ein weites Museum, dessen naturgeschichtlichen Sammlungen aber nur in einzelnen Zeitabschnitten eingebracht worden sind, die unendlich weit auseinander liegen.

Man kann zwar einwenden, dass, wenn einige nahe-verwandte Arten jetzt in einerlei Gegend beisammen wohnen, man gewiss viele Zwischenformen finden müsse. Nehmen wir einen einfachen Fall an. Wenn man einen Kontinent von Norden nach Süden durchreiset, so trifft man gewöhnlich von Zeit zu Zeit auf andre einander nahe verwandte oder stellvertretende Arten, welche offenbar ungefähr dieselbe Stelle in dem Natur-Haushalte des Landes einnehmen. Diese stellvertretenden Arten grenzen oft an einander oder greifen in ihr Gebiet gegenseitig ein, und wie die einen seltener und seltener, so werden die andern immer häufiger, bis sie einander ersetzen. Vergleichen wir diese Arten da, wo sie sich mengen, miteinander, so sind sie in allen Theilen ihres Baues gewöhnlich noch eben so vollkommen von einander unterschieden, als wie die aus der Mitte des Verbreitungs-Bezirks einer jeden entnommenen Muster. Nun sind aber nach meiner Theorie alle diese Arten von einem gemeinsamen Stamm-Vater ausgegangen und ist jede derselben erst durch den Modifikations-Prozess den Lebensbedingungen ihrer Gegend angepasst[S. 200] worden, hat dort ihren Urstamm sowohl als alle Mittelstufen zwischen ihrer ersten und jetzigen Form ersetzt und verdrängt, so dass wir jetzt nicht mehr erwarten dürfen, in jeder Gegend noch zahlreiche Übergangs-Formen zu finden, obwohl dieselben existirt haben müssen und ihre Reste wohl auch in die Erd-Schichten aufgenommen worden seyn mögen. Aber warum finden wir in den Zwischengegenden, wo doch die äusseren Lebens-Bedingungen einen Übergang von denen des einen in die des andren Bezirkes bilden, nicht auch nahe verwandte Übergangs-Varietäten? Diese Schwierigkeit hat mir lange Zeit viel Kopfzerbrechen verursacht; indessen glaube ich jetzt, sie lasse sich grossentheils erklären.

Vor Allem sollten wir sehr vorsichtig mit der Annahme seyn, dass eine Gegend, weil sie jetzt zusammenhängend ist, auch schon seit langer Zeit zusammenhängend gewesen seye. Die Geologie veranlasst uns zu glauben, dass fast jeder Kontinent noch in der letzten Tertiär-Zeit in viele Inseln getheilt gewesen seye; und auf solchen Inseln getrennt können sich verschiedene Arten gebildet haben, ohne die Möglichkeit Mittelformen in den Zwischengegenden zu liefern. In Folge der Veränderungen der Land-Form und des Klimas mögen auch die jetzt zusammenhängenden Meeres-Gebiete noch in verhältnissmässig später Zeit weniger zusammenhängend und einförmig gewesen seyn. Doch will ich von diesem Mittel der Schwierigkeit zu entkommen absehen; denn ich glaube, dass viele vollkommen unterschiedene Arten auf ganz zusammenhängenden Gebieten entstanden sind, wenn ich auch nicht daran zweifle, dass die früher unterbrochene Beschaffenheit jetzt zusammenhängender Gebiete einen wesentlichen Antheil an der Bildung neuer Arten zumal frei wandernder und sich kreutzender Thiere gehabt habe.

Hinsichtlich der jetzigen Verbreitung der Arten über weite Flächen finden wir, dass sie gewöhnlich ziemlich zahlreich auf einem grossen Theile derselben vorkommen, dann aber ziemlich rasch gegen die Grenzen hin immer seltener werden und endlich ganz verschwinden; daher das neutrale Gebiet zwischen zwei stellvertretenden Arten gewöhnlich nur schmal ist im Verhältniss[S. 201] zu demjenigen, welches eine jede von ihnen eigenthümlich bewohnt. Wir machen dieselbe Bemerkung auch, wenn wir an Gebirgen emporsteigen, und zuweilen ist es sehr auffällig, wie plötzlich, nach ALPHONSE DECANDOLLE’S Beobachtung, eine gemeine Art in den Alpen verschwindet. EDW. FORBES hat dieselbe Wahrnehmung gemacht, als er die Bewohner des See-Grundes mit dem Schleppnetze herauf fischte. Diese Thatsache muss alle diejenigen in Verlegenheit setzen, welche die äusseren Lebens-Bedingungen, wie Klima und Höhe, als die allmächtigen Ursachen der Verbreitung der Organismen-Formen betrachten, indem der Wechsel von Klima und Höhe oder Tiefe überall ein allmählicher ist. Wenn wir uns aber erinnern, dass fast jede Art, mitten in ihrer Heimath sogar, zu unermesslicher Zahl anwachsen würde, wenn sie nicht in Mitbewerbung mit andern Arten stünde, — dass fast alle von andern Arten leben oder ihnen zur Nahrung dienen, — kurz dass jedes organische Wesen mittelbar oder unmittelbar in innigster Beziehung zu andern Organismen steht, so müssen wir erkennen, dass die Verbreitung der Bewohner einer Gegend keineswegs allein von der unmerklichen Veränderung physikalischer Bedingungen, sondern grossentheils von der Anwesenheit oder Abwesenheit andrer Arten abhängt, von welchen sie leben, durch welche sie zerstört werden, oder mit welchen sie in Mitbewerbung stehen; und da diese Arten bereits eine bestimmte Begrenzung haben und nicht mehr unmerklich in einander übergehen, so muss die Verbreitung einer Spezies, welche von der einen oder andern abhängt, scharf umgrenzt werden. Überdiess muss jede Art an den Grenzen ihres Verbreitungs-Bezirkes, wo ihre Anzahl ohnediess geringer wird, durch Schwankungen in der Menge ihrer Feinde oder ihrer Beute oder in den Jahreszeiten sehr oft einer gänzlichen Zerstörung ausgesetzt seyn, und es mag auch hiedurch die schärfere Umschreibung ihrer geographischen Verbreitung mit bedingt werden.

Wenn meine Meinung richtig ist, dass verwandte oder stellvertretende Arten, welche ein zusammenhängendes Gebiet bewohnen, gewöhnlich so vertheilt sind, dass jede von ihnen eine weite Strecke einnimmt, und dass diese Strecken durch verhältnissmässig[S. 202] enge neutrale Zwischenräume getrennt werden, in welchen jede Art rasch an Menge abnimmt, — dann wird diese Regel, da Varietäten nicht wesentlich von Arten verschieden sind, wohl auf die einen wie auf die andern Anwendung finden; und wenn wir in Gedanken eine veränderliche Spezies einem sehr grossen Gebiete anpassen, so werden wir zwei Varietäten jenen zwei grossen Untergebieten und eine dritte Varietät dem schmalen Zwischengebiete anzupassen haben. Diese Zwischen-Varietät wird, weil sie einen geringeren Raum bewohnt, auch in geringerer Anzahl vorhanden seyn; und in Wirklichkeit genommen passt diese Regel, so viel ich ermitteln kann, ganz gut auf Varietäten im Natur-Zustande. Ich habe triftige Belege für diese Regel in Varietäten von Balanus-Arten gefunden, welche zwischen ausgeprägteren Varietäten derselben das Mittel halten. Und ebenso scheint es nach den Belehrungen, die ich den Herren WATSON, ASA GRAY und WOLLASTON verdanke, dass gewöhnlich, wenn Mittel-Varietäten zwischen zwei andren Formen vorkommen, sie der Zahl nach weit hinter jenen zurückstehen, die sie verbinden. Wenn wir nun diese Thatsachen und Belege als richtig annehmen und daraus folgern, dass Varietäten, welche zwei andre Varietäten mit einander verbinden, gewöhnlich in geringerer Anzahl als diese letzten vorhanden waren, so dürfte man daraus auch begreifen, warum Zwischen-Varietäten keine lange Dauer haben und der allgemeinen Regel zufolge früher vertilgt werden und verschwinden müssen, als diejenigen Formen, welche sie ursprünglich mit einander verketten.

Denn eine in geringerer Anzahl vorhandene Form wird, wie schon früher bemerkt worden, überhaupt mehr als die in reichlicher Menge verbreiteten in Gefahr seyn ausgetilgt zu werden; und in diesem besondren Falle dürfte die Zwischenform vorzugsweise den Angriffen der zwei nahe verwandten Formen zu ihren beiden Seiten ausgesetzt seyn. Aber eine weit wichtigere Betrachtung scheint mir die zu seyn, dass während des Prozesses weitrer Umbildung, wodurch nach meiner Theorie zwei Varietäten zu zwei ganz verschiedenen Spezies erhoben werden, diese zwei Varietäten, soferne sie grössere Flächen bewohnen, auch[S. 203] in grösserer Anzahl vorhanden sind und daher in grossem Vortheile gegen die mittle Varietät stehen, welche in kleinrer Anzahl nur einen schmalen Zwischenraum bewohnt. Denn Formen, welche in grössrer Zahl bestehen, haben immer eine bessre Aussicht, als die gering-zähligen, innerhalb einer gegebenen Periode noch andre nützliche Abänderungen zur Natürlichen Züchtung darzubieten. Daher in dem Kampfe um’s Daseyn die gemeineren Formen streben werden die selteneren zu verdrängen und zu ersetzen, welche sich nur langsam abzuändern und zu vervollkommnen vermögen. Es scheint mir dasselbe Prinzip zu seyn, wornach, wie im zweiten Kapitel gezeigt worden, die gemeinen Arten einer Gegend durchschnittlich auch eine grössre Anzahl von Varietäten darbieten als die selteneren. Ich will nun, um meine Meinung besser zu erläutern, einmal annehmen, es handle sich um drei Schaaf-Varietäten, von welchen eine für eine ausgedehnte Gebirgs-Gegend, die zweite nur für einen verhältnissmässig schmalen Hügel-Streifen und die dritte für weite Ebenen an deren Fusse geeignet seye; ich will ferner annehmen, die Bewohner seyen alle mit gleichem Schick und Eifer bestrebt, ihre Rassen durch Züchtung zu verbessern, so wird in diesem Falle die Wahrscheinlichkeit des Erfolges ganz auf Seiten der grossen Heerden-Besitzer im Gebirge und in der Ebene seyn, weil diese ihre Rassen schneller als die kleinen in der schmalen hügeligen Zwischenzone veredeln, so dass die verbesserte Rasse des Gebirges oder der Ebene bald die Stelle der minder verbesserten Hügelland-Rasse einnehmen wird; und so werden die zwei Rassen, welche anfänglich in grosser Anzahl existirt haben, in unmittelbare Berührung mit einander kommen ohne fernere Einschaltung der Zwischen-Rasse.

In Summe: glaube ich, dass Arten leidlich gut umschrieben seyn können, ohne zu irgend einer Zeit ein unentwirrtes Chaos veränderlicher und vermittelnder Formen darzubieten: 1) weil sich neue Varietäten nur sehr langsam bilden, indem Abänderung ein äusserst träger Vorgang ist und Natürliche Züchtung so lange nichts auszurichten vermag, als nicht günstige Abweichungen vorkommen und nicht ein Platz im Natur-Haushalte der Gegend[S. 204] durch Modifikation eines oder des andern ihrer Bewohner besser ausgefüllt werden kann. Und solche neue Stellen werden von langsamen Veränderungen des Klimas oder der zufälligen Einwanderung neuer Bewohner und, in wahrscheinlich viel höherem Grade, davon abhängen, dass einige von den alten Bewohnern langsam abgeändert werden, während jene neu hervor-gebrachten und eingewanderten Formen mit einigen alten in Wechselwirkung gerathen: daher wir in jeder Gegend und zu jeder Zeit nur wenige Arten zu sehen bekommen, welche geringe einigermassen bleibende Modifikationen der Organisation darbieten. Und Diess sehen wir auch sicherlich so.

Zweitens: viele jetzt zusammenhängende Bezirke der Erd-Oberfläche müssen noch in der jetzigen Erd-Periode in verschiedene Theile getrennt gewesen seyn, worin viele Formen zumal sich paarender und wandernder Thiere ganz von einander geschieden sich weit genug zu differenziren vermochten, um als Spezies gelten zu können. Zwischen-Varietäten zwischen diesen Spezies und ihrer gemeinsamen Stamm-Form müssen wohl vordem in jedem dieser Bruchtheile des Bezirkes gewesen seyn, sind aber später durch Natürliche Züchtung ersetzt und ausgetilgt worden, so dass sie lebend nicht mehr vorhanden sind.

Drittens: Wenn zwei oder mehre Varietäten in den verschiedenen Theilen eines zusammenhängenden Bezirkes gebildet worden sind, so werden wahrscheinlich auch Zwischen-Varietäten in den schmalen Zwischenzonen entstanden seyn, aber nicht lange gewährt haben. Denn diese Zwischen-Varietäten werden aus schon entwickelten Gründen (und namentlich, was wir über die jetzige Verbreitung einander nahe-verwandter Arten und ausgebildeten Varietäten wissen) in den Zwischenzonen in geringrer Anzahl, als die Haupt-Varietäten, die sie verbinden, in deren eigenen Bezirken vorhanden seyn. Schon aus diesem Grunde allein werden die Zwischen-Varietäten gelegentlicher Vertilgung ausgesetzt seyn, werden aber zuverlässig während des Prozesses weitrer Modifikation von den Formen, welche sie mit einander verketten, meistens desshalb verdrängt und ersetzt werden, weil diese ihrer grösseren Anzahl wegen mehr abändern und daher[S. 205] leichter durch Natürliche Züchtung noch weiter verbessert und dadurch gesichert werden können.

Letztens müssen, nicht bloss zu einer sondern zu allen Zeiten, wenn meine Theorie richtig ist, gewiss auch zahllose Zwischen-Varietäten zu Verbindung der Arten einer nämlichen Gruppe mit einander existirt haben, aber auch gerade der Prozess der Natürlichen Züchtung fortwährend thätig gewesen seyn, sowohl deren Stamm-Formen als die Mittelglieder selbst zu vertilgen. Daher ein Beweis ihrer früheren Existenz höchstens noch unter den Fossil-Resten der Erd-Rinde gefunden werden könnte, welche aber diese Urkunden früherer Zeiten, wie in einem späteren Abschnitte gezeigt werden soll, nur in sehr unvollkommener und unzusammenhängender Weise aufzubewahren geeignet ist.

Entstehung und Übergänge von Organismen mit eigenthümlicher Lebens-Weise und Organisation.) Gegner meiner Ansichten haben mir die Frage entgegengehalten, wie denn z. B. ein Land-Raubthier in ein Wasser-Raubthier habe verwandelt werden können, da ein Thier in einem Zwischenzustande nicht wohl zu bestehen vermocht hätte? Es würde leicht seyn zu zeigen, dass innerhalb derselben Raubthier-Gruppe Thiere vorhanden sind, welche jede Mittelstufe zwischen einfachen Land- und ächten Wasser-Thieren einnehmen und daher durch ihre verschiedene Lebens-Weise wohl geeignet sind, in dem Kampfe mit andern um’s Daseyn ihre Stelle zu behaupten. So hat z. B. die nordamerikanische Mustela vison eine Schwimmhaut zwischen den Zehen und gleicht der Fischotter in Pelz, kurzen Beinen und Form des Schwanzes. Den Sommer hindurch taucht dieses Thier ins Wasser und nährt sich von Fischen; während des langen Winters aber verlässt es die gefrorenen Gewässer und lebt gleich andern Iltissen von Mäusen und Landthieren. Hätte man einen andern Fall gewählt und mir die Frage gestellt, auf welche Weise ein Insekten-fressender Vierfüsser in eine fliegende Fledermaus verwandelt worden seye, so wäre diese Frage weit schwieriger zu beantworten. Doch haben nach meiner Meinung solche einzelne Schwierigkeiten kein allzugrosses Gewicht.

Hier wie in anderen Fällen befinde ich mich in dem grossen[S. 206] Nachtheil, aus den vielen treffenden Belegen, die ich gesammelt habe, nur ein oder zwei Beispiele von einem Übergang der Lebens-Weise und Organisation zwischen nahe verwandten Arten einer Sippe und von vorübergehend oder bleibend veränderten Gewohnheiten einer nämlichen Spezies anführen zu können. Und es scheint mir selbst, dass nichts weniger als ein langes Verzeichniss solcher Beispiele genügend seye, die Schwierigkeiten der Erklärung eines so eigenthümlichen Falles zu beseitigen, wie der von der Fledermaus ist.

Sehen wir uns in der Familie der Eichhörnchen um, so finden wir da die erste schwache Übergangs-Stufe zu den sogen. fliegenden Fleder-Mäusen angedeutet in dem zweizeilig abgeplatteten Schwanze der einen und, nach J. RICHARDSON’S Bemerkung, in dem verbreiterten Hintertheile und der volleren Haut an den Seiten des Körpers der andern Arten; denn bei Flughörnchen sind die Hintergliedmassen und selbst der Anfang des Schwanzes durch eine ansehnliche Ausbreitung der Haut mit einander verbunden, welche als Fallschirm dient und diese Thiere befähigt, auf erstaunliche Entfernungen von einem Baum zum andern durch die Luft zu gleiten. Es ist kein Zweifel, dass jeder Art von Eichhörnchen in deren Heimath jeder Theil dieser eigenthümlichen Organisation nützlich ist, indem er sie in den Stand setzt den Verfolgungen der Raubvögel oder andrer Raubthiere zu entgehen, reichlichere Nahrung einzusammeln und zweifelsohne auch die Gefahr jeweiligen Fallens zu vermindern. Daraus folgt aber noch nicht, dass die Organisation eines jeden Eichhörnchens auch die bestmögliche für alle natürlichen Verhältnisse seye. Gesetzt, Klima und Vegetation verändern sich, neue Nagethiere treten als Mitbewerber auf, und neue Raubthiere wandern ein oder alte erfahren eine Abänderung, so müssten wir aller Analogie nach auch vermuthen, dass wenigstens einige der Eichhörnchen sich an Zahl vermindern oder ganz aussterben werden, wenn ihre Organisation nicht ebenfalls in entsprechender Weise abgeändert und verbessert wird. Daher ich, zumal bei einem Wechsel der äussern Lebens-Bedingungen, keine Schwierigkeit für die Annahme finde, dass Individuen mit immer vollerer Seiten-Haut vorzugsweise[S. 207] dürften erhalten werden, weil dieser Charakter erblich und jede Verstärkung desselben nützlich ist, bis durch Häufung aller einzelnen Effekte dieses Prozesses natürlicher Züchtung aus dem Eichhörnchen endlich ein Flughörnchen geworden ist.

Sehen wir nun den fliegenden Lemur oder den Galeopithecus an, welcher vordem irriger Weise zu den Fledermäusen versetzt worden ist. Er hat eine sehr breite Seitenhaut, welche von den Hinterenden der Kinnladen bis zum Schwanze erstreckt die Beine und verlängerten Finger einschliesst, auch mit einem Ausbreiter-Muskel versehen ist. Obwohl jetzt keine vermittelnden Zwischenstufen zwischen den gewöhnlichen Lemuriden und dem durch die Luft gleitenden Galeopithecus vorhanden sind, so sehe ich doch keine Schwierigkeiten für die Annahme, dass solche Zwischenglieder einmal existirt und sich auf ähnliche Art von Stufe zu Stufe entwickelt haben, wie oben die zwischen den Eich- und Flug-Hörnchen, indem jeder weitere Schritt zur Verbesserung der Organisation in dieser Richtung für den Besitzer von Nutzen war. Auch kann ich keine unüberwindliche Schwierigkeit erblicken weiter zu unterstellen, dass sowohl der Vorderarm als die durch die Flughaut verbundenen Finger des Galeopithecus sich in Folge Natürlicher Züchtung allmählich verlängert haben, und Diess würde genügen denselben, was die Flugwerkzeuge betrifft, in eine Fledermaus zu verwandeln. Bei jenen Fledermäusen, deren Flughaut nur von der Schulter bis, unter Einschluss der Hinterbeine, zum Schwanze geht, sehen wir vielleicht noch die Spuren einer Vorrichtung, welche ursprünglich mehr dazu gemacht war durch die Luft zu gleiten, als zu fliegen.

Wenn etwa ein Dutzend eigenthümlich gebildeter Vogel-Sippen erloschen oder uns unbekannt geblieben wären, wie hätten wir nur die Vermuthung wagen dürfen, dass es jemals Vögel gegeben habe, welche gleich der Dickkopf-Ente (Micropterus EYTON’S) ihre Flügel nur wie Klappen zum Flattern über dem Wasserspiegel hin, oder gleich den Fettgänsen wie Ruder im Meere und wie Vorderbeine auf dem Lande oder gleich dem Strausse wie Seegel zur Beförderung des Laufes gebrauchten, oder endlich gleich dem Apteryx gar nicht benützten. Und doch[S. 208] ist die Organisation eines jeden dieser Vögel unter den Lebens-Bedingungen, worin er sich befindet und um sein Daseyn kämpft, für ihn vortheilhaft, wenn auch nicht nothwendig die beste unter allen möglichen Einrichtungen. Aus diesen Bemerkungen soll übrigens nicht gefolgert werden, dass irgend eine der eben angeführten Abstufungen der Flügel-Bildungen, die vielleicht alle nur Folge des Nichtgebrauches sind, einer natürlichen Stufen-Reihe angehöre, auf welcher emporsteigend die Vögel das vollkommene Flug-Vermögen erlangt haben; aber sie können wenigstens zu zeigen dienen, was für mancherlei Wege des Übergangs möglich sind.

Wenn man sieht, dass eine kleine Anzahl Thiere aus den Wasser-athmenden Klassen der Kruster und Mollusken zum Leben auf dem Lande geschickt sind, wenn man sieht, dass es fliegende Vögel, fliegende Säugthiere, fliegende Insekten von den verschiedenartigsten Typen gibt und vordem auch fliegende Reptilien gegeben hat, so wird es auch begreiflich, dass fliegende Fische, welche jetzt mit Hilfe ihrer flatternden Brustflossen sich in schiefer Richtung über den See-Spiegel erheben und in weitem Bogen durch die Luft gleiten, allmählich zu vollkommen beflügelten Thieren umgewandelt werden können. Und wäre Diess einmal bewirkt, wer würde sich dann je einbilden, dass sie in einer früheren Zeit Bewohner des offenen Meeres gewesen seyen und ihre beginnenden Flug-Organe, wie uns jetzt bekannt, bloss dazu gebraucht haben, dem Rachen andrer Fische zu entgehen.

Wenn wir ein Organ zu irgend einem besondren Zwecke hoch ausgebildet sehen, wie eben die Flügel des Vogels zum Fluge, so müssen wir bedenken, dass solche Thiere auf der ersten Anfangs-Stufe dieser Bildung stehend selten die Aussicht hatten sich bis auf unsre Tage zu erhalten, eben weil sie durch den Vervollkommnungs-Prozess der Natürlichen Züchtung immer wieder von andren weiter fortgeschrittenen Formen ersetzt worden seyn müssen. Wir werden ferner bedenken, dass Übergangs-Stufen zwischen zu ganz verschiedenen Lebens-Weisen dienenden Bildungen in früherer Zeit selten in grosser Anzahl und mit mancherlei untergeordneten Formen ausgebildet worden seyn mögen. Doch, um zu unsrem fliegenden Fische zurückzukehren,[S. 209] so scheint es nicht sehr glaublich, dass zu wirklichem Fluge befähigte Fische in vielerlei untergeordneten Formen zur Erhaschung von mancherlei Beute auf mancherlei Wegen, zu Wasser und zu Land entwickelt worden seyen, bis dieselben ein entschiedenes Übergewicht über andre Thiere im Kampf ums Daseyn erlangten. Daher die Wahrscheinlichkeit, Arten auf Übergangsstufen der Organisation noch im fossilen Zustande zu entdecken immer nur gering seyn wird, weil sie in geringerer Anzahl als die Arten mit völlig entwickelten Bildungen existirt haben.

Ich will nun zwei oder drei Beispiele abgeänderter und auseinander-gelaufener Lebensweisen bei Individuen einer nämlichen Art anführen. Vorkommenden Falles wird es der Natürlichen Züchtung leicht seyn, ein Thier durch irgend eine Abänderung seines Baues für seine veränderte Lebensweise oder ausschliesslich für nur eine seiner verschiedenen Gewohnheiten geschickt zu machen. Es ist aber schwer und für uns unwesentlich zu sagen, ob im Allgemeinen zuerst die Gewohnheiten und dann die Organisation sich ändere, oder ob geringe Modifikationen des Baues zu einer Änderung der Gewohnheiten führen; wahrscheinlich ändern beide gleichzeitig ab. Was Änderung der Gewohnheiten betrifft, so würde es genügen auf die Menge Britischer Insekten-Arten zu verweisen, welche jetzt von ausländischen Pflanzen oder ganz ausschliesslich von Kunst-Erzeugnissen leben. Vom Auseinandergehen der Gewohnheiten liessen sich zahllose Beispiele anführen. Ich habe oft eine Südamerikanische Würger-Art (Saurophagus sulphuratus) beobachtet, als sie wie ein Thurmfalke über einem Fleck und dann wieder über einem andern schwebte und ein andermal steif am Rande des Wassers stund und dann plötzlich wie ein Eisvogel auf einen Fisch hinabstürzte. In unsrer eignen Gegend sieht man die Kohlmeise (Parus major) bald fast wie einen Baumläufer an den Zweigen herum klimmen, bald nach Art des Würgers kleine Vögel durch Hiebe auf den Kopf tödten; oft habe ich sie die Saamen des Eibenbaumes auf einem Zweige aufhämmern und dann wieder sie wie ein Nusshacker aufbrechen sehen. In Nord-Amerika schwimmt nach HEARNE’S Beobachtung der schwarze Bär bis vier Stunden[S. 210] lang mit weit geöffnetem Munde im Wasser umher, um fast nach Art der Wale Wasser-Insekten zu fangen[25].

Da wir zuweilen Individuen Gewohnheiten befolgen sehen, welche von denen andrer Individuen ihrer Art und andrer Arten ihrer Sippe weit abweichen, so hätten wir nach meiner Theorie zu erwarten, dass solche Individuen mitunter zur Entstehung neuer Arten mit abweichenden Sitten und einer mehr oder weniger modifizirten Organisation Veranlassung geben. Und solche Fälle kommen in der Natur vor. Kann es ein treffenderes Beispiel von Anpassung geben, als den Specht, welcher an Bäumen umherklettert, um Insekten in den Rissen der Rinde aufzusuchen? Und doch gibt es in Nord-Amerika Spechte, welche grossentheils von Früchten leben, und andre mit verlängerten Flügeln, welche Insekten im Fluge haschen; und auf den Ebenen von La Plata, wo nicht ein Baum wächst, gibt es einen Specht (Colaptes campestris), welcher zwei Zehen vorn und zwei hinten, eine lange spitze Zunge, steife Schwanz-Federn und einen geraden kräftigen Schnabel besitzt. Doch sind die Schwanzfedern weniger steif als bei den typischeren Arten, und dienen dem Vogel, wenn er sich senkrecht zum Boden herablassen will. Auch der Schnabel ist weniger gerade, obwohl stark genug, um ihn ins Holz einzuhacken. Eine andere Erläuterung der verschiedenartigen Gewohnheiten dieser Vögel-Gruppe bietet nur ein Mexikanischer Colaptes dar, welcher nach DE SAUSSURE Löcher in hartem Holze aushöhlt um einen Vorrath von Eicheln für seine künftige Verzehrung darin unterzubringen. Demnach ist der Specht von La Plata in allen wesentlichen Theilen seiner Organisation ein ächter Specht und ist auch bis vor kurzem in der typischen Sippe untergebracht worden. So unbedeutende Charaktere sogar wie seine Färbung, der schrille Ton seiner Stimme und sein welliger Flug, Alles überzeugte mich von seiner nahen Bluts-Verwandtschaft mit unseren gewöhnlichen Spechten. Aber dieser Specht klettert, wie auch der genaue AZARA bereits versichert, niemals an Bäumen.

[S. 211]

Sturmvögel sind unter allen Vögeln diejenigen, die am besten fliegen und am meisten an das hohe Meer gebunden sind; und doch gibt es in den ruhigen stillen Meerengen des Feuerlandes eine Art, Puffinuria Berardi, die nach ihrer Lebensweise im Allgemeinen, nach ihrer erstaunlichen Fähigkeit zu tauchen, nach ihrer Art zu schwimmen und zu fliegen, wenn sie gegen ihren Willen zu fliegen genöthigt wird, von Jedem für einen Alk oder Lappentaucher (Colymbus) gehalten werden würde; sie ist aber ihrem Wesen nach ein Sturmvogel nur mit einigen tief eindringenden Änderungen der Organisation; während am Spechte von La Plata der Körper-Bau nur unbedeutende Veränderungen erfahren hat. Bei der Wasseramsel (Cinclus) dagegen würde man auch bei der genauesten Untersuchung des Körpers nicht die mindeste Spur von ihrer ans Wasser gebundenen Lebens-Weise zu entdecken im Stande seyn. Und doch verschafft sich dieses so abweichende Glied der Drossel-Familie seinen ganzen Unterhalt nur durch Tauchen, durch Aufscharren des Gerölles mit seinen Füssen und durch Anwendung seiner Flügel unter Wasser.

Wer glaubt, dass jedes Wesen so geschaffen worden seye, wie wir es jetzt erblicken, muss schon manchmal überrascht gewesen seyn, ein Thier zu finden, dessen Organisation und Lebensweise durchaus nicht miteinander in Einklang stunden. Was kann klarer seyn, als dass die Füsse der Enten und Gänse mit der grossen Haut zwischen den Zehen zum Schwimmen gemacht sind? und doch gibt es Gänse mit solchen Schwimmfüssen, welche selten oder nie ins Wasser gehen; — und ausser AUDUBON hat noch Niemand den Fregattvogel, dessen vier Zehen durch eine Schwimmhaut verbunden sind, sich auf den Spiegel des Meeres niederlassen sehen. Andrerseits sind Lappentaucher und Wasserhühner ausgezeichnete Wasser-Vögel, und doch sind ihre Zehen nur mit einer Schwimmhaut gesäumt. Was scheint klarer zu seyn, als dass die langen Zehen der Sumpf-Vögel ihnen dazu gegeben sind, damit sie über Sumpf-Boden und schwimmende Wasser-Pflanzen hinwegschreiten können, und doch ist das Rohrhuhn (Ortygometra) fast eben so sehr Wasser-Vogel als das Wasserhuhn, und die Ralle fast eben so sehr Land-Vogel als die[S. 212] Wachtel oder das Feldhuhn. Man kann sagen, der Schwimmfuss seye verkümmert in seiner Verrichtung, aber nicht in seiner Form. Beim Fregattvogel dagegen zeigt der tiefe Ausschnitt der Schwimmhaut zwischen den Zehen, dass eine Veränderung der Fuss-Bildung begonnen hat.

Wer an zahllose getrennte Schöpfungs-Akte glaubt, wird sagen, dass es in diesen Fällen dem Schöpfer gefallen hat, ein Wesen von dem einen Typus für den Platz eines Wesens von dem andren Typus zu bestimmen. Diess scheint mir aber wieder dieselbe Sache, nur in einer Würde-volleren Fassung. Wer an den Kampf um’s Daseyn und an das Princip der Natürlichen Züchtung glaubt, der wird anerkennen, dass jedes organische Wesen beständig nach Vermehrung seiner Anzahl strebt und dass, wenn es in Organisation oder Gewohnheiten auch noch so wenig variirt, aber hiedurch einen Vortheil über irgend einen andern Bewohner der Gegend erlangt, es dessen Stelle einnehmen kann, wie verschieden dieselbe auch von seiner eignen bisherigen Stelle seyn mag. Er wird desshalb nicht darüber erstaunt seyn, Gänse und Fregatt-Vögel mit Schwimmfüssen zu sehen, wovon die einen auf dem trocknen Lande leben und die andern sich nur selten aufs Wasser niederlassen, oder langzehige Rohrhühner (Crex) zu finden, welche auf Wiesen statt in Sümpfen wohnen; oder dass es Spechte gibt, wo keine Bäume sind, dass Drosseln unters Wasser tauchen und Sturmvögel wie Alke leben.

Organe von äusserster Vollkommenheit und Zusammengesetztheit.) Die Annahme, dass sogar das Auge mit allen seinen der Nachahmung unerreichbaren Vorrichtungen, um den Focus den manchfaltigsten Entfernungen anzupassen, verschiedene Licht-Mengen zuzulassen und die sphärische und chromatische Abweichung zu verbessern, nur durch Natürliche Züchtung zu dem geworden seye, was es ist, scheint, ich will es offen gestehen, im höchsten möglichen Grade absurd zu seyn. Als es zum ersten Male ausgesprochen wurde, dass die Sonne stille stehe und die Erde sich um ihre Achse drehe, erklärte der gemeine Sinn des Menschen diese Lehre für falsch; aber[S. 213] das alte Sprichwort „vox populi, vox dei“ hat in der Wissenschaft keine Geltung. Und doch sagt mir die Vernunft, dass, wenn zahlreiche Abstufungen von einem vollkommenen und zusammengesetzten bis zu einem ganz einfachen und unvollkommenen Auge, alle nützlich für ihren Besitzer, vorhanden sind, — wenn das Auge etwas zu variiren geneigt ist und seine Abänderungen erblich sind, was sicher der Fall ist, — wenn eine mehr und weniger beträchtliche Abänderung eines Organes immer nützlich ist für ein Thier, dessen äusseren Lebens-Bedingungen sich ändern: dann scheint der Annahme, dass ein vollkommenes und zusammengesetztes Auge durch Natürliche Züchtung gebildet werden könne, doch keine wesentliche Schwierigkeit mehr entgegenzustehen, wie schwierig auch die Vorstellung davon für unsre Einbildungskraft seyn mag. Die Frage, wie ein Nerv für Licht empfindlich werde, beunruhigt uns schwerlich mehr, als die, wie das Leben selbst ursprünglich entstehe. Jedoch will ich bemerken, dass verschiedene Thatsachen mich zur Vermuthung bringen, dass jeder sensitive Nerv für Licht und ebenso für jene gröberen Schwingungen der Luft empfindlich gemacht werden könne, welche den Ton hervorbringen.

Was die Abstufungen betrifft, mittelst welcher ein Organ in irgend einer Spezies vervollkommnet worden ist, so sollten wir dieselbe allerdings nur in gerader Linie bei ihren Vorgängern aufsuchen. Diess ist aber schwerlich jemals möglich, und wir sind jedenfalls genöthigt uns unter den Arten derselben Gruppe, d. h. bei den Seitenverwandten von gleicher Abstammung mit der ersten, umzusehen um zu erkennen, was für Abstufungen möglich sind, und ob es wahrscheinlich, dass irgend welche Abstufungen von den ersten Stamm-Ältern an ohne alle oder mit nur geringer Abänderung auf die jetzigen Nachkommen übertragen worden seyen. Unter den jetzt lebenden Wirbelthieren finden wir nur eine geringe Abstufung in der Bildung des Auges (obwohl der Fisch Amphioxus ein sehr einfaches Auge ohne Linse besitzt), und an fossilen Wesen lässt sich keine Untersuchung mehr darüber anstellen. Wir hätten wahrscheinlich weit vor die untersten Fossilien-führenden Schichten zurückzugehen,[S. 214] um die ersten Stufen der Vervollkommnung des Auges in diesem Kreise des Thier-Reichs zu entdecken.

Im Unterreiche der Kerbthiere kann man von einem einfach mit Pigment überzogenen Sehnerven ausgehen, der oft eine Art Pupille bildet, aber ohne Krystall-Linse und sonstige optische Vorrichtung ist. Von diesem Augen-Rudimente, welches etwa Licht von Dunkelheit, aber nichts weiter zu unterscheiden im Stande ist, schreitet die Vervollkommnung in zwei Richtungen fort, welche J. MÜLLER von Grund aus verschieden glaubt; sie führt nämlich entweder 1) zu Stemmata oder sogen. „einfachen Augen“ mit Krystall-Linse und Hornhaut versehen, oder 2) zu „zusammengesetzten Augen“, welche allein oder hauptsächlich nur dadurch wirken, dass sie alle Strahlen, welche von irgend einem Punkte des gesehenen Gegenstandes kommen, bis auf denjenigen Strahlenbüschel ausschliessen, welcher senkrecht auf die konvexe Netzhaut fällt. Diesen zusammengesetzten Augen nun mit Verschiedenheiten ohne Ende in Form, Verhältniss, Zahl und Stellung der durchsichtigen mit Pigment überzogenen Kegel, welche nur durch Ausschliessung wirken, gesellt sich bald noch eine mehr oder weniger vollkommene Konzentrirungs-Vorrichtung bei, indem in den Augen der Meloe z. B. die Facetten der Cornea aussen und innen etwas konvex, mithin Linsen-förmig werden. Viele Kruster haben eine doppelte Cornea, eine äussre glatte und eine innre in Facetten getheilte, in deren Substanz nach MILNE EDWARDS „renflemens lenticulaires paraissent s’être développés“, und zuweilen lassen sich diese Linsen als eine besondre Schicht von der Cornea ablösen. Die durchsichtigen mit Pigment überzogenen Kegel, von welchen MÜLLER angenommen, dass sie nur durch Ausschliessung divergenter Licht-Strahlenbüschel wirken, hängen gewöhnlich an der Cornea an, sind aber auch nicht selten davon abgesondert und zeigen eine konvexe äussre Fläche; sie müssen nach meiner Meinung in diesem Falle wie konvergirende Linsen wirken. Dabei ist die Struktur der zusammengesetzten Augen so manchfaltig, dass MÜLLER drei Hauptklassen derselben mit nicht weniger als sieben Unterabtheilungen nach ihrer Struktur annimmt. Er bildet eine vierte[S. 215] Hauptklasse aus den „zusammengehäuften Augen“ oder Gruppen von Stemmata, welche nach seiner Erklärung den Übergang bilden von den Mosaik-artig „zusammengesetzten Augen“ ohne Konzentrations-Vorrichtung zu den Gesichts-Organen mit einer solchen.

Wenn ich diese hier nur allzukurz und unvollständig angedeuteten Thatsachen, welche zeigen, dass es schon unter den jetzt lebenden Kerbthieren viele stufenweise Verschiedenheiten der Augen-Bildung gibt, erwäge und ferner bedenke, wie klein die Anzahl lebender Arten im Vergleich zu den bereits erloschenen ist, so kann ich (wenn auch mehr als in andern Bildungen) doch keine allzugrosse Schwierigkeit für die Annahme finden, dass der einfache Apparat eines von Pigment umgebenen und von durchsichtiger Haut bedeckten Sehnerven durch Natürliche Züchtung in ein so vollkommenes optisches Werkzeug umgewandelt worden seye, wie es bei den vollkommensten Kerbthieren gefunden wird.

Wer nun weiter gehen will, wenn er beim Durchlesen dieses Buches findet, dass sich durch die Descendenz-Theorie eine grosse Menge von anderweitig unerklärbaren Thatsachen begreifen lasse, braucht kein Bedenken gegen die weitre Annahme zu haben, dass durch Natürliche Züchtung zuletzt auch ein so vollkommenes Gebilde, als das Adler-Auge ist, hergestellt werden könne, wenn ihm auch die Zwischenstufen in diesem Falle gänzlich unbekannt sind. Sein Verstand muss seine Einbildungs-Kraft überwinden. Doch habe ich selbst die Schwierigkeit viel zu gut gefühlt, als dass ich mich einigermaassen darüber wundern könnte, wenn Jemand es gewagt findet, die Theorie der Natürlichen Züchtung bis zu einer so erstaunlichen Weite auszudehnen.

Man kann kaum vermeiden, das Auge mit einem Teleskop zu vergleichen. Wir wissen, dass dieses Werkzeug durch lang-fortgesetzte Anstrengungen der höchsten menschlichen Intelligenz verbessert worden ist, und folgern natürlich daraus, dass das Auge seine Vollkommenheit durch einen etwas ähnlichen Prozess erlangt habe. Sollte aber diese Vorstellung nicht bloss in der Einbildung beruhen? Haben wir ein Recht anzunehmen, der Schöpfer wirke, vermöge intellektueller Kräfte ähnlich denen des[S. 216] Menschen? Wollten wir das Auge einem optischen Instrumente vergleichen, so müssten wir in Gedanken eine dicke Schicht eines durchsichtigen Gewebes annehmen, getränkt mit Flüssigkeit und mit einem für Licht empfänglichen Nerven darunter, und dann unterstellen, dass jeder Theil dieser Schicht langsam aber unausgesetzt seine Dichte verändere, so dass verschiedene Lagen von verschiedener Dichte übereinander und in ungleichen Entfernungen von einander entstehen, und dass auch die Oberfläche einer jeden Lage langsam ihre Form ändre. Wir müssten ferner unterstellen, dass eine Kraft (die Natürliche Züchtung) vorhanden seye, welche beständig eine jede geringe zufällige Veränderung in den durchsichtigen Lagen genau beobachte und jede Abänderung sorgfältig auswähle, die unter veränderten Umständen in irgend einer Weise oder in irgend einem Grade ein deutlicheres Bild hervorzubringen geschickt wäre. Wir müssten unterstellen, jeder neue Zustand des Instrumentes werde mit einer Million vervielfältigt, und jeder werde so lange erhalten, bis ein bessrer hervorgebracht seye, dann aber zerstört. Bei lebenden Körpern bringt Variation jene geringen Verschiedenheiten hervor, Generation vervielfältigt sie in’s Unendliche und Natürliche Züchtung findet mit nie irrendem Takte jede Verbesserung zum Zwecke weiterer Vervollkommnung heraus. Denkt man sich nun diesen Prozess Millionen und Millionen Jahre lang und jedes Jahr an Millionen Individuen der manchfaltigsten Art fortgesetzt: sollte man da nicht erwarten, dass das lebende optische Instrument endlich in demselben Grade vollkommener als das gläserne werden müsse, wie des Schöpfers Werke überhaupt vollkommener sind, als die des Menschen?

Liesse sich irgend ein zusammengesetztes Organ nachweisen, dessen Vollendung nicht durch zahllose kleine aufeinander folgende Modifikationen erfolgen könnte, so müsste meine Theorie unbedingt zusammenbrechen. Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden. Zweifelsohne bestehen viele Organe, deren Vervollkommnungs-Stufen wir nicht kennen, insbesondre bei sehr vereinzelt stehenden Arten, deren verwandten Formen nach meiner Theorie in weitem Umkreise erloschen sind. So muss auch, wo[S. 217] es sich um ein allen Gliedern eines Unterreichs gemeinsames Organ handelt, dieses Organ schon in einer sehr frühen Vorzeit gebildet worden seyn, weil sich nachher erst alle Glieder dieses Unterreichs entwickelt haben; und wenn wir die frühesten Übergangs-Stufen entdecken wollten, welche das Organ zu durchlaufen hatte, so müssten wir uns bei den frühesten Anfangs-Formen umsehen, welche jetzt schon längst wieder erloschen sind.

Wir müssen uns wohl bedenken zu behaupten, ein Organ habe nicht durch stufenweise Veränderungen irgend einer Art gebildet werden können. Man könnte zahlreiche Fälle anführen, wie bei den niederen Thieren ein und dasselbe Organ ganz verschiedene Verrichtungen besorgt: athmet doch und verdaut und exzernirt der Nahrungskanal in der Larve der Drachenfliege wie in dem Fische Cobitis. Wendet man die Hydra wie einen Handschuh um, das Innere nach aussen, so verdaut die äussre Oberfläche und die innre athmet. In solchen Fällen hätte durch die Natürliche Züchtung ganz leicht ein Theil oder Organ, welches bisher zweierlei Verrichtungen gehabt hat, ausschliesslich nur für einen der beiden Zwecke ausgebildet und die ganze Natur des Thieres allmählich umgeändert werden können, wenn Diess für dasselbe von Anfang an nützlich gewesen wäre. Gewisse Pflanzen, wie namentlich einige Hülsen-Gewächse, Violaceen u. a. bringen zwei Arten von Blüthen, die einen mit der ihrer Ordnung zustehenden Bildung, die andern verkümmert, aber zuweilen fruchtbarer als die ersten. Unterliesse nun eine solche Pflanze mehre Jahre lang Blüthen der ersten Art zu bringen, wie es ein in Frankreich eingeführtes Exemplar von Aspicarpa wirklich gethan, so würde in der That eine grosse und plötzliche Umwandlung in der Natur der Pflanze eintreten. Zwei verschiedene Organe verrichten zuweilen mit einander einerlei Dienste in demselben Individuum, wie es z. B. Fische gibt mit Kiemen, womit sie die im Wasser vertheilte Luft einathmen, während sie zu gleicher Zeit atmosphärische Luft mit ihrer Schwimmblase zu athmen im Stande sind, welche zu dem Ende durch einen Luftgang mit dem Schlunde verbunden und innerlich von sehr Gefäss-reichen Zwischenwänden durchzogen ist (Lepidosiren). In diesem Falle kann[S. 218] leicht eines von beiden Organen verändert und so vervollkommnet werden, dass es immer mehr die ganze Arbeit allein übernimmt, während das andre entweder zu einer neuen Bestimmung übergeht oder gänzlich verkümmert.

Diess Beispiel von der Schwimmblase der Fische ist sehr belehrend, weil es uns die hoch-wichtige Thatsache zeigt, wie ein ursprünglich zu einem besondern Zwecke, zum Schwimmen nämlich, gebildetes Organ für eine ganz andre Verrichtung umgeändert werden kann, und zwar für die Athmung. Auch ist die Schwimmblase als ein Nebenbestandtheil für das Gehör-Organ mancher Fische mit verarbeitet worden, oder es ist (ich weiss nicht, welche Deutungs-Weise jetzt am allgemeinsten angenommen wird) ein Theil des Gehör-Organes zur Ergänzung der Schwimmblase verwendet worden. Alle Physiologen geben zu, dass die Schwimmblase in Lage und Struktur „homolog“ oder „ideal gleich“ seye den Lungen höherer Wirbelthiere; daher die Annahme, Natürliche Züchtung habe eine Schwimmblase in eine Lunge oder ein ausschliessliches Athem-Organ verwandelt, keinem grossen Bedenken zu unterliegen scheint.

Ich kann in der That kaum bezweifeln, dass alle Wirbelthiere mit ächten Lungen auf dem gewöhnlichen Fortpflanzungs-Wege von einem alten unbekannten Urbilde mit einem Schwimm-Apparat oder einer Schwimmblase herstammen. So mag man sich, wie ich aus Professor OWEN’S interessanter Beschreibung dieser Theile entnehme, die sonderbare Thatsache erklären, wie es komme, dass jedes Theilchen von Speise und Trank, die wir zu uns nehmen, über die Mündung der Luftröhre weggleiten muss mit einiger Gefahr in die Lungen zu fallen, der sinnreichen Einrichtung ungeachtet, wodurch der Kehldeckel geschlossen wird. Bei den höheren Wirbelthieren sind die Kiemen gänzlich verschwunden, aber die Spalten an den Seiten des Halses und der Schlingen-förmige Verlauf der Arterien scheinen in dem Embryo des Menschen noch ihre frühere Stelle anzudeuten. Doch wäre es begreiflich gewesen, wenn die jetzt gänzlich verschwundenen Kiemen durch Natürliche Züchtung zu einem ganz andern Zwecke umgearbeitet worden wären; wie nach der Ansicht einiger Naturforscher,[S. 219] dass die Kiemen und Rückenschuppen gewisser Ringelwürmer mit den Flügeln und Flügeldecken der sechsfüssigen Insekten homolog sind, es wahrscheinlich wäre, dass Organe, die in sehr alter Zeit zur Athmung gedient, jetzt zu Flug-Organen umgewandelt seyen.

Was den Übergang der Organe zu andern Funktionen betrifft, ist es so wichtig sich mit der Möglichkeit desselben vertraut zu machen, dass ich noch ein weiteres Beispiel anführen will. Die gestielten Rankenfüsser (Cirripedes) haben zwei kleine Hautfalten, von mir Eier-Zügel genannt, welche bestimmt sind mittelst einer klebrigen Absonderung die Eier zurückzuhalten, so lange sie im Eierstock ausgebrütet werden. Diese Rankenfüsser haben keine Kiemen, indem die ganze Oberfläche des Körpers und Sackes mit Einschluss der kleinen Zügel zur Athmung dient. Die Balaniden oder sitzenden Cirripeden dagegen haben keine solche Zügel, indem die Eier lose auf dem Grunde des Sackes in der wohl geschlossenen Schaale liegen; aber sie haben in derselben relativen Lage grosse faltige Membranen, welche mit den Kreislaufkanälen des Sacks und des Körpers frei kommuniziren und von R. OWEN und allen andren mit dem Gegenstand vertrauten Anatomen für Kiemen erklärt worden sind. Nun denke ich, wird Niemand bestreiten, dass die Eier-Zügel der einen Familie homolog mit den Kiemen der andern sind, wie sie denn auch in der That stufenweise in einander übergehen. Daher bezweifle ich nicht, dass kleine Hautfalten, welche hier anfangs als Eier-Zügel gedient und in geringem Grade schon bei der Athmung mitgewirkt, durch Natürliche Züchtung stufenweise in Kiemen verwandelt worden sind bloss durch Vermehrung ihrer Grösse bei gleichzeitiger Verkümmerung der ihnen anhängenden Drüsen. Wären alle gestielten Cirripeden erloschen (und sie haben bereits mehr Vertilgung erfahren als die sitzenden): wie hätten wir uns je denken können, dass die Athmungs-Organe der Balaniden ursprünglich den Zweck gehabt hätten, die zu frühzeitige Ausführung der Eier aus dem Eiersack zu verhindern?

Obwohl ich gemahnt habe vorsichtig bei der Annahme zu seyn, dass ein Organ nicht möglicher Weise durch ganz allmähliche[S. 220] Übergänge gebildet worden seyn könne, so gebe ich doch gerne zu, dass sehr schwierige Fälle vorkommen mögen, deren einige ich in meinem grösseren Werke zu erörtern gedenke.

Einen der schwierigsten bilden die Geschlecht-losen Kerbthiere, die oft sehr abweichend sowohl von den Männchen als den fruchtbaren Weibchen ihrer Spezies gebildet sind, auf welchen Fall ich jedoch im nächsten Kapitel zurückkommen will. Die elektrischen Organe der Fische bieten einen andren Fall von eigenthümlicher Schwierigkeit dar; es ist unbegreiflich, durch welche Abstufungen die Bildung dieser wundersamen Organe bewirkt worden seyn mag. Doch gleicht nach R. OWEN’S u. A. Bemerkung ihre innerste Struktur ganz derjenigen gewöhnlicher Muskeln, und da unlängst gezeigt worden, dass Rochen ein dem elektrischen Apparate ganz analoges Organ besitzen, aber nach MATTEUCCI’S Versicherung keine Elektricität entladen, so müssen wir gestehen, dass wir viel zu unwissend sind um behaupten zu dürfen, dass kein Übergang irgend einer Art möglich seye.

Die elektrischen Organe bieten aber noch andre sehr ernstliche Schwierigkeiten dar. Wenn ein und dasselbe Organ in verschiedenen Gliedern einer Klasse und zumal mit sehr auseinander-gehenden Gewohnheiten auftritt, so mag man seine Anwesenheit in diesen Gliedern durch Erbschaft von einem gemeinsamen Stamm-Vater und seine Abwesenheit in andern durch Verlust in Folge von Nichtgebrauch oder Natürlicher Züchtung erklären. Hätte sich aber das elektrische Organ von einem alten damit versehen gewesenen Vorgänger auf jene Fische vererbt, so dürften wir erwarten, dass alle noch elektrischen Fische auch sonst in näherer Weise mit einander verwandt seyen. Nun gibt aber die Paläontologie durchaus keine Veranlassung zu glauben, dass vordem die meisten Fische mit elektrischen Organen versehen gewesen seyen, welche fast alle ihre Nachkommen eingebüsst hätten. Die Anwesenheit leuchtender Organe in einigen wenigen Insekten aus den manchfaltigsten Familien und Ordnungen bietet einen damit gleichlaufenden schwierigen Fall dar. Man könnte deren noch mehr anführen, wie denn z. B. im Pflanzen-Reiche die ganz eigenthümliche Entwickelung einer Masse von Pollen-Körnern auf[S. 221] einem Fussgestelle mit einer klebrigen Drüse an dessen Ende bei Orchis und bei Asclepias, zweien unter den Blüthen-Pflanzen möglich weit auseinanderstehenden Sippen, ganz die nämliche ist. Doch kann man bemerken, dass in solchen Fällen, wo zwei sehr verschiedene Arten mit anscheinend demselben anomalen Organe versehen sind, doch gewöhnlich einige Grund-Verschiedenheiten sich daran entdecken lassen. Ich möchte glauben, dass fast in gleicher Weise, wie zwei Menschen zuweilen unabhängig von einander auf genau die nämliche Entdeckung verfallen sind, so habe auch die Natürliche Züchtung, zum Besten eines jeden Wesens wirkend und von allen analogen Abänderungen Vortheil ziehend, zuweilen zwei Theile auf fast ganz gleiche Weise in zwei organischen Wesen modifizirt, welche ihrer Abstammung von einem nämlichen Stamm-Vater nur wenig Gemeinsames in ihrer Organisation verdanken.

Obwohl es in vielen Fällen sehr schwer ist zu errathen, durch welche Übergänge die Organe zu ihrer jetzigen Beschaffenheit gelangt seyen, so bin ich doch, in Betracht der sehr geringen Anzahl noch lebender und bekannter gegenüber den untergegangenen und unbekannten Formen, sehr darüber erstaunt gewesen zu finden, wie selten ein Organ vorkommt, zu welchem leicht einige Übergangs-Stufen führten. Es ist gewiss nicht wahr, dass neue Organe oft plötzlich in einer Klasse erscheinen, als ob sie derselben für irgend einen besondren Zweck erst anerschaffen worden wären; — und wie es auch schon durch die alte obwohl etwas übertriebene naturgeschichtliche Regel „Natura non facit saltum“ anerkannt wird. Wir finden Diess in den Schriften fast aller erfahrenen Naturforscher angenommen; MILNE EDWARDS hat es mit den Worten ausgedrückt: Die Natur ist verschwenderisch in Abänderungen, aber geitzig in Neuerungen. Wie sollte es nach der Schöpfungs-Theorie damit zugehen? woher sollte es kommen, dass alle Theile und Organe so vieler unabhängiger Wesen, wenn jedes derselben für seinen eignen Platz in der Natur erschaffen worden, doch durch ganz allmähliche Übergänge mit einander verkettet sind? Warum hätte die Natur nicht einen Sprung von der einen Organisation zur andern[S. 222] gemacht? Nach der Theorie Natürlicher Züchtung dagegen können wir es klar begreifen, weil diese sich nur ganz kleine allmähliche Abänderungen zu Nutzen macht; sie kann nie einen Sprung machen, sondern muss mit kürzesten und langsamsten Schritten voranschreiten.

Organe von anscheinend geringer Wichtigkeit.) Da Natürliche Züchtung auf Leben und Tod arbeitet, indem sie nämlich Individuen mit vortheilhaften Abänderungen erhält und solche mit ungünstigen Abweichungen der Organisation unterdrückt, so schien mir manchmal die Entstehung einfacher Theile sehr schwer zu begreifen, deren Wichtigkeit nicht genügend erscheint, um die Erhaltung immer weiter abändernder Individuen zu begründen. Diese Schwierigkeit, obwohl von ganz andrer Art, schien mir manchmal eben so gross zu seyn als die hinsichtlich so vollkommener und zusammengesetzter Organe, wie die Augen.

Erstens aber wissen wir viel zu wenig von dem ganzen Haushalte eines organischen Wesens, um sagen zu können, welche geringe Modifikationen für dasselbe wichtig seyn können, und ich habe in einem früheren Kapitel Beispiele von sehr geringen Charaktern, wie die Farbe der Haut und Haaren einiger Vierfüsser, oder wie der Flaum der Früchte und die Farbe ihres Fleisches angeführt, welche in so ferne, als sie auf die Angriffe der Insekten von Einfluss sind oder mit der Empfindlichkeit der Wesen für äussre Einflüsse im Zusammenhang stehen, bei der Natürlichen Züchtung gewiss mit in Betracht kommen. Der Schwanz der Giraffe sieht wie ein künstlich gemachter Fliegenwedel aus, und es scheint anfangs unglaublich, dass derselbe durch kleine aufeinanderfolgende Verbesserungen allmählich zur unbedeutenden Bestimmung eines solchen Instrumentes hergerichtet worden seyn solle. Doch hüten wir uns gerade in diesem Falle uns allzu bestimmt auszusprechen, indem wir ja wissen, dass Daseyn und Verbreitungs-Weise des Rindes u. a. Thiere in Süd-Amerika unbedingt von deren Vermögen abhängt den Angriffen der Insekten zu widerstehen; daher Individuen, welche einigermaassen mit Mitteln zur Vertheidigung gegen diese kleinen[S. 223] Feinde versehen sind, geschickt wären sich mit grossem Vortheil über neue Weide-Plätze zu verbreiten. Nicht als ob grosse Säugthiere (einige seltene Fälle ausgenommen) jetzt durch Fliegen vertilgt würden; aber sie werden von ihnen so unausgesetzt ermüdet und geschwächt, dass sie Krankheiten, gelegentlichem Futter-Mangel und den Nachstellungen der Raubthiere in weit grössrer Anzahl erliegen.

Organe von jetzt unwesentlicher Bedeutung können den ersten Stamm-Ältern zuweilen von hohem Werthe gewesen und nach früherer langsamer Vervollkommnung in ungefähr demselben Zustande auf deren Nachkommen vererbt worden seyn, obwohl deren nunmehriger Nutzen nur noch unbedeutend ist, während schädliche Abweichungen von dem früheren Baue durch Natürliche Züchtung fortdauernd gehindert werden. Wenn man beobachtet, was für ein wichtiges Organ des Ortswechsels der Schwanz für die meisten Wasser-Thiere ist, so lässt sich seine allgemeine Anwesenheit und Verwendung zu mancherlei Zwecken bei so vielen Land-Thieren, welche durch modifizirte Schwimmblasen oder Lungen ihre Abstammung aus dem Wasser verrathen, ganz wohl begreifen. Nachdem ein Wasser-Thier einmal mit einem wohl-entwickelten Steuer-Schwanze ausgestattet ist, kann derselbe später zu den manchfaltigsten Zwecken umgearbeitet werden, zu einem Fliegenwedel, zu einem Greifwerkzeug, oder zu einem Mittel schneller Wendung des Laufes, wie es beim Hunde der Fall ist, obwohl dieses Hilfsmittel nur schwach seyn mag, indem ja der Hase, fast ganz ohne Schwanz, sich rasch genug zu wenden im Stande ist.

Zweitens: dürften wir mitunter Charakteren eine grosse Wichtigkeit zutrauen, die ihnen in Wahrheit nicht zukommt, und welche von ganz sekundären Ursachen unabhängig von Natürlicher Züchtung herrühren. Erinnern wir uns, dass Klima, Nahrung u. s. w. wahrscheinlich einigen kleinen Einfluss auf die Organisation haben; dass ältere Charaktere nach dem Gesetze der Rückkehr wieder zum Vorschein kommen; dass Wechselbeziehungen in der Entwickelung einen oft bedeutenden Einfluss auf die Abänderung verschiedener Gebilde äussern, und endlich dass[S. 224] sexuelle Zuchtwahl oft wesentlich auf solche äussere Charaktere einer Thier-Art eingewirkt hat, welche dem mit andren kämpfenden Männchen eine bessre Waffe oder einen besondren Reiz in den Augen des Weibchens verliehen. Überdiess mag eine aus den genannten Ursachen hervorgegangene Abänderung der Struktur anfangs oft ohne Werth für die Art gewesen seyn, späterhin aber bei deren unter neue Lebens-Bedingungen versetzten und mit neuen Gewohnheiten versehenen Nachkommen an Bedeutung gewonnen haben.

Ich will einige Beispiele zu Erläuterung dieser letzten Bemerkung anführen. Wenn es nur grüne Spechte gäbe und wir wüssten von schwarzen und bunten nichts, so würde ich mir zu sagen erlauben, dass die grüne Farbe eine schöne Anpassung und dazu bestimmt seye, diese an den Bäumen herumkletternden Vögel vor den Augen ihrer Feinde zu verbergen, dass es mithin ein für die Spezies wichtiger und durch Natürliche Züchtung erlangter Charakter seye; so aber, wie sich die Sache verhält, rührt die Färbung zweifelsohne von einer ganz andern Ursache und wahrscheinlich von geschlechtlicher Zuchtwahl her. Eine kletternde Palmen-Art im Malayischen Archipel steigt bis zu den höchsten Baum-Gipfeln empor mit Hilfe ausgezeichneter Ranken, welche Büschelweise an den Enden der Zweige befestigt sind, und diese Einrichtung ist zweifelsohne für die Pflanze von grösstem Nutzen. Da wir jedoch fast ähnliche Ranken an vielen Pflanzen sehen, welche nicht klettern, so mögen dieselben auch beim Bambus von unbekannten Wachsthums-Gesetzen herrühren und von der Pflanze erst später, als sie noch sonstige Abänderung erfuhr und ein Kletterer wurde, zu ihrem Vortheile benützt und weiter entwickelt worden seyn. Die nackte Haut am Kopfe des Geyers wird gewöhnlich als eine unmittelbare Anbequemung des oft in faulen Kadavern damit wühlenden Thieres betrachtet; inzwischen müssen wir vorsichtig seyn mit dieser Deutung, da ja auch die Kopfhaut des ganz säuberlich fressenden Wälschhahns nackt ist. Die Nähte an den Schädeln junger Säugthiere sind als eine schöne Anpassung zur Erleichterung der Geburt dargestellt worden, und ohne Zweifel begünstigen sie dieselbe oder sind[S. 225] sogar unentbehrlich; da aber auch solche Nähte an den Schädeln junger Vögel und Reptilien vorkommen, welche nur aus einem zerbrochenen Eie zu schlüpfen nöthig haben, so dürfen wir schliessen, dass diese Bildungs-Weise von den Wachsthums-Gesetzen herrühre und den höheren Wirbelthieren dann nur gelegentlich auf jene Weise nütze.

Wir wissen ganz und gar nichts über die Ursachen, welche die kleinen Abänderungen veranlassen und fühlen Diess am meisten, wenn wir über die Verschiedenheiten unsrer Hausthier-Rassen in andern Gegenden und zumal bei minder zivilisirten Völkern nachdenken, welche sich nicht mit planmässiger Züchtung befassen. Die in verschiedenen Gegenden von wilden Völkern gehaltenen Hausthiere haben oft um ihr eigenes Daseyn zu kämpfen; sie mögen bis zu einem gewissen Grade der Natürlichen Züchtung unterliegen, und Individuen mit nur wenig abweichender Konstitution gedeihen zuweilen am besten in verschiedenen Klimaten. Ein Beobachter versichert, dass das Rind bei gewisser Färbung den Angriffen der Fliegen mehr ausgesetzt, wie es auch empfänglicher für Gifte seye, so dass auf diese Weise die Farbe ein Gegenstand Natürlicher Züchtung werde. Andre Beobachter sind der Überzeugung, dass ein feuchtes Klima den Haarwuchs befördre und dass Horn und Haar in gleicher Beziehung stehe. Gebirgs-Rassen sind überall von Niederungs-Rassen verschieden, und Gebirgs-Gegenden werden wahrscheinlich auf die Hinterbeine und allenfalls auf das Becken wirken, sofern diese daselbst mehr in Anspruch genommen werden; nach dem Gesetze homologer Variation werden dann auch die vordren Gliedmaassen und wahrscheinlich der Kopf mit betroffen werden. Auch dürfte die Form des Beckens der Mutter durch Druck auf die Kopf-Form des Jungen in ihrem Leibe wirken. Wahrscheinlich vermehrt auch die schwierigere Athmung in hohen Gebirgen die Weite des Brust-Kastens, und Diess nicht ohne Einfluss auf noch andre Theile. Die Wirkung unterbleibender Übung auf die Gesammt-Organisation in Verbindung mit reichlichem Futter ist wahrscheinlich von noch grössrer Wichtigkeit; und darin liegt, wie von NATHUSIUS kürzlich nachgewiesen, offenbar eine Haupt-Ursache[S. 226] der grossen Veränderungen, welche die verschiedenen Schweine-Rassen erlitten haben. Wir haben aber viel zu wenig Erfahrung, um über die Vergleichungsweise Wichtigkeit der verschiedenen bekannten und unbekannten Abänderungs-Gesetze Betrachtungen anzustellen, und ich habe hier deren nur erwähnt um zu zeigen, dass, wenn wir nicht im Stande sind, die charakteristischen Verschiedenheiten unsrer kultivirten Rassen zu erklären, welche doch allgemeiner Annahme zufolge durch gewöhnliche Fortpflanzung entstanden sind, wir auch unsre Unwissenheit über die genaue Ursache geringer analoger Verschiedenheiten zwischen Arten nicht zu hoch anschlagen dürfen. Ich möchte in dieser Beziehung die so scharf ausgeprägten Unterschiede zwischen den Menschen-Rassen anführen, über deren Entstehung sich vielleicht einiges Licht verbreiten liesse durch die Annahme einer sexuellen Züchtung eigener Art; doch würde es unnütz seyn dabei zu verweilen, indem ich mich hier nicht auf die zur Erläuterung nöthigen Einzelheiten einlassen kann.

Die voranstehenden Bemerkungen veranlassen mich auch einige Worte über die neuerlich von mehren Naturforschern eingelegte Verwahrung gegen die Nützlichkeits-Lehre zu sagen, nach welcher nämlich alle Einzelnheiten der Bildung zum Vortheil ihres Besitzers da seyn sollen. Dieselben sind der Meinung, dass sehr viele organische Gebilde nur der Manchfaltigkeit wegen vorhanden seyen oder um die Augen des Menschen zu ergötzen. Wäre diese Lehre richtig, so müssten sie meiner Theorie unbedingt verderblich werden. Doch gebe ich vollkommen zu, dass manche Bildungen von keinem unmittelbaren Nutzen für deren Besitzer sind. Die natürlichen Lebens-Bedingungen haben wahrscheinlich einigen geringen Einfluss auf die Organisation, möge diese zu irgend etwas nützen oder nicht. Wechselbeziehungen in der Entwickelung haben zweifelsohne ebenfalls einen sehr grossen Antheil, und die nützliche Abänderung eines Organes hat oft nutzlose Veränderungen auch in andern Theilen veranlasst. So können auch Charaktere, welche vordem nützlich gewesen, oder welche durch Wechselbeziehung in der früheren Entwickelung oder durch ganz unbekannte Ursache entstanden, nach[S. 227] den Gesetzen der Rückkehr wieder zum Vorschein kommen, wenngleich sie keinen unmittelbaren Nutzen haben. Die Wirkungen der geschlechtlichen Züchtung, soferne sie in das Weibchen fesselnden Reitzen beruhen, können nur in einem mehr gezwungenen Sinne nützlich genannt werden. Aber bei weitem die wichtigste Erwägung ist die, dass der Haupttheil der Organisation eines jeden Wesens einfach durch Erbschaft erworben ist, daher denn auch, obschon zweifelsohne jedes Wesen für seinen Platz im Haushalte der Natur ganz wohl gemacht seyn mag, viele Bildungen keine unmittelbaren Beziehungen mehr zur Lebensweise der gegenwärtigen Spezies haben. So können wir kaum glauben, dass der Schwimmfuss des Fregattvogels oder der Landgans (Chloephaga Maghellanica) diesen Vögeln von speciellem Nutzen seye; und wir können nicht annehmen, dass die nämlichen Knochen im Arme des Affen, im Vorderfuss des Pferdes, im Flügel der Fledermaus und im Ruder des Seehundes allen diesen Thieren einen speciellen Nutzen bringe. Wir mögen diese Bildungen getrost als Erbschaft ansehen; denn zweifelsohne sind Schwimmfüsse dem Stamm-Vater jener Gans und des Fregattvogels eben so nützlich gewesen, als sie den meisten jetzt lebenden Wasser-Vögeln sind. So dürfen wir vermuthen, dass der Stammvater des Seehunds nicht einen Ruderfuss, sondern einen fünfzehigen Geh- oder Greif-Fuss besessen; wir dürfen ferner vermuthen, dass die einzelnen von einem Stammvater ererbten Knochen in den Beinen des Affen, des Pferdes, der Fledermaus ihrem gemeinsamen Stammvater oder ihren Stamm-Vätern vordem nützlicher gewesen sind, als sie jetzt diesen in ihrer Lebensweise so weit auseinandergehenden Thieren sind. Wir können daher annehmen, diese verschiedenen Knochen seyen durch Natürliche Züchtung entstanden, welche früher so wie jetzt den Gesetzen der Erblichkeit, der Rückkehr, der Wechselbeziehung in der Entwickelung u. s. w. unterlagen. Daher man von jeder Einzelheit der Struktur in jedem lebenden Geschöpfe (ausser einigen geringen Zugeständnissen an den Einfluss der natürlichen äussren Bedingungen) annehmen darf, sie seye einmal einem Vorfahren der Spezies von besondrem Nutzen gewesen, oder sie seye jetzt, entweder direkt[S. 228] oder durch verwickelte Wachsthumsgesetze indirekt, ein besondrer Vortheil für die Abkömmlinge dieser Vorfahren.

Natürliche Züchtung kann nicht wohl irgend eine Abänderung in einer Spezies bewirken, welche nur einer anderen Art zum ausschliesslichen Vortheil gereichte, obwohl in der ganzen Natur eine Spezies ohne Unterlass von der Organisation einer andern Nutzen zieht. Aber Natürliche Züchtung kann auch oft hervorbringen und bringt oft in Wirklichkeit solche Gebilde hervor, die einer andern Art zum unmittelbaren Nachtheil gereichen, wie wir im Giftzahne der Otter und in der Legeröhre des Ichneumon sehen, welcher mit deren Hülfe seine Eier in den Körper andrer lebenden Insekten einführt. Liesse sich beweisen, dass irgend ein Theil der Organisation einer Spezies zum ausschliesslichen Besten einer andern Spezies gebildet worden seye, so wäre meine Theorie vernichtet, weil eine solche Bildung nicht durch Natürliche Züchtung bewirkt werden kann. Obwohl in naturhistorischen Schriften vielerlei Behauptungen in dieser Hinsicht aufgestellt werden, so kann ich doch keine darunter von einigem Gewichte finden. So gesteht man zu, dass die Klapperschlange einen Giftzahn zu ihrer eignen Vertheidigung und zur Tödtung ihrer Beute besitze; aber einige Autoren unterstellen auch, dass sie ihre Klapper zu ihrem eignen Nachtheile erhalten habe, nämlich um ihre Beute zu warnen und zur Flucht zu veranlassen. Man könnte jedoch eben so gut behaupten, die Katze mache die Wellenkrümmungen mit dem Ende ihres Schwanzes, wenn sie im Begriffe einzuspringen ist, in der Absicht um die bereits zum Tode verurtheilte Maus zu warnen. Doch, ich habe hier nicht Raum auf diese und andre Fälle noch weiter einzugehen.

Natürliche Züchtung kann in keiner Spezies irgend etwas für dieselbe Schädliches erzeugen, indem sie ausschliesslich nur durch und zu deren Vortheil wirkt. Kein Organ kann, wie PALEY bemerkt, gebildet werden um seinem Besitzer Qual und Schaden zu bringen. Eine genaue Abwägung zwischen dem Nutzen und Schaden, welchen ein jeder Theil verursacht, wird immer zeigen, dass er im Ganzen genommen vortheilhaft ist. Wird etwa in spätrer Zeit bei wechselnden Lebens-Bedingungen ein Theil[S. 229] schädlich, so wird er entweder verändert, oder die Art geht zu Grunde, wie ihrer Myriaden zu Grunde gegangen sind.

Natürliche Züchtung strebt jedes organische Wesen eben so vollkommen oder ein wenig vollkommener als die übrigen Bewohner derselben Gegend zu machen, mit welchen dieselbe um sein Daseyn zu ringen hat. Und wir sehen, dass Diess der Grad von Vollkommenheit ist, welchen die Natur erstrebt. Die Neuseeland eigenthümlichen Natur-Erzeugnisse sind vollkommen, eines mit den andern verglichen; aber sie weichen jetzt rasch zurück vor den vordringenden Legionen aus Europa eingeführter Pflanzen und Thiere. Natürliche Züchtung wird keine absolute Vollkommenheit herstellen; auch begegnen wir, so viel sich beurtheilen lässt, einer so hohen Stufe nirgends in der Natur. Die Verbesserung für die Abweichung des Lichtes ist, wie der ausgezeichnete Gewährsmann JOH. MÜLLER erklärt, selbst in dem vollkommensten aller Organe, dem menschlichen Auge, noch nicht vollständig. Wenn uns unsre Vernunft zu begeisterter Bewunderung einer Menge unnachahmlicher Einrichtungen in der Natur auffordert, so lehrt uns auch diese nämliche Vernunft, dass wir leicht nach beiden Seiten irren können, indem andre Einrichtungen weniger vollkommen sind. Wir können nie den Stachel der Wespe oder Biene als vollkommen betrachten, der, wenn er einmal gegen die Angriffe von mancherlei Thieren angewandt worden, den unvermeidlichen Tod seines Besitzers bewirken muss, weil er seiner Widerhaken wegen nicht mehr aus der Wunde, die er gemacht hat, zurückgezogen werden kann, ohne die Eingeweide des Insekts nach sich zu ziehen.

Nehmen wir an, der Stachel der Biene seye bei einer sehr frühen Stammform bereits als Bohr- und Säge-Werkzeug bestanden, wie es häufig bei andern Gliedern der Hymenopteren-Ordnung vorkommt, und seye für seine gegenwärtige Bestimmung mit dem ursprünglich zur Hervorbringung von Gallen-Auswüchsen oder andern Zwecken bestimmten Gifte umgeändert aber nicht zugleich verbessert worden, so können wir vielleicht begreifen, warum der Gebrauch dieses Stachels so oft des Insektes eignen Tod veranlasst; denn wenn das Vermögen zu stechen[S. 230] der ganzen Bienen-Gemeinde nützlich ist, so mag er allen Anforderungen der Natürlichen Züchtung entsprechen, obwohl seine Beschaffenheit den Tod der einzelnen Individuen veranlasst, die ihn anwenden. Wenn wir über das wirklich wunderbar scharfe Witterungs-Vermögen erstaunen, mit dessen Hilfe manche Männchen ihre Weibchen ausfindig zu machen im Stande sind, können wir dann auch die für diesen einen Zweck bestimmte Hervorbringung von Tausenden von Dronen bewundern, welche, der Gemeinde für jeden andern Zweck gänzlich nutzlos, bestimmt sind zuletzt von ihren arbeitenden aber unfruchtbaren Schwestern umgebracht zu werden? Es mag schwer seyn, aber wir müssen den wilden Instinkt-mässigen Hass der Bienenkönigin bewundern, welcher sie beständig drängt, die jungen Königinnen, ihre Töchter, augenblicklich nach ihrer Geburt zu tödten oder selbst in dem Kampfe zu Grunde zu gehen; denn unzweifelhaft ist Diess zum Besten der Gemeinde, und mütterliche Liebe oder mütterlicher Hass, obwohl dieser letzte glücklicher Weise viel seltener ist, gilt dem unerbittlichen Prinzipe Natürlicher Züchtung völlig gleich. Wenn wir die verschiedenen sinnreichen Einrichtungen vergleichen, vermöge welcher die Blüthen der Orchideen und mancher andren Pflanzen vermittelst Insekten-Thätigkeit befruchtet werden, wie können wir dann die Anordnung bei unsren Nadelhölzern als gleich vollkommne ansehen, vermöge welcher grosse und dichte Staubwolken von Pollen hervorgebracht werden müssen, damit einige Körnchen davon durch einen günstigen Lufthauch dem Ei’chen zugeführt werden mögen?

Zusammenfassung des Kapitels.) Wir haben in diesem Kapitel gewisse Schwierigkeiten und Einwendungen erörtert, welche sich meiner Theorie entgegenstellen. Einige derselben sind sehr ernster Art; doch glaube ich, dass durch ihre Erörterung einiges Licht über mehre Thatsachen verbreitet worden, welche dagegen nach der Theorie der unabhängigen Schöpfungs-Akte ganz dunkel bleiben würden. Wir haben gesehen, dass Arten zu irgend welcher Zeit nicht ins Endlose abändern können und nicht durch zahllose Übergangs-Formen unter einander zusammenhängen, theils weil der Prozess Natürlicher Züchtung immer sehr[S. 231] langsam ist und jederzeit nur auf sehr wenige Formen wirkt, und theils weil gerade der Prozess Natürlicher Züchtung auch meistens die fortwährende Ersetzung und Erlöschung vorhergehender und mittler Abstufungen schon in sich schliesst. Nahe verwandte Arten, welche jetzt auf einer zusammenhängenden Fläche wohnen, mögen oft gebildet worden seyn, als die Fläche noch nicht zusammenhängend war und die Lebens-Bedingungen nicht unmerkbar von einer Stelle zur andern abänderten. Wenn zwei Varietäten an zwei Stellen eines zusammenhängenden Gebietes sich bildeten, so wird oft auch eine mittle Varietät für eine mittle Zone entstanden seyn; aber aus angegebenen Gründen wird die mittle Varietät gewöhnlich in geringerer Anzahl als die zwei durch sie verbundenen Abänderungen vorhanden gewesen seyn, welche mithin im Verlaufe weitrer Umbildung sich durch ihre grössre Anzahl in entschiedenem Vortheil vor den andren befanden und mithin gewöhnlich auch im Stande waren sie zu ersetzen und zu vertilgen.

Wir haben in diesem Kapitel gesehen, wie vorsichtig man seyn muss zu schliessen, dass die verschiedenartigsten Gewohnheiten des Lebens nicht in einander übergehen können, dass eine Fledermaus z. B. nicht etwa auf dem Wege Natürlicher Züchtung entstanden seyn könne von einem Thiere, welches bloss durch die Luft zu gleiten im Stande war.

Wir haben gesehen, dass eine Art unter veränderten Lebens-Bedingungen ihre Gewohnheiten ändern oder vermanchfaltigen und manche Sitten annehmen könne, die von denen ihrer nächsten Verwandten abweichen. Daraus können wir begreifen, wenn wir uns zugleich erinnern, dass jedes organische Wesen gedrängt wird zu leben wo es immer leben kann, wie es zugegangen, dass es Land-Gänse mit Schwimmfüssen, an Boden lebende Spechte, tauchende Drosseln und Sturmvögel mit den Sitten der Alke gebe.

Obwohl die Meinung, dass ein so vollkommenes Organ, als das Auge ist, durch Natürliche Züchtung hervorgebracht werden könne, mehr als genügt um jeden wankend zu machen, so ist doch keine logische Unmöglichkeit vorhanden, dass irgend ein[S. 232] Organ unter veränderlichen Lebens-Bedingungen durch eine lange Reihe von Abstufungen in seiner Zusammensetzung, deren jede dem Besitzer nützlich ist, endlich jeden begreiflichen Grad von Vollkommenheit auf dem Wege Natürlicher Züchtung erlange. In Fällen, wo wir keine Zwischenzustände kennen, müssen wir uns wohl zu schliessen hüten, dass solche niemals bestanden hatten; denn die Homologien vieler Organe und ihre Zwischenstufen zeigen, dass wunderbare Veränderungen in ihren Verrichtungen wenigstens möglich sind. So ist z. B. eine Schwimmblase offenbar in eine Luft-athmende Lunge verwandelt worden. Übergänge müssen namentlich oft in hohem Grade erleichtert worden seyn da, wo ein und dasselbe Organ mehre sehr verschiedene Verrichtungen zugleich zu besorgen hatte und dann nur für eine von beiden Verrichtungen allein noch besser hergestellt zu werden brauchte und da wo gleichzeitig zwei sehr verschiedene Organe an derselben Funktion theilnahmen und das eine mit Unterstützung des andern sich weiter vervollkommnen konnte.

Wir sind in Bezug auf die meisten Fälle viel zu unwissend, um behaupten zu dürfen, dass ein Theil oder Organ für das Gedeihen einer Art unwesentlich seye, und dass Abänderungen seiner Bildung nicht durch Natürliche Züchtung mittelst langsamer Häufung haben bewirkt werden können. Doch dürfen wir zuversichtlich annehmen, dass viele Abänderungen gänzlich nur von den Wachsthums-Gesetzen veranlasst und, anfänglich ohne allen Nutzen für die Art, später zum Vortheil weiter umgeänderter Nachkommen dieser Art verwendet worden sind. Wir dürfen ferner glauben, dass ein für frühere Formen hochwichtiger Theil auch von späteren Formen (wie der Schwanz eines Wasser-Thieres von den davon abstammenden Land-Thieren) beibehalten worden ist, obwohl er für dieselben so unwichtig erscheint, dass er in seinem jetzigen Zustande nicht durch Natürliche Züchtung erworben seyn könnte, indem diese Kraft nur auf die Erhaltung solcher Abänderungen gerichtet ist, welche im Kampfe ums Daseyn nützlich sind.

Natürliche Züchtung erzeugt bei keiner Spezies etwas, das[S. 233] zum ausschliesslichen Nutzen oder Schaden einer andern wäre; obwohl sie Theile, Organe und Excretionen herstellen kann, die, wenn auch für andre sehr nützlich und sogar unentbehrlich oder in hohem Grade verderblich, doch in allen Fällen zugleich nützlich für den Besitzer sind. Natürliche Züchtung muss in jeder wohl-bevölkerten Gegend in Folge hauptsächlich der Mitbewerbung der Bewohner unter einander nothwendig auf Verbesserung oder Kräftigung für den Kampf um’s Daseyn hinwirken, doch lediglich nach dem für diese Gegend giltigen Maassstab. Daher die Bewohner einer, und zwar gewöhnlich der kleineren, Gegend oft vor denen einer andern und gemeiniglich grösseren zurückweichen müssen. Denn in der grösseren Gegend werden mehr Individuen und mehr differenzirte Formen existirt haben, wird die Mitbewerbung stärker gewesen und mithin das Ziel der Vervollkommnung höher gesteckt gewesen seyn. Natürliche Züchtung wird nicht nothwendig absolute Vollkommenheit hervorbringen, und diese ist auch, so viel wir mit unsern beschränkten Fähigkeiten zu beurtheilen vermögen, nirgends zu finden.

Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung lässt sich die ganze Bedeutung des alten Glaubenssatzes in der Naturgeschichte „Natura non facit saltum“ verstehen. Dieser Satz ist, wenn wir nur die jetzigen Bewohner der Erde berücksichtigen, nicht ganz richtig, muss aber nach meiner Theorie vollkommen wahr seyn, wenn wir alle Wesen vergangener Zeiten mit einschliessen.

Es ist allgemein anerkannt, dass alle organischen Wesen nach zwei grossen Gesetzen gebildet worden sind: Einheit des Typus und Anpassung an die Existenz-Bedingungen. Unter Einheit des Typus begreift man die Übereinstimmung im Grundplane des Baues, wie wir ihn bei den Wesen eines Unterreiches finden, und welcher ganz unabhängig von ihrer Lebensweise ist. Nach meiner Theorie erklärt sich die Einheit des Typus aus der Einheit der Abstammung. Die Anpassung an die Lebens-Bedingungen, so oft von dem berühmten CUVIER in Anwendung gebracht, ist in meinem Prinzipe der Natürlichen Züchtung vollständig mit inbegriffen. Denn die Natürliche Züchtung wirkt nur in soferne, als sie die veränderlichen Theile eines jeden Wesens seinen organischen und[S. 234] unorganischen Lebens-Bedingungen entweder jetzt anpasst oder in längst vergangenen Zeit-Perioden angepasst hat. Diese Anpassungen können in manchen Fällen durch Gebrauch und Nichtgebrauch unterstützt, durch direkte Einwirkung äussrer Lebens-Bedingungen modifizirt werden und sind in allen Fällen den verschiedenen Entwicklungs-Gesetzen unterworfen. Daher ist denn auch das Gesetz der Anpassung an die Lebens-Bedingungen in der That das höhere, indem es vermöge der Erblichkeit früherer Anpassungen das der Einheit des Typus mit in sich begreift.

Siebentes Kapitel.
Instinkt.

Instinkte vergleichbar mit Gewohnheiten, doch andern Ursprungs. — Abstufungen. — Blattläuse und Ameisen. — Instinkte veränderlich. — Instinkte gezähmter Thiere und deren Entstehung. — Natürliche Instinkte des Kuckucks, des Strausses und der parasitischen Bienen. — Sklaven-machende Ameisen. — Honigbienen und ihr Zellenbau-Instinkt. — Veränderung von Instinkt und Struktur nicht nothwendig gleichzeitig. — Schwierigkeiten der Theorie Natürlicher Züchtung in Bezug auf Instinkt. — Geschlechtslose oder unfruchtbare Insekten. — Zusammenfassung.

Der Instinkt hätte wohl noch in den vorigen Kapiteln mit abgehandelt werden sollen; doch habe ich es für angemessener erachtet den Gegenstand abgesondert zu behandeln, zumal ein so wunderbarer Instinkt, wie der der Zellen-bauenden Bienen ist, wohl manchem Leser eine genügende Schwierigkeit geschienen haben mag, um meine Theorie über den Haufen zu werfen. Ich muss vorausschicken, dass ich nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte noch mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe. Wir haben es nur mit der Verschiedenheit des Instinktes und der übrigen geistigen Fähigkeiten der Thiere in einer und der nämlichen Klasse zu thun.

Ich will keine Definition des Wortes zu geben versuchen. Es würde leicht seyn zu zeigen, dass gewöhnlich ganz verschiedene geistige Fähigkeiten unter diesem Namen begriffen werden.[S. 235] Doch weiss jeder, was damit gemeint ist, wenn ich sage, der Instinkt veranlasse den Kuckuck zu wandern und seine Eier in fremde Nester zu legen. Wenn eine Handlung, zu deren Vollziehung selbst von unserer Seite Erfahrung vorausgesetzt wird, von Seiten eines Thieres und besonders eines sehr jungen Thieres noch ohne alle Erfahrung ausgeübt wird, und wenn sie auf gleiche Weise von vielen Thieren erfolgt, ohne dass diese ihren Zweck kennen, so wird sie gewöhnlich eine instinktive Handlung genannt. Ich könnte jedoch zeigen, dass keiner von diesen Charakteren des Instinkts allgemein ist. Eine kleine Dosis von Urtheil oder Verstand, wie PIERRE HUBER es ausdrückt, kommt oft mit in’s Spiel, selbst bei Thieren, welche sehr tief auf der Stufenleiter der Natur stehen.

FRIEDRICH CUVIER und verschiedene ältre Methaphysiker haben Instinkt mit Gewohnheit verglichen. Diese Vergleichung scheint mir eine sehr genaue Nachweisung von den Schranken des Geistes zu geben, innerhalb welcher die Handlung vollzogen wird, aber nicht von ihrem Ursprunge. Wie unbewusst werden manche unsrer Handlungen vollzogen, ja nicht selten in geradem Gegensatz mit unsrem bewussten Willen! Doch können sie durch den Willen oder Verstand abgeändert werden. Gewohnheiten verbinden sich leicht mit andern Gewohnheiten oder mit gewissen Zeit-Abschnitten und Zuständen des Körpers. Einmal angenommen erhalten sie sich oft lebenslänglich. Es liessen sich noch manche andre Ähnlichkeiten zwischen Instinkten und Gewohnheiten nachweisen. Wie bei Wiederholung eines wohlbekannten Gesanges, so folgt auch beim Instinkte eine Handlung auf die andre durch eine Art Rythmus. Wenn Jemand beim Gesange oder bei Hersagung auswendig gelernter Worte unterbrochen worden, so ist er gewöhnlich genöthigt, wieder etwas zurückzugehen, um den Gedanken-Gang wieder zu finden. So sah es P. HUBER auch bei einer Raupen-Art, wenn sie beschäftigt war ihr sehr zusammengesetztes Gewebe zu fertigen; nahm er sie heraus, nachdem dieselbe z. B. das letzte Sechstel vollendet hatte, und setzte er sie in ein andres nur bis zum dritten Sechstel vollendetes, so fertigte sie einfach den dritten, vierten und fünften Theil nochmals[S. 236] mit dem sechsten an. Nahm er sie aber aus einem z. B. bis zum dritten Theile vollendeten Gewebe und setzte sie in ein bis zum sechsten Theil fertiges, so dass sie ihre Arbeit schon grösstentheils gethan fand, so war sie sehr entfernt, diesen Vortheil zu fühlen und fing in grosser Befangenheit über diesen Stand der Sache die Arbeit nochmals vom dritten Stadium an, da wo sie solche in ihrem eignen Gewebe verlassen hatte, und suchte von da aus das schon fertige Werk zu Ende zu führen.

Wenn sich nun, wie ich in einigen Fällen es zu können glaube, nachweisen liesse, dass eine durch Gewohnheit angenommene Handlungs-Weise auch auf die Nachkommen vererblich seye, so würde das, was ursprünglich Gewohnheit war, von Instinkt nicht mehr unterscheidbar seyn. Wenn MOZART statt in einem Alter von drei Jahren das Pianoforte mit wundervoller kleiner Fertigkeit zu spielen, ohne alle vorgängige Übung eine Melodie angestimmt hätte, so könnte man mit Wahrheit sagen, er habe Diess Instinkt-mässig gethan. Es würde aber ein sehr ernster Irrthum seyn anzunehmen, dass die Mehrzahl der Instinkte durch Gewohnheit schon während einer Generation erworben und dann auf die nachfolgenden Generationen vererbt worden seye. Es lässt sich genau nachweisen, dass die wunderbarsten Instinkte, die wir kennen, wie die der Korb-Bienen und vieler Ameisen, unmöglich in solcher Frist erworben worden seyn können.

Man gibt allgemein zu, dass für das Gedeihen einer jeden Spezies in ihren jetzigen Existenz-Verhältnissen Instinkte eben so wichtig sind, als die Körper-Bildung. Ändern sich die Lebens-Bedingungen einer Spezies, so ist es wenigstens möglich, dass auch geringe Änderungen in ihrem Instinkte für sie nützlich seyn würden. Wenn sich nun nachweisen lässt, dass Instinkte, wenn auch noch so wenig variiren, dann kann ich keine Schwierigkeit für die Annahme sehen, dass Natürliche Züchtung auch geringe Abänderungen des Instinktes erhalte und durch beständige Häufung bis zu einem vortheilhaften Grade vermehre. So dürften, wie ich glaube, alle und auch die zusammengesetztesten und wunderbarsten Instinkte entstanden seyn. Wie Abänderungen im Körper-Bau durch Gebrauch und Gewohnheit veranlasst und verstärkt,[S. 237] dagegen durch Nichtgebrauch verringert und ganz eingebüsst werden können, so ist es zweifelsohne auch mit den Instinkten. Ich glaube aber, dass die Wirkungen der Gewohnheit von ganz untergeordneter Bedeutung sind gegenüber den Wirkungen Natürlicher Züchtung auf sogenannte zufällige Abänderungen des Instinktes, d. h. auf Abänderungen in Folge unbekannter Ursachen, welche geringe Abweichungen in der Körper-Bildung veranlassen.

Kein zusammengesetzter Instinkt kann durch Natürliche Züchtung anders als durch langsame und stufenweise Häufung vieler geringen und nutzbaren Abänderungen hervorgebracht werden. Hier müssten wir, wie bei der Körper-Bildung, in der Natur zwar nicht die wirklichen Übergangs-Stufen, die der zusammengesetzte Instinkt bis zu seiner jetzigen Vollkommenheit durchlaufen hat und welche bei jeder Art nur in ihrem Vorgänger gerader Linie zu entdecken seyn würden, wohl aber einige Spuren solcher Abstufungen in den Seitenlinien von gleicher Abstammung finden, oder wenigstens nachweisen können, dass irgend welche Abstufungen möglich sind; und dazu sind wir gewiss im Stande. Obwohl indessen die Instinkte fast nur in Europa und Nord-Amerika lebender Thiere näher beobachtet worden und die der untergegangenen Thiere uns ganz unbekannt sind, so war ich doch erstaunt zu finden, wie ganz allgemein sich Abstufungen bis zu den Instinkten der zusammengesetztesten Arten entdecken lassen. Instinkt-Änderungen mögen zuweilen dadurch erleichtert werden, dass eine und dieselbe Spezies verschiedene Instinkte in verschiedenen Lebens-Perioden oder Jahreszeiten besitzt, oder dass sie unter andre äussre Lebens-Bedingungen versetzt wird, in welchen Fällen dann wohl entweder nur der eine oder nur der andre durch Natürliche Züchtung erhalten werden wird. Beispiele von solcher Verschiedenheit des Instinktes lassen sich in der Natur nachweisen.

Nun ist, wie bei der Körper-Bildung auch meiner Theorie gemäss der Instinkt einer jeden Art nützlich für diese und, so viel wir wissen, niemals zum ausschliesslichen Nutzen andrer Arten vorhanden. Eines der triftigsten Beispiele, die ich kenne, von Thieren, welche anscheinend zum blossen Besten andrer etwas thun, liefern die Blattläuse, indem sie, wie HUBER zuerst[S. 238] bemerkte, freiwillig den Ameisen ihre süssen Excretionen überlassen. Dass sie Diess freiwillig thun, geht aus folgenden Thatsachen hervor. Ich entfernte alle Ameisen von einer Gruppe von etwa zwölf Aphiden auf einer Ampfer-Pflanze und hinderte ihr Zusammenkommen mehrere Stunden lang. Nach dieser Zeit nahm ich wahr, dass die Blattläuse das Bedürfniss der Excretion hatten. Ich beobachtete sie eine Zeit lang durch eine Lupe: aber nicht eine gab eine Excretion von sich. Darauf streichelte und kitzelte ich sie mit einem Haare auf dieselbe Weise, wie es die Ameisen mit ihren Fühlern machen, aber keine Excretion erfolgte. Nun liess ich eine Ameise zu, und aus ihrem Widerstreben sich von den Blattläusen zurücktreiben zu lassen, schien hervorzugehen, dass sie augenblicklich erkannt hatte, welch’ ein reicher Genuss ihrer harre. Sie begann dann mit ihren Fühlern den Hinterleib erst einer und dann einer andren Blattlaus zu betasten, deren jede, so wie sie die Berührung des Fühlers empfand, sofort den Hinterleib in die Höhe richtete und einen klaren Tropfen süsser Flüssigkeit ausschied, der alsbald von der Ameise eingesogen wurde. Selbst ganz junge Blattläuse, auf diese Weise behandelt, zeigten, dass ihr Verhalten ein instinktives und nicht die Folge der Erfahrung war. Nach HUBER zeigen die Blattläuse keine Abneigung gegen die Ameisen, und wenn diese fehlen, so sind sie genöthigt ihre Excretionen auszustossen. Da nun die Aussonderung ausserordentlich klebrig ist, so ist es wahrscheinlich für die Aphiden von Nutzen, dass sie entfernt werde; und so ist es denn auch mit dieser Excretion wohl nicht auf den ausschliesslichen Vortheil der Ameisen abgesehen. Obwohl ich nicht glaube, dass irgend ein Thier in der Welt etwas zum ausschliesslichen Nutzen einer andern Art thue, so sucht doch jede Art Vortheil von den Instinkten anderer zu ziehen und hat Vortheil von der schwächeren Körper-Beschaffenheit andrer. So können dann auch in einigen wenigen Fällen gewisse Instinkte nicht als ganz vollkommen betrachtet werden, was ich aber bis ins Einzelne auseinanderzusetzen hier unterlassen muss.

Es sollten wohl möglich viele Beispiele angeführt werden, um zu zeigen, wie im Natur-Zustande ein gewisser Grad von[S. 239] Abänderung in den Instinkten und die Erblichkeit solcher Abänderungen zur Thätigkeit der Natürlichen Züchtung unerlässlich ist, aber Mangel an Raum hindert mich es zu thun. Ich kann bloss versichern, dass Instinkte gewiss variiren, wie z. B. der Wander-Instinkt nach Ausdehnung und Richtung variiren oder auch ganz aufhören kann. So ist es mit den Nestern der Vögel, welche theils je nach der dafür gewählten Stelle, nach den Natur- und Wärme-Verhältnissen der bewohnten Gegend, aber auch oft aus ganz unbekannten Ursachen abändern. So hat AUDUBON einige sehr merkwürdige Fälle von Verschiedenheiten in den Nestern derselben Vogel-Arten, je nachdem sie im Norden oder im Süden der Vereinten Staaten leben, mitgetheilt. Warum, hat man gefragt, hat die Natur der Biene, wenn Instinkt veränderlich ist, nicht die Fähigkeit ertheilt, andre Materialien da zu benützen, wo Wachs fehlt? Aber welche andre Materialien könnten die Bienen benützen. Ich habe gesehen, dass sie mit Kochenille und mit Fett versetztes Wachs gebrauchen und verarbeiten. ANDREW KNIGHT sah seine Bienen, statt emsig Pollen einzusammeln, ein Zäment aus Wachs und Terpentin gebrauchen, womit entrindete Bäume überstrichen worden waren. Endlich hat man kürzlich Bienen beobachtet, die, statt Blüthen um ihres Samenstaubes willen aufzusuchen, gerne eine ganz verschiedene Substanz, nämlich Hafermehl verwendeten. — Furcht vor irgend einem besondren Feinde ist gewiss eine instinktive Eigenschaft, wie man bei den noch im Neste sitzenden Vögeln zu erkennen Gelegenheit hat, obwohl sie durch Erfahrung und durch die Wahrnehmung von Furcht vor demselben Feinde bei anderen Thieren noch verstärkt wird. Thiere auf abgelegenen kleinen Eilanden fürchten sich nicht vor den Menschen und lernen, wie ich anderwärts gezeigt habe, ihn nur langsam fürchten; und so nehmen wir auch in England selbst wahr, dass die grossen Vögel, weil sie vom Menschen mehr verfolgt werden, sich viel mehr vor ihm fürchten, als die kleinen. Wir können die stärkere Scheuheit grosser Vögel getrost dieser Ursache zuschreiben, denn auf von Menschen unbewohnten Inseln sind die grossen nicht scheuer als die kleinen; und die Elster,[S. 240] so furchtsam in England, ist in Norwegen eben so zahm als die Krähe (Corvus cornix) in Ägypten.

Dass die Gemüthsart der Individuen einer Spezies im Allgemeinen, auch wenn sie in der freien Natur geboren sind, äusserst manchfaltig seye, kann mit vielen Thatsachen belegt werden. Auch liessen sich bei einigen Arten Beispiele von zufälligen und fremdartigen Gewohnheiten anführen, die, wenn sie der Art nützlich wären, durch Natürliche Züchtung zu ganz neuen Instinkten Veranlassung werden könnten. Ich weiss wohl, dass diese allgemeinen Behauptungen, ohne einzelne Thatsachen zum Belege, nur einen schwachen Eindruck auf den Geist des Lesers machen werden, kann jedoch nur meine Versicherung wiederholen, dass ich nicht ohne gute Beweise so spreche.

Die Möglichkeit oder sogar Wahrscheinlichkeit Abänderungen des Instinktes im Natur-Zustande zu vererben wird durch Betrachtung einiger Fälle bei gezähmten Thieren noch stärker hervortreten. Wir werden dadurch auch zu sehen in den Stand gesetzt, welchen vergleichungsweisen Einfluss Gewöhnung und die Züchtung sogenannter zufälliger Abweichungen auf die Abänderung der Geistes-Fähigkeiten unsrer Hausthiere ausgeübt haben. Es lässt sich eine Anzahl sonderbarer und verbürgter Beispiele anführen von der Vererblichkeit aller Abschattungen der Gemüthsart, des Geschmacks oder der Neigung zu den sonderbarsten Streichen in Verbindung mit Zeichen von Geist oder mit gewissen periodischen Bedingungen. Bekannte Belege dafür liefern uns die verschiedenen Hunde-Rassen. So unterliegt es keinem Zweifel (und ich habe selbst einen schlagenden Fall der Art gesehen), dass junge Vorstehehunde zuweilen vor andern Hunden anziehen, wenn sie das erstemal mit hinausgenommen werden. So ist das Aufstöbern der Feldhühner gewiss oft erblich bei Hunden der vorzugsweise dazu gebrauchten Rasse, wie junge Schäferhunde geneigt sind die Heerde zu umkreisen statt nebenher zu laufen. Ich kann nicht sehen, dass diese Handlungen wesentlich von denen des Instinktes verschieden sind; denn die jungen Hunde handeln ohne Erfahrung, einer fast wie der andre in derselben Rasse, und ohne den Zweck des Handelns zu kennen. Denn der junge Vorstehehund[S. 241] weiss noch eben so wenig, dass er durch sein Stehen den Absichten seines Herrn dient, als der Kohlschmetterling weiss, warum er seine Eier auf ein Kohl-Blatt legt. Wenn wir eine Art Wolf sähen, welcher noch jung und ohne Abrichtung bei Witterung seiner Beute bewegungslos wie eine Bildsäule stehen bliebe und dann mit eigenthümlicher Haltung langsam auf sie hinschliche, oder eine andre Art Wolf, welche, statt auf einen Rudel Hirsche zuzuspringen, dasselbe umkreiste und so nach einem entfernten Punkte triebe, so würden wir dieses Verhalten gewiss dem Instinkte zuschreiben. Zahme Instinkte, wie man sie nennen könnte, sind gewiss viel weniger fest und unveränderlich als die natürlichen; denn sie sind durch viel minder strenge Züchtung ausgeprägt und eine bei weitem kürzere Zeit hindurch unter minder steten Lebens-Bedingungen vererbt worden.

Wie streng diese „zahmen Instinkte“, Gewohnheiten und Neigungen vererbt werden und wie wundersam sie sich zuweilen mischen, zeigt sich ganz wohl, wenn verschiedene Hunde-Rassen miteinander gekreutzt werden. So ist eine Kreutzung mit Bullbeissern auf viele Generationen hinaus auf den Muth und die Beharrlichkeit des Windhundes von Einfluss gewesen, und eine Kreutzung mit dem Wind-Hunde hat auf eine ganze Familie von Schäferhunden die Neigung übertragen Hasen zu verfolgen. Diese zahmen Instinkte, auf solche Art durch Kreutzung erprobt, gleichen natürlichen Instinkten, welche sich in ähnlicher Weise sonderbar mit einander verbinden, so dass sich auf lange Zeit hinaus Spuren des Instinktes beider Ältern erhalten. So beschreibt LE ROY einen Hund, dessen Grossvater ein Wolf war; dieser Hund verrieth die Spuren seiner wilden Abstammung nur auf eine Weise, indem er nämlich, wenn er von seinem Herrn gerufen wurde, nie in gerader Richtung auf ihn zukam.

Zahme Instinkte werden zuweilen bezeichnet als Handlungen, welche bloss durch eine lang-fortgesetzte und erzwungene Gewohnheit erblich werden; ich glaube aber, dass Diess nicht richtig ist. Gewiss hat niemals jemand daran gedacht oder versucht, der Purzeltaube das Purzeln zu lehren, was meines Wissens auch schon junge Tauben thun, welche nie andere[S. 242] purzeln gesehen haben. Man kann sich denken, dass einmal eine einzelne Taube Neigung zu dieser sonderbaren Bewegungs-Weise gezeigt habe und dass dann in Folge sorgfältiger und lang-fortgesetzter Züchtung aus ihr die Purzler allmählich das geworden, was sie jetzt sind; und wie ich von Herrn BRENT vernehme, gibt es bei Glasgow Haus-Purzler, welche nicht 18 Zolle weit fliegen können, ohne sich einmal kopfüber zu bewegen. Eben so ist es schwer zu bezweiflen, ob jemals irgend jemand daran gedacht habe, einen Hund zum Vorstehen abzurichten, hätte nicht etwa ein Individuum von selbst eine Neigung verrathen es zu thun, und man weiss, dass Diess zuweilen vorkommt, wie ich selbst einmal an einem Dachshund beobachtete; das „Stehen“ ist wohl, wie Manche gedacht haben, nur eine verstärkte Pause eines Thieres, das sich in Bereitschaft setzt, auf seine Beute einzuspringen. Hatte sich ein erster Anfang des Stehens einmal gezeigt, so mögen methodische Züchtung und die erbliche Wirkung zwangsweiser Abrichtung in jeder nachfolgenden Generation das Werk bald vollendet haben: und unbewusste Züchtung ist immer in Thätigkeit, da jedermann, wenn auch ohne die Absicht eine verbesserte Rasse zu bilden, sich gerne die Hunde verschafft, welche am besten vorstehen und jagen. Anderseits hat auch Gewohnheit in einigen Fällen genügt. Kaum ist in der Regel ein Thier schwerer zu zähmen als das Junge des wilden Kaninchens, und kein Thier zahmer als das Junge des zahmen Kaninchens; und doch kann ich kaum glauben, dass die Haus-Kaninchen auf Zahmheit gezüchtet worden sind, sondern vermuthe vielmehr, dass wir die gesammte erbliche Veränderung von äusserster Wildheit bis zur äussersten Zahmheit einzig der Gewohnheit und lange fortgesetzten engen Gefangenschaft zuzuschreiben haben. Demungeachtet können, wie der Französische Übersetzer dieses Buches bemerkt hat, gerade die zahmsten Kaninchen, weil am wenigsten lästig, am öftesten erhalten worden seyn, so dass mithin auch in diesem Falle Züchtung mit ins Spiel gekommen wäre.

Natürliche Instinkte gehen in der Gefangenschaft verloren; ein merkwürdiges Beispiel davon sieht man bei denjenigen[S. 243] Geflügel-Rassen, welche selten oder nie „brütig“ werden[26], d. h. nie auf ihren Eiern zu sitzen verlangen. Die tägliche Gewöhnung daran allein verhindert uns zu sehen, in wie hohem Grade und wie allgemein die geistigen Fähigkeiten unsrer Hausthiere durch Zähmung verändert worden sind. Man kann kaum daran zweifeln, dass die Liebe des Menschen als Instinkt auf den Hund übergegangen ist. Alle Wölfe, Füchse, Schakals und Katzen-Arten sind, wenn man sie gezähmt hält, sehr begierig Geflügel, Schaafe und Schweine anzugreifen, und dieselbe Neigung hat sich unheilbar auch bei solchen Hunden gezeigt, welche man jung aus Gegenden zu uns gebracht hat, wo wie im Feuerlande und in Australien die Wilden jene Hausthiere nicht halten. Und wie selten ist es auf der andern Seite nöthig, unsren zivilisirten Hunden, selbst wenn sie noch jung sind, die Angriffe auf jene Thiere abzugewöhnen. Allerdings machen sie manchmal einen solchen Angriff und werden dann geschlagen und, wenn Das nicht hilft, endlich weggeschafft, — so dass Gewohnheit und wahrscheinlich einige Züchtung zusammengewirkt haben, unsren Hunden ihre erbliche Zivilisation beizubringen. Andrerseits haben junge Hühnchen, ganz in Folge von Gewöhnung, die Furcht vor Hunden und Katzen verloren, welche sie zweifelsohne nach ihrem ursprünglichen Instinkte besessen; denn ich erfahre von Capt. HUTTON, dass die jungen vom Ostindischen Stammvater dieser Art (Gallus Bankiva), wenn sie auch von einer gewöhnlichen Henne ausgebrütet worden, anfangs ausserordentlich wild sind. Und so ist es auch mit den jungen Phasanen aus Eiern, die man in England von einem Haushuhn hat ausbrüten lassen. Und doch haben die Hühnchen keineswegs alle Furcht verloren, sondern nur die Furcht vor Hunden und Katzen; denn sobald die Henne ihnen durch Glucken eine Gefahr anmeldet, laufen alle (zumal junge Welschhühner), um sich unter ihren Schutz zu begehen, oder um sich im Grase und Dickicht umher zu verbergen, Letztes offenbar in der instinktiven Absicht, wie wir bei wilden Boden-Vögeln sehen, um ihrer Mutter[S. 244] möglich zu machen davon zu fliegen. Freilich ist dieser bei unseren jungen Hühnchen zurückgebliebene Instinkt im gezähmten Zustande ganz nutzlos, weil die Mutter-Henne das Flug-Vermögen durch Nichtgebrauch gewöhnlich eingebüsst hat.

Daraus lässt sich schliessen, dass zahme Instinkte erworben worden und wilde Instinkte verloren gegangen sind, theils durch eigne Gewohnheit und theils durch die Einwirkung des Menschen, welche viele aufeinander-folgende Generationen hindurch eigenthümliche geistige Neigungen und Fähigkeiten, die uns in unsrer Unwissenheit anfangs nur ein sogenannter Zufall geschienen, durch Züchtung gehäuft und gesteigert hat. In einigen Fällen hat erzwungene Gewöhnung genügt, um solche erbliche Veränderung geistiger Eigenschaften zu bewirken; in andern ist durch Zwangs-Zucht nichts ausgerichtet und Alles nur durch unbewusste oder methodische Züchtung bewirkt worden; in den meisten Fällen aber haben beide wahrscheinlich zusammengewirkt.

Nähere Betrachtung einiger wenigen Beispiele wird vielleicht am besten geeignet seyn es begreiflich zu machen, wie Instinkte im Natur-Zustande durch Züchtung modifizirt worden sind. Ich will aus der grossen Anzahl derjenigen, welche ich gesammelt und in meinem späteren Werke zu erörtern haben werde, nur drei Fälle hervorheben, nämlich den Instinkt, welcher den Kuckuck treibt seine Eier in fremde Nester zu legen, den Instinkt der Ameisen Sklaven zu machen, und den Zellenbau-Trieb der Honig-Bienen; die zwei zuletzt genannten sind von den Naturforschern wohl mit Recht als die zwei wunderbarsten aller bekannten Instinkte bezeichnet worden.

Man nimmt jetzt gewöhnlich an, die unmittelbare und die Grund-Ursache für den Instinkt des Kuckucks seine Eier in fremde Nester zu legen beruhe darin, dass dieselben der Reihe nach nicht täglich, sondern erst jeden zweiten oder dritten Tag zur Reife kommen, so dass, wenn der Kuckuck sein eignes Nest zu bauen und auf seinen eignen Eiern zu sitzen hätte, die ersten Eier entweder eine Zeitlang unbebrütet bleiben oder Eier und junge Vögel von verschiedenem Alter im nämlichen Neste zusammen[S. 245] kommen müssten[27]. Wäre Diess so der Fall, so müssten allerdings die Prozesse des Legens und Ausschlüpfens unangemessen lang währen, und die zuerst ausgeschlüpften jungen Vögel wahrscheinlich vom Männchen allein aufgefüttert werden. Allein der Amerikanische Kuckuck findet sich in derselben Lage, und doch macht er sein eignes Nest und legt seine Eier nach-einander hinein, und seine Jungen schlüpfen gleichzeitig aus. Man hat zwar versichert, auch der Amerikanische Kuckuck lege zuweilen seine Eier in fremde Nester, aber nach Dr. Brewer’s verlässiger Gewährschaft in diesen Dingen ist es ein Irrthum. Demungeachtet könnte ich noch mehre andre Beispiele von Vögeln anführen, die ihre Eier zuweilen in fremde Nester legen. Nehmen wir nun an, der Stamm-Vater unsres Europäischen Kuckucks habe die Gewohnheiten des Amerikanischen gehabt, doch zuweilen ein Ei in das Nest eines andren Vogels gelegt. Wenn der alte Vogel von diesem gelegentlichen Brauche Vortheil hatte, oder der junge durch den fehlgreifenden Instinkt einer fremden Mutter kräftiger wurde, als er unter der Sorge seiner eignen Mutter geworden seyn würde, weil diese mit der gleichzeitigen Sorge für Eier und Junge von verschiedenem Alter überladen gewesen wäre und von selbst in sehr zartem Alter schon hätte wandern müssen; so gewann entweder der Alte oder das auf fremde Kosten gepflegte Junge dabei. Der Analogie nach möchte ich dann glauben, dass als Folge der Erblichkeit das so aufgeatzte Junge mehr geneigt seye, die zufällige und abweichende Handlungsweise seiner Mutter nachzuahmen, auch seine Eier in fremde Nester zu legen und so kräftigere Nachkommen zu erlangen. Durch einen fortgesetzten Prozess dieser Art könnte nach meiner Meinung der wunderliche Instinkt des Kuckucks entstanden seyn. Ich will jedoch noch beifügen, dass nach Dr. GRAY u. e. a. Beobachtern der Europäische Kuckuck[S. 246] doch keineswegs alle mütterliche Liebe und Sorge für seine eignen Sprösslinge verloren hat.

Der Brauch seine Eier gelegentlich in fremde Nester von derselben oder einer andern Spezies zu legen, ist unter den Hühner-artigen Vögeln nicht ganz ungewöhnlich; und Diess erklärt vielleicht die Entstehung eines eigenthümlichen Instinktes in der benachbarten Gruppe der Strauss-artigen Vögel. Denn mehre Strauss-Hennen wenigstens von der Amerikanischen Art vereinigen sich, um zuerst einige Eier in ein Nest und dann in ein andres zu legen; und diese werden von den Männchen ausgebrütet. Man wird zu Erklärung dieser Gewohnheit wahrscheinlich die Thatsache mit in Betracht ziehen, dass diese Hennen eine grosse Anzahl von Eiern und zwar in Zwischenräumen von zwei bis drei Tagen legen. Jedoch ist jene Gewohnheit beim Amerikanischen Strausse noch nicht sehr entwickelt; denn es liegt dort auch noch eine so erstaunliche Menge von Eiern über die Ebene zerstreut, dass ich auf der Jagd an einem Tage nicht weniger als 20 verlassener und verdorbener Eier aufzunehmen im Stand war.

Manche Bienen schmarotzen und legen ihre Eier in Nester andrer Bienen-Arten. Diess ist noch merkwürdiger, als beim Kuckuck; denn diese Bienen haben nicht allein ihren Instinkt, sondern auch ihren Bau in Übereinstimmung mit ihrer parasitischen Lebens-Weise geändert, indem sie nämlich nicht die Vorrichtung zur Einsammlung des Pollens besitzen, deren sie bedürften, wenn sie Nahrung für ihre eigne Brut vorräthig aufhäufen müssten. Einige Insekten-Arten schmarotzen nach der Weise der Sphegiden bei andern Arten, und Herr FABRE hat neulich guten Grund nachgewiesen zu glauben, dass, obwohl Tachytes nigra gewöhnlich ihre eigne Höhle macht und darin noch lebende aber gelähmte Beute zur Nahrung ihrer eignen Larve im Vorrath niederlegt, dieselbe doch, wenn sie eine schon fertige und mit Vorräthen versehene Höhle einer andern Sphex findet, davon Besitz ergreift und in Folge dieser Gelegenheit Parasit wird. In diesem Falle wie in dem angenommenen Beispiele von dem Kuckuck liegt kein Hinderniss für die Natürliche Züchtung vor,[S. 247] aus dem gelegentlichen Brauche einen beständigen zu machen, wenn er für die Art nützlich ist, und wenn nicht in Folge dessen die andre Insekten-Art, deren Nest und Futter-Vorräthe sie sich verrätherischer Weise aneignet, dadurch vertilgt wird.

Instinkt Sklaven zu machen.) Dieser Naturtrieb wurde zuerst bei Formica (Poliergus) rufescens von PETER HUBER beobachtet, einem noch besseren Beobachter, als sein berühmter Vater gewesen. Diese Ameise ist unbedingt von ihren Sklaven abhängig, ohne deren Hülfe die Art schon in einem Jahre gänzlich zu Grunde gehen müsste. Die Männchen und fruchtbaren Weibchen arbeiten nicht. Die arbeitenden oder unfruchtbaren Weibchen dagegen, obgleich sehr muthig und thatkräftig beim Sklaven-Fangen, thun nichts andres. Sie sind unfähig ihre eignen Nester zu machen oder ihre eignen Jungen zu füttern. Wenn das alte Nest unpassend befunden und eine Auswanderung nöthig wird, entscheiden die Sklaven darüber und schleppen dann ihre Meister zwischen den Kinnladen fort. Diese letzten sind so äusserst hülfelos, dass, als HUBER deren dreissig ohne Sklaven aber mit einer reichlichen Menge des besten Futters und zugleich mit ihren Larven und Puppen, um sie zur Thätigkeit anzuspornen, zusammen-sperrte, sie nicht einmal sich selbst fütterten und grossentheils Hungers starben. HUBER brachte dann einen einzigen Sklaven (Formica fusca) dazu, der sich unverzüglich ans Werk begab und die noch überlebenden fütterte und rettete, einige Zellen machte, die Larven pflegte und Alles in Ordnung brachte. Was kann es Ausserordentlicheres geben, als diese wohl verbürgten Thatsachen? Hätte man nicht noch von einigen andern Sklaven-machenden Ameisen Kenntniss, so würde es ein Hoffnungs-loser Versuch gewesen seyn sich eine Vorstellung davon zu machen, wie ein so wunderbarer Instinkt zu solcher Vollkommenheit gedeihen könne.

Eine andre Ameisen-Art, Formica sanguinea, wurde gleichfalls zuerst von HUBER als Sklavenmacherin erkannt. Sie kömmt im südlichen Theile von England vor, wo ihre Gewohnheiten von H. F. SMITH vom Britischen Museum beobachtet worden sind, dem ich für seine Mittheilungen über diesen und andre Gegenstände[S. 248] sehr verbunden bin. Wenn auch volles Vertrauen in die Versicherungen der zwei genannten Naturforscher setzend, vermochte ich doch nicht ohne einigen Zweifel an die Sache zu gehen, und es mag wohl zu entschuldigen seyn, wenn jemand an einen so ausserordentlichen und hässlichen Instinkt, wie der ist Sklaven zu machen, nicht unmittelbar glauben kann. Ich will daher dasjenige, was ich selbst beobachtet habe, mit einigen Einzelnheiten erzählen. Ich öffnete vierzehn Nest-Haufen der Formica sanguinea und fand in allen einige Sklaven. Männchen und fruchtbare Weibchen der Sklaven-Art (F. fusca) kommen nur in ihrer eignen Gemeinde vor und sind nie in den Haufen der F. sanguinea gefunden worden. Die Sklaven sind schwarz und von nicht mehr als der halben Grösse ihrer Herrn, so dass der Gegensatz in ihrer Erscheinung sogleich auffällt. Wird der Haufe nur leicht wenig gestört, so kommen die Sklaven zuweilen heraus und zeigen sich gleich ihren Meistern sehr beunruhigt und zur Vertheidigung bereit. Wird aber der Haufe so zerrüttet, dass Larven und Puppen frei zu liegen kommen, so sind die Sklaven mit ihren Meistern zugleich lebhaft bemüht, dieselben nach einem sicheren Platze zu schleppen. Daraus ist klar, dass sich die Sklaven ganz heimisch fühlen. Während der Monate Juni und Juli habe ich in drei aufeinander-folgenden Jahren in den Grafschaften Surrey und Sussex mehre solcher Ameisen-Haufen Stunden-lang beobachtet und nie einen Sklaven aus- oder eingehen sehen. Da während dieser Monate der Sklaven nur wenige sind, so dachte ich sie würden sich anders benehmen, wenn sie in grössrer Anzahl wären; aber auch Hr. SMITH theilt mir mit, dass er die Nester zu verschiedenen Stunden während der Monate Mai, Juni und August in Surrey wie in Hampshire beobachtet und, obwohl die Sklaven im August zahlreich sind, nie einen derselben aus- oder eingehen gesehen hat. Er betrachtet sie daher lediglich als Haus-Sklaven. Dagegen sieht man ihre Herrn beständig Nestbau-Stoffe und Futter aller Art herbeischleppen. Im jetzigen Jahre jedoch kam ich im Juli zu einer Gemeinde mit einem ungewöhnlich starken Sklaven-Stande und sah einige wenige Sklaven unter ihre Meister gemengt das[S. 249] Nest verlassen und mit ihnen den nämlichen Weg zu einer Schottischen Kiefer, 25 Ellen entfernt, einschlagen und am Stamme hinauflaufen, wahrscheinlich um nach Blatt- oder Schild-Läusen zu suchen. Nach HUBER, welcher reichliche Gelegenheit zur Beobachtung gehabt, arbeiten in der Schweitz die Sklaven gewöhnlich mit ihren Herrn an der Aufführung des Nestes, und sie allein öffnen und schliessen die Thore in den Morgen- und Abend-Stunden; jedoch ist, wie HUBER ausdrücklich versichert, ihr Hauptgeschäft nach Blattläusen zu suchen. Dieser Unterschied in den herrschenden Gewohnheiten von Herrn und Sklaven in zweierlei Gegenden mag lediglich davon abhängen, dass in der Schweitz die Sklaven zahlreicher einzufangen sind als in England.

Eines Tages bemerkte ich glücklicherweise eine Wanderung der F. sanguinea von einem Haufen zum andern, und es war ein sehr interessanter Anblick, wie die Herrn ihre Sklaven sorgfältig zwischen ihren Kinnladen davon schleppten, anstatt selbst von ihnen getragen zu werden, wie es bei F. rufescens der Fall ist. Eines andern Tages wurde meine Aufmerksamkeit von etwa zwei Dutzend Ameisen der Sklaven-machenden Art in Anspruch genommen, welche dieselbe Stelle besuchten, doch offenbar nicht des Futters wegen. Bei ihrer Annäherung wurden sie von einer unabhängigen Kolonie der Sklaven-gebenden Art, F. fusca, zurückgetrieben, so dass zuweilen bis drei dieser letzten an den Beinen einer F. sanguinea hingen. Diese letzte tödtete ihre kleineren Gegner ohne Erbarmen und schleppte deren Leichen als Nahrung in ihr 29 Ellen entferntes Nest; aber sie wurde verhindert Puppen wegzunehmen, um sie zu Sklaven aufzuziehen. Ich entnahm dann aus einem andern Haufen der F. fusca eine geringe Anzahl Puppen und legte sie auf eine kahle Stelle nächst dem Kampfplatze nieder. Diese wurden begierig von den Tyrannen ergriffen und fortgetragen, die sich vielleicht einbildeten, doch endlich Sieger in dem letzten Kampfe gewesen zu seyn.

Gleichzeitig legte ich an derselben Stelle eine Parthie Puppen der Formica flava mit einigen wenigen reifen Ameisen dieser gelben Art nieder, welche noch an Bruchstücken ihres Nestes hingen. Auch diese Art wird zuweilen, doch selten zu Sklaven[S. 250] gemacht, wie Herr SMITH beschrieben hat. Obwohl klein ist diese Art sehr muthig, und ich habe sie mit wildem Ungestüm andre Ameisen angreifen sehen. Einmal fand ich zu meinem Erstaunen unter einem Steine eine unabhängige Kolonie der Formica flava noch unterhalb einem Neste der Sklaven-machenden F. sanguinea; und da ich zufällig beide Nester gestört hatte, so griff die kleine Art ihre grosse Nachbarin mit erstaunlichem Muthe an. Ich war nun neugierig zu erfahren, ob F. sanguinea im Stande seye, die Puppen der F. fusca, welche sie gewöhnlich zur Sklaven-Zucht verwendet, von denen der kleinen wüthenden F. flava zu unterscheiden, welche sie nur selten in Gefangenschaft führt, und es ergab sich bald, dass sie dieses Unterscheidungs-Vermögen besass; denn ich sah sie begierig und augenblicklich über die Puppen der F. fusca herfallen, während sie sehr erschrocken schien, wenn sie auf die Puppen oder auch nur auf die Erde aus dem Neste der F. flava stiess, und rasch davonrannte. Aber nach einer Viertel-Stunde etwa, kurz nachdem alle kleinen gelben Ameisen die Stelle verlassen hatten, bekamen sie Muth und griffen auch diese Puppen auf.

Eines Abends besuchte ich eine andre Gemeinde der F. sanguinea und fand eine Anzahl derselben auf dem Heimwege und beim Eingang in ihr Nest, Leichen und viele Puppen der F. fusca mit sich schleppend, also nicht auf blosser Wanderung begriffen. Ich verfolgte eine 40 Ellen lange Reihe mit Beute beladener Ameisen bis zu einem dichten Haide-Gebüsch, wo ich das letzte Individuum der F. sanguinea mit einer Puppe belastet herauskommen sah; aber das zerstörte Nest konnte ich in der dichten Haide nicht finden, obwohl es nicht mehr ferne gewesen seyn kann, indem zwei oder drei Individuen der F. fusca in der grössten Aufregung umherrannten und eines bewegungslos an der Spitze eines Haide-Zweiges hing: alle mit ihren eignen Puppen im Maul, ein Bild der Verzweiflung über ihre zerstörte Heimath.

Diess sind die Thatsachen, welche ich, obwohl sie meiner Bestätigung nicht erst bedurft hätten, über den wundersamen Sklavenmacher-Instinkt, berichten kann. Zuerst ist der grosse Gegensatz zwischen den instinktiven Gewohnheiten der F. sanguinea[S. 251] und der kontinentalen F. rufescens zu bemerken. Diese letzte baut nicht selbst ihr Nest, bestimmt nicht ihre eignen Wanderungen, sammelt nicht das Futter für sich und ihre Brut und kann nicht einmal allein fressen; sie ist absolut abhängig von ihren zahlreichen Sklaven. Die F. sanguinea dagegen hält viel weniger und zumal im ersten Theile des Sommers sehr wenige Sklaven; die Herrn bestimmen, wann und wo ein neues Nest gebaut werden soll; und wenn sie wandern, schleppen die Herrn die Sklaven. In der Schweitz wie in England scheinen die Sklaven ausschliesslich mit der Sorge für die Brut beauftragt zu seyn, und die Herrn allein gehen auf den Sklavenfang aus. In der Schweitz arbeiten Herrn und Sklaven miteinander um Nestbau-Materialien herbeizuschaffen; beide und doch vorzugsweise die Sklaven besuchen und melken, wie man es nennen könnte, ihre Aphiden, und beide sammeln Nahrung für die Gemeinschaft ein. In England verlassen die Herrn gewöhnlich allein das Nest, um Bau-Stoffe und Futter für sich, ihre Larven und Sklaven einzusammeln, so dass dieselben hier von ihren Sklaven viel weniger Dienste empfangen als in der Schweitz.

Ich will mich nicht vermessen zu errathen, auf welchem Wege der Instinkt der F. sanguinea sich entwickelt hat. Da jedoch Ameisen, welche keine Sklavenmacher sind, wie wir gesehen haben, zufällig um ihr Nest zerstreute Puppen andrer Arten heimschleppen, vielleicht um sie zur Nahrung zu verwenden, so können sich solche Puppen dort auch noch zuweilen entwickeln, und die auf solche Weise absichtslos im Haus erzognen Fremdlinge mögen dann ihren eignen Instinkten folgen und arbeiten, was sie können. Erweiset sich ihre Anwesenheit nützlich für die Art, welche sie aufgenommen hat, und sagt es dieser letzten mehr zu Arbeiter zu fangen als zu erziehen, so kann der ursprünglich zufällige Brauch fremde Puppen zur Nahrung einzusammeln durch Natürliche Züchtung verstärkt und endlich zu dem ganz verschiedenen Zwecke Sklaven zu erziehen bleibend befestigt werden. Wenn dieser Naturtrieb zur Zeit seines Ursprungs in einem noch viel minderen Grade als bei unsrer F. sanguinea entwickelt war, welche noch jetzt von ihren Sklaven weniger[S. 252] Hülfe in England als in der Schweitz empfängt, so finde ich kein Bedenken anzunehmen, Natürliche Züchtung habe dann diesen Instinkt verändert und, immer vorausgesetzt, dass jede Abänderung der Spezies nützlich gewesen, allmählich so weit abgeändert, dass endlich eine Ameisen-Art entstand in so verächtlicher Abhängigkeit von ihren eignen Sklaven, wie es F. rufescens ist.

Zellenbau-Instinkt der Korb-Bienen.) Ich beabsichtige nicht über diesen Gegenstand in kleine Einzelnheiten einzugehen, sondern will mich beschränken, eine Skizze von den Ergebnissen zu liefern, zu welchen ich gelangt bin. Es müsste ein beschränkter Mensch seyn, welcher bei Untersuchung des ausgezeichneten Baues einer Bienen-Wabe, die ihrem Zwecke so wundersam angepasst ist, nicht in begeisterte Verwunderung geriethe. Wir hören von Mathematikern, dass die Bienen praktisch ein schwieriges Problem gelöst und ihre Zellen in derjenigen Form, welche die grösst-mögliche Menge von Honig aufnehmen kann, mit dem geringst-möglichen Aufwande des kostspieligen Bau-Materiales, des Wachses nämlich, hergestellt haben. Man hat bemerkt, dass es einem geschickten Arbeiter mit passenden Maassen und Werkzeugen sehr schwer fallen würde, regelmässig sechseckige Wachs-Zellen zu machen, obwohl Diess eine wimmelnde Menge von Bienen in dunklem Korbe mit grösster Genauigkeit vollführt. Was für einen Instinkt man auch annehmen mag, so scheint es doch anfangs ganz unbegreiflich, wie derselbe solle alle nöthigen Winkel und Flächen berechnen, oder auch nur beurtheilen können, ob sie richtig gemacht sind. Inzwischen ist doch die Schwierigkeit nicht so gross, wie sie Anfangs scheint; denn all’ diess schöne Werk lässt sich von einigen wenigen sehr einfachen Naturtrieben herleiten.

Ich war diesen Gegenstand zu verfolgen durch Herrn WATERHOUSE veranlasst worden, welcher gezeigt hat, dass die Form der Zellen in enger Beziehung zur Anwesenheit von Nachbarzellen steht, und die folgende Ansicht ist vielleicht nur eine Modifikation seiner Theorie. Wenden wir uns zu dem grossen Abstufungs-Prinzipe und sehen wir zu, ob uns die Natur nicht ihre Methode zu wirken enthülle. Am einen Ende der kurzen[S. 253] Stufen-Reihe sehen wir die Hummel-Biene, welche ihre alten Coccons zur Aufnahme von Honig verwendet, indem sie ihnen zuweilen kurze Wachs-Röhren anfügt und ebenso auch einzeln abgesonderte und sehr unregelmässig abgerundete Zellen von Wachs anfertigt. Am andern Ende der Reihe haben wir die Zellen der Korbbiene, eine doppelte Schicht bildend: jede Zelle ist bekanntlich ein sechsseitiges Prisma, deren Grundfläche durch eine stumpf-dreiseitige Pyramide aus drei Rautenflächen, mit festen Winkeln ersetzt ist. Dieselben drei Rautenflächen, welche die pyramidale Basis einer Zelle in der einen Zellen-Schicht der Scheibe bilden, entsprechen je einer Rautenfläche in drei aneinanderstossenden Zellen der entgegengesetzten Schicht. Als Zwischenstufe zwischen der äussersten Vervollkommnung im Zellenbau der Korb-Biene und der äussersten Einfachheit in dem der Hummel-Biene haben wir dann die Zellen der Mexikanischen Melipona domestica, welche P. HUBER gleichfalls sorgfältig beschrieben und abgebildet hat. Diese Biene steht in ihrer Körperbildung zwischen unsrer Honig-Biene und der Hummel in der Mitte, doch der letzten näher, bildet einen fast regelmässigen wächsernen Zellen-Kuchen mit walzigen Zellen, worin die Jungen gepflegt werden, und überdiess mit einigen grossen Zellen zur Aufnahme von Honig. Diese letzten sind von ihrer freien Seite gesehen fast kreisförmig und von nahezu gleicher Grösse, in eine unregelmässige Masse zusammengefügt; am wichtigsten aber ist daran zu bemerken, dass sie so nahe aneinander gerückt sind, dass alle kreisförmigen Wände, wenn sie auch da, wo die Zellen einander stossen, ihre Kreise fortsetzten, einander schneiden oder durchsetzen müssten; daher die Wände an den aneinanderliegenden Stellen eben abgeplattet sind. Jede dieser im Ganzen genommen kreisrunden Zellen hat mithin doch 2–3 oder mehr vollkommen ebene Seitenflächen, je nachdem sie an 2–3 oder mehr andre Zellen seitlich angrenzt. Kommt eine Zelle in Berührung mit drei andern Zellen, was, da alle von fast gleicher Grösse sind, nothwendig sehr oft geschieht, so vereinigen sich die drei ebenen Flächen zu einer dreiseitigen Pyramide, welche, nach HUBER’S Bemerkung, offenbar der dreiseitigen Pyramide an[S. 254] der Basis der Zellen unsrer Korb-Biene zu vergleichen ist. Wie in den Zellen der Honigbiene, so nehmen auch hier die drei ebenen Flächen einer Zelle an der Zusammensetzung dreier andren anstossenden Zellen Theil. Es ist offenbar, dass die Melipona bei dieser Bildungs-Weise Wachs erspart; denn die Wände sind da, wo mehre solche Zellen aneinandergrenzen, nicht doppelt und nur von der Dicke wie die kreisförmigen Theile, und jedes flache Stück Zwischenwand nimmt an der Zusammensetzung zweier aneinanderstossenden Zellen Antheil.

Indem ich über diesen Fall nachdachte, kam es mir vor, als ob, wenn die Melipona ihre walzigen Zellen von gleicher Grösse in einer gegebenen gleichen Entfernung von einander gefertigt und symmetrisch in eine doppelte Schicht geordnet hätte, der dadurch erzielte Bau so vollkommen als der der Korb-Biene geworden seyn würde. Demzufolge schrieb ich an Professor MILLER in Cambridge, und dieser Geometer bezeichnet die folgende seiner Belehrung entnommene Darstellung als richtig.

Wenn eine Anzahl unter sich gleicher Kreise so beschrieben wird, dass ihre Mittelpunkte in zwei parallelen Ebenen liegen, und das Centrum eines jeden Kreises um Radius × √2 oder Radius × 1.41421 (oder weniger) von den Mittelpunkten der sechs umgebenden Kreise in derselben Schicht und eben so weit von den Centren der angrenzenden Kreise in der andren parallelen Schicht entfernt ist[28], und wenn alsdann Durchschneidungsflächen zwischen den verschiedenen Kreisen beider Schichten gebildet[S. 255] werden: — so muss sich eine doppelte Lage sechsseitiger Prismen ergeben, welche mit aus drei Rauten gebildeten dreiseitig-pyramidalen Basen aufeinanderstehen, und diese Rauten- sowie die Seiten-Flächen der sechsseitigen Prismen werden in allen Winkeln aufs Genaueste übereinstimmen, wie sie an den Wachsscheiben der Bienen nach den sorgfältigsten Messungen vorkommen. Wir können daher mit Verlässigkeit schliessen, dass, wenn wir die jetzigen noch nicht sehr ausgezeichneten Instinkte der Melipona etwas zu verbessern im Stande wären, diese einen Bau eben so wunderbar vollkommen zu liefern vermöchte, als die Korb-Biene. Stellen wir uns also vor, die Melipona mache ihre Zellen ganz kreisrund und gleich-gross, was nicht zum Verwundern seyn würde, da sie es schon in gewissem Grade thut und viele Insekten sich vollkommen walzenförmige Zellen in Holz aushöhlen, indem sie anscheinend sich um einen festen Punkt drehen. Stellen wir uns ferner vor, die Melipona ordne ihre Zellen in ebenen Lagen, wie sie es bereits mit ihren Walzen-Zellen thut. Nehmen wir ferner an (und Diess ist die grösste Schwierigkeit), sie vermöge irgend-wie genau zu beurtheilen, in welchem Abstände von ihren gleichzeitig beschäftigten Mitarbeiterinnen sie ihre kreisrunden Zellen beginnen müsse; wir sahen sie ja bereits Entfernungen hinreichend bemessen, um alle ihre Kreise so zu beschreiben, dass sie einander stark schneiden, und sahen sie dann die Schneidungs-Punkte durch vollkommen ebene Wände mit einander verbinden. Unterstellen wir endlich, was keiner Schwierigkeit unterliegt, dass wenn die sechsseitigen Prismen durch Schneidung in der nämlichen Schicht aneinanderliegender Kreise gebildet sind, sie deren Sechsecke bis zu genügender Ausdehnung verlängern könne, um den Honig-Vorrath aufzunehmen, wie die Hummel den runden Mündungen ihrer alten Coccons noch Wachs-Zylinder ansetzt. Diess sind die nicht sehr wunderbaren Modifikationen dieses Instinktes (wenigstens nicht wunderbarer als jene, die den Vogel bei seinem Nestbau leiten), durch welche, wie ich glaube, die Korb-Biene auf dem Wege Natürlicher Züchtung zu ihrer unnachahmlichen architektonischen Geschicklichkeit gelangt ist.

[S. 256]

Doch diese Theorie lässt sich durch Versuche bewähren. Nach Herrn TEGEMEIER’S Vorgange trennte ich zwei Bienen-Waben und fügte einen langen dicken rechteckigen Streifen Wachs dazwischen. Die Bienen begannen sogleich kleine kreisrunde Grübchen darin auszuhöhlen, die sie immer mehr erweiterten je tiefer sie wurden, bis flache Becken daraus entstanden, die genau kreisrund und vom Durchmesser der gewöhnlichen Zellen waren. Es war sehr ansprechend für mich zu beobachten, dass überall, wo mehre Bienen zugleich neben einander solche Aushöhlungen zu machen begannen, sie genau die richtigen Entfernungen einhielten, dass jene Becken mit der Zeit vollkommen die erwähnte Weite einer gewöhnlichen Zelle erlangten, so dass, als sie den sechsten Theil des Durchmessers des Kreises, wovon sie einen Theil bildeten, erreicht hatten, sie einander schneiden mussten. Sobald dies der Fall war, hielten die Bienen mit der weiteren Austiefung ein und begannen auf den Schneidungs-Linien zwischen den Becken ebene Wände von Wachs senkrecht aufzuführen, so dass jede sechsseitige Zelle auf den unebenen Rand eines glatten Beckens statt auf die geraden Ränder einer dreiseitigen Pyramide zu stehen kam, wie bei den gewöhnlichen Bienen-Zellen.

Ich brachte dann statt eines dicken rechteckigen Stückes Wachs einen schmalen und nur Messerrücken-dicken Wachs-Streifen, mit Cochenille gefärbt, in den Korb. Die Bienen begannen sogleich von zwei Seiten her kleine Becken nahe beieinander darin auszuhöhlen, wie zuvor; aber der Wachs-Streifen war so dünn, dass die Böden der Becken bei gleich-tiefer Aushöhlung wie vorhin von zwei entgegengesetzten Seiten her hätten ineinander brechen müssen. Dazu liessen es aber die Bienen nicht kommen, sondern hörten bei Zeiten mit der Vertiefung auf, so dass die Becken, so bald sie etwas vertieft waren, ebene Böden bekamen; und diese ebenen Böden, aus dünnen Plättchen des rothgefärbten Wachses bestehend, die nicht weiter ausgenagt wurden, kamen, so weit das Auge unterscheiden konnte, genau längs den eingebildeten Schneidungs-Ebenen zwischen den Becken der zwei entgegengesetzten Seiten des Wachs-Streifens zu liegen. Stellenweise waren kleine Anfänge, an anderen Stellen grössre[S. 257] Theile rhombischer Tafeln zwischen den einander entgegenstehenden Becken übrig geblieben; aber das Werk wurde in Folge der unnatürlichen Lage der Dinge nicht zierlich ausgeführt. Die Bienen müssen in ungefähr gleichem Verhältniss auf beiden Seiten des rothen Wachs-Streifens gearbeitet haben, als sie die kreisrunden Vertiefungen von beiden Seiten her ausnagten, um bei Einstellung der Arbeit die ebenen Boden-Plättchen auf der Zwischenwand übrig lassen zu können.

Berücksichtigt man, wie biegsam dieses Wachs ist, so sehe ich keine Schwierigkeit für die Bienen ein, es von beiden Seiten her wahrzunehmen, wenn sie das Wachs bis zur angemessenen Dünne weggenagt haben, um dann ihre Arbeit einzustellen. In gewöhnlichen Bienenwaben schien mir, dass es den Bienen nicht immer gelinge, genau gleichen Schrittes von beiden Seiten her zu arbeiten. Denn ich habe halb-vollendete Rauten am Grunde einer eben begonnenen Zelle bemerkt, die an einer Seite etwas konkav waren, wo nach meiner Vermuthung die Bienen ein wenig zu rasch vorgedrungen waren, und auf der anderen Seite konvex erschienen, wo sie träger in der Arbeit gewesen. In einem sehr ausgezeichneten Falle der Art brachte ich die Wabe in den Korb zurück, liess die Bienen kurze Zeit daran arbeiten, und nahm sie darauf wieder heraus, um die Zellen aufs Neue zu untersuchen. Ich fand dann die Rauten-förmigen Platten ergänzt und von beiden Seiten vollkommen eben. Es war aber bei der ausserordentlichen Dünne der rhombischen Plättchen unmöglich gewesen, Diess durch ein weiteres Benagen von der konvexen Seite her zu bewirken, und ich vermuthe, dass die Bienen in solchen Fällen von den entgegengesetzten Zellen aus das biegsame und warme Wachs (was nach einem Versuche leicht geschehen kann) in die zukömmliche mittle Ebene gedrückt und gebogen haben, bis es flach wurde.

Aus dem Versuche mit dem roth-gefärbten Streifen ist klar zu ersehen, dass, wenn die Bienen eine dünne Wachs-Wand zur Bearbeitung vor sich haben, sie ihre Zellen von angemessener Form machen können, indem sie sich in richtigen Entfernungen von einander halten, gleichen Schritts mit der Austiefung vorrücken,[S. 258] und gleiche runde Höhlen machen, ohne jedoch deren Zwischenwände zu durchbrechen. Nun machen die Bienen, wie man bei Untersuchung des Randes einer in umfänglicher Zunahme begriffenen Honigwabe deutlich erkennt, eine rauhe Einfassung oder Wand rund um die Wabe, und nagen darin von den entgegengesetzten Seiten ihre Zellen aus, indem sie mit deren Vertiefung auch den kreisrunden Umfang erweitern. Sie machen nie die ganze dreiseitige Pyramide des Bodens einer Zelle auf einmal, sondern nur die eine der drei rhombischen Platten, welche dem äussersten in Zunahme begriffenen Rande entspricht, oder auch die zwei Platten, wie es die Lage mit sich bringt. Auch ergänzen sie nie die oberen Ränder der rhombischen Platten, als bis die sechsseitige Zellenwand angefangen wird. Einige dieser Angaben weichen von denen des mit Recht berühmten älteren HUBER ab, aber ich bin überzeugt, dass sie richtig sind; und wenn es der Raum gestattete, so würde ich zeigen, dass sie so mit meiner Theorie in Einklang stehen.

HUBER’S Behauptung, dass die allererste Zelle in einer nicht vollkommen parallel-seitigen Wachs-Wand ausgehöhlt worden, ist, so viel ich gesehen, nicht ganz richtig: der erste Anfang war immer eine kleine Haube von Wachs; doch will ich in diese Einzelnheiten hier nicht eingehen. Wir sehen, was für einen wichtigen Antheil die Aushöhlung an der Zellen-Bildung hat; doch wäre es ein grosser Fehler anzunehmen, die Bienen könnten auf eine rauhe Wachs-Wand nicht in geeigneter Lage, d. h. längs der Durchschnitts-Ebene zwischen zwei aneinandergrenzenden Kreisen bauen. Ich habe verschiedene Musterstücke, welche beweisen, dass sie Diess können. Selbst in dem rohen umfänglichen Wachs-Rande rund um eine in Zunahme begriffene Wabe beobachtet man zuweilen Krümmungen, welche ihrer Lage nach den Ebenen der rautenförmigen Grund-Platten künftiger Zellen entsprechen. Aber in allen Fällen muss die rauhe Wachs-Wand durch Wegnagung ansehnlicher Theile derselben von beiden Seiten her ausgearbeitet werden. Die Art, wie die Bienen bauen, ist sonderbar. Sie machen immer die erste rohe Wand zehn bis zwanzig mal dicker, als die äusserst feine Scheidewand, die[S. 259] zuletzt zwischen den Zellen übrig bleiben soll. Wir werden besser verstehen, wie sie zu Werke gehen, wenn wir uns denken, Maurer häuften zuerst einen breiten Zäment-Wall auf, begännen dann am Boden denselben von zwei Seiten her gleichen Schrittes, bis noch eine dünne Wand in der Mitte, wegzuhauen und häuften das Weggehauene mit neuem Zäment immer wieder auf dem Rücken des Walles an. Wir haben dann eine dünne stetig in die Höhe wachsende Wand, die aber stets noch überragt ist von einem dicken rohen Wall. Da alle Zellen, die erst angefangenen sowohl als die schon fertigen, auf diese Weise von einer starken Wachs-Masse gekrönt sind, so können sich die Bienen auf der Wabe zusammenhäufen und herumtummeln, ohne die zarten sechseckigen Zellen-Wände zu beschädigen, welche nach Professor MILLER’S Mittheilung im Mittel am Rande der Wabe 1⁄353″, an den Platten der Grund-Pyramide aber 1⁄229″ dick sind. Durch diese eigenthümliche Weise zu bauen erhält die Wabe fortwährend die erforderliche Stärke mit der grösst-möglichen Ersparung von Wachs.

Anfangs scheint die Schwierigkeit, die Anfertigungs-Weise der Zellen zu begreifen, noch dadurch vermehrt zu werden, dass eine Menge von Bienen gemeinsam arbeiten, indem jede, wenn sie eine Zeit lang an einer Zelle gearbeitet hat, an eine andre geht, so dass, wie Huber bemerkt, ein oder zwei Dutzend Individuen sogar am Anfang der ersten Zelle sich betheiligen. Es ist mir möglich gewesen, diese Thatsache zu bestätigen, indem ich die Ränder der sechsseitigen Wand einer einzelnen Zelle oder den äussersten Rand der Umfassungs-Wand einer im Wachsthum begriffenen Wabe mit einer äusserst dünnen Schicht flüssigen roth-gefärbten Wachses überzog und dann jedesmal fand, dass die Bienen diese Farbe auf die zarteste Weise, wie es kein Maler zarter mit seinem Pinsel vermocht hätte, vertheilten, indem sie Atome des gefärbten Wachses von ihrer Stelle entnahmen und ringsum in die zunehmenden Zellen-Ränder verarbeiteten. Diese Art zu bauen kömmt mir vor, wie ein Wetteifer zwischen vielen Bienen einander das Gleichgewicht zu halten, indem alle Instinkt-gemäss in gleichen Entfernungen von[S. 260] einander stehen, und alle gleiche Kreise um sich zu beschreiben suchen, dann aber die Durchschnitts-Ebenen zwischen diesen Kreisen entweder aufzubauen oder unbenagt zu lassen. Es war in der That eigenthümlich anzusehen, wie manchmal in schwierigen Fällen, wenn z. B. zwei Stücke einer Wabe unter irgend einem Winkel aneinanderstiessen, die Bienen dieselbe Zelle wieder niederrissen und in andrer Art herstellten, mitunter auch zu einer Form zurückkehrten, die sie schon einmal verworfen hatten.

Wenn Bienen einen Platz haben, wo sie in zur Arbeit angemessener Haltung stehen können, — z. B auf einem Holz-Stückchen gerade unter der Mitte einer abwärts wachsenden Wabe, so dass die Wabe über eine Seite des Holzes gebaut werden muss, — so können sie den Grund zu einer Wand eines neuen Sechsecks legen, so dass es genau am gehörigen Platze unter den andern fertigen Zellen vorragt. Es genügt, dass die Bienen im Stande sind, in zukömmlicher Entfernung von einander und von den Wänden der zuletzt vollendeten Zellen zu stehen, und dann können sie, nach Maassgabe der eingebildeten Kreise, eine Zwischenwand zwischen zwei benachbarten Zellen aufführen; aber, so viel ich gesehen, arbeiten sie niemals die Ecken einer Zelle scharf aus, als bis ein grosser Theil sowohl dieser als der anstossenden Zellen fertig ist. Dieses Vermögen der Bienen unter gewissen Verhältnissen an angemessener Stelle zwischen zwei soeben angefangenen Zellen eine rauhe Wand zu bilden ist wichtig, weil es eine Thatsache erklärt, welche anfänglich die vorangehende Theorie mit gänzlichem Umsturze bedrohete, nämlich dass die Zellen auf der äussersten Kante einer Bienen-Wabe zuweilen genau sechseckig sind; inzwischen habe ich hier nicht Raum auf diesen Gegenstand einzugehen. Dann scheint es mir auch keine grosse Schwierigkeit mehr darzubieten, dass ein einzelnes Insekt (wie es bei der Bienenkönigin z. B. der Fall ist) sechskantige Zellen baut, wenn es nämlich abwechselnd an der Aussen- und der Innen-Seite von zwei oder drei gleichzeitig angefangenen Zellen arbeitet und dabei immer in der angemessenen Entfernung von den Theilen der eben begonnenen Zellen steht, Kreise um sich beschreibt und in den Schneidungs-Ebenen[S. 261] Zwischenwände aufführt. Auch ist es zu begreifen, dass ein Insekt, indem es seinen Platz am Anfangs-Punkte einer Zelle einnimmt, und sich von da auswärts zuerst nach einem und dann nach fünf andern Punkten in angemessenen Entfernungen von einander und vom Mittelpunkte wendet, der Richtung der Schneidungs-Ebenen folgt und so ein einzelnes Sechseck zuwegebringt; doch ist mir nicht bekannt, dass ein Fall dieser Art beobachtet worden wäre, wie denn auch aus der Erbauung einer einzeln-stehenden sechseckigen Zelle dem Insekt kein Vortheil entspränge, indem dieselbe mehr Bau-Material als ein Zylinder erheischen würde.

Da Natürliche Züchtung nur durch Häufung geringer Abweichungen des Baues oder Instinktes wirkt, welche alle dem Individuum in seinen Lebens-Verhältnissen nützlich sind, so mag man vernünftiger Weise fragen, welchen Nutzen eine lange und stufenweise Reihenfolge von Abänderungen des Bau-Triebes in der zu seiner jetzigen Vollkommenheit führenden Richtung der Stamm-Form unsrer Honig-Bienen habe bringen können? Ich glaube, die Antwort ist nicht schwer. Es ist bekannt, dass Bienen oft in grosser Noth sind, genügenden Nektar aufzutreiben; und ich habe von Herrn TEGETMEIER erfahren, dass er durch Versuche ermittelt habe, dass nicht weniger als 12–15 Pfund trocknen Zuckers zur Sekretion von jedem Pfund Wachs in einem Bienen-Korbe verbraucht werden, daher eine überschwängliche Menge flüssigen Honigs eingesammelt und von den Bienen eines Stockes verzehrt werden muss, um das zur Erbauung ihrer Waben nöthige Wachs zu erhalten. Überdiess muss eine grosse Anzahl Bienen während des Sekretions-Prozesses viele Tage lang unbeschäftigt bleiben. Ein grosser Honig-Vorrath ist ferner nöthig für den Unterhalt eines starken Stockes über Winter, und es ist bekannt, dass die Sicherheit desselben hauptsächlich gerade von seiner Stärke abhängt. Daher Ersparniss von Wachs eine grosse Ersparniss von Honig veranlasst und eine wesentliche Bedingniss des Gedeihens einer Bienen-Familie ist. Für gewöhnlich mag der Erfolg einer Bienen-Art von der Zahl ihrer Parasiten und andrer Feinde oder von ganz andern Ursachen bedingt[S. 262] und in soferne von der Menge des Honigs unabhängig seyn, welche die Bienen einsammeln können. Nehmen wir aber an, diess Letzte seye doch wirklich der Fall, wie in der That oft die Menge der Hummel-Bienen in einer Gegend davon bedingt ist, und nehmen wir ferner an (was in Wirklichkeit nicht so ist), ihre Gemeinde durchlebe den Winter und verlange mithin einen Honig-Vorrath, so wäre es in diesem Falle für unsre Hummel-Bienen gewiss ein Vortheil, wenn eine geringe Veränderung ihres Instinktes sie veranlasste, ihre Wachs-Zellen etwas näher an einander zu machen, so dass sich deren kreisrunden Wände etwas schnitten; denn eine jede zweien aneinanderstossenden Zellen gemeinsam dienende Zwischenwand müsste etwas Wachs ersparen. Es würde daher ein zunehmender Vortheil für unsre Hummeln seyn, wenn sie ihre Zellen immer regelmässiger machten, immer näher zusammenrückten und immer mehr zu einer Masse vereinigten, wie Melipona, weil alsdann ein grosser Theil der eine jede Zelle begrenzenden Wand auch andern Zellen zur Begrenzung dienen und viel Wachs erspart werden würde. Aus gleichem Grunde würde es für die Melipona vortheilhaft seyn, wenn sie ihre walzenförmigen Zellen noch näher zusammenrückte und noch regelmässiger als jetzt machte, weil dann, wie wir gesehen haben, die kreisförmigen Wände gänzlich verschwinden und durch ebene Zwischen-Wände ersetzt werden müssten, wo dann die Melipona eine so vollkommene Wabe als die Honig-Biene liefern würde. Aber über diese Stufe hinaus kann Natürliche Züchtung den Bau-Trieb nicht mehr vervollkommnen, weil die Wabe der Honig-Biene, so viel wir einsehen können, hinsichtlich der Wachs-Ersparniss unbedingt vollkommen ist.

So kann nach meiner Meinung der wunderbarste aller bekannten Instinkte, der der Honig-Biene, durch die Annahme erklärt werden, Natürliche Züchtung habe allmählich eine Menge kleiner Abänderungen einfachrer Naturtriebe benützt; sie habe auf langsamen Stufen die Bienen geleitet, in einer doppelten Schicht gleiche Kreise in gegebenen Entfernungen von einander zu ziehen und das Wachs längs ihrer Durchschnitts-Ebenen aufzuschichten und auszuhöhlen, wenn auch die Bienen selbst von[S. 263] den bestimmten Abständen ihrer Kreise von einander eben so wenig als von den Winkeln ihrer Sechsecke und den Rautenflächen am Boden ein Bewusstseyn haben. Die treibende Ursache des Prozesses der Natürlichen Züchtung war Ersparniss an Wachs, genügende Stärke der Zellen, und deren geeignete Form und Grösse für die Larven. Der einzelne Schwarm, welcher die besten Zellen machte und am wenigsten Honig zur Sekretion von Wachs bedurfte, gedieh am besten und vererbte seinen neu-erworbenen Ersparniss-Trieb auf spätre Schwärme, welche dann ihrerseits wieder die meiste Wahrscheinlichkeit des Erfolges in dem Kampfe um’s Daseyn hatten.

Man hat auf die vorangehende Anschauungs-Weise über die Entstehung des Instinktes erwidert, dass Abänderung von Körperbau und Instinkt gleichzeitig und in genauem Verhältnisse zu einander erfolgt seyn müssen, weil eine Abänderung des einen ohne entsprechenden Wechsel des andern den Thieren hätte verderblich werden müssen. Die Stärke dieses Einwandes scheint jedoch gänzlich auf der Annahme zu beruhen, dass die beiderlei Veränderungen in Struktur und Instinkt plötzlich erfolgten: Kommen wir zur Erläuterung des Falles auf die Kohlmeise (Parus major) zurück, von welcher im letzten Kapitel die Rede gewesen. Dieser Vogel hält oft auf einem Zweige sitzend Eiben-Saamen zwischen seinen Füssen und hämmert darauf los bis er zum Kerne gelangt. Welche besondere Schwierigkeit könnte nun für die Natürliche Züchtung in der Erhaltung aller geringeren Abänderungen des Schnabels liegen, welche ihn zum Aufhacken der Saamen immer besser geeignet machten, bis er endlich für diesen Zweck so wohl gebildet wäre, wie der des Nusspickers (Sitta), während zugleich die erbliche Gewohnheit, oder Mangel an andrem Futter, oder zufällige Veränderungen des Geschmacks aus dem Vogel mehr und mehr einen ausschliesslichen Körnerfresser werden liessen? Es ist hier angenommen, dass durch Natürliche Züchtung der Schnabel nach, aber in Zusammenhang mit, dem langsamen Wechsel der Gewohnheit verändert worden seye. Lasse man aber nun auch noch die Füsse der Kohlmeise sich verändern und in Correlation mit dem Schnabel oder aus irgend einer andern[S. 264] Ursache sich vergrössern, so bleibt es doch sehr unwahrscheinlich, dass diese grösseren Füsse den Vogel auch mehr und mehr zum Klettern verleiten, bis er auch die merkwürdige Neigung und Fähigkeit des Kletterns wie der Nusspicker erlangt. In diesem Falle würde denn ein stufenweiser Wechsel des Körper-Baues zu einer Veränderung von Instinkt und Lebens-Weise führen. — Nehmen wir einen andern Fall an. Wenige Instinkte sind merkwürdiger als derjenige, welcher die Schwalbe der Ostbritischen Inseln veranlasst ihr Nest ganz aus verdicktem Speichel zu machen. Einige Vögel bauen ihr Nest aus durchspeicheltem Schlamm, und eine Nordamerikanische Schwalben-Art sah ich ihr Nest aus Reisern mit Speichel und selbst mit Flocken von dieser Substanz zusammenkitten. Ist es dann nun so unwahrscheinlich, dass Natürliche Züchtung mittelst einzelner Schwalben-Individuen, welche mehr und mehr Speichel absondern, endlich zu einer Art geführt habe, welche mit Vernachlässigung aller andern Bau-Stoffe ihr Nest allein aus verdichtetem Speichel bildete? Und so in andern Fällen. Man muss zugeben, dass wir in vielen Fällen gar keine Vermuthung darüber haben können, ob Instinkt oder Körper-Bau zuerst sich zu ändern begonnen habe; — noch vermögen wir zu errathen, durch welche Abstufungen hindurch viele Instinkte sich haben entwickeln müssen, wenn sie sich auf Organe beziehen, über deren ersten Anfänge (wie z. B. der Brustzitze) wir gar nichts wissen.

Ohne Zweifel liessen sich noch viele schwer erklärbare Instinkte meiner Theorie Natürlicher Züchtung entgegenhalten: Fälle, wo sich die Veranlassung zur Entstehung eines Instinktes nicht einsehen lässt; Fälle, wo keine Zwischenstufen bekannt sind; Fälle von anscheinend so unwichtigen Instinkten, dass kaum abzusehen, wie sich die Natürliche Züchtung an ihnen betheiligt haben könne; Fälle von fast gleichen Instinkten bei Thieren, welche auf der Stufenleiter der Natur so weit auseinander stehen, dass sich deren Übereinstimmung nicht durch Ererbung von einer gemeinsamen Stamm-Form erklären lässt, sondern von einander unabhängigen Züchtungs-Thätigkeiten zugeschrieben werden muss. Ich will hier nicht auf diese mancherlei Fälle eingehen, sondern[S. 265] nur bei einer besondern Schwierigkeit stehen bleiben, welche mir anfangs unübersteiglich und meiner ganzen Theorie verderblich zu seyn schien. Ich will von den geschlechtlosen Individuen oder unfruchtbaren Weibchen der Insekten-Kolonien sprechen; denn diese Geschlechtlosen weichen sowohl von den Männchen als den fruchtbaren Weibchen in Bau und Instinkt oft sehr weit ab und können doch, weil sie steril sind, ihre eigenthümliche Beschaffenheit nicht selbst durch Fortpflanzung weiter übertragen.

Dieser Gegenstand würde sich zu einer weitläufigen Erörterung eignen; doch will ich hier nur einen einzelnen Fall herausheben, die Arbeits-Ameisen. Anzugeben wie diese Arbeiter steril geworden sind, ist eine grosse Schwierigkeit, doch nicht grösser als bei andren auffälligen Abänderungen in der Organisation auch. Denn es lässt sich nachweisen, dass einige Sechsfüsser u. a. Kerbthiere im Natur-Zustande zuweilen unfruchtbar werden; und falls Diess nun bei gesellig lebenden Arten vorgekommen und es der Gemeinde vortheilhaft gewesen ist, dass jährlich eine Anzahl zur Arbeit geschickter aber zur Fortpflanzung untauglicher Individuen unter ihnen geboren werde, so dürfte keine grosse Schwierigkeit für die Natürliche Züchtung mehr stattgefunden haben, jenen Zufall zur weitern Entwickelung dieser Anlage zu benützen. Doch muss ich über dieses vorläufige Bedenken hinweggehen. Die Grösse der Schwierigkeit liegt darin, dass diese Arbeiter sowohl von den männlichen wie von den weiblichen Ameisen auch in ihrem übrigen Bau, in der Form des Bruststückes, in dem Mangel der Flügel und zuweilen der Augen, so wie in ihren Instinkten weit abweichen. Was den Instinkt allein betrifft, so hätte sich die wunderbare Verschiedenheit, welche in dieser Hinsicht zwischen den Arbeiterinnen und den fruchtbaren Weibchen ergibt, noch weit besser bei den Honig-Bienen[29] nachweisen lassen. Wäre eine Arbeits-Ameise oder ein andres Geschlecht-loses Insekt ein Thier in seinem gewöhnlichen Zustande,[S. 266] so würde ich unbedenklich angenommen haben, dass alle seine Charaktere durch Natürliche Züchtung entwickelt worden seyen, und dass namentlich, wenn ein Individuum mit irgend einer kleinen Nutz-bringenden Abweichung des Baues geboren worden wäre, sich diese Abweichung auf dessen Nachkommen vererbt habe, welche dann ebenfalls variirten und bei weiterer Züchtung voranstunden. In der Arbeits-Ameise aber haben wir ein von seinen Ältern weit abweichendes Insekt, unbedingt unfruchtbar, welches daher zufällige Abänderungen des Baues nie ererbt haben noch auf eine Nachkommenschaft weiter vererben kann. Man muss daher fragen, wie es möglich seye, diesen Fall mit der Theorie Natürlicher Züchtung in Einklang zu bringen?

Erstens können wir mit unzähligen Beispielen sowohl unter unsern kultivirten als unter den natürlichen Erzeugnissen belegen, dass Struktur-Verschiedenheiten aller Arten mit gewissen Altern oder mit nur einem der zwei Geschlechter in eine feste Wechselbeziehung getreten sind. Wir haben Abänderungen, die in solcher Wechselbeziehung nicht allein mit nur dem einen Geschlechte, sondern sogar mit bloss der kurzen Jahreszeit stehen, wo das Reproductiv-System thätig ist, wie das hochzeitliche Kleid vieler Vögel und der Haken-förmige Unterkiefer des Salmen. Wir haben auch geringe Unterschiede in den Hörnern einiger Rinds-Rassen, welche mit einem künstlich unvollkommenen Zustande des männlichen Geschlechtes stehen; denn die Ochsen haben in manchen Rassen längre Hörner als in andern, in Vergleich zu denen ihrer Bullen oder Kühe. Ich finde daher keine wesentliche Schwierigkeit darin, dass ein Charakter mit dem unfruchtbaren Zustande gewisser Mitglieder von Insekten-Gemeinden in Correlation steht; die Schwierigkeit liegt nur darin zu begreifen, wie solche in Wechselbeziehung stehende Abänderungen des Baues durch Natürliche Züchtung langsam gehäuft werden konnten.

Diese anscheinend unüberwindliche Schwierigkeit wird aber bedeutend geringer oder verschwindet, wie ich glaube, gänzlich, wenn wir bedenken, dass Züchtung ebensowohl bei der Familie als bei den Individuen anwendbar ist und daher zum erwünschten[S. 267] Ziele führen kann. So wird eine wohl-schmeckende Gemüse-Sorte gekocht, und diess Individuum ist zerstört; aber der Gärtner säet Saamen vom nämlichen Stock und erwartet mit Zuversicht wieder nahezu dieselbe Varietät zu ärndten. Rindvieh-Züchter wünschen das Fleisch vom Fett gut durchwachsen. Das Thier ist geschlachtet worden, aber der Züchter wendet sich mit Vertrauen wieder zur nämlichen Familie. Ich habe solchen Glauben an die Macht der Züchtung, dass ich nicht bezweifle, dass eine Rinder-Rasse, welche stets Ochsen mit ausserordentlich langen Hörnern liefert, langsam gezüchtet werden könne durch sorgfältige Anwendung von solchen Bullen und Kühen, die, miteinander gepaart, Ochsen mit den längsten Hörnern geben, obwohl nie ein Ochse selbst diese Eigenschaft auf Nachkommen zu übertragen im Stande ist. So mag es wohl auch mit geselligen Insekten gewesen seyn, eine kleine Abänderung im Bau oder Instinkt, welche mit der unfruchtbaren Beschaffenheit gewisser Mitglieder der Gemeinde in Zusammenhang steht, hat sich für die Gemeinde nützlich erwiesen, in Folge dessen die fruchtbaren Männchen und Weibchen derselben besser gediehen und auf ihre fruchtbaren Nachkommen eine Neigung übertrugen, unfruchtbare Glieder mit gleicher Abänderung hervorzubringen. Und ich glaube, dass dieser Vorgang oft genug wiederholt worden ist, bis diese Verschiedenheit zwischen den fruchtbaren und unfruchtbaren Weibchen einer Spezies zu der wunderbaren Höhe gedieh, wie wir sie jetzt bei vielen gesellig lebenden Insekten wahrnehmen.

Aber es gibt noch eine grössere Schwierigkeit, die wir bis jetzt nicht berührt haben, indem die Geschlechtlosen bei mehren Ameisen-Arten nicht allein von den fruchtbaren Männchen und Weibchen, sondern auch noch untereinander selbst in oft unglaublichem Grade abweichen und danach in 2–3 Kasten getheilt werden. Diese Kasten gehen in der Regel nicht in einander über, sondern sind vollkommen getrennt, so verschieden von einander, wie es sonst zwei Arten einer Sippe oder zwei Sippen einer Familie zu seyn pflegen. So kommen bei Eciton arbeitende und kämpfende Individuen mit ausserordentlich verschiedenen Kinnladen und Instinkten vor; bei Cryptocerus tragen die Arbeiter der[S. 268] einen Kaste allein eine wunderbare Art von Schild an ihrem Kopfe, dessen Zweck ganz unbekannt ist. Bei den Mexikanischen Myrmecocystus verlassen die Arbeiter der einen Kaste niemals das Nest; sie werden durch die Arbeiter einer andern Kaste gefüttert und haben ein ungeheuer entwickeltes Abdomen, das eine Art Honig absondert, der die Stelle desjenigen vertritt, welchen unsre Ameisen durch das Melken der Blattläuse erlangen; die Mexikanischen gewinnen ihn von Individuen ihrer eignen Art, die sie als „Kühe“ im Hause eingestellt halten.

Man mag in der That denken, dass ich ein übermässiges Vertrauen in das Prinzip der Natürlichen Züchtung setze, wenn ich nicht zugebe, dass so wunderbare und wohl-begründete Thatsachen meine Theorie auf einmal gänzlich vernichten. In dem einfacheren Falle, wo Geschlecht-lose Ameisen nur von einer Kaste vorkommen, die nach meiner Meinung durch Natürliche Züchtung ganz leicht von den fruchtbaren Männchen und Weibchen abgetrennt worden seyn können, in diesem Falle dürfen wir aus der Analogie mit gewöhnlichen Abänderungen zuversichtlich schliessen, dass jede geringe nützliche spätre Abweichung nicht alsbald an allen Geschlecht-losen Individuen eines Nestes zugleich, sondern nur an einigen wenigen zum Vorschein kam, und dass erst in Folge lang-fortgesetzter Züchtung fruchtbarer Ältern, welche die meisten Geschlechtlosen mit der nutzbaren Abänderung erzeugen konnten, die Geschlechtlosen endlich alle diesen gewünschten Charakter erlangten. Nach dieser Ansicht müsste man auch im nämlichen Neste zuweilen noch Geschlecht-lose Individuen derselben Insekten-Art finden, welche Zwischenstufen der Körper-Bildung darstellen; und diese findet man in der That und zwar, wenn man berücksichtigt, wie selten in Europa diese Geschlechtlosen näher untersucht werden, oft genug. Herr F. SMITH hat gezeigt, wie erstaunlich dieselben bei den verschiedenen Englischen Ameisen-Arten in der Grösse und mitunter in der Form variiren, und dass selbst die äussersten Formen zuweilen vollständig durch aus demselben Neste entnommene Individuen unter einander verkettet werden können. Ich selbst[S. 269] habe vollkommene Stufenreihen dieser Art miteinander vergleichen können. Oft geschieht es, dass die grösseren oder die kleineren Arbeiter die zahlreicheren sind, oft auch sind beide gleich zahlreich mit einer mittlen Abstufung. Formica flava hat grössre und kleinere Arbeiter mit einigen von mittler Grösse; und bei dieser Art haben nach Herrn SMITH’S Beobachtung die grösseren Arbeiter einfache Augen (Ocelli), welche, wenn auch klein, doch deutlich zu beobachten sind, während die Ocellen der kleineren nur rudimentär erscheinen. Nachdem ich verschiedene Individuen dieser Arbeiter sorgfältig zerlegt habe, kann ich versichern, dass die Ocellen der letzten weit rudimentärer sind, als nach ihrer Grösse allein zu erwarten gewesen wäre, und ich glaube fest, wenn ich es auch nicht für gewiss zu behaupten wage, dass die Arbeiter von mittler Grösse auch Ocellen von mittlem Vollkommenheits-Grade besitzen. Es gibt daher zwei Gruppen steriler Arbeiter in einem Neste, welche nicht allein in der Grösse, sondern auch in den Gesichts-Organen von einander abweichen und durch einige wenige Glieder von mittler Beschaffenheit miteinander verbunden werden. Ich könnte nun noch weiter gehen und sagen, dass wenn die kleineren die nützlicheren für den Haushalt der Gemeinde gewesen wären und demzufolge immer diejenigen Männchen und Weibchen, welche die kleineren Arbeiter liefern, bei der Züchtung das Übergewicht gewonnen hätten, bis alle Arbeiter einerlei Beschaffenheit erlangten, wir eine Ameisen-Art haben müssten, deren Geschlecht-losen fast wie bei Myrmica beschaffen wären. Denn die Arbeiter von Myrmica haben nicht einmal Augen-Rudimente, obwohl deren Männchen und Weibchen wohl entwickelte Ocellen besitzen.

Ich will noch ein andres Beispiel anführen. Ich erwartete so zuversichtlich, Abstufungen in wesentlichen Theilen des Körper-Baues zwischen den verschiedenen Kasten der Geschlecht-losen in einer nämlichen Art zu finden, dass ich mir gerne Hrn. F. SMITH’S Anerbieten zahlreicher Exemplare der Treiber-Ameise (Anomma) aus West-Afrika zu Nutz’ machte. Der Leser wird vielleicht die Grösse des Unterschiedes zwischen deren Arbeitern am besten bemessen, wenn ich ihm nicht die wirklichen Ausmessungen,[S. 270] sondern eine streng genaue Vergleichung mittheile. Die Verschiedenheit ist eben so gross, als ob wir eine Reihe von Arbeitsleuten ein Haus bauen sähen, von welchen viele nur fünf Fuss vier Zoll hoch und viele andre bis sechszehn Fuss gross wären (1 : 3); dann müssten wir aber noch unterstellen, dass die grösseren vier- statt drei-mal so grosse Köpfe als die kleineren und fast fünfmal so grosse Kinnladen hätten. Überdiess ändern die Kinnladen dieser Arbeiter wunderbar in Form, in Grösse und in der Zahl der Zähne ab. Aber die für uns wichtigste Thatsache ist, dass, obwohl man diese Arbeiter in Kasten von verschiedener Grösse unterscheiden kann, sie doch unmerklich in einander übergehen, wie es auch mit der so weit auseinander weichenden Bildung ihrer Kinnladen der Fall ist. Ich kann mit Zuversicht über diesen letzten Punkt sprechen, da Hr. LUBBOCK Zeichnungen dieser Kinnlade mit der Camera lucida für mich angefertigt hat, welche ich von den Arbeitern verschiedener Grösse abgelöst hatte.

Mit diesen Thatsachen vor mir glaube ich, dass Natürliche Züchtung auf die fruchtbaren Ältern wirkend Arten zu bilden im Stande ist, welche regelmässig auch ungeschlechtliche Individuen hervorbringen, die entweder alle eine ansehnliche Grösse und gleich beschaffene Kinnladen haben, oder welche alle klein und mit Kinnladen von sehr veränderlicher Bildung versehen sind, oder welche endlich (und Diess ist die Hauptschwierigkeit) zwei Gruppen von verschiedener Beschaffenheit darstellen, wovon die eine von gleicher Grösse und Bildung und die andre in beiderlei Hinsicht veränderlich ist, beide aus einer anfänglichen Stufenreihe wie bei Anomma hervorgegangen, wovon aber die zwei äussersten Formen, soferne sie für die Gemeinde die nützlichsten sind, durch Natürliche Züchtung der sie erzeugenden Ältern immer zahlreicher überwiegend werden, bis die Zwischenstufen gänzlich verschwinden.

So ist nach meiner Meinung die wunderbare Erscheinung von zwei streng begrenzten Kasten unfruchtbarer Arbeiter in einerlei Nest zu erklären, welche beide weit voneinander und von ihren Ältern verschieden sind. Es lässt sich annehmen,[S. 271] dass ihre Hervorbringung für eine soziale Insekten-Gemeinde nach gleichem Prinzipe, wie die Theilung der Arbeit für die zivilisirten Menschen, nützlich geworden seye. Die Ameisen arbeiten jedoch mit ererbten Instinkten und mit ererbten Organen und Werkzeugen und nicht mit erworbenen Kenntnissen und fabrizirtem Geräthe wie der Mensch. Aber ich bin zu bekennen genöthigt, dass ich bei allem Vertrauen in die Natürliche Züchtung doch, ohne die vorliegenden Thatsachen zu kennen, nie geahnt haben würde, dass dieses Prinzip sich in so hohem Grade wirksam erweisen könne. Ich habe desshalb auch diesen Gegenstand mit etwas grössrer, obwohl noch ganz ungenügender Ausführlichkeit abgehandelt, um daran die Macht Natürlicher Züchtung zu zeigen und weil er in der That die ernsteste spezielle Schwierigkeit für meine Theorie darbietet. Auch ist der Fall darum sehr interessant, weil er zeigt, dass sowohl bei Thieren als bei Pflanzen jeder Betrag von Abänderung in der Structur durch Häufung vieler kleinen und anscheinend zufälligen Abweichungen von irgend welcher Nützlichkeit, ohne alle Unterstützung durch Übung und Gewohnheit, bewirkt werden kann. Denn keinerlei Grad von Übung, Gewohnheit und Willen in den gänzlich unfruchtbaren Gliedern einer Gemeinde vermöchte die Bildung oder Instinkte der fruchtbaren Glieder, welche allein die Nachkommenschaft liefern, zu beeinflussen. Ich bin erstaunt, dass noch Niemand den lehrreichen Fall der Geschlecht-losen Insekten der wohlbekannten Lehre LAMARCK’S von den ererbten Gewohnheiten entgegengesetzt hat.

Zusammenfassung.) Ich habe in diesem Kapitel versucht kürzlich zu zeigen, dass die Geistes-Fähigkeiten unsrer Hausthiere abändern, und dass diese Abänderungen vererblich sind. Und in noch kürzrer Weise habe ich darzuthun gestrebt, dass Instinkte im Natur-Zustande etwas abändern. Niemand wird bestreiten, dass Instinkte von der höchsten Wichtigkeit für jedes Thier sind. Ich sehe daher keine Schwierigkeit, warum unter veränderten Lebens-Bedingungen Natürliche Züchtung nicht auch im Stande gewesen seyn sollte, kleine Abänderungen des Instinktes in einer nützlichen Richtung bis zu jedem Betrag zu häufen. In einigen[S. 272] Fällen haben Gewohnheit, Gebrauch und Nichtgebrauch wahrscheinlich mitgewirkt. Ich glaube nicht durch die in diesem Abschnitte mitgetheilten Thatsachen meine Theorie in irgend einer Weise zu stützen; doch ist nach meiner besten Überzeugung auch keine dieser Schwierigkeiten im Stande sie umzustossen. Auf der andern Seite aber eignen sich die Thatsachen, dass Instinkte nicht immer vollkommen und noch Missdeutungen unterworfen sind, — dass kein Instinkt zum ausschliesslichen Vortheil eines andern Thieres vorhanden ist, wenn auch jedes Thier von Instinkten andrer Nutzen zieht, — dass der naturhistorische Glaubenssatz „Natura non facit saltum“ ebensowohl auf Instinkte als auf körperliche Bildung anwendbar und aus den vorgetragenen Ansichten eben so erklärlich als auf andre Weise unerklärbar ist: alle diese Thatsachen eignen sich die Theorie der Natürlichen Züchtung zu befestigen.

Diese Theorie wird noch durch einige andre Erscheinungen hinsichtlich der Instinkte bestärkt. So durch die gemeine Beobachtung, dass einander nahe verwandte aber sicherlich verschiedene Spezies, wenn sie von einander entfernte Welttheile bewohnen und unter beträchtlich verschiedenen Existenz-Bedingungen leben, doch oft fast dieselben Instinkte beibehalten. So z. B. lässt sich aus dem Erblichkeits-Prinzip erklären, wie es kommt, dass die Süd-Amerikanische Drossel ihr Nest mit Schlamm auskleidet ganz in derselben Weise, wie es unsre Europäische Drossel thut; — wie es kommt, dass die Männchen des Ostindischen und des Afrikanischen Nashorn-Vogels, welche zu zwei verschiedenen Untersippen von Buceros gehören, beide dieselben eigenthümlichen Instinkte besitzen, ihre in Baumhöhlen brütenden Weibchen so einzumauern, dass nur noch ein kleines Loch in der Kerker-Wand offen bleibt, durch welches sie das Weibchen und später auch die Jungen mit Nahrung versehen; — wie es kommt, dass das Männchen des Amerikanischen Zaunkönigs (Troglodytes) ein besondres Nest für sich baut, ganz wie das Männchen unsrer einheimischen Art: Alles Sitten, die bei andern Vögeln gar nicht vorkommen. Endlich mag es wohl keine logisch richtige Folgerung seyn, es entspricht aber meiner Vorstellungs-Art[S. 273] weit besser, solche Instinkte wie die des jungen Kuckucks, der seine Nährbrüder aus dem Neste stösst, — wie die der Ameisen, welche Sklaven machen, — oder die der Ichneumoniden, welche ihre Eier in lebende Raupen legen: nicht als eigenthümlich anerschaffne Instinkte, sondern nur als geringe Ausflüsse eines allgemeinen Gesetzes zu betrachten, welches allen organischen Wesen zum Vortheil gereicht, nämlich: Vermehrung und Abänderung macht die stärksten siegen und die schwächsten erliegen.

Achtes Kapitel.
Bastard-Bildung.

Unterschied zwischen der Unfruchtbarkeit bei der ersten Kreutzung und der Unfruchtbarkeit der Bastarde. — Unfruchtbarkeit der Stufe nach veränderlich; nicht allgemein; durch Inzucht vermehrt und durch Zähmung vermindert. — Gesetze für die Unfruchtbarkeit der Bastarde. — Unfruchtbarkeit keine besondre Eigenthümlichkeit, sondern mit andern Verschiedenheiten zusammenfallend. — Ursachen der Unfruchtbarkeit der ersten Kreutzung und der Bastarde. — Parallelismus zwischen den Wirkungen der veränderten Lebens-Bedingungen und der Kreutzung. — Fruchtbarkeit miteinander gekreutzter Varietäten und ihrer Blendlinge nicht allgemein. — Bastarde und Blendlinge unabhängig von ihrer Fruchtbarkeit verglichen. — Zusammenfassung.

Die allgemeine Meinung der Naturforscher geht dahin, dass Arten im Falle der Kreutzung von sich aus unfruchtbar sind, um die Verschmelzung aller organischen Formen mit einander zu verhindern. Diese Meinung hat anfangs gewiss grosse Wahrscheinlichkeit für sich; denn in derselben Gegend beisammen-lebende Arten würden sich, wenn freie Kreutzung möglich wäre, kaum getrennt erhalten können. Die Wichtigkeit der Thatsache, dass Bastarde sehr allgemein steril sind, ist nach meiner Ansicht von einigen neueren Schriftstellern sehr unterschätzt worden. Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung ist der Fall um so mehr von spezieller Wichtigkeit, als die Unfruchtbarkeit der Bastarde nicht wohl vortheilhaft für sie und auch desshalb nicht durch fortgesetzte Erhaltung aufeinander-folgender nützlicher[S. 274] Abstufungen der Sterilität erworben seyn kann[30]. Ich hoffe jedoch zeigen zu können, dass Unfruchtbarkeit nicht eine speziell erworbene oder für sich angeborene Eigenschaft ist, sondern mit anderen erworbenen Verschiedenheiten zusammenhängt.

Bei Behandlung dieses Gegenstandes hat man zwei Klassen von Thatsachen, welche von Grund aus weit verschieden sind, gewöhnlich mit einander verwechselt, nämlich die Unfruchtbarkeit zweier Arten bei ihrer ersten Kreutzung und die Unfruchtbarkeit der von ihnen erhaltenen Bastarde.

Reine Arten haben regelmässig Fortpflanzungs-Organe von vollkommener Beschaffenheit, liefern aber, wenn sie mit einander gekreutzt werden, nur wenige oder gar keine Nachkommen. Bastarde dagegen haben Reproduktions-Organe, welche zur Dienstleistung unfähig sind, wie man aus dem Zustande des männlichen Elementes bei Pflanzen und Thieren erkennt, während die Organe selbst ihrer Bildung nach vollkommen sind, wie die mikroskopische Untersuchung ergibt. Im ersten Falle sind die zweierlei geschlechtlichen Elemente, welche den Embryo liefern sollen, vollkommen; im andern sind sie entweder gar nicht oder nur sehr unvollständig entwickelt. Diese Unterscheidung ist wesentlich, wenn die Ursache der in beiden Fällen stattfindenden Sterilität in Betracht gezogen werden soll. Der Unterschied ist wahrscheinlich übersehen worden, weil man die Unfruchtbarkeit in beiden Fällen als eine besondre Eigenthümlichkeit betrachtet hat, deren Beurtheilung ausser dem Bereiche unsrer Kräfte liege.

Die Fruchtbarkeit der Varietäten oder derjenigen Formen, welche von gemeinsamen Ältern abstammen oder doch so angesehen werden, bei deren Kreutzung, und ebenso die ihrer Blendlinge[S. 275] ist nach meiner Theorie von gleicher Wichtigkeit mit der Unfruchtbarkeit der Spezies unter einander; denn es scheint sich daraus ein klarer und weiter Unterschied zwischen Arten und Varietäten zu ergeben.

Erstens: Die Unfruchtbarkeit miteinander gekreutzter Arten und ihrer Bastarde. Man kann unmöglich die verschiedenen Werke und Abhandlungen der zwei gewissenhaften und bewundernswerthen Beobachter KÖLREUTER und GÄRTNER, welche fast ihr ganzes Leben diesem Gegenstande gewidmet haben, durchlesen, ohne einen tiefen Eindruck von der Allgemeinheit eines höheren oder geringeren Grades der Unfruchtbarkeit gekreutzter Arten in sich aufzunehmen. KÖLREUTER macht es zur allgemeinen Regel; aber er durchhaut den Knoten, indem er in zehn Fällen, wo zwei fast allgemein für verschiedene Arten geltende Formen ganz fruchtbar mit einander sind, dieselben unbedenklich für blosse Varietäten erklärt. Auch GÄRTNER macht die Regel zur allgemeinen und bestreitet die zehn Fälle gänzlicher Fruchtbarkeit bei KÖLREUTER. Doch ist GÄRTNER in diesen wie in vielen andern Fällen genöthigt, die erzielten Saamen sorgfältig zu zählen um zu beweisen, dass doch einige Verminderung der Fruchtbarkeit stattfindet. Er vergleicht immer die höchste Anzahl der von zwei gekreutzten Arten oder ihren Bastarden erzielten Saamen mit deren Durchschnittszahl bei den zwei reinen älterlichen Arten in ihrem Natur-Stande. Doch scheint mir dabei noch eine Ursache ernsten Irrthums mit unterzulaufen. Eine Pflanze, deren Unfruchtbarkeit bewiesen werden soll, muss kastrirt und, was oft noch wichtiger ist, eingeschlossen werden, damit ihr kein Pollen von andren Pflanzen durch Insekten zugeführt werden kann. Fast alle Pflanzen, die zu GÄRTNER’S Versuchen gedient, waren in Töpfe gepflanzt und, wie es scheint, in einem Zimmer seines Hauses untergebracht. Dass aber solches Verfahren die Fruchtbarkeit der Pflanzen oft beeinträchtigt haben müsse, lässt sich nicht in Abrede stellen. Denn GÄRTNER selbst führt in seiner Tabelle etwa zwanzig Fälle an, wo er die Pflanzen kastrirte und dann mit ihrem eignen Pollen künstlich befruchtete; aber die Leguminosen und andre solche Fälle, wo die Manipulation anerkannter[S. 276] Maassen schwierig ist, ganz bei Seite gesetzt, zeigte die Hälfte jener zwanzig Pflanzen eine mehr und weniger verminderte Fruchtbarkeit. Da nun überdiess GÄRTNER einige Jahre hintereinander die Primula officinalis und Pr. elatior, welche wir nur für Varietäten einer Art zu halten einigen Grund haben, mit einander kreutzte und doch nur ein- oder zwei-mal fruchtbaren Saamen erhielt, — da er Anagallis arvensis und A. coerulea, welche die besten Botaniker nur als Varietäten betrachten, durchaus unfruchtbar mit einander fand und noch in mehren analogen Fällen zu gleichem Ergebniss gelangte: so scheint mir wohl zu zweifeln erlaubt, ob viele andre Spezies wirklich so steril bei der Kreutzung seyen als GÄRTNER behauptet.

Einerseits ist es gewiss, dass die Unfruchtbarkeit mancher Arten bei gegenseitiger Kreutzung so ungleich an Stärke ist und so manchfaltige Abstufungen darbietet, — und dass anderseits die Fruchtbarkeit ächter Spezies so leicht durch mancherlei Umstände berührt wird, dass es für die meisten praktischen Zwecke schwierig ist zu sagen, wo die vollkommene Fruchtbarkeit aufhöre und wo die Unfruchtbarkeit beginne? Ich glaube, man kann keinen bessern Beweis dafür verlangen, als der ist, dass die erfahrensten zwei Beobachter, die es je gegeben, nämlich KÖLREUTER und GÄRTNER, hinsichtlich einerlei Spezies zu schnurstracks entgegengesetzten Ergebnissen gelangt sind. Auch ist es sehr belehrend, die von unseren besten Botanikern vorgebrachten Argumente über die Frage, ob diese oder jene zweifelhafte Form als Art oder als Varietät zu betrachten sey, zu vergleichen mit dem aus der Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit nach den Berichten verschiedener Bastard-Züchter oder den mehrjährigen Versuchen der Verfasser selbst entnommenen Beweise. Es lässt sich daraus darthun, dass weder Fruchtbarkeit noch Unfruchtbarkeit einen klaren Unterschied zwischen Arten und Varietäten liefert, indem der darauf gestützte Beweis stufenweise verschwindet und mithin so, wie die übrigen von der organischen Bildung und Thätigkeit hergenommenen Beweise zweifelhaft bleibt.

Was die Unfruchtbarkeit der Bastarde auf dem Wege der Inzucht betrifft, so hat GÄRTNER zwar einige Versuche angestellt[S. 277] und die Inzucht während 6–7 und in einem Falle sogar 10 Generationen vor aller Kreutzung mit einer der zwei Stammarten geschützt, versichert aber ausdrücklich, dass ihre Fruchtbarkeit nie zugenommen, sondern vielmehr stark abgenommen habe. Ich zweifle nicht daran, dass Diess gewöhnlich der Fall ist und die Fruchtbarkeit in den ersten Generationen oft plötzlich abnimmt. Demungeachtet aber glaube ich, dass bei allen diesen Versuchen die Fruchtbarkeit durch eine unabhängige Ursache vermindert worden ist, nämlich durch die allzu strenge Inzucht. Ich habe eine grosse Menge von Thatsachen gesammelt, welche zeigen, dass eine allzu strenge Inzucht die Fruchtbarkeit vermindert, während dagegen die jeweilige Kreutzung mit einem andern Individuum oder einer andern Varietät die Fruchtbarkeit vermehrt, daher ich an der Richtigkeit dieser unter den Züchtern fast allgemein verbreiteten Meinung nicht zweifeln kann. Bastarde werden selten in grössrer Anzahl zu Versuchen erzogen, und da die älterlichen Arten oder andre nahe verwandte Arten gewöhnlich im nämlichen Garten wachsen, so müssen die Besuche der Insekten während der Blüthe-Zeit sorgfältig verhütet werden, daher Bastarde für jede Generation gewöhnlich durch ihren eignen Pollen befruchtet werden müssen; und ich bin überzeugt, dass Diess ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigt, welche durch ihre Bastard-Natur schon ohnediess geschwächt ist. In dieser Überzeugung bestärkt mich noch eine von GÄRTNER mehrmals wiederholte Versicherung, dass nämlich die minder fruchtbaren Bastarde sogar, wenn sie mit gleichartigem Bastard-Pollen künstlich befruchtet werden, ungeachtet des oft schlechten Erfolges der Behandlung, doch zuweilen entschieden an Fruchtbarkeit weiter und weiter zunehmen. Nun wird bei künstlicher Befruchtung der Pollen oft zufällig (wie ich aus meinen eignen Versuchen weiss) von Antheren einer andern als der zu befruchtenden Blume genommen, so dass hiedurch eine Kreutzung zwischen zwei Blumen, doch gewöhnlich derselben Pflanze, bewirkt wird. Wenn nun ferner ein so sorgfältiger Beobachter, als GÄRTNER ist, im Verlaufe seiner zusammengesetzten Versuche seine Bastarde kastrirt hätte, so würde Diess bei jeder Generation eine Kreutzung mit dem Pollen[S. 278] einer andern Blume entweder von derselben oder von einer andern Pflanze von gleicher Bastard-Beschaffenheit nöthig gemacht haben. Und so kann die befremdende Erscheinung, dass die Fruchtbarkeit in aufeinander folgenden Generationen von künstlich befruchteten Bastarden zugenommen hat, wie ich glaube, dadurch erklärt werden, dass allzu enge Inzucht vermieden worden ist.

Wenden wir uns jetzt zu den Ergebnissen, welche sich durch die Versuche des dritten der erfahrensten Bastard-Züchter, des Ehrenwerthen und Hochwürdigen W. HERBERT, herausgestellt haben. Er versichert ebenso ausdrücklich, dass manche Bastarde vollkommen fruchtbar und nicht minder züchtbar als jede der Stamm-Arten für sich seyen, wie KÖLREUTER und GÄRTNER einen gewissen Grad von Sterilität bei Kreutzung verschiedener Spezies mit einander für ein allgemeines Natur-Gesetz erklären. Seine Versuche bezogen sich auf einige derselben Arten, welche auch zu den Experimenten GÄRTNER’S gedient hatten. Die Verschiedenheit der Ergebnisse, zu welchen beide gelangt sind, lässt sich, wie ich glaube, ableiten zum Theile aus HERBERT’S grosser Erfahrung in der Blumen-Zucht und zum Theile davon, dass er Warmhäuser zu seiner Verfügung hatte. Von seinen vielen wichtigen Ergebnissen will ich hier nur eines beispielsweise hervorheben, dass nämlich „jedes mit Crinum revolutum befruchtete Ei’chen an einem Stocke von Crinum capense auch eine Pflanze lieferte, was ich (sagt er) bei natürlicher Befruchtung nie wahrgenommen habe.“ Wir haben mithin hier den Fall vollkommener und selbst mehr als vollkommener Fruchtbarkeit bei der Kreutzung zweier verschiedener Arten.

Dieser Fall mit Crinum führt mich zu einer ganz eigenthümlichen Thatsache, dass es nämlich bei einigen Arten von Lobelia und mehren andren Sippen einzelne Pflanzen gibt, welche viel leichter mit dem Pollen einer verschiednen andern Art als ihrer eignen befruchtet werden können; und gleicherweise scheint es sich auch mit allen Individuen fast aller Hippeastrum-Arten zu verhalten. Denn man hat gefunden, dass diese Pflanzen, mit dem Pollen einer andern Spezies befruchtet, Saamen ansetzen, aber mit ihrem eignen Pollen ganz unfruchtbar sind, obwohl derselbe[S. 279] vollkommen gut und wieder andre Arten zu befruchten im Stande ist. So können mithin gewisse einzelne Pflanzen und alle Individuen gewisser Spezies viel leichter zur Bastard-Zucht dienen, als durch sich selbst befruchtet werden. Eine Zwiebel von Hippeastrum aulicum z. B. brachte vier Blumen; drei davon wurden mit ihren eigenen Pollen befruchtet und die vierte hierauf mit dem Pollen eines aus drei andern verschiednen Arten gezüchteten Bastards versehen, und das Resultat war, dass „die Ovarien der drei ersten Blumen bald zu wachsen aufhörten und nach einigen Tagen gänzlich verdarben, während das Ovarium der mit dem Bastard-Pollen versehenen Blume rasch zunahm und reifte und gute Saamen lieferte, welche kräftig gediehen“. Im Jahr 1839 schrieb mir HERBERT, dass er den Versuch fünf Jahre lang fortgesetzt habe und jedes Jahr mit gleichem Erfolge. Denselben Erfolg hatten auch andre Beobachter bei Hippeastrum und dessen Untersippen so wie bei einigen andern Geschlechtern, nämlich Lobelia, Passiflora und Verbascum. Obwohl diese Pflanzen bei den Versuchen ganz gesund erschienen und sowohl Ei’chen als Saamenstaub einer und der nämlichen Blume sich bei der Befruchtung mit andern Arten vollkommen gut erwiesen, so waren sie doch zur gegenseitigen Selbstbefruchtung funktionell ungenügend, und wir müssen daher schliessen, dass sich die Pflanzen in einem unnatürlichen Zustande befanden. Jedenfalls zeigen diese Erscheinungen, von was für geringen und geheimnissvollen Ursachen die grössre oder geringere Fruchtbarkeit der Arten bei der Kreutzung, gegenüber der Selbstbefruchtung, zuweilen abhänge.

Die praktischen Versuche der Gartenfreunde, wenn auch nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit ausgeführt, verdienen gleichfalls einige Beachtung. Es ist bekannt, in welch’ verwickelter Weise die Arten von Pelargonium, Fuchsia, Calceolaria, Petunia, Rhododendron u. a. gekreutzt worden sind, und doch setzen viele dieser Bastarde Saamen an. So versichert HERBERT, dass ein Bastard von Calceolaria integrifolia und C. plumbaginea, zweier in ihrer allgemeinen Beschaffenheit sehr unähnlicher Arten, „sich selbst so vollkommen aus Saamen verjüngte, als ob er einer natürlichen Spezies aus den Bergen Chile’s angehört hätte“. Ich[S. 280] habe mir einige Mühe gegeben, den Grund der Fruchtbarkeit bei einigen durch mehrseitige Kreutzung erzielten Rhododendren kennen zu lernen, und die Gewissheit erlangt, dass mehre derselben vollkommen fruchtbar sind. Herr C. NOBLE z. B. berichtet mir, dass er zur Gewinnung von Pfropfreisern Stöcke eines Bastardes von Rhododendron Ponticum und Rh. Catawbiense erzieht, und dass dieser Bastard „so reichlichen Saamen ansetzt, als man sich nur denken kann“. Nähme bei richtiger Behandlung die Fruchtbarkeit der Bastarde in aufeinander-folgenden Generationen in der Weise ab, wie GÄRTNER versichert, so müsste diese Thatsache unsern Plantage-Besitzern bekannt seyn. Garten-Freunde erziehen grosse Beete voll der nämlichen Bastarde; und diese allein erfreuen sich einer richtigen Behandlung; denn hier allein können die verschiedenen Individuen einer nämlichen Bastard-Form durch die Thätigkeit der Insekten sich untereinander kreutzen und den schädlichen Einflüssen zu enger Inzucht entgehen. Von der Wirkung der Insekten-Thätigkeit kann jeder sich selbst überzeugen, wenn er die Blumen der sterileren Rhododendron-Formen, welche keine Pollen bilden, untersucht; denn er wird ihre Narben ganz mit Saamenstaub bedeckt finden, der von andern Blumen hergetragen worden ist.

Was die Thiere betrifft, so sind der genauen Versuche viel weniger mit ihnen veranstaltet worden. Wenn unsre systematischen Anordnungen Vertrauen verdienen, d. h. wenn die Sippen der Thiere eben so verschieden von einander als die der Pflanzen sind, dann können wir behaupten, dass viel weiter auf der Stufenleiter der Natur auseinander-stehende Thiere noch gekreutzt werden können, als es bei den Pflanzen der Fall ist; dagegen scheinen die Bastarde unfruchtbarer zu seyn. Ich bezweifle, ob auch nur eine Angabe von einem ganz fruchtbaren Thier-Bastard als vollkommen beglaubigt angesehen werden darf. Man muss jedoch nicht vergessen, dass sich nur wenige Thiere in der Gefangenschaft reichlich fortpflanzen und daher nur wenige richtige Versuche mit ihnen angestellt werden können. So hat man z. B. den Kanarienvogel mit neun andern Finken-Arten gekreutzt, da sich aber keine dieser neun Arten in der Gefangenschaft gut fortpflanzt,[S. 281] so haben wir kein Recht zu erwarten, dass die ersten Bastarde von ihnen und dem Kanarienvogel vollkommen fruchtbar seyn sollen. Ebenso, was die Fruchtbarkeit der vergleichungsweise fruchtbaren Bastarde in späteren Generationen betrifft, so kenne ich wohl kaum ein Beispiel, dass zwei Familien gleicher Bastarde gleichzeitig von verschiedenen Ältern erzogen worden wären, um die üblen Folgen allzustrenger Inzucht vermeiden zu können, im Gegentheil hat man in jeder nachfolgenden Generation die beständig wiederholten Mahnungen aller Züchter nicht beachtend, gewöhnlich Brüder und Schwestern miteinander gepaart. Und so ist es durchaus nicht überraschend, dass die vererbliche Sterilität der Bastarde mit jeder Generation zunahm. Wenn wir in der Absicht darauf hinzuwirken immer Brüder und Schwestern reiner Spezies miteinander paarten, in welchen aus irgend einer Ursache bereits eine noch so geringe Neigung zur Unfruchtbarkeit vorhanden wäre, so würde die Rasse gewiss nach wenigen Generationen aussterben.

Obwohl ich keinen irgend wohl-beglaubigten Fall vollkommen fruchtbarer Thier-Bastarde kenne, so habe ich doch einige Ursache anzunehmen, dass die Bastarde von Cervulus vaginalis und C. Reevesi, und die von Phasianus Colchicus und Ph. torquatus vollkommen fruchtbar sind. Es unterliegt insbesondere keinem Zweifel, dass diese zwei nahe-verwandte Fasanen-Arten sowohl als Ph. versicolor aus Japan in den Wäldern einiger Theile von England sich kreutzen und Nachkommen liefern. Nach den unlängst in Frankreich nach grossem Maassstabe angestellten Versuchen scheint es als ob zwei voneinander so verschiedene Arten, wie Hase und Kaninchen, wenn sie zur Paarung miteinander veranlasst werden können, eine meistens ganz fruchtbare Nachkommenschaft zu liefern im Stande sind. Die Bastarde der gemeinen und der Schwanen-Gans (Anser cygnoides), zweier so verschiedener Arten, dass man sie in verschiedene Sippen zu stellen pflegt, haben hierzulande oft Nachkommen mit einer der reinen Stamm-Arten und in einem Falle sogar unter sich geliefert. Diess ist durch Hrn. EYTON bewirkt worden, der zwei Bastarde von gleichen Ältern aber verschiedenen Bruten erzog und dann von beiden[S. 282] zusammen nicht weniger als acht Nachkommen aus einem Neste erhielt. In Indien dagegen müssen die durch Kreutzung gewonnenen Gänse weit fruchtbarer seyn, indem zwei ausgezeichnet befähigte Beurtheiler, nämlich Hr. BLYTH und Capt. HUTTON, mir versichert haben, dass dort in verschiedenen Landes-Gegenden ganze Heerden dieser Bastard-Gans gehalten werden; und da Diess des Nutzens wegen geschieht, wo die reinen Stamm-Arten gar nicht existiren, so müssen sie nothwendig sehr fruchtbar seyn.

Neuere Naturforscher haben grossentheils eine von PALLAS ausgegangene Lehre angenommen, dass nämlich die meisten unsrer Hausthiere von je zwei oder mehr wilden Arten abstammten, welche sich seither durch Kreutzung vermischt hätten. Hiernach müssten also entweder die Stamm-Arten gleich anfangs ganz fruchtbare Bastarde geliefert haben oder die Bastarde erst in späteren Generationen in zahmem Zustande ganz fruchtbar geworden seyn. Diese letzte Alternative ist mir die wahrscheinlichere. Ich nehme z. B. an, dass unsre Hunde von mehren wilden Arten herrühren, und doch sind vielleicht mit Ausnahme gewisser in Süd-Amerika gehaltenen Haushunde alle vollkommen fruchtbar miteinander; aber die Analogie erweckt grosse Zweifel in mir, dass die verschiedenen Stamm-Arten derselben sich anfangs freiwillig mit einander gepaart und sogleich ganz fruchtbare Bastarde geliefert haben sollen. Ich habe vorhin die Aufmerksamkeit auf den Ostindischen Bullochsen [oder Zebu?] geleitet. Wenn ich ihn nun, hinsichtlich seiner Lebensweise, seines äussern Körperbaues und seiner osteologischen Eigenthümlichkeiten (wie sie Prof. RÜTIMEYER deutlich nachgewiesen) mit unsern Englischen Rassen vergleiche, so ist es eine so wohl unterschiedene Art, als irgend eine in der Welt; und doch habe ich kürzlich den Beweis erhalten, dass die durch Kreutzung beider erzielte Nachkommenschaft unter sich fruchtbar ist. Bei dieser Ansicht von der Entstehung vieler unsrer Hausthiere müssen wir entweder den Glauben an die fast allgemeine Unfruchtbarkeit einer Paarung verschiedener Thier-Arten mit einander aufgeben, oder aber die Sterilität nicht als eine unzerstörbare, sondern als eine durch Zähmung zu beseitigende Folge einer solchen Kreutzung betrachten.

[S. 283]

Überblicken wir endlich alle über die Kreutzung von Pflanzen- und Thier-Arten festgestellten Thatsachen, so gelangen wir zum Schlusse, dass ein gewisser Grad von Unfruchtbarkeit bei der ersten Kreutzung und den daraus entspringenden Bastarden zwar eine äusserst gewöhnliche Erscheinung ist, aber nach dem gegenwärtigen Stand unsrer Kenntnisse nicht als unbedingt allgemein betrachtet werden darf.

Gesetze, welche die Unfruchtbarkeit der ersten Kreutzung und der Bastarde regeln.) Wir wollen nun die Umstände und die Regeln etwas näher betrachten, welche die vergleichungsweise Unfruchtbarkeit der ersten Kreutzung und der Bastarde bestimmen. Unsre Hauptaufgabe wird seyn zu erfahren, ob sich nach diesen Regeln Unfruchtbarkeit der Arten miteinander als eine denselben inhärente Eigenschaft ergibt, deren Bestimmung es wäre eine Kreutzung der Arten bis zur äussersten Verschmelzung der Formen zu verhüten, oder ob sich Diess nicht herausstellt. Die nachstehenden Regeln und Folgerungen sind hauptsächlich aus GÄRTNER’S bewundernswerthem Werke über die Bastard-Erzeugung bei den Pflanzen entnommen[31]. Ich habe mir viel Mühe gegeben zu erfahren, in wie ferne diese Regeln auch auf Thiere Anwendung finden, und obwohl unsre Erfahrungen über Bastard-Thiere sehr dürftig sind, so war ich doch erstaunt zu sehen, in wie ausgedehntem Grade die nämlichen Regeln für beide Reiche gelten.

Es ist bereits bemerkt worden, dass sich die Fruchtbarkeit sowohl der ersten Kreutzung als der daraus entspringenden Bastarde von Zero an bis zur Vollkommenheit abstuft. Es ist erstaunlich, auf wie mancherlei eigenthümliche Weise sich diese Abstufung darthun lässt; doch können hier nur die nacktesten Umrisse der Thatsachen geliefert werden. Wenn der Pollen einer[S. 284] Pflanze von der einen Familie auf die Narbe einer Pflanze von andrer Familie gebracht wird, so hat er nicht mehr Wirkung, als eben so viel unorganischer Staub. Wenn man aber Saamenstaub von Arten einer Sippe auf das Stigma einer Spezies derselben Sippe bringt, so wird der Erfolg ein günstigerer, aber bei verschiedenen Arten doch wieder so ungleich, dass sich mittelst der Anzahl der jedesmal erzeugten Saamen alle Abstufungen von jenem Zero an bis zur vollständigen Fruchtbarkeit und, wie wir gesehen haben, in einigen abnormen Fällen sogar über das gewöhnlich bei Selbstbefruchtung gewöhnliche Maass hinaus ergeben. So gibt es auch unter den Bastarden selber einige, welche sogar mit dem Pollen von einer der zwei reinen Stamm-Arten nie auch nur einen fruchtbaren Saamen hervorgebracht haben noch wahrscheinlich jemals hervorbringen werden. Doch hat sich in einigen dieser Fälle eine erste Spur von der Wirkung eines solchen Pollens insoferne gezeigt, als er ein frühzeitigeres Abwelken der Blume der Bastard-Pflanze veranlasste, worauf er gebracht worden war; und rasches Abwelken einer Blüthe ist bekanntlich ein Zeichen beginnender Befruchtung. An diesen äussersten Grad der Unfruchtbarkeit reihen sich dann Bastarde an, die durch Selbstbefruchtung eine immer grössre Anzahl von Saamen bis zur vollständigen Fruchtbarkeit hervorbringen.

Bastarde von solchen zwei Arten erzielt, welche sehr schwer zu kreutzen sind und nur selten einen Nachkommen liefern, pflegen selber sehr unfruchtbar zu seyn. Aber der Parallelismus zwischen der Schwierigkeit eine erste Kreutzung zu Stande zu bringen, und der einen daraus entsprungenen Bastard zu befruchten, — zwei sehr gewöhnlich miteinander verwechselte Klassen von Thatsachen — ist keineswegs strenge. Denn es gibt viele Fälle, wo zwei reine Arten mit ungewöhnlicher Leichtigkeit mit einander gepaart werden und zahlreiche Bastarde liefern können, welche aber äusserst unfruchtbar sind. Anderseits gibt es Arten, welche nur selten oder äusserst schwierig zu kreutzen gelingt, aber ihre Bastarde, wenn sie einmal vorhanden, sind sehr fruchtbar. Und diese zwei so entgegengesetzten Fälle können innerhalb der nämlichen Sippe vorkommen, wie z. B. bei Dianthus.

[S. 285]

Die Fruchtbarkeit sowohl der ersten Kreutzungen als der Bastarde wird leichter als die der reinen Arten durch ungünstige Bedingungen gefährdet. Aber der Grad der Fruchtbarkeit ist gleicher Weise an sich veränderlich; denn der Erfolg ist nicht immer der nämliche, wenn man dieselben zwei Arten unter denselben äusseren Umständen kreutzt, sondern hängt zum Theile von der Verfassung der zwei zufällig für den Versuch ausgewählten Individuen ab. So ist es auch mit den Bastarden, indem sich der Grad der Fruchtbarkeit in verschiedenen aus Saamen einer Kapsel erzogenen und den nämlichen Bedingungen ausgesetzten Individuen oft ganz verschieden erweist.

Mit dem Ausdruck systematische Affinität soll die Ähnlichkeit verschiedener Arten in organischer Bildung und Thätigkeit zumal solcher Theile bezeichnet werden, welche eine grosse physiologische Bedeutung haben und in verwandten Arten nur wenig von einander abweichen. Nun ist die Fruchtbarkeit der ersten Kreutzung zweier Spezies und der daraus hervorgehenden Bastarde in reichem Maasse abhängig von dieser „systematischen Verwandtschaft“. Diess geht deutlich daraus schon hervor, dass man noch niemals Bastarde von zwei Arten erzielt hat, welche die Systematiker in verschiedene Familien stellen, während es dagegen gewöhnlich leicht ist, nahe verwandte Arten miteinander zu paaren. Doch ist die Beziehung zwischen systematischer Verwandtschaft und Leichtigkeit der Kreutzung keineswegs eine strenge. Denn es liessen sich eine Menge Fälle von sehr nahe verwandten Arten anführen, die gar nicht oder nur mit grösster Mühe zur Paarung gebracht werden können, während mitunter auch sehr verschiedene Arten sich mit grösster Leichtigkeit kreutzen lassen. In einer nämlichen Familie können zwei Sippen beisammen stehen, wovon die eine wie Dianthus viele solche Arten enthält, die sehr leicht zu kreutzen sind, während die der andern, z. B. Silene, den beharrlichsten Versuchen eine Kreutzung zu bewirken in dem Grade widerstehen, dass man auch noch nicht einen Bastard zwischen den einander am nächsten verwandten Arten derselben zu erzielen vermochte. Ja selbst innerhalb der Grenzen einer und der nämlichen Sippe zeigt sich ein[S. 286] solcher Unterschied. So sind z. B. die zahlreichen Nicotiana-Arten mehr unter einander gekreutzt worden, als die der meisten übrigen Sippen, und GÄRTNER hat gefunden, dass N. acuminata, die keineswegs eine besonders abweichende Art ist, beharrlich allen Befruchtungs-Versuchen widerstand, so dass von acht andern Nicotiana-Arten keine weder sie befruchten noch von ihr befruchtet werden konnte. Und analoge Thatsachen liessen sich noch viele anführen.

Noch niemand hat auszumitteln vermocht, welche Art oder welcher Grad von Verschiedenheit in irgend einem erkennbaren Charakter genüge, um die Kreutzung zweier Spezies zu hindern. Es lässt sich nachweisen, dass Pflanzen, welche in Lebens-Weise und allgemeiner Tracht am weitesten auseinandergehen, welche in allen Theilen ihrer Blüthen sogar bis zum Pollen oder in der Frucht oder in den Kotyledonen sehr scharfe Unterschiede zeigen, mit einander gekreutzt werden können. Einjährige und ausdauernde Gewächs-Arten, winterkahle und immergrüne Bäume, Pflanzen für die abweichendsten Standorte und die entgegengesetztesten Klimate gemacht, können oft leicht mit einander gekreutzt werden.

Unter wechselseitiger Kreutzung zweier Arten verstehe ich den Fall, wo z. B. ein Pferde-Hengst mit einer Eselin und dann ein Esel-Hengst mit einer Pferde-Stute gepaart wird; man kann dann sagen, diese zwei Arten seyen wechselseitig gekreutzt worden. In der Leichtigkeit einer wechselseitigen Kreutzung findet oft der möglich grösste Unterschied statt. Solche Fälle sind höchst wichtig, weil sie beweisen, dass die Empfänglichkeit für die Kreutzung zwischen irgend zwei Arten von ihrer systematischen Verwandtschaft oder von irgend welchem kennbaren Unterschied in ihrer ganzen Organisation oft ganz unabhängig ist. Dagegen zeigen diese Fälle auch deutlich, dass jene Empfänglichkeit mit Unterschieden in der Verfassung des Körpers zusammenhängt, welche für uns nicht wahrnehmbar sind und sich auf das Reproduktiv-System beschränken. Diese Verschiedenheit der Ergebnisse aus wechselseitigen Kreutzungen zwischen je zwei Arten war schon längst von KÖLREUTER beobachtet[S. 287] worden. So kann, um ein Beispiel anzuführen, Mirabilis Jalapa leicht durch den Saamenstaub der M. longiflora befruchtet werden, und die daraus entspringenden Bastarde sind genügend fruchtbar; aber mehr als zweihundert Male versuchte es KÖLREUTER im Verlaufe von acht Jahren vergebens die M. longiflora nun auch mit Pollen der M. Jalapa zu befruchten. Und so liessen sich noch einige andre Beispiele geben. THURET hat dieselbe Bemerkung an einigen Seepflanzen gemacht, und GÄRTNER noch überdiess gefunden, dass diese Erscheinung in einem geringeren Grade ausserordentlich gemein ist. Er hat sie selbst zwischen Formen wahrgenommen, welche viele Botaniker nur als Varietäten einer nämlichen Art betrachten, wie Matthiola annua und M. glabra. Eben so ist es eine bemerkenswerthe Thatsache, dass die beiderlei aus wechselseitiger Kreutzung hervorgegangenen Bastarde, wenn auch von denselben zwei Stamm-Arten herrührend, hinsichtlich ihrer Fruchtbarkeit gewöhnlich in einem geringen, zuweilen aber auch in hohem Grade von einander abweichen.

Es lassen sich noch manche andre eigenthümliche Regeln aus GÄRTNER entnehmen, wie z. B. dass manche Arten sich überhaupt sehr leicht zur Kreutzung mit andern verwenden lassen, während andren Arten derselben Sippe das Vermögen innewohnt, den Bastarden eine grosse Ähnlichkeit mit ihnen aufzuprägen; doch stehen beiderlei Fähigkeiten nicht in nothwendiger Beziehung zu einander. Es gibt Bastarde, welche, statt wie gewöhnlich das Mittel zwischen ihren zwei älterlichen Arten zu halten, stets nur einer derselben sehr ähnlich sind; und gerade diese äusserlich der einen Stammart so ähnlichen Bastarde sind mit seltener Ausnahme äusserst unfruchtbar. Dagegen kommen aber auch unter denjenigen Bastarden, welche zwischen ihren Ältern das Mittel zu halten pflegen, zuweilen abnorme Individuen vor, die einer der reinen Stammarten ausserordentlich gleichen; und diese Bastarde sind dann gewöhnlich auch äusserst steril, obwohl die mit ihnen aus gleicher Frucht-Kapsel entsprungenen Mittelformen sehr fruchtbar zu seyn pflegen. Aus diesen Erscheinungen geht hervor, wie ganz unabhängig die Fruchtbarkeit der Bastarde vom Grade ihrer Ähnlichkeit mit ihren beiden Stammältern ist.

[S. 288]

Aus den bis daher gegebenen Regeln über die Fruchtbarkeit der ersten Kreutzungen und der dadurch erzielten Bastarde ergibt sich, dass, wenn man Formen, die als gute und verschiedene Arten angesehen werden müssen, mit einander paart, ihre Fruchtbarkeit in allen Abstufungen von Zero an bis selbst über das unter gewöhnlichen Bedingungen stattfindende Maass vollkommener Fruchtbarkeit hinaus wechseln kann. Ferner ist ihre Fruchtbarkeit nicht nur äusserst empfindlich für günstige und ungünstige Bedingungen, sondern auch an und für sich veränderlich. Die Fruchtbarkeit verhält sich nicht immer an Stärke gleich bei der ersten Kreutzung und den daraus erzielten Bastarden. Die Fruchtbarkeit dieser letzten steht in keinem Verhältniss zu deren äusserer Ähnlichkeit mit ihren beiden Ältern. Die Leichtigkeit einer ersten Kreutzung zwischen zwei Arten ist nicht von deren systematischer Affinität noch von ihrer Ähnlichkeit miteinander abhängig. Dieses letzte Ergebniss ist hauptsächlich aus der Verschiedenheit des Ergebnisses der Wechselkreutzungen zweier nämlichen Arten erweisbar, wo die Paarung gewöhnlich etwas, mitunter aber auch viel leichter oder schwerer erfolgt, je nachdem man den Vater von der einen oder von der andern der zwei gekreutzten Arten nimmt. Endlich sind die zweierlei durch Wechselkreutzung erzielten Bastarde oft in ihrer Fruchtbarkeit verschieden.

Nun fragt es sich, ob aus diesen eigenthümlich verwickelten Regeln hervorgehe, dass die vergleichungsweise Unfruchtbarkeit der Arten bei deren Kreutzung den Zweck habe, ihre Vermischung im Natur-Zustande zu verhüten! Ich glaube nicht. Denn warum wäre in diesem Falle der Grad der Unfruchtbarkeit so ausserordentlich verschieden, da wir doch annehmen müssen diese Verhütung seye gleich wichtig bei allen? Warum wäre sogar schon eine angeborene Verschiedenheit zwischen Individuen einer nämlichen Art vorhanden? Zu welchem Ende sollten manche Arten so leicht zu kreutzen seyn und doch sehr sterile Bastarde erzeugen, während andre sich nur sehr schwierig paaren lassen und vollkommen fruchtbare Bastarde liefern? Wozu sollte es dienen, dass die zweierlei Produkte einer Wechselkreutzung zwischen den nämlichen Arten sich oft so sehr abweichend verhalten?[S. 289] Wozu, kann man sogar fragen, soll überhaupt die Möglichkeit Bastarde zu liefern dienen? Es scheint doch eine wunderliche Anordnung zu seyn, dass die Arten das Vermögen haben Bastarde zu bilden, deren weitre Fortpflanzung aber durch verschiedene Grade von Sterilität gehemmt ist, welche in keiner Beziehung zur Leichtigkeit der ersten Kreutzung zweier Ältern verschiedener Spezies miteinander stehen.

Die voranstehenden Regeln und Thatsachen scheinen mir dagegen deutlich zu beweisen, dass die Unfruchtbarkeit sowohl der ersten Kreutzungen als der Bastarde von unbekannten Verhältnissen hauptsächlich im Fortpflanzungs-Systeme der gekreutzten Arten abhänge. Die Verschiedenheiten sind von so eigenthümlicher und beschränkter Natur, dass bei wechselseitigen Kreutzungen zwischen zwei Arten oft das männliche Element der einen von üppiger Wirkung auf das weibliche der andern ist, während bei der Kreutzung in der andern Richtung das Gegentheil eintritt. Es wird angemessen seyn durch ein Beispiel etwas vollständiger auseinander zu setzen, was ich unter der Bemerkung verstehe, dass Sterilität mit andern Ursachen zusammenhänge und nicht eine spezielle Eigenthümlichkeit für sich bilde. Die Fähigkeit einer Pflanze sich auf eine andre zweigen oder nicht zweigen und okuliren zu lassen, ist für deren Gedeihen im Natur-Zustande so gänzlich gleichgiltig, dass wohl niemand diese Fähigkeit für eine spezielle Anordnung der Natur halten, sondern jedermann anzunehmen geneigt seyn wird, sie falle mit Verschiedenheiten in den Wachsthums-Gesetzen der zwei Pflanzen zusammen. Den Grund davon, dass eine Art auf der andern etwa nicht anschlagen will, kann man zuweilen in abweichender Wachsthums-Weise, Härte des Holzes, Natur des Saftes, Zeit der Blüthe u. dgl. finden; in sehr vielen Fällen aber lässt sich gar keine Ursache dafür ergeben. Denn selbst sehr bedeutende Verschiedenheiten in der Grösse der zwei Pflanzen, oder in holziger und krautartiger, immergrüner und sommergrüner Beschaffenheit und selbst ihre Anpassung an ganz verschiedene Klimate bilden nicht immer ein Hinderniss ihrer Aufeinanderpropfung. Wie bei der Bastard-Bildung so ist auch beim Propfen die Fähigkeit durch systematische[S. 290] Affinität beschränkt; denn es ist noch nie gelungen Holzarten aus ganz verschiedenen Familien aufeinanderzusetzen, während dagegen nahe verwandte Arten einer Sippe und Varietäten einer Art gewöhnlich, aber nicht immer, leicht aufeinander gepropft werden können. Doch ist auch dieses Vermögen eben so wenig als das der Bastard-Bildung durch systematische Verwandtschaft in absoluter Weise bedingt. Denn wenn auch viele verschiedene Sippen einer Familie aufeinander zu propfen gelungen ist, so nehmen doch wieder in andern Fällen sogar Arten einer nämlichen Sippe einander nicht an. Der Birnbaum kann viel leichter auf den Quittenbaum, den man zu einem eignen Genus erhoben, als auf den Apfelbaum gezweigt werden, der mit ihm zur nämlichen Sippe gehört. Selbst verschiedene Varietäten der Birne schlagen nicht mit gleicher Leichtigkeit auf dem Quittenbaum an, und eben so verhalten sich verschiedene Aprikosen- und Pfirsich-Varietäten dem Pflaumen-Baume gegenüber.

Wie nach GÄRTNER zuweilen eine angeborene Verschiedenheit im Verhalten der Individuen zweier zu kreutzenden Arten vorhanden ist, so glaubt SAGARET auch an eine angeborene Verschiedenheit im Verhalten der Individuen zweier aufeinander zu propfender Arten. Wie bei Wechselkreutzungen die Leichtigkeit der zweierlei Paarungen oft sehr ungleich ist, so verhält es sich oft auch bei dem wechselseitigen Verpropfen. So kann die gemeine Stachelbeere z. B. auf den Johannisbeer-Strauch gezweigt werden, dieser wird aber nur schwer auf dem Stachelbeer-Strauch anschlagen.

Wir haben gesehen, dass die Unfruchtbarkeit der Bastarde, deren Reproduktions-Organe von unvollkommener Beschaffenheit sind, eine ganz andere Sache ist, als die Schwierigkeit zwei reine Arten mit vollständigen Organen mit einander zu paaren; doch laufen beide Fälle bis zu gewissem Grade mit einander parallel. Etwas Ähnliches kommt auch beim Propfen vor; denn THOUIN hat gefunden, dass die drei Robinia-Arten, welche auf eigner Wurzel reichlichen Saamen gebildet hatten und sich leicht auf einander zweigen liessen, durch die Aufeinanderimpfung unfruchtbar gemacht wurden; während dagegen gewisse Sorbus-Arten, eine auf[S. 291] die andre gesetzt, doppelt so viel Früchte als auf eigner Wurzel lieferten. Diess erinnert uns an die oben-erwähnten ausserordentlichen Fälle bei Hippeastrum, Lobelia u. dgl., welche viel reichlicher fruktifiziren, wenn sie mit Pollen einer andern Art als wenn sie mit ihren eignen Pollen versehen werden.

Wir sehen daher, dass, wenn auch ein klarer und gründlicher Unterschied zwischen der blossen Adhäsion auf einander gepropfter Stöcke und der Zusammenwirkung männlicher und weiblicher Urstoffe zum Zwecke der Fortpflanzung stattfindet, sich doch ein gewisser Parallelismus zwischen den Wirkungen der Impfung und der Befruchtung verschiedener Arten mit einander kundgibt. Wenn wir die sonderbaren und verwickelten Regeln, welche die Leichtigkeit der Propfung bedingen, als mit unbekannten Verschiedenheiten in den vegetativen Organen zusammenhängend betrachten, so müssen wir nach meiner Meinung auch die viel zusammengesetzteren für die Leichtigkeit der ersten Kreutzungen mit unbekannten Verschiedenheiten in ihrem Reproduktiv-Systeme im Zusammenhang stehend ansehen. Diese Verschiedenheiten folgen, wie sich erwarten lässt, bis zu einem gewissen Grade der systematischen Affinität, durch welche Bezeichnung jede Art von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen organischen Wesen ausgedrückt werden soll. Die Thatsachen scheinen mir in keiner Weise anzuzeigen, dass die grössre oder geringere Schwierigkeit verschiedene Arten auf und mit einander zu propfen und zu kreutzen eine besondre Eigenthümlichkeit ist, obwohl dieselbe beim Kreutzen für die Dauer und Stetigkeit der Art-Formen eben so wichtig als beim Propfen unwesentlich für deren Gedeihen ist.

Ursachen der Unfruchtbarkeit der ersten Kreutzungen und der Bastarde.) Sehen wir uns nun etwas näher um nach den wahrscheinlichen Ursachen der Sterilität der ersten Kreutzungen und der Bastarde. Diese zwei Fälle sind von Grund aus verschieden, da, wie oben bemerkt worden, die männlichen und die weiblichen Geschlechtstheile bei Paarung zweier reinen Arten vollkommen, bei Bastarden aber unvollkommen[S. 292] sind. Selbst bei ersten Kreutzungen hängt die grössre oder geringere Schwierigkeit, eine Paarung zu bewirken, anscheinend von mehren verschiedenen Ursachen ab. Oft liegt sie in der physischen Unmöglichkeit für das männliche Element bis zum Ei’chen zu gelangen, wie es bei solchen Pflanzen der Fall, deren Pistill so lang ist, dass die Pollen-Schläuche nicht bis ins Ovarium hinabreichen können. So ist auch beobachtet worden, dass wenn der Pollen einer Art auf das Stigma einer nur entfernt damit verwandten Art gebracht wird, die Pollen-Schläuche zwar hervortreten, aber nicht in die Oberfläche des Stigmas eindringen. In andern Fällen kann das männliche Element zwar das weibliche erreichen aber unfähig seyn, die Entwickelung des Embryos zu bewirken, wie Das aus einigen Versuchen THURETS mit Seetangen hervorzugehen scheint. Wir können diese Thatsachen eben so wenig erklären, als warum gewisse Holzarten nicht auf andre gepropft werden können. Endlich kann es auch vorkommen, dass ein Embryo sich zwar zu entwickeln beginnt, aber schon in der nächsten Zeit zu Grunde geht. Diese letzte Möglichkeit ist nicht genügend aufgeklärt worden; doch glaube ich nach den von Hrn. HEWITT erhaltenen Mittheilungen, welcher grosse Erfahrung in der Bastard-Züchtung der Hühner-artigen Vögel besessen, dass der frühzeitige Tod des Embryos eine sehr häufige Ursache des Fehlschlagens der ersten Kreutzungen ist. Ich war anfangs sehr wenig daran zu glauben geneigt, weil Bastarde, wenn sie einmal geboren sind, sehr kräftig und langlebend zu seyn pflegen, wie Maulthier und Maulesel zeigen. Überdiess befinden sich Bastarde vor und nach der Geburt unter ganz verschiedenen Verhältnissen. In einer Gegend geboren und lebend, wo auch ihre beiden Ältern leben, mögen ihnen die Lebens-Bedingungen wohl zusagen. Aber ein Bastard hat nur halb an der organischen Bildung und Thätigkeit seiner Mutter Antheil und mag mithin vor der Geburt, so lange als er sich noch im Mutterleibe oder in den von der Mutter hervorgebrachten Eiern und Saamen befindet, einigermassen ungünstigeren Bedingungen ausgesetzt und demzufolge in der ersten Zeit leichter zu Grunde zu gehen geneigt seyn, zumal alle sehr jungen Wesen[S. 293] gegen schädliche und unnatürliche Lebens-Verhältnisse ausserordentlich empfindlich sind.

Hinsichtlich der Sterilität der Bastarde, deren Sexual-Organe unvollkommen entwickelt sind, verhält sich die Sache ganz anders. Ich habe schon mehrmals angeführt, dass ich eine grosse Menge von Thatsachen gesammelt habe, welche zeigen, dass, wenn Pflanzen und Thiere aus ihren natürlichen Verhältnissen gerissen werden, es vorzugsweise die Fortpflanzungs-Organe sind, welche dabei angegriffen werden. Diess ist in der That die grosse Schranke für die Zähmung der Thiere. Zwischen der dadurch veranlassten Unfruchtbarkeit derselben und der der Bastarde sind manche Ähnlichkeiten. In beiden Fällen ist die Sterilität unabhängig von der Gesundheit im Allgemeinen und oft begleitet von vermehrter Grösse und Üppigkeit. In beiden Fällen kommt die Unfruchtbarkeit in vielerlei Abstufungen vor; in beiden leidet das männliche Element am meisten, zuweilen aber das Weibchen doch noch mehr als das Männchen. In beiden geht die Fruchtbarkeit bis zu gewisser Stufe gleichen Schritts mit der systematischen Verwandtschaft; denn ganze Gruppen von Pflanzen und Thieren werden durch dieselben unnatürlichen Bedingungen impotent, und gleiche Gruppen von Arten neigen zur Hervorbringung unfruchtbarer Bastarde. Dagegen widersteht zuweilen eine einzelne Art in einer Gruppe grossen Veränderungen in den äusseren Bedingungen mit ungeschwächter Fruchtbarkeit, und gewisse Arten einer Gruppe liefern ungewöhnlich fruchtbare Bastarde. Niemand kann, ehe er es versucht hat, voraussagen, ob dieses oder jenes Thier in der Gefangenschaft und ob diese oder jene ausländische Pflanze während ihres Anbaues sich gut fortpflanzen wird, noch ob irgend welche zwei Arten einer Sippe mehr oder weniger sterile Bastarde mit einander hervorbringen werden. Endlich, wenn organische Wesen während mehrer Generationen in für sie unnatürliche Verhältnisse versetzt werden, so sind sie ausserordentlich zu variiren geneigt, was, wie ich glaube, davon herrührt, dass ihre Reproduktiv-Systeme vorzugsweise angegriffen sind, obwohl in mindrem Grade als wenn gänzliche Unfruchtbarkeit folgt. Eben so ist es mit Bastarden;[S. 294] denn Bastarde sind in aufeinander-folgenden Generationen sehr zu variiren geneigt, wie es jeder Züchter erfahren hat.

So sehen wir denn, dass, wenn organische Wesen in neue und unnatürliche Verhältnisse versetzt, und wenn Bastarde durch unnatürliche Kreutzung zweier Arten erzeugt werden, das Reproduktiv-System ganz unabhängig von der allgemeinen Gesundheit, in ganz eigenthümlicher Weise von Unfruchtbarkeit betroffen wird. In dem einen Falle sind die Lebens-Bedingungen gestört worden, obwohl oft nur in einem für uns nicht wahrnehmbaren Grade; in dem andern, bei den Bastarden nämlich, sind jene Verhältnisse unverändert geblieben, aber die Organisation ist dadurch gestört worden, dass zweierlei Bau und Verfassung des Körpers mit einander vermischt worden ist. Denn es ist kaum möglich, dass zwei Organisationen in eine verbunden werden, ohne einige Störung in der Entwickelung oder in der periodischen Thätigkeit oder in den Wechselbeziehungen der verschiedenen Theile und Organe zu einander oder endlich in den Lebens-Beziehungen zu veranlassen. Wenn Bastarde fähig sind sich unter sich fortzupflanzen, so übertragen sie von Generation zu Generation auf ihre Abkommen dieselbe Vereinigung zweier Organisationen, und wir dürfen daher nicht erstaunen, ihre Unfruchtbarkeit, wenn auch einigem Schwanken unterworfen, selten abnehmen zu sehen.

Wir müssen jedoch bekennen, dass wir, von haltlosen Hypothesen abgesehen, nicht im Stande sind, gewisse Thatsachen in Bezug auf die Unfruchtbarkeit der Bastarde zu begreifen, wie z. B. die ungleiche Fruchtbarkeit der zweierlei Bastarde aus der Wechselkreutzung, oder die zunehmende Unfruchtbarkeit derjenigen Bastarde, welche zufällig oder ausnahmsweise einem ihrer beiden Ältern sehr ähnlich sind. Auch bilde ich mir nicht ein, durch die vorangehenden Bemerkungen der Sache auf den Grund zu kommen; denn wir haben keine Erklärung dafür, warum ein Organismus unter unnatürlichen Lebens-Bedingungen unfruchtbar wird. Alles, was ich habe zeigen wollen, ist, dass in zwei in mancher Beziehung einander ähnlichen Fällen Unfruchtbarkeit das gleiche Resultat ist, in dem einen Falle, weil die äussren[S. 295] Lebens-Bedingungen, und in dem andern weil durch Verbindung zweier Bildungen in eine die Organisation selbst gestört worden sind.

Es mag wunderlich scheinen, aber ich vermuthe, dass ein gleicher Parallelismus noch in einer andern zwar verwandten, doch an sich sehr verschiedenen Reihe von Thatsachen besteht. Es ist ein alter und fast allgemeiner Glaube, welcher meines Wissens auf einer Masse von Erfahrungen beruhet, dass leichte Veränderungen in den äusseren Lebens-Bedingungen für alle Lebewesen wohlthätig sind. Wir sehen daher Landwirthe und Gärtner beständig ihre Saamen, Knollen u. s. w. austauschen, sie aus einem Boden und Klima ins andre und endlich wohl auch wieder zurück versetzen. Während der Wiedergenesung von Thieren sehen wir sie oft grossen Vortheil aus diesem oder jenem Wechsel in ihrer Lebens-Weise ziehen. So sind auch bei Pflanzen und Thieren reichliche Beweise vorhanden, dass eine Kreutzung zwischen sehr verschiedenen Individuen einer Art, nämlich zwischen solchen von verschiedenen Stämmen oder Unterrassen, der Nachzucht Kraft und Fruchtbarkeit verleihe. Ich glaube in der That, nach den im vierten Kapitel angeführten Thatsachen, dass ein gewisses Maass von Kreutzung selbst für Hermaphroditen unentbehrlich ist, und dass enge Inzucht zwischen den nächsten Verwandten einige Generationen lang fortgesetzt, zumal wenn dieselben unter gleichen Lebens-Bedingungen gehalten werden, endlich schwache und unfruchtbare Sprösslinge liefert.

So scheint es mir denn, dass einerseits geringe Wechsel der Lebens-Bedingungen allen organischen Wesen vortheilhaft sind, und dass anderseits schwache Kreutzungen, nämlich zwischen verschiedenen Stämmen und geringen Varietäten einer Art, der Nachkommenschaft Kraft und Stärke verleihen. Dagegen haben wir aber auch gesehen, dass stärkere Wechsel der Verhältnisse und zumal solche von gewisser Art die Organismen oft in gewissem Grade unfruchtbar machen können, wie auch stärkere Kreutzungen, nämlich zwischen sehr verschiedenen oder in gewissen Beziehungen von einander abweichenden Männchen und[S. 296] Weibchen Bastarde hervorbringen, die gewöhnlich einigermaassen unfruchtbar sind. Ich vermag mich nicht zu überreden, dass dieser Parallelismus auf einem blossen Zufalle oder einer Täuschung beruhen solle. Beide Reihen von Thatsachen scheinen durch ein gemeinsames aber unbekanntes Band mit einander verkettet, welches mit dem Lebens-Prinzipe wesentlich zusammenhängt.

Fruchtbarkeit gekreutzter Varietäten und ihrer Blendlinge.) Man mag uns als einen sehr kräftigen Beweis-Grund entgegenhalten, es müsse irgend ein wesentlicher Unterschied zwischen Arten und Varietäten seyn und sich irgend ein Irrthum durch alle vorangehenden Bemerkungen hindurchziehen, da ja Varietäten, wenn sie in ihrer äusseren Erscheinung auch noch so sehr auseinandergehen, sich doch leicht kreutzen und vollkommene fruchtbare Nachkommen liefern. Ich gebe mit einigen sogleich nachzuweisenden Ausnahmen vollkommen zu, dass sich Diess meistens unabänderlich so verhält. Aber dieser Fall bietet noch grosse Schwierigkeiten dar; denn wenn wir die in der Natur vorkommenden Varietäten betrachten, so werden wir unmittelbar in hoffnungslose Schwierigkeiten eingehüllt, weil, sobald zwei bisher als Varietäten angesehene Formen sich einigermaassen steril mit einander zeigen, dieselben von den meisten Naturforschern sogleich zu Arten erhoben werden. So sind z. B. die rothe und die blaue Anagillis, die hell- und die dunkel-gelbe Schlüsselblume, welche die meisten unsrer besten Botaniker für blosse Varietäten halten, nach GÄRTNER bei der Kreutzung nicht vollkommen fruchtbar und werden desshalb von ihm als unzweifelhafte Arten bezeichnet. Wenn wir daraus im Zirkel schliessen, so muss die Fruchtbarkeit aller natürlich entstandenen Varietäten als erwiesen angesehen werden.

Auch wenn wir uns zu den erwiesener oder vermutheter Maassen im Kultur-Zustande erzeugten Varietäten wenden, sehen wir uns noch in Zweifel verwickelt. Denn wenn es z. B. feststeht, dass der deutsche Spitz-Hund sich leichter als andre Hunde-Rassen mit dem Fuchse paart, oder dass gewisse in Südamerika einheimische Haushunde sich nicht wirklich mit Europäischen[S. 297] Hunden kreutzen, so ist die Erklärung, welche jedem einfallen wird und wahrscheinlich auch die richtige ist, die, dass diese Hunde von verschiedenen wilden Arten abstammen. Dem ungeachtet ist die vollkommene Fruchtbarkeit so vieler gepflegter Varietäten, die in ihrem äusseren Ansehen so weit von einander verschieden sind, wie die der Tauben und des Kohles, eine merkwürdige Thatsache, besonders wenn wir erwägen, wie zahlreiche Arten es gibt, die äusserlich einander sehr ähnlich, doch bei der Kreutzung ganz unfruchtbar mit einander sind. Verschiedene Betrachtungen jedoch lassen die Fruchtbarkeit der gepflegten Varietäten weniger merkwürdig erscheinen, als es anfänglich der Fall ist. Denn erstens müssen wir uns erinnern, wie wenig wir über die wahre Ursache der Unfruchtbarkeit sowohl der miteinander gekreutzten als der ihren natürlichen Lebens-Bedingungen entfremdeten Arten wissen. Hinsichtlich dieses letzten Punktes hat mir der Raum nicht gestattet, die vielen merkwürdigen Thatsachen aufzuzählen, die ich gesammelt habe; was die Unfruchtbarkeit betrifft, so spiegelt sie sich in der Verschiedenheit der beiderlei Bastarde der Wechselkreutzung sowie in den eigenthümlichen Fällen ab, wo eine Pflanze leichter durch fremden als durch ihren eigenen Saamenstaub befruchtet werden kann. Wenn wir über diese und andre Fälle, wie über den nachher zu berichtenden von den verschieden gefärbten Varietäten der Verbascum thapsus nachdenken, so müssen wir fühlen, wie gross unsre Unwissenheit und wie klein für uns die Wahrscheinlichkeit ist zu begreifen, woher es komme, dass bei der Kreutzung gewisse Formen fruchtbar und andre unfruchtbar sind. Es lässt sich zweitens klar nachweisen, dass die blosse äussre Unähnlichkeit zwischen zwei Arten deren grössre oder geringere Unfruchtbarkeit im Falle einer Kreutzung nicht bedingt; und dieselbe Regel wird auch auf die gepflegten Varietäten anzuwenden seyn. Drittens glauben einige ausgezeichnete Naturforscher, dass ein lang-dauernder Zähmungs- oder Kultur-Zustand geeignet seye, die Unfruchtbarkeit der Bastarde, welche anfangs nur wenig steril gewesen sind, in aufeinander-folgenden Generationen mehr und mehr zu verwischen; und wenn Diess der Fall,[S. 298] so werden wir gewiss nicht erwarten dürfen, Sterilität unter dem Einflusse von nahezu den nämlichen Lebens-Bedingungen erscheinen und verschwinden zu sehen. Endlich, und Diess scheint mir bei weitem die wichtigste Betrachtung zu seyn, bringt der Mensch neue Pflanzen- und Thier-Rassen im Kultur-Zustande durch die Kraft planmässiger oder unbewusster Züchtung zu eignem Nutzen und Vergnügen hervor; er will nicht und kann nicht die kleinen Verschiedenheiten im Reproduktiv-Systeme oder andre mit dem Reproduktiv-Systeme in Wechselbeziehung stehenden Unterschiede zum Gegenstande seiner Züchtung machen. Die Erzeugnisse der Kultur und Zähmung sind dem Klima und andern physischen Lebens-Bedingungen viel minder vollkommen als die der Natur angepasst; denn gewöhnlich lassen sie sich ohne Nachtheil in andre Gegenden von verschiedener Beschaffenheit verpflanzen. Der Mensch versieht diese verschiedenen Abänderungen mit der nämlichen Nahrung, behandelt sie fast auf dieselbe Weise und will ihre allgemeine Lebens-Weise nicht ändern. Die Natur wirkt einförmig und langsam während unermesslicher Zeit-Perioden auf die gesammte Organisation der Geschöpfe in einer Weise, die zu deren eignem Besten dient; und so mag sie unmittelbar oder wahrscheinlicher mittelbar, durch Correlation, auch das Reproduktiv-System in den mancherlei Abkömmlingen einer nämlichen Art abändern. Wenn man diese Verschiedenheit im Züchtungs-Verfahren von Seiten des Menschen und der Natur berücksichtigt, wird man sich nicht mehr wundern können, dass sich einiger Unterschied auch in den Ergebnissen zeigt.

Ich habe bis jetzt so gesprochen, als seyen die Varietäten einer nämlichen Art bei der Kreutzung meistens unabänderlich fruchtbar. Es scheint mir aber unmöglich, sich dem Beweise von dem Daseyn eines gewissen Maasses von Unfruchtbarkeit in einigen wenigen Fällen zu verschliessen, von denen ich kürzlich berichten will. Der Beweis ist wenigstens eben so gut als derjenige, welcher uns an die Unfruchtbarkeit einer Menge von Arten [bei der Kreutzung?] glauben macht, und ist von gegnerischen Zeugen entlehnt, die in allen andern Fällen Fruchtbarkeit[S. 299] und Unfruchtbarkeit als gute Art-Kriterien betrachten. GÄRTNER hielt einige Jahre lang eine Sorte Zwerg-Mais mit gelbem und eine grosse Varietät mit rothem Saamen, welche nahe beisammen in seinem Garten wuchsen; und obwohl diese Pflanzen getrennten Geschlechtes sind, so kreutzen sie sich doch nie von selbst mit einander. Er befruchtete dann dreizehn Blüthen-Ähren[32] des einen mit dem Pollen des andern; aber nur ein einziger Stock gab einige Saamen und zwar nur fünf Körner.

Die Behandlungs-Weise kann in diesem Falle nicht schädlich gewesen seyn, indem die Pflanzen getrennte Geschlechter haben. Noch Niemand hat meines Wissens diese zwei Mais-Sorten für verschiedene Arten angesehen; und es ist wesentlich zu bemerken, dass die aus ihnen erzogenen Blendlinge vollkommen fruchtbar waren, so dass auch GÄRTNER selbst nicht wagte, jene Sorten für zwei verschiedene Arten zu erklären.

GIREAU DE BUZAREINGUES kreutzte drei Varietäten von Gurken miteinander, welche wie der Mais getrennten Geschlechtes sind, und versicherte, ihre gegenseitige Befruchtung seye um so schwieriger, je grösser ihre Verschiedenheit. In wie weit dieser Versuch Vertrauen verdient, weiss ich nicht, aber die drei zu denselben benützten Formen sind von SAGARET, welcher sich bei seiner Unterscheidung der Arten hauptsächlich auf ihre Unfruchtbarkeit stützt, als Varietäten aufgestellt worden.

Weit merkwürdiger und anfangs fast unglaublich erscheint der folgende Fall; jedoch ist er das Resultat einer Menge viele Jahre lang an neun Verbascum-Arten fortgesetzter Versuche, welche hier noch um so höher in Anschlag zu bringen, als sie von GÄRTNER’N herrühren, der ein eben so vortrefflicher Beobachter als entschiedener Gegner der Meinung ist, dass die gelben und die weissen Varietäten der nämlichen Verbascum-Arten bei der Kreutzung mit einander weniger Saamen geben, als jede derselben liefert, wenn sie mit Pollen aus Blüthen von ihrer eignen Farbe befruchtet worden. Er erklärt nun, dass wenn gelbe und weisse Varietäten einer Art mit gelben und weissen[S. 300] Varietäten einer andern Art gekreutzt werden, man mehr Saamen erhält, indem man die gleichfarbigen als wenn man die ungleichfarbigen Varietäten miteinander paart. Und doch ist zwischen diesen Varietäten von Verbascum kein andrer Unterschied als in der Farbe ihrer Blüthen, und die eine Farbe entspringt zuweilen aus Saamen der andersfarbigen Varietät.

Nach Versuchen, die ich mit gewissen Varietäten der Rosen-Malve angestellt, möchte ich vermuthen, dass sie ähnliche Erscheinungen darbieten.

KÖLREUTER, dessen Genauigkeit durch jeden späteren Beobachter bestätigt worden ist, hat die merkwürdige Thatsache bewiesen, dass eine Varietät des Tabaks, wenn sie mit einer ganz andern ihr weit entfernt stehenden Art gekreutzt wird, fruchtbarer ist als mit Varietäten der nämlichen Art. Er machte mit fünf Formen Versuche, die allgemein für Varietäten gelten, was er auch durch die strengste Probe, nämlich durch Wechselkreutzungen bewies, welche lauter ganz fruchtbare Blendlinge lieferten. Doch gab eine dieser fünf Varietäten, mochte sie nun als Vater oder Mutter mit ins Spiel kommen, bei der Kreutzung mit Nicotiana glutinosa stets minder unfruchtbare Bastarde, als die vier andern Varietäten. Es muss daher das Reproduktiv-System dieser einen Varietät in irgend einer Weise weniger modifizirt worden seyn.

Bei der grossen Schwierigkeit die Unfruchtbarkeit der Varietäten im Natur-Zustande zu bestätigen, weil jede bei der Kreutzung etwas unfruchtbare Varietät alsbald allgemein für eine Spezies erklärt werden würde, so wie in Folge des Umstandes, dass der Mensch bei seinen künstlichen Züchtungen nur auf die äusseren Charaktere sieht und nicht verborgene und funktionelle Verschiedenheiten im Reproduktiv-System hervorzubringen beabsichtigt, glaube ich mich aus der Zusammenstellung aller Thatsachen zu folgern berechtigt, dass die Fruchtbarkeit der Varietäten unter einander keineswegs eine allgemeine Regel und mithin auch nicht geeignet seye, eine Grundlage zur Unterscheidung von Varietäten und Arten abzugeben. Die gewöhnlich stattfindende Fruchtbarkeit der Varietäten unter einander scheint[S. 301] mir, bei unsrer gänzlichen Unkenntniss von den Ursachen sowohl der Fruchtbarkeit als der Sterilität, nicht genügend, um meine Ansicht über die sehr allgemeine aber nicht beständige Unfruchtbarkeit der ersten Kreutzungen und der Bastarde umzustossen, dass dieselbe nämlich keine besondre Eigenschaft für sich darstelle, sondern mit andern langsam entwickelten Modifikationen zumal im Reproduktiv-Systeme der mit einander gekreutzten Formen zusammenhänge.

Bastarde und Blendlinge unabhängig von ihrer Fruchtbarkeit verglichen.) Die Nachkommenschaft der untereinander gekreutzten Arten und die der Varietäten lassen sich unabhängig von der Frage der Fruchtbarkeit noch in mehren Beziehungen mit einander vergleichen. GÄRTNER, dessen beharrlicher Wunsch es war, eine scharfe Unterscheidungs-Linie zwischen Arten und Varietäten zu ziehen, konnte nur sehr wenige und wie es scheint nur ganz unwesentliche Unterschiede zwischen den sogenannten Bastarden der Arten und den Blendlingen der Varietäten entdecken, wogegen sie sich in vielen andern wesentlichen Beziehungen vollkommen gleichen. Hier kann ich diesen Gegenstand nur ganz kurz erörtern. Als wichtigster Unterschied hat sich ergeben, dass in der ersten Generation Blendlinge veränderlicher als Bastarde sind; doch gibt GÄRTNER zu, dass Bastarde von bereits lange kultivirten Arten oft schon in erster Generation sehr veränderlich sind, und ich selbst habe sehr treffende Belege für diese Thatsache. GÄRTNER gibt ferner zu, dass Bastarde zwischen sehr nahe verwandten Arten veränderlicher sind, als die von weit auseinander-stehenden; und daraus ergibt sich, dass der im Grade der Veränderlichkeit gesuchte Unterschied stufenweise abnimmt. Wenn Blendlinge oder fruchtbarere Bastarde einige Generationen lang in sich fortgepflanzt werden, so nimmt anerkannter Maassen die Veränderlichkeit ihrer Nachkommen bis zu einem ausserordentlichen Maasse zu; dagegen lassen sich einige wenige Fälle anführen, wo Bastarde sowohl als Blendlinge ihren einförmigen Charakter lange Zeit behauptet haben. Doch ist die Veränderlichkeit in den aufeinanderfolgenden[S. 302] Generationen der Blendlinge vielleicht grösser als bei den Bastarden.

Diese grössre Veränderlichkeit der Blendlinge den Bastarden gegenüber scheint mir in keiner Weise überraschend. Denn die Ältern der Blendlinge sind Varietäten und meistens zahme und kultivirte Varietäten (da nur sehr wenige Versuche mit wilden Varietäten angestellt worden sind), wesshalb als Regel anzunehmen, dass ihre Veränderlichkeit noch eine neue ist, daher denn auch zu erwarten steht, dass dieselbe oft noch fortdaure und die schon aus der Kreutzung entspringende Veränderlichkeit verstärke. Der geringere Grad von Variabilität bei Bastarden aus erster Kreutzung oder aus erster Generation im Gegensatze zu ihrer ausserordentlichen Veränderlichkeit in späteren Generationen ist eine eigenthümliche und Beachtung verdienende Thatsache; denn sie führt zu der Ansicht, die ich mir über die Ursache der gewöhnlichen Variabilität gebildet, und unterstützt dieselbe, dass diese letzte nämlich aus dem Reproduktions-Systeme herrühre, welches für jede Veränderung in den Lebens-Bedingungen so empfindlich ist, dass es hiedurch oft ganz unvermögend oder wenigstens für seine eigentliche Funktion, mit der älterlichen Form übereinstimmende Nachkommen zu erzeugen, unfähig gemacht wird. Nun rühren die in erster Generation gebildeten Bastarde alle von Arten her, deren Reproduktiv-Systeme ausser bei schon lange kultivirten Arten in keiner Weise leidend gewesen, und sind nicht veränderlich; aber Bastarde selber haben ein ernstlich angegriffenes Reproduktiv-System, und ihre Nachkommen sind sehr veränderlich.

Doch kehren wir zur Vergleichung zwischen Blendlingen und Bastarden zurück. GÄRTNER behauptet, dass Blendlinge mehr als Bastarde geneigt seyen, wieder in eine der älterlichen Formen zurückzuschlagen; doch ist dieser Unterschied, wenn er richtig, gewiss nur ein stufenweiser. GÄRTNER legt ferner Nachdruck darauf, dass, wenn zwei obgleich nahe mit einander verwandte Arten mit einer dritten gekreutzt werden, deren Bastarde doch weit auseinander weichen, während, wenn zwei sehr verschiedene Varietäten einer Art mit einer andern Art gekreutzt werden,[S. 303] deren Blendlinge unter sich nicht sehr verschieden sind. Dieses Ergebniss ist jedoch so viel ich zu ersehen im Stande bin, nur auf einen einzigen Versuch gegründet und scheint den Erfahrungen geradezu entgegengesetzt zu seyn, welche KÖLREUTER bei mehren Versuchen gemacht hat.

Diess sind allein die an sich unwesentlichen Verschiedenheiten, welche GÄRTNER zwischen Bastarden und Blendlingen der Pflanzen auszumitteln im Stande gewesen ist. Aber auch die Ähnlichkeit der Bastarde und Blendlinge, und insbesondere die von nahe verwandten Arten entsprungenen Bastarde mit ihren Ältern folgt nach GÄRTNER den nämlichen Gesetzen. Wenn zwei Arten gekreutzt werden, so zeigt zuweilen eine derselben ein überwiegendes Vermögen eine Ähnlichkeit mit ihr dem Bastarde aufzuprägen, und so ist es, wie ich glaube, auch mit Pflanzen-Varietäten. Bei Thieren besitzt gewiss oft eine Varietät dieses überwiegende Vermögen über eine andre. Die beiderlei Bastard-Pflanzen aus einer Wechselkreutzung gleichen einander gewöhnlich sehr, und so ist es auch mit den zweierlei Blendlingen aus Wechselkreutzungen. Bastarde sowohl als Blendlinge können wieder in jede der zwei älterlichen Formen zurückgeführt werden, wenn man sie in aufeinander-folgenden Generationen wiederholt mit der einen ihrer Stamm-Formen kreutzt.

Diese verschiedenen Bemerkungen lassen sich offenbar auch auf Thiere anwenden; doch wird hier der Gegenstand ausserordentlich verwickelt, theils in Folge vorhandener sekundärer Sexual-Charaktere und theils insbesondere in Folge des gewöhnlich bei einem von beiden Geschlechtern überwiegenden Vermögens sein Bild dem Nachkommen aufzuprägen, eben sowohl wo es sich um die Kreutzung von Arten, als dort, wo es sich um die von Varietäten unter einander handelt. So glaube ich z. B., dass diejenigen Schriftsteller Recht haben, welche behaupten, der Esel besitze ein solches Übergewicht über das Pferd, in dessen Folge sowohl Maulesel als Maulthier mehr dem Esel als dem Pferde glichen; dass jedoch dieses Übergewicht noch mehr bei dem männlichen als dem weiblichen Esel hervortrete, daher der Maulesel als der Bastard von Esel-Hengst und Pferde-Stute dem[S. 304] Esel mehr als das Maulthier gleiche, welches das Pferd zum Vater und eine Eselin zur Mutter hat.

Einige Schriftsteller haben viel Gewicht darauf gelegt, dass es unter den Thieren nur bei Blendlingen vorkomme, dass solche einem ihrer Ältern ausserordentlich ähnlich seyen; doch lässt sich nachweisen, dass Solches auch bei Bastarden, wenn gleich seltener als bei Blendlingen, der Fall ist. Was die von mir gesammelten Fälle von einer Kreutzung entsprungenen Thieren betrifft, die einem der zwei Ältern sehr ähnlich gewesen, so scheint sich diese Ähnlichkeit vorzugsweise auf in ihrer Art monströse und plötzlich aufgetretene Charaktere zu beschränken, wie Albinismus, Melanismus, Mangel der Hörner, Fehlen des Schwanzes und Überzahl der Finger und Zehen, daher sie keinen Zusammenhang mit den durch Züchtung langsam entwickelten Merkmalen haben. Demzufolge werden auch Fälle plötzlicher Rückkehr zu einem der zwei älterlichen Typen bei Blendlingen vorkommen, welche von oft plötzlich entstandenen und ihrem Charakter nach halb-monströsen Varietäten abstammen, als bei Bastarden, die von langsam und auf natürliche Weise gebildeten Arten herrühren. Im Ganzen aber bin ich der Meinung von Dr. PROSPER LUCAS, welcher nach der Musterung einer ungeheuren Menge von Thatsachen bei den Thieren zu dem Schlusse gelangt, dass die Gesetze der Ähnlichkeit zwischen Kindern und Ältern die nämlichen sind, ob beide Ältern mehr oder ob sie weniger von einander abweichen, ob sie einer oder ob sie verschiedenen Varietäten oder ganz verschiedenen Arten angehören.

Von der Frage über Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit abgesehen, scheint sich in allen andern Beziehungen eine grosse Ähnlichkeit des Verhaltens zwischen Bastarden und Blendlingen zu ergeben. Bei der Annahme, dass die Arten einzeln erschaffen und die Varietäten erst durch sekundäre Gesetze entwickelt worden seyen, müsste ein solches ähnliches Verhalten als eine äusserst befremdende Thatsache erscheinen. Geht man aber von der Ansicht aus, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Arten und Varietäten gar nicht vorhanden seye, so steht es vollkommen mit derselben im Einklang.

[S. 305]

Zusammenfassung des Kapitels.) Erste Kreutzungen sowohl zwischen genügend unterschiedenen Formen, um für Varietäten zu gelten, wie zwischen ihren Bastarden sind sehr oft, aber nicht immer unfruchtbar. Diese Unfruchtbarkeit findet in allen Abstufungen statt und ist oft so unbedeutend, dass die zwei erfahrensten Experimentisten, welche jemals gelebt, zu mitunter schnurstracks entgegengesetzten Folgerungen gelangten, als sie die Formen darnach ordnen wollten. Die Unfruchtbarkeit ist von angeborener Veränderlichkeit bei Individuen einer nämlichen Art, und für günstige und ungünstige Einflüsse ausserordentlich empfänglich. Der Grad der Unfruchtbarkeit richtet sich nicht genau nach systematischer Affinität, sondern ist von einigen eigenthümlichen und verwickelten Gesetzen abhängig. Er ist gewöhnlich ungleich und oft sehr ungleich bei Wechselkreutzung der nämlichen zwei Arten. Er ist nicht immer von gleicher Stärke bei einer ersten Kreutzung und den daraus entspringenden Nachkommen.

In derselben Weise, wie beim Zweigen der Bäume die Fähigkeit einer Art oder Varietät bei andern anzuschlagen mit meistens ganz unbekannten Verschiedenheiten in ihren vegetativen Systemen zusammenhängt, so ist bei Kreutzungen die grössere oder geringere Leichtigkeit einer Art sich mit der andern zu befruchten von unbekannten Verschiedenheiten in ihren Reproduktions-Systemen veranlasst. Es ist daher nicht mehr Grund anzunehmen, dass von der Natur einer jeden Art ein verschiedener Grad von Sterilität in der Absicht ihr gegenseitiges Durchkreutzen und Ineinanderlaufen zu verhüten besonders eingebunden worden seye, — als Ursache vorhanden ist anzunehmen, dass jeder Holzart ein verschiedener und etwas analoger Grad von Schwierigkeit beim Verpropfen auf andern Arten anzuschlagen eingebunden worden seye, um zu verhüten, dass sich nicht alle in unsern Wäldern aufeinander-propfen.

Die Sterilität der ersten Kreutzungen zwischen reinen Arten mit vollkommenen Reproduktiv-Systemen scheint von verschiedenen Ursachen abzuhängen: in einigen Fällen meistens von frühzeitigem Verderben des Embryos. Die Unfruchtbarkeit der[S. 306] Bastarde mit unvollkommenem Reproduktions-Systeme und derjenigen wo dieses System so wie die ganze Organisation durch Verschmelzung zweier Arten in eine gestört worden ist, scheint nahe übereinzukommen mit derjenigen Sterilität, welche so oft auch reine Spezies befällt, wenn ihre natürlichen Lebens-Bedingungen gestört worden sind. Diese Betrachtungs-Weise wird noch durch einen Parallelismus andrer Art unterstützt, indem nämlich die Kreutzung nur wenig von einander abweichender Formen die Kraft und Fruchtbarkeit der Nachkommenschaft befördert, wie geringe Veränderungen in den äusseren Lebens-Bedingungen für Gesundheit und Fruchtbarkeit aller organischen Wesen vortheilhaft sind. Es ist nicht überraschend, dass der Grad der Schwierigkeit zwei Arten mit einander zu befruchten und der Grad der Unfruchtbarkeit ihrer Bastarde einander im Allgemeinen entsprechen, obwohl sie von verschiedenen Ursachen herrühren; denn beide hängen von dem Maasse irgend welcher Verschiedenheit zwischen den gekreutzten Arten ab. Eben so ist es nicht überraschend, dass die Leichtigkeit eine erste Kreutzung zu bewirken, die Fruchtbarkeit der daraus entsprungenen Bastarde und die Fähigkeit wechselseitiger Aufeinanderpropfung, obwohl diese letzte offenbar von weit verschiedenen Ursachen abhängt, alle bis zu einem gewissen Grade parallel gehen mit der systematischen Verwandtschaft der Formen, welche bei den Versuchen in Anwendung gekommen; denn „systematische Affinität“ bezweckt alle Sorten von Ähnlichkeiten zwischen den Spezies auszudrücken.

Erste Kreutzungen zwischen Formen, die als Varietäten gelten oder doch genügend von einander verschieden sind um dafür zu gehen, und ihre Blendlinge sind zwar gewöhnlich, aber nicht (wie so oft irrthümlich behauptet worden) ohne Ausnahme fruchtbar. Doch ist diese gewöhnliche und vollkommene Fruchtbarkeit nicht befremdend, wenn wir uns erinnern, wie leicht wir hinsichtlich der Varietäten im Natur-Zustande in einen Zirkelschluss gerathen, und wenn wir uns ins Gedächtniss rufen, dass die grössre Anzahl der Varietäten durch Kultur mittelst Züchtung bloss nach äusseren Verschiedenheiten und nicht nach solchen[S. 307] im Reproduktiv-System hervorgebracht worden sind. In allen andren Beziehungen, ausser der Fruchtbarkeit, ist eine allgemein sehr grosse Ähnlichkeit zwischen Bastarden und Blendlingen. Endlich scheinen mir die in diesem Kapitel kürzlich aufgezählten Thatsachen, trotz unsrer völligen Unbekanntschaft mit den wirklichen Ursachen der Unfruchtbarkeit nicht im Widerspruch, sondern in mehrfacher Hinsicht im Einklang zu stehen mit der Ansicht, dass es keinen gründlichen Unterschied zwischen Arten und Varietäten gibt.

Neuntes Kapitel.
Unvollkommenheit der Geologischen Überlieferungen.

Mangel mittler Varietäten zwischen den heutigen Formen. — Natur der erloschenen Mittel-Varietäten und deren Zahl. — Länge der Zeit-Perioden nach Maassgabe der Ablagerungen und Entblössungen. — Armuth unsrer paläontologischen Sammlungen. — Entblössung granitischer Boden-Flächen. — Unterbrechung geologischer Formationen. — Abwesenheit der Mittel-Varietäten in allen Formationen. — Plötzliche Erscheinung von Arten-Gruppen. — Ihr plötzliches Auftreten in den ältesten Fossilien-führenden Schichten.

Im sechsten Kapitel habe ich die Haupteinreden aufgezählt, welche man gegen die in diesem Bande aufgestellten Ansichten erheben könnte. Die meisten derselben sind jetzt bereits erörtert worden. Darunter ist eine allerdings von handgreiflicher Schwierigkeit: die der Verschiedenheit der Art-Formen ohne wesentliche Verkettung durch zahllose Übergangs-Formen. Ich habe die Ursachen nachgewiesen, warum solche Glieder heutzutage unter den anscheinend für ihr Daseyn günstigsten Umständen, namentlich auf ausgedehnten und zusammenhängenden Flächen mit allmählich abgestuften physikalischen Bedingungen nicht gewöhnlich zu finden sind. Ich versuchte zu zeigen, dass das Leben einer jeden Art noch wesentlicher abhängt von der Anwesenheit gewisser andrer organischer Formen, als vom Klima, und dass[S. 308] daher die wesentlich leitenden Lebens-Bedingungen sich nicht so allmählig abstufen, wie Wärme und Feuchtigkeit. Ich versuchte ferner zu zeigen, dass mittle Varietäten desswegen, weil sie in geringrer Anzahl als die von ihnen verketteten Formen vorkommen, im Verlaufe weitrer Veränderung und Vervollkommnung dieser letzten bald verdrängt werden. Die Hauptursache jedoch, warum nicht in der ganzen Natur jetzt noch zahllose solche Zwischenglieder vorkommen, liegt im Prozesse der natürlichen Züchtung, wodurch neue Varietäten fortwährend die Stelle der Stamm-Formen einnehmen und dieselben vertilgen. Aber gerade in dem Verhältnisse, wie dieser Prozess der Vertilgung in ungeheurem Maasse thätig gewesen ist, so muss auch die Anzahl der Zwischenvarietäten, welche vordem auf der Erde vorhanden waren, eine wahrhaft ungeheure gewesen seyn. Doch woher kömmt es dann, dass nicht jede Formation und jede Gesteins-Schicht voll von solchen Zwischenformen ist? Die Geologie enthüllt uns sicherlich nicht eine solche fein abgestufte Organismen-Reihe; und Diess ist vielleicht die handgreiflichste und gewichtigste Einrede, die man meiner Theorie entgegenhalten kann. Die Erklärung liegt aber, wie ich glaube, in der äussersten Unvollständigkeit der geologischen Überlieferungen.

Zuerst muss man sich erinnern, was für Zwischenformen meiner Theorie zufolge vordem bestanden haben müssten. Ich habe es schwierig gefunden, wenn ich irgend welche zwei Arten betrachtete, unmittelbare Zwischenformen zwischen denselben mir in Gedanken auszumalen. Es ist Diess aber auch eine ganz falsche Ansicht; denn man hat sich vielmehr nach Formen umzusehen, welche zwischen jeder der zwei Spezies und einem gemeinsamen aber unbekannten Stammvater das Mittel halten; und dieser Stammvater wird gewöhnlich von allen seinen Nachkommen einigermaassen verschieden gewesen seyn. Ich will Diess mit einem einfachen Beispiele erläutern. Die Pfauen-Taube und der Kröpfer leiten beide ihren Ursprung von der Felstaube (C. livia) her; aber eine unmittelbare Zwischen-Varietät zwischen Pfauen-Taube und Kropf-Taube wird es nicht geben, keine z. B., die einen etwas ausgebreiteteren Schwanz mit einem nur mässig[S. 309] erweiterten Kropfe verbände, worin doch eben die bezeichnenden Merkmale jener zwei Rassen liegen. Diese beiden Rassen sind überdiess so sehr modifizirt worden, dass, wenn wir keinen historischen oder indirekten Beweis über ihren Ursprung hätten, wir unmöglich im Stande gewesen seyn würden durch blosse Vergleichung ihrer Struktur zu bestimmen, ob sie aus der Felstaube (Columba livia) oder einer andern ihr verwandten Art, wie z. B. Columba oenas, entstanden seyen.

So verhält es sich auch mit den natürlichen Arten. Wenn wir uns nach sehr verschiedenen Formen umsehen, wie z. B. Pferd und Tapir, so finden wir keinen Grund zu unterstellen, dass es jemals unmittelbare Zwischenglieder zwischen denselben gegeben habe, wohl aber zwischen jedem von beiden und irgend einem unbekannten Stamm-Vater. Dieser gemeinsame Stamm-Vater wird in seiner ganzen Organisation viele allgemeine Ähnlichkeit mit dem Tapir so wie mit dem Pferde besessen haben; doch in einer und der andern Hinsicht auch von beiden beträchtlich verschieden gewesen seyn, vielleicht in noch höherem Grade, als beide jetzt unter sich sind. Daher wir in allen solchen Fällen nicht im Stande seyn würden, die älterliche Form für irgend welche zwei oder drei sich nahe-stehende Arten auszumitteln, selbst dann nicht, wenn wir den Bau des Stamm-Vaters genau mit dem seiner abgeänderten Nachkommen vergleichen, es seye denn, dass wir eine nahezu vollständige Kette von Zwischengliedern dabei hätten.

Es wäre nach meiner Theorie allerdings möglich, dass von zwei noch lebenden Formen die eine von der andern abstammte, wie z. B. das Pferd von Tapir, und in diesem Falle müsste es unmittelbare Zwischenglieder zwischen denselben gegeben haben. Ein solcher Fall würde jedoch voraussetzen, dass die eine der zwei Arten (der Tapir) sich eine sehr lange Zeit hindurch unverändert erhalten habe, während ein Theil ihrer Nachkommen sehr ansehnliche Veränderungen erfuhren. Aber das Princip der Mitbewerbung zwischen Organismus und Organismus, zwischen Vater und Sohn, wird diesen Fall nur sehr selten aufkommen[S. 310] lassen; denn in allen Fällen streben die neuen und verbesserten Lebens-Formen die alten und unpassendern zu ersetzen.

Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung stehen alle lebenden Arten mit einer Stamm-Art ihrer Sippe in Verbindung durch Charaktere, deren Unterschiede nicht grösser sind, als wir sie heutzutage zwischen Varietäten einer Art sehen; diese jetzt gewöhnlich erloschenen Stamm-Arten waren ihrerseits wieder in ähnlicher Weise mit älteren Arten verkettet; und so immer weiter rückwärts, bis endlich alle in einem gemeinsamen Vorgänger einer ganzen Ordnung oder Klasse zusammentreffen. So muss daher die Anzahl der Zwischen- und Übergangs-Glieder zwischen allen lebenden und erloschenen Arten ganz unbegreiflich gross gewesen seyn. Aber, wenn diese Theorie richtig ist, haben sie gewiss auf dieser Erde gelebt.

Über die Zeitdauer.) Unabhängig von der aus dem Mangel jener endlosen Anzahl von Zwischengliedern hergenommenen Einrede könnte man mir ferner entgegenhalten, dass die Zeit nicht hingereicht habe, ein so ungeheures Maass organischer Veränderungen durchzuführen, weil alle Abänderungen nur sehr langsam durch Natürliche Züchtung bewirkt worden seyen. Es würde mir kaum möglich seyn, demjenigen Leser, welcher kein praktischer Geologe ist, alle Thatsachen vorzuführen, welche uns einigermaassen die unermessliche Länge der verflossenen Zeiträume zu erfassen in den Stand setzen. Wer Sir CHARLES LYELL’S grosses Werk „the Principles of Geology“, welchem spätre Historiker die Anerkennung eine grosse Umwälzung in den Natur-Wissenschaften bewirkt zu haben nicht versagen werden, lesen kann und nicht sofort die unbegreifliche Länge der verflossenen Erd-Perioden zugesteht, der mag dieses Buch nur schliessen. Nicht als ob es genüge die Principles of Geology zu studiren oder die Special-Abhandlungen verschiedner Beobachter über einzelne Formationen zu lesen, deren jeder bestrebt ist einen ungenügenden Begriff von der Entstehungs-Dauer einer jeden Formation oder sogar jeder einzelnen Schicht zu geben. Jeder muss vielmehr erst Jahre lang für sich selbst diese ungeheuren Stösse übereinander gelagerter Schichten untersuchen und die See bei[S. 311] der Arbeit, wie sie alle Gesteins-Schichten unterwühlt und zertrümmert und neue Ablagerungen daraus bildet, beobachtet haben, ehe er hoffen kann, nur einigermaassen die Länge der Zeit zu begreifen, deren Denkmäler wir um uns her erblicken.

Es ist gut den See-Küsten entlang zu wandern, welche aus mässig harten Fels-Schichten aufgebaut sind, und den Zerstörungs-Prozess zu beobachten. Die Gezeiten erreichen diese Fels-Wände gewöhnlich nur auf kurze Zeit zweimal am Tage, und die Wogen nagen sie nur aus, wenn sie mit Sand und Geschieben beladen sind; denn es ist leicht zu beweisen, dass reines Wasser Gesteine jeder Art nicht oder nur wenig angreift. Zuletzt wird der Fuss der Fels-Wände unterwaschen, mächtige Massen brechen zusammen, und die nun fest liegen bleiben werden, Atom um Atom zerrieben, bis sie klein genug geworden, dass die Wellen sie zu rollen und vollends in Geschiebe und Sand und Schlamm zu verarbeiten vermögen. Aber wie oft sehen wir längs dem Fusse sich zurückziehender Klippen gerundete Blöcke liegen, alle dick überzogen mit Meeres-Erzeugnissen, welche beweisen, wie wenig sie durch Abreibung leiden und wie selten sie umhergerollt werden! Überdiess, wenn wir einige Meilen weit eine derartige Küsten-Wand verfolgen, welche der Zerstörung unterliegt, so finden wir, dass es nur hier und da, auf kurze Strecken oder etwa um ein Vorgebirge her der Fall ist, dass die Klippen jetzt leiden. Die Beschaffenheit ihrer Oberfläche und der auf ihnen erscheinende Pflanzen-Wuchs beweisen, dass allenthalben Jahre verflossen sind, seitdem die Wasser deren Fuss gewaschen haben.

Wer die Thätigkeit des Meeres an unsren Küsten näher studirt hat, der muss einen tiefen Eindruck in sich aufgenommen haben von der Langsamkeit ihrer Zerstörung. Die trefflichen Beobachtungen von HUGH MILLER und von SMITH von Jordanhill sind vorzugsweise geeignet diese Überzeugung zu gewähren. Von ihr durchdrungen möge Jeder die viele Tausend Fuss mächtigen Konglomerat-Schichten untersuchen, welche, obschon wahrscheinlich in rascherem Verhältnisse als so viele andere Ablagerungen gebildet, doch nun an jedem der zahllosen abgeriebenen und gerundeten Geschiebe, woraus sie bestehen, den Stempel einer[S. 312] langen Zeit tragen und vortrefflich zu zeigen geeignet sind, wie langsam diese Massen zusammengehäuft worden seyn müssen. In den Cordilleren habe ich einen Stoss solcher Konglomerat-Schichten zu zehntausend Fuss Mächtigkeit geschätzt. Nun mag sich der Beobachter der wohl begründeten Bemerkung LYELL’S erinnern, dass die Dicke und Ausdehnung der Sediment-Formationen Ergebniss und Maassstab der Abtragungen sind, welche die Erd-Rinde an andern Stellen erlitten hat. Und was für ungeheure Abtragungen werden durch die Sediment-Ablagerungen mancher Gegenden vorausgesetzt! Professor RAMSAY hat mir, meistens nach wirklichen Messungen und geringentheils nach Schätzungen, die Maasse der grössten unsrer Formationen aus verschiedenen Theilen Gross-Britanniens in folgender Weise angegeben:

Tertiäre Schichten
 2,240′
= 72,584′
Sekundär-Schichten
13,190′
Paläolithische Schichten
57,154′

d. i. beinahe 13¾ Englische Meilen. Einige dieser Formationen, welche in England nur durch dünne Lagen vertreten sind, haben auf dem Kontinente Tausende von Fussen Mächtigkeit. Überdiess sollen nach der Meinung der meisten Geologen zwischen je zwei aufeinander-folgenden Formationen immer unermessliche leere Perioden fallen. Wenn somit selbst jener ungeheure Stoss von Sediment-Schichten in Britannien nur eine unvollkommene Vorstellung von der Zeit gewährt, wie lang muss diese Zeit gewesen seyn! Gute Beobachter haben die Sediment-Ablagerungen des grossen Mississippi-Stromes nur auf 600′ Mächtigkeit in 100,000 Jahren berechnet. Diese Berechnung macht keinen Anspruch auf grosse Genauigkeit. Wenn wir aber nun berücksichtigen, wie ausserordentlich weit ganz feine Sedimente von den See-Strömungen fortgetragen werden, so muss der Prozess ihrer Anhäufung über irgend welche Erstreckung des See-Bodens äusserst langsam seyn.

Doch scheint das Maass der Entblössung, welche die Schichten mancher Gegenden erlitten, unabhängig von dem Verhältnisse der Anhäufung der zertrümmerten Massen, die besten Beweise[S. 313] für die Länge der Zeiten zu liefern. Ich erinnere mich, von dem Beweise der Entblössungen in hohem Grade betroffen gewesen zu seyn, als ich vulkanische Inseln sah, welche rundum von den Wellen so abgewaschen waren, dass sie in 1000–2000′ hohen Fels-Wänden senkrecht emporragten, während sich aus dem schwachen Fall-Winkel, mit welchem sich die Lava-Ströme einst in ihrem flüssigen Zustand herabgesenkt, auf den ersten Blick ermessen liess, wie weit einstens die harten Fels-Lagen in den offnen Ozean hinausgereicht haben müssen. Dieselbe Geschichte ergibt sich oft noch deutlicher durch die mächtigen Rücken, jene grossen Gebirgs-Spalten, längs deren die Schichten bis zu Tausenden von Fussen an einer Seite emporgestiegen oder an der andern Seite hinabgesunken sind; denn seit dieser senkrechten Verschiebung (gleichviel ob die Hebung plötzlich oder allmählich und stufenweise erfolgt ist) ist die Oberfläche des Bodens durch die Thätigkeit des Meeres wieder so vollkommen ausgeebnet worden, dass keine Spur von dieser ungeheuren Verwerfung mehr äusserlich zu erkennen ist.

So erstreckt sich der Craven-Rücken z. B. 30 Englische Meilen weit, und auf dieser ganzen Strecke sind die von beiden Seiten her zusammenstossenden Schichten um 600′–3000′ senkrechter Höhe verworfen. Professor RAMSAY hat eine Senkung von 2300′ in Anglesea beschrieben und benachrichtigt mich, dass er sich überzeugt hatte, dass in Merionetshire eine von 12,000′ vorhanden seye. Und doch verräth in diesen Fällen die Oberfläche des Bodens nichts von solchen wunderbaren Bewegungen, indem die ganze anfangs auf der einen Seite höher emporragende Schichten-Reihe bis zur Abebnung der Oberfläche weggespült worden ist. Die Betrachtung dieser Thatsachen macht auf mich denselben Eindruck, wie das vergebliche Ringen des Geistes um den Gedanken der Ewigkeit zu erfassen.

Ich habe diese wenigen Bemerkungen gemacht, weil es für uns von höchster Wichtigkeit ist, eine wenn auch unvollkommene Vorstellung von der Länge verflossener Erd-Perioden zu haben. Und jedes Jahr während der ganzen Dauer dieser Perioden war die Erd-Oberfläche, waren Land und Wasser von Schaaren[S. 314] lebender Formen bevölkert. Was für eine endlose, dem Geiste unerfassliche Anzahl von Generationen muss, seitdem die Erde bewohnt ist, schon aufeinander gefolgt seyn! Und sieht man nun unsre reichsten geologischen Sammlungen an, — welche armselige Schaustellung davon!

Armuth paläontologischer Sammlungen.) Jedermann gibt die ausserordentliche Unvollständigkeit unsrer paläontologischen Sammlungen zu. Überdiess sollte man die Bemerkung des vortrefflichen Paläontologen, des verstorbnen EDWARD FORBES, nicht vergessen, dass eine Menge unsrer fossilen Arten nur nach einem einzigen oft zerbrochenen Exemplare oder nur wenigen auf einem kleinen Fleck beisammen gefundenen Individuen bekannt und benannt sind. Nur ein kleiner Theil der Erd-Oberfläche ist geologisch untersucht und noch keiner mit erschöpfender Genauigkeit erforscht, wie die noch jährlich in Europa aufeinanderfolgenden wichtigen Entdeckungen beweisen. Kein ganz weicher Organismus ist Erhaltungs-fähig. Selbst Schaalen und Knochen zerfallen und verschwinden auf dem Boden des Meeres, wo sich keine Sedimente anhäufen. Ich glaube, dass wir beständig in einem grossen Irrthum begriffen sind, wenn wir uns der stillen Ansicht überlassen, dass sich Niederschläge fortwährend auf fast der ganzen Erstreckung des See-Grundes in genügendem Maasse bilden, um die zu Boden sinkenden organischen Stoffe zu umhüllen und zu erhalten. Auf eine ungeheure Ausdehnung des Ozeans spricht die klar blaue Farbe seines Wassers für dessen Reinheit. Die vielen Berichte von mehren in gleichförmiger Lagerung aufeinander-folgenden Formationen, deren keine auch nur Spuren aufrichtender, zerreissender oder abwaschender Thätigkeit an sich trägt, scheinen nur durch die Ansicht erklärbar zu seyn, dass der Boden des Meeres oft eine unermessliche Zeit in völlig unveränderter Lage bleibt. Die Reste, welche in Sand und Kies eingebettet worden, werden gewöhnlich von Kohlensäure-haltigen Tage-Wassern wieder aufgelöst, welche den Boden nach seiner Emporhebung über den Meeres-Spiegel zu durchsinken beginnen.

Einige von den vielen Thier-Arten, welche zwischen Ebbe- und[S. 315] Fluth-Stand des Meeres am Strande leben, scheinen sich nur selten fossil zu erhalten. Einige von den manchfaltigen Thier-Arten, welche am Strande zwischen Hoch- und Tief-Wasserstand leben, scheinen sich nur selten zu erhalten. So z. B. überziehen in aller Welt zahllose Chthamalinen (eine Familie der sitzenden Cirripeden) die dort gelegenen Klippen. Alle sind im strengen Sinne litoral, mit Ausnahme einer einzigen mittelmeerischen Art, welche dem tiefen Wasser angehört und auch in Sicilien fossil gefunden worden ist, während man fast noch keine tertiäre Art kennt und aus der Kreide-Zeit noch keine Spur davon vorliegt. Die Mollusken-Sippe Chiton bietet ein theilweise analoges Beispiel dar[33].

Hinsichtlich der Land-Bewohner, welche in der paläolithischen und sekundären Zeit gelebt, ist es überflüssig darzuthun, dass unsre Kenntnisse höchst fragmentarisch sind. So ist z. B. nicht eine Landschnecke aus einer dieser langen Perioden bekannt, mit Ausnahme der von Sir CH. LYELL und Dr. DAWSON in den Kohlen-Schichten Nord-Amerika’s entdeckten Art, wovon jetzt über hundert Exemplare gesammelt sind. Was die Säugthier-Reste betrifft, so ergibt ein Blick auf die Tabelle im Supplement zu LYELL’S Handbuch weit besser, wie zufällig und selten ihre Erhaltung seye, als Seiten-lange Einzelnheiten, und doch kann ihre Seltenheit keine Verwunderung erregen, wenn wir uns erinnern, was für ein grosser Theil der tertiären Reste derselben aus Knochen-Höhlen und Süsswasser-Ablagerungen herrühren, während nicht eine Knochen-Höhle und ächte Süsswasser-Schicht vom Alter unsrer paläolithischen und sekundären Formationen bekannt ist.

Aber die Unvollständigkeit der geologischen Nachrichten rührt hauptsächlich von einer andren und weit wichtigeren Ursache her, als irgend eine der vorhin angegebenen ist, dass nämlich die verschiedenen Formationen durch lange Zeiträume von einander getrennt sind. Auf diese Behauptung ist von[S. 316] manchen Geologen und Paläontologen, welche mit E. FORBES nicht an eine Veränderlichkeit der Arten glauben mögen, grosser Nachdruck gelegt worden. Wenn wir die Formationen in wissenschaftlichen Werken in Tabellen geordnet finden, oder wenn wir sie in der Natur verfolgen, so können wir uns nicht wohl der Überzeugung verschliessen, dass sie nicht unmittelbar auf einander gefolgt sind. So wissen wir z. B. aus Sir R. MURCHISONS grossem Werke über Russland, dass daselbst weite Lücken zwischen den aufeinanderliegenden Formationen bestehen; und so ist es auch in Nord-Amerika und vielen andern Weltgegenden. Und doch würde der beste Geologe, wenn er sich nur mit einem dieser weiten Länder-Gebiete allein beschäftigt hätte, nimmer vermuthet haben, dass während dieser langen Perioden, aus welchen in seiner eignen Gegend kein Denkmal übrig ist, sich grosse Schichten-Stösse voll neuer und eigenthümlicher Lebenformen anderweitig auf einander gehäuft haben. Und wenn man sich in jeder einzelnen Gegend kaum eine Vorstellung von der Länge der Zwischenzeiten zu machen im Stande ist, so wird man glauben, dass Diess nirgends möglich seye. Die häufigen und grossen Veränderungen in der mineralogischen Zusammensetzung aufeinander-folgender Formationen, welche gewöhnlich auch grosse Veränderungen in der geographischen Beschaffenheit des umgebenden Landes unterstellen lassen, aus welchem das Material zu diesen Niederschlägen entnommen ist, stimmen mit der Annahme langer zwischen den einzelnen Formationen verflossener Zeiträume überein.

Doch kann man, wie ich glaube, leicht einsehen, warum die geologischen Formationen jeder Gegend fast unabänderlich überall unterbrochen sind, d. h. sich nicht ohne Zwischenpausen abgelagert haben. Kaum hat eine Thatsache bei Untersuchung viele Hundert Meilen langer Strecken der Süd-Amerikanischen Küsten, die in der jetzigen Periode einige hundert Fuss hoch emporgehoben worden sind, einen lebhafteren Eindruck auf mich gemacht als die Abwesenheit aller neueren Ablagerungen von hinreichender Entwickelung, um auch nur für eine kurze geologische Periode zu gelten. Längs der ganzen West-Küste, die von[S. 317] einer eigenthümlichen Meeres-Fauna bewohnt wird, sind die Tertiär-Schichten so spärlich entwickelt, dass wahrscheinlich kein Denkmal von verschiedenen aufeinander-folgenden Meeres-Faunen für spätre Zeiten erhalten bleiben wird. Ein wenig Nachdenken erklärt es uns, warum längs der fortwährend höher steigenden West-Küste Süd-Amerikas keine ausgedehnten Formationen mit neuen oder mit tertiären Resten irgendwo zu finden sind, obwohl nach den ungeheuren Abtragungen der Küsten-Wände und den Schlamm-reichen Flüssen zu urtheilen, die sich dort in das Meer ergiessen, die Zuführung von Sedimenten lange Perioden hindurch eine sehr grosse gewesen seyn muss. Die Erklärung liegt ohne Zweifel darin, dass die litoralen und sublitoralen Ablagerungen beständig wieder weggewaschen werden, sobald sie durch die langsame oder stufenweise Hebung des Landes in den Bereich der zerstörenden Brandung gelangen.

Wir dürfen wohl mit Sicherheit schliessen, dass Sediment in ungeheuer dicken harten und ausgedehnten Massen angehäuft worden seyn müsse, um während der ersten Emporhebung und der späteren Schwankungen des Niveaus der ununterbrochnen Thätigkeit der Wogen zu widerstehen. Solche dicke und ausgedehnte Sediment-Ablagerungen können auf zweierlei Weise gebildet werden; entweder in grossen Tiefen des Meeres, in welchem Falle wir nach den Untersuchungen von E. FORBES annehmen müssen, dass der See-Grund nur von sehr wenigen Thieren bewohnt seye, obwohl er, wie sich aus den Telegraphen-Sondirungen erwiesen, nicht ganz ohne Leben ist, daher die Massen nach ihrer Emporhebung nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von den zur Zeit ihrer Ablagerung dort vorhanden gewesenen Lebenformen gewähren können; — oder die Sedimente werden über einen seichten Grund zu einiger Dicke und Ausdehnung angehäuft, wenn er in langsamer Senkung begriffen ist. In diesem letzten Falle bleibt das Meer so lange seicht und dem Thier-Leben günstig, als Senkung des Bodens und Zufuhr der Niederschläge einander nahezu das Gleichgewicht halten; so dass auf diese Weise eine hinreichend dicke Fossilien-reiche Formation[S. 318] entstehen kann, um bei ihrer spätren Emporhebung jedem Grade von Zerstörung zu widerstehen.

Ich bin demgemäss überzeugt, dass alle unsre alten Formationen, welche reich an fossilen Resten sind, bei ausdauernder Senkung abgelagert worden sind. Seitdem ich im Jahr 1845 meine Ansichten in dieser Beziehung bekannt gemacht, habe ich die Fortschritte der Geologie verfolgt und mit Überraschung wahrgenommen, wie ein Schriftsteller nach dem andern bei Beschreibung dieser oder jener grossen Formation zum Schlusse gelangt ist, dass sie sich während der Senkung des Bodens gebildet habe. Ich will hinzufügen, dass die einzige alte Tertiär-Formation an der West-Küste Süd-Amerikas, die mächtig genug war um der bisherigen Zerstörung nicht zu widerstehen, aber wohl schwerlich bis zu fernen geologischen Zeiten auszudauern im Stande ist, sich gewiss während der Senkung des Bodens gebildet und so eine ansehnliche Mächtigkeit erlangt hat.

Alle geologischen Thatsachen zeigen uns deutlich, dass jedes Gebiet der Erd-Oberfläche viele langsame Niveau-Schwankungen durchzumachen hatte, und alle diese Schwankungen sind zweifelsohne von weiter Erstreckung gewesen. Demzufolge müssen Fossilien-reiche und genügend entwickelte Bildungen, um späteren Abtragungen zu widerstehen, während der Senkungs-Perioden über weit-ausgedehnte Flächen entstanden seyn, doch nur so lange, als die Zufuhr von Materialien stark genug war, um die See seicht zu erhalten und die fossilen Reste schnell genug einzuschichten und zu schützen, ehe sie Zeit hatten zu zerfallen. Dagegen konnten sich mächtige Schichten auf seichtem und dem Leben günstigem Grunde so lange nicht bilden, als derselbe stet blieb. Viel weniger konnte Diess während wechselnder Perioden von Hebung und Senkung geschehen, oder, um mich genauer auszudrücken, die Schichten, welche während solcher Senkungen abgelagert wurden, müssen bei nachfolgender Hebung wieder in den Bereich der Brandung versetzt und so zerstört worden seyn.

Diese Bemerkungen beziehen sich hauptsächlich auf Litoral-Ablagerungen. In einem weiten und seichten Meere dagegen,[S. 319] wie im Malayischen Archipel, wo die Tiefe nur von 30 oder 40 bis zu 60 Faden wechselt, dürfte während der Zeit der Erhebung eine weit ausgedehnte Formation entstehen, und auch durch Entblössung nicht sonderlich leiden. Aber diese Formation dürfte nicht mächtig seyn, da sie der Tiefe des seichten Meeres bei weitem nicht gleichkommen kann; sie dürfte nicht fest noch von späteren Bildungen überlagert seyn, so dass sie bei späteren Boden-Schwankungen wahrscheinlich bald ganz verschwinden würden. HOPKINS hat behauptet, dass, wenn ein Theil der Bodenfläche nach ihrer Hebung und vor ihrer Entblössung wieder sinke, die während der Hebung entstandene, wenn auch gering mächtige Ablagerung durch spätre Niederschläge geschützt werden dürfte, und so für eine sehr lange Zeit-Periode erhalten werden könnte. Ich habe diesen Satz bei meinen früheren Betrachtungen übersehen. Bei Erörterung dieses Gegenstandes sagt HOPKINS dann weiter, dass er die gänzliche Zerstörung von Sediment-Schichten von grosser wagrechter Erstreckung für etwas seltenes halte. Meine Bemerkungen beziehen sich bloss auf Fossilien-reiche Schichten, insoferne ich glaube annehmen zu dürfen, dass in sehr dicken und harten Schichten oder in weit-erstreckten Massen abgelagerte Niederschläge nicht leicht gänzlicher Fortwaschung unterliegen. Es handelt sich hier nämlich um die Frage: ob weit ausgedehnte und an organischen Resten reiche Bildungen von grosser und einem langen Zeit-Abschnitte entsprechender Mächtigkeit während einer Senkungs-Periode entstehen können. Meine Ansicht ist, dass Diess nur selten der Fall seyn dürfte. Da die Frage von der gänzlichen Entblössung durch HOPKINS aufgebracht worden, so will ich bemerken, dass wohl alle Geologen, mit Ausnahme der wenigen, welche in den metamorphischen Schiefern und plutonischen Gesteinen noch den glühenden Primordial-Kern der Erde erblicken, auch annehmen werden, dass von dem Gesteine dieser Beschaffenheit grosse Massen abgewaschen worden sind. Denn es ist nicht wohl denkbar, dass diese Gesteine in unbedecktem Zustande sollten krystallisirt und gehärtet worden seyn, hätte aber die metamorphosirende Thätigkeit in grossen Tiefen des Ozeans eingewirkt, so brauchte der frühere Mantel nicht dick[S. 320] gewesen zu seyn. Unterstellt man aber, dass solche Gesteine wie Gneiss, Glimmerschiefer, Granit, Diorit u. s. w. einmal bedeckt gewesen sind, wie lassen sich dann die weiten nackten Flächen, welche diese Gesteine in so vielen Weltgegenden darbieten, anders erklären, als durch die Annahme einer späteren Entblössung von allen überlagernden Schichten? Dass solche ausgedehnte granitische Gebiete bestehen, unterliegt keinem Zweifel. Die granitische Region von Parime ist nach HUMBOLDT wenigstens 19mal so gross als die Schweitz. Im Süden des Amazonen-Stromes zeigt BOUÉ’S Karte eine aus solchen Gesteinen zusammengesetzte Fläche so gross wie Spanien, Frankreich, Italien, Grossbritannien und ein Theil von Deutschland zusammengenommen. Diese Gegend ist noch nicht genau untersucht worden, aber nach dem übereinstimmenden Zeugniss der Reisenden muss dieses granitische Gebiet sehr gross seyn. von ESCHWEGE gibt einen detaillirten Durchschnitt desselben, der sich vom Rio de Janeiro an in gerader Linie 260 geographische Meilen weit einwärts erstreckt, und ich selbst habe ihn 150 Meilen weit in einer andern Richtung durchschnitten, ohne ein anderes Gestein als Granit zu sehen. Viele längs der ganzen 1100 geographische Meilen langen Küste von Rio de Janeiro bis zur Plata-Mündung gesammelte Handstücke, die man mir gezeigt, gehörten sämmtlich dieser Klasse an. Landeinwärts sah ich längs des ganzen nördlichen Ufers des Plata-Stromes, abgesehen von jung-tertiären Gebilden, nur noch einen kleinen Fleck mit schwach metamorphischen Gesteinen, der als Rest der früheren Hülle der granitischen Bildungen hätte gelten können. Wenden wir uns von da zu den besser bekannten Gegenden der Vereinten Staaten und Canadas. Indem ich aus H. D. ROGER’S schöner Karte die den genannten Formationen entsprechend kolorirten Papier-Stücke herausschnitt und wog, fand ich, dass die metamorphischen (ohne die halb-metamorphischen) und granitischen Gesteine im Verhältnisse von 190 : 125 die ächte dort so mächtig entwickelte Kohlen-Formation in Verbindung mit der Umbral-Reihe übertrifft, welche mit einander die ganze jüngere Paläolithen-Formation zusammensetzen. In vielen Gegenden würden die metamorphischen und granitischen Bezirke[S. 321] natürlich sehr ansehnlich an Ausdehnung zunehmen, wenn man alle ihnen ungleichförmig aufgelagerten und an der Auflagerungs-Fläche nicht metamorphosirten und daher nicht zum ursprünglichen Mantel gehörigen Sediment-Schichten von ihnen abhöbe. Somit ist es also wahrscheinlich, dass in manchen Weltgegenden ganze mindestens den Haupttheilen der aufeinanderfolgenden geologischen Perioden entsprechende Formationen spurlos fortgewaschen worden sind.

Eine Bemerkung ist hier noch der Erwähnung werth. Während der Erhebungs-Zeiten wird die Ausdehnung des Landes und der angrenzenden seichten Meeres-Strecken vergrössert, und werden oft neue Arten von Wohnorten gebildet. Alles für die Bildung neuer Arten und Varietäten, wie früher bemerkt worden, günstige Umstände; aber gerade während diesen Perioden bleiben Lücken im geologischen Berichte. Während der Senkung dagegen nimmt die bewohnbare Fläche und die Anzahl der Bewohner ab (die der Küsten-Bewohner etwa in dem Falle ausgenommen, dass ein Kontinent in Insel-Gruppen zerfällt wird), daher während der Senkung nicht nur mehr Arten erlöschen, sondern auch wenige Varietäten und Arten entstehen; und gerade während solcher Senkungs-Zeiten sind unsre grossen Fossilien-reichen Schichten-Massen abgelagert worden. Man möchte sagen, die Natur habe die häufige Entdeckung der Übergangs- und verkettenden Formen erschweren wollen.

Nach den vorangehenden Betrachtungen ist es nicht zu bezweifeln, dass der geologische Schöpfungs-Bericht im Ganzen genommen ausserordentlich unvollständig ist; wenn wir aber dann unsre Aufmerksamkeit auf irgend eine einzelne Formation beschränken, so ist es noch schwerer zu begreifen, warum wir nicht enge aneinander-gereihete Abstufungen zwischen denjenigen Arten finden, welche am Anfang und am Ende ihrer Bildung gelebt haben. Es wird zwar von einigen Fällen berichtet, wo eine Art in andern Varietäten in den obern als in den untern Theilen derselben Formation auftritt; doch mögen sie hier übergangen werden, da ihrer nur wenige sind. Obwohl nun jede Formation ohne allen Zweifel eine lange Reihe von Jahren zu ihrer Ablagerung[S. 322] bedurft hat, so glaube ich doch verschiedene Gründe zu erkennen, warum sich solche Stufen-Reihen zwischen den zuerst und den zuletzt lebenden Arten nicht darin vorfinden; doch kann ich kaum hoffen den folgenden Betrachtungen die ihnen gebührende Berücksichtigung zuzuwenden.

Obwohl jede Formation einer sehr langen Reihe von Jahren entspricht, so ist doch jede kurz im Vergleiche mit der zur Umänderung einer Art in die andre erforderlichen Zeit. Nun weiss ich wohl, dass zwei Paläontologen, deren Meinungen wohl der Beachtung werth sind, nämlich BRONN[34] und WOODWARD, zum Schlusse gelangt sind, dass die mittle Dauer einer jeden Formation zwei- bis drei-mal so lang, als die mittle Dauer einer Art-Form ist. Indessen hindern uns, wie mir scheint, unübersteigliche Schwierigkeiten in dieser Hinsicht zu einem richtigen Schlusse zu gelangen. Wenn wir eine Art in der Mitte einer Formation zum ersten Male auftreten sehen, so würde es äusserst übereilt seyn zu schliessen, dass sie nicht irgendwo anders schon länger existirt haben könne. Eben so, wenn wir eine Art schon vor den letzten Schichten einer Formation verschwinden sehen, würde es übereilt seyn anzunehmen, dass sie schon völlig erloschen seye. Wir vergessen, wie klein die Ausdehnung Europa’s im Vergleich zur übrigen Welt ist; auch sind die verschiedenen Stöcke der einzelnen Formationen noch nicht durch ganz Europa mit vollkommener Genauigkeit parallelisirt worden.

Bei allen Sorten von Seethieren können wir getrost annehmen, dass in Folge von klimatischen u. a. Veränderungen massenhafte und ausgedehnte Wanderungen stattgefunden haben; und wenn wir eine Art zum ersten Male in einer Formation auftreten sehen, so liegt die Wahrscheinlichkeit vor, dass sie eben da erst von einer andern Gegend her eingewandert seye. So ist es z. B. wohl bekannt, dass einige Thier-Arten in den paläolithischen Bildungen Nord-Amerika’s etwas früher als in den Europäischen auftreten, indem sie zweifelsohne Zeit nöthig hatten,[S. 323] um die Wanderung von Amerika nach Europa zu machen. Bei Untersuchungen der neuesten Ablagerungen in verschiedenen Weltgegenden ist überall die Wahrnehmung gemacht worden, dass einige wenige noch lebende Arten in diesen Ablagerungen häufig, aber in den unmittelbar umgebenden Meeren verschwunden sind, oder dass umgekehrt einige jetzt in den benachbarten Meeren häufige Arten und jener Ablagerungen noch selten oder gar nicht zu finden sind. Es ist aber lehrreich über den erwiesenen Umfang der Wanderungen Europäischer Thiere während der Eis-Zeit nachzudenken, welche doch nur einen kleinen Theil der ganzen geologischen Zeitdauer ausmacht, so wie die grosser Niveau-Veränderungen, die aussergewöhnlich grossen Klima-Wechsel, die unermessliche Länge der Zeiträume in Erwägung zu ziehen, welche alle mit dieser Eis-Periode zusammen fallen. Dann dürfte zu bezweifeln seyn, dass sich in irgend einem Theile der Welt Sediment-Ablagerungen, welche fossile Reste enthalten, auf dem gleichen Gebiete während der ganzen Dauer dieser Periode abgelagert haben. So ist es z. B. nicht wahrscheinlich, dass während der ganzen Dauer der Eis-Periode Sediment-Schichten an der Mündung des Mississippi innerhalb derjenigen Tiefe, worin Thiere noch reichlich leben können, abgelagert worden seyen; denn wir wissen, was für ausgedehnte geographische Veränderungen während dieser Zeit in andern Theilen von Amerika erfolgt sind. Würden solche während der Eis-Periode in seichtem Wasser an der Mississippi-Mündung abgelagerte Schichten einmal über den See-Spiegel gehoben werden, so würden organische Reste wahrscheinlich in verschiedenen Niveaus derselben zuerst erscheinen und wieder verschwinden, je nach den stattgefundenen Wanderungen der Arten und den geographischen Veränderungen des Landes. Und wenn in ferner Zukunft ein Geologe diese Schichten untersuchte, so möchte er zu schliessen geneigt seyn, dass die mittle Lebens-Dauer der dort eingebetteten Organismen-Arten kürzer als die Eis-Periode gewesen seye, obwohl sie in der That viel länger war, indem sie vor dieser begonnen und bis in unsre Tage gewährt hat.

[S. 324]

Um nun eine vollständige Stufen-Reihe zwischen zwei Formen in den untern und obern Theilen einer Formation darbieten zu können, müsste deren Ablagerung sehr lange Zeit fortgedauert haben, um dem langsamen Prozess der Variation Zeit zu lassen; die Schichten-Masse müsste daher von sehr ansehnlicher Mächtigkeit seyn; die in Abänderung begriffenen Spezies müssten während der ganzen Zeit da gelebt haben. Wir haben jedoch gesehen, dass die organische Reste enthaltenden Schichten sich nur während einer Periode der Senkung ansammeln, damit nun die Tiefe sich nahezu gleich bleibe und dieselben Thiere fortdauernd an derselben Stelle wohnen können, wäre ferner nothwendig, dass die Zufuhr von Sedimenten die Senkung fortwährend wieder ausgleiche. Aber eben diese senkende Bewegung wird oft auch die Nachbargegend mit berühren, aus welcher jene Zufuhr erfolgt, und eben dadurch die Zufuhr selbst vermindern. Eine solche nahezu genaue Ausgleichung zwischen der Stärke der stattfindenden Senkung und dem Betrag der zugeführten Sedimente mag in der That nur selten vorkommen; denn mehr als ein Paläontologe hat beobachtet, dass sehr dicke Ablagerungen ausser an ihren oberen und unteren Grenzen gewöhnlich leer an Versteinerungen sind.

Wahrscheinlich ist die Bildung einer jeden einzelnen Formation gewöhnlich eben so wie die der ganzen Formationen-Reihe einer Gegend mit Unterbrechungen vor sich gegangen. Wenn wir, wie es oft der Fall, eine Formation aus Schichten von verschiedener Mineral-Beschaffenheit zusammengesetzt sehen, so müssen wir vernünftiger Weise vermuthen, dass der Ablagerungs-Prozess sehr unterbrochen gewesen seye, indem eine Veränderung in den See-Strömungen und eine Änderung in der Beschaffenheit der zugeführten Sedimente gewöhnlich von geographischen Bewegungen, welche viele Zeit kosten, veranlasst worden seyn mag. Nun wird auch die genaueste Untersuchung einer Formation keinen Maassstab liefern, um die Länge der Zeit zu messen, welche über ihre Ablagerung vergangen ist. Man könnte viele Beispiele anführen, wo eine einzelne nur wenige Fuss dicke Schicht eine ganze Formation vertritt, die in andren Gegenden[S. 325] Tausende von Fussen mächtig ist und mithin eine ungeheure Länge der Zeit zu ihrer Bildung bedurft hat; und doch würde Niemand, der Diess nicht weiss, auch nur geahnt haben, welch’ eine unermessliche Zeit über der Entstehung jener dünnen Schicht verflossen ist. So liessen sich auch viele Fälle anführen, wo die untern Schichten einer Formation emporgehoben, entblösst, wieder versenkt und dann von den oberen Schichten der nämlichen Formation bedeckt worden sind, Thatsachen, welche beweisen, dass weite leicht zu übersehende Zwischenräume während der Ablagerung vorhanden gewesen sind. In andern Fällen liefert uns eine Anzahl grosser fossilisirter und noch auf ihrem natürlichen Boden aufrecht stehender Bäume den klaren Beweis von mehren langen Pausen und wiederholten Höhen-Wechseln während des Ablagerungs-Prozesses, wie man sie ausserdem nie hätte vermuthen können. So fanden LYELL und DAWSON in einem 1400′ mächtigen Kohlen-Gebirge Neu-Schottlands noch alle von Baum-Wurzeln durchzogenen Boden-Schichten, eine über der andern in nicht weniger als 68 verschiedenen Höhen. Wenn daher die nämliche Art unten, mitten und oben in der Formation vorkommt, so ist Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass sie nicht während der ganzen Ablagerungs-Zeit immer an dieser Stelle gelebt hat, sondern während derselben, vielleicht mehrmals, dort verschwunden und wieder erschienen ist. Wenn daher eine solche Spezies im Verlaufe einer geologischen Periode beträchtliche Umänderungen erfahren, so würde ein Durchschnitt durch jene Schichten-Reihe wahrscheinlich nicht alle die feinen Abstufungen zu Tage fördern, welche nach meiner Theorie die Anfangs- mit der End-Form jener Art verkettet haben müssen; man würde vielmehr sprungweise, wenn auch vielleicht nur kleine, Veränderungen zu sehen bekommen.

Es ist nun äusserst wichtig sich zu erinnern, dass die Naturforscher keine goldene Regel haben, um mit deren Hilfe Arten von Varietäten zu unterscheiden. Sie gestehen jeder Art einige Veränderlichkeit zu; wenn sie aber etwas grössre Unterschiede zwischen zwei Formen wahrnehmen, so machen sie Arten daraus, wofern sie nicht etwa im Stande sind dieselben durch Zwischenstufen[S. 326] miteinander zu verketten. Und diese dürfen wir nach den zuletzt angegebenen Gründen selten hoffen, in einem geologischen Durchschnitte zu finden. Nehmen wir an, B und C seyen zwei Arten, und eine dritte A werde in einer tieferen und älteren Schicht gefunden. Hielte nun A genau das Mittel zwischen B und C, so würde man sie wohl einfach als eine weitere dritte Art ansehen, wenn nicht ihre Verkettung mit einer von beiden oder mit beiden andern durch Zwischenglieder nachgewiesen werden kann. Nun muss man nicht vergessen, dass, wie vorhin erläutert worden, wenn A auch der wirkliche Stamm-Vater von B und C ist, derselbe doch nicht in allen Punkten der Organisation nothwendig das Mittel zwischen beiden halten muss. So können wir denn sowohl die Stammart als auch die von ihr durch Umwandlung abgeleiteten Formen aus den untern und obern Schichten einer Formation erhalten und doch vielleicht in Ermangelung zahlreicher Übergangs-Stufen ihre Beziehungen zu einander nicht erkennen, sondern alle für eigenthümliche Arten ansehen.

Es ist eine bekannte Sache, auf was für äusserst kleine Unterschiede manche Paläontologen ihre Arten gründen, und sie können Diess auch um so leichter thun, wenn ihre wenig verschiedenen Exemplare aus verschiedenen Stöcken einer Formation herrühren. Einige erfahrene Paläontologen setzen jetzt viele von den schönen Arten D’ORBIGNY’S u. A. zum Rang blosser Varietäten herunter, und darin finden wir eine Art von Beweis für die Abänderungs-Weise, welche nach meiner Theorie stattfinden muss. Berücksichtigen wir die jüngst-tertiären Ablagerungen mit so vielen Weichthier-Arten, welche die Mehrzahl der Naturforscher für identisch mit noch lebenden Arten hält, während andre, wie AGASSIZ und PICTET, sie alle für von diesen letzten verschiedene Spezies erklären, wenn auch die Unterschiede nur sehr gering seyn mögen. Mögen wir nun den Einen oder den Andern Recht geben, so wird dieser Fall doch immerhin als Beleg für eine ganz allmähliche Umgestaltung der Formen dienen können, wie er oben verlangt worden ist. Wenn wir überdiess grössre Zeit-Unterschiede den aufeinander folgenden Stöcken einer nämlichen[S. 327] grossen Formation entsprechend berücksichtigen, so finden wir, dass die ihnen angehörigen Fossil-Reste, wenn auch gewöhnlich allgemein als verschiedene Arten betrachtet, doch immerhin näher mit einander verwandt zu seyn pflegen, als die in weit getrennten Formationen enthaltenen Arten; so dass wir hier zwar einen unzweifelhaften Beleg eines stattgefundenen Wechsels, wenn auch keinen strengen Beweis einer Umänderung der Formen nach Maassgabe meiner Theorie erhalten. Doch werde ich auf diesen Gegenstand im folgenden Abschnitte zurückkommen.

So ist auch noch eine andre schon früher gemachte Bemerkung zu berücksichtigen, dass nämlich die Varietäten von Pflanzen wie von Thieren, welche sich rasch vervielfältigen, aber ihre Stelle nicht viel ändern können, anfangs gewöhnlich lokal seyn werden, und dass solche örtliche Varietäten sich nicht weit verbreiten und ihre Stamm-Formen erst ersetzen, wenn sie sich in einem etwas grössren Maasse verändert und vervollkommnet haben. Nach dieser Annahme ist die Aussicht, die früheren Übergangs-Stufen zwischen irgend welchen zwei Arten einer Formation auf einer Stelle in übereinander-folgenden Schichten zu finden, nur klein, weil vorauszusetzen ist, dass die einzelnen Übergangs-Stufen als Lokalformen je eine andere örtliche Verbreitung gehabt haben. Die meisten Seethiere besitzen eine weite Verbreitung; und da wir gesehen, dass diejenigen Arten unter den Pflanzen, welche am weitesten verbreitet sind, auch am öftesten Varietäten darbieten, so wird es sich mit Mollusken u. a. See-Thieren wohl ähnlich verhalten, und es werden diejenigen unter ihnen, welche sich vordem am weitesten bis über die Grenzen Europa’s hinaus erstreckten, auch am öftesten die Bildung neuer anfangs lokaler Varietäten und später Arten veranlasst haben. Auch dadurch muss die Wahrscheinlichkeit in irgend welcher Formation die Reihenfolge der Übergangs-Stufen aufzufinden ausserordentlich vermindert werden.

Man muss nicht vergessen, dass man heutigen Tages, selbst wenn man vollständige Exemplare vor sich hat, selten zwei Varietäten durch Zwischenstufen verbinden und so deren Zusammengehörigkeit zu einer Art beweisen kann, bis man viele[S. 328] Exemplare von mancherlei Örtlichkeiten zusammengebracht hat; und bei fossilen Arten ist der Paläontologe selten im Stande Diess zu thun. Man wird vielleicht am besten begreifen, wie wenig wir in der Lage seyn können, Arten durch zahllose feine fossil-gefundene Zwischenglieder zu verketten, wenn wir uns selbst fragen, ob z. B. Paläontologen spätrer Zeiten im Stande seyn würden zu beweisen, dass unsre verschiedenen Rinds-, Schaafe-, Pferde- und Hunde-Rassen von einem oder von mehren Stämmen herkommen, — oder ob gewisse See-Konchylien der Nord-Amerikanischen Küsten, welche von einigen Konchyliologen als von ihren Europäischen Vertretern abweichende Arten und von andern Konchyliologen als blosse Varietäten angesehen werden, nur wirkliche Varietäten oder sogenannte eigne Arten sind. Diess könnte künftigen Geologen nur gelingen, wenn sie viele fossile Zwischenstufen entdeckten, was jedoch im höchsten Grade unwahrscheinlich ist.

Es ist von Schriftstellern, welche an die Unveränderlichkeit der Arten glauben, übergenug behauptet worden, die Geologie liefere keine vermittelnden Formen. Diese Behauptung ist aber ganz falsch. LUBBOCK hat kürzlich gesagt: jede Art ist ein Mittelglied zwischen andern verwandten Formen. Wir erkennen Diess deutlich, wenn wir aus einer Sippe, welche reich an fossilen und lebenden Arten ist, vier Fünftel der Arten ausstossen, wo dann niemand bezweiflen wird, dass die Lücken zwischen den noch übrig bleibenden Arten grösser seyn werden als vorher. Sind es aber die extremen Art-Formen, welche man ausgestossen hat, so wird die Sippe selbst in der Regel von andern Sippen weiter getrennt erscheinen, als sie zuvor war. Kameel und Schweine, Pferd und Tapir sind jetzt offenbar sehr getrennte Formen. Schaltet man aber die fossilen Genera zwischen sie ein, die man aus gleichen Familien im fossilen Zustande kennen gelernt hat, so knüpfen sich jene Sippen durch diese Zwischenglieder enger aneinander. Die Reihe der verkettenden Formen läuft jedoch in diesen Fällen nie, oder überhaupt nie, gerade von einer lebenden Form zur andern, sondern berühret auf Umwegen zugleich solche Formen mit, welche in längst verflossenen Zeiten gelebt[S. 329] haben. Was aber die geologischen Forschungen allerdings nicht enthüllt haben, das ist das frühere Daseyn der unendlich zahlreichen Abstufungen vom Range wirklicher Varietäten zur Verkettung aller Arten untereinander[35]; und dass sie Diess nicht bewirkt haben, ist zweifelsohne eine der ersten und gewichtigsten Einwände, die man gegen meine Ansichten vorbringen mag. Daher wird es angemessen seyn, die vorangehenden Bemerkungen über die Ursachen der Unvollkommenheit unsrer geologischen Berichte zur Erläuterung eines ersonnenen Falles zusammenzufassen. Der Malayische Archipel ist etwa von der Grösse Europas vom Nord-Kap bis zum Mittelmeere und von Britannien bis Russland, entspricht mithin der Ausdehnung desjenigen Theils der Erd-Oberfläche, auf welchem, Nord-Amerika ausgenommen, alle geologischen Formationen am sorgfältigsten und zusammenhängendsten untersucht worden sind. Ich stimme mit Hrn. GODWIN-AUSTEN in der Meinung vollkommen überein, dass der jetzige Zustand des Malayischen Archipels mit seinen zahlreichen durch breite und seichte Meeres-Arme getrennten Inseln wahrscheinlich der früheren Beschaffenheit Europas, während noch die meisten unsrer Formationen in Ablagerung begriffen waren, entspricht. Der Malayische Archipel ist eine der an Organismen reichsten Gegenden der ganzen Erd-Oberfläche; aber wenn man auch alle Arten sammelte, welche jemals da gelebt haben, wie unvollständig würden sie die Naturgeschichte der ganzen Erd-Oberfläche vertreten!

Indessen haben wir alle Ursache zu glauben, dass die Überreste der Landbewohner dieses Archipels nur äusserst unvollständig in die Formationen übergehen dürften, die unsrer Annahme gemäss sich dort noch ablagern werden. Ich vermuthe selbst, dass nicht viele der eigentlichen Küsten-Bewohner und der auf kahlen untermeerischen Felsen wohnenden Thiere in die neuen Schichten eingeschlossen werden würden; und die etwa[S. 330] in Kies und Sand eingeschlossenen dürften keiner späten Nachwelt überliefert werden. Da wo sich aber keine Niederschläge auf dem Meeres-Boden bildeten oder sich nicht in genügender Masse anhäuften, um organische Einflüsse gegen Zerstörung zu schützen, da würden auch gar keine organischen Überreste erhalten werden können.

Die gewöhnlichen Muster-Formationen, hinreichend mächtig um bis zu einer eben so weit in der Zukunft entfernten Zeit zu reichen, als die Sekundär-Formationen bereits hinter uns liegen, würden wohl nur während Perioden der Senkung in dem Archipel entstehen können. Diese Perioden würden dann durch unermessliche Zwischen-Zeiten der Hebung oder Ruhe von einander getrennt werden; während der Hebung würden alle Fossilien-führenden Formationen in dem Maasse, als sie entstünden, an steilen Küsten durch die ununterbrochene Thätigkeit der Brandung wieder zerstört werden, wie wir es jetzt an den Küsten Süd-Amerikas gesehen haben; und selbst in ausgedehnten aber seichten Meeren innerhalb einer Insel-Welt könnten während der Emporhebung durch Niederschlag gebildete Schichten nicht in grosser Mächtigkeit angehäuft oder von spätren Bildungen so bedeckt und geschützt werden, dass ihnen eine Erhaltung bis in eine ferne Zukunft in wahrscheinlicher Aussicht stünde. Während der Senkungs-Zeiten würden viele Lebensformen zu Grunde gehen, während der Hebungs-Perioden dagegen sich die Formen am meisten durch Abänderung entfalten, aber die geologischen Denkmäler würden der Folgezeit wenig Nachricht davon überliefern.

Es wäre zu bezweifeln, dass die Dauer irgend einer grossen Periode über den ganzen Archipel sich erstreckender Senkung und entsprechender gleichzeitiger Sediment-Ablagerung die mittle Dauer der alsdann vorhandnen spezifischen Formen übertreffen würde; und doch würde diese Bedingung unerlässlich nothwendig seyn für die Erhaltung aller Übergangs-Stufen zwischen irgend welchen zwei oder mehr von einander abstammenden Arten. Wo diese Zwischenstufen aber nicht alle vollständig erhalten sind, da werden die durch sie verkettet gewesenen Varietäten als eben so viele verschiedene Spezies erscheinen. Es ist jedoch[S. 331] wahrscheinlich, dass während so langer Senkungs-Perioden auch wieder Höhen-Schwankungen eintreten und kleine klimatische Veränderungen erfolgen werden, welche die Bewohner des Archipels zu Wanderungen veranlassen, so dass kein genau zusammenhängender Bericht über deren Abänderungs-Gang in einer der dortigen Formationen niedergelegt werden kann.

Sehr viele der jetzigen Meeres-Bewohner jenes Archipels wohnen gegenwärtig noch Tausende von Englischen Meilen weit über seine Grenzen hinaus, und die Analogie veranlasst mich zu glauben, dass diese weit-verbreiteten Arten hauptsächlich zur Erzeugung neuer Varietäten geeignet seyn würden. Diese Varietäten dürften anfangs gewöhnlich nur eine örtliche Verbreitung besitzen, jedoch, wenn sie als solche irgend einen Vortheil voraus haben, oder wenn sie erst noch weiter abgeändert und verbessert sind, sich allmählich ausbreiten und ihre Stamm-Ältern ersetzen. Kehrte dann eine solche Varietät in ihre alte Heimath zurück, so würde sie, weil vielleicht zwar nur wenig, aber doch einförmig von ihrer früheren Beschaffenheit abweichend, und weil in etwas abweichenden Unterabtheilungen der nämlichen Formation eingeschichtet befunden, nach den Grundsätzen der meisten Paläontologen als eine neue und verschiedene Art aufgeführt werden müssen.

Wenn daher diese Bemerkungen einiger Maassen begründet sind, so sind wir nicht berechtigt zu erwarten, dass wir in unseren geologischen Formationen eine endlose Anzahl solcher feinen Übergangs-Formen finden werden, welche nach meiner Betrachtungs-Weise sicher einmal alle früheren und jetzigen Arten einer Gruppe zu einer langen und verzweigten Kette von Lebenformen verbunden haben. Wir werden uns nur nach einigen wenigen (und gewiss zu findenden) Zwischengliedern umsehen müssen, von welchen die einen fester und die andren loser mit einander vereinigt sind; und diese Glieder, grenzten sie auch noch so nahe an einander, werden von den meisten Paläontologen für verschiedene Arten erklärt werden, sobald sie in verschiedene Stöcke einer Formation vertheilt sind. Jedoch gestehe ich ein, dass ich nie geglaubt haben würde, welch’ dürftige[S. 332] Nachricht von der Veränderung der einstigen Lebenformen uns auch das beste geologische Profil gewähre, hätte nicht die Schwierigkeit, die zahllosen Mittelglieder zwischen den am Anfang und am Ende einer Formation vorhandenen Arten aufzufinden, meine Theorie so sehr ins Gedränge gebracht.

Plötzliches Auftreten ganzer Gruppen verwandter Arten.) Das plötzliche Erscheinen ganzer Gruppen neuer Arten in gewissen Formationen ist von mehren Paläontologen, wie AGASSIZ, PICTET und am Eindringlichsten von SEDGWICK zur Widerlegung des Glaubens an eine allmähliche Umgestaltung der Arten hervorgehoben worden. Wären wirklich viele Arten von einerlei Sippe oder Familie auf einmal plötzlich ins Leben getreten, so müsste Diess freilich meiner Theorie einer langsamen Abänderung durch Natürliche Züchtung verderblich werden. Denn die Entwickelung einer Gruppe von Formen, die alle von einem Stamm-Vater herrühren, muss nicht nur selbst ein sehr langsamer Prozess gewesen seyn, sondern auch die Stamm-Form muss schon sehr lange vor ihren abgeänderten Nachkommen da gewesen seyn. Aber wir überschätzen fortwährend die Vollständigkeit der geologischen Berichte und unterstellen irrthümlich dass, weil gewisse Sippen oder Familien noch nicht unterhalb einer gewissen geologischen Gesichtsebene gefunden worden, sie auch tiefer noch nicht existirt haben. Jedenfalls verdienen positive paläontologische Beweise ein unbedingtes Vertrauen, während solche von negativer Art, wie die Erfahrung so oft ergibt, werthlos sind. Wir vergessen fortwährend, wie gross die Welt der kleinen Fläche gegenüber ist, über die sich unsre genauere Untersuchung geologischer Formationen erstreckt; wir vergessen, dass Arten-Gruppen anderwärts schon lange vertreten gewesen seyn und sich langsam vervielfältigt haben können, bevor sie in die alten Archipele Europas und der Vereinten Staaten eingedrungen. Wir bringen die Länge der Zeiträume nicht genug in Anschlag, welche wahrscheinlich zwischen der Ablagerung unsrer unmittelbar aufeinander-gelagerten Formationen verflossen und vermuthlich meistens länger als diejenigen gewesen sind, die zur Ablagerung einer Formation erforderlich waren. Die Zwischenräume waren[S. 333] lange genug für die Vervielfältigung der Arten von einer oder von einigen wenigen Stamm-Formen aus, so dass dann solche Arten in der jedesmal nachfolgenden Formation auftreten konnten, als ob sie erst plötzlich und gleichzeitig geschaffen worden seyen.

Ich will hier an eine schon früher gemachte Bemerkung erinnern, dass nämlich wohl eine ganze Reihe von Welt-Perioden dazu gehören dürfte, bis ein Organismus sich einer ganz neuen Lebens-Weise anpasse, wie z. B. durch die Luft zu fliegen und dass Dem entsprechend die Übergangs-Formen oft lange auf einen kleinen Flächen-Raum beschränkt bleiben müssen; dass aber, wenn Diess einmal geschehen ist und nur einmal eine geringe Anzahl hiedurch einen grossen Vortheil vor andern Organismen erworben hat, nur noch eine verhältnissmässig kurze Zeit dazu erforderlich ist, um viele auseinander-weichende Formen hervorzubringen, welche dann geeignet sind sich schnell und weit über die Erd-Oberfläche zu verbreiten. Professor PICTET sagt in dem vortrefflichen Berichte, welchen er über dieses Buch gibt, bei Erwähnung der frühesten Übergangs-Formen beispielsweise zu den Vögeln, er könne nicht einsehen, welchen Vortheil die allmähliche Abänderung der vordren Gliedmaassen einer unterstellten Stammform dieser zu gewähren im Stande gewesen seyn sollte? Betrachten wir doch die Pinguine der südlichen Weltmeere; sind denn nicht bei diesen Vögeln die Vordergliedmaassen gerade eine Zwischenform von „weder wirklichen Armen noch wirklichen Flügeln“. Und doch behaupten diese Vögel im Kampfe ums Daseyn siegreich ihre Stelle, zahllos an Individuen und manchfaltigen Arten. Ich bin nicht der Meinung, hier eine der wirklichen Übergangs-Stufen zu sehen, durch welche der Flügel der Vögel sich gebildet habe; was könnte man aber im Besondern gegen die Meinung einwenden, dass es den Nachkommen dieser Pinguine von Nutzen seyn würde, wenn sie allmählig solche Abänderung erführen, dass sie zuerst gleich der ......Ente flach über den Meeresspiegel hinflattern und dann sich erheben und durch die Luft schweben lernten?

Ich will nun einige wenige Beispiele zur Erläuterung dieser Bemerkungen und insbesondre zum Nachweis darüber mittheilen,[S. 334] wie leicht wir uns in der Meinung, dass ganze Arten-Gruppen auf einmal geschaffen worden seyen, irren können. Schon die kurze Zeit, welche zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe von PICTET’S Paléontologie verlaufen ist (1844–46 bis 1853–57) hat zur wesentlichen Umgestaltung der Schlüsse über das erste Auftreten und das Erlöschen verschiedener Thier-Gruppen beigetragen, und eine dritte Auflage würde schon wieder bedeutende Abänderungen erheischen. Ich will zuerst an die wohlbekannte Thatsache erinnern, dass nach den noch vor wenigen Jahren erschienenen Lehrbüchern der Geologie die grosse Klasse der Säugthiere ganz plötzlich am Anfange der Tertiär-Periode aufgetreten seyn sollte. Und nun zeigt sich eine der, im Verhältniss ihrer Dicke, reichsten Lagerstätten fossiler Säugthier-Reste mitten in der Sekundär-Reihe, und ein ächtes Säugthier ist in den ältesten Schichten des New red Sandstone entdeckt worden. CUVIER pflegte Nachdruck darauf zu legen, dass noch kein Affe in irgend einer Tertiär-Schicht gefunden worden seye; jetzt aber kennt man fossile Arten von Vierhändern in Ostindien, in Süd-Amerika und selbst in Europa, sogar schon aus der eocänen Periode. Hätte uns nicht ein seltener Zufall die zahlreichen Fährten im New red Sandstone der Vereinten Staaten aufbewahrt, wie würden wir anzunehmen gewagt haben, dass ausser Reptilien auch schon nicht weniger als dreissig Vogel-Arten von riesiger Grösse in so früher Zeit existirt hätten, zumal noch nicht ein Stückchen Knochen in jenen Schichten gefunden worden ist. Obwohl nun die Anzahl der Füsse, Zehen und verschiedenen Zehen-Glieder in jenen fossilen Eindrücken vollkommen mit denen unsrer jetzigen Vögel übereinstimmen, so zweifeln doch noch einige Schriftsteller daran, ob jene Fährten wirklich von Vögeln herrühren. So konnten also bis vor ganz kurzer Zeit dieselben Autoren behaupten und haben einige derselben wirklich behauptet, dass die ganze Klasse der Vögel plötzlich erst im Anfang der Tertiär-Periode aufgetreten seye; doch können wir uns jetzt auf die Versicherung Professor OWEN’S (in LYELL’S „Manual“) berufen, dass ein Vogel gewiss schon zur Zeit gelebt habe, als der obre Grünsand sich ablagerte.

[S. 335]

Ich will als ein andres Beispiel anführen, was mir in einer Abhandlung über fossile sitzende Cirripeden selber passirt ist. Nachdem ich nachgewiesen, dass es eine Menge von lebenden und von erloschenen tertiären Arten gebe, so schloss ich aus dem ausserordentlichen Reichthume vieler Balaniden-Arten an Individuen, aus ihrer Verbreitung über die ganze Erde von den arktischen Regionen an bis zum Äquator und von der obren Fluth-Grenze an bis zu 50 Faden Tiefe hinab, aus der vollkommenen Erhaltungs-Weise ihrer Reste in den ältesten Tertiär-Schichten, aus der Leichtigkeit selbst einzelne Klappen zu erkennen und zu bestimmen: aus allen diesen Umständen schloss ich dass, wenn es in der sekundären Periode sitzende Cirripeden gegeben hätte, solche gewiss erhalten und wieder entdeckt worden seyn würden; da jedoch noch keine Schaale einer Spezies in Schichten dieses Alters gefunden worden seye, so müsse sich diese grosse Gruppe erst im Beginne der Tertiär-Zeit plötzlich entwickelt haben. Es war eine grosse Verlegenheit für mich, selbst noch ein weiteres Beispiel vom plötzlichen Auftreten einer grossen Arten-Gruppe bestätigen zu müssen. Kaum war jedoch mein Werk erschienen, als ein bewährter Paläontologe, Hr. BOSQUET, mir eine Zeichnung von einem vollständigen Exemplare eines unverkennbaren Balaniden sandte, welchen er selbst aus dem Belgischen Kreide-Gebirge entnommen hatte. Und um den Fall so treffend als möglich zu machen, so ist der entdeckte Balanide ein Chthamalus, eine sehr gemeine und überall weitverbreitete Sippe, wovon sogar in tertiären Schichten bis jetzt noch keine Spur gefunden worden war. Wir wissen daher jetzt mit Sicherheit, dass es auch in der Sekundär-Zeit schon sitzende Cirripeden gegeben, welche möglicher Weise die Stamm-Ältern unsrer vielen tertiären und noch lebenden Arten gewesen seyn können.

Der Fall von plötzlichem Auftreten einer ganzen Arten-Gruppe, worauf sich die Paläontologen am öftesten berufen, ist die Erscheinung der ächten Knochen-Fische oder Teleostier erst in den unteren Schichten der Kreide-Periode. Diese Gruppe enthält bei weitem die grösste Anzahl der jetzigen Fische.[S. 336] Inzwischen hat Professor PICTET neuerlich ihre erste Erscheinung schon wieder um einen Stock tiefer nachgewiesen und glauben andre Paläontologen, dass viele ältre Fische, deren Verwandtschaften bis jetzt noch nicht genau bekannt, wirkliche Teleostier seyen. Nähme man mit AGASSIZ an, dass deren ganze Gruppe wirklich erst zu Anfang der Kreide-Zeit erschienen seye, so wäre diese Thatsache freilich höchst merkwürdig; aber auch in ihr vermöchte ich noch keine unübersteigliche Schwierigkeit für meine Theorie zu erkennen, bis auch erwiesen wäre, dass in der That die Arten dieser Gruppe auf der ganzen Erde gleichzeitig in jener Frist aufgetreten seyen. Es ist fast überflüssig zu bemerken, dass ja noch kaum ein fossiler Fisch von der Süd-Seite des Äquators bekannt ist und nach PICTET’S Paläontologie selbst in einigen Gegenden Europas erst sehr wenige Arten gefunden worden sind. Einige wenige Fisch-Familien haben jetzt enge Verbreitungs-Grenzen, und so könnte es auch mit den Teleostiern der Fall gewesen seyn, dass sie erst dann, nachdem sie sich in diesem oder jenem Meere sehr vervielfältigt, sich weit verbreitet hätten. Auch sind wir nicht anzunehmen berechtigt, dass die Welt-Meere von Norden nach Süden allezeit so offen wie jetzt gewesen seyen. Selbst heutigen Tages könnte der tropische Theil des Indischen Ozeans durch eine Hebung des Malayischen Archipels über den Meeres-Spiegel in ein grosses geschlossenes Becken verwandelt werden, worin sich irgend welche grosse Seethier-Gruppen zu entwickeln und vervielfältigen vermöchten; und da würde sie dann eingeschlossen bleiben, bis einige der Arten für ein kühleres Klima geeignet und in Stand gesetzt worden wären, die Süd-Cap’s in Afrika und Australien zu umwandern und so in andre ferne Meere zu gelangen.

Aus diesen und ähnlichen Betrachtungen, aber hauptsächlich in Berücksichtigung unsrer Unkunde über die geologischen Verhältnisse andrer Welt-Gegenden ausserhalb Europa und Nord-Amerika, endlich nach dem Umschwung, welchen unsre paläontologischen Vorstellungen durch die Entdeckungen während der letzten Jahrzehnte erlitten, glaube ich folgern zu dürfen, dass wir eben so übereilt handeln würden, die bei uns bekannt[S. 337] gewordene Art der Aufeinanderfolge der Organismen auf die ganze Erd-Oberfläche zu übertragen, als ein Naturforscher thäte, welcher nach einer Landung von fünf Minuten an irgend einer armen Küste Australiens auf die Zahl und Verbreitung seiner Organismen schliessen wollte.

Plötzliches Erscheinen ganzer Gruppen verwandter Arten in den untersten Fossilien-führenden Schichten.) Grösser ist eine andre Schwierigkeit; ich meine das plötzliche Auftreten vieler Arten einer Gruppe in den untersten Fossilien-führenden Gebirgen. Die meisten der Gründe, welche mich zur Überzeugung geführt, dass alle lebenden Arten einer Gruppe von einem gemeinsamen Urvater herrühren, sind mit fast gleicher Stärke auch auf die ältesten fossilen Arten anwendbar. So kann ich z. B. nicht daran zweifeln, dass alle silurischen Trilobiten von irgend einem Kruster herkommen, welcher von allen jetzt lebenden Krustern sehr verschieden war. Einige der ältesten silurischen Thiere sind zwar nicht sehr von noch jetzt lebenden Arten verschieden, wie Lingula, Nautilus u. a., und man kann nach meiner Theorie nicht annehmen, dass diese alten Arten die Erzeuger aller Arten der Ordnungen gewesen seyen, wozu sie gehören, indem sie in keiner Weise Mittelformen zwischen denselben darbieten. Und wären sie deren Stamm-Ältern gewesen, so würden sie jetzt gewiss längst durch ihre vervollkommneten Nachfolger ersetzt und ausgetilgt seyn.

Wenn meine Theorie richtig, so müssten unbestreitbar schon vor Ablagerung der ältesten silurischen Schichten eben so lange oder noch längere Zeiträume, wie nachher, verflossen, und müsste die Erd-Oberfläche während dieser ganz unbekannten Zeiträume von lebenden Geschöpfen bewohnt gewesen seyn.

Was nun die Frage betrifft, warum wir aus diesen weiten Primordial-Perioden keine Denkmäler mehr finden, so kann ich darauf keine genügende Antwort geben. Mehre der ausgezeichnetsten Geologen mit Sir R. MURCHISON an der Spitze sind überzeugt, in diesen untersten Silur-Schichten die Wiege des Lebens auf unsrem Planeten zu erblicken. Andre hoch-bewährte Beurtheiler, wie CH. LYELL und der verstorbene EDW. FORBES bestreiten[S. 338] diese Behauptung. Und wir müssen nicht vergessen, dass nur ein geringer Theil unsrer Erd-Oberfläche mit einiger Genauigkeit erforscht ist. Erst unlängst hat Hr. BARRANDE dem silurischen Systeme noch einen anderen älteren Stock angefügt, der reich ist an neuen und eigenthümlichen Arten. Spuren einstigen Lebens sind auch noch in den Longmynd-Schichten entdeckt worden unterhalb BARRANDE’S sogenannter Primordial-Zone. Die Anwesenheit Phosphate-haltiger Nieren und bituminöser Materien in einigen der untersten azoischen Schichten deutet wahrscheinlich auf ein ehemaliges noch früheres Leben hin. Aber dann ist die Schwierigkeit noch grösser, das gänzliche Fehlen der mächtigen Stösse Fossilien-führender Schichten zu begreifen, die meiner Theorie zufolge sich gewiss irgendwo aufgehäuft hatten. Wären diese ältesten Schichten durch Entblössungen ganz und gar weggewaschen oder durch Metamorphismus ganz und gar unkenntlich gemacht worden, so würden wir wohl auch nur noch ganz kleine Überreste der nächst-jüngeren Formationen entdecken, und diese müssten sich meistens in einem metamorphischen Zustande befinden. Aber die Beschreibungen, welche wir jetzt von den silurischen Ablagerungen in den unermesslichen Länder-Gebieten in Russland und Nord-Amerika besitzen, sind nicht zu Gunsten der Meinung dass, je älter eine Formation, desto mehr sie durch Entblössung und Metamorphismus gelitten haben müsse.

Diese Thatsache muss fürerst unerklärt bleiben und wird mit Recht als eine wesentliche Einrede gegen die hier entwickelten Ansichten hervorgehoben werden. Ich will jedoch folgende Hypothese aufstellen, um zu zeigen, dass doch vielleicht einige Erklärung möglich ist. Aus der Natur der in den verschiedenen Formationen Europa’s und der Vereinten Staaten vertretenen organischen Wesen, welche keine grossen Tiefen bewohnt zu haben scheinen, und aus der ungeheuren Masse der Meilen-dicken Niederschläge, woraus diese Formationen bestehen, können wir zwar schliessen, dass von Anfang bis zu Ende grosse Inseln oder Landstriche, aus welchen die Sedimente herbeigeführt worden, in der Nähe der jetzigen Kontinente von Europa und Nord-Amerika existirt haben müssen. Aber vom Zustande der Dinge in[S. 339] den langen Perioden, welche zwischen der Bildung dieser Formationen verflossen sind, wissen wir nichts; wir vermögen nicht zu sagen, ob während derselben Europa und die Vereinten Staaten als trockne Länder-Strecken oder als untermeerische Küsten-Flächen, auf welchen inzwischen keine Ablagerungen erfolgten, oder als endlicher unergründlicher Meeres-Boden eines offnen und unergründlichen Ozeans vorhanden waren.

Betrachten wir die jetzigen Weltmeere, welche dreimal so viel Fläche als das trockne Land einnehmen, so finden wir sie mit zahlreichen Inseln besäet, unter welchen aber keine der perugischen bis jetzt einen Überrest von paläolitischen und sekundären Formationen geliefert hat, etwa Neuseeland, Spitzbergen und die benachbarte Bären-Insel ausgenommen, welche in mancher Beziehung kaum in jener Klasse mitzubegreifen seyn würden. Man kann daraus vielleicht schliessen, dass während der paläolitischen und Sekundär-Zeit weder Kontinente noch kontinentale Inseln da existirt haben, wo sich jetzt der Ozean ausdehnt; denn wären solche vorhanden gewesen, so würden sich nach aller Wahrscheinlichkeit aus dem von ihnen herbei-geführten Schutte auch paläolitische und sekundäre Schichten gebildet haben, und es würden dann in Folge der Niveau-Schwankungen, welche während dieser ungeheuer langen Zeiträume jedenfalls stattgefunden haben müssen, wenigstens theilweise Emporhebungen trocknen Landes haben erfolgen können. Wenn wir also aus diesen Thatsachen irgend einen Schluss ziehen wollen, so können wir sagen, dass da, wo sich jetzt unsre Weltmeere ausdehnen, solche schon seit den ältesten Zeiten, von denen wir Kunde besitzen, bestanden haben, und dass da, wo jetzt Kontinente sind, grosse Landstrecken existirt haben, welche von der frühesten Silur-Zeit an zweifelsohne grossem Niveau-Wechsel unterworfen gewesen sind. Die kolorirte Karte, welche meinem Werke über die Korallen-Riffe beigegeben ist, führte mich zum Schluss, dass die grossen Weltmeere noch jetzt hauptsächlich Senkungs-Felder, die grossen Archipele noch jetzt schwankende Gebiete und die Kontinente noch jetzt in Hebung begriffen seyen. Aber haben wir ein Recht anzunehmen, dass diese Dinge sich seit dem[S. 340] Beginne dieser Welt gleich geblieben sind? Unsre Festländer scheinen hauptsächlich durch vorherrschende Hebung während vielfacher Höhen-Schwankungen entstanden zu seyn. Aber können nicht die Felder verwaltender Hebungen und Senkungen ihre Rollen vor noch längrer Zeit umgetauscht haben? In einer unermesslich früheren Zeit vor der silurischen Periode können Kontinente da existirt haben, wo sich jetzt die Weltmeere ausbreiten, und können offne Weltmeere gewesen seyn, wo jetzt die Festländer emporragen. Und doch würde man noch nicht anzunehmen berechtigt seyn, dass z. B. das Bette des Stillen Ozeans, wenn es jetzt in ein Festland verwandelt würde, uns ältre als silurische Schichten darbieten müsse, vorausgesetzt selbst dass sich solche einstens dort gebildet haben; denn es wäre möglich, dass Schichten, welche dem Mittelpunkt der Erde um einige Meilen näher gerückt und von dem ungeheuren Gewichte darüber stehender Wasser zusammengedrückt gewesen, stärkere metamorphische Einwirkungen erfahren habe als jene, welche näher an der Oberfläche verweilten. Die in einigen Welt-Gegenden wie z. B. in Süd-Amerika vorhandenen unermesslichen Strecken bloss metamorphischen Gebirges, welche hohen Graden von Druck und Hitze ausgesetzt gewesen seyn müssen, haben mir einer besonderen Erklärung zu bedürfen geschienen; und vielleicht darf man annehmen, dass sie uns die zahlreichen schon lange vor der silurischen Zeit abgesetzten Formationen in einem völlig metamorphischen Zustande darbieten.

Die mancherlei hier erörterten Schwierigkeiten, welche namentlich daraus entspringen, dass wir in der Reihe der aufeinander-folgenden Formationen zwar manche Mittelformen zwischen früher dagewesenen und jetzt vorhandenen Arten, nicht aber die unzähligen nur leicht abgestuften Zwischenglieder zwischen allen successiven Arten finden, — dass ganze Gruppen verwandter Arten in unsren Europäischen Formationen oft plötzlich zum Vorschein kommen, — dass, so viel bis jetzt bekannt, ältre Fossilien-führende Formationen noch unter den silurischen Schichten gänzlich fehlen, — alle diese Schwierigkeiten sind zweifelsohne von grösstem Gewichte. Wir ersehen Diess am deutlichsten aus[S. 341] der Thatsache, dass die ausgezeichnetsten Paläontologen, wie CUVIER, AGASSIZ, BARRANDE, FALCONER, EDW. FORBES und andre, sowie unsre grössten Geologen, LYELL, MURCHISON, SEDGWICK etc. die Unveränderlichkeit der Arten einstimmig und oft mit grosser Heftigkeit vertheidigt haben. Inzwischen habe ich Grund anzunehmen, dass eine grosse Autorität, Sir CH. LYELL, in Folge fernerer Erwägungen sehr zweifelhaft in dieser Beziehung geworden ist. Ich fühle wohl, wie bedenklich es ist, von diesen Gewährsmännern, denen wir mit Andern alle unsre Kenntnisse verdanken, abzuweichen. Alle, die den geologischen Schöpfungs-Bericht für einigermaassen vollständig halten und nicht viel Gewicht auf andre in diesem Bande mitgetheilten Thatsachen und Schlussfolgerungen legen, werden zweifelsohne meine ganze Theorie auf einmal verwerfen. Ich für meinen Theil betrachte (um LYELL’S bildlichen Ausdruck durchzuführen) den Natürlichen Schöpfungs-Bericht als eine Geschichte der Erde, unvollständig erhalten und in wechselnden Dialekten geschrieben, — wovon aber nur der letzte bloss auf einige Theile der Erd-Oberfläche sich beziehende Band bis auf uns gekommen ist. Doch auch von diesem Bande ist nur hier und da ein kurzes Kapitel erhalten, und von jeder Seite sind nur da und dort einige Zeilen übrig. Jedes Wort der langsam wechselnden Sprache dieser Beschreibung, mehr und weniger verschieden in den aufeinander-folgenden Abschnitten, mag den anscheinend plötzlich wechselnden Lebenformen entsprechen, welche in den unmittelbar aufeinander-liegenden Schichten unsrer weit von einander getrennten Formationen begraben liegen.

[S. 342]

Zehntes Kapitel.
Geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen.

Langsame und allmähliche Erscheinung neuer Arten. — Ungleiches Maass ihrer Veränderung. — Einmal untergegangene Arten kommen nicht wieder zum Vorschein. — Arten-Gruppen folgen denselben allgemeinen Regeln des Auftretens und Verschwindens, wie die einzelnen Arten. — Erlöschen der Arten. — Gleichzeitige Veränderungen der Lebenformen auf der ganzen Erd-Oberfläche. — Verwandtschaft erloschener Arten mit andern fossilen und mit lebenden Arten. — Entwickelungs-Stufe aller Formen. — Aufeinanderfolge derselben Typen im nämlichen Länder-Gebiete. — Zusammenfassung des jetzigen mit früheren Abschnitten.

Sehen wir nun zu, ob die verschiedenen Thatsachen und Regeln hinsichtlich der geologischen Aufeinanderfolge der organischen Wesen besser mit der gewöhnlichen Ansicht von der Unabänderlichkeit der Arten, oder mit der Theorie einer langsamen und stufenweisen Abänderung der Nachkommenschaft durch Natürliche Züchtung übereinstimmen.

Neue Arten sind im Wasser wie auf dem Lande nur sehr langsam, eine nach der andern zum Vorschein gekommen. LYELL hat gezeigt, dass es kaum möglich ist, sich den in den verschiedenen Tertiär-Schichten niedergelegten Beweisen in dieser Hinsicht zu verschliessen und jedes Jahr strebt die noch vorhandenen Lücken mehr auszufüllen und das Prozent-Verhältniss der noch lebend vorhandenen zu den ganz ausgestorbenen Arten mehr und mehr abzustufen. In einigen der neuesten, wenn auch, in Jahren ausgedrückt, gewiss sehr alten Schichten kommen nur noch 1–2 ausgestorbene Arten vor, und nur je eine oder zwei überhaupt oder für die Örtlichkeit neue Formen gesellen sich den früheren bei. Wenn wir den Beobachtungen PHILIPPI’S in Sizilien vertrauen dürfen, so ist die stufenweise Ersetzung der früheren Meeres-Bewohner bei dieser Insel durch andre Arten ein äusserst langsamer gewesen. Die Sekundär-Formationen sind mehr unterbrochen; aber in jeder einzelnen Formation hat, wie BRONN bemerkt hat, weder das Auftreten noch das Verschwinden ihrer vielen jetzt erloschenen Arten gleichzeitig stattgefunden.

[S. 343]

Arten verschiedener Sippen und Klassen haben weder gleichen Schrittes noch in gleichem Verhältnisse gewechselt. In den ältesten Tertiär-Schichten liegen die wenigen lebenden Arten mitten zwischen einer Menge erloschener Formen. FALCONER hat ein schlagendes Beispiel der Art berichtet, nämlich von einem Krokodile noch lebender Art, welches mit einer Menge fremder und untergegangener Säugthiere und Reptilien in Schichten des Subhimalaya beisammen lagert. Die silurischen Lingula-Arten weichen nur sehr wenig von den lebenden Spezies dieser Sippe ab, während die meisten der übrigen silurischen Mollusken und alle Kruster grossen Veränderungen unterlegen sind. Die Land-Bewohner scheinen schnelleren Schrittes als die Meeres-Bewohner zu wechseln, wovon ein treffender Beleg kürzlich aus der Schweitz berichtet worden ist. Es scheint einiger Grund zur Annahme vorhanden, dass solche Organismen, welche auf höherer Organisations-Stufe stehen, rascher als die unvollkommen entwickelten wechseln; doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Das Maass organischer Veränderung entspricht nach PICTET’S Bemerkung nicht genau der Aufeinanderfolge unsrer geologischen Formationen, so dass zwischen je zwei aufeinander-folgenden Bildungen die Lebens-Formen genau in gleichem Grade sich änderten. Wenn wir aber irgend welche, seyen es auch nur zwei einander zunächst verwandte Formationen mit einander vergleichen, so finden wir, dass alle Arten einige Veränderungen erfahren haben. Ist eine Art einmal von der Erd-Oberfläche verschwunden, so haben wir einigen Grund zu vermuthen, dass dieselbe Art nie wieder zum Vorschein kommen werde. Die anscheinend auffallendsten Ausnahmen von dieser Regel bilden BARRANDE’S sogenannte „Kolonien“ von Arten, welche sich eine Zeit lang mitten in ältre Formationen einschieben und dann später wieder erscheinen; doch halte ich LYELL’S Erklärung, sie seyen durch Wanderungen aus einer geographischen Provinz in die andre bedingt, für vollkommen genügend.

Diese verschiedenen Thatsachen vertragen sich wohl mit meiner Theorie. Ich glaube an kein festes Entwickelungs-Gesetz, welches alle Bewohner einer Gegend veranlasste, sich plötzlich[S. 344] oder gleichzeitig oder gleichmässig zu ändern. Der Abänderungs-Prozess muss ein sehr langsamer seyn. Die Veränderlichkeit jeder Art ist ganz unabhängig von der der andern Arten. Ob sich die Natürliche Züchtung solche Veränderlichkeit zu Nutzen macht, und ob die in grösserem oder geringerem Maasse gehäuften Abänderungen stärkere oder schwächre Modifikationen in den sich ändernden Arten veranlassen, Diess hängt von vielen verwickelten Bedingungen ab: von der Nützlichkeit der Veränderung, von der Wirkung der Kreutzung, von dem Maass der Züchtung, vom allmählichen Wechsel in der natürlichen Beschaffenheit der Gegend, und zumal von der Beschaffenheit der übrigen Organismen, welche mit den sich ändernden Arten in Mitbewerbung kommen; daher es keineswegs überraschend ist, wenn eine Art ihre Form unverändert bewahrt, während andre sie wechseln, oder wenn sie solche in geringerem Grade wechselt als diese. Wir beobachten Dasselbe in der geographischen Verbreitung, z. B. auf Madeira, wo die Landschnecken und Käfer in beträchtlichem Maasse von ihren nächsten Verwandten in Europa abgewichen, während Vögel und See-Mollusken die nämlichen geblieben sind. Man kann vielleicht die anscheinend raschere Veränderung in den Land-Bewohnern und den höher organisirten Formen gegenüber derjenigen der meerischen und der tiefer-stehenden Arten aus den zusammengesetzteren Beziehungen der vollkommeneren Wesen zu ihren organischen und unorganischen Lebens-Bedingungen, wie sie in einem früheren Abschnitte auseinandergesetzt worden sind, herleiten. Wenn viele von den Bewohnern einer Gegend abgeändert und vervollkommnet worden sind, so begreift man aus dem Prinzip der Mitbewerbung und aus den höchst-wichtigen Beziehungen von Organismus zu Organismus, dass eine Form, welche gar keine Änderung und Vervollkommnung erfährt, der Austilgung preisgegeben ist. Daraus ergibt sich dann, dass alle Arten einer Gegend zuletzt, wenn wir nämlich hinreichend lange Zeiträume dafür zugestehen, entweder abändern oder zu Grunde gehen müssen.

Bei Gliedern einer Klasse mag das Maass der Änderung während langer und gleicher Zeit-Perioden im Mittel vielleicht[S. 345] nahezu gleich seyn. Da jedoch die Anhäufung lange dauernder Fossilreste-führender Formationen davon bedingt ist, ob grosse Sediment-Massen während einer Senkungs-Periode abgesetzt werden, so müssen sich unsre Formationen nothwendig meistens mit langen und unregelmässigen Zwischenpausen gebildet haben; daher denn auch der Grad organischer Veränderung, welchen die in den Erd-Schichten abgelagerten organischen Reste an sich tragen, in aufeinander-folgenden Formationen nicht gleich ist. Jede Formation bezeichnet nach dieser Anschauungs-Weise nicht einen neuen und vollständigen Akt der Schöpfung, sondern nur eine meistens ganz nach Zufall herausgerissene Szene aus einem langsam vor sich gehenden Drama.

Man begreift leicht, dass eine einmal zu Grunde gegangene Art nicht wieder zum Vorschein kommen kann, selbst wenn die nämlichen unorganischen und organischen Lebens-Bedingungen nochmals eintreten. Denn obwohl die Nachkommenschaft einer Art so hergerichtet werden kann (und gewiss in unzähligen Fällen hergerichtet worden ist), dass sie den Platz einer andern Art im Haushalte der Natur genau ausfüllt und sie ersetzt, so können doch beide Formen, die alte und die neue, nicht identisch die nämlichen seyn, weil beide gewiss von ihren verschiedenen Stamm-Vätern auch verschiedene Charaktere mit-geerbt haben. So könnten z. B., wenn unsre Pfauentauben ausstürben, Tauben-Liebhaber durch lange Zeit fortgesetzte und auf denselben Punkt gerichtete Bemühungen wohl eine neue von unsrer jetzigen Pfauentaube kaum unterscheidbare Rasse zu Stande bringen. Wäre aber auch deren Urform, unsre Felstaube im Natur-Zustande, wo die Stamm-Form gewöhnlich durch ihre vervollkommnete Nachkommenschaft ersetzt und vertilgt wird, zerstört worden, so müsste es doch ganz unglaubhaft erscheinen, dass ein Pfauenschwanz, mit unsrer jetzigen Rasse identisch, von irgend einer andern Tauben-Art oder einer andern guten Varietät unsrer Haustauben gezogen werden könne, weil die neu-gebildete Pfauentaube von ihrem neuen Stamm-Vater fast gewiss einige wenn auch nur leichte Unterscheidungs-Merkmale beibehalten würde.

Arten-Gruppen, wie Sippen und Familien sind, folgen in[S. 346] ihrem Auftreten und Verschwinden denselben allgemeinen Regeln, wie die einzelnen Arten selbst, indem sie mehr oder weniger schnell, in grössrem oder geringerem Grade wechseln. Eine Gruppe erscheint nicht wieder, wenn sie einmal untergegangen ist; ihr Daseyn ist abgeschnitten. Ich weiss wohl, dass es einige anscheinende Ausnahmen von dieser Regel gibt; allein es sind deren so erstaunlich wenig, dass EDW. FORBES, PICTET und WOODWARD (obwohl dieselben alle diese von mir vertheidigten Ansichten sonst bestreiten) deren Richtigkeit zugestehen, und diese Regel entspricht vollkommen meiner Theorie. Denn, wenn alle Arten einer Gruppe von nur einer Stamm-Art herkommen, dann ist es klar, dass, so lange als noch irgend eine Art der Gruppe in der langen Reihenfolge der geologischen Perioden zum Vorschein kommt, so lange auch noch Glieder derselben Gruppe in ununterbrochner Reihenfolge existirt haben müssen, um allmählich veränderte und neue oder noch die alten und unveränderten Formen hervorbringen zu können. So müssen also Arten der Sippe Lingula seit deren Erscheinen in den untersten Schichten bis zum heutigen Tage ununterbrochen vorhanden gewesen seyn.

Wir haben im letzten Kapitel gesehen, dass es zuweilen aussieht, als seyen die Arten einer Gruppe ganz plötzlich in Masse aufgetreten, und ich habe versucht diese Thatsache zu erklären, welche, wenn sie sich richtig verhielte, meiner Theorie verderblich seyn würde. Aber derartige Fälle sind gewiss nur als Ausnahmen zu betrachten; nach der allgemeinen Regel wächst die Arten-Zahl jeder Gruppe allmählich bis zu ihrem Maximum an und nimmt dann früher oder später wieder langsam ab. Wenn man die Arten-Zahl einer Sippe oder die Sippen-Zahl einer Familie durch eine Vertikal-Linie ausdrückt, welche die übereinander-folgenden Formationen mit einer nach Maassgabe der in jeder derselben enthaltenen Arten-Zahl veränderlichen Dicke durchsetzt, so kann es manchmal scheinen, als beginne dieselbe unten breit, statt mit scharfer Spitze; sie nimmt dann aufwärts noch weiter an Breite zu, hält darauf oft eine Zeit lang gleiche Stärke ein und läuft dann in den obren Schichten, der Abnahme und dem Erlöschen der Arten entsprechend, allmählich spitz aus.[S. 347] Diese allmähliche Zunahme einer Gruppe steht mit meiner Theorie vollkommen in Einklang, da die Arten einer Sippe und die Sippen einer Familie nur langsam und allmählich an Zahl wachsen können, weil der Vorgang der Umwandlung und der Entwickelung einer Anzahl verwandter Formen nur ein langsamer seyn kann, da eine Art anfänglich nur eine oder zwei Varietäten liefert, welche sich allmählich in Arten verwandeln, die ihrerseits mit gleicher Langsamkeit wieder andre Arten hervorbringen und so weiter (wie ein grosser Baum sich allmählich verzweigt), bis die Gruppe gross wird.

Erlöschen.) Wir haben bis jetzt nur gelegentlich von dem Verschwinden der Arten und der Arten-Gruppen gesprochen. Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung sind jedoch das Erlöschen alter und die Bildung neuer verbesserter Formen aufs Innigste mit einander verbunden. Die alte Meinung, dass von Zeit zu Zeit sämmtliche Bewohner der Erde durch grosse Umwälzungen von der Oberfläche weggefegt worden seyen, ist jetzt ziemlich allgemein und selbst von solchen Geologen, wie ELIE DE BEAUMONT, MURCHISON, BARRANDE u. a. aufgegeben, deren allgemeinere Anschauungs-Weise sie auf dieselbe hinlenken müsste. Wir haben vielmehr nach den über die Tertiär-Formationen angestellten Studien allen Grund zur Annahme, dass Arten und Arten-Gruppen ganz allmählich eine nach der andern zuerst an einer Stelle, dann an einer andern und endlich überall verschwinden. In einigen Fällen jedoch, wie beim Durchbruch einer Landenge und der nachfolgenden Einwanderung einer Menge von neuen Bewohnern, oder bei dem Untertauchen einer Insel mag das Erlöschen verhältnissmässig rasch vor sich gegangen seyn. Einzelne Arten sowohl als Arten-Gruppen haben sehr ungleich lange Zeiten gedauert, einige Gruppen, wie wir gesehen, von der ersten Wiegen-Zeit des Lebens an bis zum heutigen Tage, während andre nicht einmal den Schluss der paläolithischen Zeit erreicht haben. Es scheint kein bestimmtes Gesetz zu geben, welches die Länge der Dauer einer Art oder Sippe bestimmte. Doch scheint Grund zur Annahme vorhanden, dass das gänzliche Erlöschen der Arten einer Gruppe gewöhnlich ein langsamerer[S. 348] Vorgang als selbst ihre Entstehung ist. Wenn man das Erscheinen und Verschwinden der Arten einer Gruppe ebenso wie im vorigen Falle durch eine Vertikallinie von veränderlicher Dicke ausdrückt, so pflegt sich dieselbe weit allmählicher an ihrem obren dem Erlöschen entsprechenden, als am untern die Entwickelung darstellenden Ende zuzuspitzen. Doch ist in einigen Fällen das Erlöschen ganzer Gruppen von Wesen, wie das der Ammoniten am Ende der Sekundär-Zeit, den meisten andern Gruppen gegenüber wunderbar rasch erfolgt.

Die ganze Frage vom Erlöschen der Arten ist in das geheimnissvollste Dunkel gehüllt gewesen. Einige Schriftsteller haben sogar angenommen, dass Arten gerade so wie Individuen eine regelmässige Lebensdauer haben. Durch das Verschwinden der Arten ist wohl Niemand mehr in Verwunderung gesetzt worden, als es mit mir der Fall gewesen. Als ich im La-Plata-Staate einen Pferde-Zahn in einerlei Schicht mit Resten von Mastodon, Megatherium, Toxodon u. a. Ungeheuern zusammenliegend fand, welche sämmtlich noch in später geologischer Zeit mit noch jetzt lebenden Konchilien-Arten zusammen-gelebt haben, war ich mit Erstaunen erfüllt. Denn da die von den Spaniern in Süd-Amerika eingeführten Pferde sich wild über das ganze Land verbreitet und zu unermesslicher Anzahl vermehrt haben, so musste ich mich bei jener Entdeckung selber fragen, was in verhältnissmässig noch so neuer Zeit das frühere Pferd unter Lebens-Bedingungen zu vertilgen vermocht, welche sich der Vervielfältigung des Spanischen Pferdes so ausserordentlich günstig erwiesen haben? Aber wie ganz ungegründet war mein Erstaunen! Professor OWEN erkannte bald, dass der Zahn, wenn auch denen der lebenden Arten sehr ähnlich, doch von einer ganz anderen nun erloschenen Art herrühre. Wäre diese Art noch jetzt, wenn auch schon etwas selten, vorhanden, so würde sich kein Naturforscher im mindesten über deren Seltenheit wundern, da es viele seltene Arten aller Klassen in allen Gegenden gibt. Fragen wir uns selbst, warum diese oder jene Art selten ist, so antworten wir, es müsse irgend etwas in den vorhandenen Lebens-Bedingungen ungünstig seyn, obwohl wir dieses Etwas[S. 349] nicht leicht näher zu bezeichnen wissen. Existirte das fossile Pferd noch jetzt als eine seltene Art, so würden wir in Berücksichtigung der Analogie mit allen andern Säugthier-Arten und selbst mit dem sich nur langsam fortpflanzenden Elephanten und der Vermehrungs-Geschichte des in Süd-Amerika verwilderten Hauspferdes fühlen, dass jene fossile Art unter günstigeren Verhältnissen binnen wenigen Jahren im Stande seyn müsse den ganzen Kontinent zu bevölkern. Aber wir können nicht sagen, welche ungünstigen Bedingungen es seyen, die dessen Vermehrung hindern, ob deren nur eine oder ob ihrer mehre seyen, und in welcher Lebens-Periode und in welchem Grade jede derselben ungünstig wirke. Verschlimmerten sich aber jene Bedingungen allmählich, so würden wir die Thatsache sicher nicht bemerken, obschon jene (fossile) Pferde-Art gewiss immer seltener und seltener werden und zuletzt erlöschen würde; denn ihr Platz ist bereits von einem andern siegreichen Mitbewerber eingenommen.

Man hat viele Schwierigkeit sich immer zu erinnern, dass die Zunahme eines jeden lebenden Wesens durch unbemerkbare schädliche Agentien fortwährend aufgehalten wird, und dass dieselben unbemerkbaren Agentien vollkommen genügen können, um eine fortdauernde Verminderung und endliche Vertilgung zu bewirken. Dieser Satz bleibt aber so unbegriffen, dass ich wiederholt habe eine Verwunderung darüber äussern hören, dass so grosse Thiere wie der Mastodon und die ältren Dinosaurier haben untergehen können, als ob die grosse Körper-Masse schon genüge um den Sieg im Kampfe um’s Daseyn zu sichern. Im Gegentheile könnte gerade eine beträchtliche Grösse in manchen Fällen des früher unzureichend werdenden Futter-Bedarfes wegen das Erlöschen beschleunigen. Schon ehe der Mensch Ostindien und Afrika bewohnte, muss irgend eine Ursache die fortdauernde Vervielfältigung der dort lebenden Elephanten-Arten gehemmt haben. Ein sehr fähiger Beurtheiler glaubt, dass es gegenwärtig hauptsächlich Insekten sind (wie sie BRUCE auch in Abyssinien beschrieben hat), die durch beständiges Beunruhigen und Ermüden die raschere Vermehrung der Elephanten hauptsächlich hemmen. Es ist gewiss, dass sowohl Insekten verschiedener Art als auch[S. 350] Blut-saugende Fledermäuse bedingend wirken auf die Ausbreitung der in verschiedenen Theilen Süd-Amerikas eingeführten Haus-Säugethiere. Wir sehen in den neueren Tertiär-Bildungen viele Beispiele, dass Seltenwerden dem gänzlichen Verschwinden vorangeht, und wir wissen, dass es derselbe Fall bei denjenigen Thier-Arten gewesen ist, welche durch den Einfluss des Menschen örtlich oder überall von der Erde verschwunden sind. Ich will hier wiederholen, was ich im Jahr 1845 drucken liess: Zugeben, dass Arten gewöhnlich selten werden, ehe sie erlöschen, und sich über das Seltnerwerden einer Art nicht wundern, aber dann doch hoch erstaunen, wenn sie endlich zu Grunde geht, — heisst Dasselbe, wie: Zugeben, dass bei Individuen Krankheit dem Tode vorangeht, und sich über das Erkranken eines Individuums nicht befremdet fühlen, aber sich wundern, wenn der kranke Mensch stirbt, und seinen Tod irgend einer unbekannten Gewalt zuschreiben.

Die Theorie der natürlichen Züchtung beruhet auf der Annahme, dass jede neue Varietät und zuletzt jede neue Art dadurch gebildet und erhalten worden seye, dass sie irgend einen Vorzug vor den mitbewerbenden Arten an sich habe, in Folge dessen die nicht bevortheilten Arten meistens unvermeidlich erlöschen. Es verhält sich eben so mit unsren Kultur-Erzeugnissen. Ist eine neue etwas vervollkommnete Varietät gebildet worden, so ersetzt sie anfangs die minder vollkommenen Varietäten in der Nachbarschaft; ist sie mehr verbessert, so breitet sie sich in Nähe und Ferne aus, wie unsre kurz-hörnigen Rinder gethan, und nimmt die Stelle der andern Rassen in andern Gegenden ein. So sind die Erscheinungen neuer und das Verschwinden alter Formen, natürlicher wie künstlicher, enge miteinander verknüpft. In manchen wohl gedeihenden Gruppen ist die Anzahl der in einer gegebenen Zeit gebildeten neuen Art-Formen grösser als die alten erloschenen; da wir aber wissen, dass gleichwohl die Arten-Zahl wenigstens in den letzten geologischen Perioden nicht unbeschränkt zugenommen hat, so dürfen wir annehmen, dass eben die Hervorbringung neuer Formen das Erlöschen einer ungefähr gleichen Anzahl alter veranlasst habe.

[S. 351]

Die Mitbewerbung wird gewöhnlich, wie schon früher erklärt und durch Beispiele erläutert worden ist, zwischen denjenigen Formen am ernstesten seyn, welche sich in allen Beziehungen am ähnlichsten sind. Daher die abgeänderten und verbesserten Nachkommen gewöhnlich die Austilgung ihrer Stamm-Art veranlassen werden; und wenn viele neue Formen von irgend einer einzelnen Art entstanden sind, so werden die nächsten Verwandten dieser Art, das heisst die mit ihr zu einer Sippe gehörenden, der Vertilgung am meisten ausgesetzt seyn. Und so muss, wie ich mir vorstelle, eine Anzahl neuer von einer Stamm-Art entsprossener Spezies, d. h. eine Sippe, eine alte Sippe der nämlichen Familie ersetzen. Aber es muss sich auch oft zutragen, dass eine neue Art aus dieser oder jener Gruppe den Platz einer Art aus einer andern Gruppe einnimmt und somit deren Erlöschen veranlasst; wenn sich dann von dem siegreichen Eindringlinge viele verwandte Formen entwickeln, so werden auch viele diesen ihre Plätze überlassen müssen, und es werden gewöhnlich verwandte Arten seyn, die in Folge eines gemeinschaftlich ererbten Nachtheils den andern gegenüber unterliegen. Mögen jedoch die unterliegenden Arten zu einer oder zu verschiedenen Klassen gehören, so kann doch öfter einer oder der andre von ihnen in Folge einer Befähigung zu einer etwas abweichenderen Lebensweise, oder seines abgelegenen Wohnortes wegen, eine minder strenge Mitbewerbung zu befahren haben und sich so noch längre Zeit erhalten. So überlebt z. B. nur noch eine einzige Trigonia in dem Australischen Meere die in der Sekundär-Zeit zahlreich gewesenen Arten dieser Sippe, und eine geringe Zahl von Arten der einst reichen Gruppe der Ganoiden-Fische kommt noch in unsren Süsswassern vor. Und so ist dann das gänzliche Erlöschen einer Gruppe gewöhnlich ein langsamerer Vorgang als ihre Entwicklung.

Was das anscheinend plötzliche Aussterben ganzer Familien und Ordnungen betrifft, wie das der Trilobiten am Ende der paläolithischen und der Ammoniten am Ende der mesolithischen Zeit-Periode, so müssen wir uns zunächst dessen erinnern, was schon oben über die sehr langen Zwischenräume zwischen unsren[S. 352] verschiedenen Formationen gesagt worden ist, während welcher viele Formen langsam erloschen seyn können. Wenn ferner durch plötzliche Einwanderung oder ungewöhnlich rasche Entwickelung viele Arten einer neuen Gruppe von einem neuen Gebiete Besitz nehmen, so können sie auch in entsprechend rascher Weise viele der alten Bewohner verdrängen; und die Formen, welche ihnen ihre Stellen überlassen, werden gewöhnlich mit einander verwandte Theilnehmer an irgend einem ihnen gemeinsamen Nachtheile der Organisation seyn.

So scheint mir die Weise, wie einzelne Arten und ganze Arten-Gruppen erlöschen, gut mit der Theorie der Natürlichen Züchtung übereinzustimmen. Das Erlöschen kann uns nicht wunder-nehmen; was uns eher wundern müsste, ist vielmehr unsre einen Augenblick lang genährte Anmassung, die vielen verwickelten Bedingungen zu begreifen, von welchen das Daseyn jeder Spezies abhängig ist. Wenn wir einen Augenblick vergessen, dass jede Art auf ungeregelte Weise zuzunehmen strebt und irgend eine wenn auch ganz selten wahrgenommene Gegenwirkung immer in Thätigkeit ist, so muss uns der ganze Haushalt der Natur allerdings sehr dunkel erscheinen. Nur wenn wir genau anzugeben wüssten, warum diese Art reicher an Individuen als jene ist, warum diese und nicht eine andere in einer angedeuteten Gegend naturalisirt werden kann, dann und nur dann hätten wir Ursache uns zu wundern, warum wir uns von dem Erlöschen dieser oder jener einzelnen Spezies oder Arten-Gruppe keine Rechenschaft zu geben im Stande sind.

Über das fast gleichzeitige Wechseln der Lebenformen auf der ganzen Erd-Oberfläche.) Kaum ist irgend eine andere paläontologische Entdeckung so überraschend als die Thatsache, dass die Lebenformen einem auf fast der ganzen Erd-Oberfläche gleichzeitigen Wechsel unterliegen. So kann unsre Europäische Kreide-Formation in vielen entfernten Weltgegenden und in den verschiedensten Klimaten wieder erkannt werden, wo nicht ein Stückchen Kreide selbst zu entdecken ist. So namentlich in Nord- und im tropischen Süd-Amerika, am Kap der guten Hoffnung und auf der Ostindischen Halbinsel,[S. 353] weil an diesen entfernten Punkten der Erd-Oberfläche die organischen Reste gewisser Schichten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit denen unsrer Kreide besitzen. Nicht als ob es überall die nämlichen Arten wären; denn manche dieser Örtlichkeiten haben nicht eine Art miteinander gemein; — aber sie gehören zu einerlei Familie, Sippe, Untersippe und ähneln sich oft bis auf die gleichgiltigen Skulpturen der Oberfläche. Ferner fehlen andre Formen, welche in Europa nicht in, sondern über oder unter der Kreide-Formation vorkommen, der genannten Formation auch in jenen fernen Gegenden. In den aufeinander-folgenden paläozoischen Formationen Russlands, West-Europas und Nord-Amerikas ist ein ähnlicher Parallelismus im Auftreten der Lebenformen von mehren Autoren wahrgenommen worden; und eben so in dem Europäischen und Nord-Amerikanischen Tertiär-Gebirge nach LYELL. Selbst wenn wir die wenigen Arten ganz aus dem Auge lassen, welche die Alte und die Neue Welt mit einander gemein haben, so steht der allgemeine Parallelismus der aufeinander-folgenden Lebenformen in den verschiedenen Stöcken der so weit auseinander-gelegenen paläolithischen und tertiären Gebilde so fest, dass sich diese Formationen leicht Glied um Glied miteinander vergleichen lassen.

Diese Beobachtungen jedoch beziehen sich nur auf die Meeres-Bewohner der verschiedenen Weltgegenden, und wir haben nicht genügende Nachweisungen um zu beurtheilen, ob die Erzeugnisse des Landes und der Süsswasser an so entfernten Punkten einander gleichfalls in paralleler Weise ablösen. Man möchte daran zweifeln, ob es der Fall; denn wenn das Megatherium, der Mylodon und Toxodon und die Macrauchenia aus dem La-Plata-Gebiete nach Europa gebracht worden wären ohne alle Nachweisung über ihre geologische Lagerstätte, so würde wohl niemand vermuthet haben, dass sie mit noch jetzt lebend vorkommenden See-Mollusken gleichzeitig existirten; da jedoch diese monströsen Wesen mit Mastodon und Pferd zusammengelagert sind, so lässt sich daraus wenigstens schliessen, dass sie in einem der letzten Stadien der Tertiär-Periode gelebt haben müssen.

[S. 354]

Wenn vorhin von dem gleichzeitigen Wechsel der Meeres-Bewohner auf der ganzen Erd-Oberfläche gesprochen worden, so handelt es sich dabei nicht um die nämlichen tausend oder hunderttausend Jahre oder auch nur um eine strenge Gleichzeitigkeit im geologischen Sinne des Wortes. Denn, wenn alle Meeres-Thiere, welche jetzt in Europa leben, und alle, welche in der pleistocänen Periode (eine, in Jahren ausgedrückt, ungeheuer entfernt liegende Periode, indem sie die Eis-Zeit mit in sich begreift) da gelebt haben, mit den jetzt in Süd-Amerika oder in Australien lebenden verglichen würden, so dürfte der erfahrenste Naturforscher schwerlich zu sagen im Stande seyn, ob die jetzt lebenden oder die pleistocänen Bewohner Europas mit denen der südlichen Halbkugel näher übereinstimmen. Eben so glauben mehre der sachkundigsten Beobachter, dass die jetzige Lebenwelt in den Vereinten Staaten mit derjenigen Bevölkerung näher verwandt seye, welche während einiger der letzten Stadien der Tertiär-Zeit in Europa existirt hat, als mit der noch jetzt da wohnenden; und wenn Diess so ist, so würde man offenbar die Fossilien-führenden Schichten, welche jetzt an den Nord-Amerikanischen Küsten abgelagert werden, in einer späteren Zeit eher mit etwas älteren Europäischen Schichten zusammenstellen. Demungeachtet kann, wie ich glaube, kaum ein Zweifel seyn, dass man in einer sehr fernen Zukunft doch alle neueren meerischen Bildungen, namentlich die obern pliocänen, die pleistocänen und die jetzt-zeitigen Schichten Europas, Nord- und Süd-Amerikas und Australiens, weil sie Reste in gewissem Grade mit einander verwandter Organismen und nicht auch diejenigen Arten, welche allein den tiefer-liegenden älteren Ablagerungen angehören, in sich einschliessen, ganz richtig als gleich-alt in geologischem Sinne bezeichnen würde.

Die Thatsache, dass die Lebenformen gleichzeitig miteinander, in dem obigen weiten Sinne des Wortes, selbst in entfernten Theilen der Welt wechseln, hat die vortrefflichen Beobachter DE VERNEUIL und D’ARCHIAC sehr betroffen gemacht. Nachdem sie über den Parallelismus der paläolithischen Lebenformen in verschiedenen Theilen von Europa berichtet, sagen sie weiter:[S. 355] „Wenden wir unsre Aufmerksamkeit nun nach Nord-Amerika, so entdecken wir dort eine Reihe analoger Thatsachen, und scheint es gewiss zu seyn, dass alle diese Abänderungen der Arten, ihr Erlöschen und das Auftreten neuer nicht blossen Veränderungen in den Meeres-Strömungen oder andern mehr und weniger örtlichen und vorübergehenden Ursachen zugeschrieben werden können, sondern von allgemeinen Gesetzen abhängen, welche das ganze Thier-Reich betreffen.“ Auch BARRANDE hat ähnliche Wahrnehmungen gemacht und nachdrücklich hervorgehoben. Es ist in der That ganz ohne Nutzen, die Ursache dieser grossen Veränderungen in den Lebenformen der ganzen Erd-Oberfläche und in den verschiedensten Klimaten im Wechsel der See-Strömungen, des Klimas oder andrer natürlicher Lebens-Bedingungen aufsuchen zu wollen; wir müssen uns, wie schon BARRANDE bemerkt, nach einem besondren Gesetze dafür umsehen. Wir werden Diess deutlicher erkennen, wenn von der gegenwärtigen Vertheilung der organischen Wesen die Rede seyn wird; wir werden dann finden, wie gering die Beziehungen zwischen den natürlichen Lebens-Bedingungen verschiedener Länder und der Natur ihrer Bewohner ist.

Diese grosse Thatsache von der parallelen Aufeinanderfolge der Lebenformen auf der ganzen Erde ist aus der Theorie der Natürlichen Züchtung erklärbar. Neue Arten entstehen aus neuen Varietäten, welche einige Vorzüge von älteren Formen an sich tragen, und diejenigen Formen, welche bereits der Zahl nach vorherrschen oder irgend einen Vortheil vor andern Formen voraus haben, werden natürlich am öftesten die Entstehung neuer Varietäten oder beginnender Arten veranlassen; denn diese letzten werden in noch höherem Grade siegreich gegen andre bestehen und sie überleben. Wir finden einen bestimmten Beweis dafür darin, dass den herrschenden, d. h. in ihrer Heimath gemeinsten und am weitesten verbreiteten Pflanzen-Arten im Vergleiche zu andren Arten in ihrer eignen Heimath die grösste Anzahl neuer Varietäten gebildet haben. Ebenso ist es natürlich, dass die herrschenden veränderlichen und weit verbreiteten Arten, die bis zu einem gewissen Grade bereits in die Gebiete andrer[S. 356] Arten eingedrungen sind, auch bessere Aussicht als andre zu noch weitrer Ausbreitung und zur Bildung fernerer Varietäten und Arten in den neuen Gegenden haben. Dieser Vorgang der Ausbreitung mag oft ein sehr langsamer seyn, indem er von klimatischen und geographischen Veränderungen, zufälligen Ereignissen oder von der allmählichen Acclimatisirung neuer Arten in den verschiedenen von ihnen zu durchwandernden Klimaten abhängt; doch mit der Zeit wird die Verbreitung der herrschenden Formen gewöhnlich durchgreifen. Sie wird bei Land-Bewohnern geschiedener Kontinente wahrscheinlich langsamer vor sich gehen als bei den Organismen zusammenhängender Meere. Wir werden daher einen minder genauen Grad paralleler Aufeinanderfolge in den Land- als in den Meeres-Erzeugnissen zu finden erwarten dürfen, wie es auch in der That der Fall ist.

Wenn herrschende Arten sich von einer Gegend aus verbreiten, so werden sie mitunter auf noch herrschendere Arten stossen, und dann wird ihr Siegeslauf und selbst ihre Existenz aufhören. Wir wissen durchaus nicht genau, welches alle die günstigsten Bedingungen für die Vermehrung neuer und herrschender Arten sind; doch Das können wir, glaube ich, klar erkennen, dass eine grosse Anzahl von Individuen, insoferne sie mehr Aussicht auf die Hervorbringung vortheilhafter Abänderungen hat, und dass eine strenge Mitbewerbung mittelst vieler schon bestehender Formen im höchsten Grade vortheilhaft seyn müsse, sowie das Vermögen sich in neue Gebiete zu verbreiten. Ein gewisser Grad von Isolirung, nach langen Zwischenzeiten zuweilen wiederkehrend, dürfte, wie früher erläutert worden, wohl gleichfalls förderlich seyn. Ein Theil der Erd-Oberfläche mag für die Hervorbringung neuer und herrschender Arten des Landes und ein andrer für solche des Meeres günstiger seyn. Wenn zwei grosse Gegenden sehr lange Zeiten hindurch zur Hervorbringung herrschender Arten in gleichem Grade geeignet gewesen, so wird der Kampf ihrer Einwohner miteinander, wann immer sie zusammentreffen mögen, ein langer und harter werden, und werden einige von der einen und einige von der andern Geburts-Stätte aus siegreich vordringen. Aber im[S. 357] Laufe der Zeit werden die im höchsten Grade herrschenden Formen, auf welcher von beiden Seiten sie auch entstanden seyn mögen, überall das Übergewicht erlangen. In dem Maasse, als sie überwiegen, werden sie das Erlöschen andrer unvollkommenerer Formen bedingen; und da oft ganze unter sich verwandte Gruppen die gleiche Unvollkommenheit gemeinsam ererbt haben, so werden solche Gruppen sich allmählich ganz zum Erlöschen neigen, wenn auch da und dort ein einzelnes Glied sich noch eine Zeit lang durchbringen mag.

So, scheint mir, stimmt die parallele und, in einem weiten Sinne genommen, gleichzeitige Aufeinanderfolge der nämlichen Lebenformen auf der ganzen Erde wohl mit dem Prinzip überein, dass neue Arten durch sich weit verbreitende und sehr veränderliche herrschende Spezies gebildet werden; die so erzeugten neuen Arten werden in Folge von Vererbung und, weil sie bereits einige Vortheile über ihre Ältern und über andre Arten besitzen, selber herrschend; auch diese breiten sich nun aus, variiren und bilden wieder neue Spezies. Diejenigen Formen, welche verdrängt werden und ihre Stellen den neuen siegreichen Formen überlassen, werden gewöhnlich gruppenweise verwandt seyn, weil sie irgend eine Unvollkommenheit gemeinsam ererbt haben; daher in dem Maasse als sich die neuen und vollkommeneren Gruppen über die Erde verbreiten, alte Gruppen vor ihnen verschwinden müssen. Diese Aufeinanderfolge der Formen auf beiden Wegen wird sich überall zu entsprechen geneigt seyn.

Noch bleibt eine Bemerkung über diesen Gegenstand zu machen übrig. Ich habe die Gründe angeführt, wesshalb ich glaube, dass jede unsrer grossen Fossil-reichen Formationen in Perioden fortdauernder Senkung abgesetzt worden sind, dass aber diese Ablagerungen durch lange Zwischenräume getrennt gewesen, wo der Meeres-Boden stet oder in Hebung begriffen war, oder wo die Anschüttungen nicht rasch genug erfolgten, um die organischen Reste einzuhüllen und gegen Zerstörung zu bewahren. Während dieser langen leeren Zwischenzeiten nun haben, nach meiner Annahme, die Bewohner jeder Gegend viele Abänderungen erfahren und viel durch Erlöschen gelitten, und[S. 358] haben grosse Wanderungen von einem Theile der Erde zum andern stattgefunden. Da nun Grund zur Annahme vorhanden ist, dass weite Felder die gleichen Bewegungen durchgemacht haben, so haben gewiss auch oft genau gleichzeitige Formationen über sehr weiten Räumen einer Weltgegend abgesetzt werden können; doch sind wir hieraus nicht zu schliessen berechtigt, dass Diess unabänderlich der Fall gewesen, oder dass weite Felder unabänderlich von gleichen Bewegungen betroffen worden seyen. Sind zwei Formationen in zwei Gegenden zu beinahe, aber nicht genau, gleicher Zeit entstanden, so werden wir in beiden aus schon oben auseinandergesetzten Gründen im Allgemeinen die nämliche Aufeinanderfolge der Lebenformen erkennen; aber die Arten werden sich nicht genau entsprechen, weil sie in der einen Gegend etwas mehr und in der andern etwas weniger Zeit gehabt haben abzuändern, zu wandern und zu erlöschen.

Ich vermuthe, dass Fälle dieser Art in Europa selbst vorkommen. PRESTWICH ist in seiner vortrefflichen Abhandlung über die Eocän-Schichten in England und Frankreich im Stande einen im Allgemeinen genauen Parallelismus zwischen den aufeinanderfolgenden Stöcken beider Gegenden nachzuweisen. Obwohl sich nun bei Vergleichung gewisser Stöcke in England mit denen in Frankreich eine merkwürdige Übereinstimmung beider in den zu einerlei Sippen gehörigen Arten ergibt, so weichen doch diese Arten selber in einer bei der geringen Entfernung beider Gebiete schwer zu erklärenden Weise von einander ab, wenn man nicht annehmen will, dass eine Landenge zwei benachbarte Meere getrennt habe, welche von gleichzeitig verschiedenen Faunen bewohnt gewesen seyen. LYELL hat ähnliche Beobachtungen über einige der späteren Tertiär-Formationen gemacht, und eben so hat BARRANDE gezeigt, dass zwischen den aufeinanderfolgenden Silur-Schichten Böhmen’s und Skandinavien’s im Allgemeinen ein genauer Parallelismus herrsche, demungeachtet aber eine erstaunliche Verschiedenheit zwischen den Arten bestehe. Wären aber nun die verschiedenen Formationen dieser Gegenden nicht genau während der gleichen Periode abgesetzt worden, indem etwa die Ablagerung in der einen Gegend mit einer Pause in der andern[S. 359] zusammenfiele, — und hätten in beiden Gegenden die Arten sowohl während der Anhäufung der Schichten als während der langen Pausen dazwischen langsame Veränderungen erfahren: so würden die verschiedenen Formationen beider Gegenden auf gleiche Weise und in Übereinstimmung mit der allgemeinen Aufeinanderfolge der Lebenformen geordnet erscheinen, und ihre Ordnung sogar genauparallel scheinen (ohne es zu seyn); demungeachtet würden in den einzelnen einander anscheinend entsprechenden Stöcken beider Gegenden nicht alle Arten übereinstimmen.

Verwandtschaft erloschener Arten unter sich und mit den lebenden Formen.) Werfen wir nun einen Blick auf die gegenseitigen Verwandtschaften erloschener und lebender Formen. Alle fallen in ein grosses Natur-System, was sich aus dem Prinzip gemeinsamer Abstammung erklärt. Je älter eine Form, desto mehr weicht sie der allgemeinen Regel zufolge von den lebenden Formen ab. Doch können, wie BUCKLAND schon längst bemerkt, alle fossile Formen in noch lebende Gruppen eingetheilt oder zwischen sie eingeschoben werden. Es ist nicht zu bestreiten, dass die erloschenen Formen weite Lücken zwischen den jetzt noch bestehenden Sippen, Familien und Ordnungen ausfüllen helfen. Denn wenn wir unsre Aufmerksamkeit entweder auf die lebenden oder auf die erloschenen Formen allein richten, so ist die Reihe viel minder vollkommen, als wenn wir beide in ein gemeinsames System zusammenfassen. Hinsichtlich der Wirbelthiere liessen sich viele Seiten mit den trefflichen Erläuterungen unsres grossen Paläontologen OWEN über die Verbindung lebender Thier-Gruppen durch fossile Formen anfüllen. Nachdem CUVIER die Wiederkäuer und die Pachydermen als zwei der aller-verschiedensten Säugthier-Ordnungen betrachtet, hat OWEN so viele fossile Zwischenglieder entdeckt, dass er die ganze Klassifikation dieser zwei Ordnungen zu ändern genöthigt war und gewisse Pachydermen in gleiche Unterordnung mit Ruminanten versetzte. So z. B. füllt er die weite Lücke zwischen Kameel und Schwein mit kleinen Zwischenstufen aus. Was die Wirbel-losen betrifft, so versichert BARRANDE, gewiss die erste[S. 360] Autorität in dieser Beziehung, wie er jeden Tag deutlicher erkenne, dass die paläolithischen Thiere, wenn auch in einerlei Ordnungen, Familien und Sippen mit den jetzt lebenden gehörig, doch noch nicht in so bestimmte Gruppen geschieden waren, wie diese letzten.

Einige Schriftsteller haben sich gegen die Meinung erklärt, dass eine erloschene Art oder Arten-Gruppe zwischen lebenden Arten oder Gruppen in der Mitte stehe. Wenn damit gesagt werden sollte, dass die erloschene Form in allen ihren Charakteren genau das Mittel zwischen zwei lebenden Formen halte, so wäre die Einwendung begründet. Aber ich erkenne, dass in einer vollkommen natürlichen Klassifikation viele fossile Arten zwischen lebenden Arten, und manche erloschene Sippen zwischen lebenden Sippen oder sogar zwischen Sippen verschiedener Familien ihre Stelle einzunehmen haben. Der gewöhnliche Fall zumal bei sehr ausgezeichneten Gruppen, wie Fische und Reptilien sind, scheint mir der zu seyn, dass da, wo dieselben heutigen Tages z. B. durch ein Dutzend Charaktere von einander abweichen, die alten Glieder der nämlichen zwei Gruppen in einer etwas geringeren Anzahl von Merkmalen unterschieden waren, so dass beide Gruppen vordem, wenn auch schon völlig verschieden, doch einander etwas näher stunden als jetzt.

Es ist eine gewöhnliche Meinung, dass eine Form je älter um so mehr geeignet seye, mittelst einiger ihrer Charaktere jetzt weit getrennte Gruppen zu verknüpfen. Diese Bemerkung muss ohne Zweifel auf solche Gruppen beschränkt werden, die im Verlaufe geologischer Zeiten grosse Veränderungen erfahren haben, und es möchte schwer seyn, die Wahrheit zu beweisen; denn hier und da wird auch noch ein lebendes Thier wie der Lepidosiren entdeckt, das mit sehr verschiedenen Gruppen zugleich verwandt ist. Wenn wir jedoch die ältern Reptilien und Batrachier, die alten Fische, die alten Cephalopoden und die eocänen Säugthiere mit den neueren Gliedern derselben Klassen vergleichen, so müssen wir einige Wahrheit in der Bemerkung zugestehen.

Wir wollen nun zusehen, in wie ferne diese verschiedenen[S. 361] Thatsachen und Schlüsse mit der Theorie abändernder Nachkommenschaft übereinstimmen. Da der Gegenstand etwas verwickelt ist, so muss ich den Leser bitten, sich nochmals nach dem Bilde S. 131 umzusehen. Nehmen wir an, die numerirten Buchstaben stellen Sippen und die von ihnen ausstrahlenden Punkt-Reihen die dazu gehörigen Arten vor. Das Bild ist insoferne zu einfach, als zu wenige Sippen und Arten darauf angenommen sind; doch ist Das unwesentlich für uns. Die wagrechten Linien mögen die aufeinander-folgenden geologischen Formationen vorstellen und alle Formen unter der obersten dieser Linien als erloschene gelten. Die drei lebenden Sippen a14, q14, p14 mögen eine kleine Familie bilden; b14 und f14 eine nahe verwandte oder eine Unter-Familie, und o14, e14, m14 eine dritte Familie vertreten. Diese drei Familien mit den vielen erloschenen Sippen auf den verschiedenen von der Stamm-Form A auslaufenden Verzweigungs-Linien bilden eine Ordnung; denn alle werden von ihrem alten und gemeinschaftlichen Stammvater aus etwas Gemeinsames ererbt haben. Nach dem Prinzip fortdauernder Divergenz des Charakters, zu dessen Erläuterung jenes Bild bestimmt war, muss jede Form je neuer um so stärker von ihrem ersten Stammvater abweichen. Daraus erklärt sich eben auch die Regel, dass die ältesten fossilen am meisten von den jetzt lebenden Formen verschieden sind. Doch dürfen wir nicht glauben, dass Divergenz des Charakters eine nothwendige Eigenschaft ist; sie hängt allein davon ab, ob die Nachkommen einer Art befähigt sind, viele und verschiedenartige Plätze im Haushalt der Natur einzunehmen. Daher ist es auch ganz wohl möglich, wie wir bei einigen silurischen Fossilien gesehen, dass eine Art bei nur geringer, nur wenig veränderten Lebens-Bedingungen entsprechender Modifikation fortbestehen und während langer Perioden stets dieselben allgemeinen Charaktere beibehalten kann. Diess wird in dem Bilde durch den Buchstaben F14 ausgedrückt.

All’ die vielerlei von A abstammenden Formen, erloschene wie noch lebende, bilden nach unsrer Annahme zusammen eine Ordnung, und diese Ordnung ist in Folge fortwährenden Erlöschens der Formen und Divergenz der Charaktere allmählich[S. 362] in Familien und Unterfamilien getheilt worden, von welchen einige in früheren Perioden zu Gründe gegangen sind und andre bis auf den heutigen Tag währen.

Das Bild zeigt uns ferner, dass, wenn eine Anzahl der schon früher erloschenen und in die aufeinander-folgenden Formationen eingeschlossenen Formen an verschiedenen Stellen tief unten in der Reihe wieder entdeckt würden, die drei noch lebenden Familien auf der obersten Linie mehr unter sich verkettet scheinen müssten. Wären z. B. die Sippen a1, a5, a10, f8, m3, m6, m9 wieder ausgegraben worden, so würden die drei Familien so eng mit einander verkettet erscheinen, dass man sie wahrscheinlich in eine grosse Familie vereinigen würde, etwa so wie es mit den Wiederkäuern und gewissen Dickhäutern geschehen ist. Wer nun gegen die Bezeichnung jener die drei lebenden Familien verbindenden Sippen als „intermediäre dem Charakter nach“ Verwahrung einlegen wollte, würde in der That in so ferne Recht haben, als sie nicht direkt, sondern nur auf einem durch viele sehr abweichende Formen hergestellten Umwege sich zwischen jene andern einschieben. Wären viele erloschene Formen über einer der mitteln Horizontal-Linien oder Formationen, wie z. B. Nr. VI—, aber keine unterhalb dieser Linie gefunden worden, so würde man nur die zwei auf der linken Seite stehenden Familien — nämlich a14 etc. und b14 etc. — in eine grosse Familie vereinigen, und die zwei andern a14–f14 mit fünf und o14–m14 mit drei Sippen würden dann davon getrennt bleiben. Doch würden diese zwei Familien weniger von einander verschieden erscheinen, als vor Entdeckung der fossilen Reste. Wenn wir z. B. annehmen, die noch bestehenden Sippen der zwei Familien wichen in einem Dutzend Merkmale von einander ab, so müssen dieselben in der früheren mit VI bezeichneten Periode weniger Unterschiede gezeigt haben, weil sie auf jener Fortbildungs-Stufe von dem gemeinsamen Stammvater der Ordnung im Charakter noch nicht so stark wie späterhin divergirten. So geschieht es dann, dass alte und erloschene Sippen oft einigermaassen zwischen ihren abgeänderten Nachkommen oder zwischen ihren Seiten-Verwandten das Mittel halten.

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In der Natur wird der Fall weit zusammengesetzter seyn, als ihn unser Bild darstellt; denn die Gruppen sind viel zahlreicher, ihre Dauer ist von ausserordentlich ungleicher Länge, und die Abänderungen haben manchfaltige Abstufungen erreicht. Da wir nun den letzten Band des geologischen Berichtes mit vielfältig unterbrochnem Zusammenhange besitzen, so haben wir, einige sehr seltene Fälle ausgenommen, kein Recht, die Ausfüllung grosser Lücken im Natur-Systeme und die Verbindung getrennter Familien und Ordnungen zu erwarten. Alles, was wir hoffen dürfen, ist diejenigen Gruppen, welche erst in der bekannten geologischen Zeit grosse Veränderungen erfahren, in den frühesten Formationen etwas näher aneinander gerückt zu finden, so dass die älteren Glieder in einigen ihrer Charaktere etwas weniger weit auseinander gehen, als die jetzigen Glieder derselben Gruppen; und Diess scheint nach dem einstimmigem Zeugnisse unserer besten Paläontologen oft der Fall zu seyn.

So scheinen sich mir nach der Theorie gemeinsamer Abstammung mit fortschreitender Modifikation die wichtigsten Thatsachen hinsichtlich der wechselseitigen Verwandtschaft der erloschenen Lebenformen zu einander und zu den noch bestehenden Formen in genügender Weise zu erklären. Nach jeder andern Betrachtungs-Weise sind sie völlig unerklärbar.

Aus der nämlichen Theorie erhellt, dass die Fauna einer grossen Periode in der Erd-Geschichte in ihrem allgemeinen Charakter das Mittel halten müsse zwischen der zunächst vorangehenden und nachfolgenden. So sind die Arten, welche im sechsten grossen Schichten-Stocke unsres Bildes vorkommen, die abgeänderten Nachkommen derjenigen, welche schon im fünften vorhanden gewesen, und sind die Ältern der noch weiter abgeänderten im siebenten; sie können daher nicht wohl anders als nahezu das Mittel zwischen beiden halten. Wir müssen jedoch hiebei im Auge behalten das gänzliche Erlöschen einiger früheren Formen, die Einwanderung neuer Formen aus andern Gegenden und die beträchtliche Umänderung der Formen während der langen Lücke zwischen zwei aufeinander-folgenden Formationen. Diese Zugeständnisse berücksichtigt, muss die Fauna jeder grossen[S. 364] geologischen Periode zweifelsohne genau das Mittel einnehmen zwischen der vorhergehenden und der folgenden. Ich brauche nur als Beispiel anzuführen, wie die Fossil-Reste des Devon-Systems die Paläontologen zu dessen Aufstellung veranlasst haben, als sie deren mitteln Charakter zwischen denen des darunterliegenden Silur- und des darauf-folgenden Steinkohlen-Systemes erkannten. Aber nicht jede Fauna muss dieses Mittel genau einhalten, weil die zwischen aufeinander-folgenden Formationen verflossenen Zeiträume ungleich lang seyn können.

Es ist kein wesentlicher Einwand gegen die Wahrheit der Behauptung, dass die Fauna jeder Periode im Ganzen genommen ungefähr das Mittel zwischen der vorigen und der folgenden Fauna halten müsse, darin zu finden, dass manche Sippen Ausnahmen von dieser Regel bilden. So stimmen z. B., wenn man Mastodonten und Elephanten nach Dr. FALCONER zuerst nach ihrer gegenseitigen Verwandtschaft und dann nach ihrer geologischen Aufeinanderfolge in zwei Reihen ordnet, beide Reihen nicht mit einander überein. Die in ihren Charakteren am weitesten abweichenden Arten sind weder die ältesten noch die jüngsten, noch sind die von mittlem Charakter auch von mittlem Alter. Nehmen wir aber für einen Augenblick an, unsre Kenntniss von den Zeitpunkten des Erscheinens und Verschwindens der Arten seye in diesem und ähnlichen Fällen vollkommen genau, so haben wir doch noch kein Recht zu glauben, dass die nacheinander auftretenden Formen nothwendig auch gleich-lang bestehen müssen; eine sehr alte Form kann zufällig eine längre Dauer als eine irgendwo später entwickelte Form haben, was insbesondre von solchen Landbewohnern gilt, welche in ganz getrennten Bezirken zu Hause sind. Kleines mit Grossem vergleichend wollen wir die Tauben als Beispiel wählen. Wenn man die lebenden und erloschenen Haupt-Rassen unsrer Haus-Tauben so gut als möglich nach ihren Verwandtschaften in Reihen ordnete, so würde diese Anordnungs-Weise nicht genau übereinstimmen weder mit der Zeitfolge ihrer Entstehung und noch weniger mit der ihres Untergangs. Denn die stammälterliche Felstaube lebt noch, und viele Zwischenvarietäten zwischen ihr und der Botentaube sind[S. 365] erloschen, und Botentauben, welche in der Länge des Schnabels das Äusserste bieten, sind früher entstanden, als die kurzschnäbeligen Purzler, welche das entgegengesetzte Ende der auf die Schnabel-Länge gegründeten Reihenfolge bilden.

Mit der Behauptung, dass die organischen Reste einer mitteln Formation auch einen nahezu mitteln Charakter besitzen, steht die Thatsache, worauf alle Paläontologen bestehen, in nahem Zusammenhang, dass nämlich die fossilen aus zwei aufeinander-folgenden Formationen viel näher als die aus entfernten mit einander verwandt sind. PICTET führt als ein wohl-bekanntes Beispiel die allgemeine Ähnlichkeit der organischen Reste aus den verschiedenen Stöcken der Kreide-Formation an, obwohl die Arten in allen Stöcken verschieden sind. Diese Thatsache allein scheint ihrer Allgemeinheit wegen Professor PICTET in seinem festen Glauben an die Unveränderlichkeit der Arten wankend gemacht zu haben. Wohl bekannt mit der Vertheilungs-Weise der jetzt lebenden Arten über die Erd-Oberfläche, wagt er doch nicht eine Erklärung über die grosse Ähnlichkeit verschiedener Spezies in nahe aufeinander-folgenden Formationen aus der Annahme herzuleiten, dass die physikalischen Bedingungen der alten Länder-Gebiete sich fast gleich geblieben seyen. Erinnern wir uns, dass die Lebenformen wenigstens des Meeres auf der ganzen Erde und mithin unter den aller-verschiedensten Klimaten u. a. Bedingungen fast gleichzeitig gewechselt haben; — und bedenken wir, welchen unbedeutenden Einfluss die wunderbarsten klimatischen Veränderungen während der die ganze Eis-Zeit umschliessenden Pleistocän-Periode auf die spezifischen Formen der Meeres-Bewohner ausgeübt haben!

Nach der Theorie der gemeinsamen Abstammung ist die volle Bedeutung der Thatsache klar, dass fossile Reste aus unmittelbar aufeinander-folgenden Formationen, wenn auch als Arten verschieden, nahe mit einander verwandt sind. Da die Ablagerung jeder Formation oft unterbrochen worden ist und lange Pausen zwischen der Absetzung verschiedener Formationen stattgefunden haben, so dürfen wir, wie ich im letzten Kapitel zu zeigen versucht, nicht erwarten in irgend einer oder zwei Formationen alle[S. 366] Zwischenvarietäten zwischen den Arten zu finden, welche am Anfang und am Ende dieser Formationen gelebt haben; wohl aber müssten wir nach mehr oder weniger grossen Zwischenräumen (sehr lang in Jahren ausgedrückt, aber mässig lang in geologischem Sinne) nahe verwandte Formen oder, wie manche Schriftsteller sie genannt haben, „stellvertretende Arten“ finden, und diese finden wir in der That. Kurz wir entdecken diejenigen Beweise einer langsamen und fast unmerkbaren Umänderung spezifischer Formen, wie wir sie zu erwarten berechtigt sind.

Über die Entwickelungs-Stufe alter gegenüber den noch lebenden Formen.) Wir haben im vierten Kapitel gesehen, dass der Grad der Differenzirung und Spezialisirung der Theile und organischen Wesen in ihrem reifen Alter den besten bis jetzt versuchten Maasstab zur Bemessung der Vollkommenheits- oder Höhen-Stufe derselben abgibt. Wir haben auch gesehen, dass, insoferne Spezialisirung der Theile und Organe ein Vortheil für jedes Wesen ist, die Natürliche Züchtung beständig streben wird, die Organisation eines jeden Wesens immer mehr zu spezialisiren und somit, in diesem Sinne genommen, vollkommener zu machen; was jedoch nicht ausschliesst, dass noch immer viele Geschöpfe, für einfachre Lebens-Bedingungen bestimmt, auch ihre Organisation einfach und unverbessert behalten. Es ist keine wesentliche Einwendung gegen meine Ansichten (obwohl wir zu wenig von den Lebens-Beziehungen kennen um irgend eine genaue Erklärung zu bieten), wenn gewisse Brachiopoden seit der frühesten geologischen Periode fast unverändert geblieben sind und wenn Süsswasser-Mollusken, wie Professor PHILIPPS hervorgehoben hat, bis zum heutigen Tage fast keine Umänderung erfahren haben; jedoch sind diese letzten einer lebhaftern Mitbewerbung ausgesetzt gewesen, als die Bewohner des weiten Meeres. Auch in einem anderen und allgemeineren Sinne ergibt sich, dass nach der Theorie der Natürlichen Züchtung die neueren Formen höher als ihre Vorfahren streben; denn jede neue Art hat sich allmählich entwickelt, weil sie im Kampfe ums Daseyn stets einen Vorzug vor andern und älteren Formen besass. Wenn in einem nahezu ähnlichen Klima[S. 367] die eocänen Bewohner einer Weltgegend zur Bewerbung mit den jetzigen Bewohnern derselben oder einer andern Weltgegend berufen würden, so müsste die eocäne Fauna oder Flora gewiss unterliegen und vertilgt werden, wie eine sekundäre Fauna von der eocänen und eine paläolitische von der sekundären überwunden werden würde. — Der Theorie der Natürlichen Züchtung gemäss müssten demnach die neuen Formen ihre höhere Stellung den alten gegenüber nicht nur durch ihren Sieg im Kampfe ums Daseyn, sondern auch durch eine weiter gediehene Spezialisirung der Organe bewähren. Ist Diess aber wirklich der Fall? Eine grosse Mehrzahl der Geologen würde Diess zweifelsohne bejahen. Aber mein unvollkommenes Urtheil vermag ihnen, nachdem ich die Erörterungen von LYELL in dieser Beziehung gelesen und HOOKER’S Meinung in Bezug auf die Pflanzen kennen gelernt habe, nur bis zu einem beschränkten Grade beizupflichten. Demungeachtet dürfte der entscheidende Beweis erst noch durch spätre geologische Forschungen zu liefern seyn. BRONN hat diesen Gegenstand vollständiger und angemessener als irgend ein anderer Autor behandelt[36].

Die Aufgabe ist in vieler Hinsicht ausserordentlich verwickelt. Der geologische Schöpfungs-Bericht, schon zu allen Zeiten unvollständig, reicht nach meiner Meinung nicht weit genug zurück, um mit unverkennbarer Klarheit zu zeigen, dass innerhalb der bekannten Geschichte der Erde die Organisation grosse Fortschritte gemacht hat. Sind doch selbst heutzutage noch die Naturforscher oft nicht einstimmig, welche Thiere einer Klasse die höheren sind. So sehen Einige die Haie wegen einiger wichtigen Beziehungen ihrer Organisation zu der der Reptilien als die höchsten Fische an, während andre die Knochenfische als solche betrachten. Die Ganoiden stehen in der Mitte zwischen den Haien und Knochenfischen. Heutzutage sind diese letzten an Zahl weit vorwaltend, während es vordem nur Haie und Ganoiden gegeben hat und in diesem Falle wird man sagen, die Fische[S. 368] seyen in ihrer Organisation vorwärts geschritten oder zurückgegangen, je nachdem man sie mit einem andern Maasstabe misst[37]. Aber es ist ein hoffnungsloser Versuch die Höhe von Gliedern ganz verschiedener Typen gegen einander abzumessen. Wer vermöchte zu sagen, ob ein Tintenfisch (Sepia) höher als die Biene stehe: als dieses Insekt, von dem der grosse Naturforscher V. BAER sagt, dass es in der That höher als ein Fisch organisirt seye, wenn auch nach einem andern Typus. In dem verwickelten Kampfe ums Daseyn ist es ganz glaublich, dass solche Kruster z. B., welche in ihrer eignen Klasse nicht sehr hoch stehen, die Cephalopoden oder unvollkommensten Weichthiere überwinden würden; und diese Kruster, obwohl nicht hoch entwickelt, müssen doch sehr hoch auf der Stufenleiter der Wirbel-losen Thiere stehen, wenn man nach dem entscheidendsten aller Kriterien, dem Gesetze des Wettkampfes ums Daseyn urtheilt.

Abgesehen von der Schwierigkeit, die es an und für sich hat zu entscheiden, welche Formen der Organisation nach die höchsten sind, haben wir nicht allein die höchsten Glieder einer Klasse in zwei verschiedenen Perioden (obwohl Diess gewiss eines der wichtigsten oder vielleicht das wichtigste Element bei der Abwägung ist), sondern wir haben alle Glieder, hoch und nieder, mit einander zu vergleichen. In alter Zeit wimmelte es von vollkommensten sowohl als unvollkommensten Weichthieren, von Cephalopoden und Brachiopoden nämlich; während heutzutage diese beiden Ordnungen sehr zurückgegangen und die zwischen ihnen in der Mitte stehenden Klassen mächtig angewachsen[S. 369] sind. Demgemäss haben einige Naturforscher geschlossen, dass die Mollusken vordem höher entwickelt gewesen sind als jetzt; während andre sich auf die gegenwärtige beträchtliche Verminderung der unvollkommenen Mollusken um so mehr beriefen, als auch die noch vorhandenen Cephalopoden, obgleich weniger an Zahl, doch höher als ihre alten Stellvertreter organisirt seyen. Wir müssen daher die Proportional-Zahlen der obren und der unteren Klassen der Bevölkerung der Erde in zwei verschiedenen Perioden mit einander vergleichen. Wenn es z. B. jetzt 50,000 Arten Wirbelthiere gäbe und wir dürften deren Anzahl in irgend einer früheren Periode nur auf 10,000 schätzen, so müssten wir diese Zunahme der obersten Klassen, welche zugleich eine grosse Verdrängung tieferer Formen aus ihrer Stelle bedingte, als einen entschiedenen Fortschritt in der organischen Bildung betrachten, gleichviel ob es die höheren oder die tieferen Wirbelthiere wären, welche dabei sehr zugenommen hätten.[38] Man ersieht hieraus, wie gering allem Anscheine nach die Hoffnung ist, unter so äusserst verwickelten Beziehungen jemals in vollkommen richtiger Weise die relative Organisations-Stufe unvollkommen bekannter Faunen nach-einander folgender Perioden in der Erd-Geschichte zu beurtheilen.

Von einem andern wichtigen Gesichtspunkte aus werden wir diese Schwierigkeit um so richtiger würdigen, wenn wir gewisse jetzt vorhandene Faunen und Floren ins Auge fassen. Nach der aussergewöhnlichen Art zu schliessen, wie sich in neuerer Zeit aus Europa eingeführte Erzeugnisse über Neuseeland verbreitet und Plätze eingenommen haben, welche doch schon vorher besetzt gewesen, würde sich wohl, wenn man alle Pflanzen und Thiere Grossbritanniens dort frei aussetzte, eine Menge Britischer Formen mit der Zeit vollständig daselbst naturalisiren und viele der eingebornen vertilgen. Dagegen dürfte Das, was wir jetzt in Neuseeland sich zutragen sehen, und die Thatsache, dass[S. 370] noch kaum ein Bewohner der südlichen Hemisphäre in irgend einem Theile Europa’s verwildert ist, uns zu zweifeln veranlassen, ob, wenn alle Natur-Erzeugnisse Neuseelands in Grossbritannien frei ausgesetzt würden, eine etwas grössere Anzahl derselben vermögend wäre, sich jetzt von eingeborenen Pflanzen und Thieren schon besetzte Stellen zu erobern. Von diesem Gesichtspunkte aus kann man sagen, dass die Produkte Grossbritanniens höher als die Neuseeländischen stehen. Und doch hätte der tüchtigste Naturforscher nach der sorgfältigsten Untersuchung der Arten beider Gegenden dieses Resultat nicht voraussehen können.

AGASSIZ hebt hervor, dass die alten Thiere in gewissen Beziehungen den Embryonen neuer Thiere derselben Klasse gleichen, oder dass die geologische Aufeinanderfolge erloschener Formen gewissermaassen der embryonischen Entwickelung neuer Formen parallel läuft. Ich muss jedoch PICTET’S und HUXLEY’S Meinung beipflichten, dass diese Lehre von Ferne nicht erwiesen ist. Doch bin ich ganz der Erwartung sie sich später wenigstens hinsichtlich solcher untergeordneter Gruppen bestätigen zu sehen, die sich erst in neuerer Zeit von einander abgezweigt haben. Denn diese Lehre von AGASSIZ stimmt wohl mit der Theorie der Natürlichen Züchtung überein. In einem spätern Kapitel werde ich zu zeigen versuchen, dass die Alten von ihren Embryonen in Folge von Abänderungen abweichen, welche nicht in der frühesten Jugend erfolgen und auch erst auf ein entsprechendes späteres Alter vererbt werden. Während dieser Prozess den Embryo fast unverändert lässt, häuft er im Laufe aufeinander-folgender Generationen immer mehr Verschiedenheit im Alten zusammen.

So erscheint der Embryo gleichsam wie ein von der Natur aufbewahrtes Portrait des frühern und noch nicht sehr modifizirten Zustandes eines jeden Thieres. Diese Ansicht mag wahr seyn, ist jedoch nie eines vollkommenen Beweises fähig. Denn fänden wir auch, dass z. B. die ältesten bekannten Formen der Säugthiere, der Reptilien und der Fische zwar genau diesen Klassen entsprächen, aber doch einander etwas näher stünden als die jetzigen typischen Vertreter dieser Klassen, so würden wir uns[S. 371] doch so lange vergebens nach Thieren umsehen, welche noch den gemeinsamen Embryo-Charakter der Vertebraten an sich trügen, als wir nicht Fossilien-führende Schichten noch tief unter den silurischen entdeckten, wozu in der That sehr wenig Aussicht vorhanden ist.

Aufeinanderfolge derselben Typen innerhalb gleicher Gebiete während der späteren Tertiär-Perioden.) CLIFT hat vor vielen Jahren gezeigt, dass die fossilen Säugthiere aus den Knochen-Höhlen Neuhollands sehr nahe mit den noch jetzt dort lebenden Beutelthieren verwandt gewesen sind. In Süd-Amerika hat sich eine ähnliche Beziehung selbst für das ungeübte Auge ergeben in den Armadill-ähnlichen Panzer-Stücken von riesiger Grösse, welche in verschiedenen Theilen von la Plata gefunden worden sind; und Professor OWEN hat aufs Triftigste bewiesen, dass die meisten der dort so zahlreich fossil gefundenen Thiere Südamerikanischen Typen angehören. Diese Beziehung ist noch deutlicher in den wundervollen Sammlungen fossiler Knochen zu erkennen, welche LUND und CLAUSEN aus den Brasilischen Höhlen mitgebracht haben. Diese Thatsachen machten einen solchen Eindruck auf mich, dass ich in den Jahren 1839 und 1845 dieses „Gesetz der Succession gleicher Typen“, diese „wunderbare Beziehung zwischen dem Todten und Lebenden in einerlei Kontinent“ sehr nachdrücklich hervorhob. Professor OWEN hat später dieselbe Verallgemeinerung auch auf die Säugthiere der alten Welt ausgedehnt. Wir finden dasselbe Gesetz wieder in den von ihm restaurirten Riesenvögeln Neuseelands. Wir sehen es auch in den Vögeln der Brasilischen Höhlen. WOODWARD hat gezeigt, dass dasselbe Gesetz auch auf die See-Konchylien anwendbar ist, obwohl er es der weiten Verbreitung der meisten Mollusken-Sippen wegen nicht gut entwickelt hat. Es liessen sich noch andre Beispiele anführen, wie die Beziehungen zwischen den erloschenen und lebenden Land-Schnecken auf Madeira und zwischen den alten und jetzigen Brackwasser-Konchylien des Aral-Kaspischen Meeres.

Doch, was bedeutet dieses merkwürdige Gesetz der Aufeinanderfolge gleicher Typen in gleichen Länder-Gebieten? Vergleicht[S. 372] man das jetzige Klima Neuhollands und der unter gleicher Breite damit gelegenen Theile Süd-Amerika’s mit einander, so würde es als ein thörichtes Unternehmen erscheinen, einerseits aus der Unähnlichkeit der natürlichen Bedingungen die Unähnlichkeit der Bewohner dieser zwei Kontinente und anderseits aus der Ähnlichkeit der Verhältnisse das Gleichbleiben der Typen in jedem derselben während der späteren Tertiär-Perioden erklären zu wollen. Auch lässt sich nicht behaupten, dass einem unveränderlichen Gesetze zufolge Beutelthiere hauptsächlich oder allein nur in Neuholland, oder Edentaten u. a. der jetzigen Amerikanischen Typen nur in Amerika hervorgebracht werden können. Denn es ist bekannt, dass Europa in alten Zeiten von zahlreichen Beutelthieren bevölkert war, und ich habe in den oben angeführten Schriften gezeigt, dass in Amerika das Verbreitungs-Gesetz für die Land-Säugthiere früher ein andres gewesen, als es jetzt ist. Nord-Amerika betheiligte sich früher sehr an dem jetzigen Charakter der südlichen Hälfte des Kontinentes, und die südliche Hälfte war früher mehr als jetzt mit der nördlichen verwandt. Durch FALCONER und CAUTLEY’S Entdeckungen wissen wir, dass Nord-Indien hinsichtlich seiner Säugthiere früher in näherer Beziehung als jetzt mit Afrika stund. Analoge Thatsachen liessen sich auch von der Verbreitung der See-Thiere mittheilen.

Nach der Theorie gemeinsamer Abstammung mit fortschreitender Abänderung erklärt sich das grosse Gesetz langwährender aber nicht unveränderlicher Aufeinanderfolge gleicher Typen auf einem und demselben Felde unmittelbar. Denn die Bewohner eines jeden Theiles der Welt werden offenbar streben in diesem Theile während der nächsten Zeitperiode nahe verwandte, doch etwas abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen. Sind die Bewohner eines Kontinents früher von denen eines andern Festlandes sehr verschieden gewesen, so werden ihre abgeänderten Nachkommen auch jetzt noch in fast gleicher Art und Stufe von einander abweichen. Aber nach sehr langen Zeiträumen und sehr grosse Wechselwanderungen gestattenden geographischen Veränderungen werden die schwächeren den herrschenden Formen[S. 373] weichen und so ist nichts unveränderlich in Verbreitungs-Gesetzen früherer und jetziger Zeit.

Vielleicht fragt man mich im Spott, ob ich glaube, dass das Megatherium und die andern ihm verwandten Ungethüme in Süd-Amerika das Faulthier, das Armadill und die Ameisenfresser als abgeänderte Nachkommen hinterlassen haben. Diess kann man keinen Augenblick zugeben. Jene grossen Thiere sind völlig erloschen, ohne eine Nachkommenschaft zu hinterlassen. Aber in den Höhlen Brasiliens sind viele ausgestorbene Arten, in Grösse u. a. Merkmalen nahe verwandt mit den noch jetzt in Süd-Amerika lebenden Spezies, und einige der fossilen mögen wirklich die Erzeuger noch jetzt dort lebender Arten seyn. Man darf nicht vergessen, dass nach meiner Theorie alle Arten einer Sippe von einer und der nämlichen Spezies abstammen, so dass wenn von sechs Sippen jede acht Arten in einerlei geologischer Formation enthält und in der nächst-folgenden Formation wieder sechs andre verwandte oder stellvertretende Sippen mit gleicher Arten-Zahl vorkommen, wir dann schliessen dürfen, dass nur eine Art von jeder der sechs älteren Sippen modifizirte Nachkommen hinterlassen habe, welche die sechs neueren Sippen bildeten. Die andren sieben Arten der alten Genera sind alle ausgestorben, ohne Erben zu hinterlassen. Doch möchte es wohl weit öfter vorkommen, dass zwei oder drei Arten von nur zwei oder drei der alten Sippen die Ältern der sechs neuen Genera gewesen und die andern alten Arten und sämmtliche übrigen alten Sippen gänzlich erloschen sind. In untergehenden Ordnungen mit abnehmender Sippen- und Arten-Zahl, wie es offenbar die Edentaten Süd-Amerika’s sind, werden weniger Genera und Spezies abgeänderte Nachkommen in gerader Linie hinterlassen.

Zusammenstellung des vorigen und jetzigen Kapitels.) Ich habe zu zeigen gesucht, dass die geologische Schöpfungs-Urkunde äusserst unvollkommen ist; dass erst nur ein kleiner Theil der Erd-Oberfläche sorgfältig untersucht worden ist; dass nur gewisse Klassen organischer Wesen zahlreich in fossilem Zustande erhalten sind; dass die Anzahl der in unsren[S. 374] Museen aufbewahrten Individuen und Arten gar nichts bedeutet im Vergleiche mit der unberechenbaren Zahl von Generationen, die nur während einer Formations-Zeit aufeinander-gefolgt seyn müssen; dass in der Regel ungeheure Zeiträume zwischen je zwei aufeinander-folgenden Formationen verflossen seyn müssen, weil Fossilien-reiche Bildungen mächtig genug, um künftiger Zerstörung zu widerstehen, sich gewöhnlich nur während Senkungs-Perioden ablagern können; dass mithin wahrscheinlich während der Senkungs-Zeiten mehr Aussterben und während der Hebungs-Zeiten mehr Abändern organischer Formen stattgefunden hat; dass der Schöpfungs-Bericht aus diesen letzten Perioden am unvollkommensten erhalten ist; dass jede einzelne Formation nicht in ununterbrochenem Zusammenhang abgelagert worden; dass die Dauer jeder Formation vielleicht kurz ist im Vergleich zur mitteln Dauer der Arten-Formen; dass Einwanderungen einen grossen Antheil am ersten Auftreten neuer Formen in der Formation einer Gegend gehabt haben; dass die am weitesten verbreiteten Arten auch am meisten variirt und am öftesten Veranlassung zur Entstehung neuer Arten gegeben haben; und dass Varietäten anfangs oft nur örtlich gewesen sind. Alle diese Ursachen zusammengenommen müssen die geologische Urkunde äusserst unvollständig machen und können es grossentheils erklären, warum wir zwar einzelne Mittelformen zwischen den Gliedern einer Organismen-Gruppe finden, aber nicht endlose Varietäten-Reihen die erloschenen und lebenden Formen in den feinsten Abstufungen miteinander verketten sehen.

Wer diese Ansichten von der Beschaffenheit des geologischen Berichtes verwerfen will, muss auch meine ganze Theorie verwerfen. Denn vergebens wird er dann fragen, wo die zahllosen Übergangs-Glieder geblieben, welche die nächst verwandten oder stellvertretenden Arten einst mit einander verkettet haben müssen, die man in den verschiedenen Stöcken einer grossen Formation übereinander findet. Er wird nicht an die unermesslichen Zwischenzeiten glauben, welche zwischen unseren aufeinander-folgenden Formationen verflossen sind; er wird übersehen, welchen wesentlichen Antheil die Wanderungen seit dem ersten[S. 375] Erscheinen der Organismen in den Formationen einer grossen Weltgegend wie Europa für sich allein betrachtet gehabt haben; er wird sich auf das anscheinend, aber oft nur anscheinend, plötzliche Auftreten ganzer Arten-Gruppen berufen. Wenn er fragen sollte, wo denn die Reste jener unendlich zahlreichen Organismen geblieben, welche lange vor der Bildung der ältesten Silur-Schichten abgelagert worden seyn müssen, so kann ich nur hypothetisch darauf antworten, dass, so viel noch zu sehen, unsre Ozeane sich schon seit unermesslichen Zeiträumen an ihren jetzigen Stellen befunden haben, und dass da, wo unsre Kontinente jetzt stehen, sie sicher seit der Silur-Zeit gestanden sind; dass aber die Erd-Oberfläche lange vor dieser Periode ein ganz andres Aussehen gehabt haben dürfte, und dass die alten Kontinente aus Formationen noch viel älter als die silurische bestehend sich bereits alle in metamorphischem Zustande befinden oder tief unter den Ozean versenkt liegen.

Doch sehen wir von diesen Schwierigkeiten ab, so scheinen mir alle andern grossen und leitenden Thatsachen in der Paläontologie einfach aus der Theorie der Abstammung von gemeinsamen Urältern mit fortschreitender Abänderung durch Natürliche Züchtung zu folgen. Es erklärt sich daraus, warum neue Arten nur langsam nacheinander auftreten; warum Arten verschiedener Klassen nicht nothwendig in gleichem Verhältnisse oder gleichem Grade miteinander wechseln, sondern alle nur im Verlauf langer Perioden Veränderungen unterliegen. Das Erlöschen alter Formen ist die unvermeidlichste Folge vom Entstehen neuer. Es erklärt sich warum eine Spezies, wenn einmal verschwunden, nie wieder erscheint. Arten-Gruppen (Sippen u. s. w.) wachsen nur langsam an Zahl und dauern ungleich lange Perioden aus; denn der Prozess der Abänderung ist nothwendig ein langsamer und von vielerlei verwickelten Zufällen abhängig. Die herrschenden Arten der grösseren herrschenden Gruppen streben viele abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen, und so werden wieder neue Untergruppen und Gruppen gebildet. Im Verhältnisse als diese entstehen, neigen sich die Arten minder kräftiger Gruppen in Folge ihrer gemeinsam ererbten Unvollkommenheit dem gemeinsamen[S. 376] Erlöschen zu, ohne irgendwo auf der Erd-Oberfläche eine abgeänderte Nachkommenschaft zu hinterlassen. Aber das gänzliche Erlöschen einer ganzen Arten-Gruppe mag oft ein sehr langsamer Prozess seyn, wenn einzelne Arten in geschützten oder abgeschlossenen Standorten kümmernd noch eine Zeit lang fortleben können. Ist eine Gruppe einmal untergegangen, so kann sie nie wieder erscheinen, weil ein Glied aus der Generationen-Reihe zerbrochen ist.

So ist es begreiflich, dass die Ausbreitung herrschender Lebenformen, welche eben am öftesten variiren, mit der Länge der Zeit die Erde mit nahe verwandten jedoch modifizirten Formen bevölkern, denen es sodann gewöhnlich gelingt die Plätze jener Arten-Gruppen einzunehmen, welche ihnen im Kampfe ums Daseyn unterliegen. Daher wird es denn nach langen Zwischenzeiten aussehen, als hätten die Bewohner der Erd-Oberfläche überall gleich-zeitig gewechselt.

So ist es ferner begreiflich, woher es kommt, dass die alten und neuen Lebenformen ein grosses System mit einander bilden, da sie durch Zeugung mit einander verbunden sind. Es ist aus der fortgesetzten Neigung zur Divergenz des Charakters begreiflich, warum die fossilen Formen um so mehr von den jetzt lebenden abweichen, je älter sie sind; warum alte und erloschene Formen oft Lücken zwischen lebenden auszufüllen geeignet sind und zuweilen zwei Gruppen mit einander vereinigen, welche zuvor getrennt aufgestellt worden, obwohl sie solche in der Regel nur etwas näher einander rücken. Je älter eine Form ist, um so öfter scheint sie Charaktere zu entwickeln, welche zwischen jetzt getrennten Gruppen mehr und weniger das Mittel halten; denn je älter eine Form ist, desto näher verwandt und mithin ähnlicher wird sie dem gemeinsamen Stamm-Vater solcher Gruppen seyn, welche seither weit auseinander gegangen sind. Erloschene Formen halten selten genau das Mittel zwischen lebenden, sondern stehen in deren Mitte nur in Folge einer weitläufigen Verkettung durch viele erloschene und abweichende Formen. Wir ersehen deutlich, warum die organischen Reste dicht aufeinanderfolgender Formationen einander ähnlicher als die weit von[S. 377] einander entfernter seyn müssen; denn jene Formen stehen in näherer Bluts-Verwandtschaft als diese mit einander. Wir vermögen endlich einzusehen, warum die organischen Reste mittler Formationen auch das Mittel in ihren Charakteren halten.

Die Erd-Bewohner einer jeden späteren Periode müssen die früheren im Kampfe um’s Daseyn besiegt haben und müssen in soferne auf einer höheren Vollkommenheits-Stufe als diese stehen und ihr Körper-Bau ist seitdem im Allgemeinen mehr spezialisirt worden, und es mag sich aus dem unbestimmten und missdeuteten Gefühl davon erklären, dass viele Paläontologen an einen Fortschritt der Organisation im Ganzen glauben. Sollte sich später ergeben, dass alte Thier-Formen in gewissem Grade den Embryonen neuer aus der nämlichen Klasse gleichen, so würde auch Diess zu begreifen seyn. Die Aufeinanderfolge gleicher Organisations-Typen auf gleichem Gebiete während der letzten geologischen Perioden hört auf geheimnissvoll zu seyn und ist eine einfache Folge der Vererbung.

Wenn daher die geologische Schöpfungs-Urkunde so unvollständig ist, als ich es glaube (und es lässt sich wenigstens behaupten, dass das Gegentheil nicht erweisbar), so werden sich die Haupteinwände gegen die Theorie der Natürlichen Züchtung in hohem Grade vermindern oder gänzlich verschwinden. Dagegen scheinen mir die Haupt-Gesetze der Paläontologie deutlich zu beweisen, dass die Arten durch gewöhnliche Zeugung entstanden sind. Frühere Lebenformen sind durch die noch fortwährend um uns her thätigen Variations-Gesetze entstandene und durch Natürliche Züchtung erhaltene vollkommenere Formen ersetzt worden.

[S. 378]

Eilftes Kapitel.
Geographische Verbreitung.

Die gegenwärtige Verbreitung der Organismen lässt sich nicht aus den natürlichen Lebens-Bedingungen erklären. — Wichtigkeit der Verbreitungs-Schranken. — Verwandtschaft der Erzeugnisse eines nämlichen Kontinentes. — Schöpfungs-Mittelpunkte. — Ursachen der Verbreitung sind Wechsel des Klimas, Schwankungen der Boden-Höhe und mitunter zufällige. — Die Zerstreuung während der Eis-Periode über die ganze Erd-Oberfläche erstreckt.

Bei Betrachtung der Verbreitungs-Weise der organischen Wesen über die Erd-Oberfläche besteht die erste wichtige Thatsache, welche uns in die Augen fällt, darin, dass weder die Ähnlichkeit noch die Unähnlichkeit der Bewohner verschiedener Gegenden aus klimatischen u. a. physikalischen Bedingungen erklärbar ist. Alle, welche diesen Gegenstand studirt haben, sind endlich zu dem nämlichen Ergebniss gelangt. Das Beispiel Amerika’s würde schon allein genügen, Diess zu beweisen. Denn alle Autoren stimmen darin überein, dass mit Ausschluss des nördlichen um den Pol her ziemlich zusammenhängenden Theiles, die Trennung der alten und der neuen Welt eine der ersten Grundlagen der geographischen Vertheilung der Organismen bilde. Wenn wir aber den weiten Amerikanischen Kontinent von den mitteln Theilen der Vereinten Staaten an bis zu seinem südlichsten Punkte durchwandern, so begegnen wir den aller-verschiedenartigsten Lebens-Bedingungen, den feuchtesten Strichen und den trockensten Wüsten, hohen Gebirgen und grasigen Ebenen, Wäldern und Marschen, Seen und Strömen mit fast jeder Temperatur. Es gibt kaum ein Klima oder eine Bedingung in der alten Welt wozu sich nicht eine Parallele in der neuen fände, so ähnlich wenigstens, als Diess zum Fortkommen der nämlichen Arten erforderlich wäre; denn es ist ein äusserst seltener Fall, irgend eine Organismen-Gruppe auf einen kleinen Fleck mit etwas eigenthümlichen Lebens-Bedingungen beschränkt zu finden. So z. B. gibt es in der alten Welt wohl einige Stellen, heisser als irgend welche in der neuen; und doch haben diese keine eigenthümliche[S. 379] Fauna oder Flora. Aber ungeachtet dieses Parallelismus in den Lebens-Bedingungen der alten und der neuen Welt wie weit sind ihre lebenden Bewohner verschieden!

Wenn wir in der südlichen Halbkugel grosse Landstriche in Australien, Süd-Afrika und West-Südamerika zwischen 25°–35° S. Br. miteinander vergleichen, so werden wir manche in allen ihren natürlichen Verhältnissen einander äusserst ähnliche Theile finden, und doch würde es nicht möglich seyn, drei einander unähnliche Faunen und Floren ausfindig zu machen. Oder wenn wir die Natur-Produkte Süd-Amerikas im Süden vom 35° Br. und im Norden vom 25° Br. mit einander vergleichen, die mithin ein sehr verschiedenes Klima bewohnen, so zeigen sich dieselben einander weit näher verwandt, als die in Australien und Afrika in fast einerlei Klima lebenden sind. Und analoge Thatsachen lassen sich auch in Bezug auf die Meeres-Thiere nachweisen.

Als zweite allgemeine Thatsache fällt uns auf, dass Schranken verschiedener Art oder Hindernisse freier Wanderung mit den Verschiedenheiten zwischen Bevölkerungen verschiedener Gegenden in engem und wesentlichem Zusammenhange stehen. So die grosse Verschiedenheit fast aller Land-Bewohner der alten und der neuen Welt mit Ausnahme der nördlichen Theile, wo sich beide nahezu berühren und vordem bei einem nur wenig abweichenden Klima die Wanderungen der Bewohner der nördlich-gemässigten Zone in ähnlicher Weise möglich gewesen seyn dürften, wie sie noch jetzt von Seiten der arktischen Bevölkerung stattfinden. Wir erkennen dieselbe Thatsache in der grossen Verschiedenheit zwischen den Bewohnern von Australien, Afrika und Süd-Amerika wieder; denn diese Gegenden sind fast so vollständig von einander geschieden, als es nur immer möglich ist. Auch auf jedem Festlande sehen wir die nämliche Erscheinung; denn auf den entgegengesetzten Seiten hoher und zusammenhängender Gebirgs-Ketten, grosser Wüsten und mitunter sogar nur grosser Ströme finden wir verschiedene Erzeugnisse. Da jedoch Gebirgs-Ketten, Wüsten u. s. w. nicht ganz unüberschreitbar sind oder noch nicht so lang als die zwischen den[S. 380] Festländern gelegenen Weltmeere bestehen, so sind diese Verschiedenheiten dem Grade nach viel kleiner als die in verschiedenen Kontinenten.

Wenden wir uns nach dem Meere, so finden wir das nämliche Gesetz. Keine andern zwei Meeres-Faunen sind so verschieden von einander als die an den östlichen und den westlichen Küsten Süd- und Mittel-Amerikas. Da ist fast kein Fisch, keine Schnecke, keine Krabbe gemeinsam. Und doch sind diese grosse Faunen nur durch die schmale Landenge von Panama von einander getrennt. Westwärts von den Amerikanischen Gestaden erstreckt sich ein weiter und offener Ozean mit nicht einer Insel zum Ruheplatz für Auswanderer; hier haben wir eine Schranke andrer Art, und sobald diese überschritten ist, treffen wir auf den östlichen Inseln des stillen Meeres auf eine neue und ganz verschiedene Fauna. Es erstrecken sich also drei Meeres-Faunen nicht weit von einander in parallelen Linien weit nach Norden und Süden in sich entsprechenden Klimaten. Da sie aber durch unübersteigliche Schranken von Land oder offnem Meer von einander getrennt sind, so bleiben sie völlig von einander verschieden. Gehen wir aber von den östlichen Inseln im tropischen Theile des stillen Meeres noch weiter nach Westen, so finden wir keine unüberschreitbaren Schranken mehr; unzählige Inseln oder zusammenhängende Küsten bieten sich als Ruheplätze dar, bis wir nach Umwanderung einer Hemisphäre zu den Küsten Afrikas gelangen; aber in diese weiten Flächen theilen sich keine wohl-charakterisirten verschiedenen Meeres-Faunen mehr. Obwohl kaum eine Schnecke, eine Krabbe oder ein Fisch jenen drei Faunen an der Ost- und West-Küste Amerikas und im östlichen Theile des stillen Ozeans gemeinsam ist, so reichen doch viele Fisch-Arten vom stillen bis zum Indischen Ozean und sind viele Weichthiere den östlichen Inseln der Südsee und den östlichen Küsten Afrikas unter sich fast genau entgegenstehenden Meridianen gemein.

Eine dritte grosse Thatsache, schon zum Theil in den vorigen mitbegriffen, ist die Verwandtschaft zwischen den Erzeugnissen eines nämlichen Festlandes oder Weltmeeres, obwohl die[S. 381] Arten verschiedener Theile und Standorte desselben verschieden sind. Es ist Diess ein Gesetz von der grössten Allgemeinheit, und jeder Kontinent bietet unzählige Belege dafür. Demungeachtet fühlt sich der Naturforscher auf seinem Wege von Norden nach Süden unfehlbar betroffen von der Art und Weise wie Gruppen von Organismen der Reihe nach einander ersetzen, die in den Arten verschieden aber offenbar verwandt sind. Er hört von nahe verwandten aber doch verschiedenen Vögeln ähnliche Gesänge, sieht ihre ähnlich gebauten Nester mit ähnlich gefärbten Eiern. Die Ebenen der Magellans-Strasse sind von einem Nandu (Rhea Americana) bewohnt, und im Norden der Laplata-Ebene wohnt eine andre Art derselben Sippe, doch kein ächter Strauss (Struthio) oder Emu (Dromaius), welche in Afrika und beziehungsweise in Neuholland unter gleichen Breiten vorkommen. In denselben Laplata-Ebenen finden wir das Aguti (Dasyprocta) und die Hasenmaus (Lagostomus), zwei Nagethiere von der Lebensweise unsrer Hasen und Kaninchen und mit ihnen in gleiche Ordnung gehörig, aber einen rein Amerikanischen Organisations-Typus bildend. Steigen wir zu dem Hoch-Gebirge der Cordilleren hinan, so treffen wir die Berg-Hasenmaus (Lagidium); sehen wir uns am Wasser um, so finden wir zwei andre Süd-Amerikanische Typen, den Coypu (Myopotamus) und Capybara (Hydrochoerus) statt des Bibers und der Bisamratte. So liessen sich zahllose andre Beispiele anführen. Wie sehr auch die Inseln an den Amerikanischen Küsten in ihrem geologischen Bau abweichen mögen, ihre Bewohner sind wesentlich Amerikanisch, wenn auch von eigenthümlichen Arten. Schauen wir zurück nach nächstfrüheren Zeit-Perioden, wie sie im letzten Kapitel erörtert worden, so finden wir auch da noch Amerikanische Typen vorherrschend auf dem Amerikanischen Festlande wie in Amerikanischen Meeren. Wir erkennen in diesen Thatsachen ein tief-liegendes organisches Band, in Zeit und Raum vorherrschend über gegebene Land- und Wasser-Flächen, unabhängig von ihrer natürlichen Beschaffenheit. Der Naturforscher müsste nicht sehr wissbegierig seyn, der sich nicht versucht fühlte, näher nach diesem Bande zu forschen.

Diess Band besteht nach meiner Theorie lediglich in der[S. 382] Vererbung, derjenigen Ursache, welche allein, soweit wir Sicheres wissen, gleiche oder ähnliche Organismen, wie die Varietäten sind, hervorbringt. Die Unähnlichkeit der Bewohner verschiedener Gegenden wird der Umgestaltung durch Natürliche Züchtung und in einem ganz untergeordneten Grade, dem unmittelbaren Einflusse äussrer Lebensbedingungen zuzuschreiben seyn. Der Grad der Unähnlichkeit hängt davon ab, ob die Wanderung der herrschenderen Lebenformen aus der einen Gegend in die andre rascher oder langsamer in spätrer oder früherer Zeit vor sich gegangen; er hängt von der Natur und Zahl der früheren Einwanderer, von deren Wirkung und Rückwirkung im gegenseitigen Kampfe ums Daseyn ab, indem, wie ich schon oft bemerkt habe, die Beziehung von Organismus zu Organismus die wichtigste aller Beziehungen ist. Bei den Wanderungen kommen die oben erwähnten Schranken wesentlich in Betracht, wie die Zeit bei dem langsamen Prozess der Natürlichen Züchtung. Weit-verbreitete und an Individuen reiche Arten, welche schon über viele Mitbewerber in ihrer eignen ausgedehnten Heimath gesiegt, werden beim Vordringen in neuen Gegenden die beste Aussicht haben neue Plätze zu gewinnen. Unter den neuen Lebens-Bedingungen ihrer späteren Heimath werden sie häufig neue Abänderungen und Verbesserungen erfahren; sie werden den andern noch überlegener werden und Gruppen abändernder Nachkommen erzeugen. Aus diesem Prinzip fortschreitender Vererbung mit Abänderung ergibt sich, wie es zugeht, dass Untersippen, Sippen und selbst ganze Familien, wie es so gewohnter und anerkannter Maassen der Fall, auf gewisse Flächen beschränkt erscheinen.

Wie schon im letzten Kapitel bemerkt worden, so glaube ich an kein Gesetz nothwendiger Vervollkommnung; so wie die Veränderlichkeit der Arten eine unabhängige Eigenschaft ist und von der Natürlichen Züchtung nur so weit ausgebeutet wird, als es den Individuen in ihrem vielseitigen Kampfe ums Daseyn zum Vortheile gereicht, so besteht auch für die Modifikation der verschiedenen Spezies kein gleiches Maass. Wenn z. B. eine Anzahl von Arten, die miteinander in unmittelbarer Mitbewerbung stehen, in Masse nach einer neuen und nachher isolirten Gegend[S. 383] auswandern, so werden sie wenig Modifikation erfahren, indem weder die Wanderung noch die Isolirung an sich etwas dabei thun. Jene Prinzipien kommen hauptsächlich nur in Betracht, wenn man Organismen in neue Beziehungen unter einander, weniger wenn man sie in Berührung mit neuen Lebens-Bedingungen bringt. Wie wir im letzten Kapitel gesehen, dass einige Formen ihren Charakter seit ungeheuer weit zurückgelegenen geologischen Perioden fast unverändert behauptet haben, so sind auch manche Arten über weite Räume gewandert, ohne grosse Veränderungen zu erleiden.

Nach diesen Ansichten liegt es auf der Hand, dass verschiedene Arten einer Sippe, wenn sie auch die entferntesten Theile der Welt bewohnen, doch ursprünglich aus gleicher Quelle entsprungen, vom nämlichen Stammvater entstanden seyn müssen. Was diese Arten betrifft, welche im Verlaufe ganzer geologischer Perioden sich nur wenig verändert haben, so hat es keine Schwierigkeit anzunehmen, dass sie aus einerlei Gegend hergewandert sind; denn während der grossen geographischen und klimatischen Veränderungen, welche seit allen Zeiten vor sich gegangen, sind Wanderungen auf jede Entfernung möglich gewesen. In vielen andern Fällen aber, wo wir Grund haben zu glauben, dass die Arten einer Sippe erst in vergleichungsweise neuer Zeit entstanden sind, ist die Schwierigkeit weit grösser. Eben so ist es einleuchtend, dass Individuen einer Art, wenn sie jetzt auch weit auseinander und abgesondert gelegene Gegenden bewohnen, von einer Stelle ausgegangen seyn müssen, wo ihre Ältern zuerst erstanden sind; denn, so wie es im letzten Abschnitte erläutert worden, ist es unglaublich, dass spezifisch gleiche Individuen von verschiedenen Stamm-Arten abstammen können.

So wären wir denn bei der neuerlich oft von Naturforschern erörterten Frage angelangt, ob Arten je an einer oder an mehren Stellen der Erd-Oberfläche erzeugt worden seyen. Zweifelsohne mag es da sehr viele Fälle geben, wo es äusserst schwer zu begreifen ist, wie die gleiche Art von einem Punkte aus nach den verschiedenen entfernten und abgesonderten Gegenden gewandert seyn solle, wo sie nun gefunden wird. Demungeachtet[S. 384] drängt sich die Vorstellung, dass jede Art nur von einem ursprünglichen Geburtsorte ausgegangen seyn müsse, durch ihre Einfachheit dem Geiste auf. Und wer sie verwirft, verwirft die vera causa, die gewöhnliche Zeugung mit nachfolgender Wanderung, um zu einem Wunder seine Zuflucht zu nehmen. Es wird allgemein zugestanden, dass die von einer Art bewohnte Gegend in der Regel zusammenhängend ist; und wenn eine Pflanzen- oder Thier-Art zwei von einander so weit entfernte oder durch solche Schranken getrennte Punkte bewohnt, dass sie nicht leicht von einem zum andern gewandert seyn kann, so betrachtet man Diess als etwas Merkwürdiges und Ausnahmsweises. Die Fähigkeit über Meer zu wandern, ist bei Land-Säugethieren vielleicht mehr als bei irgend einem andern organischen Wesen beschränkt; und wir finden damit übereinstimmend auch keinen unerklärbaren Fall, wo dieselbe Säugethier-Art sehr entfernte Punkte der Erde bewohnte. Kein Geologe findet eine Schwierigkeit darin anzunehmen, dass Grossbritannien ehedem mit dem Europäischen Kontinente zusammengehangen sey und mithin die nämlichen Säugethiere besessen habe. Wenn aber dieselbe Art an zwei entfernten Punkten der Welt erzeugt werden kann, warum finden wir nicht eine einzige Europa und Australien oder Süd-Amerika gemeinsam angehörige Säugethier-Art? Die Lebens-Bedingungen sind nahezu die nämlichen, so dass eine Menge Europäischer Pflanzen und Thiere in Amerika und Australien naturalisirt worden sind, und sogar einige der ureinheimischen Pflanzen-Arten sind genau dieselben an diesen zwei so entfernten Punkten der nördlichen und der südlichen Hemisphäre! Die Antwort liegt, wie ich glaube, darin, dass Säugethiere nicht fähig sind die Wanderung zu machen, während einige Pflanzen mit ihren manchfaltigen Verbreitungs-Mitteln diesen weiten und unterbrochenen Zwischenraum zu überschreiten vermochten. Der mächtige Einfluss, welchen geographische Schranken aller Art auf die Verbreitungs-Weise geübt, wird nur unter der Voraussetzung begreiflich, dass weitaus der grösste Theil der Spezies nur auf einer Seite derselben erzeugt worden ist und Mittel zur Wanderung nach der andern Seite nicht besessen hat. Einige wenige Familien, viele[S. 385] Unterfamilien, sehr viele Sippen und eine noch grössre Anzahl von Untersippen sind nur auf je eine einzelne Gegend beschränkt, und mehre Naturforscher haben die Bemerkung gemacht, dass die meisten natürlichen Sippen, diejenigen nämlich, deren Arten alle am nächsten mit einander verwandt sind, nur örtlich oder wenigstens auf eine zusammenhängende Gegend angewiesen zu seyn pflegen. Was für eine wunderliche Anomalie würde es nun seyn, wenn eine Stufe tiefer unten in der Reihe die Individuen einer Art sich geradezu entgegengesetzt verhielten und die Arten nicht örtlich, sondern in zwei oder mehr ganz verschiedenen Gegenden erzeugt worden wären!

Daher scheint mir, wie so vielen andern Naturforschern, die Ansicht die wahrscheinlichere zu seyn, dass jede Art nur in einer einzigen Gegend entstanden, aber nachher von da aus so weit gewandert seye, als Mittel und Subsistenz unter früheren und gegenwärtigen Bedingungen gestatteten. Es kommen unzweifelhaft auch jetzt noch viele Fälle vor, wo sich nicht erklären lässt, auf welche Weise diese oder jene Art von einer Stelle zur andern gelangt ist. Aber geographische und klimatische Veränderungen, welche sich in den neuen geologischen Zeiten zuverlässig ereignet, müssen den früher bestandnen Zusammenhang der Verbreitungs-Flächen vieler Arten unterbrochen haben. So gelangen wir zur Erwägung, ob diese Ausnahmen von der Ununterbrochenheit der Verbreitungs-Bezirke so zahlreich und so gewichtiger Natur sind, dass wir die durch die vorangehenden Betrachtungen wahrscheinlich gemachte Meinung, dass jede Art nur auf einem Felde entstanden und von da so weit als möglich gewandert seye, aufzugeben genöthigt werden? Es würde zum Verzweifeln langweilig seyn, alle Ausnahms-Fälle aufzuzählen und zu erörtern, wo eine und dieselbe Art jetzt an verschiedenen weit von einander entfernten Orten lebt; auch will ich keinen Augenblick behaupten, für viele dieser Fälle eine genügende Erklärung wirklich geben zu können. Doch möchte ich nach einigen vorläufigen Bemerkungen die wichtigsten Klassen solcher Thatsachen erörtern, wie insbesondere das Vorkommen von einerlei Art auf den Spitzen weit von einander gelegener Bergketten,[S. 386] oder im arktischen und antarktischen Kreise zugleich; dann, zweitens (im folgenden Kapitel) die weite Verbreitung der Süsswasser-Bewohner, und drittens, das Vorkommen von einerlei Landthier-Arten auf Festland und Inseln, welche durch Hunderte von Meilen offnen Meeres von einander getrennt sind. Wenn das Vorkommen von einer und der nämlichen Art an entfernten und vereinzelten Fundstätten der Erd-Oberfläche sich in vielen Fällen durch die Voraussetzung erklären lässt, dass diese Art von ihrer Geburts-Stätte aus dahin gewandert seye, dann scheint mir in Anbetracht unsrer gänzlichen Unbekanntschaft mit den früheren geographischen und klimatischen Veränderungen so wie mit manchen zufälligen Transport-Mitteln die Annahme, dass Diess die allgemeine Regel gewesen seye, bei Weitem die richtigste zu seyn.

Bei Erörterung dieses Gegenstandes werden wir Gelegenheit haben noch einen andern für uns gleich-wichtigen Punkt in Betracht zu ziehen, ob nämlich die mancherlei verschiedenen Arten einer Sippe, welche meiner Theorie zufolge einen gemeinsamen Stammvater hatten, von der Wohnstätte ihres Stammvaters ausgegangen seyn (und unterwegs sich etwa noch weiter angemessen entwickelt haben) können. Kann gezeigt werden, dass eine Gegend, deren meisten Bewohner enge verwandt oder aus gleichen Sippen mit den Arten einer zweiten Gegend sind, in früherer Zeit wahrscheinlich einmal Einwanderer aus dieser letzten erhalten hat, so wird Diess zur Bestätigung meiner Theorie beitragen; denn wir begreifen dann aus dem Modifikations-Prinzipe deutlich, warum die Bewohner der einen Gegend denen der andern verwandt sind, da sie aus ihr stammen. Eine vulkanische Insel z. B., welche einige Hundert Meilen von einem Kontinente entfernt emporstiege, würde wahrscheinlich im Laufe der Zeit einige Kolonisten erhalten, deren Nachkommen, wenn auch etwas abändernd, doch ihre Verwandtschaft mit den Bewohnern des Kontinents auf ihre Nachkommen vererben würden. Fälle dieser Art sind gewöhnlich und, wie wir nachher ersehen werden, nach der Theorie unabhängiger Schöpfung unerklärlich. Diese Ansicht über die Verwandtschaft der Arten einer Gegend zu denen einer[S. 387] andern ist (wenn wir nun das Wort Varietät statt Art anwenden) nicht sehr von der durch Hrn. WALLACE aufgestellten verschieden, wonach „jede Art entstanden ist in Zeit und Raum zusammentreffend mit einer früher vorhandenen nahe verwandten Art“. Ich weiss nun aus seiner Korrespondenz, dass er dieses „Zusammentreffen“ der Generation mit Abänderung zuschreibt und dafür eine lange geologische Zeit-Periode zugesteht.

Die vorangehenden Bemerkungen über ein- oder mehr-fältige Schöpfungs-Mittelpunkte führen nicht unmittelbar zu einer andern verwandten Frage, ob nämlich alle Individuen einer Art von einem einzigen Punkte oder einem Hermaphroditen abstammen, oder ob, wie einige Autoren annehmen, von vielen gleichzeitig entstandenen Individuen einer Art? Bei solchen Organismen, welche sich niemals kreutzen (wenn dergleichen überhaupt existiren), muss nach meiner Theorie die Art von einer Reihenfolge vervollkommneter Varietäten herrühren, die sich nie mit andern Individuen oder Varietäten gekreutzt, sondern einfach einander ersetzt haben, so dass auf jeder der aufeinanderfolgenden Umänderungs- und Verbesserungs-Stufen alle Individuen von einerlei Varietät auch von einerlei Stammvater herrühren müssen. In der Mehrzahl der Fälle jedoch und namentlich bei allen Organismen, welche sich zu jeder einzelnen Fortpflanzung paaren oder sich oft mit andern kreutzen, glaube ich, dass während des langsamen Modifikations-Prozesses die Individuen der Spezies bei der Kreutzung sich nahezu gleichförmig erhalten haben, so dass viele derselben sich gleichzeitig abänderten und der ganze Betrag der Abänderung auf jeder Stufe nicht von der Abstammung von einem gemeinsamen Stammvater herrührt. Um zu erläutern, was ich meine, will ich anführen, dass unsre Englischen Rasse-Pferde nur wenig von den Pferden jeder andern Züchtung abweichen, aber ihre Verschiedenheit und Vollkommenheit nicht davon haben, dass sie von einem einzigen Paare abstammen, sondern dieselbe der während vieler Generationen angewendeten Sorgfalt bei Auswahl und Erziehung vieler Individuen verdanken.

Ehe ich auf nähere Erörterung über diejenigen drei Klassen von Thatsachen eingehe, welche der Theorie von den „einzigen[S. 388] Schöpfungs-Mittelpunkten“ die meisten Schwierigkeiten darbieten, muss ich den Verbreitungs-Mitteln noch einige Worte widmen.

Verbreitungs-Mittel.) Sir CH. LYELL u. a. Autoren haben diesen Gegenstand sehr angemessen erörtert. Ich kann hier nur einen kurzen Auszug von den wichtigsten Thatsachen liefern. Klima-Wechsel mag auf Wanderung der Organismen vom grössten Einflusse gewesen seyn. Eine Gegend mit änderndem Klima kann eine Hochstrasse der Auswanderung gewesen und jetzt ungangbar seyn; ich muss daher diesen Gegenstand zunächst mit einigem Detail behandeln. Höhen-Wechsel des Landes kommt dabei wesentlich in Betracht. Eine schmale Landenge trennt jetzt zwei Meeres-Faunen; taucht sie unter oder ist sie früher untergetaucht, so werden beide Faunen zusammenfliessen oder vordem untergeflossen seyn. Wo dagegen sich jetzt die See ausbreitet, da mag vormals trocknes Land, Inseln oder selbst Kontinente miteinander verbunden und so Landbewohner in den Stand gesetzt haben von einer Seite zur andern zu wandern. Kein Geologe bestreitet, dass grosse Veränderungen der Boden-Höhen während der Periode der jetzt lebenden Organismen-Arten stattgefunden haben, und EDW. FORBES behauptet, alle Inseln des Atlantischen Meeres müssten noch unlängst mit Afrika oder Europa, wie gleicherweise Europa mit Amerika zusammengehangen haben. Andre Schriftsteller haben hypothetisch der Reihe nach jeden Ozean überbrückt und fast jede Insel mit dem nächsten Festlande verbunden. Und wenn sich die Argumente von FORBES bestätigen liessen, so müsste man gestehen, dass es kaum irgend eine Insel gebe, welche nicht noch neuerlich mit einem Kontinente zusammenhing. Diese Ansicht zerhaut den gordischen Knoten der Verbreitung einer Art bis zu den entlegensten Punkten und beseitigt eine Menge von Schwierigkeiten. Aber nach meiner besten Ueberzeugung sind wir nicht berechtigt, so ungeheure Veränderungen innerhalb der Periode der noch jetzt lebenden Arten anzunehmen. Es scheint mir, dass wir genug Beweise von grossen Schwankungen des Bodens in unsrem Kontinente besitzen, doch nicht von Bewegungen so ausgedehnt und in solcher Richtung, dass sich mittelst derselben[S. 389] eine Verbindung Europas mit Amerika und den dazwischen gelegenen Atlantischen Inseln noch in der jetzigen Erd-Periode ergäbe. Dagegen gestehe ich gerne die vormalige Existenz mancher jetzt im Meere begrabener Inseln zu, welche vielen Pflanzen- und Thier-Arten bei ihren Wanderungen als Ruhepunkte dienen konnten. In den Korallen-Meeren erkennt man, nach meiner Meinung, solche versunkene Inseln noch jetzt mittelst der auf ihnen stehenden Korallen-Ringe oder Atolls. Wenn es einmal vollständig eingeräumt seyn wird, wie es eines Tages vermuthlich noch geschehen wird, dass jede Art nur eine Geburts-Stätte gehabt, und wenn wir im Laufe der Zeit etwas Bestimmteres über die Verbreitungs-Mittel erkennen, so werden wir im Stande seyn die frühere Ausdehnung des Landes mit einiger Sicherheit zu berechnen. Dagegen glaube ich nicht, dass es je zu beweisen seyn wird, dass jetzt vollständig getrennte Kontinente noch in neuerer Zeit wirklich oder nahezu miteinander und mit den vielen noch vorhandenen ozeanischen Inseln zusammenhingen. Manche Thatsachen in der Vertheilung, wie die grosse Verschiedenheit der Meeres-Faunen an den entgegengesetzten Seiten fast jedes grossen Kontinentes und ein gewisser Grad von Beziehungen (wovon nachher die Rede seyn wird) zwischen der Verbreitung der Säugthiere und der Tiefe des Meeres; diese und noch manche andere scheinen mir sich der Annahme solcher ungeheuren geographischen Umwälzungen in der neuesten Periode zu widersetzen, wie sie durch die von E. FORBES aufgestellten und von vielen Nachfolgern angenommenen Ansichten nöthig werden. Die Natur und Zahlen-Verhältnisse der Bewohner ozeanischer Inseln scheinen mir gleicherweise die Annahme eines früheren Zusammenhangs mit den Festländern zu widerstreben. Eben so wenig ist ihre meist vulkanische Zusammensetzung der Annahme günstig, dass sie blosse Trümmer versunkener Kontinente seyen; denn wären es ursprüngliche Spitzen von Bergketten des Festlandes gewesen, so würden doch wenigstens einige derselben gleich andern Gebirgs-Höhen aus Graniten, metamorphischen Schiefern, alten organische Reste führenden Schichten u. dgl. statt immer nur aus Kegeln vulkanischer Massen bestehen.

[S. 390]

Ich habe nun noch einige Worte von den sogenannten „zufälligen“ Verbreitungs-Mitteln zu sprechen, die man besser „gelegenheitliche“ nennen würde. Doch ich will mich hier auf die Pflanzen beschränken. In botanischen Werken findet man bemerkt, dass diese oder jene Pflanze für weite Aussaat nicht gut geeignet ist. Aber was den Transport derselben durch das Meer betrifft, so lässt sich behaupten, dass es bei den meisten derselben noch ganz unbekannt ist, wie es mit der Möglichkeit desselben steht. Bis zur Zeit, wo ich mit Hrn. BERKELEY’S Hilfe einige wenige Versuche darüber angestellt, war nicht einmal bekannt, in wie weit Saamen dem schädlichen Einflusse des Salz-Wassers zu widerstehen vermögen. Zu meiner Verwunderung fand ich, dass von 87 Arten 64 noch keimten, nachdem sie 28 Tage lang in See-Wasser gelegen; und einige wenige thaten es sogar nach 137 Tagen noch. Es ist beachtenswerth, dass gewisse Ordnungen viel stärker als andre vom Salz-Wasser angegriffen werden. So gingen von neun Leguminosen acht zu Grunde, und sieben Arten der unter einander verwandten Ordnungen der Hydrophyllaceae und Polemoniaceae waren nach einem Monate alle todt. Der Bequemlichkeit wegen wählte ich meistens nur kleine Saamen ohne Fruchthülle, und da alle schon nach wenigen Tagen untersanken, so können sie natürlich keine weiten Räume des Meeres durchschiffen, mögen sie nun ihre Keim-Kraft im Salzwasser bewahren oder nicht. Nachher wählte ich grössre Früchte mit Kapseln u. s. w., und von diesen blieben einige lange Zeit schwimmend. Es ist wohl bekannt, wie verschieden die Schwimm-Fähigkeit einer Holzart im grünen und im trocknen Zustande ist. Ich dachte mir daher, dass Fluthen wohl Pflanzen oder deren Zweige forttragen und dann ans Ufer werfen könnten, wo der Strom, wenn sie erst ausgetrocknet wären, sie aufs Neue ergreifen und dem Meere zuführen könnte; daher nahm ich von 94 Pflanzen-Arten trockne Stengel und Zweige mit reifen Früchten daran und legte sie ins Wasser. Die Mehrzahl versank sogleich; doch einige, welche grün nur sehr kurze Zeit an der Oberfläche geblieben, hielten sich nun länger. So sanken reife Haselnüsse unmittelbar unter, schwammen aber, wenn sie vorher[S. 391] ausgetrocknet worden, 90 Tage lang und keimten dann noch, wenn sie gepflanzt wurden. Eine Spargel-Pflanze mit reifen Beeren schwamm 23 Tage, nach vorherigem Austrocknen aber 85 Tage, und ihre Saamen keimten noch. Die reifen Früchte von Helosciadium sanken in zwei Tagen, schwammen aber nach vorgängigem Trocknen 90 Tage und keimten hierauf. Im Ganzen schwammen von den 94 getrockneten Pflanzen 18 Arten 28 Tage lang und einige davon sogar noch viel länger. Es keimten also 64⁄87 = 0,74 der Saamen-Arten nach einer Eintauchung von 28 Tagen und schwammen 18⁄94 = 0,19 der getrockneten Pflanzen-Arten mit reifen Saamen (doch z. Th. andre Arten als die vorigen) noch über 28 Tage; und würden daher, so viel man aus diesen Thatsachen schliessen darf, die Saamen von 0,14 der Pflanzen-Arten einer Gegend ohne Nachtheil für ihre Keim-Kraft 28 Tage lang von See-Strömungen fortgetragen werden können. In JOHNSTON’S physikalischem Atlas ist die mittle Geschwindigkeit der Atlantischen Ströme auf 33 See-Meilen im Tag (manche laufen 60 M. weit) angegeben; und somit könnten jene Saamen bei diesem Mittel 924 See-Meilen weit fortgeführt werden und, wenn sie dann strandeten, und vom Winde sofort auf eine passende Stelle weiter landeinwärts getrieben würden, noch keimen.

Nach mir stellte MARTINS[39] ähnliche Versuche, doch in bessrer Weise an, indem er Kistchen mit Saamen in’s wirkliche Meer versenkte, so dass sie abwechselnd feucht und wieder der Luft ausgesetzt wurden, wie wirklich schwimmende Pflanzen. Er versuchte es mit 98 Saamen-Arten, meistens verschieden von den meinigen, und darunter manche grosse Früchte und auch Saamen von solchen Pflanzen, welche in der Nähe des Meeres wachsen, was wohl dazu beitrug die mittle Länge der Zeit, während welcher sie sich schwimmend zu halten und der schädlichen Wirkung des Salz-Wassers zu widerstehen vermochten, etwas zu vermehren. Anderseits aber trocknete er nicht vorher die Früchte mit den Zweigen oder Stengeln, was einige derselben befähigt[S. 392] haben würde, länger zu schwimmen. Das Ergebniss war, dass 18⁄98 = 0,185 Saamen-Arten 42 Tage lang schwammen und dann noch keimten. Ich bezweifle jedoch nicht, dass Pflanzen, die mit den Wogen treiben, sich länger schwimmend erhalten als jene, welche so wie in unseren Versuchen gegen jede Bewegung geschützt sind. Daher wäre es vielleicht sicherer anzunehmen, dass die Saamen von etwa 0,10 Arten einer Flora nach dem Austrocknen noch eine 900 Meilen weite Strecke des Meeres durchschwimmen und dann keimen können. Die Thatsache, dass die grösseren Früchte länger als die kleinen schwimmen, ist interessant, weil grosse Saamen oder Früchte nicht wohl anders als schwimmend aus einer Gegend in die andre versetzt werden können; daher, wie ALPH. DECANDOLLE gezeigt hat, solche Pflanzen beschränkte Verbreitungs-Bezirke besitzen.

Doch können Saamen gelegenheitlich auch auf andre Weise fortgeführt werden. So gelangt Treibholz zu den meisten Inseln in der Mitte des weitesten Ozeans; und die Eingebornen der Korallen-Inseln des Stillen Meeres verschaffen sich härtere Steine für ihr Geräthe fast nur von den Wurzeln der Treibholz-Stämme; die Taxen für diese Steine bilden ein erhebliches Einkommen ihrer Könige. Wenn nun unregelmässig geformte Steine zwischen die Wurzeln der Bäume fest eingewachsen sind, so sind auch zuweilen noch kleine Parthien Erde dahinter eingeschlossen, mitunter so genau, dass nicht das Geringste davon während des längsten Transportes weggewaschen werden könnte. Und nun kenne ich einen Fall genau, wo aus einer solchen vollständig eingeschlossenen Parthie Erde zwischen den Wurzeln einer 50jährigen Eiche drei Dikotyledonen-Saamen gekeimt haben. So kann ich ferner nachweisen, dass zuweilen todte Vögel lange auf dem Meere treiben, ohne verschlungen zu werden, und dass in ihrem Kropfe enthaltene Saamen lange ihre Keimkraft behalten; Erbsen und Wicken z. B., welche sonst schon zu Grunde gehen, wenn sie nur wenige Tage im Wasser liegen, zeigten sich zu meinem grossen Erstaunen noch keimfähig, als ich sie aus dem Kropfe einer Taube nahm, welche schon 30 Tage lang auf künstlich bereitetem Salzwasser geschwommen.

[S. 393]

Lebende Vögel haben unfehlbar einen grossen Antheil am Transport lebender Saamen. Ich könnte viele Fälle anführen um zu beweisen, wie oft Vögel von mancherlei Art durch Stürme weit über den Ozean verschlagen werden. Wir dürfen wohl als gewiss annehmen, dass unter solchen Umständen ihre Schnelligkeit oft 35 Engl. Meilen in der Stunde betragen mag, und manche Schriftsteller haben sie viel höher angeschlagen. Ich habe nie eine nahrhafte Saamen-Art durch die Eingeweide eines Vogels passiren sehen, wogegen harte Saamen und Früchte unangegriffen selbst durch die Gedärme des Wälschhuhns gehen. Im Laufe von zwei Monaten sammelte ich in meinem Garten aus den Exkrementen kleiner Vögel zwölf Arten Saamen, welche alle noch gut zu seyn schienen, und einige von ihnen, die ich probirte, haben wirklich gekeimt. Wichtiger ist jedoch folgende Thatsache. Der Kropf der Vögel sondert keinen Magensaft aus und benachtheiligt nach meinen Versuchen die Keimkraft der Saamen nicht im mindesten. Nun sagt man, dass, wenn ein Vogel eine grosse Menge Saamen gefunden und gefressen hat, die Körner nicht vor 12–18 Stunden in den Magen gelangen. In dieser Zeit aber kann ein Vogel leicht 500 Meilen weit fortgetrieben werden; und wenn Falken, wie sie gerne thun, auf den ermüdeten Vogel Jagd machen, so kann dann der Inhalt seines Kropfes bald umhergestreut seyn. Nun verschlingen einige Falken und Eulen ihre Beute ganz und brechen nach 12–20 Stunden Ballen unverdauter Federn wieder aus, die, wie ich aus Versuchen in den Zoological Gardens weiss, oft noch keimfähige Saamen enthalten. Einige Saamen von Hafer, Weitzen, Hirse, Kanariengras, Hanf, Klee und Mangold keimten noch, nachdem sie 12–20 Stunden in den Magen verschiedener Raubvögel verweilt hatten, und zwei Mangold-Saamen wuchsen sogar, nachdem sie zwei Tage und vierzehn Stunden dort gewesen waren. Süsswasser-Fische verschlingen Saamen verschiedener Land- und Wasser-Pflanzen; Fische werden oft von Vögeln verzehrt, und so können jene Saamen von Ort zu Ort ausgestreut werden. Ich brachte mancherlei Saamen-Arten in den Magen todter Fische und gab diese sodann Pelikanen, Störchen und Fischadlern zu fressen; diese Vögel[S. 394] gaben einige Stunden später die Saamen in ihren Exkrementen wieder von sich oder brachen sie in Gewöll-Ballen aus. Mehre dieser Saamen besassen alsdann noch ihre Keim-Kraft; andre dagegen verloren sie jederzeit durch diesen Prozess.

Obwohl Schnäbel und Füsse der Vögel gewöhnlich ganz rein sind, so hängen doch oft auch Erd-Theile daran. In einem Falle trennte ich 61 und in einem andern 22 Gran thoniger Erde von dem Fusse eines Feldhuhns, und in dieser Erde befand sich ein Steinchen so gross wie ein Wicken-Saamen. Daher mögen auf dieselbe Art auch Saamen zuweilen auf grosse Entfernungen fortgeführt werden, indem sich nachweisen lässt, dass der Ackerboden überall voll von Säämereien steckt. Erwägt man, wie viele Millionen Wachteln jährlich das Mittelmeer überfliegen, so wird man die Möglichkeit nicht bezweifeln, dass wohl auch einmal ein paar kleine Saamen an ihren Füssen mit herüber oder hinüber gelangen. Doch werde ich auf diesen Gegenstand noch zurückkommen.

Bekanntlich sind Eisberge oft mit Steinen und Erde beladen; auch Buschholz, Knochen und selbst einmal ein Vogel-Nest hat man darauf gefunden; daher wohl nicht zu zweifeln ist, dass sie mitunter auch, wie LYELL bereits angenommen, Saamen von einem zum andern Theile der arktischen oder antarktischen Zone, und in der Glacial-Zeit sogar von einem Theile der jetzigen gemässigten Zonen zum andern geführt haben. Da auf den Azoren eine im Verhältniss zu den übrigen zum Theile dem Festlande näher gelegenen Inseln des Atlantischen Meeres grosse Anzahl Europäischer Pflanzen und (wie Hr. H. C. WATSON bemerkt) insbesondere solcher Arten vorkommt, die einen etwas nördlicheren Charakter haben, als der Lage entspricht, so vermuthete ich, dass ein Theil derselben mit Eisbergen in der Glacial-Zeit dahin gelangt seye. Auf meine Bitte fragte Sir CH. LYELL Hrn. HARTUNG, ob er erratische Blöcke auf diesen Inseln gefunden habe, und erhielt zur Antwort, dass grosse Blöcke von Granit u. a. nicht auf den Inseln anstehenden Gesteinen dort vorkommen. Wir dürfen daher getrost folgern, dass Eisberge vordem ihre Bürden an der Küste dieser mittel-ozeanischen Inseln abgesetzt haben,[S. 395] und so ist es wenigstens möglich, dass auch einige Saamen nordischer Pflanzen mit dahin gelangt sind.

In Berücksichtigung, dass manche der oben erwähnten und andre wohl später zu entdeckende Transport-Mittel ganze Jahrhunderte und Jahrtausende alljährlich in Thätigkeit gewesen, würde es nach meiner Ansicht eine wunderbare Thatsache seyn, wenn nicht auf diesen Wegen viele Pflanzen mitunter in weite Fernen versetzt worden wären. Diese Transport-Mittel werden zuweilen zufällige genannt, was nicht ganz richtig ist, indem weder die See-Strömungen noch die vorwaltende Richtung der Stürme zufällig sind. Indessen ist von diesen Mitteln wohl keines im Stande, keimfähige Saamen in sehr grosse Fernen zu versetzen, indem die Saamen weder ihre Keimfähigkeit im Seewasser lange behalten, noch in Kropf und Eingeweiden der Vögel weit transportirt werden können. Wohl aber genügen sie, um dieselben gelegenheitlich über einige Hundert Meilen breite See-Striche hinwegzuführen und so von Kontinent zu Insel, oder von Insel zu Insel, aber nicht von einem Kontinente zum andern zu fördern. Die Floren entfernter Kontinente werden auf diese Weise mithin nicht in hohem Grade gemengt werden, sondern so weit getrennt bleiben, als wir sie jetzt finden. Die Ströme würden ihrer Richtung nach niemals Saamen von Nord-Amerika nach Britannien bringen können, wie sie deren von Westindien aus an unsre Küsten spülen, wo sie aber, selbst wenn sie auf diesem langen Wege noch ihre Lebenskraft bewahrt haben, nicht das Klima zu ertragen vermögen. Fast jedes Jahr werden 1–2 Land-Vögel durch Stürme von Nord-Amerika über den ganzen Atlantischen Ozean bis an die Irischen und Englischen Küsten getrieben; Saamen aber könnten diese Wanderer nur auf eine Weise mit sich bringen, nämlich in dem zufällig an ihren Füssen hängenden Schmutz, was doch immer an sich schon ein seltener Zufall ist. Und wie gering wäre selbst in diesem Falle die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Saame in einen günstigen Boden gelange, keime und zur Reife komme. Doch wäre es ein grosser Irrthum zu folgern, dass, weil eine schon wohl-bevölkerte Insel, wie Grossbritannien ist, in den paar letzten Jahrhunderten[S. 396] (was übrigens doch schwer zu beweisen steht) durch gelegenheitliche Transport-Mittel keine Einwanderer aus Europa oder einem andern Kontinente aufgenommen, auch sparsam bevölkerte Inseln selbst in noch grössren Entfernungen vom Festlande keine Kolonisten auf solchen Wegen erhalten könnten. Ich zweifle nicht, dass aus 20 zu einer Insel verschlagenen Saamen- oder Thier-Arten, auch wenn sie viel weniger bevölkert wäre als Britannien, kaum mehr als eine so für diese neue Heimath geeignet seyn würde, um nun dort naturalisirt zu werden. Doch ist Diess, wie mir scheint, kein bedeutender Einwand hinsichtlich dessen, was durch solche gelegenheitliche Transport-Mittel im langen Verlaufe der geologischen Zeiten geschehen konnte, während der Hebung und Bildung einer Insel und bevor sie mit Ansiedlern vollständig besetzt war. Auf einem fast noch öden Lande, wo noch keine oder nur wenige Insekten und Vögel jedem neu ankommenden Saamen-Korne nachstellen, wird dasselbe leicht zum Keimen und Fortleben gelangen, wenn es anders für dieses Klima passt.

Zerstreuung während der Eis-Zeit.) Die Übereinstimmung so vieler Pflanzen- und Thier-Arten auf Berges-Höhen, welche Hunderte von Meilen weit durch Tiefländer von einander getrennt sind, wo die Alpen-Bewohner nicht fortkommen können, ist eines der schlagendsten Beispiele des Vorkommens gleicher Arten auf von einander entlegenen Punkten, ohne anscheinende Möglichkeit einer Wanderung von einem derselben zum andern. Es ist in der That merkwürdig, so viele Pflanzen-Arten in den Schnee-Gegenden der Alpen oder Pyrenäen und wieder in den nördlichsten Theilen Europa’s zu sehen; aber noch merkwürdiger ist es, dass die Pflanzen-Arten der Weissen Berge in den Vereinten Staaten Amerika’s alle die nämlichen wie in Labrador und ferner nach ASA GRAY’S Versicherung die nämlichen wie auf den höchsten Bergen Europa’s sind. Schon vor langer Zeit, im Jahre 1747, veranlassten ähnliche Thatsachen GMELIN zu schliessen, dass einerlei Spezies an verschiedenen Orten unabhängig von einander geschaffen worden seyn müssen, und wir würden dieser Meinung vielleicht noch zugethan geblieben seyn, hätten[S. 397] nicht AGASSIZ u. A. unsre Aufmerksamkeit auf die Eis-Zeit gelenkt, die, wie wir sofort sehen werden, diese Thatsachen sehr einfach erklärt. Wir haben Beweise fast jeder möglichen Art, organische und unorganische, dass in einer sehr jungen geologischen Periode Zentral-Europa und Nord-Amerika unter einem arktischen Klima litten. Die Ruinen eines abgebrannten Hauses erzählen ihre Geschichte nicht so verständlich, wie die Schottischen und Wales’schen Gebirge mit ihren geschrammten Seiten, polirten Flächen, schwebenden Blöcken von den Eis-Strömen berichten, womit ihre Thäler noch in später Zeit ausgefüllt gewesen. So sehr war das Klima in Europa verschieden, dass in Nord-Italien riesige Moränen von einstigen Gletschern herrührend jetzt mit Mays und Wein bepflanzt sind. Durch einen grossen Theil der Vereinten Staaten bezeugen erratische Blöcke und von treibenden Eisbergen und Küsten-Eis geschrammte Felsen mit Bestimmtheit eine frühere Periode grosser Kälte.

Der frühere Einfluss des Eis-Klima’s auf die Vertheilung der Bewohner Europa’s, wie ihn EDW. FORBES so klar dargestellt, ist im Wesentlichen folgender. Doch wir werden die Veränderungen rascher verfolgen können, wenn wir annehmen, eine neue Eis-Zeit rücke langsam an und verlaufe dann und verschwinde so, wie es früher geschehen ist. In dem Grade wie bei zunehmender Kälte jede weiter südlich gelegene Zone der Reihe nach für arktische Wesen geeigneter wird und ihren bisherigen Bewohnern nicht mehr zusagen kann, werden arktische Ansiedler die Stelle der bisherigen einnehmen. Zur gleichen Zeit werden auch ihrerseits diese Bewohner der gemässigten Gegenden südwärts wandern, wenn ihnen der Weg nicht versperrt ist, in welchem Falle sie zu Grunde gehen müssten. Die Berge werden sich mit Schnee und Eis bedecken, und die früheren Alpen-Bewohner werden in die Ebene herabsteigen. Erreicht mit der Zeit die Kälte ihr Maximum, so bedeckt eine einförmige arktische Flora und Fauna den mitteln Theil Europa’s bis im Süden der Alpen und Pyrenäen und bis nach Spanien hinein. Auch die gegenwärtig gemässigten Gegenden der Vereinten Staaten bevölkern sich mit arktischen Pflanzen und Thieren und zwar[S. 398] nahezu mit den nämlichen Arten wie Europa; denn die jetzigen Bewohner der Polar-Länder, von welchen so eben angenommen worden, dass sie überall nach Süden gewandert, sind rund um den Pol merkwürdig einförmig. Nimmt man an, dass die Eis-Zeit in Nord-Amerika etwas früher oder später als in Europa angefangen, so wird auch die Auswanderung nach Süden etwas früher oder später beginnen, was jedoch im End-Ergebnisse keinen Unterschied macht.

Wenn nun die Wärme zurückkehrt, so ziehen sich die arktischen Formen wieder nach Norden zurück und die Bewohner der gemässigteren Gegenden rücken ihnen unmittelbar nach. Wenn der Schnee am Fusse der Gebirge schmilzt, werden die arktischen Formen von dem entblössten und aufgethauten Boden Besitz nehmen; sie werden immer höher und höher hinansteigen, wie die Wärme zunimmt und ihre Brüder in der Ebene den Rückzug nach Norden hin fortsetzen. Ist daher die Wärme vollständig wieder hergestellt, so werden die nämlichen arktischen Arten, welche bisher in Masse beisammen in den Tiefländern der alten und der neuen Welt gelebt, nur noch auf abgesonderten Berg-Höhen und in der arktischen Zone beider Hemisphären übrig seyn.

Auf diese Weise begreift sich die Übereinstimmung so vieler Pflanzen-Arten an so unermesslich weit von einander entlegenen Stellen, als die Gebirge der Vereinten Staaten und Europa’s sind. So begreift sich ferner die Thatsache, dass die Alpen-Pflanzen jeder Gebirgs-Kette mit den gerade oder fast gerade nördlich von ihnen lebenden Arten in nächster Beziehung stehen; die Wanderung bei Eintritt der Kälte und die Rückwanderung bei Wiederkehr der Wärme wird im Allgemeinen eine gerade südliche und nördliche gewesen seyn. Denn die Alpen-Pflanzen Schottland’s z. B. sind nach H. C. WATSON’S Bemerkung und die der Pyrenäen nach RAMOND spezieller mit denen Skandinaviens verwandt, wie die der Vereinten Staaten und die Sibirischen mehr mit den im Norden dieser Länder lebenden Arten übereinstimmen. Diese Ansicht, gegründet auf den zuverlässig bestätigten Verlauf einer früheren Eis-Zeit, scheint mir in so genügender Weise die gegenwärtige Vertheilung der alpinen und[S. 399] arktischen Arten in Europa und Nord-Amerika zu erklären, dass, wenn wir in noch andern Regionen gleiche Spezies auf entfernten Gebirgs-Höhen zerstreut finden, wir auch ohne einen weiteren Beweis schliessen dürfen, dass ein kälteres Klima ihnen vordem durch zwischen-gelegene Tiefländer zu wandern gestattet habe, welche seitdem zu warm für dieselben geworden sind.

Wenn das Klima seit der Eis-Zeit je einigermaassen wärmer als jetzt gewesen wäre (wie einige Geologen aus der Verbreitung der fossilen Gnathodon-Muscheln in den Vereinten Staaten geschlossen), dann würden die Bewohner der gemässigten und der kalten Zone noch in sehr später Zeit etwas nach Norden vorgerückt seyn, um sich noch später wieder in ihre jetzige Heimath zurückzuziehen; doch habe ich keinen genügenden Beweis für eine solche wärmere Periode, die nach der Eis-Zeit eingeschaltet gewesen wäre.

Die arktischen Formen werden während ihrer südlichen Wanderung und Rückkehr nach Norden nahezu dem nämlichen Klima ausgesetzt gewesen und, was gleichfalls zu bemerken, in Masse beisammen geblieben seyn; daher sie denn auch in ihren gegenseitigen Beziehungen nicht sonderlich gestört und mithin, nach den in diesem Bande vertheidigten Prinzipien, nicht allzu-grosser Umänderung ausgesetzt worden wären. Etwas anders würde es sich jedoch mit unsern Alpen-Bewohnern verhalten, welche bei rückkehrender Wärme sich vom Fusse der Gebirge immer höher an deren Seiten bis zu den Gipfeln hinan geflüchtet haben. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass alle dieselben arktischen Arten auf weit getrennten Gebirgs-Ketten zurückgeblieben sind und dort seither fortgelebt haben. Auch werden die zurückgebliebenen aller Wahrscheinlichkeit nach sich mit alten Alpen-Pflanzen gemengt haben, welche schon vor der Eis-Zeit die Gebirge bewohnten und für die Dauer der kältesten Periode in die Ebene herabgetrieben wurden; sie werden ferner einem etwas abweichenden klimatischen Einflusse ausgesetzt gewesen seyn. Ihre gegenseitigen Beziehungen können hiedurch etwas gestört und sie selbst mithin zur Abänderung geneigt geworden seyn; und so ist es wirklich der Fall. Denn, wenn wir die gegenwärtigen[S. 400] Alpen-Pflanzen und -Thiere der verschiedenen grossen Europäischen Gebirgs-Ketten verglichen, so finden wir zwar im Ganzen viele identische Arten, von welchen aber manche als Varietäten auftreten, andre als zweifelhafte Formen schwanken, und einige wenige als verschiedene doch nahe verwandte oder stellvertretende Arten erscheinen.

Bei Erläuterung dessen, was nach meiner Meinung während der Eis-Periode sich wirklich zugetragen, unterstellte ich, dass bei deren Beginn die arktischen Organismen rund um den Pol so einförmig wie heutigen Tages gewesen seyen. Aber die vorangehenden Bemerkungen beziehen sich nicht allein auf die strengen arktischen Formen, sondern auch auf viele subarktische und auf einige Formen der nördlich-gemässigten Zone; denn manche von diesen Arten sind ebenfalls übereinstimmend auf den niedrigeren Bergen und in den Ebenen Nord-Amerika’s und Europa’s, und man kann mit Grund fragen, wie ich denn die Übereinstimmung der Formen, welche in der subarktischen und der nördlich-gemässigten Zone rund um die Erde am Anfange der Eis-Periode stattgefunden haben muss, erkläre? Heutzutage sind die Formen der subarktischen und nördlich-gemässigten Gegenden der alten und der neuen Welt von einander getrennt durch den atlantischen und den nördlichsten Theil des stillen Ozeans. Als während der Eis-Zeit die Bewohner der alten und der neuen Welt weiter südwärts als jetzt lebten, müssen sie auch durch weitere Räume des Ozeans vollständiger von einander geschieden gewesen seyn. Ich glaube, dass die oben erwähnte Schwierigkeit zu umgehen ist, wenn man sich nach noch früheren Klima-Wechseln in einem entgegengesetzten Sinne umsieht. Wir haben nämlich guten Grund zu glauben, dass während der neuem Pliocän-Periode vor der Eis-Zeit, wo schon die Mehrzahl der Erd-Bewohner mit den jetzigen von gleichen Arten gewesen, das Klima wärmer war als jetzt. Wir dürfen daher annehmen, dass Organismen, welche jetzt unter dem 60. Breite-Grad leben, in der Pliocän-Periode weiter nördlich am Polar-Kreise unter dem 66°-70° Br. wohnten, und dass die eigentlich arktischen Wesen auf die unterbrochenen Land-Striche naher bei den Polen beschränkt waren.[S. 401] Wenn wir nun einen Globus ansehen, so werden wir finden, dass unter dem Polar-Kreise meist zusammen-hängendes Land von West-Europa an durch Sibirien bis Ost-Amerika vorhanden ist. Und diesem Zusammenhange des Circumpolar-Landes und der ihm entsprechenden freien Wanderung in einem schon günstigeren Klima schreibe ich den nothwendigen Grad von Einförmigkeit in den Bewohnern der subarktischen und nördlich-gemässigten Zone der alten und neuen Welt vor der Eis-Zeit zu. (Dieser Ansicht sind drei vorzugsweise berufene Beurtheiler, Prof. ASA GRAY, Dr. HOOKER und Prof. OLIVER beigetreten.)

Von dem Glauben ausgehend, dass, wie schon oben gesagt, unsre Kontinente langezeit in fast nahezu der nämlichen Lage gegen einander geblieben, wenn sie auch theilweise beträchtlichen Höhen-Schwankungen unterworfen gewesen, habe ich grosse Neigung die erwähnte Ansicht noch weiter auszudehnen und zu unterstellen, dass in einer noch früheren und wärmeren Zeit, in der ältern Pliocän-Zeit nämlich, eine grosse Anzahl der nämlichen Pflanzen- und Thier-Arten das fast zusammenhängende Circumpolar-Land bewohnt habe, und dass diese Pflanzen und Thiere sowohl in der alten als in der neuen Welt langsam südwärts zu wandern anfingen, wie das Klima kühler wurde, lange vor Anfang der Eis-Periode. Wir sehen nun ihre Nachkommen, wie ich glaube, meistens in einem abgeänderten Zustande die Zentral-Theile von Europa und den Vereinigten Staaten bewohnen. Von dieser Annahme ausgehend begreift man dann die Verwandtschaft, bei sehr geringer Gleichheit, der Arten von Nord-Amerika und Europa, eine Verwandtschaft, welche bei der grossen Entfernung beider Gegenden und ihrer Trennung durch das Atlantische Meer äusserst merkwürdig ist. Man begreift ferner die von einigen Beobachtern wahrgenommene sonderbare Thatsache, dass die Natur-Erzeugnisse Europa’s und Nord-Amerika’s während der letzten Abschnitte der Tertiär-Zeit näher mit einander verwandt sind, als sie es in der vorangehenden Zeit waren; denn in dieser wärmeren Zeit sind die nördlichen Theile der alten und der neuen Welt durch Zwischenländer in zusammen-hängenderer Weise[S. 402] mit einander verbunden gewesen, die aber seither durch Kälte zur Auswanderung unbrauchbar gemacht worden sind.

Sobald während der langsamen Temperatur-Abnahme in der Pliocän-Periode die gemeinsam ausgewanderten Bewohner der alten und neuen Welt südwärts vom Polar-Kreise angelangt waren, wurden sie vollständig von einander abgeschnitten. Diese Trennung trug sich, was die Bewohner der gemässigteren Gegenden betrifft, vor langen langen Zeiten zu. Und als damals die Pflanzen- und Thier-Arten südwärts wanderten, werden sie sich mit den Eingeborenen der niedrigeren Breiten gemengt und in der einen Gegend Amerikanische und in der andern Europäische Arten zu neuen Mitbewerbern bekommen haben. Hier ist demnach Alles zu reichlicher Abänderung der Arten angethan, weit mehr als es hinsichtlich der auf südlichen Alpen-Höhen abgeschnitten zurückgelassenen Polar-Bewohner beider Welttheile der Fall gewesen ist. Davon rührt es her, dass, wenn wir die jetzt lebenden Erzeugnisse gemässigterer Gegenden der alten und der neuen Welt mit einander vergleichen, wir nur sehr wenige identische Arten finden (obwohl ASA GRAY kürzlich gezeigt, dass deren Anzahl grösser ist, als man bisher angenommen hatte); aber wir finden in jeder grossen Klasse viele Formen, welche ein Theil der Naturforscher als geographische Rassen und ein andrer als unterschiedene Arten betrachten, zusammen mit einem Heere nahe verwandter oder stellvertretender Formen, die bei allen Naturforschern für eigene Arten gelten.

Wie auf dem Lande, so kann auch in der See eine langsame südliche Wanderung der Fauna, welche während oder etwas vor der Pliocän-Periode längs der zusammen-hängenden Küsten des Polar-Kreises sehr einförmig gewesen, nach der Abänderungs-Theorie zur Erklärung der vielen nahe verwandten Formen dienen, welche jetzt in ganz gesonderten Gebieten leben. Mit ihrer Hilfe lässt sich, wie ich glaube, das Daseyn einer Menge noch lebender und tertiärer stellvertretender Arten an den östlichen und westlichen Küsten des gemässigteren Theiles von Nord-Amerika erklären, so wie die bei weitem auffallendere Erscheinung vieler nahe verwandter Kruster (in DANA’S ausgezeichnetem Werke[S. 403] beschrieben), einiger Fische und andrer Seethiere im Japanischen und im Mittelmeere zugleich, in Gegenden mithin, welche jetzt durch einen grossen Kontinent und fast eine ganze Hemisphäre von Äquatoral-Meeren von einander getrennt sind.

Diese Fälle von Verwandtschaft, ohne Identität, zwischen den Bewohnern jetzt getrennter Meere wie zwischen den früheren und jetzigen Bewohnern der gemässigten Länder Nord-Amerika’s und Europa’s sind aus der Schöpfungs-Theorie unerklärbar. Wir können nicht sagen, sie seyen ähnlich geschaffen zur Anpassung an die ähnlichen Natur-Bedingungen der beiderlei Gegenden; denn wenn wir z. B. gewisse Theile Süd-Amerika’s mit den südlichen Kontinenten der alten Welt vergleichen, so finden wir Striche in beiden, die sich hinsichtlich ihrer Natur-Beschaffenheit einander genau entsprechen, aber in ihren Bewohnern sich ganz unähnlich sind.

Wir müssen jedoch zu unsrer unmittelbaren Aufgabe zurückkehren, nämlich zur Eis-Zeit. Ich bin überzeugt, dass EDW. FORBES’ Theorie einer grossen Erweiterung fähig ist. In Europa haben wir die deutlichsten Beweise einer Kälte-Periode von den West-Küsten Britanniens ostwärts bis zur Ural-Kette und südwärts bis zu den Pyrenäen. Aus den im Eise eingefrorenen Säugthieren und der Beschaffenheit der Gebirgs-Vegetation zu schliessen, war Sibirien auf ähnliche Weise betroffen gewesen. Längs dem Himalaya haben Gletscher an 900 Engl. Meilen von einander entlegenen Punkten Spuren ihrer ehemaligen weiten Erstreckung nach der Tiefe hinterlassen; und in Sikkim sah Dr. HOOKER Mays wachsen auf alten Riesen-Moränen. Im Süden des Äquators haben wir einige unmittelbare Beweise früherer Eis-Thätigkeit in Neuseeland, und das Wiedererscheinen derselben Pflanzen-Arten auf weit von einander getrennten Bergen dieser Insel spricht für die gleiche Geschichte. Nach den von dem unermüdlichen Geologen W. B. CLARKE mir gewordenen Mittheilungen scheinen deutliche Spuren von einer früheren Gletscher-Thätigkeit auch in der süd-östlichen Spitze Neu-Hollands vorzukommen.

Sehen wir uns in Amerika um. In der nördlichen Hälfte sind von Eis transportirte Fels-Trümmer beobachtet worden an[S. 404] der Ost-Seite abwärts bis zum 36° und an der Küste des stillen Meeres, wo das Klima jetzt so verschieden ist, bis zum 46° nördlicher Breite; auch in den Rocky Mountains sind erratische Blöcke gesehen worden. In den Cordilleren des äquatorialen Süd-Amerika’s haben sich Gletscher ehedem weit über ihre jetzige Grenze herabbewegt. In Central-Chili habe ich ein ungeheures Detritus-Haufwerk untersucht, welches das Portillo-Thal queer durchsetzt, und, wie ich jetzt überzeugt bin, eine riesige Moräne tief unter jedem noch jetzt dort vorkommenden Gletscher. D. FORBES hat mir die folgende nun genauere Auskunft darüber mitgetheilt: dass er in der Cordillere vom 13° bis 30° SBr. in der ungefähren Höhe von 12000′ starkgefurchte Felsen gefunden ganz wie jene, die er in Norwegen gesehen, sowie grosse Detritus-Massen mit gefurchten Geschieben; längs dieser ganzen Cordilleren-Strecke gibt es selbst in viel beträchtlicheren Höhen gar keine wirklichen Gletscher. — Weiter südwärts an beiden Seiten des Kontinents, von 41° Br. bis zur südlichen Spitze finden wir die klarsten Beweise früherer Gletscher-Thätigkeit in mächtigen von ihrer Geburtsstätte weit entführten Blöcken.

Wir wissen nicht, ob die Eis-Zeit an allen diesen Punkten auf ganz entgegengesetzten Seiten der Erde genau gleichzeitig gewesen seye; doch fiel sie, in fast allen Fällen wohl erweislich, in die letzte geologische Periode. Eben so haben wir vortreffliche Beweise, dass sie überall, in Jahren ausgedrückt, von ungeheurer Dauer gewesen. Sie kann an einer Stelle der Erde früher begonnen oder früher aufgehört haben, als an der andern; da sie aber überall lange gewährt hat und wenigstens in geologischem Sinne überall gleichzeitig war, so ist es mir wahrscheinlich, dass jedenfalls ein Theil der Glazial-Ereignisse an allen diesen Orten über die ganze Erde hin der Zeit nach genau zusammenfiel. So lange wir nicht irgend einen bestimmten Beweis für das Gegentheil haben, dürfen wir daher unterstellen, dass die Glazial-Thätigkeit eine gleichzeitige gewesen ist an der Ost- und West-Seite Nord-Amerika’s, in den äquatorialen Cordilleren der tropischen wie der wärmer-gemässigten Zone, und zu beiden Seiten des südlichen Endes dieses Welttheiles. Ist Diess anzunehmen[S. 405] erlaubt, so wird man auch annehmen müssen, dass die Temperatur der ganzen Erde in dieser Periode gleichzeitig kühler gewesen ist; doch wird es für meinen Zweck genügen, wenn die Temperatur nur auf gewissen breiten von Norden nach Süden ziehenden Strecken der Erde gleichzeitig niedriger war.

Von dieser Voraussetzung ausgehend, dass die Erde oder wenigstens breite Meridianal-Streifen derselben von einem Pol zum andern gleichzeitig kälter geworden sind, lässt sich viel Licht über die jetzige Vertheilung identischer und verwandter Arten verbreiten. Dr. HOOKER hat gezeigt, dass in Amerika 40–50 Blüthen-Pflanzen des Feuerlandes, welche keinen unbeträchtlichen Theil der dortigen kleinen Flora bilden, trotz der ungeheuren Entfernung beider Punkte, mit Europäischen Arten übereinstimmen; ausserdem gibt es viele nahe verwandte Arten. Auf den hoch-ragenden Gebirgen des tropischen Amerika’s kommt eine Menge besondrer Arten aus Europäischen Sippen vor. Auf den höchsten Bergen Brasiliens sind einige wenige Europäische Sippen von GARDENER gefunden worden, welche in den weit-gedehnten warmen Zwischenländern nicht fortkommen. An der Silla von Caraccas fand AL. VON HUMBOLDT schon vor langer Zeit Sippen, welche für die Cordilleren bezeichnend sind. Auf den Abyssinischen Gebirgen kommen verschiedene Europäische Formen und einige wenige stellvertretende Arten der eigenthümlichen Flora des Caps der guten Hoffnung vor. Am Cap sind einige wenige Europäische Arten, die man nicht für eingeführt hält, und auf den Bergen verschiedene stellvertretende Formen Europäischer Arten gefunden worden, dergleichen man in den tropischen Ländern Afrika’s noch nicht entdeckt hat. Dr. HOOKER hat unlängst gezeigt, dass mehre der auf der Insel Fernando Po im Golfe von Guinea wachsenden Pflanzen mit denen der Abyssinischen Gebirge an der andren Seite des Afrikanischen Kontinents und mit solchen des gemässigten Europa’s nahe verwandt sind; Diess ist eine der überraschendsten Thatsachen in der Pflanzen-Geographie. — Am Himalaya und auf den vereinzelten Berg-Ketten der Indischen Halbinsel, auf den Höhen von Ceylon und den vulkanischen Kegeln Javas treten viele Pflanzen auf, welche entweder der Art[S. 406] nach mit einander übereinstimmen, oder sich wechselseitig vertreten und zugleich für Europäische Formen vikariiren, aber in den dazwischen gelegenen warmen Tiefländern nicht gefunden werden. Ein Verzeichniss der auf den luftigen Berg-Spitzen Javas gesammelten Sippen liefert ein Bild wie von einer auf Europäischen Gebirgen gemachten Sammlung. Noch viel schlagender ist die Thatsache, dass die Süd-Australischen Formen offenbar durch Pflanzen repräsentirt werden, welche auf den Berg-Höhen von Borneo wachsen. Einige dieser Australischen (Neuholländischen) Formen erstrecken sich nach Dr. HOOKER längs der Höhen der Halbinsel Malakka und sind dünne zerstreut einerseits über Indien und andrerseits nordwärts bis Japan.

Auf den südlichen Gebirgen Neuhollands hat Dr. F. MÜLLER mehre Europäische Arten entdeckt; andre nicht von Menschen eingeführte Spezies kommen in den Niederungen vor, und, wie mir Dr. HOOKER sagt, könnte noch eine lange Liste von Europäischen Sippen aufgestellt werden, die sich in Neuholland, aber nicht in den heissen Zwischenländern finden. In der vortrefflichen Einleitung zur Flora Neuseelands liefert Dr. HOOKER noch andre analoge und schlagende Beispiele hinsichtlich der Pflanzen dieser grossen Insel. Wir sehen daher, dass über der ganzen Erd-Oberfläche einestheils die auf den höheren Bergen wachsenden Pflanzen, wie anderntheils die in den gemässigten Tiefländern der nördlichen und der südlichen Hemisphäre verbreiteten zuweilen von gleicher Art sind; noch öfter aber erscheinen sie spezifisch verschieden, obwohl in merkwürdiger Weise mit einander verwandt.

Dieser kurze Umriss bezieht sich nur auf Pflanzen allein; aber genau analoge Thatsachen lassen sich auch über die Vertheilung der Landthiere anführen. Auch bei den Seethieren kommen ähnliche Fälle vor. Ich will als Beleg die Bemerkung eines der besten Gewährsmänner, nämlich des Professors DANA anführen, „dass es gewiss eine wunderbare Thatsache ist, dass Neuseeland hinsichtlich seiner Kruster eine grössre Verwandtschaft mit seinem Antipoden Grossbritannien als mit irgend einem andern Theile der Welt zeigt“. Eben so spricht Sir J. RICHARDSON von[S. 407] dem Wiedererscheinen nordischer Fisch-Formen an den Küsten von Neuseeland, Tasmania u. s. w. Dr. HOOKER sagt mir, dass Neuseeland 25 Algen-Arten mit Europa gemein hat, die in den tropischen Zwischenmeeren noch nicht gefunden worden sind.

Es ist zu bemerken, dass die in den südlichen Theilen der südlichen Halbkugel und auf den tropischen Hochgebirgen gefundenen nördlichen Arten und Formen keine arktischen sind, sondern dem nördlichen Theile der gemässigten Zone entsprechen. Hr. H. C. WATSON hat neulich bemerkt, „je weiter man von den polaren gegen die tropischen Breiten voranschreitet, desto weniger arktisch werden die alpinen oder gebirglichen Formen der Organismen.“ Viele der auf den Gebirgen wärmerer Gegenden der Erde und in der südlichen Hemisphäre lebenden Arten sind von so zweifelhaftem Werthe, dass sie von einigen Naturforschern als wesentlich verschieden von Europäischen Arten und von andern als blosse Varietäten bezeichnet werden. Doch einige darunter sind gewiss identisch und viele müssen, wenn auch mit nordischen Formen nahe verwandt, als eigne Arten anerkannt werden.

Wir wollen nun zusehen, welche Aufschlüsse die vorangehenden Thatsachen über die durch eine Menge geologischer Beweise unterstützte Annahme gewähren können, dass die ganze Erd-Oberfläche oder wenigstens ein grosser Theil derselben während der Eis-Periode gleichzeitig viel kälter als jetzt gewesen seye. Die Eis-Periode muss, in Jahren ausgedrückt, sehr lang gewesen seyn; und wenn wir berücksichtigen, über welch’ weite Flächen einige naturalisirte Pflanzen und Thiere in wenigen Jahrhunderten sich ausgebreitet haben, so hat diese Periode für jede noch so weite Wanderung ausreichen können. Da die Kälte nur langsam zunahm, so werden alle tropischen Pflanzen und Thiere sich von beiden Seiten her gegen den Äquator zurückgezogen haben, gefolgt von den Bewohnern gemässigter Gegenden, welchen die der Polar-Zonen nachrückten; doch haben wir es mit den letzten in diesem Augenblicke nicht zu thun. Die Aufgabe ist eine äusserst verwickelte. Selbst die wahrscheinlich vor der Eis-Periode vorhanden gewesene pleistocäne Äquatorial-Flora,[S. 408] die einem noch mehr als tropischen Klima entsprochen hätte, darf nicht ganz ausser Acht gelassen werden. Diese alte Äquatorial-Flora würde während der Eis-Zeit, und die zwei pleistocänen subtropischen Floren nun mit einander vermengt und an Zahl zusammengeschmolzen, von der jetzigen Äquatorial-Flora verdrängt worden sein. Eben so mussten während der Eis-Zeit sehr grosse Veränderungen in den Feuchtigkeits- u. a. klimatischen Verhältnissen eingetreten seyn, in deren Folge manche Thiere und Pflanzen in verschiedenen Menge-Verhältnissen ausgewandert wären. Alle Lebens-Bedingungen wären also während der Eis-Periode in den Tropen gleichzeitigem und bedeutendem Wechsel unterlegen. Viele der tropischen Organismen erloschen dabei ohne Zweifel; wie viele, kann niemand sagen. Vielleicht waren vordem die Tropen-Gegenden eben so reich an Arten, wie jetzt das Kap der guten Hoffnung und einige gemässigte Theile Neuhollands.

Da wir wissen, dass viele tropische Pflanzen und Thiere einen ziemlichen Grad von Kälte aushalten können, so mögen manche derselben der Zerstörung durch eine mässige Temperatur-Abnahme entgangen seyn, zumal wenn sie in die tiefsten geschütztesten und wärmsten Bezirke zu entkommen vermochten. Aber was man hauptsächlich nicht vergessen darf, das ist, dass doch alle Tropen-Erzeugnisse mehr oder weniger gelitten haben müssen. Am schwierigsten ist es zu sagen, auf welche Weise sie gänzlicher Vertilgung entgangen sind; wobei die Möglichkeit einiger Akklimatisation während des sehr langsamen Heranrückens der Kälte-Periode nicht ganz übersehen werden darf. Anderseits wurden auch die Bewohner gemässigter Gegenden, welche näher an den Äquator heranziehen konnten, in einigermaassen neue Verhältnisse versetzt, litten aber weniger. Auch ist es gewiss, dass viele Pflanzen gemässigter Gegenden, wenn sie gegen Mitbewerbung geschützt sind, ein viel wärmeres als ihr eigentliches Klima ertragen können. Daher erscheint es mir möglich, dass, da die Tropen-Erzeugnisse in leidendem Zustande waren und den Eindringlingen keinen ernsten Widerstand zu leisten vermochten, eine gewisse Anzahl der kräftigsten und herrschendsten Formen[S. 409] der gemässigten Zone in die Reihen der Eingebornen eingedrungen sind und den Äquator erreicht und selbst noch überschritten haben. Der Einfall wurde in der Regel durch Hochländer und vielleicht ein trocknes Klima noch begünstigt; denn Dr. FALCONER sagt mir, dass es die mit der Hitze der Tropenländer verbundene Feuchtigkeit ist, welche den perennirenden Gewächsen aus gemässigteren Gegenden so verderblich wird. Dagegen werden die feuchtesten und wärmsten Bezirke den Eingebornen der Tropen als Zufluchtsstätte gedient haben. Die Gebirgs-Ketten im Nordwesten des Himalaya und die lange Cordilleren-Reihe scheinen zwei grosse Invasions-Linien gebildet zu haben; und es ist eine schlagende Thatsache, dass nach Dr. HOOKER’S letzter Mittheilung die 46 Blüthen-Pflanzen, welche Feuerland mit Europa gemein hat, alle auch in Nord-Amerika vorkommen, das auf ihrer Marsch-Route gelegen haben muss. Wollte man daraus schliessen, dass das Land in manchen Tropen-Gegenden damals als die aus gemässigten Gegenden kommenden Organismen es durchwanderten, höher als jetzt gewesen seye, so fehlen uns wenigstens alle Beweise dafür. Daher ich zu unterstellen genöthigt bin, dass auch einige Bewohner der gemässigten Zonen sogar in die Tiefländer der Tropen und namentlich Ostindiens eingedrungen und diese überschritten, als zur Zeit der grössten Kälte arktische Formen von ihrer Heimath aus 25 Breiten-Grade südwärts wanderten und das Land am Fusse der Pyrenäen bedeckten. In dieser Zeit der grössten Kälte dürfte dann das Klima unter dem Äquator im Niveau des Meeres-Spiegels ungefähr das nämliche gewesen seyn, wie es jetzt dort in 5000′–6000′ Seehöhe herrscht. In dieser Zeit der grössten Kälte waren meiner Meinung nach weite Räume in den tropischen Tiefländern mit einer Vegetation bedeckt aus Formen tropischer und gemässigter Gegenden zusammengesetzt und derjenigen vergleichbar, welche sich nach HOOKER’S lebendiger Beschreibung jetzt in wunderbarer Üppigkeit am Fusse des Himalaya in 4000′–5000′ Seehöhe entfaltet.

Als MANN auf der Insel Fernando-Po botanisirte, sah er von 5000′ Höhe an einzelne Pflanzen-Formen aus dem gemässigten Europa auftreten, und Dr. SEEMANN fand in den Bergen von[S. 410] Panama bei 2000′ eine Vegetation wie in Mexico mit Formen der heissesten Zone und solche der gemässigten einträchtig durchmengt; woraus sich mithin die Möglichkeit ergibt, dass unter gewissen klimatischen Bedingungen wirkliche Tropen-Gewächse eine unbegrenzte Zeit lang mit Formen gemässigter Klimate zusammen leben können.

Ich hatte eine Zeit lang gehofft den Beweis zu finden, dass irgendwo auf der Erde die Tropen-Gegenden von den Frost-Wirkungen der Eis-Periode verschont geblieben seyen und den leidenden Tropen-Bewohnern einen sicheren Zufluchtsort dargeboten hätten. Wir können diesen Zufluchtsort nicht auf der Ostindischen Halbinsel oder auf Ceylon suchen, da Formen gemässigter Klimate fast alle ihre einzeln gelegenen Berg-Höhen erreicht haben; wir vermögen sie nicht im Malayischen Archipel zu finden, denn auf den Vulkanen-Kegeln Javas sehen wir Europäische Formen und auf den Höhen von Borneo Erzeugnisse des gemässigten Theiles von Neuholland auftreten. In Afrika haben nicht nur einige gemässigt-Europäische Formen Abyssinien auf der West-Seite bis zu dessen südlichem Ende durchwandert, sondern auch Formen gemässigter Klimate von dort aus den Kontinent bis Fernando-Po an der West-Seite durchschritten mit Hilfe vielleicht von Gebirgsketten, welche nach einigen Anzeichen das Festland von Osten nach Westen durchstreichen. Wenn man aber auch annähme, dass irgend eine ausgedehnte Tropen-Gegend während der Eis-Zeit ihre volle Wärme bewahrt hätte, so würde uns diese Unterstellung nicht viel helfen, weil die darin erhalten gebliebenen tropischen Formen in einer so kurzen Zeitfrist nicht wohl von einer dieser grossen Tropen-Gegenden gewandert seyn könnten. Auch haben die tropischen Formen der ganzen Erd-Oberfläche gegen einander gehalten keinesweges ein so einförmiges Aussehen, als ob sie von einem gemeinsamen Sicherheits-Hafen ausgelaufen wären.

Die östlichen Ebenen im tropischen Süd-Amerika haben offenbar am wenigsten von der Eis-Periode gelitten; und doch sind auch hier einige wenige Formen gemässigter Gegenden in den Brasilischen Bergen gefunden worden, welche den Kontinent[S. 411] von den Cordilleren aus gekreuzt haben müssen; und eben so scheint während derselben Zeit eine Wanderung von den Cordilleren bis gegen Caraccas stattgefunden zu haben. Nun aber hat BATES, welcher mit grossem Eifer die Insekten-Fauna des Guiana-Amazonas-Gebietes studirt, kürzlich mit grosser Lebhaftigkeit gegen jede Annahme einer in neuerer Zeit stattgefundenen Abkühlung dieses grossen Gebietes geeifert, indem er zeigte, dass es reich ist an ganz eigenthümlichen einheimischen Schmetterlings-Formen, welche offenbar der Unterstellung eines neuerlich stattgefundenen Erlöschens in der Nähe des Äquators widersprechen. Ich will mich jedoch nicht vermessen zu sagen, in wie ferne diese Erscheinung etwa durch die Annahme einer fast gänzlichen Austilgung einer pleistocänen Fauna in der Eis-Zeit und der Bildung der jetzigen Äquatorial-Fauna durch die Vereinigung der zwei vorigen subtropischen Faunen erklärbar seyn möge.

So sind, glaube ich, während der Eis-Periode beträchtlich viele Pflanzen, einige Landthiere und verschiedene Meeres-Bewohner von beiden gemässigten Zonen aus in die Tropen-Gegenden eingedrungen und haben manche sogar den Äquator überschritten. Als die Wärme zurückkehrte, stiegen die den gemässigten Klimaten entstammten Formen natürlich an den Bergen hinan und verschwanden aus den Tiefebenen; diejenigen, welche den Äquator nicht erreicht hatten, kehrten nord- und süd-wärts in ihre frühere Heimath zurück; jene hauptsächlich nordischen Formen aber, welche den Äquator schon überschritten, wanderten weiter in die gemässigten Breiten der entgegengesetzten Hemisphäre. Obwohl sich aus geologischen Forschungen ergibt, dass die ganze Masse der arktischen Konchylien auf ihrer langen Wanderung nach Süden und ihrer Rückwanderung nach Norden kaum irgend eine wesentliche Modification erfahren habe, so ist das Verhältniss doch ein ganz andres hinsichtlich der eingedrungenen Formen, welche sich auf den tropischen Gebirgen und in der südlichen Hemisphäre festsetzten. Von Fremdlingen umgeben geriethen sie mit vielen neuen Lebenformen in Mitbewerbung; und es ist wahrscheinlich, dass Abänderungen in Struktur, organischer Thätigkeit und Lebensweise davon die Folge waren und[S. 412] durch Natürliche Züchtung fortgebildet wurden. So leben nun viele von diesen Wanderern, wenn auch offenbar noch verwandt mit ihren Brüdern in der andern Hemisphäre, in ihrer neuen Heimath als ausgezeichnete Varietäten oder eigene Spezies fort.

Es ist eine merkwürdige Thatsache, worauf HOOKER hinsichtlich Amerikas und ALPHONS DECANDOLLE hinsichtlich Australiens bestehen, dass offenbar viel mehr identische und verwandte Pflanzen von Norden nach Süden als in umgekehrter Richtung gewandert sind. Wir sehen daher nur wenige südlichen Pflanzen-Formen auf den Bergen von Borneo und Abyssinien. Ich vermuthe, dass diese überwiegende Wanderung von Norden nach Süden der grösseren Ausdehnung des Landes im Norden und der zahlreichen Existenz der nordischen Formen in ihrer Heimath zuzuschreiben ist, in deren Folge sie durch Natürliche Züchtung und manchfaltigere Mitbewerbung bereits zu höherer Vollkommenheit und Herrschafts-Fähigkeit als die südlicheren Formen gelangt waren. Und als nun beide während der Eis-Periode sich durcheinander mengten, waren die nördlichen Formen besser geeignet die südlichen zu überwinden, — so wie wir heutzutage noch die Europäischen Einwanderer den Boden von La-Plata und seit 30–40 Jahren auch von Neuholland bedecken sehen. Die Neil-gherrie-Berge in Ostindien bieten jedoch eine theilweise Ausnahme dar, indem, wie mir Dr. HOOKER sagt, Australische Formen sich dort rasch naturalisiren und durch Saamen verbreiten. Vor der Eis-Zeit waren diese tropischen Gebirge ohne Zweifel mit einheimischen Alpen-Pflanzen bevölkert. Auf vielen Inseln sind die eingeborenen Erzeugnisse durch die naturalisirten bereits an Menge erreicht oder überboten; und wenn jene ersten jetzt auch noch nicht verdrängt sind, so hat ihre Anzahl doch schon sehr abgenommen, und Diess ist der erste Schritt zum Untergang. Ein Gebirge ist eine Insel auf dem Lande, und die tropischen Gebirge vor der Eis-Zeit müssen vollständig isolirt gewesen seyn. Ich glaube, dass die Erzeugnisse dieser Inseln auf dem Lande vor denen der grösseren nordischen Länder-Strecken ganz in derselben Weise zurückgewichen sind, wie die Erzeugnisse der[S. 413] Inseln im Meer zuletzt überall von den durch den Menschen daselbst naturalisirten verdrängt wurden.

Ich bin weit entfernt zu glauben, dass durch die hier aufgestellte Ansicht über die Ausbreitung und die Beziehungen der verwandten Arten, welche in der nördlichen und der südlichen gemässigten Zone und auf den Gebirgen der Tropen-Gegenden wohnen, bereits alle Schwierigkeiten ausgeglichen sind. Es ist sehr schwer zu begreifen, wie eine so grosse Anzahl eigenthümlicher auf die Tropen beschränkter Formen den kältesten Theil der Eis-Zeit zu überdauern im Stande war. Die Anzahl der Formen in Neuholland, welche mit Formen des gemässigten Europas verwandt aber dennoch so abweichend von ihnen sind, dass man unmöglich an eine Abänderung derselben erst seit der Glazial-Zeit glauben kann, zeigt vielleicht eine noch ältre Kälte-Periode an, welche mit den Spekulationen einiger neueren Geologen in Beziehung steht. — Die genauen Richtungen und die Mittel der Wanderungen oder die Ursachen, warum die einen und nicht die andern Arten gewandert sind, oder warum gewisse Spezies Abänderung erfahren haben und zur Bildung neuer Formen-Gruppen verwendet worden, während andre unverändert geblieben sind, lassen sich nicht nachweisen. Wir können nicht hoffen, solche Verhältnisse zu erklären, so lange wir nicht zu sagen vermögen, warum eine Art und nicht die andre durch menschliche Thätigkeit in fremden Landen naturalisirt werden kann, oder warum die eine zwei oder drei mal so weit verbreitet, zwei oder drei mal so gemein als die andre Art in der gemeinsamen Heimath ist.

Ich habe gesagt, dass viele Schwierigkeiten noch zu überwinden bleiben. Einige der merkwürdigsten hat Dr. HOOKER in seinen botanischen Werken über die antarktischen Regionen mit bewundernswerther Klarheit auseinandergesetzt. Diese können hier nicht erörtert werden. Nur Das will ich bemerken, dass, wenn es sich um das Vorkommen einer Spezies an so ungeheuer von einander entfernten Punkten handelt, wie Kerguelen-Land, Neuseeland und Feuerland sind, nach meiner Meinung (wie auch LYELL annimmt) Eisberge gegen das Ende der Eis-Zeit hin sich[S. 414] reichlich an deren Verbreitung betheiligt haben dürften. Aber das Vorkommen einiger verschiedenen Arten aus ganz südlichen Sippen an diesem oder jenem entlegenen Punkte der südlichen Halbinsel ist nach meiner Theorie der Fortpflanzung mit Abänderung ein weit merkwürdigeres schwieriges Beispiel. Denn einige dieser Arten sind so abweichend, dass sich nicht annehmen lässt, die Zeit von Anbeginn der Eis-Periode bis jetzt könne zu ihrer Wanderung und nachherigen Abänderung bis zur erforderlichen Stufe hingereicht haben. Diese Thatsachen scheinen mir anzuzeigen, dass sehr verschiedene eigenthümliche Arten in strahlenförmiger Richtung von irgend einem gemeinsamen Zentrum ausgegangen; und ich bin geneigt, mich auch in der südlichen so wie in der nördlichen Halbkugel um eine wärmere Periode vor der Eis-Zeit umzusehen, wo die jetzt mit Eis bedeckten antarktischen Länder eine ganz eigenthümliche und abgesonderte Flora besessen haben. Ich vermuthe, dass schon vor der Vertilgung dieser Flora durch die Eis-Periode sich einige wenige Formen derselben durch gelegentliche Transport-Mittel bis zu verschiedenen weit entlegenen Punkten der südlichen Halbkugel verbreitet hatten. Dabei mögen ihnen einige entweder noch vorhandene oder bereits versunkene Inseln als Ruheplätze gedient haben. Und so, glaube ich, haben die südlichen Küsten von Amerika, Neuholland und Neuseeland eine ähnliche Färbung durch gleiche eigenthümliche Formen des Pflanzen-Lebens erhalten.

Sir CH. LYELL hat sich in einer der meinen fast ähnlichen Weise in Vermuthungen ergangen über die Einflüsse grosser Schwankungen des Klimas auf die geographische Verbreitung der Lebenformen. Ich glaube also, dass die Erd-Oberfläche noch unlängst einen von diesen grossen Kreisläufen erfahren hat, und dass durch diese Unterstellung in Verbindung mit der Annahme der Abänderung durch Natürliche Züchtung eine Menge von Thatsachen in der gegenwärtigen Vertheilung von identischen sowohl als verwandten Lebenformen sich erklären lässt. Man könnte sagen, die Ströme des Lebens seyen eine kurze Zeit von Norden und von Süden her geflossen und hätten den Äquator gekreuzt;[S. 415] aber die von Norden her seyen so viel stärker gewesen, dass sie den Süden überschwemmt hätten. Wie die Gezeiten ihren Beitrieb in wagrechten Linien abgesetzt am Strande zurücklassen, jedoch an verschiedenen Küsten zu verschiedenen Höhen ansteigen, so haben auch verschiedene Lebens-Ströme ihr lebendiges Drift auf unsern Berg-Höhen hinterlassen in einer von den arktischen Tiefländern bis zu grossen Äquatorial-Höhen langsam ansteigenden Linie. Die verschiedenen auf dem Strande zurückgelassenen Lebenwesen kann man mit wilden Menschen-Rassen vergleichen, die fast allerwärts zurückgedrängt sich noch in Bergfesten erhalten als interessante Überreste der ehemaligen Bevölkerungen umgebender Flachländer.

Zwölftes Kapitel.
Geographische Verbreitung.
(Fortsetzung.)

Verbreitung der Süsswasser-Bewohner. — Die Bewohner der ozeanischen Inseln. — Abwesenheit von Batrachiern und Land-Säugethieren. — Beziehungen zwischen den Bewohnern der Inseln und der nächsten Festländer. — Über Ansiedelung aus den nächsten Quellen und nachherige Abänderung. — Zusammenfassung der Folgerungen aus dem letzten und dem gegenwärtigen Kapitel.

Da See’n und Fluss-Systeme durch Schranken von Trockenland von einander getrennt werden, so möchte man glauben, dass Süsswasser-Bewohner nicht im Stande seyen sich aus einer Gegend in weite Ferne zu verbreiten. Und doch verhält sich die Sache gerade entgegengesetzt. Nicht allein haben viele Süsswasser-Bewohner aus ganz verschiedenen Klassen selbst eine ungeheure Verbreitung, sondern einander nahe verwandte Formen herrschen auch in auffallender Weise über die ganze Erd-Oberfläche vor. Ich besinne mich noch wohl der Überraschung,[S. 416] die ich fühlte, als ich zum ersten Male in Brasilien Süsswasser-Erzeugnisse sammelte und die Süsswasser-Schaaler und -Kerbthiere mitten in einer ganz verschiedenen Bevölkerung des Trockenlandes den Britischen so ähnlich fand.

Doch kann dieses Vermögen weiter Verbreitung bei den Süsswasser-Bewohnern, wie unerwartet es auch seyn mag, in den meisten Fällen, wie ich glaube, daraus erklärt werden, dass sie in einer für sie sehr nützlichen Weise von Sumpf zu Sumpf und von Strom zu Strom zu wandern fähig sind; woraus sich denn die Neigung zu weiter Verbreitung als eine nothwendige Folge ergeben dürfte. Doch können wir hier nur wenige Fälle in Betracht ziehen. Was die Fische betrifft, so glaube ich, dass eine und dieselbe Spezies niemals in den Süsswassern weit von einander entfernter Kontinente vorkommt, wohl aber verbreitet sie sich in einem nämlichen Festlande oft weit und in anscheinend launischer Weise, so dass zwei Fluss-Systeme einen Theil ihrer Fische miteinander gemein haben, während andre Arten jedem derselben eigenthümlich sind. Einige wenige Thatsachen scheinen ihre gelegenheitliche Versetzung aus einem Fluss in den andern zu erläutern, wie deren in Ostindien schon öfters von Wirbelwinden bewirkte Entführung durch die Luft, wonach sie als Fisch-Regen wieder zur Erde gelangten, und wie die Zählebigkeit ihrer aus dem Wasser entnommenen Eier. Doch bin ich geneigt, die Verbreitung der Süsswasser-Fische vorzugsweise geringen Höhenwechseln des Landes während der gegenwärtigen Periode zuzuschreiben, wodurch manche Flüsse veranlasst worden sind, sich in andrer Weise miteinander zu verbinden. Auch lassen sich Beispiele anführen, dass Diess ohne Veränderungen in den wechselseitigen Höhen durch Fluthen bewirkt worden ist. Der Löss des Rheines bietet uns Belege für ansehnliche Veränderungen der Boden-Höhe in einer ganz neuen geologischen Zeit dar, wo die Oberfläche schon mit ihren jetzigen Arten von Binnenmollusken bevölkert war. Die grosse Verschiedenheit zwischen den Fischen auf den entgegengesetzten Seiten von Gebirgs-Ketten, die schon seit früher Zeit die Wasserscheide der Gegend gebildet und die Ineinandermündung der beiderseitigen[S. 417] Fluss-Systeme gehindert haben müssen, scheint mir zum nämlichen Schlusse zu führen. Was das Vorkommen verwandter Arten von Süsswasser-Fischen an sehr entfernten Punkten der Erd-Oberfläche betrifft, so gibt es zweifelsohne viele Fälle, welche zur Zeit nicht erklärt werden können. Inzwischen stammen einige Süsswasser-Fische von sehr alten Formen ab, welche mithin während grosser geographischer Veränderungen Zeit und Mittel gefunden haben, sich durch weite Wanderungen zu verbreiten. Zweitens können Salzwasser-Fische bei sorgfältigem Verfahren langsam ans Leben im Süsswasser gewöhnt werden, und nach VALENCIENNES gibt es kaum eine gänzlich aufs Süsswasser beschränkte Fisch-Gruppe, so dass wir uns vorstellen können, ein Meeres-Bewohner aus einer übrigens dem Süsswasser angehörigen Gruppe wandre der See-Küste entlang und werde demzufolge abgeändert und endlich in Süsswassern eines entlegenen Landes zu leben befähigt.

Einige Arten von Süsswasser-Konchylien haben eine sehr weite Verbreitung, und verwandte Arten, die nach meiner Theorie von gemeinsamen Ältern abstammen und mithin aus einer einzigen Quelle hervorgegangen sind, walten über die ganze Erd-Oberfläche vor. Ihre Verbreitung setzte mich anfangs in Verlegenheit, da ihre Eier nicht zur Fortführung durch Vögel geeignet sind und wie die Thiere selbst durch Seewasser getödtet werden. Ich konnte daher nicht begreifen, wie es komme, dass einige naturalisirte Arten sich rasch durch eine ganze Gegend verbreitet haben. Doch haben zwei von mir beobachtete Thatsachen — und viele andre bleiben zweifelsohne noch fernerer Beobachtung anheim gegeben — einiges Licht über diesen Gegenstand verbreitet. Wenn eine Ente sich plötzlich aus einem mit Wasserlinsen bedeckten Teiche erhebt, so bleiben oft, wie ich zweimal gesehen habe, welche von diesen kleinen Pflanzen auf ihrem Rücken hängen, und es ist mir geschehen, dass, wenn ich einige Wasserlinsen aus einem Aquarium ins andre versetzte, ich ganz absichtlos das letzte mit Süsswasser-Mollusken des ersten bevölkerte. Doch ist ein andrer Umstand vielleicht noch wirksamer. In Betracht, dass Wasser-Vögel mitunter in Sümpfen[S. 418] schlafen, hängte ich einen Enten-Fuss in einem Aquarium auf, wo viele Eier von Süsswasser-Schnecken auszukriechen im Begriffe waren, und fand, dass bald eine grosse Menge der äusserst kleinen ausgeschlüpften Schnecken an dem Fuss umherkrochen und sich so fest anklebten, dass sie von dem herausgenommenen Fusse nicht abgeschabt werden konnten, obwohl sie in einem etwas mehr vorgeschrittenen Alter freiwillig davon abliessen. Diese frisch ausgeschlüpften Weichthiere, obschon zum Wohnen im Wasser bestimmt, lebten an dem Enten-Fusse in feuchter Luft wohl 12–20 Stunden lang, und während dieser Zeit kann eine Ente oder ein Reiher wenigstens 600–700 Englische (140 Deutsche) Meilen weit fliegen und sich dann wieder in einem Sumpfe oder Bache niederlassen, vielleicht auf einer ozeanischen Insel, wenn ein Sturm denselben erfasst und über’s Meer hin verschlagen hatte. Auch hat mich Sir CH. LYELL benachrichtigt, dass man einen Wasserkäfer (Dyticus) mit einer ihm fest ansitzenden Süsswasser-Napfschnecke (Ancylus) gefangen hat; und ein andrer Wasserkäfer aus der Sippe Colymbetes kam einst an Bord des Beagle geflogen, als dieser 45 Englische Meilen vom nächsten Lande entfernt war; wie viel weiter er aber mit einem günstigen Winde noch gekommen seyn würde, Das vermag Niemand zu sagen.

Was die Pflanzen betrifft, so ist es längst bekannt, was für eine ungeheure Ausbreitung manche Süsswasser- und selbst Sumpf-Gewächse auf den Festländern und bis zu den entferntesten Inseln des Weltmeeres besitzen. Diess ist nach ALPH. DECANDOLLE’S Wahrnehmung am deutlichsten in solchen grossen Gruppen von Landpflanzen zu ersehen, aus welchen nur einige Glieder an Süsswassern leben; denn diese letzten pflegen sofort eine viel grössre Verbreitung als die übrigen zu erlangen. Ich glaube, dass die günstigeren Verbreitungs-Mittel diese Erscheinung erklären können. Ich habe vorhin die Erd-Theilchen erwähnt, welche, wenn auch nur selten und zufällig einmal, an Schnäbeln und Füssen der Vögel hängen bleiben. Sumpfvögel, welche die schlammigen Ränder der Sümpfe aufsuchen, werden meistens schmutzige Füsse haben, wenn sie plötzlich aufgescheucht[S. 419] werden. Nun lässt sich nachweisen, dass gerade Vögel dieser Ordnung die grössten Wanderer sind und zuweilen auf den entferntesten und ödesten Inseln des offenen Weltmeeres angetroffen werden. Sie können sich nicht auf der Oberfläche des Meeres niederlassen, wo der noch an ihren Füssen hängende Schlamm abgewaschen werden könnte; und wenn sie ans Land kommen, werden sie gewiss alsbald ihre gewöhnlichen Aufenthalts-Orte an den Süsswassern aufsuchen. Ich glaube kaum, dass die Botaniker wissen, wie beladen der Schlamm der Sümpfe mit Pflanzen-Saamen ist; ich habe jedoch einige kleine Beobachtungen darüber gemacht, deren zutreffendsten Ergebnisse ich hier mittheilen will. Ich nahm im Februar drei Esslöffel voll Schlamm von drei verschiedenen Stellen unter Wasser, am Rande eines kleinen Sumpfes. Dieser Schlamm getrocknet wog 6¾ Unzen. Ich bewahrte ihn sodann in meinem Arbeitszimmer bedeckt sechs Monate lang auf und zählte und riss jedes aufkeimende Pflänzchen aus. Diese Pflänzchen waren von mancherlei Art und 537 im Ganzen; und doch war all’ dieser zähe Schlamm in einer einzigen Untertasse enthalten. Diesen Thatsachen gegenüber würde es nun geradezu unerklärbar seyn, wenn es nicht mitunter vorkäme, dass Wasser-Vögel die Saamen von Süsswasser-Pflanzen in weite Fernen verschleppten und so zur immer weitern Ausbreitung derselben beitrügen. Und derselbe Zufall mag hinsichtlich der Eier einiger kleiner Süsswasser-Thiere in Betracht kommen.

Auch noch andre und mitunter unbekannte Kräfte mögen dabei ihren Theil haben. Ich habe oben gesagt, dass Süsswasser-Fische manche Arten Sämereien fressen, obwohl sie andre Arten, nachdem sie solche verschlungen haben, wieder auswerfen; selbst kleine Fische verschlingen Saamen von mässiger Grösse, wie die der gelben Wasserlilie und des Potamogeton. Hunderte und abermals Hunderte von Reihern u. a. Vögeln gehen täglich auf den Fischfang aus; wenn sie sich erheben, suchen sie oft andre Wasser auf oder werden auch zufällig übers Meer getrieben; und wir haben gesehen, dass Saamen oft ihre Keimkraft noch besitzen, wenn sie in Gewölle, in Exkrementen u. dgl.[S. 420] einige Stunden später wieder ausgeworfen werden. Als ich die grossen Saamen der herrlichen Wasserlilie, Nelumbium, sah und mich dessen erinnerte, was ALPHONS DECANDOLLE über diese Pflanze gesagt, so meinte ich ihre Verbreitung müsse ganz unerklärbar seyn. Doch AUDUBON versichert, Saamen der grossen südlichen Wasserlilie (nach Dr. HOOKER wahrscheinlich das Nelumbium speciosum) im Magen eines Reihers gefunden zu haben, und, obwohl es mir als Thatsache nicht bekannt ist, so schliesse ich doch aus der Analogie, dass, wenn ein Reiher in solchem Falle nach einem andern Sumpfe flöge und dort eine herzhafte Fisch-Mahlzeit zu sich nähme, er wahrscheinlich aus seinem Magen wieder einen Ballen mit noch unverdauten Nelumbium-Saamen auswerfen würde; oder der Vogel kann diese Saamen verlieren, wenn er seine Jungen füttert, wie er bekanntlich zuweilen einen Fisch fallen lässt[40].

Bei Betrachtung dieser verschiedenen Verbreitungs-Mittel muss man sich noch erinnern, dass, wenn ein Sumpf oder Fluss z. B. auf einer neuen Insel eben erst entsteht, er noch nicht bevölkert ist und ein einzelnes Sämchen oder Ei’chen gute Aussicht auf Fortkommen hat. Auch wenn ein Kampf ums Daseyn zwischen den Individuen der wenigen Arten, die in einem Sumpfe beisammen leben, bereits begonnen hat, so wird in Betracht, dass die Zahl der Arten gegen die auf dem Lande doch geringer ist, der Wettkampf auch wohl minder heftig als der zwischen den Landbewohnern seyn; ein neuer Eindringling, aus der Fremde angelangt, würde mithin auch mehr Aussicht haben eine Stelle zu erobern, als ein neuer Kolonist auf dem trocknen Lande. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass einige und vielleicht viele Süsswasser-Bewohner tief auf der Stufenleiter der Natur stehen und wir mit Grund annehmen können, dass solche tief organisirte Wesen langsamer als die höher ausgebildeten abändern, demzufolge dann ein und die nämliche Art Wasser-bewohnender[S. 421] Organismen längre Zeit wandern kann, als die Arten des trocknen Landes. Endlich müssen wir der Möglichkeit gedenken, dass viele Süsswasser-bewohnende Spezies, nachdem sie sich über ungeheure Flächen verbreitet, in den mitteln Gegenden derselben wieder erloschen seyn können. Aber die weite Verbreitung der Pflanzen und niederen Thiere des Süsswassers, mögen sie nun ihre ursprüngliche Formen unverändert bewahren oder in gewissem Grade verändern, hängt nach meiner Meinung hauptsächlich von der Leichtigkeit ab, womit ihre Saamen und Eier durch andere Thiere und zumal höchst flugfertige Süsswasser-Vögel von einem Gewässer zum andern oft sehr entfernt gelegenen verschleppt werden können. Die Natur hat wie ein sorgfältiger Gärtner ihre Saamen von einem Beete von besondrer Beschaffenheit genommen und sie in ein andres gleichfalls angemessen zubereitetes verpflanzt.

Bewohner der ozeanischen Inseln.) Wir kommen nun zur letzten der drei Klassen von Thatsachen, welche ich als diejenigen bezeichnet habe, welche die grössten Schwierigkeiten für die Ansicht darbieten, dass, weil alle Individuen sowohl der nämlichen Art als auch nahe-verwandter Arten von einem gemeinsamen Stammvater herkommen, auch alle von gemeinsamer Geburtsstätte aus sich über die entferntesten Theile der Erd-Oberfläche, deren Bewohner sie jetzt sind, verbreitet haben müssen. Ich habe bereits erklärt, dass ich nicht wohl mit der FORBES’schen Ansicht übereinstimmen kann, wonach alle Inseln des Atlantischen Ozeans noch in der gegenwärtigen neuesten Periode mit einem der zwei Kontinente ganz oder fast ganz zusammengehangen haben sollen. Diese Ansicht würde zwar allerdings einige Schwierigkeiten beseitigen, dürfte aber keineswegs alle Erscheinungen hinsichtlich der Insel-Bevölkerung erklären. In den nachfolgenden Bemerkungen werde ich mich nicht auf die blosse Frage von der Vertheilung der Arten beschränken, sondern auch einige andre Thatsachen erläutern, welche sich auf die zwei Theorien, die der selbstständigen Schöpfung der Arten und die ihrer Abstammung von einander mit fortwährender Abänderung beziehen.

[S. 422]

Nur wenige Arten aller Klassen bewohnen ozeanische Inseln, im Vergleich zu gleich grossen Flächen festen Landes, wie ALPHONS DECANDOLLE in Bezug auf die Pflanzen und WOLLASTON hinsichtlich der Insekten behaupten. Betrachten wir die erhebliche Grösse und die manchfaltigen Standorte Neuseelands, das über 780 Englische Meilen Breite hat, und vergleichen die Arten seiner Blüthen-Pflanzen, nur 750 an der Zahl, mit denen einer gleich grossen Fläche am Kap der guten Hoffnung oder in Neuholland, so müssen wir, glaube ich, zugestehen, dass etwas von den physikalischen Bedingungen ganz Unabhängiges die grosse Verschiedenheit der Arten-Zahlen veranlasst hat. Selbst die einförmige Umgegend von Cambridge zählt 847 und das kleine Eiland Anglesea 764 Pflanzen-Arten; doch sind auch einige Farne und einige eingeführte Arten in diesen Zahlen mitbegriffen und ist die Vergleichung auch in einigen andern Beziehungen nicht ganz richtig. Wir haben Beweise, dass das kahle Eiland Ascension bei seiner Entdeckung nicht ein halbes Dutzend Blüthen-Pflanzen besass; jetzt sind viele dort naturalisirt, wie es eben auch auf Neuseeland und auf allen andern ozeanischen Inseln der Fall ist. Auf St. Helena nimmt man mit Grund an, dass die naturalisirten Pflanzen und Thiere schon viele einheimische Natur-Erzeugnisse gänzlich oder fast gänzlich vertilgt haben. Wer also der Lehre von der selbstständigen Erschaffung aller einzelnen Arten beipflichtet, der wird zugestehen müssen, dass auf den ozeanischen Inseln keine hinreichende Anzahl bestens angepasster Pflanzen und Thiere geschaffen worden seye, indem der Mensch diese Inseln ganz absichtlos aus verschiedenen Quellen viel besser und vollständiger als die Natur bevölkert hat.

Obwohl auf ozeanischen Inseln die Arten-Zahl der Bewohner im Ganzen dürftig, so ist doch das Verhältniss der endemischen, d. h. sonst nirgends vorkommenden Arten oft ausserordentlich gross. Diess ergibt sich, wenn man z. B. die Anzahl der endemischen Landschnecken auf Madeira, oder der endemischen Vögel im Galapagos-Archipel mit der auf irgend einem Kontinente gefundenen Zahl vergleicht und dann auch die beiderseitige Flächen-Ausdehnung gegeneinander hält. Dieses war nach meiner[S. 423] Theorie zu erwarten; denn, wie bereits erklärt worden, sind Arten, welche nach langen Zwischenzeiten gelegenheitlich in einen neuen und abgeschlossenen Bezirk kommen und dort mit neuen Genossen zu kämpfen haben, in ausgezeichnetem Grade abzuändern geneigt und bringen oft Gruppen modifizirter Nachkommen hervor. Daraus folgt aber keineswegs, dass, weil auf einer Insel fast alle Arten einer Klasse eigenthümlich sind, auch die der übrigen Klassen oder auch nur einer besondren Sektion derselben Klasse eigenthümlich seyn müsse; und dieser Unterschied scheint theils davon herzurühren, dass diejenigen Arten, welche nicht abänderten, leicht und gemeinsam eingewandert sind, so dass ihre gegenseitigen Beziehungen nicht viel gestört wurden, theils kann er aber auch von der häufigen Ankunft unveränderter Einwandrer aus dem Mutterlande und der nachherigen Kreutzung mit vorigen bedingt seyn. Hinsichtlich der Wirkung einer solchen Kreutzung ist zu bemerken, dass die aus derselben entspringenden Nachkommen gewiss sehr kräftig werden müssen, indem selbst eine zufällige Kreutzung wirksamer zu seyn pflegt, als man voraus erwarten möchte. Ich will einige Beispiele anführen. Auf den Galapagos-Eilanden gibt es 26 Landvögel, wovon 21 (oder vielleicht 23) endemisch sind, während von den 11 Seevögeln ihnen nur zwei eigenthümlich angehören, und es liegt auf der Hand, dass Seevögel leichter als Landvögel nach diesen Eilanden gelangen können. Bermuda dagegen, welches ungefähr eben so weit von Nord-Amerika, wie die Galapagos von Süd-Amerika, entfernt liegt und einen eigenthümlichen Boden besitzt, hat nicht eine endemische Art von Landvögeln, und wir wissen aus Herrn J. M. JONES’ trefflichem Berichte über Bermuda, dass sehr viele Nord-Amerikanische Vögel auf ihren grossen jährlichen Zügen diese Insel theils regelmässig und theils auch einmal zufällig berühren. Nach der Insel Madeira werden fast alljährlich, wie mir Hr. E. V. HARCOURT gesagt, viele Europäische und Afrikanische Vögel verschlagen. Es ist von 99 Vögel-Arten bewohnt, von welchen nur 1 der Insel eigenthümlich, aber mit einer Europäischen Form sehr nahe verwandt ist; aber 3–4 andre sind auf diese und die Canarischen Inseln beschränkt.[S. 424] So sind diese beiden Inseln Bermuda und Madeira mit Vögel-Arten besetzt worden, welche schon seit langen Zeiten in ihrer früheren Heimath miteinander gekämpft haben und einander angepasst worden sind, nachdem sie sich nun in ihrer neuen Heimath angesiedelt, hat jede Art den andern gegenüber ihre alte Stelle und Lebensweise behauptet und mithin keine neuen Modifikationen erfahren. Auch ist jede Neigung zur Abänderung durch die Kreutzung mit den fortwährend aus dem Mutterlande unverändert nachkommenden neuen Einwanderern gehemmt worden. Madeira ist ferner von einer wundersamen Anzahl eigenthümlicher Landschnecken-Arten bewohnt, während nicht eine einzige Art von Weichthieren auf seine Küsten beschränkt ist. Obwohl wir nun nicht wissen, auf welche Weise die meerischen Schaalthiere sich verbreiten, so lässt sich doch einsehen, dass ihre Eier oder Larven vielleicht an Seetang und Treibholz ansitzend oder an den Füssen der Waldvögel hängend weit leichter als Land-Mollusken 300–400 Meilen weit über die offne See fortgeführt werden können. Die verschiedenen Insekten-Klassen auf Madeira scheinen analoge Thatsachen darzubieten.

Ozeanische Inseln sind zuweilen unvollständig in gewissen Klassen, deren Stellen anscheinend durch andere Einwohner derselben eingenommen werden. So vertreten auf den Galapagos Reptilien und auf Neuseeland Flügel-lose Riesen-Vögel die Stelle der Säugthiere. Obwohl aber Neuseeland hier unter den ozeanischen Inseln mit besprochen wird, so ist es doch zweifelhaft ob es mit Recht dazu gezählt werde; denn es ist von ansehnlicher Grösse und durch kein tiefes Meer von Neuholland getrennt. Nach seinem geologischen Charakter und dem Streichen seiner Gebirgs-Ketten möchte W. B. CLARKE diese Insel nebst Neu-Caledonien nur als Anhängsel von Neuholland betrachtet sehen. Was die Pflanzen der Galapagos betrifft, so hat Dr. HOOKER gezeigt, dass das Zahlen-Verhältniss zwischen den verschiedenen Ordnungen ein ganz andres als sonst allerwärts ist. Solche Erscheinungen setzt man gewöhnlich auf Rechnung der physikalischen Bedingungen der Inseln; aber diese Erklärung dünkt mir etwas zweifelhaft zu seyn. Leichtigkeit der Einwanderung ist,[S. 425] wie mir scheint, wenigstens eben so wichtig als die Natur der Lebens-Bedingungen gewesen.

Rücksichtlich der Bewohner abgelegener Inseln lassen sich viele merkwürdige kleine Erscheinungen anführen. So haben z. B. auf gewissen nicht mit Säugthieren besetzten Eilanden einige endemische Pflanzen prächtig mit Häkchen versehene Saamen; und doch gibt es nicht viele Beziehungen, die augenfälliger wären, als die Eignung mit Haken besetzter Saamen für den Transport durch die Haare und Wolle der Säugthiere. Dieser Fall bietet nach meiner Meinung keine Schwierigkeit dar, indem Haken-reiche Saamen leicht noch durch andre Mittel von Insel zu Insel geführt werden können, wo dann die Pflanze etwas verändert, aber ihre widerhakenigen Saamen behaltend eine endemische Form bildet, für welche diese Haken einen nun eben so unnützen Anhang bilden, wie es rudimentäre Organe, z. B. die runzeligen Flügel unter den zusammen-gewachsenen Flügeldecken mancher insulären Käfer sind. Auch besitzen Inseln oft Bäume oder Büsche aus Ordnungen, welche anderwärts nur Kräuter darbieten; nun aber haben Bäume, wie ALPH. DECANDOLLE gezeigt hat, gewöhnlich nur beschränkte Verbreitungs-Gebiete, was immer die Ursache dieser Erscheinung seyn mag. Daher ergibt sich dann ferner, dass Baum-Arten wenig geeignet sind, entlegene organische Inseln zu erreichen; und eine Kraut-artige Pflanze, wenn sie auch keine Aussicht auf Erfolg im Wettkampfe mit einem schon vollständig entwickelten Baume hat, kann, wenn sie bei ihrer ersten Ansiedelung auf einer Insel nur mit andern Kraut-artigen Pflanzen allein in Mitbewerbung tritt, leicht durch immer höher strebenden Wuchs ein Übergewicht über dieselben erlangen. Ist Diess der Fall, so mag Natürliche Züchtung den Wuchs Kraut-artiger Pflanzen, die auf einer ozeanischen Insel wachsen, aus welcher Ordnung sie immer seyn mögen, oft etwas zu verstärken und dieselben erst in Büsche und endlich in Bäume zu verwandeln geneigt seyn.

Was die Abwesenheit ganzer Organismen-Ordnungen auf ozeanischen Inseln betrifft, so hat BORY DE ST.-VINCENT schon längst bemerkt, dass Batrachier (Frösche, Kröten und Molge) nie auf[S. 426] einer der vielen Inseln gefunden worden sind, womit der grosse Ozean besäet ist. Ich habe mich bemühet diese Behauptung zu prüfen und habe sie genau richtig befunden. Inzwischen hat Dr. HOCHSTETTER in den Bergen von Neuseeland jetzt einen Frosch gefunden, der (was höchst merkwürdig) mit einer Süd-Amerikanischen Form zunächst verwandt ist. Aber gefrorene der Wiederbelebung fähige Frösche sind in Gletschern eingebettet gefunden worden, und es scheint sogar möglich, dass ein Frosch[41] oder sein Laich auf einem der grossen Eisberge des Südpolar-Ozeans von den antarktischen Inseln dahin geführt worden ist, von welchen die höchst eigenthümlichen Pflanzen-Formen ausgegangen sind, welche Neuholland, Neuseeland und die Süd-Spitze Amerika’s mit einander gemein haben. Dieser allgemeine Mangel an Fröschen, Kröten und Molgen auf so vielen ozeanischen Inseln lässt sich nicht aus ihrer natürlichen Beschaffenheit erklären, indem es vielmehr scheint, dass dieselben recht gut für diese Thiere geeignet wären; denn Frösche sind auf Madeira, den Azoren und auf Mauritius eingeführt worden, um sie als Nahrungsmittel zu vervielfältigen. Da aber bekanntlich diese Thiere so wie ihr Laich durch Seewasser unmittelbar getödtet werden, so ist leicht zu ersehen, dass deren Transport über Meer sehr schwierig seye und sie aus diesem Grunde auf keiner ozeanischen Insel existiren. Dagegen würde es nach der Schöpfungs-Theorie sehr schwer seyn zu erklären, weshalb sie auf diesen Inseln nicht erschaffen worden seyen.

Säugthiere bieten einen andern Fall ähnlicher Art dar. Ich habe die ältesten Reisewerke sorgfältig durchgegangen und zwar meine Arbeit noch nicht beendigt, aber bis jetzt noch kein unzweifelhaftes Beispiel gefunden, dass ein Land-Säugthier (von den gezähmten Hausthieren der Eingebornen abgesehen) irgend eine über 300 Engl. Meilen weit von einem Festlande oder einer Kontinental-Insel entlegene Insel bewohnt habe; und viele Inseln in viel geringeren Abständen entbehren derselben ebenfalls[S. 427] gänzlich. Die Falklands-Inseln, welche von einem Wolf-artigen Fuchse bewohnt sind, scheinen zunächst eine Ausnahme zu machen, können aber nicht als ozeanisch gelten, da sie auf einer mit dem Festlande zusammen-hängenden Bank 280 Engl. Meilen von diesem entfernt liegen; und da schwimmende Eisberge Fels-Blöcke an ihren westlichen Küsten abgesetzt, so könnten dieselben auch wohl einmal Füchse mitgebracht haben, wie das jetzt in den arktischen Gegenden oft vorkommt. Doch kann man nicht behaupten, dass kleine Inseln nicht auch kleine Säugthiere ernähren können; denn es ist dies in der That mit sehr kleinen Inseln der Fall, wenn sie dicht an einem Kontinente liegen; und schwerlich lässt sich eine Insel bezeichnen, auf der unsre kleinen Säugthiere sich nicht naturalisirt und vermehrt hätten. Nach der gewöhnlichen Ansicht von der Schöpfung könnte man nicht sagen, dass nicht Zeit zur Schöpfung von Säugthieren gewesen seye; viele vulkanische Inseln sind auch alt genug, wie sich theils aus der ungeheuren Zerstörung, die sie bereits erfahren, und theils aus dem Vorkommen tertiärer Schichten auf ihnen ergibt; auch ist Zeit gewesen zur Hervorbringung endemischer Arten aus andern Klassen; und auf Kontinenten erscheinen und verschwinden Säugthiere bekanntlich in rascherem Wechsel als die andern tiefer-stehenden Thiere. Aber wenn auch Land-Säugethiere auf ozeanischen Inseln nicht vorhanden, so finden sich doch fliegende Säugthiere fast auf jeder Insel ein. Das nur mit Zweifel hieher bezogene Neuseeland besitzt zwei Fledermäuse, die sonst nirgends in der Welt vorkommen; die Norfolk-Insel, der Viti-Archipel, die Bonins-Inseln, die Marianen- und Carolinen-Gruppen und Mauritius: alle besitzen ihre eigenthümlichen Fledermaus-Arten. Warum, kann man nun fragen, hat die angebliche Schöpfungs-Kraft auf diesen entlegenen Inseln nur Fledermäuse und keine andern Säugthiere hervorgebracht? Nach meiner Anschauungs-Weise lässt sich diese Frage leicht beantworten, da kein Land-Säugthier über so weite Meeres-Strecken hinwegkommen kann, welche Fledermäuse noch zu überfliegen im Stande sind. Man hat Fledermäuse bei Tage weit über den Atlantischen Ozean ziehen sehen und zwei Nord-Amerikanische[S. 428] Arten derselben besuchen die Bermuda-Insel, 600 Engl. Meilen vom Festlande, regelmässig oder zufällig. Ich höre von Mr. TOMES, welcher diese Familie näher studirt hat, dass viele Arten derselben einzeln genommen eine ungeheure Verbreitung besitzen und sowohl auf Kontinenten als weit entlegenen Inseln zugleich vorkommen. Wir brauchen daher nur zu unterstellen, dass solche wandernde Arten durch Natürliche Züchtung der Bedingungen ihrer neuen Heimath angemessen modificirt worden seyen, und wir werden das Vorkommen von Fledermäusen auf solchen Inseln begreifen, wo sonst keine Land-Säugthiere vorhanden sind.

Neben der Abwesenheit der Land-Säugthiere auf Inseln, welche von Kontinenten entlegen sind, ist noch eine andre Beziehung in einer bis zu gewissem Grade davon unabhängigen Weise zu berücksichtigen, die Beziehung nämlich zwischen der Tiefe des eine Insel vom Festlande trennenden Meeres und dem Vorkommen gleicher oder verwandter Säugthier-Arten auf beiden. Hr. WINDSOR EARL hat einige treffende Beobachtungen in dieser Hinsicht über den grossen Malayischen Archipel gemacht, welcher in der Nähe von Celebes von einem Streifen sehr tiefen Meeres durchschnitten wird, der zwei ganz verschiedene Säugthier-Faunen trennt. Auf der einen Seite desselben liegen die Inseln auf mässig tiefen untermeerischen Bänken und sind von einander nahe verwandten oder ganz identischen Säugthier-Arten bewohnt. Allerdings kommen auch in dieser Insel-Gruppe einige wenige Anomalien vor und ist es in einigen Fällen ziemlich schwer zu beurtheilen, in wie ferne die Verbreitung gewisser Säugthiere durch Naturalisirung von Seiten des Menschen bedingt ist; inzwischen werden die eifrigen Forschungen des Hrn. WALLACE bald mehr Licht auf die Naturgeschichte dieser Inseln werfen. Ich habe bisher nicht Zeit gefunden, diesem Gegenstand auch in andern Welt-Gegenden nachzuforschen; so weit ich aber damit gekommen bin, bleiben die Beziehungen sich gleich. Wir sehen Britannien durch einen schmalen Kanal vom Europäischen Festlande getrennt, und die Säugthier-Arten sind auf beiden Seiten die nämlichen. Ähnlich verhält es sich mit vielen nur durch schmale Meerengen von Neuholland geschiedenen Eilanden. Die[S. 429] Westindischen Inseln stehen auf einer fast 1000 Faden tief untergetauchten Bank; und hier finden wir zwar Amerikanische Formen, aber von denen des Festlandes verschiedene Arten und Sippen. Da das Maass der Abänderung überall in gewissem Grade von der Zeitdauer abhängt und es eher anzunehmen ist, dass durch seichte Meerengen abgesonderte Inseln länger als die durch tiefe Kanäle geschiedenen mit dem Festlande in Zusammenhang geblieben sind, so vermag man den Grund einer oftmaligen Beziehung zwischen der Tiefe des Meeres und dem Verwandtschafts-Grad einzusehen, der zwischen der Säugthier-Bevölkerung einer Insel und derjenigen des benachbarten Festlandes besteht, eine Beziehung, welche bei Annahme einer selbstständigen Schöpfung jeder Spezies ganz unerklärbar bleibt.

Alle vorangehenden Wahrnehmungen über die Bewohner ozeanischer Eilande, insbesondere die Spärlichkeit der Arten, die Menge endemischer Formen in einzelnen Klassen oder deren Unterabtheilungen, das Fehlen ganzer Gruppen wie der Batrachier und der am Boden lebenden Säugthiere trotz der Anwesenheit fliegender Fledermäuse, die eigenthümlichen Zahlen-Verhältnisse in manchen Pflanzen-Ordnungen, die Verwandlung Kraut-artiger Pflanzen-Formen in Bäume, alle scheinen sich mit der Ansicht, dass im Verlaufe langer Zeiträume gelegenheitliche Transport-Mittel viel zur Verbreitung der Organismen mitgewirkt haben, besser als mit der Meinung zu vertragen, dass alle unsre ozeanischen Inseln vordem in unmittelbarem Zusammenhang mit dem nächsten Festlande gestanden seyen; denn in diesem letzten Falle würde die Einwanderung wohl vollständig gewesen seyn und müssten, wenn man Abänderung zulassen will, alle Lebenformen in gleicherer Weise, der äussersten Wichtigkeit der Beziehung von Organismus zu Organismus entsprechend, modificirt worden seyn.

Ich will nicht läugnen, dass da noch viele und grosse Schwierigkeiten vorliegen zu erklären, auf welche Weise manche Bewohner vereinzelter Inseln, mögen sie nun ihre anfängliche Form beibehalten oder seit ihrer Ankunft abgeändert haben, bis zu ihrer gegenwärtigen Heimath gelangt seyen. Ich will nur ein[S. 430] Beispiel dieser Art anführen. Fast alle und selbst die abgelegensten und kleinsten ozeanischen Inseln sind von Land-Schnecken bewohnt, und zwar meistens von endemischen, doch zuweilen auch von anderwärts vorkommenden Arten. Dr. AUG. A. GOULD hat einige interessante Fälle von Land-Schnecken auf den Inseln des stillen Meeres mitgetheilt. Nun ist eine anerkannte Thatsache, dass Land-Schnecken durch Salz sehr leicht zu tödten sind, und ihre Eier (oder wenigstens diejenigen, womit ich Versuche angestellt) sinken im See-Wasser unter und verderben. Und doch muss es meiner Meinung nach irgend ein unbekanntes aber höchst wirksames Verbreitungs-Mittel für dieselben geben. Sollten vielleicht die jungen eben dem Eie entschlüpften Schneckchen an den Füssen irgend eines am Boden ausruhenden Vogels emporkriechen und dann von ihm weiter getragen werden? Es kam mir vor, als ob Land-Schnecken, im Zustande des Winterschlafs begriffen und mit einem Winterdeckel auf ihrer Schaalen-Mündung versehen, in Spalten von Treibholz über ziemlich breite See-Arme müssten geführt werden können, ohne zu leiden. Ich fand sodann, dass verschiedene Arten in diesem Zustande ohne Nachtheil sieben Tage lang im See-Wasser liegen bleiben können. Eine dieser Arten war Helix pomatia, die ich nach längerer Winterruhe noch zwanzig Tage lang in See-Wasser legte, worauf sie sich wieder vollständig erholte. Da diese Art einen dicken kalkigen Deckel besitzt, so nahm ich ihn ab, und als sich hierauf wieder ein neuer häutiger Deckel gebildet hatte, tauchte ich sie noch vierzehn Tage in See-Wasser, worauf sie wieder vollkommen zu sich kam und davon kroch; indessen weitere Versuche in dieser Beziehung fehlen noch.

Die triftigste und für uns wichtigste Thatsache hinsichtlich der Insel-Bewohner ist ihre Verwandtschaft mit den Bewohnern des nächsten Festlandes, ohne mit denselben von gleichen Arten zu seyn. Davon liessen sich zahllose Beispiele anführen. Ich will mich jedoch auf ein einziges beschränken, auf das der Galapagos-Inseln, welche 500–600 Engl. Meilen von der Küste Süd-Amerika’s liegen. Hier trägt fast jedes Land- wie Wasser-Produkt ein unverkennbares kontinental-amerikanisches Gepräge.[S. 431] Dabei befinden sich 26 Arten Land-Vögel, von welchen 21 oder vielleicht 23 als eigenthümliche und hier geschaffene Arten angesehen werden; und doch ist die nahe Verwandtschaft der meisten dieser Vögel mit Amerikanischen Arten in jedem ihrer Charaktere, in Lebens-Weise, Betragen und Ton der Stimme offenbar. So ist es auch mit andern Thieren und, wie Dr. HOOKER in seinem ausgezeichneten Werke über die Flora dieser Insel-Gruppe gezeigt, mit fast allen Pflanzen. Der Naturforscher, welcher die Bewohner dieser vulkanischen Inseln des stillen Meeres betrachtet, fühlt, dass er auf Amerikanischem Boden steht, obwohl er noch einige hundert Meilen von dem Festlande entfernt ist. Wie mag Diess kommen? Woher sollten die, angeblich nur im Galapagos-Archipel und sonst nirgends erschaffenen Arten diesen so deutlichen Stempel der Verwandtschaft mit den in Amerika geschaffenen haben? Es ist nichts in den Lebens-Bedingungen, nichts in der geologischen Beschaffenheit, nichts in der Höhe oder dem Klima dieser Inseln noch in dem Zahlen-Verhältnisse der verschiedenen hier zusammengestellten Klassen, was den Lebens-Bedingungen auf den Süd-Amerikanischen Küsten sehr ähnlich wäre; ja es ist sogar ein grosser Unterschied in allen Beziehungen vorhanden. Anderseits aber ist eine grosse Ähnlichkeit zwischen der vulkanischen Natur des Bodens, dem Klima und der Grösse und Höhe der Inseln der Galapagos einer- und der Capverdischen Gruppe anderseits. Aber welche unbedingte und gänzliche Verschiedenheit in ihren Bewohnern! Die der Inseln des grünen Vorgebirges stehen zu Afrika im nämlichen Verhältnisse, wie die der Galapagos zu Amerika. Ich glaube, diese bedeutende Thatsache hat von der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der Arten keine Erklärung zu erwarten, während nach der hier aufgestellten Ansicht es offenbar ist, dass die Galapagos entweder durch gelegenheitliche Transport-Mittel oder in Folge eines früheren unmittelbaren Zusammenhangs mit Amerika von diesem Welttheile, wie die Capverdischen Inseln von Afrika aus, bevölkert worden sind, und dass, obwohl diese Kolonisten Abänderungen erfahren haben, sie doch ihre erste Geburts-Stätte durch das Vererblichkeits-Prinzip verrathen.

[S. 432]

Und so liessen sich noch viele analoge Fälle anführen; denn es ist in der That eine fast allgemeine Regel, dass die endemischen Erzeugnisse der Inseln mit denen der nächsten Festländer oder andrer benachbarter Inseln in Beziehung stehen. Ausnahmen sind selten und gewöhnlich leicht erklärbar. So sind die Pflanzen von Kerguelen-Land, obwohl dieses näher bei Afrika als bei Amerika liegt, nach Dr. HOOKER’S Bericht sehr enge mit denen der Amerikanischen Flora verwandt; doch erklärt sich diese Abweichung durch die Annahme, dass die genannte Insel hauptsächlich durch strandende Eisberge bevölkert worden seye, welche den vorherrschenden See-Strömungen folgend Steine und Erde voll Saamen mit sich geführt haben. Neuseeland ist hinsichtlich seiner endemischen Pflanzen mit Neuholland als dem nächsten Kontinente näher als mit irgend einer andern Gegend verwandt, wie es zu erwarten ist; es hat aber auch offenbare Verwandtschaft mit Süd-Amerika, das, wenn auch das zweitnächste Festland, so ungeheuer entfernt ist, dass die Thatsache als eine Anomalie erscheint. Doch auch diese Schwierigkeit verschwindet grösstentheils unter der Voraussetzung, dass Neuseeland, Süd-Amerika u. a. südliche Länder vor langen Zeiten theilweise von einem entfernt gelegenen Mittelpunkte, nämlich von den antarktischen Inseln aus bevölkert worden seyen, vor dem Anfange der Eis-Periode. Die, wenn auch nur schwache, aber nach Dr. HOOKER doch thatsächliche Verwandtschaft zwischen den Floren der südwestlichen Spitzen Australiens und des Caps der guten Hoffnung ist ein viel merkwürdigerer Fall und für jetzt unerklärlich; doch ist dieselbe auf die Pflanzen beschränkt und wird auch ihrerseits sich gewiss eines Tages noch aufklären lassen.

Das Gesetz, vermöge dessen die Bewohner eines Archipels, wenn auch in den Arten verschieden, zumeist mit denen des nächsten Festlandes übereinstimmen, wiederholt sich zuweilen in kleinerem Maassstabe aber in sehr interessanter Weise innerhalb einer und der nämlichen Insel-Gruppe. Namentlich haben ganz wunderbarer Weise die verschiedenen Inseln des nur kleinen Galapagos-Archipels, wie schon anderwärts gezeigt worden, ihre eigenthümlichen Bewohner, so dass fast auf jeder derselben andre[S. 433] Arten vorkommen, welche aber in unvergleichbar näherer Verwandtschaft zu einander stehen, als die irgend eines andern Theiles der Welt. Und Diess ist nach meiner Anschauungs-Weise zu erwarten gewesen, da die Inseln so nahe beisammen liegen, dass alle zuverlässig ihre Einwanderer entweder aus gleicher Urquelle oder eine von der andern erhalten haben müssen. Aber man könnte gerade die Verschiedenheit zwischen den endemischen Bewohnern der einzelnen Inseln als Argument gegen meine Ansicht gebrauchen; denn man könnte fragen, wie es komme, dass auf diesen verschiedenen Inseln, welche einander in Sicht liegen und die nämliche geologische Beschaffenheit, dieselbe Höhe und das gleiche Klima besitzen, so viele Einwanderer auf jeder in einer andren und doch nur wenig verschiedenen Weise modifizirt worden seyen? Diess ist auch mir lange Zeit als eine grosse Schwierigkeit erschienen, was aber hauptsächlich von dem tief eingewurzelten Irrthum herrührt, die physischen Bedingungen einer Gegend als das Wichtigste für deren Bewohner zu betrachten, während doch nicht in Abrede gestellt werden kann, dass die Natur der übrigen Organismen, mit welchen sie selbst zu kämpfen haben, wenigstens eben so hoch anzuschlagen und gewöhnlich eine noch wichtigere Bedingung ihres Gedeihens seye. Wenn wir nun diejenigen Bewohner der Galapagos, welche als nämliche Spezies auch in andern Gegenden der Erde noch vorkommen (wobei für einen Augenblick die endemischen Arten ausser Betracht bleiben müssen, weil wir die seit der Ankunft dieser Organismen auf den genannten Inseln erfolgten Umänderungen untersuchen wollen), so finden wir einen grossen Unterschied zwischen den einzelnen Inseln selbst. Diese Verschiedenheit wäre aus der Annahme erklärlich, dass die Inseln durch gelegenheitliche Transport-Mittel bestockt worden seyen, so dass z. B. der Saame einer Pflanzen-Art zu einer und der einer andern zu einer andern Insel gelangt wäre. Wenn daher in früherer Zeit ein Einwandrer sich auf einer oder mehren der Inseln angesiedelt oder sich später von einer zu der andern Insel verbreitet hätte, so würde er zweifelsohne auf den verschiedenen Inseln verschiedenen Lebens-Bedingungen ausgesetzt gewesen seyn; denn[S. 434] er hätte auf jeder Insel mit andern Organismen zu werben gehabt. Eine Pflanze z. B. hätte den für sie am meisten geeigneten Grund auf der einen Insel schon vollständiger von andern Pflanzen eingenommen gefunden, als auf der andern, und wäre den Angriffen etwas verschiedener Feinde ausgesetzt gewesen. Wenn sie nun abänderte, so wird die Natürliche Züchtung wahrscheinlich auf verschiedenen Inseln verschiedene Varietäten begünstigt haben. Einzelne Arten jedoch werden sich über die ganze Gruppe verbreitet und überall den nämlichen Charakter beibehalten haben, wie wir auch auf Festländern manche weit verbreitete Spezies überall unverändert bleiben sehen.

Doch die wahrhaft überraschende Thatsache auf den Galapagos wie in minderem Grade in einigen anderen Fällen besteht darin, dass sich die neu-gebildeten Arten nicht über die ganze Insel-Gruppe ausgebreitet haben. Aber die einzelnen Inseln, wenn auch in Sicht von einander gelegen, sind durch tiefe Meeres-Arme, meistens breiter als der britische Kanal, von einander geschieden, und es liegt kein Grund zur Annahme vor, dass sie früher unmittelbar mit einander vereinigt gewesen seyen. Die Seeströmungen sind heftig und gehen queer durch den Archipel hindurch, und heftige Windstösse sind ausserordentlich selten, so dass die Inseln thatsächlich stärker von einander geschieden sind, als Diess beim Ansehen einer Karte scheinen mag. Demungeachtet sind doch ziemlich viele Arten, sowohl anderwärts vorkommende wie dem Archipel eigenthümlich angehörende, mehren Inseln gemeinsam, und einige Verhältnisse führen zur Vermuthung, dass diese sich wahrscheinlich von einem der Eilande aus zu den andern verbreitet haben. Aber wir bilden uns, wie ich glaube, oft eine irrige Meinung über die Wahrscheinlichkeit, dass nahe verwandte Arten bei freiem Verkehre die eine ins Gebiet der andern vordringen werden. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass, wenn eine Art irgend einen Vortheil über eine andere hat, sie dieselbe in kurzer Zeit mehr oder weniger ersetzen wird; wenn aber beide gleich gut für ihre Stellen in der Natur gemacht sind, so werden sie wahrscheinlich ihre eigenen Plätze behaupten und für alle Zeit behalten. Wenn wir wissen,[S. 435] dass viele von Menschen einmal naturalisirte Arten sich mit erstaunlicher Schnelligkeit über neue Gegenden verbreitet haben, so sind wir wohl zu glauben geneigt, dass die meisten Arten es ebenso machen würden; aber wir müssen bedenken, dass die in neuen Gegenden naturalisirten Formen gewöhnlich keine nahen Verwandten der Ureinwohner, sondern eigenthümliche Arten sind, welche nach ALPH. DECANDOLLE verhältnissmässig sehr oft auch besondern Sippen angehören. Auf den Galapagos sind sogar viele Vögel, welche ganz wohl im Stande wären von Insel zu Insel zu fliegen, von einander verschieden, wie z B. drei einander nahe stehende Arten von Spottdrosseln jede auf ein besondres Eiland beschränkt sind. Nehmen wir nun an, die Spottdrossel von Chatam-Island werde durch einen Sturm nach Charles-Island verschlagen, das schon seine eigene Spottdrossel hat, wie sollte sie dazu gelangen sich hier festzusetzen? Wir dürfen mit Gewissheit annehmen, dass Charles-Island mit ihrer eigenen Art wohl besetzt ist, indem jährlich mehr Eier dort gelegt werden als auskommen können, und wir dürfen ferner annehmen, dass die Art von Charles-Island für diese ihre Heimath wenigstens eben so gut geeignet ist als der neue Ankömmling. Sir CH. LYELL und Hr. WOLLASTON haben mir eine merkwürdige zur Erläuterung dieser Verhältnisse dienende Thatsache mitgetheilt, dass nämlich Madeira und das dicht dabei gelegene Porto Santo viele einander vertretende Landschnecken besitzen, von welchen einige in Fels-Spalten leben; und obwohl grosse Stein-Massen jährlich von Porto Santo nach Madeira gebracht werden, so ist doch diese letzte Insel noch nicht mit den Arten von Porto Santo bevölkert worden; aber auf beiden Inseln haben sich Europäische Arten angesiedelt, weil sie zweifelsohne irgend einen Vortheil vor den eingeborenen voraus hatten. Hiernach werden wir uns nicht mehr sehr darüber wundern dürfen, dass die endemischen und die stellvertretenden Arten, welche die verschiedenen Galapagos-Inseln bewohnen, sich noch nicht von Insel zu Insel verbreitet haben. In vielen andern Fällen, wie in den verschiedenen Bezirken eines Kontinentes, mag die frühere Besitzergreifung durch eine Art wesentlich dazu beigetragen haben,[S. 436] die Vermischung von Arten unter gleichen Lebens-Bedingungen zu hindern. So haben die südöstliche und südwestliche Ecke Neuhollands eine nahezu gleiche physikalische Beschaffenheit und sind durch zusammenhängendes Land miteinander verkettet, aber gleichwohl durch eine grosse Anzahl verschiedener Säugethier-, Vögel- und Pflanzen-Arten bewohnt.

Das Prinzip, welches den allgemeinen Charakter der Fauna und Flora der ozeanischen Inseln bestimmt, dass nämlich deren Bewohner, wenn nicht genau die nämlichen Arten, doch offenbar mit den Bewohnern derjenigen Gegenden am nächsten verwandt sind, von welchen aus die Kolonisirung am leichtesten stattfinden konnte, und dass die Kolonisten nachher abgeändert und für ihre neue Heimath geschickter gemacht worden sind: dieses Prinzip ist von der weitesten Anwendbarkeit in der ganzen Natur. Wir sehen Diess an jedem Berg, in jedem See, in jedem Marschlande. Denn die alpinen Arten, mit Ausnahme der durch die Glacial-Ereignisse weithin verbreiteten Formen hauptsächlich von Pflanzen, sind mit denen der umgebenden Tiefländer verwandt; und so haben wir in Süd-Amerika alpine Kolibris, alpine Nager, alpine Pflanzen, aber alle von streng Amerikanischen Formen; und es liegt nahe, dass ein Gebirge während seiner allmählichen Emporhebung aus den benachbarten Tiefländern auf natürliche Weise kolonisirt worden seye. So ist es auch mit den Bewohnern der Seen und Marschen, so weit nicht durch grosse Leichtigkeit der Überführung aus einer Gegend in die andre die ganze Erd-Oberfläche mit den nämlichen allgemeinen Formen versehen worden ist. Wir sehen dasselbe Prinzip bei den blinden Höhlen-Thieren Europas und Amerikas, sowie in manchen andern Fällen. Es wird sich nach meiner Meinung überall bestätigen, dass, wo immer in zwei sehr von einander entfernten Gegenden viele nahe-verwandte oder stellvertretende Arten vorkommen, auch einige identische Arten vorhanden sind, welche in Übereinstimmung mit der vorangehenden Ansicht zeigen, dass in irgend einer früheren Periode ein Verkehr oder eine Wanderung zwischen beiden Gegenden stattgefunden hat. Und wo immer nahe verwandte Arten vorkommen, da werden auch viele Formen seyn, welche einige[S. 437] Naturforscher als besondre Arten und andre nur als Varietäten betrachten. Diese zweifelhaften Formen drücken uns die Stufen in der fortschreitenden Abänderung aus.

Diese Beziehung zwischen Wanderungs-Vermögen und Ausdehnung einer Art, (seye es in jetziger Zeit oder in einer früheren Periode unter verschiedenen natürlichen Bedingungen) und dem Vorkommen andrer verwandter Arten in entfernten Theilen der Erde ergibt sich in einer noch allgemeinern Weise. Hr. GOULD sagte mir vor langer Zeit, dass in denjenigen Vogel-Sippen, welche sich über die ganze Erde erstrecken, auch viele Arten eine weite Verbreitung besitzen. Ich vermag kaum zu bezweifeln, dass diese Regel allgemein richtig ist, obwohl Diess schwer zu beweisen seyn dürfte. Unter den Säugthieren finden wir sie scharf bei den Fledermäusen und in schwächerem Grade bei den Hunde- und Katzen-artigen Thieren ausgesprochen. Wir sehen sie in der Verbreitung der Schmetterlinge und Käfer. Und so ist es auch bei den meisten Süsswasser-Thieren, unter welchen so viele Sippen über die ganze Erde reichen und viele einzelne Arten eine ungeheure Verbreitung besitzen. Es soll nicht behauptet werden, dass in den weit-verbreiteten Sippen alle Arten in weiter Ausdehnung vorkommen oder auch nur eine durchschnittlich grosse Ausbreitung besitzen, sondern nur dass es mit einzelnen Arten der Fall ist; denn die Leichtigkeit, womit weit-verbreitete Spezies variiren und zur Bildung neuer Formen Veranlassung geben, bestimmt ihre durchschnittliche Verbreitung in genügender Weise. So können zwei Varietäten einer Art die eine Europa und die andere Amerika bewohnen, und die Art hat dann eine unermessliche Verbreitung; ist aber die Abänderung etwas weiter gediehen, so werden die zwei Varietäten als zwei verschiedene Arten gelten und die Verbreitung einer jeden wird sehr beschränkt erscheinen. Noch weniger soll gesagt werden, dass eine Art, welche offenbar das Vermögen besitzt, Schranken zu überschreiten und sich weit auszubreiten, wie mancher langschwingige Vogel sich auch weit ausbreiten muss; denn wir dürfen nicht vergessen, dass zur weiten Verbreitung nicht allein das Vermögen Schranken zu überschreiten, sondern auch noch[S. 438] das bei weitem wichtigere Vermögen gehört, in fernen Landen den Kampf ums Daseyn mit den neuen Genossen siegreich zu bestehen. Aber nach der Annahme, dass alle Arten einer Sippe, wenn gleich jetzt über die entferntesten Theile der Erde zerstreut, von einem gemeinsamen Stamm-Vater abstammen, müssten (und Diess ist, glaube ich, der Fall) wenigstens einige Arten eine weite Verbreitung besitzen; denn es ist nothwendig, dass der noch unveränderte Ahne sich unter fortwährender Abänderung weit verbreite und unter verschiedenartigen Lebens-Bedingungen eine günstige Stellung für die Umgestaltung seiner Nachkommen zuerst in neue Varietäten und endlich in neue Arten gewinne.

Bei Betrachtung der weiten Verbreitung mancher Sippen dürfen wir nicht vergessen, dass viele derselben ausserordentlich alt sind und von einem gemeinsamen Stamm-Vater in einer sehr frühen Periode abstammen müssen; daher in solchen Fällen genügende Zeit war sowohl für grosse klimatische und geographische Veränderungen als für die Verpflanzung-vermittelnden Zufälle, folglich auch für die Wanderung der Arten nach allen Theilen der Welt, wo sie dann in einer den neuen Verhältnissen angemessenen Weise abgeändert worden sind. Ebenso scheint sich aus geologischen Nachweisungen zu ergeben, dass in jeder Hauptklasse die tief-stehenden Organismen gewöhnlich langsamer als die höheren Formen abändern; daher die tieferen Formen mehr in der Lage gewesen sind, ihre spezifischen Merkmale lange zu behaupten und sich damit weit zu verbreiten. Diese Thatsache in Verbindung mit dem Umstande, dass die Saamen und Eier vieler tief-stehenden Formen sich durch ihre ausserordentliche Kleinheit zur weiten Fortführung vorzugsweise eignen, erklärt wahrscheinlich zur Genüge ein Gesetz, welches schon längst bekannt und erst unlängst von ALPH. DECANDOLLE in Bezug auf die Pflanzen vortrefflich erläutert worden ist: dass nämlich jede Gruppe von Organismen sich zu einer um so weitren Verbreitung eigne, je tiefer sie steht.

Die soeben erörterten Beziehungen, dass nämlich unvollkommene und sich langsam abändernde Organismen sich weiter als[S. 439] die vollkommenen verbreiten, — dass einige Arten weit ausgebreiteter Sippen selbst eine grosse Verbreitung besitzen, — dass Alpen-, Sumpf- und Marsch-Bewohner (mit den angedeuteten Ausnahmen) ungeachtet der Verschiedenheit der Standorte mit denen der umgebenden Tief- und Trockenländer verwandt sind, — dann die sehr enge Beziehung zwischen den verschiedenen Arten, welche die einzelnen Eilande einer Insel-Gruppe bewohnen, — und insbesondre die auffallende Verwandtschaft der Bewohner einer ganzen Insel-Gruppe mit denen des nächsten Festlandes: alle diese Verhältnisse sind nach meiner Meinung nach der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der einzelnen Arten völlig unverständlich, dagegen leicht zu erklären durch die Unterstellung stattgefundener Besiedelung aus der nächsten oder gelegensten Quelle mit nachfolgender Abänderung und besserer Anpassung der Ansiedeler an ihre neue Heimath.

Zusammenfassung des letzten und des jetzigen Kapitels.) In diesen zwei Kapiteln habe ich nachzuweisen gestrebt, dass, wenn wir unsre Unwissenheit über alle Folgen der klimatischen und Niveau-Veränderungen der Länder, welche in der laufenden Periode gewiss vorgekommen sind, und noch anderer Veränderungen, die in derselben Zeit stattgefunden haben mögen, gebührend eingestehen und unsre tiefe Unkenntniss der manchfaltigen gelegenheitlichen Transport-Mittel (worüber kaum jemals angemessene Versuche veranstaltet worden sind) anerkennen, und wenn wir erwägen, wie oft eine oder die andre Art sich über ein zusammenhängendes weites Gebiet ausgebreitet haben mag, um sofort in den mitteln Theilen desselben zu erlöschen, so scheinen mir die Schwierigkeiten der Annahme, dass alle Individuen einer Spezies, wo immer deren Wiege gestanden, von gemeinsamen Ältern abstammen, nicht unübersteiglich zu seyn; und so leiten uns schliesslich Betrachtungen allgemeiner Art insbesondere über die Wichtigkeit der natürlichen Schranken und die analoge Vertheilung von Untersippen, Sippen und Familien zur Annahme dessen, was viele Naturforscher als einzelne Schöpfungs-Mittelpunkte bezeichnet haben.

[S. 440]

Was die verschiedenen Arten einer nämlichen Sippe betrifft, die nach meiner Theorie von einer Geburts-Stätte ausgegangen seyn sollen, so halte ich, wenn wir unsre Unwissenheit so wie vorhin eingestehen und bedenken, dass manche Lebenformen nur sehr langsam abändern und mithin ungeheuer langer Zeiträume für ihre Wanderungen bedurften, die Schwierigkeiten nicht für unüberwindlich, obgleich sie in diesem Falle so wie hinsichtlich der Individuen einer nämlichen Art oft ausserordentlich gross sind.

Um die Wirkung des Klima-Wechsels auf die Vertheilung der Organismen durch Beispiele zu erläutern, habe ich die Wichtigkeit des Einflusses der Eis-Zeit nachzuweisen gesucht, welche nach meiner vollen Überzeugung sich gleichzeitig über die ganze Erd-Oberfläche oder wenigstens über grosse Längen-Striche derselben erstreckt hat. Und um zu zeigen, wie manchfaltig die gelegentlichen Transport-Mittel sind, habe ich die Ausbreitungs-Weise der Süsswasser-Bewohner etwas ausführlicher auseinandergesetzt.

Wenn sich die Schwierigkeiten der Annahme, dass im Verlaufe langer Zeiten die Einzelwesen einer Art eben so wie die verwandten Arten von einer gemeinsamen Quelle ausgegangen, sich nicht unübersteiglich erweisen, dann glaube ich, dass alle leitenden Erscheinungen der geographischen Verbreitung mittelst der Theorie der Wanderung (hauptsächlich der herrschenden Lebenformen) und darauf-folgender Abänderung und Vermehrung der neuen Formen erklärbar sind. Man vermag alsdann die grosse Bedeutung der natürlichen Schranken — Wasser oder Land — zwischen den verschiedenen botanischen wie zoologischen Provinzen zu erkennen. Man vermag dann die örtliche Beschränkung von Untersippen, Sippen und Familien zu begreifen, und woher es komme, dass in verschiedenen geographischen Breiten, wie z. B. in Süd-Amerika, die Bewohner der Ebenen und Berge, der Wälder, Marschen und Wüsten, in so geheimnissvoller Weise durch Verwandtschaft miteinander wie mit den erloschenen Wesen verkettet sind, welche ehedem denselben Welttheil bewohnt haben. Indem wir erwägen, dass die gegenseitigen Beziehungen von[S. 441] Organismus zu Organismus von höchster Wichtigkeit sind, vermögen wir einzusehen, warum zwei Gebiete mit beinahe den gleichen physikalischen Bedingungen von verschiedenen Lebenformen bewohnt sind. Denn je nach der Länge der seit der Ankunft der neuen Bewohner in einer Gegend verflossenen Zeit, — je nach der Natur des Verkehrs, welcher gewissen Formen gestattete und andern wehrte sich in grösserer oder geringerer Anzahl einzudrängen, — je nachdem diese Eindringlinge in mehr oder weniger unmittelbare Bewerbung miteinander und mit den Urbewohnern geriethen oder nicht, — und je nachdem dieselben mehr oder weniger rasch zu variiren fähig waren: müssen in verschiedenen Gegenden, ganz unabhängig von ihren physikalischen Verhältnissen, unendlich vermanchfachte Lebens-Bedingungen entstanden seyn, muss ein fast endloser Betrag von organischer Wirkung und Gegenwirkung sich entwickelt haben, — und müssen, wie es wirklich der Fall ist, einige Gruppen von Wesen in hohem und andre nur in geringem Grade abgeändert, müssen einige zu grossem Übergewicht entwickelt und andre nur in geringer Anzahl in den verschiedenen grossen geographischen Provinzen der Erde vorhanden seyn.

Nach diesen nämlichen Prinzipien ist es, wie ich nachzuweisen versucht, auch zu begreifen, warum ozeanische Inseln nur wenige, aber der Mehrzahl nach endemische oder eigenthümliche Bewohner haben, und warum daselbst in Übereinstimmung mit den Wanderungs-Mitteln eine Gruppe von Wesen lauter endemische und die andere Gruppe, sogar in der nämlichen Klasse, lauter weltbürgerliche Arten darbietet. Es lässt sich einsehen, warum ganze Gruppen von Organismen, wie Batrachier und Boden-Säugthiere, auf den ozeanischen Inseln fehlen, während die meisten vereinzelt liegenden Inseln ihre eigenthümlichen Arten von Luft-Säugethieren oder Fledermäusen besitzen. Es lässt sich die Ursache einer gewissen Beziehung erkennen zwischen der Anwesenheit von Säugthieren von mehr oder weniger abgeänderter Beschaffenheit und der Tiefe der die Inseln vom Festlande trennenden Kanäle. Es ergibt sich deutlich, warum alle Bewohner einer Insel-Gruppe, wenn auch auf jedem der Eilande von andrer[S. 442] Art, doch innig miteinander und, in minderm Grade, mit denen des nächsten Festlandes oder des sonst wahrscheinlichen Stammlandes verwandt sind. Wir sehen endlich ein, warum in zwei, wenn auch weit von einander entfernten, Länder-Gebieten eine gewisse Wechselbeziehung in der Anwesenheit von identischen Arten, von Varietäten, von zweifelhaften Arten und von verschiedenen aber stellvertretenden Spezies zu erkennen ist.

Wie der verstorbene EDWARD FORBES oft behauptet: es besteht ein strenger Parallelismus in den Gesetzen des Lebens durch Zeit und Raum. Die Gesetze, welche die Aufeinanderfolge der Formen in vergangenen Zeiten geleitet, sind fast die nämlichen, wovon in der laufenden Periode deren Unterschiede in verschiedenen Länder-Gebieten abhängen. Wir erkennen Diess aus vielen Thatsachen. Die Erscheinung jeder Art und Arten-Gruppe ist zusammenhängend in der Zeit; denn der Ausnahmen von dieser Regel sind so wenige, dass sie wohl am richtigsten daraus erklärt werden, dass wir deren in den mittlen Schichten vorkommenden Reste nur noch nicht entdeckt haben; — sie ist zusammenhängend im Raume, indem die allerdings nicht seltenen Ausnahmen sich dadurch erklären, dass jene Arten in einer früheren Zeit unter abweichenden Verhältnissen in regelmässiger Weise oder mittelst gelegenheitlichen Transportes über weite Flächen gewandert, aber dann in den mittlen Gegenden derselben erloschen sind. Arten und Arten-Gruppen haben ein Maximum der Entwickelung in der Zeit wie im Raum. Arten-Gruppen, welche in einen gewissen Zeit-Abschnitt oder in einen gewissen Raum-Bezirk zusammengehören, sind oft durch besondre auffallende Merkmale in Skulptur oder Farbe u. s. w. charakterisirt. Wenn wir die lange Reihe verflossener Zeit-Abschnitte mit den mehr und weniger weit über die Erd-Oberfläche vertheilten zoologischen und botanischen Provinzen vergleichen, so finden wir hier wie dort, dass einige Organismen nur wenig differiren, während andre aus andren Klassen, Ordnungen oder auch nur Familien weit abweichen. In Zeit und Raum ändern die tieferen Glieder jeder Klasse gewöhnlich minder als die höhern ab; doch kommen in beiden auffallende Ausnahmen von dieser Regel vor.[S. 443] Nach meiner Theorie sind diese verschiedenen Beziehungen durch Zeit und Raum ganz begreiflich; denn sowohl die Lebenformen, welche in aufeinander-folgenden Zeitaltern innerhalb derselben Theile der Erd-Oberfläche gewechselt, als jene, welche erst im Verhältnisse ihrer Wanderungen nach andern Weltgegenden sich abgeändert, beiderlei Formen sind in jeder Klasse durch das nämliche Band der Generation miteinander verkettet; und je näher zwei Formen in Blutverwandtschaft zu einander stehen, desto näher werden sie sich gewöhnlich auch in Zeit und Raum stehen. In beiden Fällen sind die Gesetze der Abänderung die nämlichen gewesen und sind Modifikationen durch die nämliche Kraft der Natürlichen Züchtung gehäuft worden.

Dreizehntes Kapitel.
Wechselseitige Verwandtschaft organischer Körper; Morphologie; Embryologie; Rudimentäre Organe.

Klassifikation: Unterordnung der Gruppen. — Natürliches System. — Regeln und Schwierigkeiten der Klassifikation erklärt aus der Theorie der Fortpflanzung mit Abänderung. — Klassifikation der Varietäten. — Abstammung bei der Klassifikation gebraucht. — Analoge oder Anpassungs-Charaktere. — Verwandtschaften: allgemeine verwickelte und strahlenförmige. — Erlöschung trennt und begrenzt die Gruppen. — Morphologie: zwischen Gliedern einer Klasse und zwischen Theilen eines Einzelwesens. — Embryologie: deren Gesetze daraus erklärt, dass Abänderung nicht in allen Lebens-Arten eintritt, aber in korrespondirendem Alter vererbt wird. — Rudimentäre Organe: ihre Entstehung erklärt. — Zusammenfassung.

Von der ersten Stufe des Lebens an gleichen alle organischen Wesen einander in immer weiter abnehmendem Grade, so dass man sie in Gruppen und Untergruppen klassifiziren kann. Diese Gruppirung ist offenbar nicht willkürlich, wie die der Sterne zu Gestirnen. Das Daseyn von Gruppen würde eine vielfache Bedeutung haben, wenn eine Gruppe ausschliesslich für die Land- und eine andre für die Wasser-Bewohner, eine für die[S. 444] Fleisch-, eine andre für die Pflanzen-Fresser u. s. w. bestimmt wäre; in der Natur aber verhält sich die Sache sehr abweichend, indem es bekannt ist, wie oft sogar Glieder einer nämlichen Untergruppe verschiedene Lebens-Weisen besitzen. Im zweiten und vierten Kapitel, von Abänderung und Natürlicher Züchtung handelnd, habe ich zu zeigen versucht, dass es in jeder Gegend die weit verbreiteten, die überall gemeinen und die herrschenden Arten der grossen Sippen in jeder Klasse sind, die am meisten variiren. Die so gebildeten Varietäten oder beginnenden Arten gehen, wie ich glaube, allmählich in neue und verschiedene Arten über, welche nach dem Vererbungs-Prinzip geneigt sind andre neue und herrschende Arten zu erzeugen. Demzufolge streben die Gruppen, welche jetzt gross sind und gewöhnlich viele herrschende Arten in sich einschliessen, ohne Ende an Umfang zuzunehmen. Ich habe weiter nachzuweisen gesucht, dass aus dem Streben der abändernden Nachkommen einer Art so viele und verschiedene Stellen als möglich im Haushalte der Natur einzunehmen, eine beständige Neigung zur Divergenz der Charaktere entspringt. Diese Folgerung war unterstützt worden durch die Betrachtung der grossen Manchfaltigkeit, die auf den kleinsten Feldern in Mitbewerbung zu einander gerathen, und durch die Wahrnehmung gewisser Thatsachen bei der Naturalisirung.

Ich habe weiter darzuthun versucht, dass bei den in Zahl und in Divergenz des Charakters zunehmenden Formen ein fortwährendes Streben vorhanden ist, die früheren minder divergenten und minder verbesserten Formen zu unterdrücken und zu ersetzen. Ich ersuche den Leser, nochmals das Bild (S. 131) anzusehen, welches bestimmt gewesen ist, diese verschiedenen Prinzipien zu erläutern, und er wird finden, dass die einem gemeinsamen Stamm-Vater entsprossenen abgeänderten Nachkommen unvermeidlich immer weiter in unterbrochenen Gruppen und Untergruppen auseinanderlaufen müssen. In dem genannten Bilde mag jeder Buchstabe der obersten Linie eine Sippe bezeichnen, welche mehre Arten enthält, und alle Sippen dieser obern Linie bilden miteinander eine Klasse, indem alle von einem gemeinsamen alten aber unsichtbaren Stammvater entspringen und mithin[S. 445] irgend etwas Gemeinsames ererbt haben. Aber die drei Sippen auf der linken Seite haben diesem nämlichen Prinzip zufolge mehr miteinander gemein und bilden eine Unterfamilie verschieden von derjenigen, welche die zwei rechts zunächst-folgenden einschliesst, die auf der fünften Abstammungs-Stufe einem ihnen und jenem gemeinsamen Stamm-Vater entsprungen sind. Diese fünf Genera haben auch noch Manches, doch weniger als vorhin miteinander gemein und bilden miteinander eine Familie, verschieden von der die nächsten drei Sippen weiter rechts umfassenden, welche sich in einer noch früheren Periode von den vorigen abgezweigt hat. Und alle diese von A entsprungenen Sippen bilden eine von der aus I entsprossenen verschiedene Ordnung. So haben wir hier viele Arten von gemeinsamer Abstammung in mehre Genera vertheilt, und diese Genera bilden, indem sie zu immer grösseren Gruppen zusammentreten, erst Unterfamilien und dann Ordnungen miteinander, welche zu einer Klasse gehören. So erklärt sich nach meiner Ansicht in der Naturgeschichte die grosse Erscheinung der Unterabtheilung der Gruppen, die uns freilich in Folge unsrer Gewöhnung daran nicht mehr sehr aufzufallen pflegt. (Es soll damit nicht gesagt werden, dass es keine andre Erklärung von der Unterordnung der Charaktere gebe. Wir wissen, dass Hr. MAW als Einwand gegen unsre Theorie hervorgehoben hat, dass man auch Mineralien und selbst Elementar-Stoffe in Gruppen und Untergruppen klassifiziren könne. In diesem Falle gibt es natürlich keine genealogische Aufeinanderfolge. Aber die oben entwickelte Ansicht erklärt die Klassifikation bei den organischen Körpern, und eine andre Erklärung ist nie aufgestellt worden.)

Die Naturforscher bemühen sich die Arten, Familien und Sippen jeder Klasse in ein sogen. natürliches System zu ordnen. Aber was ist Diess für ein System? Einige Schriftsteller betrachten es nur als ein Fachwerk, worin die einander ähnlichsten Lebenwesen zusammen-geordnet und die unähnlichsten auseinander-gehalten werden, — oder als ein künstliches Mittel um allgemeine Beschreibungen so kurz wie möglich auszudrücken, so dass, wenn man z. B. in einem Satz (Diagnose) die allen Säugthieren,[S. 446] in einem andern die allen Raub-Säugthieren und in einem dritten die allen Hunde-artigen Raub-Säugthieren gemeinsamen Merkmale zusammengefasst hat, man endlich im Stande ist, schon durch Beifügung noch eines ferneren Satzes eine vollständige Beschreibung jeder beliebigen Hunde-Art zu liefern. Das Sinnreiche und Nützliche dieses Systems ist unbestreitbar; doch glauben einige Naturforscher, dass das natürliche System noch eine weitre Bestimmung habe, nämlich die den Plan des Schöpfers zu enthüllen; so lange als es aber keine Ordnung im Raume oder in der Zeit oder in beiden nachweist, und als nicht näher bezeichnet wird, was mit dem „Plane des Schöpfers“ gemeint seye, scheint mir damit für unsre Kenntniss nichts gewonnen zu seyn. Solche Ausdrücke, wie die berühmten LINNÉ’schen, die wir oft in mancherlei Einkleidungen versteckt wieder finden, dass nämlich die Charaktere nicht die Sippe machen, sondern die Sippe die Charaktere geben müsse, scheinen mir zugleich andeuten zu sollen, dass unsre Klassifikation noch etwas mehr als blosse Ähnlichkeit zu berücksichtigen habe. Und ich glaube in der That, dass es so der Fall ist, und dass die auf gemeinschaftlicher Abstammung beruhende Blutsverwandtschaft die einzige bekannte Ursache der Ähnlichkeit organischer Wesen, das durch mancherlei Modifikations-Stufen verborgene Band ist, welches durch natürliche Klassifikation theilweise enthüllt werden kann.

Betrachten wir nun die bei der Klassifikation befolgten Regeln und die dabei vorkommenden Schwierigkeiten von der Annahme ausgehend, als ob die Klassifikation entweder einen unbekannten Schöpfungs-Plan darstellen oder auch nur ein Mittel bieten solle, um das Verwandte zusammenzustellen und dadurch die allgemeinen Beschreibungen abzukürzen. Man könnte annehmen und es ist in älteren Zeiten angenommen worden, dass diejenigen Theile der Organisation, welche die Lebens-Weise und im Allgemeinen den Platz bestimmen, welchen jedes Wesen im Haushalte der Natur einnimmt, von erster Wichtigkeit seyen. Und doch kann nichts unrichtiger seyn. Niemand legt mehr der äussern Ähnlichkeit der Maus mit der Spitzmaus, des Dugongs mit dem Wale, und des Wales mit dem Fisch einige Wichtigkeit[S. 447] bei. Diese Ähnlichkeiten, wenn auch in innigstem Zusammenhange mit dem ganzen Leben des Thieres stehend, werden als blosse „analoge oder Anpassungs-Charaktere“ bezeichnet; doch werden wir auf die Betrachtung dieser Ähnlichkeiten später zurückkommen. Man kann es sogar als eine allgemeine Regel ansehen, dass, je weniger ein Theil der Organisation für Spezial-Zwecke bestimmt ist, desto wichtiger er für die Klassifikation seye. So z. B. sagt R. OWEN, indem er vom Dugong spricht: „Ich habe die Generations-Organe, insoferne als sie mit Lebens- und Ernährungs-Weise der Thiere in wenigst naher Beziehung stehen, immer als solche betrachtet, welche die klarsten Andeutungen über die wahren [tieferen] Verwandtschaften derselben zu liefern vermögen. Wir sind am wenigsten der Gefahr ausgesetzt, in ihren Modifikationen einen bloss adaptiven für einen wesentlichen Charakter zu nehmen.“ So ist es auch mit den Pflanzen. Wie merkwürdig ist es nicht, dass die Vegetations-Organe, von welchen ihr Leben überhaupt abhängig ist, ausser für die ersten Hauptabtheilungen, so wenig zu bedeuten haben, während die Reproduktions-Werkzeuge und deren Erzeugniss, der Saame, von oberster Bedeutung sind.

Wir dürfen uns daher bei der Klassifikation nicht auf Ähnlichkeiten zwischen Theilen der Organisation verlassen, wie bedeutend sie auch für das Gedeihen des Wesens in seinen Beziehungen zur äusseren Welt seyn mögen. Daher rührt es vielleicht auch zum Theile, dass fast alle Naturforscher die grösste Wichtigkeit auf die Ähnlichkeit solcher Organe legen, welche in physiologischer Hinsicht von hoher Bedeutung sind. Das ist auch wohl im Allgemeinen, aber nicht in allen Fällen richtig. Jedoch hängt die Wichtigkeit der Organe für die Klassifikation nach meiner Meinung hauptsächlich von der Beständigkeit ihrer Charaktere in grossen Arten-Gruppen ab, und diese Beständigkeit findet sich gerade bei solchen Organismen, welche zur Anpassung an äussere Lebens-Bedingungen weniger abgeändert worden. Dass aber auch die physiologische Wichtigkeit eines Organes seine Bedeutung für die Klassifikation nicht allein bestimme, ergibt sich deutlich schon aus der Thatsache allein, dass der klassifikatorische[S. 448] Werth eines Organes in verwandten Gruppen, wo doch eine gleiche physiologische Bedeutung desselben unterstellt werden darf, oft weit verschieden ist. Kein Naturforscher kann sich mit einer Gruppe näher beschäftigt haben, ohne dass ihm Diess aufgefallen wäre, was auch in den Schriften fast aller Autoren vollkommen anerkannt wird. Es wird genügen, wenn ich ROBERT BROWN als den höchsten Gewährsmann zitire, indem er bei Erwähnung gewisser Organe bei den Proteaceen sagt: ihre generische Wichtigkeit „ist so wie die aller ihrer Theile nicht allein in dieser, sondern nach meiner Erfahrung in allen natürlichen Familien sehr ungleich und scheint mir in einigen Fällen ganz verloren zu gehen.“ Eben so sagt er in einem andern Werke: die Genera der Connaraceae „unterscheiden sich durch die Ein- oder Mehrzahl ihrer Ovarien, durch Anwesenheit oder Mangel des Eiweisses und durch die schuppige oder klappenartige Ästivation. Ein jedes einzelne dieser Merkmale ist oft von mehr als generischer Wichtigkeit; hier aber erscheinen alle zusammen genommen unzureichend, um nur die Sippe Cnestis von Connarus zu unterscheiden.“ Ich will noch ein Beispiel von den Insekten entlehnen, wo in der Klasse der Hymenopteren nach WESTWOOD’S Beobachtung die Fühler in einer Hauptabtheilung von sehr beständiger Bildung sind, während sie in andern Abtheilungen sehr abändern und die Abweichungen oft von ganz untergeordnetem Werthe für die Klassifikation sind; und doch wird niemand behaupten wollen, dass die Fühler in diesen zwei Gruppen von ungleichem physiologischem Werthe seyen. So liessen sich noch viele Beispiele von der veränderlichen Wichtigkeit eines wesentlichen Organes für die Klassifikation innerhalb derselben Gruppe von Organismen anführen.

Es wird niemand behaupten, rudimentäre oder verkümmerte Organe seyen von hoher physiologischer Wichtigkeit, und doch gibt es ohne Zweifel Organe, welche in diesem Zustande für die Klassifikation einen grossen Werth haben. So bestreitet niemand, dass die Zahn-Rudimente im Oberkiefer junger Wiederkäuer so wie gewisse Knochen-Rudimente in den Füssen sehr nützlich sind, um die nahe Verwandtschaft der Wiederkäuer mit den[S. 449] Dickhäutern zu beweisen. Und so bestund auch ROBERT BROWN strenge auf der hohen Bedeutung, welche die Stellung der verkümmerten Blumen der Gräser für ihre Klassifikation hätten.

Dagegen lässt sich eine Menge von Fällen nachweisen, wo Charaktere an Organen von ganz zweifelhafter physiologischer Wichtigkeit allgemein für sehr nützlich zur Bestimmung ganzer Gruppen gelten. So ist z. B. der offne Durchgang von den Nasenlöchern in die Mundhöhle nach R. OWEN der einzige unbedingte Unterschied zwischen Reptilien und Fischen; und eben so wichtig ist die Einbiegung des hintern Unterrandes des Unterkiefers bei den Beutelthieren, die verschiedene Zusammenfaltungs-Weise der Flügel bei den Insekten, die blasse Farbe bei gewissen Algen, die Behaarung gewisser Blüthen-Theile bei den Gräsern, das Haar- und Feder-Kleid bei den zwei obern Wirbelthier-Klassen. Hätte der Ornithorhynchus ein Feder- statt ein Haar-Gewand, so würde dieser äussre unwesentlich scheinende Charakter vielleicht von manchen Naturforschern als ein wichtiges Hilfsmittel zur Bestimmung des Verwandtschafts-Grades dieses sonderbaren Geschöpfes den Vögeln und den Reptilien gegenüber, welchen es sich in einigen wesentlicheren inneren Struktur-Verhältnissen nähert, angesehen werden.

Die Wichtigkeit an sich gleichgiltiger Charaktere für die Klassifikation hängt hauptsächlich von ihrer Wechselbeziehung zu manchen anderen mehr und weniger wichtigen Merkmalen ab. In der That ist der Werth untereinander zusammenhängender Charaktere in der Naturgeschichte sehr augenscheinlich. Daher kann sich, wie oft bemerkt worden ist, eine Art in mehren einzelnen Charakteren von hoher physiologischer Wichtigkeit wie von allgemeiner Verbreitung weit von ihren Verwandten entfernen und uns doch nicht in Zweifel darüber lassen, wohin sie gehört. Daher hat sich auch oft genug eine bloss auf ein einziges Merkmal, wenn gleich von höchster Bedeutung, gegründete Klassifikation als mangelhaft erwiesen; denn kein Theil der Organisation ist allgemein beständig. Die Wichtigkeit einer Verkettung von Charakteren, wenn auch keiner davon wesentlich ist, erklärt nach meiner Meinung allein den Ausspruch LINNÉS,[S. 450] dass die Charaktere nicht das Genus machen, sondern dieses die Charaktere gibt; denn dieser Ausspruch scheint gegründet auf eine Würdigung vieler untergeordneter Ähnlichkeits-Beziehungen, welche für die Definition zu gering sind. Gewisse zu den Malpighiaceae gehörige Pflanzen bringen vollkommene und verkümmerte Blüthen zugleich hervor; die letzten verlieren nach A. DE JUSSIEU’S Bemerkung „die Mehrzahl der Art-, Sippen-, Familien- und selbst Klassen-Charaktere und spotten mithin unsrer Klassifikation.“ Als aber die in Frankreich eingeführte Aspicarpa mehre Jahre lang nur verkümmerte Blüthen lieferte, welche in einer Anzahl der wichtigsten Punkte der Organisation so wunderbar von dem eigentlichen Typus der Ordnung abwichen, da erkannte RICHARD scharfsichtig genug, wie JUSSIEU bemerkt, dass diese Sippe unter den Malpighiaceen zurückbehalten werden müsse. Dieser Fall scheint mir den Geist wohl zu bezeichnen, in welchem unsre Klassifikationen zuweilen nothwendig gegründet sind.

In der Praxis bekümmern sich aber die Naturforscher nicht viel um den physiologischen Werth des Charakters, dessen sie sich zur Definition einer Gruppe oder bei Einordnung einer Spezies bedienen. Wenn sie einen nahezu einförmigen und einer grossen Anzahl von Formen gemeinsamen Charakter finden, der bei andern nicht vorkommt, so betrachten sie ihn als sehr werthvoll; kömmt er bei einer geringern Anzahl vor, so ist er von geringerem Werthe. Zu diesem Grundsatze haben sich einige Naturforscher offen als zu dem einzig richtigen bekannt, und keiner entschiedener als der vortreffliche Botaniker AUGUST ST.-HILAIRE. Wenn gewisse Charaktere immer in Wechselbeziehung mit einander erscheinen, mag auch ein bedingendes Band zwischen ihnen nicht zu entdecken seyn, so wird ihnen besondrer Werth beigelegt. Da in den meisten Säugthier-Gruppen wesentliche Organe, wie die zur Bewegung des Blutes, zur Athmung, zur Fortpflanzung bestimmten, nahezu von gleicher Beschaffenheit sind, so werden sie bei deren Klassifikation hoch gewerthet; wogegen wieder in andern Gruppen alle diese wichtigsten Lebens-Werkzeuge nur Charaktere von ganz untergeordnetem Werthe darbieten.

[S. 451]

Vom Embryo entnommene Charaktere erweisen sich von gleicher Wichtigkeit, wie die der ausgewachsenen Thiere, indem unsre Klassifikationen die Arten in allen ihren Lebens-Altern umfassen. Doch scheint es sich aus der gewöhnlichen Anschauungs-Weise keineswegs zu rechtfertigen, dass man die Struktur des Embryos für diesen Zweck höher in Anschlag bringe als die des erwachsenen Thieres, welches doch nur allein vollen Antheil am Haushalte der Natur nimmt. Nun haben die grossen Naturforscher MILNE-EDWARDS und L. AGASSIZ scharf hervorgehoben, dass embryonische Charaktere von allen die wichtigsten für die Klassifikation sind, und diese Behauptung ist fast allgemein als richtig aufgenommen worden. Sie entspricht auch den Blüthen-Pflanzen ganz gut, deren zwei Hauptabtheilungen nur auf embryonische Charaktere gegründet sind, nämlich auf die Zahl und Stellung der Blätter des Embryos oder der Kotyledonen und auf die Entwicklungs-Weise der Plumula und Radicula. In unsren embryologischen Erörterungen werden wir den Grund einsehen, wesshalb diese Charaktere so werthvoll sind, indem nämlich die auf dieselben gegründete Klassifikations-Weise stillschweigend die Vorstellung von der gemeinsamen Abstammung der Arten anerkennt.

Unsre Klassifikationen stehen oft offenbar unter dem Einflusse verwandtschaftlicher Verkettungen. Es ist nichts leichter, als eine Anzahl allen Vögeln gemeinsamer Charaktere zu bezeichnen, während Diess hinsichtlich der Kruster noch nicht möglich gewesen ist. Es gibt Kruster an den beiden Enden der Reihe, welche kaum einen Charakter mit einander gemein haben; aber da die an den zwei Enden stehenden Arten offenbar mit andern und diese wieder mit andern Krustern u. s. w. verwandt sind, so ergibt sich ganz unzweideutig, dass sie alle zu dieser und zu keiner andern Klasse der Kerbthiere gehören.

Auch die geographische Verbreitung ist oft, wenn gleich vielleicht nicht logischer Weise, zur Klassifikation mit benützt worden, zumal in sehr grossen Gruppen einander nahe verwandter Formen. TEMMINCK besteht auf der Nützlichkeit und selbst Nothwendigkeit dieser Übung bei gewissen Vögel-Gruppen; wie[S. 452] sie denn auch von einigen Entomologen und Botanikern in Anwendung gekommen ist.

Was endlich die verglichenen Werthe der verschiedenen Arten-Gruppen, wie Ordnungen und Unterordnungen, Familien und Unterfamilien, Sippen u. s. w. betrifft, so scheinen sie wenigstens bis jetzt ganz willkürlich zu seyn. Einige der besten Botaniker, wie BENTHAM u. A., sind beharrlich auf ihrer Meinung von deren willkürlichem Werthe geblieben. Man könnte bei den Pflanzen wie bei den Insekten Beispiele anführen von Arten-Gruppen, die von geübten Naturforschern erst nur als Sippen aufgestellt und dann allmählich zum Rang von Unterfamilien und Familien erhoben worden sind, und zwar nicht desshalb, weil durch spätre Forschungen neue wesentliche Unterschiede in ihrer Organisation ausgemittelt worden wären, sondern nur in Folge spätrer Entdeckung vieler verwandter Arten mit nur schwach abgestuften Unterschieden.

Alle voranstehenden Regeln, Behelfe und Schwierigkeiten der Klassifikation erklären sich, wenn ich mich nicht sehr täusche, durch die Annahme, dass das natürliche System auf Fortpflanzung unter fortwährender Abänderung beruhe, dass diejenigen Charaktere, welche nach der Ansicht der Naturforscher eine ächte Verwandtschaft zwischen zwei oder mehr Arten darthun, von einem gemeinsamen Ahnen ererbt sind und in so fern alle ächte Klassifikation eine genealogische ist; — dass gemeinsame Abstammung das unsichtbare Band ist, wonach alle Naturforscher unbewusster Weise gesucht haben, nicht aber ein unbekannter Schöpfungs-Plan, oder eine bequeme Form für allgemeine Beschreibung, oder eine angemessene Methode die Natur-Gegenstände nach den Graden ihrer Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zu sortiren.

Doch ich muss meine Ansicht vollständiger auseinandersetzen. Ich glaube, dass die Anordnung der Gruppen in jeder Klasse, ihre gegenseitige Nebenordnung und Unterordnung streng genealogisch seyn muss, wenn sie natürlich seyn soll; dass aber das Maass der Verschiedenheit zwischen den verschiedenen Gruppen oder Verzweigungen, obschon sie alle in gleicher[S. 453] Blutsverwandtschaft mit ihrem gemeinsamen Stammvater stehen, sehr ungleich seyn kann, indem dieselbe von den verschiedenen Graden erlittener Abänderung abhängig ist; und Diess findet seinen Ausdruck darin, dass die Formen in verschiedene Sippen, Familien, Sektionen und Ordnungen gruppirt werden. Der Leser wird meine Meinung am besten verstehen, wenn er sich nochmals nach dem Bilde S. 131 umsehen will. Nehmen wir an, die Buchstaben A bis L stellen verwandte Sippen vor, welche in der silurischen Zeit gelebt und selber von einer Art abstammen, die in einer unbekannten früheren Periode existirt hat. Arten von dreien dieser Genera (A, F und I) haben sich in abgeänderten Nachkommen bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt, welche durch die fünfzehn Sippen a14 bis z14 der obersten Reihe ausgedrückt sind. Nun sind aber alle diese abgeänderten Nachkommen einer einzelnen Art in gleichem Grade blutsverwandt zu einander; man könnte sie bildlich als Vettern im gleichen millionsten Grade bezeichnen; und doch sind sie weit und in ungleichem Grade von einander verschieden. Die von A herstammenden Formen, welche nun in 2–3 Familien geschieden sind, bilden eine andre Ordnung als die zwei von I entsprossenen. Auch können die von A abgeleiteten jetzt lebenden Formen eben so wenig in eine Sippe mit ihrem Ahnen A, als die von I herkommenden in eine mit ihrem Stammvater I zusammengestellt werden. Die noch jetzt lebende Sippe F14 dagegen mag man als nur wenig modifizirt betrachten und demnach mit deren Stamm-Sippe F vereinigen, wie es ja in der That noch jetzt einige Genera gibt, welche mit silurischen übereinstimmen. So kommt es, dass das Maass oder der Werth der Verschiedenheiten zwischen organischen Wesen, die alle in gleichem Grade miteinander blutsverwandt sind, doch so ausserordentlich ungleich erscheint. Demungeachtet aber bleibt ihre genealogische Anordnungs-Weise vollkommen richtig nicht allein in der jetzigen sondern auch in allen künftigen Perioden der Fortstammung. Alle abgeänderten Nachkommen von A haben etwas Gemeinsames von ihrem gemeinsamen Ahnen geerbt, wie die des I von dem ihrigen, und so wird es sich auch mit jedem untergeordneten Zweige der[S. 454] Nachkommenschaft in jeder späteren Periode verhalten. Unterstellen wir dagegen, einer der Nachkommen von A oder I seye so sehr modifizirt worden, dass er die Spuren seiner Abkunft von demselben mehr oder weniger eingebüsst habe, so wird er im natürlichen Systeme nur eine mehr und weniger abgesonderte Stelle einnehmen können, wie Diess bei einigen noch lebenden Formen wirklich der Fall zu seyn scheint. Von allen Nachkommen der Sippe F ist der ganzen Reihe nach angenommen, dass sie nur wenig modifizirt worden seyen und daher gegenwärtig nur ein einzelnes Genus bilden. Aber dieses Genus wird, sehr vereinzelt, eine eigene Zwischenstelle einnehmen; denn F hielt ursprünglich seinem Charakter nach das Mittel zwischen A und I, und die verschiedenen von diesen zwei Genera herstammenden Sippen werden jedes von seiner Stamm-Sippe etwas Gemeinsames geerbt haben. Diese natürliche Anordnung ist, so viel es auf dem Papiere möglich, nur in viel zu einfacher Weise, bildlich dargestellt. Hätte ich, statt der verzweigten Darstellung, nur die Namen der Gruppen in eine lineare Reihe schreiben wollen, so würde es noch viel weniger möglich geworden seyn, ein Bild von der natürlichen Anordnung zu geben, da es anerkannter Maassen unmöglich ist, in einer Linie oder auf einer Fläche die Verwandtschaften zwischen den verschiedenen Wesen einer Gruppe darzustellen. So ist nach meiner Ansicht das Natur-System genealogisch in seiner Anordnung, wie ein Stammbaum, aber die Abstufungen der Modifikationen, welche die verschiedenen Gruppen durchlaufen haben, müssen durch Eintheilung derselben in verschiedene sogenannte Sippen, Unterfamilien, Familien, Sektionen, Ordnungen und Klassen ausgedrückt werden.

Zur Erläuterung dieser meiner Ansicht von der Klassifikation mag ein Vergleich mit den Sprachen angemessen seyn. Wenn wir einen vollständigen Stammbaum des Menschen besässen, so würde eine genealogische Anordnung der Menschen-Rassen die beste Klassifikation aller jetzt auf der ganzen Erde gesprochenen Sprachen abgeben; und könnte man alle erloschenen und mitteln Sprachen und alle langsam abändernden Dialekte mit aufnehmen, so würde diese Anordnung, glaube ich, die einzig mögliche seyn.[S. 455] Da könnte nun der Fall eintreten, dass irgend eine sehr alte Sprache nur wenig abgeändert und zur Bildung nur weniger neuen Sprachen gedient hätte, während andre (in Folge der Ausbreitung und späteren Isolirung und Zivilisations-Stufen einiger von gemeinsamem Stamm entsprossener Rassen) sich sehr veränderten und die Entstehung vieler neuer Sprachen und Dialekte veranlassten. Die Ungleichheit der Abstufungen in der Verschiedenheit der Sprachen eines Sprach-Stammes müsste durch Unterordnung der Gruppen unter einander ausgedrückt werden; aber die eigentliche oder eben allein mögliche Anordnung könnte nur genealogisch seyn; und Diess wäre streng naturgemäss, indem auf diese Weise alle lebenden wie erloschenen Sprachen je nach ihren Verwandtschafts-Stufen mit einander verkettet und der Ursprung und der Entwickelungs-Gang einer jeden einzelnen nachgewiesen werden würde.

Wir wollen nun, zur Bestätigung dieser Ansicht, einen Blick auf die Klassifikation der Varietäten werfen, von welchen man annimmt oder weiss, dass sie von einer Art abstammen. Diese werden unter die Arten eingereihet und selbst in Unter-Varietäten weiter geschieden; und bei unsren Kultur-Erzeugnissen werden noch manche andre Unterscheidungs-Stufen angenommen, wie wir bei den Tauben gesehen haben. Das Verhältniss der Gruppen zu den Untergruppen ist dasselbe, wie das der Arten zu den Varietäten; es ist verwandte Abstammung mit verschiedenen Abänderungs-Stufen. Bei Klassifikation der Varietäten werden fast die nämlichen Regeln, wie bei den Arten befolgt. Manche Schriftsteller sind auf der Nothwendigkeit bestanden, die Varietäten nach einem natürlichen statt künstlichen Systeme zu klassifiziren; wir sind z. B. so vorsichtig, nicht zwei Kiefer-Varietäten zusammenzuordnen, weil bloss ihre Frucht, obgleich der wesentlichste Theil, zufällig nahezu übereinstimmt. Niemand stellt den Schwedischen mit dem gemeinen Turnips oder Rübsen zusammen, obwohl deren verdickter essbarer Stiel so ähnlich ist. Der beständigste Theil, welcher es immer seyn mag, wird zur Klassifikation der Varietäten benützt; aber der grosse Landwirth MARSHALL sagt, die Hörner des Rindviehs seyen für diesen Zweck[S. 456] sehr nützlich, weil sie weniger als die Form oder Farbe des Körpers veränderlich seyen, während sie bei den Schaafen ihrer Veränderlichkeit wegen viel weniger brauchbar seyen. Ich stelle mir vor, dass, wenn man einen wirklichen Stammbaum hätte, eine genealogische Klassifikation der Varietäten allgemein vorgezogen werden würde, und einige Autoren haben in der That eine solche versucht. Denn, mag ihre Abänderung gross oder klein seyn, so werden wir uns doch überzeugt halten, dass das Vererbungs-Prinzip diejenigen Formen zusammenhalte, welche in den meisten Beziehungen mit einander verwandt sind. So werden alle Purzel-Tauben, obschon einige Untervarietäten in der Länge des Schnabels weit von einander abweichen, doch durch die gemeinsame Sitte zu purzeln unter sich zusammengehalten, aber der kurzschnäbelige Stock hat diese Gewohnheit beinahe abgelegt. Demungeachtet hält man diese Purzler, ohne über die Sache nachzudenken oder zu urtheilen, in einer Gruppe beisammen, weil sie einander durch Abstammung verwandt und in manchen andern Beziehungen ähnlich sind. Liesse sich nachweisen, dass der Hottentott vom Neger abstammte, so würde man ihn, wie ich glaube, unter den Neger einreihen, wie weit er auch in Farbe und andern wichtigen Bedingungen davon verschieden seyn mag.

Was dann die Arten in ihrem Natur-Zustande betrifft, so hat jeder Naturforscher die Abstammung bei der Klassifikation mit in Betracht gezogen, indem er in seine unterste Gruppe, die Spezies nämlich, beide Geschlechter aufnahm, und wie ungeheuer diese zuweilen sogar in den wesentlichsten Charakteren von einander abweichen, ist jedem Naturforscher bekannt; so haben Männchen und Hermaphroditen gewisser Cirripeden im reifen Alter kaum ein Merkmal mit einander gemein, und doch träumt niemand davon sie zu trennen. Sobald man wahrnahm, dass drei ehedem als eben so viele Sippen aufgeführte Orchideen-Formen (Monachanthus, Myanthus und Catasetum) zuweilen an der nämlichen Blüthen-Ähre beisammensitzen, verband man sie unmittelbar als merkwürdige Varietäten zu einer einzigen Art; es ist mir aber neuerlich möglich geworden zu zeigen, dass sie die[S. 457] weibliche, zwitterliche und männliche Form der nämlichen Orchidee bilden[42]. Der Naturforscher schliesst in eine Spezies die verschiedenen Larven-Zustände des nämlichen Individuums ein, wie weit dieselben auch unter sich und von dem erwachsenen Thiere verschieden seyn mögen, wie er auch die von STEENSTRUP sogenannten Wechsel-Generationen mit einbegreift, die man nur in einem technischen Sinne noch als zum nämlichen Individuum gehörig betrachten kann. Er schliesst Missgeburten, er schliesst Varietäten mit ein, nicht allein weil sie der älterlichen Form nahezu gleichen, sondern weil sie von derselben abstammen. Wer glaubt, dass die grosse hellgelbe Schlüsselblume (Primula elatior) von der gewöhnlicheren kleinen und dunkelgelben (Pr. veris) abstamme oder umgekehrt, stellt sie in eine Art zusammen und gibt eine gemeinsame Definition derselben.

Da die Abstammung bei Klassifikation der Individuen einer Art trotz der oft ausserordentlichen Verschiedenheit zwischen Männchen, Weibchen und Larven, allgemein massgebend ist, und da dieselbe bei Klassifikation von Varietäten, welche ein gewisses und mitunter ansehnliches Maass von Abänderung erfahren haben, in Betracht gezogen wird: mag es dann nicht auch vorgekommen seyn, dass man das nämliche Element ganz unbewusst bei Zusammenstellung der Arten in Sippen und der Sippen in höhere Gruppen angewendet hat, obwohl hier die Unterschiede beträchtlicher sind und eine längere Zeit zu ihrer Entwickelung bedurft haben? Ich glaube, dass es allerdings so geschehen ist; und nur so vermag ich die verschiedenen Regeln und Vorschriften zu verstehen, welche von unsern besten Systematikern befolgt worden sind. Wir haben keine geschriebenen Stammbäume, sondern ermitteln die gemeinschaftliche Abstammung nur vermittelst der Ähnlichkeiten irgend welcher Art. Daher wählen wir Charaktere aus, die, so viel wir beurtheilen können, durch die Beziehungen zu den äusseren Lebens-Bedingungen, welchen jede Art in der laufenden Periode ausgesetzt gewesen ist, am wenigsten[S. 458] verändert worden sind. Rudimentäre Gebilde sind in dieser Hinsicht eben so gut und zuweilen noch besser, als andre. Mag ein Charakter noch so unwesentlich erscheinen, seye es ein eingebogner Unterkiefer-Rand, oder die Faltungs-Weise eines Insekten-Flügels, sey es das Haar- oder Feder-Gewand des Körpers: wenn sich derselbe durch viele und verschiedene Spezies erhält, durch solche zumal, welche sehr ungleiche Lebens-Weisen haben, so nimmt er einen hohen Werth an; denn wir können seine Anwesenheit in so vielerlei Formen und mit so manchfaltigen Lebens-Weisen nur durch seine Ererbung von einem gemeinsamen Stamm-Vater erklären. Wir können uns dabei hinsichtlich einzelner Punkte der Organisation irren; wenn aber verschiedene noch so unwesentliche Charaktere durch eine ganze grosse Gruppe von Wesen mit verschiedener Lebens-Weise gemeinschaftlich andauern, so werden wir nach der Theorie der Abstammung fest überzeugt seyn können, dass diese Gemeinschaft von Charakteren von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt ist. Und wir wissen, dass solche in Wechselbeziehung zu einander vorkommende Charaktere bei der Klassifikation von grossem Werthe sind. Es wird begreiflich, warum eine Art oder eine ganze Gruppe von Arten in einigen ihrer wesentlichsten Charaktere von ihren Verwandten abweichen und doch ganz wohl mit ihnen zusammen klassifizirt werden kann. Man kann Diess getrost thun und hat es oft gethan, so lange als noch eine genügende Anzahl von wenn auch unbedeutenden Charakteren das verbundene Band gemeinsamer Abstammung verräth. Denn sogar, wenn zwei Formen nicht einen einzigen Charakter gemeinsam besitzen, aber diese extremen Formen noch durch eine Reihe vermittelnder Gruppen miteinander verkettet sind, dürfen wir noch auf eine gemeinsame Abstammung schliessen und sie alle zusammen in eine Klasse stellen. Da Charaktere von hoher physiologischer Wichtigkeit, solche die zur Erhaltung des Lebens unter den verschiedensten Existenz-Bedingungen dienen, gewöhnlich am beständigsten sind, so legen wir ihnen grossen Werth bei; wenn aber diese Organe in einer andern Gruppe oder Gruppen-Abtheilung sehr abweichen, so schätzen wir sie hier auch[S. 459] bei der Klassifikation geringer. Wir werden hiernach, wie ich glaube, klar einsehen, warum embryonische Merkmale eine so hohe klassifikatorische Wichtigkeit besitzen. Die geographische Verbreitung mag bei der Klassifikation grosser und weitverbreiteter Sippen zuweilen mit Nutzen angewendet werden, weil alle Arten einer solchen Sippe, welche eine eigenthümliche und abgesonderte Gegend bewohnen, höchst wahrscheinlich von gleichen Ältern abstammen.

Aus diesem Gesichtspunkte wird es begreiflich, wie wesentlich es ist, zwischen wirklicher Verwandtschaft und analoger oder Anpassungs-Ähnlichkeit zu unterscheiden. LAMARCK hat zuerst die Aufmerksamkeit auf diesen Unterschied gelenkt, und MACLEAY u. A. sind ihm darin glücklich gefolgt. Die Ähnlichkeit, welche zwischen dem Dugong, einem den Pachydermen verwandten Thiere, und den Walen in der Form des Körpers und der Bildung der vordem ruderförmigen Gliedmaassen, und jene, welche zwischen diesen beiderlei Thieren und den Fischen besteht, ist Analogie. Bei den Insekten finden sich unzählige Beispiele dieser Art; daher LINNÉ, durch äussern Anschein verleitet, wirklich ein homopteres Insekt unter die Motten gestellt hat. Wir sehen etwas Ähnliches auch bei unseren kultivirten Pflanzen in den verdickten Stämmen des gemeinen und des Schwedischen Rutabaga-Turnips. Die Ähnlichkeit zwischen dem Windhund und dem Englischen Wettrenner ist schwerlich eine mehr eingebildete, als andre von einigen Autoren zwischen einander sehr entfernt stehenden Thieren aufgesuchte Analogie’n. Nach meiner Ansicht, dass Charaktere nur in so ferne von wesentlicher Wichtigkeit für die Klassifikation sind, als sie die gemeinsame Abstammung ausdrücken, lernen wir deutlicher einsehen, warum analoge oder Anpassungs-Charaktere, wenn auch vom höchsten Werthe für das Gedeihen der Wesen, doch für den Systematiker fast werthlos sind. Denn zwei Thiere von ganz verschiedener Abstammung können wohl ganz ähnlichen Lebens-Bedingungen angepasst und sich daher äusserlich sehr ähnlich seyn; aber solche Ähnlichkeiten verrathen keine Bluts-Verwandtschaft, sondern sind vielmehr geeignet, die wahren verwandtschaftlichen Beziehungen in[S. 460] Folge gemeinsamer Abstammung zu verbergen. Wir begreifen ferner das anscheinende Paradoxon, dass die nämlichen Charaktere analoge seyn können, wenn eine Klasse oder Ordnung mit der andern verglichen wird, aber für ächte Verwandtschaft zeugen, woferne es sich um die Vergleichung von Gliedern der nämlichen Klasse oder Ordnung unter einander handelt. So beweisen Körper-Form und Ruderfüsse der Wale nur eine Analogie mit den Fischen, indem solche in beiden Klassen nur eine Anpassung des Thieres zum Schwimmen im Wasser bezwecken; aber beiderlei Charaktere beweisen auch die nahe Verwandtschaft zwischen den Gliedern der Wal-Familie selbst; denn diese Wale stimmen in so vielen grossen und kleinen Charakteren miteinander überein, dass wir nicht an der Ererbung ihrer allgemeinen Körper-Form und ihrer Ruderfüsse von einem gemeinsamen Vorfahren zweifeln können. Und eben so ist es mit den Fischen.

(Einige Fälle von analoger oder adaptiver Ähnlichkeit sind sehr bemerkenswerth. Ich will nur einen derselben hier erörtern, der von minder augenfälliger Art ist, als die mehr äusserliche Ähnlichkeit zwischen Fisch-Säugthieren und Fischen, zwischen fliegendem Oppossum und fliegendem Eichhorn u. s. w. BATES hat kürzlich berichtet, wie unter den zahlreichen Schmetterlingen des grossen Amazonas-Thales die Arten einer Sippe und selbst die Varietäten einer Art oft das Kleid von Arten ganz verschiedener Genera oder Unterfamilien in so vollkommener Weise annehmen, dass man sie ohne die sorgfältigste Untersuchung gar nicht zu unterscheiden im Stande ist. Dabei ist ferner eine bemerkenswerthe Thatsache, dass fast immer die nachahmende Art selten, die nachgeahmte aber häufig und im Kampf ums Daseyn siegreich ist. BATES ist der Meinung, dass die Nachahmer durch Natürliche Züchtung allmählich zu ihrem jetzigen Kleide gelangt seyen, um unter dieser Maske der häufigen und siegreichen Art irgend einer sie allein bedrohenden Gefahr zu entgehen.)

Da Glieder verschiedener Klassen oft durch zahlreich auf einander-folgende geringe Abänderungen einer Lebens-Weise unter nahezu ähnlichen Verhältnissen angepasst werden, um z. B. auf dem Boden, in der Luft oder im Wasser zu leben, so werden[S. 461] wir vielleicht verstehen woher es kommt, dass man zuweilen einen Zahlen-Parallelismus zwischen Unter-Gruppen verschiedener Klassen bemerkt hat. Ein Naturforscher kann unter dem Eindrucke, den dieser Parallelismus in einer Klasse auf ihn macht, demselben dadurch, dass er den Werth der Gruppen in andern Klassen etwas höher oder tiefer setzt (und alle unsre Erfahrung zeigt, dass Schätzungen dieser Art noch immer sehr willkürlich sind), leicht eine grosse Ausdehnung geben; und so sind wohl unsre sieben-, fünf-, vier- und drei-gliedrigen Systeme entstanden.

Da die abgeänderten Nachkommen herrschender Arten grosser Sippen diejenigen Vorzüge, welche die Gruppen, wozu sie gehören, gross und ihre Ältern herrschend gemacht haben, zu vererben streben, so sind sie meistens sicher sich weit auszubreiten und mehr oder weniger Stellen im Haushalte der Natur einzunehmen. So streben die grösseren und herrschenderen Gruppen in jeder Klasse nach immer weiterer Vergrösserung und ersetzen demnach viele kleinere und schwächere Gruppen. So erklärt sich auch die Thatsache, dass alle erloschenen wie noch lebenden Organismen einige wenige grosse Ordnungen in noch wenigeren Klassen bilden, die alle in einem grossen Natur-Systeme enthalten sind. Um zu zeigen, wie wenige an Zahl die oberen Gruppen und wie weit sie in der Welt verbreitet sind, ist die Thatsache zutreffend, dass die Entdeckung Neu-Hollands nicht ein Insekt aus einer neuen Klasse geliefert hat, und dass im Pflanzen-Reiche, wie ich von Dr. HOOKER vernehme, nur eine oder zwei kleine Ordnungen hinzugekommen sind.

Im Kapitel über die geologische Aufeinanderfolge habe ich nach dem Prinzip, dass im Allgemeinen jede Gruppe während des lang-dauernden Modifikations-Prozesses in ihrem Charakter sehr auseinander gelaufen ist, zu zeigen mich bemühet, woher es kommt, dass die ältern Lebenformen oft einigermaassen mittle Charaktere zwischen denen der jetzigen Gruppen darbieten. Einige wenige solcher alten und mitteln Stamm-Formen, welche sich zuweilen in nur wenig abgeänderten Nachkommen bis zum heutigen Tage erhalten haben, geben zur Bildung unsrer sogenannten[S. 462] schwankenden oder aberranten Gruppen Veranlassung. Je abirrender eine Form ist, desto grösser muss die Zahl verkettender Glieder seyn, welche gänzlich vertilgt worden und verloren gegangen sind. Auch dafür, dass die aberranten Formen sehr durch Erlöschen gelitten, haben wir einige Belege; denn sie sind gewöhnlich nur durch einige wenige Arten vertreten, und auch diese Arten sind gewöhnlich sehr verschieden von einander, was gleichfalls auf Erlöschung hinweist. Die Sippen Ornithorhynchus und Lepidosiren z. B. würden nicht weniger aberrant seyn, wenn sie jede durch ein Dutzend statt nur eine oder zwei Arten vertreten wären; aber solcher Arten-Reichthum ist, wie ich nach mancherlei Nachforschungen finde, den aberranten Sippen gewöhnlich nicht zu Theil geworden. Wir können, glaube ich, diese Erscheinung nur erklären, indem wir die aberranten Formen als Gruppen betrachten, welche, im Kampfe mit siegreichen Mitbewerbern unterliegend, nur noch wenige Glieder in Folge eines ungewöhnlichen Zusammentreffens günstiger Umstände bis heute erhalten haben.

Hr. WATERHOUSE hat bemerkt, dass, wenn ein Glied aus einer Thier-Gruppe Verwandtschaft mit einer sehr verschiedenen andern Gruppe zeigt, diese Verwandtschaft in den meisten Fällen eine Sippen- und nicht eine Art-Verwandtschaft ist. So ist nach WATERHOUSE von allen Nagern die Viscasche[43] am nächsten mit den Beutelthieren verwandt; aber die Charaktere, worin sie sich den Marsupialen am meisten nähert, haben eine allgemeine Beziehung zu den Beutelthieren und nicht zu dieser oder jener Art im Besondern. Da diese Verwandtschafts-Beziehungen der Viscasche zu den Beutelthieren für wesentliche gelten und nicht Folge blosser Anpassung sind, so rühren sie nach meiner Theorie von gemeinschaftlicher Ererbung her. Daher wir dann auch unterstellen müssen, entweder dass alle Nager einschliesslich der Viscasche von einem sehr alten Marsupialen abgezweigt sind, der einen einigermaassen mitteln Charakter zwischen denen aller[S. 463] jetzigen Beutelthiere besessen, oder dass sowohl Nager wie Beutelthiere von einem gemeinsamen Stammvater herrühren und beide Gruppen durch starke Abänderung seitdem in verschiedenen Richtungen auseinander gegangen sind. Nach beiderlei Ansicht müssen wir annehmen, dass die Viscasche mehr von den erblichen Charakteren des alten Stamm-Vaters an sich behalten habe, als sämmtliche anderen Nager; und desshalb zeigt sie keine besonderen Beziehungen zu diesem oder jenem noch vorhandenen Beutler, sondern nur indirekte zu allen oder fast allen Marsupialen überhaupt, indem sie sich einen Theil des Charakters des gemeinsamen Urvaters oder eines früheren Gliedes dieser Gruppe erhalten hat. Anderseits besitzt nach WATERHOUSE’S Bemerkung unter allen Beutelthieren der Phascolomys am meisten Ähnlichkeit, nicht zu einer einzelnen Art, sondern zur ganzen Ordnung der Nager überhaupt. In diesem Falle ist sehr zu erwarten, dass die Ähnlichkeit nur eine Analogie seye, indem der Phascolomys sich einer Lebens-Weise anpasste, wie sie Nager besitzen. Der ältere DECANDOLLE hat ziemlich ähnliche Bemerkungen hinsichtlich der allgemeinen Natur der Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Pflanzen-Ordnungen gemacht.

Nach dem Prinzip der Vermehrung und der stufenweisen Divergenz des Charakters der von einem gemeinsamen Ahnen abstammenden Arten in Verbindung mit der erblichen Erhaltung eines Theiles des gemeinsamen Charakters erklären sich die ausserordentlich verwickelten und strahlenförmig auseinander-gehenden Verwandtschaften, wodurch alle Glieder einer Familie oder höheren Gruppe miteinander verkettet werden. Denn der gemeinsame Stammvater einer ganzen Familie von Arten, welche jetzt durch Erlöschung in verschiedene Gruppen und Untergruppen gespalten ist, wird einige seiner Charaktere in verschiedener Art und Abstufung modifizirt allen gemeinsam mitgetheilt haben, und die verschiedenen Arten werden demnach nur durch Verwandtschafts-Linien von verschiedener Länge miteinander verbunden seyn, welche in weit älteren Vorgängern ihren Vereinigungs-Punkt finden, wie es das frühere Bild S. 131 darstellt. Wie es schwer ist, die Blutsverwandtschaft zwischen den zahlreichen[S. 464] Angehörigen einer alten adeligen Familie sogar mit Hilfe eines Stammbaums zu zeigen, und fast unmöglich es ohne dieses Hilfsmittel zu thun, so begreift man auch die manchfaltigen Schwierigkeiten, auf welche Naturforscher, ohne die Hilfe einer bildlichen Skizze, stossen, wenn sie die verschiedenen Verwandtschafts-Beziehungen zwischen den vielen lebenden und erloschenen Gliedern einer grossen natürlichen Klasse nachweisen wollen.

Erlöschen hat, wie wir im vierten Kapitel gesehen, einen grossen Antheil an der Bildung und Erweiterung der Lücken zwischen den verschiedenen Gruppen in jeder Klasse. Wir können Diess eben so wie die Trennung ganzer Klassen von einander, wie z. B. die der Vögel von allen andern Wirbelthieren, durch die Annahme erklären, dass viele alte Lebenformen ganz ausgegangen sind, durch welche die ersten Stammältern der Vögel vordem mit den ersten Stammältern der übrigen Wirbelthier-Klassen verkettet gewesen. Dagegen sind nur wenige solche Lebenformen erloschen, welche einst die Fische mit den Batrachiern verbanden. In noch geringerem Grade ist Diess in einigen andern Klassen, wie z. B. bei den Krustern der Fall gewesen, wo die wundersamst verschiedenen Formen noch durch eine lange aber unterbrochene Verwandtschafts-Kette zusammengehalten werden. Erlöschung hat die Gruppen nur getrennt, nicht gemacht. Denn wenn alle Formen, welche jemals auf dieser Erde gelebt haben, plötzlich wieder erscheinen könnten, so würde es ganz unmöglich seyn, die Gruppen durch Definitionen von einander zu unterscheiden, weil alle durch eben so feine Abstufungen, wie die zwischen den lebenden Varietäten sind, in einander übergehen würden; demungeachtet würde eine natürliche Klassifikation oder wenigstens eine natürliche Anordnung möglich seyn. Wir können Diess ersehen, indem wir unser Bild (S. 131) umwenden. Nehmen wir an, die Buchstaben A bis L stellen 11 silurische Sippen dar, wovon einige grosse Gruppen abgeänderter Nachkommen hinterlassen. Jedes Mittelglied zwischen diesen 11 Sippen und deren Urvater so wie jedes Mittelglied in allen Ästen und Zweigen ihrer Nachkommenschaft seye noch am Leben, und diese Glieder seyen so[S. 465] fein, wie die zwischen den feinsten Varietäten abgestuft. In diesem Falle würde es ganz unmöglich seyn, die vielfachen Glieder der verschiedenen Gruppen von ihren mehr unmittelbaren Ältern oder diese Ältern von ihren alten unbekannten Stammvätern durch Definitionen zu unterscheiden. Und doch würde die in dem Bilde gegebene natürliche Anordnung ganz gut passen und würden nach dem Vererbungs-Prinzip alle von A so wie alle von I herkommenden Formen unter sich etwas gemein haben. An einem Baume kann man diesen und jenen Zweig unterscheiden, obwohl sich beide in einer Gabel vereinigen und in einander fliessen. Wir könnten, wie gesagt, die verschiedenen Gruppen nicht definiren; aber wir könnten Typen oder solche Formen hervorheben, welche die meisten Charaktere jeder Gruppe, gross oder klein, in sich vereinigten, und so eine allgemeine Vorstellung vom Werthe der Verschiedenheiten zwischen denselben geben. Diess wäre, was wir thun müssten, wenn wir je dahin gelangten, alle Formen einer Klasse, die in Zeit und Raum vorhanden gewesen sind, zusammen zu bringen. Wir werden zwar gewiss nie im Stande seyn, eine solche Sammlung zu machen, demungeachtet aber bei gewissen Klassen in die Lage kommen, jene Methode zu versuchen; und MILNE EDWARDS ist noch unlängst in einer vortrefflichen Abhandlung auf der grossen Wichtigkeit bestanden, sich an Typen zu halten, gleichviel ob wir im Stande sind oder nicht, die Gruppen zu trennen und zu umschreiben, zu welchen diese Typen gehören.

Endlich haben wir gesehen, dass Natürliche Züchtung, welche aus dem Kampfe um’s Daseyn hervorgeht und mit Erlöschung und mit Divergenz des Charakters in den vielen Nachkommen einer herrschenden Stamm-Art fast untrennbar verbunden ist, jene grossen und allgemeinen Züge in der Verwandtschaft aller organischen Wesen und namentlich ihre Sonderung in Gruppen und Untergruppen erklärt. Wir benützen das Element der Abstammung bei Klassifikation der Individuen beider Geschlechter und aller Alters-Abstufungen in einer Art, wenn sie auch nur wenige Charaktere miteinander gemein haben; wir benützen die Abstammung bei der Einordnung anerkannter Varietäten, wie sehr sie[S. 466] auch von ihrer Stamm-Art abweichen mögen; und ich glaube, dass dieses Element der Abstammung das geheime Band ist, welches alle Naturforscher unter dem Namen des natürlichen Systemes gesucht haben. Da nach dieser Vorstellung das natürliche System, so weit es ausgeführt werden kann, genealogisch geordnet ist und die Verschiedenheits-Stufen zwischen den Nachkommen gemeinsamer Ältern durch die Ausdrücke Sippen, Familien, Ordnungen u. s. w. bezeichnet, so begreifen wir die Regeln, welche wir bei unsrer Klassifikation zu befolgen veranlasst sind. Wir begreifen, warum wir manche Ähnlichkeit weit höher als andre zu werthen haben; warum wir mitunter rudimentäre oder nutzlose oder andre physiologisch unbedeutende Organe anwenden dürfen, warum wir bei Vergleichung der einen mit der andern Gruppe analoge oder Anpassungs-Charaktere verwerfen, obwohl wir dieselben innerhalb der nämlichen Gruppe gebrauchen. Es wird uns klar, warum wir alle lebenden und erloschenen Formen in ein grosses System zusammen ordnen können, und warum die verschiedenen Glieder jeder Klasse in der verwickeltesten und nach allen Richtungen verzweigten Weise miteinander verkettet sind. Wir werden wahrscheinlich niemals das verwickelte Verwandtschafts-Gewebe zwischen den Gliedern einer Klasse entwirren; wenn wir jedoch einen einzelnen Gegenstand in’s Auge fassen und nicht nach irgend einem unbekannten Schöpfungs-Plane ausschauen, so dürfen wir hoffen, sichere aber langsame Fortschritte zu machen.

Morphologie.) Wir haben gesehen, dass die Glieder einer Klasse, unabhängig von ihrer Lebens-Weise, einander im allgemeinen Plane ihrer Organisation gleichen. Diese Übereinstimmung wird oft mit dem Ausdrucke „Einheit des Typus“ bezeichnet; oder man sagt, die verschiedenen Theile und Organe der verschiedenen Spezies einer Klasse seyen einander homolog. Der ganze Gegenstand wird unter dem Namen Morphologie zusammen begriffen. Diess ist der interessanteste Theil der Naturgeschichte und kann deren wahre Seele genannt werden. Was kann es sonderbareres geben, als dass die Greifhand des Menschen, der Grabfuss des Maulwurfs, das Rennbein des Pferdes,[S. 467] die Ruderflosse der Seeschildkröte und der Flügel der Fledermaus nach demselben Model gearbeitet sind und gleiche Knochen in der nämlichen gegenseitigen Lage enthalten. GEOFFROY SAINT-HILAIRE hat beharrlich an der grossen Wichtigkeit der wechselseitigen Verbindung der Theile in homologen Organen festgehalten; die Theile mögen in fast allen Abstufungen der Form und Grösse abändern, aber sie bleiben fest in derselben Weise miteinander verbunden. So finden wir z. B. die Knochen des Ober- und des Vorder-Arms oder des Ober- und Unter-Schenkels nie aus ihrer Verbindung gerissen. Daher kann man dem homologen Knochen in weit verschiedenen Thieren denselben Namen geben. Dasselbe grosse Gesetz tritt in der Mund-Bildung der Insekten hervor. Was kann verschiedener seyn, als die unermesslich lange spirale Saugröhre eines Abend-Schmetterlings, der sonderbar zurückgebrochene Rüssel einer Wanze und die grossen Hörner eines Hirschkäfers? Und doch werden alle diese zu so ungleichen Zwecken dienenden Organe durch unendlich zahlreiche Modifikationen der Oberlippe, der Kinnbacken und zweier Paar Kinnladen gebildet. Analoge Gesetze herrschen in der Zusammensetzung des Mundes und der Glieder der Kruster. Und eben so ist es mit den Blüthen der Pflanzen.

Nichts hat weniger Aussicht auf Erfolg, als ein Versuch diese Ähnlichkeit des Bau-Planes in den Gliedern einer Klasse mit Hilfe der Nützlichkeits-Theorie oder der Lehre von den endlichen Ursachen zu erklären. Die Hoffnungslosigkeit eines solchen Versuches ist von OWEN in seinem äusserst interessanten Werke „Nature of limbs“ ausdrücklich anerkannt worden. Nach der gewöhnlichen Ansicht von der selbstständigen Schöpfung einer jeden Spezies lässt sich nur sagen, dass es so ist, und dass es dem Schöpfer gefallen hat jedes Thier und jede Pflanze so zu machen.

Dagegen ist die Erklärung handgreiflich nach der Theorie der Natürlichen Züchtung durch Häufung aufeinander-folgender geringer Abänderungen, deren jede der abgeänderten Form einigermassen nützlich ist, welche aber in Folge der Wechselbeziehungen des Wachsthums oft auch andre Theile der Organisation[S. 468] mit berühren. Bei Abänderungen dieser Art wird sich nur wenig oder gar keine Neigung zu Änderung des ursprünglichen Bau-Plans oder zu Versetzung der Theile zeigen. Die Knochen eines Beines können in jeder Grösse verlängert oder verkürzt, sie können stufenweise in dicke Häute eingehüllt werden, um ein Ruder zu bilden; oder ein mit einer Binde-Haut zwischen den Zehen versehener Fuss (Schwimmfuss) kann alle seine Knochen oder gewisse Knochen bis zu irgend einem Maasse verlängern und die Binde-Haut in gleichem Verhältniss vergrössern, so dass er als Flügel zu dienen im Stande ist: und doch ist ungeachtet aller so bedeutender Abänderungen keine Neigung zu einer Änderung der Knochen-Bestandtheile an sich oder zu einer andern Zusammenfügung derselben vorhanden. Wenn wir unterstellen, dass der alte Stamm-Vater oder Urtypus, wie man ihn nennen kann, aller Säugthiere seine Beine, zu welchem Zwecke sie auch bestimmt gewesen seyn mögen, nach dem vorhandenen allgemeinen Plane gebildet hatte, so werden wir sofort die klare Bedeutung der homologen Bildung der Beine in der ganzen Klasse begreifen. Wenn wir ferner hinsichtlich des Mundes der Insekten einfach unterstellen, dass ihr gemeinsamer Stammvater eine Oberlippe, Kinnbacken und zwei Paar Unterkiefer vielleicht von sehr einfacher Form besessen, so wird Natürliche Züchtung auf irgend eine ursprünglich erschaffene Form wirkend vollkommen zur Erklärung der unendlichen Verschiedenheit in den Bildungen und Verrichtungen des Mundes der Insekten genügen. Demungeachtet ist es begreiflich, dass das ursprünglich gemeinsame Muster eines Organes allmählich ganz verloren gehen kann, seye es durch Atrophie und endliche vollständige Resorption gewisser Bestandtheile, oder durch Verwachsung einiger Theile, oder durch Verdoppelung oder Vervielfältigung andrer: Abänderungen, die nach unsrer Erfahrung alle in den Grenzen der Möglichkeit liegen. Nur in den Ruderfüssen gewisser ausgestorbner Eidechsen (Ichthyosaurus) und in den Theilen des Saugmundes gewisser Kruster scheint der gemeinsame Grundplan bis zu einem gewissen Grade verwischt zu seyn.

Ein andrer Zweig der Morphologie beschäftigt sich mit der[S. 469] Vergleichung, nicht des nämlichen Theiles in verschiedenen Gliedern einer Klasse, sondern der verschiedenen Theile oder Organe eines nämlichen Individuums. Die meisten Physiologen glauben, dass die Knochen des Schädels homolog[44] — d. h. in Zahl und beziehungsweiser Lage übereinstimmend — seyen mit den Knochen-Elementen einer gewissen Anzahl Wirbel. Die vorderen und die hinteren Gliedmaassen eines jeden Thieres in den Kreisen der Wirbel- und der Kerb-Thiere sind offenbar homolog zu einander. Dasselbe Gesetz bewährt sich auch bei Vergleichung der wunderbar zusammengesetzten Kinnladen mit den Beinen der Kruster. Fast Jedermann weiss, dass in einer Blume die gegenseitige Stellung der Kelch- und der Kronen-Blätter und der Staubfäden und Staubwege zu einander eben so wie deren innere Struktur aus der Annahme erklärbar werden, dass es metamorphosirte spiralständige Blätter seyen. Bei monströsen Pflanzen sehen wir nicht selten den direkten Beweis von der Möglichkeit der Umbildung eines dieser Organe in’s andere. Auch bei embryonischen Krustazeen u. a. Thieren erkennen wir so wie bei den Blüthen, dass Organe, die im reifen Zustande äusserst verschieden von einander sind, auf ihren ersten Entwickelungs-Stufen einander ausserordentlich gleichen.

Wie unerklärbar sind diese Erscheinungen nach der gewöhnlichen Ansicht von der Schöpfung! Warum ist doch das Gehirn in einen aus so vielen und so aussergewöhnlich geordneten Knochen-Stücken zusammengesetzten Kasten eingeschlossen! Wie Owen bemerkt, kann der Vortheil, welcher aus einer der Trennung der Theile entsprechenden Nachgiebigkeit des Schädels für den Geburts-Akt bei den Säugthieren entspringt, keinenfalls die nämliche Bildungs-Weise desselben bei den Vögeln erklären. Oder warum sind den Fledermäusen dieselben Knochen wie den übrigen Säugthieren zu Bildung ihrer Flügel anerschaffen worden, da sie dieselben doch zu gänzlich verschiedenen Zwecken[S. 470] gebrauchen? Und warum haben Kruster mit einem aus zahlreicheren Organen-Paaren zusammengesetzten Munde in gleichem Verhältnisse weniger Beine, oder umgekehrt die mit mehr Beinen versehenen weniger Mund-Theile? Endlich, warum sind die Kelch- und Kronen-Blätter, die Staubgefässe und Staubwege einer Blüthe, trotz ihrer Bestimmung zu so gänzlich verschiedenen Zwecken, alle nach demselben Muster gebildet?

Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung können wir alle diese Fragen genügend beantworten. Bei den Wirbelthieren sehen wir eine Reihe innerer Wirbel gewisse Fortsätze und Anhänge entwickeln; bei den Kerbthieren ist der Körper in eine Reihe Segmente mit äusseren Anhängen geschieden; und bei den Pflanzen sehen wir die Blätter auf eine Anzahl über einander folgender Umgänge einer Spirale regelmässig vertheilt. Eine unbegrenzte Wiederholung desselben Theiles oder Organes ist, wie OWEN bemerkt hat, das gemeinsame Attribut aller niedrig oder wenig modifizirten Formen[45]; daher wir leicht annehmen können, der unbekannte Stammvater aller Wirbelthiere habe viele Wirbel besessen, der aller Kerbthiere viele Körper-Segmente und der der Blüthen-Pflanzen viele Blatt-Spiralen. Wir haben ferner gesehen, dass Theile, die sich oft wiederholen, sehr geneigt sind, in Zahl und Struktur zu variiren; daher es ganz wahrscheinlich ist, dass Natürliche Züchtung mittelst lange fortgesetzter Abänderung eine gewisse Anzahl der sich oft wiederholenden ähnlichen Bestandtheile des Skelettes ganz verschiedenen Bestimmungen angepasst habe. Und da das ganze Maass der Abänderung nur in unmerklichen Abstufungen bewirkt worden, so dürfen wir uns nicht wundern, in solchen Theilen oder Organen noch einen gewissen Grad fundamentaler Ähnlichkeit nach dem strengen Erblichkeits-Prinzip zurückbehalten zu finden.

In der grossen Klasse der Mollusken lassen sich zwar Homologie’n zwischen Theilen verschiedener Spezies, aber nur wenige Reihen-Homologie’n nachweisen, d. h. wir sind selten im[S. 471] Stande zu sagen, dass ein Theil oder Organ mit einem andern im nämlichen Individuum homolog seye. Diess lässt sich wohl erklären, weil wir nicht einmal bei den untersten Gliedern des Weichthier-Kreises solche unbegrenzte Wiederholung einzelner Theile wie in den übrigen grossen Klassen des Thier- und Pflanzen-Reiches finden.

Die Naturforscher stellen die Schädel oft als eine Reihe metamorphosirter Wirbel, die Kinnladen der Krabben als metamorphosirte Beine, die Staubgefässe und Staubwege der Blumen als metamorphosirte Blätter dar; doch würde es, wie Prof. HUXLEY bemerkt hat, wahrscheinlich richtiger seyn zu sagen, Schädel wie Wirbel, Kinnladen wie Beine u. s. w. seyen nicht eines aus dem andern, sondern beide aus einem gemeinsamen Elemente entstanden. Inzwischen gebrauchen die Naturforscher jenen Ausdruck nur in bildlicher Weise, indem sie weit von der Meinung entfernt sind, dass Primordial-Organe irgend welcher Art — Wirbel im einen und Beine im andern Falle — während einer langen Reihe von Generationen wirklich in Schädel und Kinnladen umgebildet worden seyen. Und doch ist der Anschein, dass eine derartige Modifikation stattgefunden habe, so vollkommen, dass dieselben Naturforscher schwer vermeiden können, eine diesem letzten Sinne entsprechende Ausdrucks-Weise zu gebrauchen. Nach meiner eigenen Anschauungs-Weise aber sind jene Ausdrücke in der That nur wörtlich zu nehmen, um die wunderbare Erscheinung zu erklären, dass die Kinnladen z. B. eines Krabben zahlreiche Merkmale an sich tragen, welche dieselben wahrscheinlich geerbt haben müssten, soferne sie wirklich während einer langen Generationen-Reihe durch allmähliche Metamorphose aus Beinen oder sonstigen einfachen Anhängen entstanden wären.

Embryonologie.) Es ist schon gelegentlich bemerkt worden, dass gewisse Organe, welche im reifen Alter der Thiere sehr verschieden gebildet und zu ganz abweichenden Diensten bestimmt sind, sich im Embryo ganz ähnlich sehen. Eben so sind die Embryonen verschiedener Thiere derselben Klasse einander oft sehr ähnlich, wofür sich ein besserer Beweis nicht[S. 472] anführen lässt, als die Versicherung von BAER’S, die Embryonen von Säugthieren, Vögeln, Eidechsen, Schlangen und wahrscheinlich auch Schildkröten seyen sich in der ersten Zeit im Ganzen sowohl als in der Bildungs-Weise ihrer einzelnen Theile so ähnlich, dass man sie nur an ihrer Grösse unterscheiden könne. Ich besitze zwei Embryonen im Weingeist aufbewahrt, deren Namen ich beizuschreiben vergessen habe, und nun bin ich ganz ausser Stand zu sagen, zu welcher Klasse sie gehören. Es können Eidechsen oder kleine Vögel oder sehr junge Säugthiere seyn, so vollständig ist die Ähnlichkeit in der Bildungs-Weise von Kopf und Rumpf dieser Thiere, und die Extremitäten fehlen noch. Aber auch wenn sie vorhanden wären, so würden sie auf ihrer ersten Entwickelungs-Stufe nichts beweisen; denn die Beine der Eidechsen und Säugthiere, die Flügel und Beine der Vögel nicht weniger als die Hände und Füsse des Menschen: alle entspringen aus der nämlichen Grundform. — Die Wurm-förmigen Larven der Motten, Fliegen, Käfer u. s. w. gleichen einander viel mehr, als die reifen Insekten. In den Larven verräth sich noch die Einförmigkeit des Embryo’s; das reife Insekt ist den speziellen Lebens-Bedingungen angepasst. Zuweilen geht eine Spur der embryonischen Ähnlichkeit noch in ein spätres Alter über; so gleichen Vögel derselben Sippe oder nahe verwandter Genera einander oft in ihrem ersten und zweiten Jugend-Kleide: alle Drosseln z. B. in ihrem gefleckten Gefieder. In der Katzen-Familie sind die meisten Arten gestreift oder streifenweise gefleckt; und solche Streifen oder Flecken sind auch noch am neugeborenen Jungen des Löwen und des Puma vorhanden. Wir sehen zuweilen, aber selten, auch etwas der Art bei den Pflanzen. So sind die Embryonal-Blätter des Ulex und die ersten Blätter der neuholländischen Acacien, welche später nur noch Phyllodien hervorbringen, zusammengesetzt oder gefiedert, wie die gewöhnlichen Leguminosen-Blätter. Diejenigen Punkte der Organisation, worin die Embryonen ganz verschiedener Thiere einer und derselben Klasse sich gegenseitig gleichen, haben oft keine unmittelbare Beziehung zu ihren Existenz-Bedingungen. Wir können z. B. nicht annehmen, dass in den Embryonen der Wirbelthiere der eigenthümliche[S. 473] Schleifen-artige Verlauf der Arterien nächst den Kiemen-Schlitzen des Halses mit der Ähnlichkeit der Lebens-Bedingungen in Zusammenhang stehe im jungen Säugthiere, das im Mutterleibe ernährt wird, wie im Vogel, welcher dem Eie entschlüpft, und im Frosche, der sich im Laiche unter Wasser entwickelt. Wir haben nicht mehr Grund, an einen solchen Zusammenhang zu glauben, als anzunehmen, dass die Übereinstimmung der Knochen in der Hand des Menschen, im Flügel einer Fledermaus und im Ruderfusse einer Schildkröte mit einer Übereinstimmung der äussern Lebens-Bedingungen in Verbindung stehe. Niemand denkt, dass die Streifen an dem jungen Löwen oder die Flecken an der jungen Schwarzdrossel (Amsel) diesen Thieren nützen oder mit den Lebens-Bedingungen in Zusammenhang stehen, welchen sie ausgesetzt sind.

Anders verhält sich jedoch die Sache, wenn ein Thier während eines Theiles seiner Embryo-Laufbahn thätig ist und für sich selbst zu sorgen hat. Die Periode dieser Thätigkeit kann früher oder kann später im Leben kommen; doch, wann immer sie kommen mag, die Anpassung der Larve an ihre Lebens-Bedingungen ist eben so vollkommen und schön, wie die des reifen Thieres an die seinige. Durch derartige eigenthümliche Anpassungen wird dann zuweilen auch die Ähnlichkeit der thätigen Larven oder Embryonen einander verwandter Thiere schon sehr verdunkelt; und es liessen sich Beispiele anführen, wo die Larven zweier Arten und sogar Arten-Gruppen eben so sehr oder noch mehr von einander verschieden sind, als ihre reifen Ältern. In den meisten Fällen jedoch gehorchen auch die thätigen Larven noch mehr und weniger dem Gesetze der embryonalen Ähnlichkeit. Die Cirripeden liefern einen guten Beleg dafür: selbst der berühmte CUVIER erkannte nicht, dass dieselben Kruster seyen; aber schon ein Blick auf ihre Larven verräth Diess in unverkennbarer Weise. Und eben so haben die zwei Haupt-Abtheilungen der Cirripeden, die gestielten und die sitzenden, welche in ihrem äusseren Ansehen so sehr von einander abweichen, Larven, die in allen ihren Entwickelungs-Stufen kaum unterscheidbar sind.

[S. 474]

Während des Verlaufes seiner Entwickelung steigt der Embryo gewöhnlich in der Organisation: ich gebrauche diesen Ausdruck, obwohl ich weiss, dass es kaum möglich ist, genau anzugeben, was unter höherer oder tieferer Organisation zu verstehen seye. Niemand wird wohl bestreiten, dass der Schmetterling höher organisirt seye als die Raupe. In einigen Fällen jedoch, wie bei parasitischen Krustern, sieht man allgemein das reife Thier für tieferstehend als die Larve an. Ich beziehe mich wieder auf die Cirripeden. Auf ihrer ersten Stufe hat die Larve drei Paar Füsse, ein sehr einfaches Auge und einen Rüssel-förmigen Mund, womit sie reichliche Nahrung aufnimmt; denn sie wächst schnell an Grösse zu. Auf der zweiten Stufe, dem Raupen-Stande des Schmetterlings entsprechend, hat sie sechs Paar schön gebauter Schwimm-Füsse, ein Paar herrlich zusammengesetzter Augen und äusserst zusammengesetzte Fühler, aber einen geschlossenen Mund, der keine Nahrung aufnehmen kann; ihre Verrichtung auf dieser Stufe ist, einen zur Befestigung und zur letzten Metamorphose geeigneten Platz mittelst ihres wohl-entwickelten Sinnes-Organes zu suchen und mit ihren mächtigen Schwimm-Werkzeugen zu erreichen. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, so bleibt das Thier lebenslänglich an seiner Stelle befestigt; seine Beine verwandeln sich in Greif-Organe; es bildet sich ein wohl zusammengesetzter Mund aus; aber es hat keine Fühler, und seine beiden Augen haben sich jetzt wieder in einen kleinen und ganz einfachen Augenfleck verwandelt. In diesem letzten und vollständigen Zustande kann man die Cirripeden als höher oder als tiefer organisirt betrachten, als sie im Larven-Stande gewesen sind. In einigen ihrer Sippen jedoch entwickeln sich die Larven entweder zu Hermaphroditen von der gewöhnlichen Bildung oder zu (von mir so genannten) komplementären Männchen; und in diesen letzten ist die Entwickelung gewiss zurückgeschritten, denn sie bestehen in einem blossen Sack mit kurzer Lebens-Frist, ohne Mund, Magen oder andres wichtiges Organ, das der Reproduktion ausgenommen.

Wir sind so sehr gewöhnt, Struktur-Verschiedenheiten zwischen Embryonen und erwachsenen Organismen zu sehen und[S. 475] eben so eine grosse Ähnlichkeit zwischen den Embryonen weit verschiedener Thiere derselben Klasse zu finden, dass man sich versucht fühlt, diese Erscheinungen als nothwendig in gewisser Weise zusammentreffend mit der Entwickelung zu betrachten. Inzwischen ist doch kein Grund einzusehen, warum der Plan z. B. zum Flügel der Fledermaus oder zum Ruder der Seeschildkröte nach allen ihren Theilen in angemessener Proportion nicht schon im Embryo entworfen worden seyn soll, sobald nur irgend eine Struktur in demselben sichtbar wurde. Und in einigen ganzen Thier-Gruppen sowohl als in gewissen Gliedern andrer Gruppen weicht der Embryo zu keiner Zeit seines Lebens weit vom Erwachsenen ab; — daher OWEN in Bezug auf die Sepien bemerkt hat: „da ist keine Metamorphose; der Cephalopoden-Charakter ist deutlich schon weit früher als die Theile des Embryo’s vollständig sind“, und in Bezug auf die Spinnen: „da ist nichts, was die Benennung Metamorphose verdiente“. Die Insekten-Larven, mögen sie nun thätig und den verschiedenartigsten Diensten angepasst oder unthätig von ihren Ältern gefüttert oder mitten in die ihnen angemessene Nahrung hineingesetzt werden, so haben doch alle eine ähnliche wurmförmige Entwickelungs-Stufe zu durchlaufen; nur in einigen wenigen Fällen ist, wie bei Aphis nach den herrlichen Zeichnungen HUXLEY’S zu urtheilen, keine Spur eines wurmförmigen Zustandes zu finden[46].

Wie sind aber dann diese verschiedenen Erscheinungen der Embryologie zu erklären? — namentlich die sehr gewöhnliche wenn auch nicht allgemeine Verschiedenheit der Organisation des Embryo’s und des Erwachsenen? — die ausserordentlich weit auseinanderlaufende Bildung und Verrichtung von anfangs ganz ähnlichen Theilen eines und desselben Embryos? — die fast allgemeine obschon nicht ausnahmslose Ähnlichkeit zwischen Embryonen verschiedener Spezies einer Klasse? — die besondre Anpassung der Struktur des Embryo’s an seine Existenz-Bedingungen bloss in dem Falle, dass er zu irgend einer Zeit thätig[S. 476] ist und für sich selbst zu sorgen hat? — die zuweilen anscheinend höhere Organisation des Embryo’s, als des reifen Thieres, in welches er übergeht? Ich glaube, dass sich alle diese Erscheinungen auf folgende Weise aus der Annahme einer Abstammung mit Abänderung erklären lassen.

Gewöhnlich unterstellt man, vielleicht weil Monstrositäten sich oft sehr früh am Embryo zu zeigen beginnen, dass geringe Abänderungen nothwendig in einer gleichmässig frühen Periode des Embryos zum Vorschein kommen. Doch haben wir dafür wenig Beweise, und der Anschein spricht sogar für das Gegentheil; denn es ist bekannt, dass die Züchter von Rindern, Pferden und verschiedenen Thieren der Liebhaberei erst eine gewisse Zeit nach der Geburt des jungen Thieres zu sagen im Stande sind, welche Form oder Vorzüge es schliesslich zeigen wird. Wir sehen Diess deutlich bei unsern Kindern; wir können nicht immer sagen, ob die Kinder von schlanker oder gedrungener Figur seyn oder wie sonst genau aussehen werden. Die Frage ist nicht: in welcher Lebens-Periode eine Abänderung verursacht, sondern in welcher sie vollkommen entwickelt seyn wird. Die Ursache kann schon gewirkt haben und hat nach meiner Meinung gewöhnlich gewirkt, ehe sich der Embryo gebildet hat; und die Abänderung kann davon herkommen, dass das männliche oder das weibliche Element durch die Lebens-Bedingungen berührt worden ist, welchen die Ältern oder deren Vorgänger ausgesetzt gewesen sind. Demungeachtet kann die so in sehr früher Zeit und selbst vor der Bildung des Embryos veranlasste Wirkung erst spät im Leben hervortreten, wie z. B. auch eine erbliche Krankheit, die dem Alter angehört, von dem reproduktiven Elemente eines der Ältern auf die Nachkommen übertragen, oder die Hörner-Form eines Blendlings aus einer lang- und einer kurz-hörnigen Rasse von den Hörnern der beiden Ältern bedingt wird. Für das Wohl eines sehr jungen Thieres, so lange es noch im Mutterleibe oder im Ei eingeschlossen ist oder von seinen Ältern genährt und geschützt wird, muss es hinsichtlich der meisten Charaktere ganz unwesentlich seyn, ob es dieselben etwas früher oder später im Leben erlangt. Es[S. 477] würde z. B. für einen Vogel, der sich sein Futter am besten mit einem langen Schnabel verschaffte, gleichgültig seyn, ob er die entsprechende Schnabel-Länge schon bekömmt, so lange er noch von seinen Ältern gefüttert wird, oder nicht. Daher, schliesse ich, ist es ganz möglich, dass jede der vielen nacheinander folgenden Modifikationen, wodurch eine Art ihre gegenwärtige Bildung erlangt hat, in einer nicht sehr frühen Lebens-Zeit eingetreten seye; und einige direkte Belege von unseren Hausthieren unterstützen diese Ansicht. In anderen Fällen aber ist es eben so möglich, dass alle oder die meisten dieser Umbildungen in einer sehr frühen Zeit hervorgetreten sind.

Ich habe im ersten Kapitel behauptet, dass einige Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, dass eine Abänderung, die in irgend welcher Lebens-Zeit der Ältern zum Vorschein gekommen, sich auch in gleichem Alter wieder beim Jungen zeige. Gewisse Abänderungen können nur in sich entsprechenden Altern wieder erscheinen, wie z. B. die Eigenthümlichkeiten der Raupe oder der Puppe des Seidenschmetterlings, oder der Hörner des fast ausgewachsenen Rindes. Aber auch ausserdem möchten, soviel zu ersehen, Abänderungen, welche einmal früher oder später im Leben eingetreten sind, zum Wiedererscheinen im entsprechenden Alter des Nachkommen geneigt seyn. Ich bin weit entfernt zu glauben, dass Diess unabänderlich der Fall ist, und könnte selbst eine gute Anzahl von Beispielen anführen, wo Abänderungen (im weitesten Sinne des Wortes genommen) im Kinde früher als in den Ältern eingetreten sind.

Diese zwei Prinzipien, ihre Richtigkeit zugestanden, werden alle oben aufgezählten Haupt-Erscheinungen in der Embryologie erklären. Doch, sehen wir uns zuerst nach einigen analogen Fällen bei unseren Hausthier-Varietäten um. Einige Autoren, die über den Hund geschrieben, behaupten der Windhund und der Bullenbeisser seyen, wenn auch noch so verschieden von Aussehen, in der That sehr nahe verwandte Varietäten, wahrscheinlich vom nämlichen wilden Stamme entsprossen. Ich war daher begierig zu erfahren, wie weit ihre neu-geworfenen Jungen von einander abweichen. Züchter sagten mir, dass sie beinahe eben[S. 478] so verschieden seyen, wie ihre Ältern; und nach dem Augenschein war Diess auch ziemlich der Fall. Aber bei wirklicher Ausmessung der alten Hunde und der 6 Tage alten Jungen, fand ich, dass diese letzten noch nicht ganz die abweichenden Maass-Verhältnisse angenommen hatten. Eben so vernahm ich, dass die Füllen des Karren- und des Renn-Pferdes eben so sehr wie die ausgewachsenen Thiere von einander abweichen, was mich höchlich wunderte, da es mir wahrscheinlich gewesen, dass die Verschiedenheit zwischen diesen zwei Rassen lediglich eine Folge der Züchtung im Zähmungs-Zustande seye. Als ich demnach sorgfältige Ausmessungen an der Mutter und dem drei Tage alten Füllen eines Renners und eines Karren-Gauls vornahm, so fand ich, dass die Füllen noch keineswegs die ganze Verschiedenheit in ihren Maass-Verhältnissen besassen.

Da es mir erwiesen scheint, dass die verschiedenen Haustauben-Rassen von nur einer wilden Art herstammen, so verglich ich junge Tauben verschiedener Rassen 12 Stunden nach dem Ausschlüpfen miteinander; ich mass die Verhältnisse (wovon ich die Einzelnheiten hier nicht mittheilen will) zwischen dem Schnabel, der Weite des Mundes, der Länge der Nasenlöcher und des Augenlides, der Läufe und Zehen sowohl beim wilden Stamme, als bei Kröpfern, Pfauen-Tauben, Runt- und Barb-Tauben (S. 27), Drachen- und Boten-Tauben und Purzlern. Einige von diesen Vögeln weichen im reifen Zustande so ausserordentlich in der Länge und Form des Schnabels von einander ab, dass man sie, wären sie natürliche Erzeugnisse, zweifelsohne in ganz verschiedene Genera bringen würde. Wenn man aber die Nestlinge dieser verschiedenen Rassen in eine Reihe ordnet, so erscheinen die Verschiedenheiten ihrer Proportionen in den genannten Beziehungen, obwohl man die meisten derselben noch von einander unterscheiden kann, unvergleichbar geringer, als in den ausgewachsenen Vögeln. Einige charakteristische Differenz-Punkte der Alten, wie z. B. die Weite des Mundspaltes, sind an den Jungen noch kaum zu entdecken. Es war nur eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel, indem die Jungen des kurzstirnigen Purzlers von den Jungen der wilden Felstaube und der andren[S. 479] Rassen in allen Maass-Verhältnissen fast genau ebenso verschieden waren, wie im erwachsenen Zustande[47].

Die zwei oben aufgestellten Prinzipien scheinen mir diese Thatsachen in Bezug auf die letzten Embryo-Zustände unsrer zahmen Varietäten zu erklären. Liebhaber wählen ihre Pferde, Hunde und Tauben zur Nachzucht aus, wann sie nahezu ausgewachsen sind. Es ist ihnen gleichgültig, ob die verlangten Bildungen und Eigenschaften früher oder später im Leben zum Vorschein kommen, wenn nur das ausgewachsene Thier sie besitzt. Und die eben mitgetheilten Beispiele insbesondre von den Tauben scheinen zu zeigen, dass die charakteristischen Verschiedenheiten, welche den Werth einer jeden Rasse bedingen und durch künstliche Züchtung gehäuft worden sind, gewöhnlich nicht in früher Lebens-Periode zum Vorschein gekommen und somit auch erst in einem entsprechenden späteren Lebens-Alter auf den Nachkommen übergingen. Aber der Fall mit dem kurzstirnigen Purzler, welcher schon in einem Alter von zwölf Stunden seine eigenthümlichen Maass-Verhältnisse besitzt, beweist, dass Diess keine allgemeine Regel ist; denn hier müssen die charakteristischen Unterschiede entweder in einer frühern Periode als gewöhnlich erschienen seyn, oder wenn nicht, so müssen die Unterschiede statt in dem entsprechenden in einem früheren Alter vererbt worden seyn.

Wenden wir nun diese Erscheinungen und die zwei obigen Prinzipien, die, wenn auch noch nicht erwiesen, doch einigermaassen wahrscheinlich sind, auf die Arten im Natur-Zustande an. Nehmen wir eine Vogel-Sippe an, die nach meiner Theorie von irgend einer gemeinsamen Stamm-Art herkommt, und deren verschiedenen neuen Arten durch natürliche Züchtung in Übereinstimmung mit ihren verschiedenen Lebens-Weisen modifizirt worden sind. Dann werden in Folge der vielen successiven kleinen Abänderungs-Stufen, welche in späterem Alter eingetreten sind und sich in entsprechendem Alter weiter vererbt haben, die[S. 480] Jungen aller neuen Arten unsrer unterstellten Sippe sich einander offenbar mehr zu gleichen geneigt seyn, als es bei den Alten der Fall, gerade so wie wir es bei den Tauben gesehen haben. Dehnen wir diese Ansicht auf ganze Familien oder selbst Klassen aus. Die vordern Gliedmaassen z. B., welche der Stamm-Art als Beine gedient, mögen in Folge lang-währender Modifikation bei einem Nachkommen zu den Diensten der Hand, bei einem andern zu denen des Ruders und bei einem Dritten zu solchen des Flügels angepasst worden seyn: so werden nach den zwei obigen Prinzipien, dass nämlich jede der successiven Modifikationen in einem späteren Alter entstand und sich auch erst in einem entsprechenden späteren Alter vererbte, die vordern Gliedmaassen in den Embryonen der verschiedenen Nachkommen der Stamm-Art einander noch sehr ähnlich seyn; denn sie sind von den Modifikationen nicht betroffen worden. Nun werden aber in jeder unsrer neuen Arten die embryonischen Vordergliedmaassen sehr von denen des reifen Thieres verschieden seyn, weil diese letzten erst in spätrer Lebens-Periode grosse Abänderung erfahren haben und in Hände, Ruder und Flügel umgewandelt worden sind. Was immer für einen Einfluss lange fortgesetzter Gebrauch und Übung einerseits und Nichtgebrauch andrerseits auf die Abänderung eines Organes haben mag, so wird ein solcher Einfluss hauptsächlich das reife Thier betreffen, welches bereits zu seiner ganzen Thatkraft gelangt ist und sein Leben selber fristen muss; und die so entstandenen Wirkungen werden sich im entsprechenden reifen Alter vererben. Daher rührt es, dass das Junge durch die Folgen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs nicht verändert wird oder nur wenige Abänderung erfährt.

In gewissen Fällen mögen die aufeinander-folgenden Abänderungs-Stufen, aus uns ganz unbekannten Gründen, schon in sehr früher Lebens-Zeit erfolgen, oder jede solche Stufe in einer früheren Lebens-Periode vererbt werden, als worin sie zuerst entstanden ist. In beiden Fällen wird das Junge oder der Embryo (wie die Beobachtung am kurzstirnigen Purzler zeigt) der reifen älterlichen Form vollkommen gleichen. Wir haben gesehen, dass Diess die Regel ist in einigen ganzen Thier-Gruppen,[S. 481] bei den Sepien und Spinnen, und in einigen wenigen Fällen auch in der grossen Klasse der sechsfüssigen Insekten, wie namentlich bei den Blattläusen. Was nun die End-Ursache betrifft, warum das Junge in diesen Fällen keine Metamorphose durchläuft oder seinen Ältern von der frühesten Stufe an schon gleicht, so kann Diess etwa von den folgenden zwei Bedingungen herrühren: erstens davon, dass das Junge im Verlaufe seiner durch viele Generationen fortgesetzten Abänderung schon von sehr früher Entwickelungs-Stufe an für seine eignen Bedürfnisse zu sorgen hatte, und zweitens davon, dass es genau dieselbe Lebens-Weise wie seine Ältern befolgte. Vielleicht ist jedoch noch eine Erklärung erforderlich, warum der Embryo keine Metamorphose durchläuft? Wenn auf der andern Seite es dem Jungen vortheilhaft ist, eine von der älterlichen etwas verschiedene Lebens-Weise einzuhalten und demgemäss einen etwas abweichenden Bau zu haben, so kann nach dem Prinzip der Vererbung in übereinstimmenden Lebens-Zeiten die thätige Larve oder das Junge durch Natürliche Züchtung leicht eine in merklichem Grade von der seiner Ältern abweichende Bildung erlangen. Solche Abweichungen können auch mit den aufeinander folgenden Entwickelungs-Stufen in Wechselbeziehung treten, so dass die Larve auf ihrer ersten Stufe weit von der Larve auf der zweiten Stufe abweicht, wie wir bei den Cirripeden gesehen haben. Das Alte kann sich Lagen und Gewohnheiten anpassen, wo ihm Bewegungs-, Sinnes- oder andere Organe nutzlos werden, und in diesem Falle kann man dessen letzte Metamorphose als eine zurückschreitende bezeichnen.

Wenn alle organischen Wesen, welche noch leben oder jemals auf dieser Erde gelebt haben, zusammen klassifizirt werden sollten, so würde, da alle durch die feinsten Abstufungen mit einander verkettet sind, die beste, oder in der That, wenn unsre Sammlungen einigermaassen vollständig wären, die einzige mögliche Anordnung derselben die genealogische seyn. Gemeinsame Abstammung ist nach meiner Ansicht das geheime Band, welches die Naturforscher unter dem Namen Natürliches System gesucht haben. Von dieser Annahme aus begreifen wir, woher es kommt,[S. 482] dass in den Augen der meisten Naturforscher die Bildung des Embryos für die Klassifikation noch wichtiger als die des Erwachsenen ist. Denn der Embryo ist das Thier in seinem weniger modifizirten Zustande und enthüllet uns in so ferne die Struktur eines Stammvaters. Zwei Thier-Gruppen mögen jetzt in Bau und Lebens-Weise noch so verschieden von einander seyn; wenn sie gleiche oder ähnliche Embryo-Stände durchlaufen, so dürfen wir uns überzeugt halten, dass beide von denselben oder von einander sehr ähnlichen Ältern abstammen und desshalb in entsprechendem Grade einander nahe verwandt sind. So verräth Übereinstimmung in der Embryo-Bildung gemeinsame Abstammung. Sie verräth diese gemeinsame Abstammung, wie sehr auch die Organisation des Alten abgeändert und verhüllt worden seyn mag; denn wir haben gesehen, dass die Cirripeden z. B. an ihren Larven sogleich als zur grossen Klasse der Kruster gehörig erkannt werden können. Da der Embryo-Zustand einer jeden Art und jeden Arten-Gruppe uns theilweise den Bau ihrer alten noch wenig modifizirten Stamm-Formen überliefert, so ergibt sich auch deutlich, warum alte und erloschene Lebenformen den Embryonen ihrer Nachkommen, unsren heutigen Sippen nämlich, gleichen. Agassiz hält Diess für ein Natur-Gesetz; ich bin aber zu bekennen genöthigt, dass ich erst später das Gesetz noch bestätigt zu sehen hoffe. Denn es lässt sich nur in den Fällen allein beweisen, wo der alte, angeblich in den jetzigen Embryonen vertretene Zustand in dem langen Verlaufe andauernder Modifikation weder durch successive in einem frühen Lebens-Alter erfolgte Abänderungen noch durch Vererbung der Abweichungen auf ein früheres Lebens-Alter, als worin sie ursprünglich aufgetreten sind, vermischt worden ist. Auch ist zu erwägen, dass das angebliche Gesetz der Ähnlichkeit alter Lebenformen mit den Embryo-Ständen der neuen ganz wahr seyn und doch, weil sich der geologische Schöpfungs-Bericht nicht weit genug rückwärts erstreckt, noch auf lange hinaus oder für immer unbeweisbar bleiben kann.

So scheinen sich mir die Haupterscheinungen in der Embryologie, welche an naturgeschichtlicher Wichtigkeit keinen andern[S. 483] nachstehen, aus dem Prinzip zu erklären: dass geringe Modifikationen in der langen Reihe von Nachkommen eines alten Stammvaters, wenn auch vielleicht in sehr frühem Älter weiter vererbt worden sind. Die Embryologie gewinnt sehr an Interesse, wenn wir uns den Embryo als ein mehr oder weniger vererbliches Bild der gemeinsamen Stamm-Form einer jeden grossen Thier-Klasse vorstellen.

Rudimentäre, atrophische und abortive Organe.) Organe oder Theile, in diesem eigenthümlichen Zustande den Stempel der Nutzlosigkeit tragend, sind in der Natur äusserst gewöhnlich. So sind rudimentäre Zitzen sehr gewöhnlich bei männlichen Säugthieren, und ich glaube, dass man den Afterflügel der Vögel getrost als einen verkümmerten Finger ansehen darf. In vielen Schlangen ist der eine Lungenflügel verkümmert, und in andern Schlangen kommen Rudimente des Beckens und der Hinterbeine vor. Einige Beispiele von solchen Organen-Rudimenten sind sehr eigenthümlich, wie die Anwesenheit von Zähnen bei Wal-Embryonen, die in erwachsenem Zustande nicht einen Zahn im ganzen Kopfe haben; und das Daseyn von Schneide-Zähnen am Oberkiefer unsrer Kälber vor der Geburt, welche aber niemals das Zahnfleisch durchbrechen. Auch ist von einem guten Gewährsmann behauptet worden, dass sich Zahn-Rudimente in den Schnäbeln der Embryonen gewisser Vögel entdecken lassen. Nichts kann klarer seyn, als dass die Flügel zum Fluge gemacht sind; und doch, in wie vielen Insekten sehen wir die Flügel so verkleinert, dass sie zum Fluge ganz unbrauchbar und überdiess noch unter fest miteinander verwachsenen Flügeldecken verborgen liegen.

Die Bedeutung rudimentärer Organe ist oft unverkennbar. So gibt es z. B. in einer Sippe (und zuweilen in einer Spezies) beisammen Käfer, die sich in allen Beziehungen aufs Genaueste gleichen, nur dass die einen vollständig ausgebildete Flügel und die andern an deren Stelle nur Haut-Lappen haben; und hier ist es unmöglich zu zweifeln, dass diese Lappen die Flügel vertreten. Rudimentäre Organe behalten zuweilen noch ihre Dienstfähigkeit, ohne ausgebildet zu seyn, wie die Milchzitzen[S. 484] männlicher Säugethiere, wo von vielen Fällen berichtet wird, dass diese Organe in ausgewachsenen Männchen sich wohl entwickelt und Milch abgesondert haben. So hat das weibliche Rind gewöhnlich vier entwickelte und zwei rudimentäre Zitzen am Euter; aber bei unsrer zahmen Kuh entwickeln sich gewöhnlich auch die zwei letzten und geben Milch. Bei Pflanzen sind in einer und der nämlichen Spezies die Kronenblätter bald nur als Rudimente und bald in ganz ausgebildetem Zustande vorhanden. Bei Pflanzen mit getrennten Geschlechtern haben die männlichen Blüthen oft ein Rudiment von Pistill, und bei Kreutzung einer solchen männlichen Pflanze mit einer hermaphroditischen Art sah KÖLREUTER in dem Bastard das Pistill-Rudiment an Grösse zunehmen, woraus sich ergibt, dass das Rudiment und das vollkommene Pistill sich in ihrer Natur wesentlich gleichen.

Ein für zweierlei Verrichtungen dienendes Organ kann für die eine und sogar die wichtigere derselben rudimentär werden oder ganz fehlschlagen und in voller Wirksamkeit für die andre bleiben. So ist die Bestimmung des Pistills, die Pollen-Schläuche in den Stand zu setzen, die in dem Ovarium an seiner Basis enthaltenen Ei’chen zu erreichen. Das Pistill besteht aus der Narbe vom Griffel getragen; bei einigen Compositae jedoch haben die männlichen Blüthchen, welche mithin nicht befruchtet werden können, ein Pistill in rudimentärem Zustande, indem es keine Narbe besitzt, und doch bleibt es sonst wohl entwickelt und wie in andern Compositae mit Haaren überzogen, um den Pollen von den umgebenden Antheren abzustreifen. So kann auch ein Organ für seine eigene Bestimmung rudimentär werden und für einen andern Zweck dienen, wie in gewissen Fischen die Schwimmblase für ihre eigene Verrichtung, den Fisch im Wasser zu erleichtern, beinahe rudimentär zu werden scheint, indem sie in ein Athmungs-Organ oder Lunge überzugehen beginnt.

Nur wenig entwickelte aber doch brauchbare Organe sollten nicht rudimentär genannt werden; man kann nicht mit Recht sagen, sie seyen in atrophischem Zustand; sie mögen für „werdende“ Organe gelten und später durch natürliche Züchtung in irgend welchem Maasse weiter entwickelt werden. Dagegen sind[S. 485] rudimentäre Organe oft wesentlich nutzlos: wie Zähne, welche niemals das Zahnfleisch durchbrechen, in ihrem noch wenig entwickelten Zustande auch nur von wenig Nutzen seyn können. Bei ihrer jetzigen Beschaffenheit können sie nicht von Natürlicher Züchtung herrühren, welche bloss durch Erhaltung nützlicher Abänderungen wirkt; sie sind, wie wir sehen werden, nur durch Vererbung erhalten worden[48] und stehen mit der frühern Beschaffenheit ihres Besitzers in Verbindung. Es ist schwer zu erkennen, was „werdende“ Organe sind; in Bezug auf die Zukunft kann man nicht sagen, in welcher Weise sich ein Theil entwickeln wird, und ob es jetzt ein „werdender“ ist; in Bezug auf die Vergangenheit, so werden Geschöpfe mit werdenden Organen gewöhnlich durch ihre Nachfolger mit vollkommeneren und entwickelteren Organen ersetzt und ausgetilgt worden seyn. Der Flügel-Stümmel des Pinguins ist als Ruder wirkend von grossem Nutzen und mag daher den beginnenden Vogel-Flügel vorstellen; nicht als ob ich glaubte, dass er es wirklich seye, denn wahrscheinlich ist er ein reduzirtes und für eine neue Bestimmung hergerichtetes Organ. Der Flügel des Apteryx ist nutzlos und ganz rudimentär. Die Milchzitzen-Drüse des Ornithorhynchus kann vielleicht, einem Kuh-Euter gegenüber, als eine werdende bezeichnet werden. Die Eierzügel gewisser Cirripeden (S. 219), welche nur wenig entwickelt sind und nicht mehr zur Befestigung der Eier dienen, sind werdende Kiemen.

Rudimentäre Organe in Individuen einer nämlichen Art variiren sehr gerne in ihrer Entwickelungs-Stufe sowohl als in andern Beziehungen. Ausserdem ist der Grad, bis zu welchem das Organ rudimentär geworden, in nahe verwandten Arten zuweilen sehr verschieden. Für diesen letzten Fall liefert der Zustand der Flügel bei einigen Nacht-Schmetterlingen ein gutes Beispiel. Rudimentäre Organe können gänzlich fehlschlagen oder[S. 486] abortiren, und daher rührt es dann, dass wir in einem Thiere oder einer Pflanze nicht einmal eine Spur mehr von einem Organe finden, welches wir dort zu erwarten berechtigt sind und nur zuweilen noch in monströsen Individuen hervortreten sehen. So finden wir z. B. im Löwenmaul (Antirrhinum) gewöhnlich kein Rudiment eines fünften Staubgefässes; doch kommt Diess zuweilen zum Vorschein. Wenn man die Homologien eines Theiles in den verschiedenen Gliedern einer Klasse verfolgt, so ist nichts gewöhnlicher oder nothwendiger, als die Entdeckung von Rudimenten. R. OWEN hat Diess ganz gut in Zeichnungen der Bein-Knochen des Pferdes, des Ochsen und des Nashorns dargestellt.

Es ist eine wichtige Erscheinung, dass rudimentäre Organe, wie die Zähne im Oberkiefer der Wale und Wiederkäuer, oft im Embryo zu entdecken sind und nachher völlig verschwinden. Auch ist es, glaube ich, eine allgemeine Regel, dass ein rudimentäres Organ den angrenzenden Theilen gegenüber im Embryo grösser als im Erwachsenen erscheint, so dass das Organ im Embryo minder rudimentär ist und oft kaum als irgendwie rudimentär bezeichnet werden kann; oder man sagt oft von ihm, es seye auf seiner embryonalen Entwickelungs-Stufe auch im Erwachsenen stehen geblieben.

Ich habe jetzt die leitenden Erscheinungen bei rudimentären Organen aufgeführt. Bei weiterem Nachdenken darüber muss jeder von Erstaunen betroffen werden; denn dieselbe Urtheilskraft, welche uns so deutlich erkennen lässt, wie vortrefflich die meisten Theile und Organe ihren verschiedenen Bestimmungen angepasst sind, lehrt uns auch mit gleicher Deutlichkeit, dass diese rudimentären oder atrophirten Organe unvollkommen und nutzlos sind. In den naturgeschichtlichen Werken liest man gewöhnlich, dass die rudimentären Organe nur der „Symmetrie wegen“ oder „um das Schema der Natur zu ergänzen“ vorhanden sind; Diess scheint mir aber keine Erklärung, sondern eine andre blosse Behauptung der Thatsache zu seyn. Würde es denn genügen zu sagen, weil Planeten in elliptischen Bahnen um die Sonne laufen, nehmen Satelliten denselben Lauf um die Planeten nur der Symmetrie wegen und um das Schema der Natur zu[S. 487] vervollständigen? Ein ausgezeichneter Physiologe sucht das Vorkommen rudimentärer Organe durch die Annahme zu erklären, dass sie dazu dienen, überschüssige oder dem Systeme schädliche Materie auszuscheiden. Aber kann man denn annehmen, dass das kleine nur aus Zellgewebe bestehende Wärzchen, welches in männlichen Blüthen oft die Stelle des Pistills vertritt, Diess zu bewirken vermöge? Kann man unterstellen, dass die Bildung rudimentärer Zähne, die später wieder resorbirt werden, dem in raschem Wachsen begriffenen Kalb-Embryo durch Ausscheidung der ihm so werthvollen phosphorsauren Kalkerde von irgend welchem Nutzen seyn könne? Wenn ein Mensch durch Amputation einen Finger verliert, so kommt an dem Stümmel zuweilen ein unvollkommener Nagel wieder zum Vorschein. Man könnte nun gerade so gut glauben, dass dieses Rudiment eines Nagels nicht in Folge unbekannter Wachsthums-Gesetze, sondern nur um Horn-Materie auszuscheiden wieder erscheine, als dass die Nagel-Stümmel an den Ruderhänden des Mantels dazu bestimmt seyen.

Nach meiner Annahme von Fortpflanzung mit Abänderung erklärt sich die Entstehung rudimentärer Organe sehr einfach. Wir kennen eine Menge Beispiele von rudimentären Organen bei unseren Kultur-Erzeugnissen, wie der Schwanz-Stümmel in ungeschwänzten Rassen, der Ohr-Stümmel in Ohr-losen Rassen, das Wiedererscheinen kleiner nur in der Haut hängender Hörner bei ungehörnten Rinder-Rassen und besonders, nach YOUATT, bei jungen Thieren derselben, und wie der Zustand der ganzen Blüthe im Blumenkohl. Oft sehen wir auch Stümmel verschiedener Art bei Missgeburten. Aber ich bezweifle, dass einer von diesen Fällen geeignet ist, die Bildung rudimentärer Organe in der Natur weiter zu beleuchten, als dass er uns zeigt, dass Stümmel entstehen können; denn ich bezweifle eben so, dass Arten im Natur-Zustande jemals plötzlichen Veränderungen unterliegen. Ich glaube, dass Nichtgebrauch dabei hauptsächlich in Betracht komme, der während einer langen Generationen-Reihe die allmähliche Abschwächung der Organe veranlassen kann, bis sie endlich nur noch als Stümmel erscheinen: so bei den Augen in[S. 488] dunklen Höhlen lebender Thiere, welche nie etwas sehen und bei den Flügeln ozeanische Inseln bewohnender Vögel, welche selten zu fliegen nöthig haben und daher dieses Vermögen zuletzt gänzlich einbüssen. Ebenso kann ein unter Umständen nützliches Organ unter andern Umständen sogar nachtheilig werden, wie die Flügel der auf kleinen und ausgesetzten Inseln lebenden Insekten. In diesem Falle wird Natürliche Züchtung fortwährend bestrebt seyn, das Organ langsam zu reduziren, bis es unschädlich und rudimentär wird.

Eine Änderung in den Verrichtungen, welche in unmerkbaren Abstufungen eintreten kann, liegt im Bereiche der Natürlichen Züchtung; daher ein Organ, welches in Folge geänderter Lebens-Weise nutzlos oder nachtheilig für seine Bestimmung wird, abgeändert und für andre Verrichtungen verwendet werden kann. Oder ein Organ wird nur noch für eine von seinen früheren Verrichtungen beibehalten. Ein nutzlos gewordenes Körper-Glied mag veränderlich seyn, weil seine Abänderungen nicht durch Natürliche Züchtung geleitet werden können. In welchem Lebens-Abschnitte nun ein Organ durch Nichtbenützung oder Züchtung reduzirt werden mag (und Diess wird gewöhnlich erst der Fall seyn, wenn das Thier zu seiner vollen Reife und Thatkraft gelangt ist): so wird nach dem Prinzip der Wiedervererbung in sich entsprechenden Altern dieses Organ in reduzirtem Zustande stets im nämlichen Alter wieder erscheinen und sich mithin nur selten im Embryo ändern oder verkleinern. So erklärt sich mithin die verhältnissmässig beträchtlichere Grösse rudimentärer Organe im Embryo und deren vergleichungsweise geringere Grösse im Erwachsenen. Wenn aber jede Abstufung im Reduktions-Prozesse nicht in einem entsprechenden Alter, sondern in einer sehr frühen Lebens-Periode vererbt werden sollte (was wir guten Grund haben für möglich zu halten), so würde das rudimentäre Organ endlich ganz zu verschwinden streben und den Fall eines vollständigen Fehlschlagens darbieten. Auch das in einem früheren Kapitel erläuterte Prinzip der Ökonomie, wornach die zur Bildung eines dem Besitzer nicht mehr nützlichen Theiles verwendeten Bildungs-Stoffe erspart werden, mag wohl oft mit ins[S. 489] Spiel kommen; und Diess wird dann dazu beitragen, das gänzliche Verschwinden eines schon verkümmerten Organes zu bewirken.

Da hiernach die Anwesenheit rudimentärer Organe von dem Streben eines jeden Theiles der Organisation sich nach langer Existenz erblich zu übertragen bedingt ist, so wird aus dem Gesichtspunkte einer genealogischen Klassifikation begreiflich, wie es komme, dass Systematiker die rudimentären Organe für ihren Zweck zuweilen eben so nützlich befunden haben, als die Theile von hoher physiologischer Wichtigkeit. Organe-Stümmel kann man mit den Buchstaben eines Wortes vergleichen, welche beim Buchstabiren desselben noch beibehalten aber nicht mit ausgesprochen werden und bei Nachforschungen über dessen Ursprung als vortreffliche Führer dienen. Nach der Annahme einer Fortpflanzung mit Abänderung können wir schliessen, dass das Vorkommen von Organen in einem verkümmerten, unvollkommenen und nutzlosen Zustande und deren gänzliches Fehlschlagen, statt wie bei der gewöhnlichen Theorie der Schöpfung grosse Schwierigkeiten zu bereiten, vielmehr vorauszusehen war und aus den Erblichkeits-Gesetzen zu erklären ist.

Zusammenfassung.) Ich habe in diesem Kapitel zu zeigen gesucht, dass die Unterordnung der Organismen-Gruppen aller Zeiten untereinander, — dass die Natur der Beziehungen, nach welchen alle lebenden und erloschenen Wesen durch zusammengesetzte, strahlenförmige und oft sehr mittelbar zusammenhängende Verwandtschafts-Linien zu einem grossen Systeme vereinigt werden, — dass die von den Naturforschern bei ihren Klassifikationen befolgten Regeln und begegneten Schwierigkeiten, — dass der auf die beständigen und andauernden Charaktere gelegte Werth, gleichviel ob sie für die Lebens-Verrichtungen von grosser oder, wie die der rudimentären Organe von gar keiner Wichtigkeit seyen, — dass der weite Unterschied im Werthe zwischen analogen oder Anpassungs- und wahren Verwandtschafts-Charakteren: — dass alle diese und noch viele andre solcher regelmässigen Erscheinungen sich Natur-gemäss aus der Annahme einer gemeinsamen Abstammung der bei den Naturforschern[S. 490] als verwandt geltenden Formen und deren Modifikation durch Natürliche Züchtung in Begleitung von Erlöschung und von Divergenz des Charakters herleiten lassen. Von diesem Standpunkte aus die Klassifikation beurtheilend wird man sich erinnern, dass das Element der Abstammung in so fern schon längst allgemein berücksichtigt wird, als man beide Geschlechter, die manchfaltigsten Entwickelungs-Formen und die anerkannten Varietäten, wie verschieden von einander sie auch in ihrem Baue seyn mögen, alle in eine Art zusammenordnet. Wenn wir nun die Anwendung dieses Elementes als die einzige mit Sicherheit erkannte Ursache von der Ähnlichkeit organischer Wesen unter einander etwas weiter ausdehnen, so wird uns die Bedeutung des natürlichen Systemes klarer werden: es ist ein Versuch genealogischer Anordnung, worin die Grade der Verschiedenheiten, in welche die einzelnen Verzweigungen aus einander gelaufen sind, mit den Kunst-Ausdrücken Abarten, Arten, Sippen, Familien, Ordnungen und Klassen bezeichnet werden.

Indem wir von der Annahme einer Fortpflanzung mit Abänderung ausgehen, werden uns manche Haupterscheinungen in der Morphologie erklärlich: sowohl das gemeinsame Modell, wornach die homologen Organe, zu welchem Zwecke sie auch immer bestimmt seyn mögen, bei allen Arten einer Klasse gebildet sind, als die Modelung aller homologen Theile eines jeden Pflanzen- oder Thier-Individuums nach einem solchen gemeinsamen Vorbilde.

Andre der wichtigsten Erscheinungen in der Embryonologie dagegen erklären sich aus dem Prinzip, dass allmähliche geringe Abänderungen nicht nothwendig oder allgemein schon in einer sehr frühen Lebens-Zeit eintreten, und dass sie sich in entsprechendem Alter weiter vererben. So die Ähnlichkeit der homologen Theile in einem Embryo, welche im reifen Alter in Form und Verrichtungen weit auseinander gehen, — und die Ähnlichkeit der homologen Theile oder Organe in verschiedenen Arten einer Klasse, obwohl sie den erwachsenen Thieren zu den möglich verschiedenen Zwecken dienen. Larven sind selbst-thätige Embryonen, welche daher auch schon je für ihre verschiedene[S. 491] Lebens-Weise nach dem Prinzip der Vererbung in gleichen Altern modifizirt worden sind. Nach diesem nämlichen Prinzipe und in Betracht dass, wenn Organe in Folge von Nichtgebrauch oder von Züchtung an Stärke abnehmen, Diess gewöhnlich in derjenigen Lebens-Periode geschieht, wo das Wesen für seine Bedürfnisse selbst zu sorgen hat, und in fernerem Betracht, wie strenge das Walten des Erblichkeits-Prinzips ist: bietet uns das Vorkommen rudimentärer Organe und ihr endlich vollständiges Verschwinden keine unerklärbare Schwierigkeit dar; im Gegentheil haben wir deren Vorkommen voraus sehen können. Die Wichtigkeit embryonischer Charaktere und rudimentärer Organe für die Klassifikation wird aus der Annahme begreiflich, dass nur eine genealogische Anordnung natürlich seyn kann.

Endlich: die verschiedenen Klassen von Thatsachen, welche in diesem Kapitel in Betracht gezogen worden sind, scheinen mir so deutlich zu verkündigen, dass die zahllosen Arten, Sippen und Familien organischer Wesen, womit diese Welt bevölkert ist, allesammt und jedes wieder in seiner eigenen Klasse oder Gruppe insbesondre, von gemeinsamen Ältern abstammen und im Laufe der Fortpflanzung wesentlich modifizirt worden sind, dass ich mir diese Anschauungs-Weise ohne Zögern aneignen würde, selbst wenn ihr keine sonstigen Thatsachen und Argumente mehr zu Hilfe kämen.

Vierzehntes Kapitel.
Allgemeine Wiederholung und Schluss.

Wiederholung der Schwierigkeiten der Theorie Natürlicher Züchtung. — Wiederholung der allgemeinen und besondern Umstände, zu deren Gunsten. — Ursachen des allgemeinen Glaubens an die Unveränderlichkeit der Arten. — Wie weit die Theorie Natürlicher Züchtung auszudehnen. — Folgen ihrer Annahme für das Studium der Naturgeschichte. — Schluss-Bemerkungen.

Da dieser ganze Band eine lange Beweisführung ist, so mag es für den Leser angenehm seyn, die leitenden Thatsachen und Schlussfolgerungen kürzlich wiederholt zu sehen.

[S. 492]

Ich läugne nicht, dass man viele und ernste Einwände gegen die Theorie der Abstammung mit fortwährender Abänderung durch Natürliche Züchtung vorbringen kann. Ich habe versucht, sie in ihrer ganzen Stärke zu entwickeln. Nichts kann im ersten Augenblick weniger glaubhaft scheinen, als dass die zusammengesetztesten Organe und Instinkte ihre Vollkommenheit erlangt haben sollen nicht durch höhere und doch der menschlichen Vernunft analoge Kräfte, sondern durch die blosse Zusammensparung zahlloser kleiner aber jedem individuellen Besitzer vortheilhafter Abänderungen. Diese Schwierigkeit, wie unübersteiglich gross sie auch unsrer Einbildungs-Kraft erscheinen mag, kann gleichwohl nicht für wesentlich gelten, wenn wir folgende Vordersätze zulassen: dass alle Organe und Instinkte in, wenn auch noch so geringem Grade, veränderlich sind; — dass ein Kampf ums Daseyn bestehe, welcher zur Erhaltung einer jeden für den Besitzer nützlichen Abweichung von den bisherigen Bildungen oder Instinkten führt, — und endlich dass Abstufungen in der Vollkommenheit eines jeden Organes bestanden haben, die alle in ihrer Weise gut waren. Die Wahrheit dieser Sätze kann nach meiner Meinung nicht bestritten werden.

Es ist ohne Zweifel äusserst schwierig auch nur eine Vermuthung darüber auszusprechen, durch welche Abstufungen, zumal in durchbrochnen und erlöschenden Gruppen organischer Wesen, manche Bildungen vervollkommnet worden seyen; aber wir sehen so viele befremdende Abstufungen in der Natur, dass wir äusserst vorsichtig seyn müssen zu sagen, dass ein Organ oder Instinkt oder ein ganzes Wesen nicht durch stufenweise Fortschritte zu seiner gegenwärtigen Vollkommenheit gelangt seyn könne. Insbesondere muss man zugeben, dass schwierige Fälle besondrer Art der Theorie der Natürlichen Züchtung entgegentreten, und einer der schwierigsten Fälle dieser Art zeigt sich in dem Vorkommen von zwei oder drei bestimmten Kasten von Arbeitern oder unfruchtbaren Weibchen in einer und derselben Ameisen-Gemeinde; doch habe ich zu zeigen versucht, dass auch diese Schwierigkeit zu überwinden ist.

Was die fast allgemeine Unfruchtbarkeit der Arten bei ihrer[S. 493] Kreutzung anbelangt, die einen so merkwürdigen Gegensatz zur fast allgemeinen Fruchtbarkeit gekreutzter Abarten bildet, so muss ich den Leser auf die am Ende des achten Kapitels gegebene Zusammenfassung der Thatsachen verweisen, welche mir entscheidend genug zu seyn scheinen um darzuthun, dass diese Unfruchtbarkeit in nicht höherem Grade eine angeborne Eigenthümlichkeit bildet, als die Schwierigkeit zwei Baum-Arten aufeinander zu propfen; sondern dass sie zusammenfalle mit der Verschiedenheit der Lebensthätigkeit im Reproduktiv-Systeme der gekreutzten Arten. Wir finden die Bestätigung dieser Annahme in der weiten Verschiedenheit der Ergebnisse, wenn die nämlichen zwei Arten wechselseitig von einander befruchtet werden, d. h. wenn eine Stelle zuerst als Vater und dann als Mutter erscheint.

Obwohl die Fruchtbarkeit gekreutzter Abarten und ihrer Blendlinge von so vielen Autoren als allgemein bezeichnet worden ist, so kann Diess doch nach den von GÄRTNER und KÖLREUTER mitgetheilten Thatsachen nicht als richtig gelten. Auch kann uns ihre sehr häufige Fruchtbarkeit nicht überraschen, wenn wir bedenken, dass es nicht aussieht, als ob ihre Konstitutionen überhaupt oder ihre Reproduktiv-Systeme sehr angegriffen worden seyen. Überdiess sind die meisten zu Versuchen benützten Abarten aus Kultur der Arten hervorgegangen, und da die Kultur die Unfruchtbarkeit offenbar zu vermindern strebt, so dürfen wir nicht erwarten, dass sie Unfruchtbarkeit irgendwo veranlasse.

Die Unfruchtbarkeit der Bastarde ist eine von der der ersten Kreutzung sehr verschiedene Erscheinung, da ihre Reproduktiv-Organe mehr oder weniger unfähig zur Verrichtung sind, während sich bei den ersten Kreutzungen die beiderseitigen Organe in vollkommenem Zustande befinden. Da wir Organismen aller Art durch Störung ihrer Konstitution unter nur wenig abweichenden Lebens-Bedingungen fortwährend mehr und weniger steril werden sehen, so dürfen wir uns nicht wundern, dass Bastarde weniger fruchtbar sind; denn ihre Konstitution kann als durch Verschmelzung zweier verschiedenen Organisationen kaum anders gelitten haben. Dieser Parallelismus wird noch durch eine andre[S. 494] parallele aber gerade entgegengesetzte Klasse von Erscheinungen unterstützt: dass nämlich die Kraft-Entwickelung und Fruchtbarkeit aller Organismen durch geringen Wechsel in ihren Lebens-Bedingungen zunimmt und dass die Nachkommen wenig modifizirter Formen oder Abarten durch die Kreutzung an Kraft und Fruchtbarkeit gewinnen. Ebenso vermindern einerseits beträchtliche Veränderungen in den Lebens-Bedingungen und Kreutzungen zwischen sehr verschiedenen Formen die Fruchtbarkeit, wie anderseits geringere Veränderungen dieselbe zwischen nur wenig abgeänderten Formen vermehren.

Wenden wir uns zur geographischen Verbreitung, so erscheinen auch da die Schwierigkeiten für die Theorie der Fortpflanzung mit fortwährender Abänderung erheblich genug. Alle Individuen einer Art und alle Arten einer Sippe oder selbst noch höherer Gruppen müssen von gemeinsamen Ältern herkommen; wesshalb sie, wenn auch noch so weit zerstreut und isolirt in der Welt, im Laufe aufeinander-folgender Generationen aus einer Gegend in die andre gewandert seyn müssen. Wir sind oft ganz ausser Stand auch nur zu vermuthen, auf welche Weise Diess geschehen seyn möge. Da wir jedoch anzunehmen berechtigt sind, dass einige Arten die nämliche spezifische Form während ungeheuer langen Perioden, in Jahren gemessen, beibehalten haben, so darf man kein allzu grosses Gewicht auf die gelegentliche weite Verbreitung einer Spezies legen; denn während solcher ausserordentlich langer Zeit-Perioden wird sie auch zu weiter Verbreitung irgend welche Mittel gefunden haben. Eine durchbrochene oder zerspaltene Gruppe lässt sich oft durch Erlöschen der vermittelnden Arten erklären. Es ist nicht zu läugnen, dass wir mit den manchfaltigen klimatischen und geographischen Veränderungen, welche die Erde erst in der laufenden Periode erfahren, noch ganz unbekannt sind; und solche Veränderungen müssen die Wanderungen offenbar in hohem Grade befördert haben. Beispielsweise habe ich zu zeigen versucht, wie mächtig die Eis-Zeit auf die Verbreitung sowohl der identischen als der stellvertretenden Formen über die Erd-Oberfläche gewirkt habe. Ebenso sind wir auch fast ganz unbekannt mit den vielen[S. 495] gelegenheitlichen Transport-Mitteln. Was die Erscheinung betrifft, dass verschiedene Arten einer Sippe sehr entfernt von einander abgesonderte Gegenden bewohnen, so sind, da der Abänderungs-Prozess nothwendig sehr langsam vor sich geht, während sehr langer Zeit-Abschnitte für alle Wanderungen genügende Gelegenheiten vorhanden gewesen, wodurch sich einigermaassen die Schwierigkeit vermindert die weite Verbreitung der Arten einer Sippe zu erklären.

Da nach der Theorie der Natürlichen Züchtung eine endlose Anzahl Mittelformen alle Arten jeder Gruppe durch eben so feine Abstufungen, als unsre jetzigen Varietäten darstellen, miteinander verkettet haben muss, so wird man die Frage aufwerfen, warum wir nicht diese vermittelnden Formen rund um uns her erblicken? Warum fliessen nicht alle organischen Formen zu einem unentwirrbaren Chaos zusammen? Aber was die noch lebenden Formen betrifft, so sind wir (mit Ausnahme einiger seltenen Fälle) wohl nicht zur Erwartung berechtigt, direkt vermittelnde Glieder zwischen ihnen selbst, sondern nur etwa zwischen ihnen und einigen erloschenen und ersetzten Formen zu entdecken. Selbst auf einem weiten Gebiete, das während einer langen Periode seinen Zusammenhang bewahrt hat und dessen Klima und übrigen Lebens-Bedingungen nur allmählich von einem Bezirke zu andern von nahe verwandten Arten bewohnten Bezirken abändern, selbst da sind wir nicht berechtigt oft die Erscheinung vermittelnder Formen in den Grenz-Strichen zu erwarten. Wir haben keinen Grund zu glauben, dass nur wenige Arten einer Sippe jemals Abänderungen erleiden, da die andern gänzlich erlöschen, ohne eine abgeänderte Nachkommenschaft zu hinterlassen. Von den veränderlichen Arten ändern immer nur wenige in der nämlichen Gegend zugleich ab, und alle Abänderungen gehen nur langsam vor sich. Ich habe auch gezeigt, dass die vermittelnden Formen, welche anfangs wahrscheinlich in den Zwischenstrichen vorhanden gewesen, einer Ersetzung durch die verwandten Formen von beiden Seiten her unterlegen sind, die vermöge ihrer grossen Anzahl gewöhnlich schnellere Fortschritte in ihren Abänderungen und Verbesserungen als die minder zahlreich vertretenen Mittelformen[S. 496] machen, so dass diese vermittelnden Abarten mit der Länge der Zeit ersetzt und vertilgt werden.

Nach dieser Lehre von der Unterdrückung einer unendlichen Menge vermittelnder Glieder zwischen den erloschenen und lebenden Bewohnern der Erde und eben so zwischen den Arten einer jeden der aufeinandergefolgten Perioden und den ihnen zunächst vorangegangenen fragt es sich, warum nicht jede geologische Formation mit Resten solcher Glieder erfüllt ist? und warum nicht jede Sammlung fossiler Reste einen klaren Beweis von solcher Abstufung und Umänderung der Lebenformen darbietet. Obwohl geologische Untersuchung uns die frühere Existenz vieler Mittelglieder zur näheren Verkettung zahlreicher Lebenformen miteinander dargethan, so liefert sie uns doch nicht die unendlich zahlreichen feineren Abstufungen zwischen den früheren und jetzigen Arten, welche meine Theorie erfordert, und Diess ist eine der handgreiflichsten und stärksten von den vielen gegen meine Theorie vorgebrachten Einwendungen. Und wie kommt es, dass ganze Gruppen verwandter Arten in dem einen oder dem andern geologischen Schichten-Systeme oft so plötzlich aufzutreten scheinen (gewiss oft nur scheinen!). Warum finden wir nicht grosse Schichten-Stösse unter dem Silur-Systeme erfüllt mit den Überbleibseln der Stammväter der silurischen Organismen-Gruppen? Denn nach meiner Theorie müssen solche Schichten-Systeme in diesen alten und gänzlich unbekannten Abschnitten der Erd-Geschichte gewiss irgendwo abgesetzt worden seyn.

Man kann auf diese Fragen und gewichtigen Einwände nur mit der Annahme antworten, dass der geologische Schöpfungs-Bericht bei weitem unvollständiger ist, als die meisten Geologen glauben. Es lässt sich nicht einwenden, dass für irgend welches Maass organischer Abänderung nicht genügende Zeit gewesen; denn die Länge der abgelaufenen Zeit ist für menschliche Begriffe unfassbar. Die Menge der Exemplare in allen unsren Museen zusammengenommen ist absolut nichts im Vergleich mit den zahllosen Generationen zahlloser Arten, welche sicherlich schon existirt haben. Die gemeinsame Stammform von je 2–3 Arten wird nicht in allen ihren Charakteren genau das Mittel zwischen[S. 497] denen ihrer Nachkommen halten, wie die Felstaube nicht genau in Kopf und Schwanz das Mittel hält zwischen ihren Nachkommen, der Pouter- und Pfauen-Taube. Wir werden ausser Stand seyn eine Art als die Stamm-Art einer oder mehrer andren Arten zu erkennen, wenn wir nicht auch viele der vermittelnden Glieder zwischen ihrer früheren und jetzigen Beschaffenheit besitzen; und diese vermittelnden Glieder dürfen wir bei der Unvollständigkeit der geologischen Schöpfungs-Urkunden kaum jemals zu entdecken erwarten. Wenn man zwei oder drei oder noch mehr Mittelglieder entdeckte, so würde man sie einfach als eben so viele neue Arten einreihen, zumal wenn man sie in eben so vielen verschiedenen Schichten-Abtheilungen fände, wären in diesem Falle ihre Unterschiede auch noch so klein. Man könnte viele jetzige zweifelhafte Formen nennen, welche wahrscheinlich Abarten sind; aber wer könnte behaupten, dass in künftigen Welt-Perioden noch so viele fossile Mittelglieder werden entdeckt werden, dass Naturforscher nach der gewöhnlichen Anschauungs-Weise zu entscheiden im Stande seyn werden, ob diese zweifelhaften Formen Varietäten sind oder nicht? — Nur ein kleiner Theil der Erd-Oberfläche ist geologisch untersucht worden, und nur von gewissen Organismen-Klassen können fossile Reste in grosser Anzahl erhalten werden. Weit verbreitete Arten variiren am meisten, und die Abarten sind anfänglich oft nur lokal; beide Ursachen machen die Entdeckung von Zwischengliedern wenig wahrscheinlich. Örtliche Varietäten verbreiten sich nicht in andre und entfernte Gegenden, bis sie beträchtlich abgeändert und verbessert sind; — und wenn sie nach ihrer Verbreitung in einer geologischen Formation entdeckt werden, so wird es scheinen, als seyen sie erst jetzt plötzlich erschaffen worden, und man wird sie einfach als neue Arten betrachten. — Die meisten Formationen sind mit Unterbrechungen abgelagert worden; und ihre Dauer ist, wie ich glaube, kürzer als die mittle Dauer der Arten-Formen gewesen. Zunächst aufeinander-folgende Formationen sind gewöhnlich durch ungeheure leere Zeiträume von einander getrennt; denn Fossil-Reste führende Formationen, mächtig genug, um spätrer Zerstörung zu widerstehen, können meistens nur[S. 498] da gebildet werden, wo dem in Senkung begriffenen Meeres-Grund viele Sedimente zugeführt werden. In den damit abwechselnden Perioden von Hebung oder Ruhe wird das Blatt in der Schöpfungs-Geschichte in der Regel weiss bleiben. Während dieser letzten Perioden wird wahrscheinlich mehr Veränderung in den Lebenformen, während der Senkungs-Zeiten mehr Erlöschen derselben stattfinden.

Was die Abwesenheit Fossilien-führender Schichten unterhalb der untersten Silur-Gebilde betrifft, so kann ich nur auf die im neunten Kapitel aufgestellte Hypothese zurückkommen. Dass der geologische Schöpfungs-Bericht lückenhaft ist, gibt jedermann zu; dass er es aber in dem von mir verlangten Grade seye, werden nur wenige zugestehen wollen. Hinreichend lange Zeiträume zugegeben, erklärt uns die Geologie offenbar genug, dass alle Arten gewechselt haben, und sie haben in der Weise gewechselt, wie es meine Theorie erheischt, nämlich langsam und stufenweise. Wir erkennen Diess deutlich daraus, dass die organischen Reste zunächst aufeinander-folgender Formationen einander allezeit näher verwandt sind, als die fossilen Arten durch weite Zeiträume von einander getrennter Gebirgs-Bildungen.

Diess ist die Summe der hauptsächlichsten Einwürfe und Schwierigkeiten, die man mit Recht gegen meine Theorie vorbringen kann; und ich habe die darauf zu gebenden Antworten und Erläuterungen in Kürze wiederholt. Ich habe diese Schwierigkeiten viele Jahre lang selbst zu sehr empfunden, als dass ich an ihrem Gewichte zweifeln sollte. Aber es verdient noch insbesondere hervorgehoben zu werden, dass die wichtigeren Einwände sich auf Fragen beziehen, über die wir eingestandner Maassen in Unwissenheit sind; und wir wissen nicht einmal, wie unwissend wir sind. Wir kennen nicht all’ die möglichen Übergangs-Abstufungen zwischen den einfachsten und den vollkommensten Organen; wir können nicht behaupten, all’ die manchfaltigen Verbreitungs-Mittel der Organismen während des Verlaufes so zahlloser Jahrtausende zu kennen, und wir wissen nicht, wie unvollständig der geologische Schöpfungs-Bericht ist. Wie bedeutend[S. 499] aber auch diese mancherlei Schwierigkeiten seyn mögen, so genügen sie doch nicht, um meine Theorie einer Abstammung von einigen wenigen erschaffenen Formen mit nachheriger Abänderung derselben umzustossen.

Wenden wir uns nun nach der andern Seite unsres Gegenstandes. Im Kultur-Zustande der Wesen nehmen wir viel Veränderlichkeit derselben wahr. Diess scheint daran zu liegen, dass das Reproduktiv-System ausserordentlich empfindlich gegen Veränderungen in den äusseren Lebens-Bedingungen ist, so dass dieses System, wenn es nicht ganz unfähig wird, doch keine der älterlichen Form genau ähnliche Nachkommenschaft mehr liefert. Die Abänderungen werden durch viele verwickelte Gesetze geleitet, durch die Wechselbeziehungen des Wachsthums, durch Gebrauch und Nichtgebrauch und durch die unmittelbaren Einwirkungen der physikalischen Lebens-Bedingungen. Es ist sehr schwierig zu bestimmen, wie viel Abänderung unsre Kultur-Erzeugnisse erfahren haben; doch können wir getrost annehmen, dass deren Maass gross gewesen seye, und dass Modifikationen auf lange Perioden hinaus vererblich sind. So lange als die Lebens-Bedingungen die nämlichen bleiben, sind wir zu unterstellen berechtigt, dass eine Abweichung, welche sich schon seit vielen Generationen vererbt hat, sich auch noch ferner auf eine fast unbegrenzte Zahl von Generationen hinaus vererben kann. Andrerseits sind wir gewiss, dass Veränderlichkeit, wenn sie einmal in’s Spiel gekommen, nicht mehr gänzlich aufhört; denn unsre ältesten Kultur-Erzeugnisse bringen gelegenheitlich noch immer neue Abarten hervor.

Der Mensch erzeugt in Wirklichkeit keine Abänderungen, sondern er versetzt nur unabsichtlich organische Wesen unter neue Lebens-Bedingungen, und dann wirkt die Natur auf deren Organisation und verursacht Veränderlichkeit. Der Mensch kann aber die ihm von der Natur dargebotenen Abänderungen zur Nachzucht auswählen und dieselben hiedurch in einer beliebigen Richtung häufen; und Diess thut er wirklich. Er passt auf diese Weise Thiere und Pflanzen seinem eignen Nutzen und Vergnügen[S. 500] an. Er mag Diess planmässig oder mag es unbewusst thun, indem er die ihm zur Zeit nützlichsten Individuen, ohne einen Gedanken an die Änderung der Rasse, zurückbehält. Es ist gewiss, dass er einen grossen Einfluss auf den Charakter einer Rasse dadurch ausüben kann, dass er von Generation zu Generation individuelle Abänderungen zur Nachzucht auswählt, so gering, dass sie für das ungeübte Auge kaum wahrnehmbar sind. Dieses Wahl-Verfahren ist das grosse Agens in der Erzeugung der ausgezeichnetsten und nützlichsten unsrer veredelten Thier- und Pflanzen-Rassen gewesen. Dass nun viele der vom Menschen gebildeten Abänderungen den Charakter natürlicher Arten schon grossentheils besitzen, geht aus den unausgesetzten Zweifeln in Bezug auf viele derselben hervor, ob es Arten oder Abarten sind.

Es ist kein Grund nachzuweisen, wesshalb diese Prinzipien, welche in Bezug auf die kultivirten Organismen so erfolgreich gewirkt, nicht auch in der Natur wirksam seyn sollten. In der Erhaltung begünstigter Individuen und Rassen während des beständig wiederkehrenden Kampfs ums Daseyn sehen wir das wirksamste und nie ruhende Mittel der Natürlichen Züchtung. Der Kampf ums Daseyn ist die unvermeidliche Folge der hochpotenzirten geometrischen Zunahme, welche allen organischen Wesen gemein ist. Dieses rasche Zunahme-Verhältniss ist thatsächlich erwiesen aus der schnellen Vermehrung vieler Pflanzen und Thiere während einer Reihe günstiger Jahre und bei ihrer Naturalisirung in einer neuen Gegend. Es werden mehr Einzelwesen geboren, als fortzuleben im Stande sind. Ein Gran in der Wage kann den Ausschlag geben, welches Individuum fortleben und welches zu Grunde gehen soll, welche Art oder Abart sich vermehren und welche abnehmen und endlich erlöschen muss. Da die Individuen einer nämlichen Art in allen Beziehungen in die nächste Bewerbung miteinander gerathen, so wird gewöhnlich auch der Kampf zwischen ihnen am heftigsten seyn; er wird fast eben so heftig zwischen den Abarten einer Art, und dann zunächst zwischen den Arten einer Sippe seyn. Aber der Kampf kann oft auch sehr heftig zwischen Wesen seyn,[S. 501] welche auf der Stufenleiter der Natur am weitesten auseinander stehen. Der geringste Vortheil, den ein Wesen in irgend einem Lebens-Alter oder zu irgend einer Jahreszeit über seine Mitbewerber voraus hat, oder eine wenn auch noch so wenig bessere Anpassung an die umgebenden Natur-Verhältnisse kann die Wage sinken machen.

Bei Thieren getrennten Geschlechts wird meistens ein Kampf der Männchen um den Besitz der Weibchen stattfinden. Die kräftigsten oder diejenigen Individuen, welche am erfolgreichsten mit ihren Lebens-Bedingungen gekämpft haben, werden gewöhnlich am meisten Nachkommenschaft hinterlassen. Aber der Erfolg wird oft davon abhängen, dass die Männchen besondre Waffen oder Vertheidigungs-Mittel oder Reitze besitzen; und der geringste Vortheil kann zum Siege führen.

Da die Geologie uns deutlich nachweiset, dass ein jedes Land grosse physikalische Veränderungen erfahren hat, so ist anzunehmen, dass die organischen Wesen im Natur-Zustande ebenso wie die kultivirten unter den veränderten Lebens-Bedingungen abgeändert haben. Wenn nun eine Veränderlichkeit im Natur-Zustande vorhanden ist, so würde es eine unerklärliche Erscheinung seyn, falls die Natürliche Züchtung nicht eingriffe. Es ist oft versichert worden, aber eines Beweises nicht fähig, dass das Maass der Abänderung in der Natur eine streng bestimmte Quantität seye. Der Mensch, obwohl nur auf äussre Charaktere allein und oft bloss nach seiner Laune wirkend, vermag in kurzer Zeit dadurch grossen Erfolg zu erzielen, dass er allmählich alle in einer Richtung hervortretenden individuellen Verschiedenheiten zusammenhäuft; und jedermann gibt zu, dass wenigstens individuelle Verschiedenheiten bei den Arten im Natur-Zustande vorkommen. Aber von diesen abgesehen, haben alle Naturforscher das Daseyn von Abarten oder Varietäten eingestanden, welche verschieden genug seyen, um in den systematischen Werken als solche mit aufgeführt zu werden. Doch kann niemand einen bestimmten Unterschied zwischen individuellen Abänderungen und leichten Varietäten oder zwischen verschiedenen Abarten, Unterarten und Arten angeben. Erinnern[S. 502] wir uns, wie sehr die Naturforscher in ihrer Ansicht über den Rang der vielen stellvertretenden Formen in Europa und Amerika auseinandergehen.

Wenn es daher im Natur-Zustande Variabilität und ein mächtiges stets zur Thätigkeit und Zuchtwahl bereites Agens gibt, wesshalb sollten wir noch bezweifeln, dass irgend welche für die Organismen in ihren äusserst verwickelten Lebens-Verhältnissen einigermaassen nützliche Abänderungen erhalten, gehäuft und vererbt werden? Wenn der Mensch die ihm selbst nützlichen Abänderungen geduldig zur Nachzucht auswählt: warum sollte die Natur unterlassen, die unter veränderten Lebens-Bedingungen für ihre Produkte nützlichsten Abänderungen auszusuchen? Welche Schranken kann man einer Kraft setzen, welche von einer Welt-Periode zur andern beschäftigt ist, die ganze organische Bildung, Thätigkeit und Lebens-Weise eines jeden Geschöpfes unausgesetzt zu sichten, das Gute zu befördern und das Schlechte zurückzuwerfen? Ich vermag keine Grenze zu sehen für eine Kraft, welche jede Form den verwickeltsten Lebens-Verhältnissen langsam anzupassen beschäftigt ist. Die Theorie der Natürlichen Züchtung scheint mir, auch wenn wir uns nur darauf allein beschränken, in sich selbst wahrscheinlich zu seyn. Ich habe bereits, so ehrlich als möglich, die dagegen erhobenen Schwierigkeiten und Einwände rekapitulirt; jetzt wollen wir uns zu den Spezial-Erscheinungen und Folgerungen zu Gunsten unsrer Theorie wenden.

Aus meiner Ansicht, dass Arten nur stark ausgebildete und bleibende Varietäten (Abarten) sind und jede Art zuerst als eine Varietät existirt hat, ergibt sich, wesshalb keine Grenzlinie gezogen werden kann zwischen Arten, welche man gewöhnlich als Produkte eben so vieler besondrer Schöpfungs-Akte betrachtet, und zwischen Varietäten, die man als Bildungen eines sekundären Gesetzes gelten lässt. Nach dieser nämlichen Ansicht ist es ferner zu begreifen, dass in jeder Gegend, wo viele Arten einer Sippe entstanden sind und nun gedeihen, diese Arten noch viele Abarten darbieten; denn, wo die Arten-Fabrikation thätig betrieben worden ist, da möchten wir als Regel erwarten, sie noch in[S. 503] Thätigkeit zu finden; und Diess ist der Fall, woferne Varietäten beginnende Arten sind. Überdiess behalten auch die Arten grosser Sippen, welche die Mehrzahl der Varietäten oder beginnenden Arten liefern, in gewissem Grade den Charakter von Varietäten bei; denn sie unterscheiden sich in geringerem Maasse, als die Arten kleinerer Sippen von einander. Auch haben die nahe-verwandten Arten grosser Sippen eine beschränktere Verbreitung und bilden vermöge ihrer Verwandtschaft zu einander kleine um andre Arten geschaarte Gruppen, in welcher Hinsicht sie ebenfalls Varietäten gleichen. Diess sind, von dem Gesichtspunkte aus beurtheilt, dass jede Art unabhängig geschaffen worden seye, befremdende Erscheinungen, welche dagegen der Annahme ganz wohl entsprechen, das alle Arten sich aus Varietäten entwickelt haben.

Da jede Art bestrebt ist sich in geometrischem Verhältnisse unendlich zu vermehren, und da die abgeänderten Nachkommen einer jeden Spezies sich um so rascher zu vervielfältigen vermögen, jemehr dieselben in Lebensweise und Organisation auseinander laufen, und mithin jemehr und verschiedenartigere Stellen sie demnach im Haushalte der Natur einzunehmen im Stande sind, so wird in der Natürlichen Züchtung ein beständiges Streben vorhanden seyn, die am weitesten verschiedenen Nachkommen einer jeden Art zu erhalten. Daher werden im langen Verlaufe solcher allmählichen Abänderungen die geringen und blosse Varietäten einer Art bezeichnenden Verschiedenheiten sich zu grösseren die Spezies einer nämlichen Sippe charakterisirenden Verschiedenheiten steigern. Neue und verbesserte Varietäten werden die älteren weniger vervollkommneten und die letzten vermittelnden Abarten unvermeidlich ersetzen und austilgen, und so entstehen grossentheils scharf umschriebene und wohl unterschiedene Spezies. Herrschende Arten aus den grösseren Gruppen einer jeden Klasse streben wieder neue und herrschende Formen zu erzeugen, so dass jede grosse Gruppe geneigt ist noch grösser und zugleich divergenter im Charakter zu werden. Da jedoch nicht alle Gruppen beständig zunehmen können, indem zuletzt die Welt sie nicht mehr zu fassen vermöchte, so verdrängen[S. 504] die herrschenderen die minder herrschenden. Dieses Streben der grossen Gruppen an Umfang zu wachsen und im Charakter auseinander zu laufen, in Verbindung mit der meist unvermeidlichen Folge starken Erlöschens andrer, erklärt die Anordnung aller Lebenformen in mehr und mehr unterabgetheilte Gruppen innerhalb einiger wenigen grossen Klassen, die uns jetzt überall umgeben und alle Zeiten überdauert haben. Diese grosse Thatsache der Gruppirung aller organischen Wesen scheint mir nach der gewöhnlichen Schöpfungs-Theorie ganz unerklärlich.

Da Natürliche Züchtung nur durch Häufung kleiner aufeinander-folgender günstiger Abänderungen wirkt, so kann sie keine grosse und plötzliche Umgestaltungen bewirken; sie kann nur mit sehr langsamen und kurzen Schritten vorangehen. Daher denn auch der Canon „Natura non facit saltum“, welcher sich mit jeder neuen Erweiterung unsrer Kenntnisse mehr bestätigt, aus dieser Theorie einfach begreiflich wird. Wir sehen ferner ein, warum die Natur so fruchtbar an Abänderungen und doch so sparsam an Neuerungen ist. Wie Diess aber ein Natur-Gesetz seyn könnte, wenn jede Art unabhängig erschaffen worden wäre, vermag niemand zu erläutern.

Aus dieser Theorie scheinen mir noch andre Thatsachen erklärbar. Wie befremdend wäre es, dass ein Vogel in Gestalt eines Spechtes geschaffen worden wäre, um Insekten am Boden aufzusuchen; dass eine Gans, welche niemals oder selten schwimmt, mit Schwimmfüssen, dass eine Drossel zum Tauchen und Leben von unter Wasser wohnenden Insekten, und dass ein Sturmvogel geschaffen worden wäre mit einer Organisation, welche der Lebens-Weise eines Alks oder Lappentauchers (S. 210) entspricht, und so in zahllosen andern Fällen. Aber nach der Ansicht, dass die Arten sich beständig zu vermehren streben, während die Natürliche Züchtung immer bereit ist, die langsam abändernden Nachkommen jeder Art einem jeden in der Natur noch nicht oder nur unvollkommen besetzten Platze anzupassen, hören diese Erscheinungen auf befremdend zu seyn und hätten sich sogar vielleicht voraussehen lassen.

[S. 505]

Da die Natürliche Züchtung neben der Mitbewerbung wirkt, so passt sie die Bewohner einer jeden Gegend nur im Verhältniss der Vollkommenheits-Stufe der andern Bewerber an, daher es uns nicht überrascht, wenn die Bewohner eines Bezirkes, welche nach der gewöhnlichen Ansicht doch speziell für diesen Bezirk geschaffen und angepasst seyn sollen, durch die naturalisirten Erzeugnisse aus andern Ländern besiegt und ersetzt werden. Noch dürfen wir uns wundern, wenn nicht alle Erfindungen in der Natur, so weit wir ermessen können, ganz vollkommen sind und manche derselben sogar hinter unsren Begriffen von Angemessenheit weit zurückbleiben. Es darf uns daher nicht befremden, wenn der Stich der Biene ihren eignen Tod verursacht; wenn die Dronen in so ungeheurer Anzahl nur für einen einzelnen Akt erzeugt und dann grösstentheils von ihren unfruchtbaren Schwestern getödtet werden; wenn unsre Nadelhölzer eine so unermessliche Menge von Pollen erzeugen; wenn die Bienenkönigin einen instinktiven Hass gegen ihre eignen fruchtbaren Töchter empfindet; oder wenn die Ichneumoniden sich im lebenden Körper von Raupen nähren u. s. w. Weit mehr hätte man sich nach der Theorie der Natürlichen Züchtung darüber zu wundern, dass nicht noch mehr Fälle von Mangel an unbedingter Vollkommenheit beobachtet werden.

Die verwickelten und wenig bekannten Gesetze, welche die Variation in der Natur beherrschen, sind, so weit unsre Einsicht reicht, die nämlichen, welche auch die Erzeugung sogenannter spezifischer Formen geleitet haben. In beiden Fällen scheinen die natürlichen Bedingungen nur wenig Einfluss gehabt zu haben; wenn aber Varietäten in eine neue Zone eindringen, so nehmen sie etwas von den Charakteren der dieser Zone eigenthümlichen Spezies an. In Varietäten sowohl als Arten scheinen Gebrauch und Nichtgebrauch einige Wirkung zu haben; denn es ist schwer dieser Ansicht zu widerstehen, wenn man z. B. die Dickkopf-Ente (Micropterus) mit Flügeln sieht, welche zum Fluge eben so wenig brauchbar als die der Hausente sind, oder wenn man den grabenden Tukutuku (Ctenomys), welcher mitunter blind ist, und dann die Maulwurf-Arten betrachtet, die immer blind sind und[S. 506] ihre Augen-Rudimente unter der Haut liegen haben, oder endlich wenn man die blinden Thiere in den dunkeln Höhlen Europa’s und Amerika’s ansieht. In Arten und Abarten scheint die Wechselbeziehung der Entwickelung eine sehr wichtige Rolle gespielt zu haben, so dass, wenn ein Theil abgeändert worden ist, auch andre Theile nothwendig modifizirt werden mussten. In Arten wie in Abarten kommt Rückkehr zu längst verlorenen Charakteren vor. Wie unerklärlich ist nach der Schöpfungs-Theorie die gelegentliche Erscheinung von Streifen an Schultern und Beinen der verschiedenen Arten der Pferde-Sippe und ihrer Bastarde; und wie einfach erklärt sich diese Thatsache, wenn wir annehmen, dass alle diese Arten von einem gestreiften gemeinsamen Stamm-Vater herrühren in derselben Weise, wie unsre zahmen Tauben-Rassen von der blau-grauen Felstaube mit schwarzen Flügelbinden.

Wie lässt es sich nach der gewöhnlichen Ansicht, dass jede Art unabhängig geschaffen worden seye, erklären, dass die Arten-Charaktere, wodurch sich die verschiedenen Spezies einer Sippe von einander unterscheiden, veränderlicher als die Sippen-Charaktere sind, in welchen alle übereinstimmen? Warum wäre z. B. die Farbe einer Blume in einer Art einer Sippe, wo alle übrigen Arten mit andern Farben versehen sind, eher zu variiren geneigt, als wenn alle Arten derselben Sippe von gleicher Farbe sind? Wenn aber Arten nur stark abgebildete Abarten sind, deren Charaktere schon in hohem Grade beständig geworden, so begreift sich Diess; denn sie haben bereits seit ihrer Abzweigung von einem gemeinsamen Stammvater in gewissen Merkmalen variirt, durch welche sie eben von einander verschieden geworden sind; und desshalb werden auch die nämlichen Charaktere noch fortdauernd unbeständiger seyn, als die Sippen-Charaktere, die sich schon seit einer unermesslichen Zeit unverändert vererbt haben. Nach der Theorie der Schöpfung ist es unerklärlich, warum ein bei der einen Art einer Sippe in ganz ungewöhnlicher Weise entwickelter und daher vermuthlich für dieselben sehr wichtiger Charakter vorzugsweise zu variiren geneigt seyn soll; während dagegen nach meiner Ansicht dieser Theil seit der[S. 507] Abzweigung der verschiedenen Arten von einem gemeinsamen Stammvater in ungewöhnlichem Grade Abänderungen erfahren hat und gerade desshalb seine noch fortwährende Veränderlichkeit voraus zu erwarten stund. Dagegen kann es auch vorkommen, dass ein in der ungewöhnlichsten Weise entwickelter Theil, wie der Flügel der Fledermäuse, sich jetzt eben so wenig veränderlich als die übrigen zeigt, wenn derselbe vielen untergeordneten Formen gemein, d. h. schon seit sehr langer Zeit vererbt worden ist; denn in diesem Falle wird er durch lang-fortgesetzte Natürliche Züchtung beständig geworden seyn.

Werfen wir auf die Instinkte einen Blick, von welchen manche wunderbar sind, so bieten sie der Theorie der Natürlichen Züchtung mittelst leichter und allmählicher nützlicher Abänderungen keine grössere Schwierigkeit als die körperlichen Bildungen dar. Man kann daraus begreifen, warum die Natur bloss in kleinen Abstufungen die Thiere einer nämlichen Klasse mit ihren verschiedenen Instinkten vervollkommt. Ich habe zu zeigen versucht, wie viel Licht das Prinzip der stufenweisen Entwickelung auf den Bau-Instinkt der Honigbiene wirft. Auch Gewohnheit kommt bei Modifizirung der Instinkte gewiss oft in Betracht; aber Diess ist sicher nicht unerlässlich der Fall, wie wir bei den geschlechtlosen Insekten sehen, die keine Nachkommen hinterlassen, auf welche sie die Erfolge lang-währender Gewohnheit übertragen könnten. Nach der Ansicht, dass alle Arten einer Sippe von einer gemeinsamen Stamm-Art herrühren und von dieser Vieles gemeinsam geerbt haben, vermögen wir die Ursache zu erkennen, wesshalb verwandte Arten, auch wenn sie wesentlich verschiedenen Lebens-Bedingungen ausgesetzt sind, doch beinahe denselben Instinkten folgen: wie z. B. die Süd-Amerikanische Amsel ihr Nest inwendig eben so mit Schlamm überzieht, wie es unsre Europäische Art thut. In Folge der Ansicht, dass Instinkte nur ein langsamer Erwerb unter der Leitung Natürlicher Züchtung sind, dürfen wir uns nicht darüber wundern, wenn manche derselben noch unvollkommen oder nicht verständlich sind, und wenn manche unter ihnen andern Thieren zum Nachtheil gereichen.

[S. 508]

Wenn Arten nur wohl ausgebildete und bleibende Abarten sind, so erkennen wir sogleich, warum ihre durch Kreutzung entstandenen Nachkommen den nämlichen verwickelten Gesetzen unterliegen: in Art und Grad der Ähnlichkeit mit den Ältern, in der Verschmelzung durch wiederholte Kreutzung und in andern ähnlichen Punkten, wie es bei den gekreutzten Nachkommen anerkannter Abarten der Fall ist; während Diess wunderbare Erscheinungen blieben, wenn die Arten unabhängig von einander erschaffen und die Abarten nur durch sekundäre Kräfte entstanden wären.

Wenn wir zugeben, dass der geologische Schöpfungs-Bericht im äussersten Grade unvollständig ist, dann unterstützen solche Thatsachen, wie der Bericht sie liefert, die Theorie der Abstammung mit fortwährender Abänderung. Neue Arten sind von Zeit zu Zeit allmählich auf den Schauplatz getreten und das Maass der Umänderung, welche sie nach gleichen Zeiträumen erfahren, ist in den verschiedenen Gruppen weit verschieden. Das Erlöschen von Arten und Arten-Gruppen, welches an der Geschichte der organischen Welt einen so wesentlichen Theil hat, folgt fast unvermeidlich aus dem Prinzip der Natürlichen Züchtung; denn alte Formen werden durch neue und verbesserte Formen ersetzt. Weder einzelne Arten noch Arten-Gruppen erscheinen wieder, wenn die Kette ihrer regelmässigen Fortpflanzung einmal unterbrochen worden war. Die stufenweise Ausbreitung herrschender Formen mit langsamer Abänderung ihrer Nachkommen hat zur Folge, dass die Lebenformen nach langen Zeiträumen gleichzeitig über die ganze Erd-Oberfläche zu wechseln scheinen. Die Thatsache, dass die Fossil-Reste jeder Formation im Charakter einigermaassen das Mittel halten zwischen den darunter und den darüber liegenden Resten, erklärt sich einfach aus ihrer mitteln Stelle in der Abstammungs-Kette. Die grosse Thatsache, dass alle erloschenen Organismen in ein gleiches grosses System mit den lebenden Wesen zusammenfallen und mit ihnen entweder in gleiche oder in vermittelnde Gruppen gehören, ist eine Folge davon, dass die lebenden und die erloschenen Wesen die Nachkommen gemeinsamer Stamm-Ältern sind. Da die von alten[S. 509] Stammvätern herrührenden Gruppen gewöhnlich im Charakter auseinandergegangen, so werden der Stammvater und seine nächsten Nachkommen in ihren Charakteren oft das Mittel halten zwischen seinen späteren Nachkommen, und so ergibt sich warum, je älter ein Fossil ist, desto öfter es einigermaassen in der Mitte steht zwischen verwandten lebenden Gruppen. Man hält die neueren Formen im Allgemeinen für vollkommener als die alten und erloschenen; und sie stehen auch insoferne höher als diese, als sie in Folge fortwährender Verbesserung die älteren und noch weniger verbesserten Formen im Kampfe ums Daseyn besiegt haben. Auch sind im Allgemeinen ihre Organe mehr spezialisirt für verschiedene Verrichtungen. Diese Thatsache ist vollkommen verträglich mit der andern, dass viele Wesen jetzt noch eine einfache und nur wenig verbesserte Organisation für einfachere Lebens-Bedingungen besitzen, — und mit der ferneren Annahme, dass manche Formen in ihrer Organisation zurückgeschritten sind, weil sie eben dadurch sich einer veränderten und verkümmerten Lebensweise besser anpassten. Endlich wird das Gesetz langer Dauer unter sich verwandter Formen in diesem oder jenem Kontinente — wie die der Marsupialen in Neuholland, der Edentaten in Südamerika u. a. solche Fälle — erklärlich, da in einer begrenzten Gegend die neuen und erloschenen Formen durch Abstammung miteinander verwandt sind.

Wenn man, was die geographische Verbreitung betrifft, zugibt, dass im Verlaufe langer Erd-Perioden je nach den klimatischen und geographischen Veränderungen und der Wirkung so vieler gelegenheitlicher und unbekannter Veranlassungen starke Wanderungen von einem Welt-Theile zum andern stattgefunden haben, so erklären sich die Haupterscheinungen der Verbreitung meistens aus der Theorie der Abstammung mit fortdauernder Abänderung. Man kann einsehen, warum ein so auffallender Parallelismus in der räumlichen Vertheilung der organischen Wesen und ihrer geologischen Aufeinanderfolge in der Zeit besteht; denn in beiden Fällen sind diese Wesen durch das Band gewöhnlicher Fortpflanzung miteinander verkettet, und die Abänderungs-Mittel sind die nämlichen. Wir begreifen die volle[S. 510] Bedeutung der wunderbaren Erscheinung, welche jedem Reisenden aufgefallen seyn muss, dass im nämlichen Kontinente unter den verschiedenartigsten Lebens-Bedingungen, in Hitze und Kälte, im Gebirge und Tiefland, in Marsch- und Sand-Strecken die meisten der Bewohner aus jeder grossen Klasse offenbar verwandt sind; denn es sind gewöhnlich Nachkommen von den nämlichen Stammvätern und ersten Kolonisten. Nach diesem nämlichen Prinzip früherer Wanderungen meistens in Verbindung mit entsprechender Abänderung begreift sich mit Hilfe der Eis-Periode die Identität einiger wenigen Pflanzen und die nahe Verwandtschaft vieler andern auf den entferntesten Gebirgen, und ebenso die nahe Verwandtschaft einiger Meeres-Bewohner in der nördlichen und in der südlichen gemässigten Zone, obwohl sie durch das ganze Tropen-Meer getrennt sind. Und wenn anderntheils zwei Gebiete so übereinstimmende natürliche Bedingungen darbieten, wie es zur Ernährung gleicher Arten nöthig ist, so können wir uns darüber nicht wundern, dass ihre Bewohner weit von einander verschieden sind, falls dieselben während langer Perioden vollständig von einander getrennt waren; denn wenn auch die Beziehung von einem Organismus zum andern die wichtigste aller Beziehungen ist und die zwei Gebiete ihre ersten Ansiedler in verschiedenen Perioden und Verhältnissen von einem dritten Gebiete oder wechselseitig von einander erhalten haben können, so wird der Verlauf der Abänderung in beiden Gebieten unvermeidlich ein verschiedener gewesen seyn.

Nach der Annahme stattgefundener Wanderungen mit nachfolgender Abänderung erklärt es sich, warum ozeanische Inseln nur von wenigen Arten bewohnt werden, von welchen jedoch viele eigenthümlich sind. Man vermag klar einzusehen, warum diejenigen Thiere, welche weite Strecken des Ozeans nicht zu überschreiten im Stande sind, wie Frösche und Land-Säugethiere, keine ozeanischen Eilande bewohnen, und wesshalb dagegen neue und eigenthümliche Fledermaus-Arten, welche über den Ozean hinwegkommen können, auf oft weit vom Festlande entlegenen Inseln vorkommen. Solche Erscheinungen, wie die Anwesenheit besondrer Fledermaus-Arten und der Mangel aller andern Säugethiere[S. 511] auf ozeanischen Inseln sind nach der Theorie selbstständiger Schöpfungs-Akte gänzlich unerklärbar.

Das Vorkommen nahe-verwandter oder stellvertretender Arten in zweierlei Gebieten setzt nach der Theorie gemeinsamer Abstammung mit allmählicher Abänderung voraus, dass die gleichen Ältern vordem beide Gebiete bewohnt haben; und wir finden fast ohne Ausnahme, dass, wo immer viele einander nahe-verwandte Arten zwei Gebiete bewohnen, auch einige identische dazwischen sind. Und wo immer viele verwandte aber verschiedene Arten erscheinen, da kommen auch viele zweifelhafte Formen und Abarten der nämlichen Spezies vor. Es ist eine sehr allgemeine Regel, dass die Bewohner eines jeden Gebietes mit den Bewohnern desjenigen nächsten Gebietes verwandt sind, aus welchem sich die Einwanderung der ersten mit Wahrscheinlichkeit ableiten lässt. Wir sehen Diess in fast allen Pflanzen und Thieren der Galapagos-Eilande, auf Juan Fernandez und den andern Amerikanischen Inseln, welche in auffallendster Weise mit denen des benachbarten Amerikanischen Festlandes verwandt sind; und eben so verhalten sich die des Capverdischen Archipels und andrer Afrikanischen Inseln zum Afrikanischen Festland. Man muss zugeben, dass diese Thatsachen aus der gewöhnlichen Schöpfungs-Theorie nicht erklärbar sind.

Wie wir gesehen, ist die Erscheinung, dass alle früheren und jetzigen organischen Wesen nur ein grosses vielfach unter-abgetheiltes natürliches System bilden, worin die erloschenen Gruppen oft zwischen die noch lebenden fallen, aus der Theorie der Natürlichen Züchtung mit ihrer Ergänzung durch Erlöschen und Divergenz des Charakters erklärbar. Aus denselben Prinzipien ergibt sich auch, warum die wechselseitige Verwandtschaft von Arten und Sippen in jeder Klasse so verwickelt und mittelbar ist. Es ergibt sich, warum gewisse Charaktere viel besser als andre zur Klassifikation brauchbar sind; warum Anpassungs-Charaktere, obschon von oberster Bedeutung für das Wesen selbst, kaum von einiger Wichtigkeit bei der Klassifikation sind; warum von Stümmel-Organen abgeleitete Charaktere, obwohl diese Organe dem Organismus zu nichts dienen, oft einen hohen Werth[S. 512] für die Klassifikation besitzen; und warum embryonische Charaktere den höchsten Werth von allen haben. Die wesentlichen Verwandtschaften aller Organismen rühren von gemeinschaftlicher Ererbung oder Abstammung her. Das Natürliche System ist eine genealogische Anordnung, worin uns die Abstammungs-Linien durch die beständigsten Charaktere verrathen werden, wie gering auch deren Wichtigkeit für das Leben seyn mag.

Die Erscheinungen, dass das Knochen-Gerüste das nämliche in der Hand des Menschen, wie im Flügel der Fledermaus, im Ruder der Seeschildkröte und im Bein des Pferdes ist, — dass die gleiche Anzahl von Wirbeln den Hals aller Säugethiere, den der Giraffe wie den des Elephanten bildet, und noch eine Menge ähnlicher, erklären sich sogleich aus der Theorie der Abstammung mit geringer und langsam aufeinander-folgender Abänderung. Die Ähnlichkeit des Modells im Flügel und im Hinterfusse der Fledermaus, obwohl sie zu ganz verschiedenen Diensten bestimmt sind, in den Kinnladen und den Beinen des Krabben, in den Kelch- und Kronen-Blättern, in den Staubgefässen und Staubwegen der Blüthen wird gleicherweise aus der Annahme allmählich divergirender Abänderung von Theilen oder Organen erklärbar, welche in dem gemeinsamen Stammvater jeder Klasse unter sich ähnlich gewesen sind. Nach dem Prinzip, dass allmähliche Abänderungen nicht immer schon im frühen Alter erfolgen und sich demnach auf ein gleiches und nicht früheres Alter vererben, ergibt sich eine klare Ansicht, wesshalb die Embryonen von Säugthieren, Vögeln, Reptilien und Fischen einander so ähnlich sind und in späterem Alter so unähnlich werden. Man wird sich nicht mehr darüber wundern, dass der Embryo eines Luft-athmenden Säugthieres oder Vogels Kiemen-Spalten und Schleifen-artig verlaufende Arterien, wie der Fisch besitze, welcher die im Wasser aufgelöste Luft mit Hilfe wohl-entwickelter Kiemen zu athmen bestimmt ist.

Nichtgebrauch, zuweilen mit Natürlicher Züchtung verbunden, führt oft zur Verkümmerung eines Organes, wenn es bei veränderter Lebens-Weise oder unter wechselnden Lebens-Bedingungen nutzlos geworden ist, und man bekommt auf diese Weise[S. 513] eine richtige Vorstellung von rudimentären Organen. Aber Nichtgebrauch und Natürliche Züchtung werden auf jedes Geschöpf gewöhnlich erst wirken, wenn es zur Reife gelangt ist und selbstständigen Antheil am Kampfe ums Daseyn nimmt. Sie werden nur wenig über ein Organ in den ersten Lebens-Altern vermögen, wesshalb kein Organ in solchen frühen Altern sehr verringert oder verkümmert werden kann. Das Kalb z. B. hat Schneide-Zähne, welche aber im Oberkiefer das Zahnfleisch nie durchbrechen, von einem frühen Stammvater mit wohl-entwickelten Zähnen geerbt, und es ist anzunehmen, dass diese Zähne im reifen Thiere während vieler aufeinander-folgender Generationen reduzirt worden sind, entweder weil sie nicht gebraucht oder weil Zunge und Gaumen zum Abweiden des Futters ohne ihre Hilfe durch Natürliche Züchtung besser hergerichtet worden sind; wesshalb dann im Kalb diese Zähne unentwickelt geblieben und nach dem Prinzip der Erblichkeit in gleichem Alter von früher Zeit an bis auf den heutigen Tag so vererbt worden sind. Wie ganz unerklärbar sind nach der Annahme, dass jedes organische Wesen und jedes besondre Organ für seinen Zweck besonders erschaffen worden seye, solche Erscheinungen, die, wie diese nie zum Durchbruch gelangenden Schneidezähne des Kalbs oder die verschrumpften Flügel unter den verwachsenen Flügeldecken mancher Käfer, so auffallend das Gepräge der Nutzlosigkeit an sich tragen! Man könnte sagen, die Natur habe Sorge getragen, durch rudimentäre Organe und homologe Gebilde uns ihren Abänderungs-Plan zu verrathen, welchen wir ausserdem nicht verstehen würden.

Ich habe jetzt die hauptsächlichsten Erscheinungen und Betrachtungen wiederholt, welche mich zur innigsten Überzeugung geführt, dass die Arten während langer Fortpflanzungs-Perioden durch Erhaltung oder Natürliche Züchtung mittelst zahlreich aufeinander-folgender kleiner aber nützlicher Abweichungen von ihrem anfänglichen Typus verändert worden sind. Ich kann nicht glauben, dass eine falsche Theorie die mancherlei grossen Gruppen[S. 514] oben aufgezählter Erscheinungen erklären würde, wie meine Theorie der Natürlichen Züchtung es doch zu thun scheint. Es ist keine triftige Einrede, dass die Wissenschaft bis jetzt noch kein Licht über den Ursprung des Lebens verbreite. Wer vermöchte zu erklären, was das Wesen der Attraktion oder Gravitation seye? Obwohl LEIBNITZ den NEWTON angeklagt, dass er „verborgene Qualitäten und Wunder in die Philosophie“ eingeführt, so wird doch dieses unbekannte Element der Attraktion jetzt allgemein als eine vollkommen begründete vera causa angenommen.

Ich kann nicht glauben, dass die in diesem Bande aufgestellten Ansichten gegen irgend wessen religiöse Gefühle verstossen sollten. Es möge die Erinnerung genügen, dass die grösste Entdeckung, welche der Mensch jemals gemacht, nämlich das Gesetz der Gravitation, von LEIBNITZ angegriffen worden ist, weil es die natürliche Religion untergrabe und die offenbarte verläugne. Ein berühmter Schriftsteller und Geistlicher hat mir geschrieben, „er habe allmählich einsehen gelernt, dass es eine ebenso erhabene Vorstellung von der Gottheit seye, zu glauben, dass sie nur einige wenige der Selbstentwickelung in andre und nothwendige Formen fähige Urtypen geschaffen, als dass sie immer wieder neue Schöpfungs-Akte nöthig gehabt habe, um die Lücken auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden seyen.“

Aber warum, wird man fragen, haben denn fast alle ausgezeichneten lebenden Naturforscher und Geologen diese Ansicht von der Veränderlichkeit der Spezies verworfen? Es kann ja doch nicht behauptet werden, dass organische Wesen im Naturzustande keiner Abänderung unterliegen; es kann nicht bewiesen werden, dass das Maass der Abänderung im Verlaufe ganzer Erd-Perioden eine beschränkte Grösse seye; ein bestimmter Unterschied zwischen Arten und ausgeprägten Abarten ist noch nicht angegeben worden und kann nicht angegeben werden. Es lässt sich nicht behaupten, dass Arten bei der Kreutzung ohne Ausnahme unfruchtbar seyen, noch dass Unfruchtbarkeit eine besondre Gabe und ein Merkmal der Schöpfung seye. Die Annahme,[S. 515] dass Arten unveränderliche Erzeugnisse seyen, war fast unvermeidlich so lange, als man der Geschichte der Erde nur eine kurze Dauer zuschrieb; und nun, da wir einen Begriff von der Länge der Zeit erlangt haben, sind wir zu verständig, um ohne Beweis anzunehmen, der geologische Schöpfungs-Bericht seye so vollkommen, dass er uns einen klaren Nachweis über die Abänderung der Arten liefern müsste, wenn sie solche Abänderung erfahren hätten.

Aber die Hauptursache, wesshalb wir von Natur nicht geneigt sind zuzugestehen, dass eine Art eine andere verschiedene Art erzeugt haben könne, liegt darin, dass wir stets behutsam in der Zulassung einer grossen Veränderung sind, deren Mittelstufen wir nicht kennen. Die Schwierigkeit ist dieselbe, welche so viele Geologen gefühlt, als LYELL zuerst behauptete, dass binnen-ländische Fels-Klippen gebildet und grosse Thäler ausgehöhlt worden seyen durch die langsame Thätigkeit der Küsten-Wogen. Der Begriff kann die volle Bedeutung des Ausdruckes Hundert Millionen Jahre unmöglich fassen; er kann nicht die ganze Grösse der Wirkung zusammenrechnen und begreifen, welche durch Häufung einer Menge kleiner Abänderungen während einer fast unendlichen Anzahl von Generationen entsteht.

Obwohl ich von der Wahrheit der in diesem Bande auszugsweise mitgetheilten Ansichten vollkommen durchdrungen bin, so hege ich doch keinesweges die Erwartung erfahrene Naturforscher davon zu überzeugen, deren Geist von einer Menge von Thatsachen erfüllt ist, welche sie seit einer langen Reihe von Jahren gewöhnt sind aus den meinigen ganz entgegengesetzten Gesichtspunkten zu betrachten. Es ist so leicht unsre Unwissenheit unter Ausdrücken, wie „Schöpfungs-Plan“, „Einheit des Zweckes“ u. s. w. zu verbergen und zu glauben, dass wir eine Erklärung geben, wenn wir bloss eine Thatsache wiederholen. Wer von Natur geneigt ist, unerklärten Schwierigkeiten mehr Werth als der Erklärung einer Summe von Thatsachen beizulegen, der wird gewiss meine Theorie verwerfen. Auf einige wenige Naturforscher von empfänglicherem Geiste und solche, die schon an der Unveränderlichkeit der Arten zu zweifeln begonnen haben,[S. 516] mag Diess Buch einigen Eindruck machen; aber ich blicke mit Vertrauen auf die Zukunft, auf junge und strebende Naturforscher, welche beide Seiten der Frage mit Unpartheilichkeit zu beurtheilen fähig seyn werden. Wer immer sich zur Ansicht neigt, dass Arten veränderlich sind, wird durch gewissenhaftes Geständniss seiner Überzeugung der Wissenschaft einen guten Dienst leisten; denn nur so kann dieser Berg von Vorurtheilen, unter welchen dieser Gegenstand vergraben ist, allmählich beseitigt werden.

Einige hervorragende Naturforscher haben noch neuerlich ihre Ansicht veröffentlicht, dass eine Menge angeblicher Arten in jeder Sippe keine wirklichen Arten vorstellen, wogegen andre Arten wirkliche, d. h. selbstständig erschaffene Spezies seyen. Diess scheint mir eine sonderbare Annahme zu seyn. Sie geben zu, dass eine Menge von Formen, die sie selbst bis vor Kurzem für spezielle Schöpfungen gehalten und welche noch jetzt von der Mehrzahl der Naturforscher als solche angesehen werden, welche mithin das ganze äussre charakteristische Gepräge von Arten besitzen, — sie geben zu, dass diese durch Abänderung hervorgebracht worden seyen, weigern sich aber dieselbe Ansicht auf andre davon nur sehr unbedeutend verschiedene Formen auszudehnen. Demungeachtet beanspruchen sie nicht eine Definition oder auch nur eine Vermuthung darüber geben zu können, welches die erschaffenen und welches die durch sekundäre Gesetze entstandenen Lebenformen seyen. Sie geben Abänderung als eine vera causa in einem Falle zu und verwerfen solche willkürlich im andern, ohne den Grund der Verschiedenheit in beiden Fällen nachzuweisen. Der Tag wird kommen, wo man Diess als einen ergötzlichen Beleg von der Blindheit vorgefasster Meinung anführen wird. Diese Schriftsteller scheinen mir nicht mehr vor der Annahme eines wunderbaren Schöpfungs-Aktes als vor der einer gewöhnlichen Geburt zurückzuschrecken. Aber glauben sie denn wirklich, dass in unzähligen Momenten unsrer Erd-Geschichte jedesmal gewisse Urstoff-Atome kommandirt worden seyen zu lebendigen Geweben in einander zu fahren? Sind sie der Meinung, dass durch jeden unterstellten Schöpfungs-Akt[S. 517] bloss ein einziger, oder dass viele Individuen entstanden sind? Sind all’ diese zahllosen Sorten von Pflanzen und Thieren in Form von Saamen und Eiern, oder sind sie als ausgewachsene Individuen erschaffen worden? und die Säugthiere insbesondere, sind sie geschaffen worden mit dem falschen Merkmale der Ernährung vom Mutterleibe? Zweifelsohne können diese nämlichen Fragen beim jetzigen Stande unseres Wissens auch von denjenigen nicht beantwortet werden, welche an die Schöpfung von nur wenigen Urformen oder von irgend einer Form von Organismen glauben. Verschiedene Schriftsteller haben versichert, dass es leichter seye an die Schöpfung von Hundert Millionen Dingen als von einem zu glauben; aber MAUPERTUIS’ philosophischer Grundsatz von „der kleinsten Thätigkeit“ leitet uns lieber die kleinere Zahl anzunehmen; und gewiss dürfen wir nicht glauben, dass zahllose Wesen in jeder grossen Klasse mit klaren und doch trügerischen Merkmalen der Abstammung von einem gemeinsamen Stammvater geschaffen worden seyen.

Man kann noch die Frage aufwerfen, wie weit ich die Lehre von der Abänderung der Spezies ausdehne? Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil, je verschiedener die Formen sind, welche wir betrachten, desto mehr die Argumente an Stärke verlieren. Doch sind einige schwer-wiegende Beweisgründe sehr weit-reichend. Alle Glieder einer ganzen Klasse können durch Verwandtschafts-Beziehungen mit einander verkettet und alle nach dem nämlichen Prinzip in unterabgetheilte Gruppen klassifizirt werden. Fossile Reste sind oft geeignet grosse Lücken zwischen den lebenden Ordnungen des Systemes auszufüllen. Verkümmerte Organe beweisen oft, dass der erste Stammvater dieselben Organe in vollkommen entwickeltem Zustande besessen habe; daher ihr Vorkommen nach ihrer jetzigen Beschaffenheit ein ungeheures Maass von Abänderung in dessen Nachkommen voraussetzt. Durch ganze Klassen hindurch sind mancherlei Gebilde nach einem gemeinsamen Model geformt, und im Embryo-Stande gleichen alle Arten einander genau. Daher ich keinen Zweifel hege, dass die Theorie der Abstammung mit allmählicher Abänderung alle Glieder einer nämlichen Klasse mit[S. 518] einander verbinde. Ich glaube, dass die Thiere von höchstens vier oder fünf[49] und die Pflanzen von eben so vielen oder noch weniger Stamm-Arten herrühren.

Die Analogie würde mich noch einen Schritt weiter führen, nämlich zu glauben, dass alle Pflanzen und Thiere nur von einer einzigen Urform herrühren; doch könnte die Analogie eine trügerische Führerin seyn. Demungeachtet haben alle lebenden Wesen Vieles miteinander gemein in ihrer chemischen Zusammensetzung, ihrer zelligen Struktur, ihren Wachsthums-Gesetzen, ihrer Empfindlichkeit gegen schädliche Einflüsse. Wir sehen Diess oft in sehr zutreffender Weise, wenn dasselbe Gift Pflanzen und Thiere in ähnlicher Art berührt, oder wenn das von der Gallwespe abgesonderte Gift monströse Auswüchse an der wilden Rose wie an der Eiche verursacht. In allen organischen Wesen scheint die gelegentliche Vereinigung männlicher und weiblicher Elementar-Zellen zur Erzeugung eines neuen solchen Wesens nothwendig zu seyn. In allen ist, so viel bis jetzt bekannt, das Keim-Bläschen dasselbe. Daher alle individuellen organischen Wesen von gemeinsamer Entstehung sind. Und selbst was ihre Trennung in zwei Haupt-Abtheilungen, in ein Pflanzen- und ein Thierreich betrifft, so gibt es gewisse niedrige Formen, welche in ihren Charakteren so sehr das Mittel zwischen beiden halten, dass sich die Naturforscher noch darüber streiten, zu welchem Reiche sie gehören und Professor ASA GRAY hat bemerkt, dass Sporen und andre reproduktive Körper von manchen der unvollkommenen Algen zuerst ein charakteristisch thierisches und dann erst ein unzweifelhaft pflanzliches Daseyn besitzen. Nach dem Prinzipe der Natürlichen Züchtung mit Divergenz des Charakters erscheint es auch nicht unglaublich, dass sich einige solche Zwischenformen zwischen Pflanzen und Thieren entwickelt haben müssen. Und wenn wir Diess zugeben, so müssen wir auch zugeben, dass alle organischen Wesen, die jemals[S. 519] auf dieser Erde gelebt, von irgend einer Urform abstammen[50]. Doch beruhet dieser Schluss hauptsächlich auf Analogie, und es ist unwesentlich, ob man ihn anerkenne oder nicht. Aber anders verhält sich die Sache mit den Gliedern einer jeden grossen Klasse, wie der Wirbelthiere oder Kerbthiere; denn hier haben wir, wie schon bemerkt worden, in den Gesetzen der Homologie und Embryonologie einige bestimmten Beweise dafür, dass alle von einem einzigen Urvater abstammen.

Wenn die von mir in diesem Bande und die von Hrn. WALLACE im Linnean Journal aufgestellten oder sonstige analoge Ansichten über die Entstehung der Arten zugelassen werden, so lässt sich bereits dunkel voraussehen, dass der Naturgeschichte eine grosse Umwälzung bevorsteht. Die Systematiker werden ihre Arbeiten so wie bisher verfolgen können, aber nicht mehr unablässig durch den gespenstischen Zweifel beängstigt werden, ob diese oder jene Form eine wirkliche Art seye. Diess, fühle ich sicher und sage es aus Erfahrung, wird eine Erleichterung von grossen Sorgen gewähren. Der endlose Streit, ob die fünfzig Britischen Brombeer-Sorten wirkliche Arten sind oder nicht, wird aufhören. Die Systematiker haben nur zu entscheiden (was keineswegs immer leicht ist), ob eine Form beständig oder verschieden genug von andern Formen ist, um eine Definition zuzulassen und, wenn Diess der Fall, ob die Verschiedenheiten wichtig genug sind, um einen spezifischen Namen zu verdienen. Dieser letzte Punkt aber wird eine weit wesentlichere Betrachtung als bisher erheischen, wo auch die geringfügigsten Unterschiede zwischen zwei Formen, wenn sie nicht durch Zwischenstufen miteinander verschmolzen waren, bei den meisten Naturforschern für genügend galten, um beide zum Range zweier Arten zu erheben. Hiernach sind wir anzuerkennen genöthigt,[S. 520] dass der einzige Unterschied zwischen Arten und ausgebildeten Abarten nur darin besteht, dass diese letzten durch erkannte oder vermuthete Zwischenstufen noch heutzutage miteinander verbunden sind und die ersten es früher gewesen sind. Ohne daher die Berücksichtigung noch jetzt vorhandener Zwischenglieder zwischen zwei Formen verwerfen zu wollen, werden wir veranlasst seyn, den wirklichen Betrag der Verschiedenheit zwischen denselben sorgfältiger abzuwägen und höher zu werthen. Es ist ganz möglich, dass jetzt allgemein als blosse Varietäten anerkannte Formen künftighin spezifischer Benennungen werth geachtet werden, wie z. B. die beiden Sorten Schlüsselblumen, in welchem Falle dann die wissenschaftliche und die gemeine Sprache miteinander in Übereinstimmung kämen[51]. Kurz wir werden die Arten auf dieselbe Weise zu behandeln haben, wie die Naturforscher jetzt die Sippen behandeln, welche annehmen, dass die Sippen nichts weiter als willkürliche der Bequemlichkeit halber eingeführte Gruppirungen seyen. Das mag nun keine eben sehr heitre Aussicht seyn; aber wir werden hiedurch endlich das vergebliche Suchen nach dem unbekannten und unentdeckbaren Wesen der „Spezies“ los werden.

Die anderen und allgemeineren Zweige der Naturgeschichte werden sehr an Interesse gewinnen. Die von Naturforschern gebrauchten Ausdrücke Verwandtschaft, Beziehung, gemeinsamer Typus, älterliches Verhältniss, Morphologie, Anpassungs-Charaktere, verkümmerte und fehlgeschlagene Organe u. s. w. werden statt der bisherigen bildlichen eine sachliche Bedeutung gewinnen. Wenn wir ein organisches Wesen nicht länger, so wie die Wilden ein Linienschiff, als etwas ganz ausser unsren Begriffen liegendes betrachten, — wenn wir jedem organischen Natur-Erzeugnisse eine Geschichte zugestehen; — wenn wir jedes zusammengesetzte Gebilde oder jeden Instinkt als die[S. 521] Summe vieler einzelner dem Besitzer nützlicher Erfindungen betrachten, wie wir etwa ein grosses mechanisches Kunstwerk als das Produkt der vereinten Arbeit, Erfahrung, Beurtheilung und selbst Fehler zahlreicher Techniker ansehen, und wenn wir jedes organische Wesen auf diese Weise betrachten: wie viel ansprechender (ich rede aus Erfahrung) wird dann das Studium der Naturgeschichte werden!

Ein grosses und fast noch unbetretenes Feld wird sich öffnen für Untersuchungen über die Wechselbeziehungen der Entwickelung, über die Folgen von Gebrauch und Nichtgebrauch, über den unmittelbaren Einfluss äussrer Lebens-Bedingungen u. s. w. Das Studium der Kultur-Erzeugnisse wird unermesslich an Werth steigen. Eine vom Menschen neu erzogene Varietät wird ein für das Studium wichtigerer und anziehenderer Gegenstand seyn, als die Vermehrung der bereits unzähligen Arten unsrer Systeme mit einer neuen. Unsre Klassifikationen werden, so weit es möglich, zu Genealogien werden und dann erst den wirklichen sogen. Schöpfungs-Plan darlegen. Die Regeln der Klassifikation werden ohne Zweifel einfacher seyn, wenn wir ein bestimmtes Ziel im Auge haben. Wir besitzen keine Stamm-Bäume und Wappen-Bücher und werden daher die vielfältig auseinander-laufenden Abstammungs-Linien in unsren Natur-Genealogien mit Hilfe von mehr oder weniger lang vererbten Charakteren zu entdecken und zu verfolgen haben. Rudimentäre Organe werden in Bezug auf längst verloren gegangene Gebilde untrügliches Zeugniss geben. Arten und Arten-Gruppen, welche man abirrende genannt und mit einiger Einbildungs-Kraft lebende Fossile nennen könnte, werden uns helfen ein vollständigeres Bild von den alten Lebenformen zu entwerfen, und die Embryonologie wird uns die mehr und weniger verdunkelte Bildung der Prototype einer jeden der Hauptklassen des Systemes enthüllen.

Wenn wir erst für gewiss annehmen, dass alle Individuen einer Art und alle nahe verwandten Arten der meisten Sippen in einer nicht sehr fernen Vorzeit von einem gemeinsamen Vater entsprungen und von ihrer Geburts-Stätte aus gewandert, und[S. 522] wenn wir erst besser die mancherlei Mittel kennen werden, welche ihnen bei ihren Wanderungen zu gut gekommen sind, dann wird das Licht, welches die Geologie über die früheren Veränderungen des Klima’s und der Formen der Erd-Oberfläche schon verbreitet hat und noch ferner verbreiten wird, uns gewiss in den Stand setzen, ein vollkommenes Bild von den früheren Wanderungen der Erd-Bewohner zu entwerfen. Sogar jetzt schon kann die Vergleichung der Meeres-Bewohner an den zwei entgegengesetzten Küsten eines Kontinents und die Beschaffenheit der manchfaltigen Bewohner dieses Kontinentes in Bezug auf ihre Einwanderungs-Mittel dazu dienen, die alte Geographie einigermaassen zu beleuchten.

Die erhabene Wissenschaft der Geologie verliert von ihrem Glanze durch die Unvollständigkeit der Aufzeichnungen. Man kann die Erd-Rinde mit den in ihr enthaltenen organischen Resten nicht als ein wohl gefülltes Museum, sondern nur als eine zufällige und nur dann und wann einmal bedachte arme Sammlung ansehen. Die Ablagerung jeder grossen Fossilien-reichen Formation ergibt sich als die Folge eines ungewöhnlichen Zusammentreffens von Umständen, und die Pausen zwischen den aufeinander-folgenden Ablagerungs-Zeiten entsprechen Perioden von unermesslicher Dauer. Doch werden wir im Stande seyn, die Länge dieser Perioden einigermaassen durch die Vergleichung der ihnen vorhergehenden und nachfolgenden organischen Formen zu bemessen. Wir dürfen nach den Successions-Gesetzen der organischen Wesen nur mit grosser Vorsicht versuchen, zwei in verschiedenen Gegenden abgelagerte Bildungen, welche einige identische Arten enthalten, als genau gleichzeitig zu betrachten. Da die Arten in Folge langsam wirkender und noch fortdauernder Ursachen und nicht durch wundervolle Schöpfungs-Akte und gewaltige Katastrophen entstehen und vergehen, und da die wichtigste aller Ursachen, welche auf organische Wesen hinwirken, nämlich die Wechselbeziehung zwischen den Organismen selbst, in deren Folge eine Verbesserung des einen die Verbesserung oder die Vertilgung des andern bedingt, fast unabhängig von der Veränderung und zumal plötzlichen Veränderung der physikalischen[S. 523] Bedingungen ist: so folgt, dass der Grad der von einer Formation zur andern stattgefundenen Abänderung der fossilen Wesen wahrscheinlich als ein guter Maassstab für die Länge der inzwischen abgelaufenen Zeit dienen kann. Eine Anzahl in Masse zusammen-gehaltener Arten jedoch dürfte lange Zeit unverändert fortleben können, während in der gleichen Zeit einzelne Spezies derselben, die in neue Gegenden auswandern und in Kampf mit neuen Mitbewerbern gerathen, Abänderung erfahren würden; daher wir die Genauigkeit dieses von den organischen Veränderungen entlehnten Zeit-Maasses nicht überschätzen dürfen. Als in frühen Zeiten der Erd-Geschichte die Lebenformen wahrscheinlich noch einfacher und minder zahlreich waren, mag deren Wechsel auch langsamer vor sich gegangen seyn; und als es zur Zeit der ersten Morgenröthe des organischen Lebens wahrscheinlich nur sehr wenige Organismen von dieser einfachsten Bildung gab, mag deren Wechsel im äussersten Grade langsam gewesen seyn. Die ganze Geschichte dieser organischen Welt, so weit sie bekannt ist, wird sich hiernach als von einer uns ganz unerfasslichen Länge herausstellen, aber von derjenigen Zeit, welche seit der Erschaffung des ersten Geschöpfes, des Stamm-Vaters all’ der unzähligen schon erloschenen und noch lebenden Wesen verflossen ist, nur ein kleines Bruchstück ausmachen.

In einer fernen Zukunft sehe ich Felder für noch weit wichtigere Untersuchungen sich öffnen. Die Physiologie wird sich auf eine neue Grundlage stützen, sie wird anerkennen müssen, dass jedes Vermögen und jede Fähigkeit des Geistes nur stufenweise erworben werden kann.

Schriftsteller ersten Rangs scheinen vollkommen davon überzeugt zu seyn, dass jede Art unabhängig erschaffen worden seye. Nach meiner Meinung stimmt es besser mit den der Materie vom Schöpfer eingeprägten Gesetzen überein, dass Entstehen und Vergehen früherer und jetziger Bewohner der Erde, so wie der Tod des Einzelwesens, durch sekundäre Ursachen veranlasst werde. Wenn ich alle Wesen nicht als besondre Schöpfungen, sondern als lineare Nachkommen einiger weniger[S. 524] schon lange vor der Ablagerung der silurischen Schichten vorhanden gewesener Vorfahren betrachte, so scheinen sie mir dadurch veredelt zu werden. Und aus der Vergangenheit schliessend dürfen wir getrost annehmen, dass nicht eine der jetzt lebenden Arten ihr unverändertes Abbild auf eine ferne Zukunft übertragen wird. Überhaupt werden von den jetzt lebenden Arten nur sehr wenige durch Nachkommenschaft irgend welcher Art sich bis in eine sehr ferne Zukunft fortpflanzen; denn die Art und Weise, wie die organischen Wesen im Systeme gruppirt sind, zeigt, dass die Mehrzahl der Arten einer jeden Sippe und alle Arten vieler Sippen früherer Zeiten keine Nachkommenschaft hinterlassen haben, sondern gänzlich erloschen sind. Man kann insoferne einen prophetischen Blick in die Zukunft werfen und voraussagen, dass es die gemeinsten und weit-verbreitetsten Arten in den grossen und herrschenden Gruppen einer jeden Klasse sind, welche schliesslich die andern überdauern und neue herrschende Arten liefern werden. Da alle jetzigen Organismen lineare Abkommen derjenigen sind, welche lange vor der silurischen Periode gelebt, so werden wir gewiss fühlen, dass die regelmässige Aufeinanderfolge der Generationen niemals unterbrochen worden ist und eine allgemeine Fluth niemals die ganze Welt zerstört hat. Daher können wir mit einigem Vertrauen auf eine Zukunft von gleichfalls unberechenbarer Länge blicken. Und da die Natürliche Züchtung nur durch und für das Gute eines jeden Wesens wirkt, so wird jede fernere körperliche und geistige Ausstattung desselben seine Vervollkommnung fördern.

Es ist anziehend beim Anblick eines Stückes Erde bedeckt mit blühenden Pflanzen aller Art, mit singenden Vögeln in den Büschen, mit schaukelnden Faltern in der Luft, mit kriechenden Würmern im feuchten Boden sich zu denken, dass alle diese Lebenformen so vollkommen in ihrer Art, so abweichend unter sich und in allen Richtungen so abhängig von einander, durch Gesetze hervorgebracht sind, welche noch fort und fort um uns wirken. Diese Gesetze, im weitesten Sinne genommen, heissen: Wachsthum und Fortpflanzung; Vererbung mit der Fortpflanzung, Abänderung in Folge der mittelbaren und unmittelbaren Wirkungen[S. 525] äusserer Lebens-Bedingungen und des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs, rasche Vermehrung bald zum Kampfe um’s Daseyn führend, verbunden mit Divergenz des Charakters und Erlöschen minder vervollkommneter Formen. So geht aus dem Kampfe der Natur, aus Hunger und Tod unmittelbar die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu fassen vermögen, die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Thiere. Es ist wahrlich eine grossartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht habe, und dass, während dieser Planet den strengen Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfang sich eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommenerer Wesen entwickelt hat und noch fort entwickelt.

Fünfzehntes Kapitel.
Schlusswort des Übersetzers zur ersten Deutschen Auflage[52].

Eindruck und Wesen des Buches. — Stellung des Übersetzers zu demselben. — Zusammenfassung der Theorie des Verfassers. — Einreden des Übersetzers. — Aussicht auf künftigen Erfolg.

Und nun, lieber Leser, der Du mit Aufmerksamkeit dem Gedanken-Gange dieses wunderbaren Buches bis zu Ende gefolgt bist, dessen Übersetzung wir Dir hier vorlegen, wie sieht es in Deinem Kopfe aus? Du besinnst Dich, was es noch unberührt gelassen von Deinen bisherigen Ansichten über die wichtigsten Natur-Erscheinungen, was noch fest stehe von Deinen bisher festgestandnen Überzeugungen? Es sind nicht etwa teleskopische[S. 526] Entdeckungen, nicht neue Elementar-Stoffe, nicht die anatomischen Enthüllungen eines 10,000fältig vergrössernden Mikroskops, die der Verfasser gegen unsre bisherigen Vorstellungen auftreten lässt; es sind neue Gesichtspunkte, unter welchen ein gediegener Naturforscher in geistreicher und scharfsinniger Weise alte Thatsachen betrachtet, die er seit zwanzig Jahren gesammelt und gesichtet, über die er seit zwanzig Jahren unablässig gesonnen und gebrütet hat. Tief in seinen Gegenstand versenkt, von der Wahrheit der gewonnenen Resultate unerschütterlich überzeugt, trägt er sie mit so bewältigender Klarheit vor, beleuchtet er sie mit so viel Geist, vertheidigt er sie mit so scharfer Logik, zieht er so wichtige Schlüsse daraus, dass wir, was auch unsre bisherige Überzeugung gewesen seyn mag, uns eben so wenig ihrem Eindrucke entziehen, als unsre Anerkennung der Aufrichtigkeit versagen können, womit er selbst alle Einreden, die man ihm entgegen-halten kann, herbeisucht und nach ihrem Gewichte anerkennt. Er gesteht zu, dass sich gegen fast alle seine Gründe Gegengründe anführen lassen, und behält sich die ausführlichere Erörterung der Einzelnheiten in einem Umfang-reicheren Werke vor, da es sich hier nur um eine Gesammt-Darstellung seiner Theorie handelte.

Auf diese Weise ausgerüstet kann ein Werk nicht verfehlen die grösste Aufmerksamkeit zu erregen, das sich zur Aufgabe gesetzt, die dunkelsten Tiefen der Natur zu beleuchten, das bisher unlösbar geschienene Problem, das grösste Räthsel für die Naturforschung zu lösen und einen Gedanken, ein Grund-Gesetz in Werden und Seyn der ganzen Organismen-Welt nachzuweisen, das dieselbe in Zeit und Raum eben so beherrscht, wie die Schwerkraft in den Himmelskörpern und die Wahlverwandtschaft in aller Materie waltet, und auf welches alle andern Gesetze zurückführbar sind, die man bisher für sie aufgestellt hat. Es ist das Entwickelungs-Gesetz durch Natürliche Züchtung, das in der ganzen organischen Natur eben so wie im Systeme und im Individuum durch Zeit und Raum herrscht.

Die bisherigen Versuche, jenes Problem ganz oder theilweise zu lösen, waren Einfälle ohne alle Begründung und nicht[S. 527] fähig, eine Prüfung nach dem heutigen Stand der Wissenschaft auszuhalten, ja nur zu veranlassen[53]. Gleichwohl hat jeder Naturforscher gefühlt, dass die Annahme einer jedesmaligen persönlichen Thätigkeit des Schöpfers, um die unzähligen Pflanzen- und Thier-Arten in’s Daseyn zu rufen und ihren Existenz-Bedingungen anzupassen, im Widerspruch ist mit allen Erscheinungen in der unorganischen Natur, welche durch einige wenige unabänderliche Gesetze geregelt werden[54], durch Kräfte, die der Materie selbst eingeprägt sind. Da wir es auf Hrn. DARWIN’S Wunsch übernommen haben, sein Werk in’s Deutsche zu übertragen, so glauben wir dem Leser einige Rechenschaft von unsrer eigenen bisherigen Ansicht über mehre der durch den Verf. erörterten Fragen im Einzelnen und über seine Theorie im Ganzen, so wie von dem Einflusse schuldig zu seyn, welchen dieselbe auf unsre eigene Vorstellungs-Weise hinterlassen hat. Wir leisten diese Rechenschaft um so lieber, als, was wir auch immer gegen diese neue Theorie einzuwenden haben mögen, Diess unsre hohe Achtung und Bewunderung für ihren Begründer, unsere Dankbarkeit für seine zahlreichen Belehrungen und unsre zuversichtliche Hoffnung auf glänzende Erfolge seiner Bestrebungen nicht schmälern kann[55].

Wir haben an CUVIER’S Definition festhaltend die Art als Inbegriff aller Individuen von einerlei Abkunft und derjenigen, welche ihnen eben so ähnlich als sie unter sich sind, betrachtet[56]. Wir haben die Arten im Ganzen für beständig in ihren Charakteren, doch der Abartung in Folge äusserer oder unbekannter Einflüsse für fähig gehalten[57], die Abarten oder Varietäten aber[S. 528] für fähig unter angemessenen Verhältnissen wieder zu dem älterlichen Typus zurückzukehren; doch werde Diess der bestehenden Erfahrung gemäss um so schwerer halten, je länger die Abart unter fortwährendem Einflusse derselben äusseren Bedingungen, denen sie ihre Entstehung verdankte, schon als solche fortgepflanzt worden seye[58]. Das Maass der möglichen Abänderung einer Art wurde als ein beschränktes vorausgesetzt und nach den vorhandenen Erfahrungen in der geschichtlichen Zeit taxirt, ohne jedoch das mögliche Maximum dieser Grenzen zu bestimmen. Successiv auftretende Arten-Formen nahmen wir daher als selbstständig an[59]. Eine Generatio aequivoca der Arten haben wir nach den bisher bestehenden Erfahrungen nicht anerkannt[60]; und daher in Ermangelung einer andern Arten-bildenden Natur-Kraft (da Bastarde keine neue Arten gründen) nöthig gefunden, uns einstweilen noch auf eine Schöpfung zu berufen[61], jedoch mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass solche Annahme einer persönlichen Thätigkeit des Schöpfers mit dem übrigen Walten in der Natur im Widerspruch stehe[62]. Wir haben die Leistungen dieser Schöpfungs-Kraft, welcher Art sie nun seyn möge[63], näher charakterisirt und darauf hingewiesen, dass sie neben den unvollkommenen auch immer höher vervollkommnete Organismen hervorgebracht habe, wovon die neu auftretenden Formen immer in festen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den untergegangenen und zu den jedesmaligen äusseren Lebens-Bedingungen gestanden, was auf ein nahes Verhältniss der schaffenden Kraft zu der erhaltenden und zu diesen äusseren Verhältnissen hinweise.

DARWIN’S Theorie lässt sich nun in folgender Weise zusammenfassen. Der Schöpfer hat einigen wenigen erschaffenen Pflanzen- und Thier-Formen, vielleicht auch nur einer einzigen,[S. 529] Leben eingeblasen[64], in Folge dessen diese Organismen im Stande waren zu wachsen und sich fortzupflanzen, aber auch bei jeder Fortpflanzung in verschiedener Richtung um ein Minimum zu variiren („Fortpflanzung mit Abänderung“). Die Ursachen solchen Abändern’s sind zumal in Affektionen der Generations-Organe und nur geringentheils in unmittelbaren Einflüssen der äusseren Lebens-Bedingungen zu suchen. Solche kleine Abweichungen vom älterlichen Typus können schädliche, gleichgültige und nützliche seyn. Waren sie es in noch so geringem Grade, so hatten die Individuen mit den ersten am wenigsten und die mit den letzten am meisten Aussicht die andern zu überleben und sich fortzupflanzen. Die überlebenden Individuen werden die ihnen nützlich gewordene Abweichung oft wieder auf ihre Nachkommen „vererbt“ haben, und wenn diese nur nach 10 Generationen wieder einmal in gleicher Richtung und Stärke variirten, so war das Maass der Abänderung und somit ihre Aussicht die anderen Individuen zu überleben auf’s Neue vermehrt. Die Natur begünstigt also vorzugsweise die Fortpflanzung der mit jener nützlichen Abweichung versehenen Individuen auf Kosten der andern und häuft dieselbe bei späteren Nachkommen zu immer höherem Betrage an, etwa wie ein Viehzüchter bei Veredlung seiner Rassen verfährt („Natürliche Züchtung“), um deren ihm selbst willkommene Eigenschaften zu steigern. So kann nach tausend, zehntausend oder hunderttausend Generationen in einzelnen Nachkommen der ersten Urform jene Abweichung eine 100-, 1000-, 10,000fach gehäufte, es kann aus der anfänglich ganz unbemerkbaren Abänderung eine wirkliche Abart, eine eigene Art, eine andere Sippe, ja zuletzt nach 1,000,000 und mehr Generationen eine andere Ordnung oder Klasse von Organismen entstehen; denn es liegt keine natürliche Ursache und kein logischer Grund vor anzunehmen, dass das Maass der langsamen Abänderung irgendwo eine Grenze finde. Eine Abänderung aber, die in einer Gegend, Lage, Gesellschaft[S. 530] u. s. w. nützlich ist, kann in der andern schädlich seyn u. a. Es können mithin aus derselben Grundform unter verschiedenen äusseren Verhältnissen Abänderungen in ganz verschiedener Richtung entstehen, fortdauern und mit der Zeit allmählich ganz verschiedene Sippen, Familien und Klassen bilden („Divergenz des Charakters“). Da die Nützlichkeit jeder Art von Abänderung von der Beschaffenheit der äusseren Lebens-Bedingungen abhängig ist, unter welchen sie nützlich erscheinen, und da die Abänderung selbst unter andern Bedingungen eine andere seyn muss, um dem Organismus zu nützen, so besteht diese Natürliche Züchtung in einer fortwährenden „Anpassung der vorhandenen Lebenformen an die äusseren Bedingungen“ und Angewöhnung an dieselben. Diese sind Wohn-Elemente, Boden, Klima, Licht, Nahrung, vor allem Andern aber die Wechselbeziehungen der beisammen wohnenden Organismen zu einander, ihr Leben von einander, die Nothwendigkeit sich gegenseitig zu verdrängen und zu vertilgen, weil bei Weitem nicht alle, die geboren werden, auch neben einander fortleben können; daher der „Kampf um’s Daseyn“ bei fortdauernder Vervielfältigung und Ausbreitung der vervollkommneten Sieger und fortwährende „Erlöschung“ der wegen minderer Vollkommenheit Besiegten. Je mehr Lebenformen entstehen, desto manchfaltiger werden mithin wieder die Lebens-Bedingungen. Daher auch eine fortwährende Veränderung, Vervollkommnung und Vervielfältigung eines Theiles der Lebenformen (obwohl andere verschwinden) nicht als Zufall, sondern als nothwendige gesetzliche Erscheinung! Manche Organe mögen sich wohl auch in Folge der Art ihres „Gebrauches“ weiter entwickeln und vervollkommnen, wie andere durch „Nichtgebrauch“ allmählich zurückgehen und verkümmern („rudimentäre Organe“), wenn sie etwa unter veränderten Lebens-Bedingungen nicht mehr nöthig und vielleicht sogar schädlich sind. Wie die Natürliche Züchtung die ganzen Lebenformen allmählich differenzirt, um sie verschiedenen Lebens-Bedingungen anzupassen, so verfährt sie oft auch mit gleichartigen Organen, die in grösserer Anzahl an einerlei Individuen vorkommen. Wenn jedoch erbliche Abänderungen nur in einem[S. 531] gewissen Lebens-Alter auftreten oder erworben werden, so vererben sie sich auch nur auf dieses Lebens-Alter der Nachkommenschaft; diese bekommt mit fortschreitendem Alter neue Formen, durchläuft vom Embryo-Zustande an eine „Metamorphose“, während es andere Lebenformen gibt, welche lebenslänglich fast gleiche („embryonische“) Gestalt beibehalten, daher die ursprüngliche Verwandtschaft der Wesen sich gewöhnlich durch Übereinstimmung im Embryo-Zustande am längsten verräth. Die allmähliche Entstehung so vieler immer manchfaltigerer und z. Th. immer vollkommenerer Lebenwesen durch Fortpflanzung mit Abänderung und unter gleichzeitigem Aussterben anderer lässt sich daher mit der Entwickelung eines Baumes vergleichen; die Urformen bilden den Stamm, die Ordnungen, Sippen und Arten, die Äste und Zweige, und ein natürliches System kann nicht anders als in Form eines Stammbaumes dargestellt werden. Dieser Baum erstreckt sich gleichsam durch alle Gebirgs-Formationen aus der Tiefe herauf; da er aber in der Silur-Zeit schon in viele Äste auseinander gelaufen, so muss der eigentliche Stamm in noch viel älteren und tieferen Schichten stecken, die man noch nicht entdeckt oder erkannt hat, entweder weil sie durch metamorphische Prozesse verändert und sammt ihren organischen Resten unkenntlich geworden sind, oder weil sie unter dem Ozean liegen. Denn es könnte möglich seyn, dass seit der silurischen Periode das Weltmeer im Ganzen genommen in Senkung, wie unsre jetzigen Kontinente im Ganzen genommen fortwährend in Hebung begriffen wären. Im Übrigen erklärt sich die geographische Verbreitungs-Weise der Organismen, von zufälligen und gelegentlichen Verbreitungs-Mitteln einzelner Individuen abgesehen, hauptsächlich aus grossen klimatischen und geographischen Veränderungen (wie die Eis-Zeit), welche der Reihe nach alle Theile der Erd-Oberfläche betroffen, ihre Bewohner in andere Gegenden gedrängt und ihnen die Wege bald hier und bald dort geebnet haben, so dass manche Bewohner gemässigter Zonen sogar den Äquator überschreiten und ihre Art in die andre Hemisphäre verpflanzen konnten.

Die neue Hypothese gibt Thatsachen und Urtheile, um zu[S. 532] zeigen, wie sich die Erscheinungen im Allgemeinen verhalten haben können oder noch verhalten können, und es gelingt ihr das oft in einem überraschenden Grade. Es sind ganze in langen Kapiteln abgehandelte Probleme, die sich mit deren Hülfe dann so einfach lösen, dass man fast keinen Augenblick darüber in Zweifel geräth, ob sich die Sache nicht auch anders verhalten könne, und man sich selbst aufrütteln muss, um sich zu erinnern, es handle sich vorerst nur um eine in ihren Grundbedingungen der Rechtfertigung noch durchaus bedürftigen Hypothese. Und in der That, wenn man dann über den Rand des Buches hinaus auf irgend ein andres Werk blickt, welches die Erscheinungen so schildert, wie sie in der Natur vorliegen, so fühlt man oft, dass die Anwendbarkeit der DARWIN’schen Theorie auf die Wirklichkeit nicht so einfach und nicht so unmittelbar ist, als es geschienen, so lange man sich mit dem Verfasser ganz in seine Ansichten versenkt hatte, weil (begreiflich) die Verhältnisse überall nicht so einfach oder so geartet sind, wie er sie Beispiels-weise unterstellt. Wie sehr man sich daher auch von des Verfs. Theorie angezogen fühlen mag, weil sie, ihrem Grundgedanken nach einmal zugestanden, eine Menge einzelner unerklärter Erscheinungen auf die überraschendste Weise verkettet und als nothwendige erklärt, so muss man wohl erwägen, in wie ferne sie wirklich annehmbar seye. In dieser Beziehung wollen wir hier zum Schlusse noch einige erläuternde Betrachtungen mit unseren wesentlichsten Einreden dagegen folgen lassen, weil uns Diess angemessener und schicklicher erscheint, als die Übersetzung selbst überall mit Einwürfen zu begleiten. Eine nicht unerhebliche Anzahl noch andrer Gegenreden könnte leicht aus unsren früheren Schriften beigebracht werden, die wir hier übergehen, ohne sie jedoch für entkräftet zu halten.

Zuerst haben wir keine weitre positive Kenntniss von den natürlichen Grenzen der Veränderlichkeit der Arten überhaupt, als dass Varietäten aus ihnen entstehen, die unter denselben äusseren Bedingungen, unter welchen sie entstanden sind, auch um so ständiger werden können, je länger sie sich unter demselben Einflusse gleichbleibend fortpflanzen. Darin liegt allerdings[S. 533] schon ein grosses Zugeständniss, indem wir, sehr lange Zeiträume unterstellend, meistens nicht die Hoffnung hegen dürfen, eine solche während 1000 Generationen ständig fortgepflanzte Varietät jemals wieder auf ihren Urtypus wirklich zurückzuführen. Ja wir dürfen uns dieser Hoffnung um so weniger hingeben, als wir sehr oft die wahre Ursache der Entstehung einer solchen Varietät nicht einmal kennen, und sogar dann, wenn wir sie kennen, meistens kaum im Stande seyn dürften, dasjenige Agens zu finden oder diejenige Reihe von Agentien zu enträthseln oder anzuwenden, welche dem ersten direkt entgegenwirken. Wir würden daher oft weder den positiven Beweis der Abstammung noch auch aus der Thatsache, dass sich eine Abart nicht mehr auf ihre Stamm-Form zurückbringen lässt, den Gegenbeweis liefern können, dass jene aus dieser nicht entstanden seye. Was daher auch immer für die Möglichkeit unbegrenzter Abänderung angeführt werden mag, so ist sie vorerst und wird sie wohl noch lange eine unerweisliche, aber allerdings auch unwiderlegliche Hypothese bleiben, eine Hypothese, gegen deren Annahme mithin aus diesem Gesichtspunkte logisch nichts einzuwenden ist, woferne sie sonst ihrer Bestimmung genügt.

Ganz anders aber verhält es sich mit einer andern Erscheinung, und diese bildet unsres Bedünkens den ersten und erheblichsten Einwand gegen die neue Theorie, da er sie in ihren Grundlagen berührt, wie Hr. DARWIN auch ganz wohl gefühlt hat und ihn daher gar vielfältig zu widerlegen sucht[65], dessen Bedeutung aber gerade darum um so schärfer hervortritt, weil aller auf diese Widerlegung verwendete Fleiss und Scharfsinn die beabsichtigte Wirkung bei Weitem nicht in genügendem Grade hervorzubringen im Stande ist. Diese Erscheinung ist folgende. Da die entstehenden Varietäten nach DARWIN in der Regel sich nicht durch äussre Einflüsse und nie in Folge eines eigenen innern in bestimmter Richtung beharrlich abweichenden Bildungs-Triebes entwickeln, sondern dadurch, dass von ganz zufälligen in allen möglichen Richtungen auseinanderlaufenden[S. 534] unmerkbar kleinen Abänderungen diejenigen, welche dem Organismus nützlich sind, am meisten Aussicht haben, die übrigen zu überleben und sich reichlicher als sie fortzupflanzen, — da eine jede dieser in verschiedenen Richtungen auseinander-laufenden kleinsten Abänderungen wieder in allen Richtungen um ein Minimum abändern kann, — da nach des Verfs. eigner Annahme nur in 4–8–10 Generationen wieder einmal eine genau in gleiche Richtung mit einer der vorigen fällt und sie steigert oder durch Häufung verstärkt; — und da unter so unmerkbar kleinen Abänderungen noch keine ein merkbar grosses Übergewicht über die andern im Rassen-Kampfe haben kann: — so werden die Abarten nicht als solche nett und fertig sich von der Stammform wie ein gestieltes Dikotyledonen-Blatt vom Stengel, sondern etwa wie der unregelmässig krause Lappen einer Blätterflechte von der übrigen Flechten-Masse ablösen, welcher sich auch im weitren Verlaufe nie zu einem scharf und regelmässig contourirten Blatt entwickelt, sondern stets seine unsichere Gestalt beibehält, indem, wie lang er endlich auch werden mag, er immer wieder in ähnlicher Weise wuchert. Und diese Unsicherheit der Begrenzung wird um so bedeutender werden, da die neuen Abarten nicht auf einzelnen Merkmalen, sondern auf 2–3–4 von den alten abweichenden Charakteren beruhen, deren aber jeder für sich allein auftreten oder sich in verschiedener Weise und in verschiedenen Graden mit jedem andern verbinden kann, und da nach des Verfs. eigener Theorie Varietäten unter sich vorzugsweise fruchtbar sind und kräftige Nachkommenschaft liefern. Es müssten Formen-Gewirre entstehen noch weil ärger, als wir sie z. Th. in Folge anderer Ursachen in der Pflanzen-Welt wirklich in einigen Fällen kennen, bei Rubus, Salix, Rosa, Saxifraga. So müssten sie, wenn auch nicht ausnahmslos, doch vorherrschend überall vorkommen, obwohl sie jetzt im Pflanzen-Reiche selbst nur als Ausnahmen erscheinen und im [lebenden] Thier-Reiche noch überhaupt kaum bekannt sind. Wählen wir daher zu bessrer Versinnlichung einige hypothetische Fälle aus diesem letzten aus. Wenn z. B. aus der Haus-Ratte (Mus rattus) eine Wander- oder Kanal-Ratte (Mus decumanus) werden sollte[S. 535] (wir wählen diess Beispiel, weil in der That noch vor unsern Augen diese letzte als die stärkere die erste allenthalben verdrängt), so müssten nicht nur alle Übergänge aus der minderen Grösse, aus der bläulich-grauen Farbe, aus den längeren Ohren und dem längeren Schwanze der ersten in die ansehnlichere Grösse, die oben braun-graue und unten weissliche Farbe, die kürzren Ohren und den kürzren Schwanz der letzten eintreten und, da sie sich nicht gegenseitig bedingen, wahrscheinlich alle sich mit allen andern Merkmalen und in allen mit allen Abstufungen (zum Theil sogar in überschüssigem Maasse) so lange verbinden, als nicht eine dieser Verbindungen ihrem Besitzer positiv schädlich oder entschieden nützlich würde. Da jede dieser vier Verschiedenheiten sich mit den drei andern verbinden kann, so entstehen hiedurch schon zehnerlei Verbindungen; und da jede derselben auf jeder Abstufung der Umänderung sich mit allen Abstufungen der Umänderung der drei andern zusammen-gesellen kann, so werden die Mittelformen zahllos seyn, und es ist in keiner Weise abzusehen, wie statt solcher zahlloser Abänderungen, Abstufungen und Kombinationen zuletzt gerade nur die einzige feste und bestimmte Form der Wander-Ratte entstehen solle, zumal wir nicht wahrzunehmen vermögen, dass alle Abweichungen derselben von der Organisation der andern Art wesentlich zu ihrer grösseren Vollkommenheit beitragen, sondern mitunter für das Thier ganz gleichgültig seyn mögen, und da beide Arten keineswegs sich genau um dieselben Aufenthalts-Orte streiten. Geben wir aber zu, dass (aus uns unbekannten Ursachen) gerade nur die eine Kombination der Charaktere, wie sie in der Wander-Ratte vorkommt, derjenigen in der Haus-Ratte so überlegen seye, dass die erste die letzte überall zu besiegen und zu verdrängen im Stande ist, wo sie mit ihr in Mitbewerbung tritt, so begreift man (trotz Allem, was Hr. DARWIN dafür anführt) doch nicht, warum die der Wander-Ratte näher-stehenden schon weniger oder mehr verbesserten und jedenfalls nur in viel unbedeutenderem Nachtheil befindlichen Abänderungen immer und fortwährend zuerst besiegt und verdrängt werden sollten, die blaugraue Ratte aber, welche am weitesten von dem[S. 536] verbesserten Vorbilde entfernt ist, zuletzt? Man begreift nicht, warum die neue Art zuerst zur vollständigen Ausbildung gelangen müsse, ehe sie die andre zu besiegen im Stande ist, da ja die überlegenere von ihnen doch fortwährend die begünstigteren und schon halb verbesserten Mittelformen verdrängen und in einer Weise vernichten soll, als ob ein Individuum das andre unausgesetzt mit positiven Waffen angriffe. Hr. DARWIN wird uns in dem von den zwei Ratten-Arten entnommenen Beispiele etwa antworten, dass (obwohl thatsächlich eine die andre verdrängt und besiegt) sie nicht eine aus der andern, sondern dass beide aus einer bereits untergegangenen dritten Art entstanden sind, oder etwa dass sie sich unter Umständen aus einander entwickelt haben, die wir nicht kennen, daher wir auch nicht zu sagen im Stande seyen, in wieferne ihnen eine jede einzelne Eigenschaft nützlich gewesen seye oder nicht. Dieselben Antworten etwa würde uns DARWIN ertheilen, wenn wir Hasen und Kaninchen zum Beispiele wählten; — und wenn wir fragten, warum wir die blinden Höhlen-Thiere nicht noch halb-blind im vordem Theile der Höhlen finden, durch welche sie in den hintern dunkelsten Theil eingedrungen, so würde er uns noch weiter sagen, dass diese durch spätre Mitbewerber dort ausgetilgt seyn können. Diese und ähnliche an und für sich unangreifbare allgemeine Antworten wird er jeder Einrede entgegenhalten; aber wenn sie auch in manchen einzelnen Fällen begründet sind und in keinem Falle als absolut unpassend beseitigt oder widerlegt werden können, so fühlt doch Jeder, dass die Sache im Ganzen genommen nach der DARWIN’schen Theorie selbst sich ganz anders gestaltet haben würde und noch gestalten müsste, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Er ist dadurch im Vortheil, dass er desshalb über gar keinen einzelnen Fall Rechenschaft zu geben braucht, weil man nicht über jeden einzelnen Fall Rechenschaft von ihm fordern kann!

Den Mangel der Zwischenformen der Arten in den Erd-Schichten erklärt Hr. DARWIN unter Anderem aus der unvollständigen Erhaltung der einst vorhanden gewesenen Organismen-Formen im Fossil-Zustande und aus der Länge der Ruhe-Perioden[S. 537] zwischen den verschiedenen Formationen. Wenn wir aber eine Menge von Arten in identischen Formationen (wie Hr. DARWIN selbst anerkennt) überall in zahlreichen und sogar in Tausenden von Exemplaren wieder finden, so können die Bedingungen der Erhaltung für die Zwischenformen unmöglich so ganz ungünstig gewesen seyn, dass gar nichts von ihnen übrig geblieben; Zwischenformen müssten sich um so eher finden, als im Fossil-Zustande eine Menge von Charakteren verloren gehen, mit deren Hülfe allein wir viele sonst ganz selbstständige lebende Arten von einander unterscheiden. Endlich, wie lange auch, in Jahren ausgedrückt, die Zwischenräume gewesen seyn mögen, welche zwischen der Absetzung verschiedener Formationen vergangen: geologisch oder relativ genommen sind sie nicht so unermesslich lang, als sie Hr. DARWIN darstellt, indem nämlich die Veränderungen, welche von einer Formation zur andern in der Organismen-Welt vor sich gegangen, meistens gar nicht viel grösser zu seyn pflegen als jene, die von einem Schichten-Stock zum andern oder von einer Schicht zur andern in derselben Formation stattfinden. So sind wenigstens von der Silur- bis zur Kohlen-Formation, und von der Trias- bis zur heutigen Periode selbst auf Europäischem Gebiete keine sehr grossen Lücken mehr vorhanden, und hier und da scheint sogar eine ununterbrochene Bildungs-Reihe von Schichten zwei Formationen zu verbinden!

Aber selbst wenn wir den einfachsten Fall annehmen, wenn wir uns unter denjenigen Abarten umsehen, welche sich heutzutage als solche in unsren Systemen aufgeführt finden, so ist auch da schon die Kette hinter ihnen abgeschnitten; auch da schon fehlen fast überall die Glieder, welche sie mit der Stamm-Art verbinden; denn wären diese noch vorhanden, so könnte keinen Augenblick mehr ein Streit darüber fortdauern, ob sie selbstständige Arten oder nur Abarten seyen, ein Streit, auf welchen sich DARWIN so oft beruft! Und wenn Art und Abart als solche noch reichlich neben einander bestehen, wie könnten die Zwischenglieder durch die Abart bereits ausgetilgt seyn? Hr. DARWIN gibt uns auch hier eine vortreffliche Erklärung, wie Diess in einigen Fällen möglich gewesen seyn könne, indem er die[S. 538] Varietäten und Arten zuerst auf Inseln u. a. ringsum abgeschlossenen Gebieten entstehen lässt, wo alle divergirenden Stämme einer Spezies sich immer wieder mit einander kreutzen können und durch Vererbung eine gemeinsame Mittelform herzustellen im Stande sind. Aber dürfte diese Erklärungs-Weise wirklich als Regel und ihre Nichtanwendbarkeit nur als seltene Ausnahme zu betrachten seyn?? Muss es in allen Fällen so gewesen seyn, weil es in einzelnen Fällen so gewesen seyn kann?

Doch verweilen wir bei dieser Erklärung; denn sie würde in der That vortrefflich seyn, wenn man annehmen dürfte, dass sich jede Art aus Individuen einer andern entwickelt habe, die auf beschränktem Raume gänzlich von allen ihren Art-Genossen abgeschlossen gewesen wären, so dass alle Nachkommen dieser Individuen unter neuen Existenz-Bedingungen sich jederzeit alle mit einander mischen, aber nie mehr mit ihren andern Verwandten in irgend eine Berührung kommen konnten, bis die neue Art vollendet war! Das treffendste thatsächliche Beispiel für einen solchen Fall liefert uns der Mensch selbst. Der Mensch war gewiss noch lange, nachdem er sich bereits über die ganze Erd-Oberfläche verbreitet hatte, nicht im Stande, sich in Masse von einem Welttheile zum andern zu bewegen. Beobachtungen in Neu-Orleans u. a. haben zur Berechnung geführt, dass schon etwa in der Diluvial-Zeit, vor 10,000–100,000 oder noch mehr Jahren, die jetzigen Menschen-Rassen vorhanden und in jetziger Weise vertheilt gewesen sind. Die Bewohner eines jeden Welttheils waren von den übrigen fast isolirt, aber unter sich mehr und weniger verbunden; sie erfüllten die oben geforderten Bedingungen so genügend, wie man es in keinem andern Falle zu finden und nachzuweisen erwarten darf, und so war eine ungestörte Divergenz des Charakters der Menschen-Spezies während einer Zeit-Periode möglich, welche anerkannter Maassen zur Bildung neuer Spezies, wenn auch noch nicht zur Umgestaltung der ganzen Flora und Fauna, genügend war. Und was ist die Folge jener Isolirung einzelner Menschen-Gruppen während eines so langen Zeitraumes gewesen? Es sind eben so viele Rassen als getrennte Welttheile und eine Anzahl Mischlinge entstanden,[S. 539] die zuletzt sehr verschieden im Aussehen und noch verschiedener in ihrer geistigen Befähigung doch einander so nahe verwandt geblieben und so fruchtbar miteinander sind, dass Niemand an ihrer Art-Verwandtschaft miteinander zweifelt, obschon der Kampf um’s Daseyn binnen der drei oder vier Jahrhunderte, seit welchen in den verschiedenen Gegenden allmählich entwickelten Rassen miteinander in Berührung gekommen sind, bereits genügt hat, um einige derselben (und zwar nicht die ausgeprägtesten) dem Erlöschen nahe zu bringen. Wir dürfen wohl nicht hoffen einen andern thatsächlichen Beleg über das Abändern der Arten und die Divergenz des Charakters zu finden, der sich in der erweislichen Länge der Zeitdauer und Vollkommenheit der Isolirung der Rassen der verschiedenartigsten Lebens-Bedingungen, welche diese Erde einer nämlichen Spezies darzubieten im Stande ist, mit diesem vergleichen liesse.

Gerne möchten wir zu Gunsten der DARWIN’schen Theorie und zur Erklärung, warum nicht viele Arten durch Zwischenglieder in einander verfliessen, noch irgend ein inneres oder äusseres Prinzip entdecken, welches die Abänderungen jeder Art nur in einer Richtung weiter drängte, statt sie in allen Richtungen bloss zu gestatten. Das Problem wurde dann ein einfachres werden; aber immer müssten wir wieder erwarten, auch in dieser einfachen Reihe die Kette der Zwischenglieder aufzufinden, und diese sind weder vorhanden, noch ist uns ein innres derartiges Prinzip irgendwo bekannt.

Freilich liegen äussre solche Prinzipien vor. Es sind die Existenz-Bedingungen, welchen sich die Organismen anpassen müssen, und welche eine so grosse Rolle in diesem Buche spielen. Sie sind theils organische und theils unorganische, und die ersten nach Hrn. DARWIN weitaus die zahlreichsten und wichtigsten und daher auch an und für sich geeignet, die manchfaltigsten Folgen zu veranlassen. Doch eben diese organischen Prinzipien haben für DARWIN wieder den grossen Vortheil, dass, indem er sich auf ihre Manchfaltigkeit und auf den Kampf ums Daseyn überhaupt beruft, er der Nothwendigkeit überhoben ist, Rechenschaft von ihrer Wirkungs-Weise im Einzelnen zu geben[S. 540] und nachzuweisen, welche spezielle Folgen diese oder jene spezielle organische Bedingungen auf die Struktur und Entwickelung der ihrem Einfluss unterliegenden Organismen überhaupt, oder auf einzelne insbesondere ausübt. Hr. DARWIN beruft sich auf jeder Seite darauf, dass nur solche Abänderungen Aussicht auf Erhaltung haben, welche dem Individuum und somit der künftigen Spezies nützlich sind; und theoretisch muss man zugestehen, dass, woferne es eine Natürliche Züchtung gebe, die Sache sich nicht anders verhalten könne. Aber wir müssen gestehen, doch in fast allen unseren aus angeblich innern Ursachen hervorgegangenen Varietäten gar nicht finden zu können, worin denn der Nutzen ihrer Abänderung bestehe; und wenn Hr. DARWIN sich auf die Erfahrung beruft, dass ein grosser Theil der Britischen Flora der Neuseeländischen gegenüber so vervollkommnet sey, dass er sie verdränge, so hätten wir gehofft, doch auch nur in einzelnen Fällen nachgewiesen zu sehen, worin denn diese Überlegenheit beruhe. Hr. DARWIN entzieht sich auch hier jeder Rechenschaft. Warum bekommt z. B. in diesem Kampfe ums Daseyn eine Pflanzen-Art ovale statt lanzettlicher und die andre lanzettliche statt ovaler Blätter? warum die eine einen Dolden-artigen und die andre einen Rispen-förmigen Blüthenstand? warum die eine fünf und die andre vier Staubgefässe, die eine eine geschlossne und die andre eine weit geöffnete Blüthe? Wozu nützt der einen Diess und der andern das Gegentheil? Warum bewirken die organischen Bedingungen Diess? Mit welchen Mitteln fangen sie es an? und wie müssen sie beschaffen seyn, um es zu können? Und wie kann die eine Art der andern dadurch überlegen werden? Wir gestehen, keinen Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen zu erkennen, und Hr. DARWIN würde uns antworten, dass es möglicher Weise so oder so zugehen könne. Wir gestehen ferner, uns vergeblich um positive Beweise oder auch nur Belege in dieser Beziehung umgesehen zu haben, manche spezielle Fälle eigenthümlicher Art etwa ausgenommen; denn wir sind weit entfernt davon, allen solchen Einfluss überhaupt läugnen zu wollen. Wir wollen sogar ein spezielles Beispiel anführen. BREHM hat die meisten unsrer anerkannten deutschen Vögel-Arten[S. 541] nach den Proportionen des Kopfes, des Schnabels, der Füsse, der Flügel und zuweilen mit Zuhilfenahme der Färbung in je zwei bis vier Formen unterschieden und als wirkliche Arten bezeichnet, weil sie sich in der Regel nur je unter sich paaren, als solche fortpflanzen, gewöhnlich einen abweichenden Aufenthalts-Ort, oft andres Futter, demgemäss auch eine andre Lebens-Weise, zuweilen einen andern Gesang haben; doch ist es uns noch nicht gelungen, eine feste Beziehung bestimmter Körper-Proportionen zu bestimmten äussren Ursachen überhaupt zu erkennen; dieselben Beziehungen scheinen bei jeder Spezies von andrer Wirkung zu seyn. Und in der That hätte Hr. DARWIN hier vielleicht die besten Belege für seine „beginnenden Spezies“ finden können!

Dagegen lässt sich ein Einfluss unorganischer äussrer Lebens-Bedingungen und zwar ein spezieller Einfluss spezieller Bedingungen in bestimmter Richtung nachweisen, wie wir ihn bei den organischen Bedingungen nachgewiesen zu sehen gewünscht hätten. Hr. DARWIN gibt diesen Einfluss zu; er führt einige Beispiele davon an, erklärt aber wiederholt, dass er ein vergleichungsweise nur geringer seye. Anfangs möchte es scheinen, als ob Hr. DARWIN diesen Einfluss unterschätze, indem sich eine grosse Menge von Erscheinungen aus ihm nachweisen lassen. Wir kennen Bedingungen, welche auf die Grösse der Pflanzen, auf ihre ein- oder mehr-jährige Dauer, auf ihren Strauch- oder Baum-Wuchs, auf ihre Blüthen-Bildung und Fruchtbarkeit, auf die Farbe ihrer Blüthen, auf ihre glatte oder behaarte Oberfläche, auf die häutige oder fleischige Beschaffenheit ihrer Blätter (wie Hr. DARWIN selber anführt), zuweilen auch auf Monöcismus und Diöcismus, auf die aromatischen u. a. Absonderungen wirken; wir vermögen selbst diese Erscheinungen hervorzubringen. Und wir sehen, dass bei diesen Abänderungen die Übergänge nicht mangeln, indem wir im Stande sind fortwährend deren ganze Kette darzulegen und gerade desshalb wenig versucht sind in diesen Abweichungen neue Arten zu erblicken! Warum also fehlen die Übergänge bei den andern Abartungen, welche aus der innern Neigung zur Variation hervorgehen? Allerdings gibt es auch manche ganz plötzlich[S. 542] auftretende Abänderungen ohne Übergänge zumal bei den schon vielfach abgeänderten Kultur-Pflanzen, wie z. B. die hängenden oder Trauer-Varietäten vieler Bäume, viele unsrer Obst-Sorten, wovon manche nicht das Erzeugniss langsamer Züchtung, sondern eines einzelnen ohne nachweisbaren Grund abändernden Saamen-Kornes sind, die sich aber eben desshalb auch in der Regel nicht beständig aus Saamen fortpflanzen.

Auch von den Thieren wissen wir, dass Menge und Art des Futters und Beschaffenheit des Klimas auf Grösse und Farbe des Körpers, ja sogar (wie Hr. DARWIN selbst vom Amerikanischen Wolf erwähnt) auf deren Gestalt und Sitten wirken können. Auch des Einflusses des Klimas auf das Gefieder der Vögel gedenkt er, doch ohne sich der Umfang-reichen Nachweisungen zu erinnern, welche GLOGER in dieser Beziehung geliefert hat. Dass viele Säugthier-Arten in kalten Gegenden weiss werden und andre, welche solche nie verlassen, stets weiss bleiben, ist bekannt. Die Farbe der Schmetterlinge ändert oft mit dem Futter und die der Käfer u. a. Insekten je nach ihrem Aufenthalte in verschiedenen Gebirgs-Höhen ab. Die Grösse vieler Wasser-Konchylien steht mit dem Salz-Gehalt des Wassers in Zusammenhang; ihre Farbe mit dem Lichte, ihre glatte oder stachelige Beschaffenheit mit der schlammigen und felsigen Natur des See-Grundes; die Dichte des Pelzes mancher Säugthiere wechselt mit dem Klima und der Erhebung ihres Wohnortes über den Meeres-Spiegel, und die Instinkte einer Art ändern ausserordentlich unter neuen Lebens-Bedingungen ab. Es lässt sich nicht nur die Ursache, sondern auch der Zweck und die Nützlichkeit dieser Abänderung ermitteln, wir können in der Regel die Zwischenstufen nachweisen, die oft vom Grade und der Intensität der äussern Ursachen abhängen; wir können diese Abänderungen beliebig hervorbringen und sie durch entgegengesetzte Existenz-Bedingungen wieder in die Urform zurückführen. Aber vielleicht der wichtigste aller Belege für den Einfluss äussrer Existenz-Bedingungen ist in der Beobachtung zu finden, dass Kröten an feuchten und doch des stehenden Wassers ganz entbehrenden Orten im Stande sind, sich aus dem Ei unmittelbar zur reifen Form zu entwickeln,[S. 543] ohne dazwischen-fallende Kiemen-Bildung und also auch nothwendig ohne denjenigen übrigen Theil der Metamorphose und Lebens-Weise, welcher einen Aufenthalt im Wasser voraussetzt[66]. Um den möglichen Übergang von den Fischen zu den Reptilien zu erläutern, zitirt Hr. DARWIN den Lepidosiren; in jenen Kröten liegt er aber weit unmittelbarer vor in einer Weise, dass wohl jedermann zugeben wird, dass, wenn diese Bedingungen sich in allen Generationen der Kröte lange Zeit wiederholten, das Ausfallen der Metamorphose endlich zur Regel auch unter andern Verhältnissen werden könne.

Aber bei der Leichtigkeit und Schnelligkeit, womit alle diese Abänderungen in Folge der äusseren Existenz-Bedingungen eintreten, muss man sich allerdings fragen, ob die aus dieser äussern Ursache entstandenen Abweichungen jemals ganz bleibend werden und sich fest vererben können? Diess ist nicht der Fall. Denn so leicht und schnell sie sogar an ganz alten Arten aus bekannten Ursachen entstehen, eben so leicht und sicher sind sie, im Gegensatz zu den aus innren aber freilich unbekannten (nach DARWIN wahrscheinlich im Genital-Systeme zu suchenden) Ursachen entstandenen, durch eine der ersten entgegengesetzte Behandlung auch wieder auf die Urform zurückzuführen, woferne nicht etwa die Natürliche Züchtung sich ihrer bemächtigt und mit den äusseren Ursachen in gleicher Richtung thätig ist, um eine der Abänderungen rascher zur selbstständigen Form zu entwickeln. So lange Diess aber nicht der Fall, wird man wohl meistens darauf verzichten müssen, durch äussre Ursachen bleibende Abänderungen und „beginnende Arten“ entstehen zu sehen und wer nur die Wirkung äussrer Ursachen im Auge hat, mag allerdings mit Recht Hrn. DARWIN entgegenhalten, dass aus Abänderungen keine festen Arten werden. Da nun überdiess die Zwischenstufen zwischen den Extremen solcher Abänderungen nur Bindeglieder zwischen nebeneinander bestehenden, und nicht[S. 544] zwischen auseinander entstehenden Formen sind, und da jede der ersten für ihr eignes Daseyn gewöhnlich keine andren Abstufungen voraussetzt, während diese letzten ohne andre Abstufungen meistens nicht vorhanden seyn würden, so herrscht allerdings zwischen den durch äussre Ursachen und den durch Züchtung entstandenen Abänderungen ein solch wesentlicher Unterschied, dass wir uns daraus erklären zu müssen glauben, wesshalb Hr. DARWIN auf die Abänderungen dieser Art so wenige Rücksicht nimmt, obwohl er selbst uns keine derartige bestimmte Rechenschaft darüber gibt?

Wenn uns daher zur Zeit weder die äusseren Lebens-Bedingungen, noch der Prozess der Natürlichen Züchtung genügend erscheinen, um die Theorie Hrn. DARWIN’S, so wie sie vorliegt, zu begründen, so wollen wir dagegen gerne zugestehen, dass alle bisherigen Beobachtungen ohne Ausnahme von dem Gesichtspunkte feststehender unabänderlicher Arten aus gemacht worden sind, und dass eine unbefangene Beurtheilung seiner Theorie vielleicht erst möglich seyn wird, wenn einige Menschen-Alter weiter unter fortwährender Prüfung der Frage von der Abänderung der Arten aus den zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten verflossen seyn werden.

Je mehr ein Naturforscher sich mit Detail-Studien über den Bau der natürlichen Wesen und über dessen wunderbare Zweckmässigkeit, über das Zusammenstimmen aller Einzelnheiten zu einem Organismus, wovon kein Theilchen willkürlich geändert werden kann, ohne das Ganze zu gefährden, — über die Wiederholung derselben planmässigen Einrichtung in jedesmaliger andrer Weise bei 250,000 bekannten Organismen-Arten der jetzigen Schöpfung, — über die kulminirende Vollendung des Ganzen bei dem vollkommensten dieser Organismen, — über die Entwickelung aller dieser Einrichtungen in einem Embryo der ihrer noch nicht bedarf, zu künftigen Zwecken, beschäftigt hat, um so schwerer wird es ihm anfangs werden, darin nichts weiter als die Folgen eines fortschreitenden Verbesserungs-Prozesses zu sehen, worin jeder neue weitre Fortschritt nach des Vfs. Theorie selbst jedesmal nur ein Zufall ist und erst durch Vererbung festgehalten[S. 545] werden kann. Doch darf man darin noch kein unbedingtes Hinderniss für diese Theorie erblicken!

Eine andre Erscheinung, hinsichtlich welcher uns und Andre Hrn. DARWINS Erklärungen nicht ganz befriedigt haben, bietet der Umstand dar, dass trotz der unausgesetzten Thätigkeit der Natürlichen Züchtung und der fortdauernden Verbesserung der Organismen durch dieselbe, noch immer die unvollkommensten aller unvollkommenen Organismen in so unermesslicher Menge vorhanden sind. Doch hat ein daraus zu entnehmender Einwand kein solches Gewicht, dass er für die Annahme oder Nichtannahme der neuen Theorie entscheidend wäre, und wir würden in dessen Folge nur etwa genöthigt seyn, eine noch fortwährende Entstehung neuer Urformen anzunehmen, welche sich mit dieser Theorie als verträglich oder sogar als nothwendige Folge derselben ergibt, obwohl Hr. DARWIN die Generatio originaria nirgends in Anspruch nimmt. Endlich würde, wenn wir alle Organismen nur von einer Urform ableiten wollten, Diess jedenfalls von einer sehr niedren zelligen Form als Grundlage weitrer Entwickelung geschehen müssen, und es dürfte dann sehr schwer seyn zu begreifen, wodurch in einer von zwei äusserlich von einander nicht unterscheidbaren Zellen sich Empfindung und willkürliche Bewegung ausbilde und vererbe, und in der andern nicht?

Indem Hr. DARWIN alle jetzt lebenden und früher vorhanden gewesenen Lebenformen durch Abstammung mit fortwährenden leichten Abänderungen und Divergenz des Charakters von immer früheren und früheren Formen ableitet, glaubt er in einer Zeit, die wenigstens eben so weit vor der silurischen, wie diese vor der jetzigen Periode zurückliegt, nur noch acht bis zehn Stamm-Arten zu bedürfen, welchen der Schöpfer unmittelbar das Leben eingehaucht hätte. Wahrscheinlich hatte sich Herr DARWIN eine Stamm-Art zur Ableitung aller Arten eines jeden der Unterreiche oder Kreise unsrer Systeme gedacht, und wahrscheinlich wird diese Stamm-Art einer der tiefsten Stufen in jedem dieser Kreise entsprochen haben; doch drückt er sich nicht näher darüber aus. Die Entwickelung eines jeden so vielverzweigten Kreises aus einer Stamm-Art wäre dann vergleichbar der Entwickelung eines[S. 546] vielästigen Baumes aus einem Stamme: eine Annahme, welche wenigstens den Bildungs-Verhältnissen in der ganzen organischen Natur parallel liefe. Hr. DARWIN fragt die Anhänger der alten Schöpfungs-Theorie, welche Millionen von Pflanzen- und Thier-Spezies zum Gegenstande von Millionen verschiedener Schöpfungs-Akte eines persönlichen Schöpfers machen, der durch seine spätren Schöpfungen die an den frühern Formen begangenen Fehler verbessere: welche Vorstellung sie sich denn eigentlich von der Erschaffung der einzelnen Geschöpfe machen? (S. 517) — ob jede Art in einem oder in vielen Individuen, im Ei- oder im ausgewachsenen Zustande, ob die ersten Säugthiere mit oder ohne Nabel geschaffen worden seyen? Sie könnten Hrn. DARWIN seine Frage zurückgeben, wenn er nach seiner Theorie auch nur 8–10 erschaffene Arten bedarf (S. 517); ja sie könnten noch weiter fragen, ob der ersten Flechte, dem ersten Farnen, der ersten Palme und dem ersten Veilchen, mit dem ersten Infusorium, dem ersten Seeigel, der ersten Raupe und dem ersten Frosch gleichzeitig oder nacheinander auf einem Fleck beisammen oder auf eben so vielen Punkten der ganzen Erd-Oberfläche zerstreut das Leben eingeblasen worden seye, und ob sie sogleich angefangen sich — so ferne sie sich gegenseitig erreichbar — in Ermanglung andrer Nahrung wechselseitig aufzufressen, oder mit welcher Nahrung sie bis zu ihrer Vervielfältigung ihr Leben gefristet haben? Offenbar muss entweder ein ganzes Natur-System von Wesen auf einmal geschaffen worden seyn, oder sie müssen sich von einem tiefen Punkte an aufwärts ganz allmählich aber massenhaft entwickelt haben. Hr. DARWIN hat es jedoch sogleich gefühlt, dass jene seine Annahme noch misslicher als die einer gleichzeitigen Erschaffung aller Wesen ist, die er bekämpft; daher er etwas später sich mit einer Ur-Pflanze und einem Ur-Thiere, ja sogar mit einem einzigen Ur-Organismus begnügen will, welchem der Schöpfer das Leben eingehaucht habe (S. 518). Die Bedürfnisse dieses einzigen erschaffenen Individuums, von welchem die ganze lebende Natur abstammt, müssen dann freilich sehr klein gewesen seyn; — es war zweifelsohne nur eine Fadenalge oder etwas der Art, die sich ihre Nahrung aus unorganischen[S. 547] Elementen selbst bereiten und sich selbst befruchten musste? Aus ihr und ihren Nachkommen konnten lange Zeit nur vegetabilische Formen entstehen, bis genug organische Materie vorhanden war, um auch Thiere selbst der unvollkommensten Stufe zu ernähren.

Aber immer ist noch ein persönlicher Schöpfungs-Akt für dieses eine organische Wesen nöthig, und wenn derselbe einmal erforderlich, so scheint es uns ganz gleichgültig, ob der erste Schöpfungs-Akt sich nur mit einer oder mit 10 oder mit 100,000 Arten befasst, und ob er Diess nur ein- für allemal gethan oder von Zeit zu Zeit wiederholt hat. Es fragt sich nicht, wie viele Organismen-Arten derselbe ins Leben gerufen, sondern ob es überhaupt jemals nöthig seyn kann, dass dieser eingreife in die wundervollen Getriebe der Natur und statt eines bewegenden Natur-Gesetzes aushelfend wirke? Wenn Hr. DARWIN die organische Schöpfung überhaupt angreift, so muss er nach unsrer Überzeugung auch auf die Erschaffung einer ersten Alge verzichten! Und in dieser Thatsache, dass die neue Theorie noch die unmittelbare Erschaffung wenn auch nur eines Dutzends, ja wenn auch nur einer einzigen Organismen-Art erheischt, erblicken wir einen zweiten wesentlichen Einwand gegen dieselbe; weil, Diess einmal zugestanden, nicht der entfernteste Grund mehr vorliegt, ihr die ungeheure und so schwer zu erfassende Ausdehnung anzueignen, die ihr Hr. DARWIN gibt. — Wer eine organische Zelle oder Zellen-Reihe, einen Algen-Faden u. dgl. betrachtet und damit den wunderbaren Bau eines höheren Säugethieres vergleicht mit allen seinen Gliedern, Organen und Organen-Systemen, seinen unbewussten und willkürlichen Verrichtungen, der wird freilich anfangs zu lächeln geneigt seyn über eine Theorie, welche aus einer Algen-Zelle wenn auch erst nach Verlauf von wenigstens 20[67] Millionen Jahren einen Affen durch Natürliche Züchtung hervorgehen lässt. Und doch, erlässt man[S. 548] uns jenen einen Schöpfungs-Akt an der Algen-Zelle, was wäre dann so gänzlich befremdend an der neuen Theorie? Sehen wir denn nicht diesen Prozess tausendfältig und unausgesetzt bei Organismen aller Art binnen wenigen Wochen durch gewöhnliche Zeugung sich vollenden, ohne eine andre Auskunft darüber geben zu können, als dass es durch „Vererbung“ geschehe, ein ganz dunkles Prinzip, das ebenfalls erst durch die DARWIN’sche Theorie einige nähere Begründung wenigstens hinsichtlich seiner spezifischen Verschiedenheiten erlangt? daher an und für sich uns der Gedanke der Entstehung des Säugethieres aus einer ursprünglichen Protophyten- oder Protozoen-Zelle doch nicht so ganz und gar abenteuerlich erscheint. Und so läge auch für alle anderen Verheissungen dieser Theorie die Schwierigkeit nur etwa in der Länge der zur Lösung der einzelnen Aufgaben nöthigen Zeit, und daran ist wahrlich kein Mangel, sondern Überfluss, wo es sich darum handelt die Ewigkeit auszufüllen!

Noch eine Bemerkung über das, in geologischem Sinne, gleichzeitige Erscheinen und Verschwinden identischer Lebenformen auf der ganzen Erd-Oberfläche. Die DARWIN’sche Theorie leistet viel in dieser Beziehung! Sie zeigt uns, wie die Lebenwesen der gemässigten oder kalten Zone in Folge einer Eis-Zeit sogar den Äquator zu überschreiten vermochten! Aber welchen Grund haben wir zu glauben, dass es viele solcher Eiszeiten, dass es deren in allen Erd-Perioden gegeben, und insbesondere dass die die Verbreitung bewirkenden Ursachen in allen Perioden eine universelle Verbreitung der herrschenden Formen bis in den letzten Winkel der Erde vermittelt haben, ehe wieder irgendwo neue Formen entstanden, und dass nie ein Theil der Erde in dieser Hinsicht auf seine unabhängige Weise rascher oder langsamer als der andre fortgeschritten seye? Diese Erscheinung ist so befremdend, dass sie, so lange sie nicht als eine nothwendige nachgewiesen ist, trotz DARWIN’S Erklärungs-Versuch die ganze Theorie bedroht.

Aussicht auf Erfolg.) Unsre innigste Überzeugung ist, dass alle Bewegungen auch in der organischen Natur einem grossen Gesetze unterliegen, dass dieses Gesetz, allen organischen[S. 549] Erscheinungen entsprechend, ein Entwickelungs- und Fortbildungs-Gesetz seye, und dass dasselbe Gesetz, welches die heutige Lebenwelt beherrscht, auch ihr Entstehen bedingt und ihre ganze geologische Entwickelung geleitet habe.

Wir haben bisher organische Wesen entstehen und vergehen sehen; wir haben die bestehenden Arten sich erhalten und fortpflanzen, aber keine neuen Arten erscheinen sehen und keine Natur-Kraft gekannt, welche neue Arten in’s Daseyn ruft. Alle unsere Bemühungen sie zu finden, um von dem ersten Auftreten neuer Arten mit deren Hilfe Rechenschaft zu geben, waren vergeblich.

Hilft aber die DARWIN’sche Theorie diesem Mangel ab? Wir haben oben einige Einreden gegen sie vorgebracht, und unser persönliches Vermögen sie uns so, wie sie ist, anzueignen ist noch weit geringer als jene Einreden vermuthen lassen. Aber sie leitet uns auf den einzigen möglichen Weg! Es ist vielleicht das befruchtete Ei, woraus sich die Wahrheit allmählich entwickeln wird; es ist vielleicht die Puppe, aus der sich das längst gesuchte Natur-Gesetz entfalten wird, nachdem es einen Theil der seinem unvollkommenen Zustande angehörigen Anhänge abgestreift und andere seiner Bestandtheile vollständiger ausgebildet haben wird. Oder wir haben das gesuchte Gesetz vielleicht bereits vor Augen, aber sehen es nur durch ein Kaleidoskop, dessen Facettirung wir erst studiren oder abschleifen müssen, um das Objekt nach seiner wahren Beschaffenheit beurtheilen zu können?

Die Möglichkeit nach dieser Theorie alle Erscheinungen in der organischen Natur durch einen einzigen Gedanken zu verbinden, aus einem einzigen Gesichtspunkt zu betrachten, aus einer einzigen Ursache abzuleiten, eine Menge bisher vereinzelt gestandener Thatsachen den übrigen auf’s innigste anzuschliessen und als nothwendige Ergänzungen derselben darzulegen, die meisten Probleme auf’s Schlagendste zu erklären, ohne sie in Bezug auf die andern als unmöglich zu erweisen, geben ihr einen Stempel der Wahrheit und berechtigen zur Erwartung auch die für diese Theorie noch vorhandenen grossen Schwierigkeiten endlich zu überwinden. Diese glänzenden Leistungen der Theorie (ihre[S. 550] Wahrheit einmal zugestanden) sind es, die uns so mächtig zu ihr hinziehen, wie sehr wir auch des Wankens ihrer Grundlage uns bewusst sind. Denn die grösste Schwierigkeit für die Anerkennung dieser Theorie scheint allerdings zunächst im Grundgedanken selbst zu liegen, wenigstens nach seiner jetzigen Fassung: in der Vorstellung einer fortwährenden Bildung von Varietäten, die sich von den Stamm-Arten abzweigen und endlich ablösen, ohne durch Mittelglieder unter einander verkettet zu bleiben, wie wir auch nach allen aus der Theorie geschöpften Erläuterungen doch noch erwarten zu müssen glauben, wenn diese Theorie richtig wäre. Möglich, dass fortgesetzte Forschung und Prüfung darüber noch Auskunft und Aufklärung gibt!

Unser zweiter Einwand ist gegen die Annahme einiger oder auch nur einer ursprünglich erschaffenen Organismen-Spezies. Mit der Schöpfung müsste auch die eine wegfallen. So lange wir sie aber nicht entbehren können, so lange müssen wir daran zweifeln, in der DARWIN’schen Theorie bereits den wahren Schlüssel der Erscheinungen gefunden zu haben.

Auf welche Weise auch die eine erschaffene Spezies entbehrlich gemacht werden könne, darüber haben wir keine Vermuthung. Könnte durch unorganische chemische Prozesse aus unorganischer Materie organische werden, — könnte die organische Materie für sich die Form und Textur organischer Kern-Zellen annehmen, — könnten diese Zellen sich weiter entwickeln und zu wachsen beginnen —: doch hier stehen wir auf der letzten, der alleräussersten Grenze zwischen unorganischer und organischer Welt. Organische Mischungen könnten aus unorganischen durch gewisse chemische Prozesse vielleicht entstehen; dass organisch gebildete Zellen und gar belebte Zellen sich aus solcher Mischung gestalten können, hat man früher geglaubt, aber neuere Forschungen haben diese Ansicht mehr und mehr unmöglich gemacht; doch sollen jetzt auf Veranlassung der Französischen Akademie fernere Versuche mit die Frage verlässig entscheidender Beweiskraft angestellt werden!

Die DARWIN’sche Theorie wird wohl nicht mehr ganz untergehen! Aber ungeachtet der ausgezeichneten Leistungen derselben[S. 551] stehen ihr noch so wesentliche Gründe entgegen, dass wir vorerst nicht vermögen sie anzunehmen, obwohl uns eingewendet werden kann, auch die gewöhnliche Schöpfungs-Theorie lasse Einreden und zwar noch gewichtigere aber freilich von ganz andrer Beschaffenheit zu. Denn, unnatürlich an sich, braucht die Theorie der Schöpfung nicht mit natürlichen Erklärungen zu antworten. Sie kennt nur Wunder! Daher scheint es uns wenigstens konsequenter, auf dem alten naturwissenschaftlich haltlosen Standpunkte zu verharren in der Erwartung, dass eben in Folge des Streites der Meinungen sich eine haltbare Theorie entwickele, kläre und reife; — obwohl wir voraussehen, dass ein Theil unserer Naturforscher (und eine noch grössere Anzahl Nichtnaturforscher) der DARWIN’schen Theorie, auch so wie sie ist, alsbald zufallen werden. Nur aus dem Widerstreite der Meinungen wird die Wahrheit hervorgehen und der Urheber dieser Theorie selbst zweifelsohne noch die grosse Befriedigung erleben, der Naturforschung einen neuen Weg geöffnet zu haben!

Fußnoten:

[1] Ich habe die obige Angabe der ersten Veröffentlichung LAMARCK’S aus ISID. GEOFFROY ST.-HILAIRE’S vortrefflicher Histoire naturelle générale 1859, II, 405 entnommen, wo auch ein vollständiger Bericht von BUFFON’S schwankenden Urtheilen über denselben Gegenstand zu finden ist. — Nach ISID. GEOFFROY SAINT-HILAIRE wäre auch GÖTHE einer der eifrigsten Partheigänger für solche Ansichten gewesen, wie aus seiner Einleitung zu einem 1794–1795 geschriebenen, aber erst viel später veröffentlichten Werke hervorgehe. Er hat sich nämlich ganz bestimmt dahin ausgesprochen, dass für den Naturforscher in Zukunft die Frage Beispiels-weise nicht mehr die seye, wozu das Rind seine Hörner habe, sondern wie es zu seinen Hörnern gekommen seye (K. MEDING über GÖTHE als Naturforscher S. 34). — Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, dass GÖTHE in Deutschland, Dr. DARWIN in England und ET. GEOFFROY ST.-HILAIRE in Frankreich gleichzeitig zu gleichen Ansichten über die Entstehung der Arten gelangt sind.

D. Vf.

[2] Bekanntlich kam es in der Akademie mehrmals zu heftigen Auftritten mit CUVIER, welcher die Beständigkeit der Species gegen ihn vertheidigte.

D. Übers.

[3] Nach einigen Zitaten in BRONN’S „Untersuchungen über die Entwickelungs-Gesetze“ (S. 79 u. a.) scheint es, dass der berühmte Botaniker und Paläontologe UNGER im Jahre 1852 die Meinung ausgesprochen habe, dass Arten sich entwickeln und abändern. Ebenso D’ALTON 1881 in PANDER und D’ALTON’S Werk über das fossile Riesen-Faulthier; — und ähnliche Ansichten entwickelte OKEN in seiner mystischen „Natur-Philosophie“. Nach Zitaten in GODRON’S Werk „sur l’espèce“ scheint es, dass BORY ST.-VINCENT, BURDACH, POIRET und FRIES alle eine fortwährende Erzeugung neuer Arten angenommen haben. — Ich will noch hinzufügen, dass von 33 Autoren, welche in dieser historischen Skizze als solche aufgezählt werden, die an eine Abänderung der Arten oder wenigstens nicht an getrennte Schöpfungs-Akte glauben, 28 sind, welche über spezielle Zweige der Naturgeschichte geschrieben haben, darunter 3 blosse Geologen, 10 Botaniker, 15 Zoologen; aber unter den Botanikern und Zoologen haben einige auch über Paläontologie und Geologie geschrieben.

[4] Durch „Züchtung“ werde ich den stets wiederkehrenden Englischen Ausdruck „Selection“ übertragen, welcher in gegenwärtigem Sinne auch in England nicht gebräuchlich und desshalb dort angegriffen worden ist. Richtiger wäre wohl „Auswahl zur Züchtung“ gewesen, zumal da bei der „Züchtung“ auch noch Anderes als die Auswahl der Zucht-Thiere allein in Betracht kommen kann; doch ist Diess von wohl nur untergeordnetem Interesse. Zuweilen entspricht jedoch eine Übersetzung etwa durch das neu zu bildende Wort „Zuchtwahl“ wirklich besser, insbesondere bei Übertragung des Ausdrucks „Sexual selection“.

D. Übrs.

[5] Analog mit derjenigen Erscheinung, welche in meinen Morphologischen Studien „Differenzierung der Organe“ genannt worden ist.

D. Übrs.

[6] Ich wähle das OKEN’sche Wort „Sippe“ für Genus, weil das Deutsche Wort „Geschlecht“ seiner zweifachen Bedeutung („genus“ und „sexus“) wegen hier das Verständniss nicht selten erschweren würde. Leider besitzen wir keinen ähnlichen Ausweg, der Missdeutung des ebenfalls zweisinnigen Wortes „Art“ zu entgehen, welches bald für Species und bald für das Englische „kind“ angewendet werden muss. Der Ausdruck „Gattung“ endlich wird bald für Sippe und bald für Art („was sich gattet“) gebraucht.

D. Übrs.

[7] the laugher, die Lachtaube; doch scheint nach dem Zusammenhange hier eher die Trommeltaube, als die Columba risoria gemeint zu seyn.

D. Übs.

[8] Herr DARWIN ertheilt mir über die hier genannten Englischen Hunde-Rassen folgende Auskunft:

der Jagdhund (Spaniel) ist klein, rauhhaarig, mit hängenden Ohren und gibt auf der Fährte des Wildes Laut;

der Spürhund (Setter) ist ebenfalls rauhhaarig, aber gross, und drückt sich, wenn er Wind vom Wilde hat, ohne Laut zu geben lange Zeit regungslos auf den Boden;

der Vorstehehund (Pointer) endlich entspricht dem deutschen Hühnerhunde und ist in England gross und glatthaarig.

D. Übs.

[9] ALBERS hat dieselbe Beobachtung auf Madeira gemacht, aber eine andre Folgerung daraus gezogen: dass nämlich diese Formen, die während unermesslicher Zeiträume immer dieselben geblieben, nicht in einander übergehen und nicht eine Spezies bilden.

D. Ü.

[10] Vergl. die Anmerkung auf Seite 14.

D. Übs.

[11] Aber wie vermöchten wir zu ermessen, was einen Bewerber in den Augen einer Henne oder einer Taube liebenswürdig machen könne!

D. Übs.

[12] Diess dürfte jedoch der Hauptsache nach einen ganz verschiedenen Grund haben.

D. Ü.

[13] Hier ist ein Missverständniss. Aus den zwei zuletzt genannten Gründen könnten die Knochen-Fische die „vollkommensten Fische,“ aber nicht die „vollkommensten Fische“ seyn, d. h. den Typus der Fische aber nicht die Vollkommenheit am besten repräsentiren. Die Knochen-Fische sind aber vollkommenere Fische aus andern Gründen.

D. Übs.

[14] Diese Voraussetzung ist keinesweges von uns gemacht worden und ist für unsre Einrede auch durchaus nicht nöthig; wir haben uns vielmehr ausdrücklich auf einzelne Arten von Ratten und Kaninchen als Beispiele berufen, um an ihnen unsre Meinung zu erläutern. — Wir sehen auch noch jetzt nicht ein, wesshalb, wenn kleine Verschiedenheiten in die äusseren Existenz-Bedingungen (A und C) dem Fortkommen kleiner Verschiedenheiten in der Organisation (A und C) günstig sind, nicht auch mittle Verschiedenheiten der ersten (b), welche ja in der Regel nicht fehlen, nicht auch das Fortkommen von B gestatten sollten.

BR.

[15] So lautete unsere Frage nicht, — sondern: wie es komme, dass so vielerlei an einer Spezies nebeneinander-bestehende Abänderungen der Grundform je in ihrer Weise beständig seyen und sich nicht in manchfachen Kombinationen und Abstufungen zusammengesellten. (Vgl. übrigens unsern Anhang zu dieser Übersetzung.)

BR.

[16] Bekanntlich hat sich die Säugthier-Welt fast ganz erst im Laufe der Tertiär-Zeit entwickelt.

[17] Wenn dieser Grund so erheblich wäre, so würde man gar keine neuen Rassen bilden können, weil diese immer bei der Paarung zwischen den nächsten Verwandten, die anfänglich ja nur allein vorhanden sind, hervorgehen müssen. Was den in Lithauen eingehegten Auerochsen betrifft, so vernehmen wir, dass an der Krankheit Wilddieberei jährlich mehr Individuen eingehen, als geboren werden.

[18] Diese Abhängigkeit vom Klima ist denn doch in grosser Ausdehnung nachgewiesen worden von GLOGER in seiner Schrift „Über das Abändern der Vögel durch das Klima,“ Breslau 1833, 8o. Von vielen anderen Abänderungen sind die äusseren Ursachen zusammengestellt in unserer „Geschichte der Natur“ II, 68–116.

D. Übers.

[19] So lange man die wahre Ursache dieser Entstehung nicht kennt, hat Diess nichts Befremdendes.

D. Übers.

[20] Ein vollständiges Verzeichniss der Bewohner dunkler Höhlen hat EHRENBERG zusammengetragen in den Monats-Berichten der Berliner Akademie 1859, 758 ff.

D. Übs.

[21] Weit gewöhnlicher ist gewiss das Streben homologer Theile sich sowie andre mit fortschreitender Entwickelung selbständiger zu differenziren, es seye denn, dass jenes Streben unter sich zusammenzuhängen eine Differenzirung von heterologen Theilen bewirke, wie eben in Blumen.

D. Übrs.

[22] Dieses ist nur bei solchen weichen Theilen denkbar, welche sich nach den ihnen anliegenden harten bilden, die ihrerseits selbst aus weichen hervorgehen. Der Schädel modelt nicht das werdende Gehirn, sondern dieses den Schädel!

D. Übrs.

[23] Wie sie nämlich als Grund-Farben der verschiedenen Equus-Arten in der Natur vorkommen. Man könnte also etwa sagen „natürliche Pferde-Farben“.

D. Übrs.

[24] Nach der AGASSIZ’schen Lehre von den embryonischen Charakteren würde man diese Streifung, wie die weissen Flecken in der Hirsch-Sippe, als einen embryonischen Charakter ansehen und sagen, dass Zebra, Quagga etc. dem Pferde gegenüber auf tieferer Stufe zurückgeblieben seyen und embryonische Charaktere behalten haben, wie der Damhirsch gegenüber dem Edelhirsch.

D. Übers.

[25] Diess Beispiel war in der ersten Auflage angeführt um zu zeigen, wie etwa ein Wal entstehen könne.

D. Übrs.

[26] „Brütig“ für broody; das Wort ist im Deutschen nicht üblich; doch gibt es in Nord-Deutschland dafür einen Provinzialismus „heckisch“.

D. Übs.

[27] Diess kann kein Grund seyn: denn das Alter der Eier polygamischer Vögel, welche 10–20 und mehr Eier legen und eben so viele Tage dazu bedürfen, ist noch viel ungleicher, und doch kommen die Jungen gleichzeitig aus. Es fallen somit auch die Folgerungen weg.

D. Übs.

[28] Ich glaube die Aufgabe der Bienen ist eine einfachre, als dieser mathematischen Formel zu genügen! Eine Einzelbiene macht eine zylindrische Zelle. Stossen wir ihre Zellen möglichst dicht aneinander, so dass keine Zwischenräume bleiben, so können die Zellen nur sechs-, vier- oder dreieckige seyn, indem sie sich an den Aneinanderlagerungs-Seiten abplatten. Nun weichen sechseckige am wenigsten, dreieckige Zellen am meisten von den runden ab; jene bilden mithin die einfachste der möglichen Modifikationen. Diese einfachste Modifikation erheischt im Verhältniss zu ihrem Inhalte allerdings am wenigsten Wachs; — sie beengt aber auch, da ihre verschiedenen Queermesser am wenigsten ungleich sind, die darin nistende Made am wenigsten in ihrer Entwickelung und Bewegung; endlich gibt sie der Wabe am meisten Festigkeit, weil die Zwischenwände sich in drei und bei viereckigen nur in zwei Richtungen kreutzen.

D. Übrs.

[29] V. SIEBOLD hat bekanntlich im vorigen Jahre nachgewiesen, dass bei der Honigbiene (u. a. Insekten) das Geschlecht der Eier von der Befruchtung abhängig ist, welche im Willen der Bienenkönigin steht und nur in gewissen Zellen erfolgt, in andern unterbleibt.

D. Übs.

[30] Obwohl mir dieser Satz nahezu wahr zu seyn scheint, so habe ich doch bis jetzt zu berücksichtigen vergessen, dass daraus noch keineswegs folge, dass nicht Unfruchtbarkeit für zwei im Entstehen begriffene Spezies von grossen Vortheilen soferne seyn könne, als sie dieselben getrennt hält und für verschiedene Lebens-Beziehungen geeignet macht. Die Unfruchtbarkeit der Bastarde mag eine unvermeidliche Folge der erlangten Unfruchtbarkeit [?] ihrer Ältern seyn; aber ich will nicht mehr sagen, weil einige Versuche, die ich in Bezug auf diese wichtige Frage durchzuführen beschäftigt bin, noch nicht zum Abschluss gelangt sind. (Im April 1862.)

[31] C. F. V. GÄRTNER: Versuche und Beobachtungen über die Befruchtungs-Organe der vollkommenen Gewächse und über die natürliche und künstliche Befruchtung durch den eigenen Pollen. Stuttgart 1844. — Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreich. Mit Hinweisung auf die ähnlichen Erscheinungen im Thierreiche. Stuttgart 1849.

D. Übs.

[32]Flowers“ doch wohl Blüthen-Ähren.

D. Übs.

[33] Doch kennt man über zwei Dutzend fossile Arten von der Kohlen-Formation an bis in die obersten Tertiär-Schichten.

D. Übs.

[34] Meine Meinung ist die, dass nur wenige Arten eine unsrer angenommenen Perioden überdauern, viele aber schon in 0,1–0,2–0,5 dieser Zeit zu Grunde gehen.

BR.

[35] Wir glauben, dass das Bestehen dieser unausfüllbaren Lücken in der unter unsren Augen lebenden Schöpfung einen wesentlicheren Einwand bildet, als das der weit grösseren Lücken in den früheren Weltperioden, welche der Phantasie genügenderen Spielraum zur Ersinnung von Möglichkeiten gewähren.

D. Übers.

[36] H. G. BRONN: Morphologische Studien über die Gestaltungs-Gesetze der Natur-Körper. Leipzig 1858, 8°: — und zumal dessen Untersuchungen über die Entwickelungs-Gesetze der organischen Welt. Stuttg. 1858, 8°.

[37] Es ist allerdings leicht, einige Beispiele ausser allem Zusammenhang als Belege irgend einer beliebigen Ansicht aufzuführen; da aber wo eine auf gesammelten Thatsachen begründete Lehre bereits in der Weise systematisch entwickelt worden, dass man zu allgemeinen Schlusssätzen gelangt ist, muss man das ganze Lehrgebäude widerlegen, statt sich auf eine vereinzelte Einrede zu beschränken. Es ist im vorliegenden Falle auch ganz gleichgültig ob z. B. die Biene oder die Sepie höher organisirt sind; das sind Glieder zweier auf ganz verschiedenen Grundplanen aufgebauter Unterreiche und in soferne incommensurable Grössen. Will man die aufsteigende Entwickelung der Organisation verfolgen, so muss man sich mehr an die Thiere eines Unterreichs halten.

D. Übers.

[38] Doch kaum! Wenn es sonst 10,000 Fische und Reptilien ohne Säugthiere gegeben hätte, und gäbe jetzt deren nur 5000 mit 1000 Säugthier-Arten: diess organische Leben wäre dennoch höher gestiegen!

D. Übs.

[39] Diese neueren Versuche von MARTINS vgl. in Bibliothèq. univers. de Genève, 1858, I, 89–92 > Neu. Jahrb. f. Mineral. 1858, 877–878.

D. Übers.

[40] In diesem Falle wäre vielleicht wahrscheinlicher anzunehmen, der Reiher habe einen Fisch verschlungen gehabt, welcher jene Saamen gefressen hatte; und die Saamen würden keimfähig wieder zu Boden gelangt seyn, wenn nun ein Raubvogel den Reiher zerrissen hätte.

D. Übs.

[41] Da die Frösche ihre Eier erst nach dem Legen befruchten, so müssten doch wohl mehre zusammengefroren gewesen seyn.

D. Übs.

[42] Vgl. DARWIN: über die Einrichtungen zur Befruchtung Britischer und ausländischer Orchideen durch Insekten und über die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung. Aus dem Englischen übersetzt von H. G. BRONN. Stuttg.

D. Üb.

[43] Ob Lagostomus oder Lagidium oder beide gemeint seyen, ist nicht zu ersehen, doch kann sich das oben Gesagte auf beide beziehen.

D. Übs.

[44] Zu Bezeichnung der Übereinstimmung von Organen eines nämlichen Individuums miteinander haben wir den Ausdruck „homonym“ angewendet, indem wir Homologien nur bei Vergleichung verschiedener Thier-Arten annehmen (Morphologische Studien S. 410).

D. Übs.

[45] Diese und verwandte Fragen sind in unsern Morphologischen Studien viel erschöpfender entwickelt wurden, als von OWEN.

D. Übs.

[46] Ich denke, dass Diess bei allen Insecta ametabola ohne unthätigen Zustand der Fall ist?

D. Übs.

[47] Das ist wohl insoferne nicht wörtlich zu nehmen, als ja die Jungen der andern Rassen noch nicht so wie im Alter verschieden waren.

D. Übs.

[48] Aber wenn sie jetzt nicht von Natürlicher Züchtung herrühren können, wie sind sie dann das erste Mal entstanden, ehe sie wieder zu schwinden begannen? Gewiss verdienen sie aber in diesem letzten Falle nicht den Namen „werdende“ oder „beginnende“ Organe, sondern müssen „verkümmernde“ heissen.

D. Übs.

[49] Diese Zahl entspräche also den Unterreichen oder Kreisen des Thier-Reichs, welche der Verf. gewöhnlich auch unter dem Namen der „grossen Klassen“ versteht. Er sagt aber nirgends, auf welche Weise er sich das Thier-Reich an diese 4–5 Stammarten vertheilt denke.

D. Übs.

[50] Hier war in der vorigen Original-Auflage, die unsrer Deutschen Übersetzung zu Grunde gelegen, noch der Nachsatz angehängt, „welcher das Leben zuerst vom Schöpfer eingehaucht worden ist.“ Wir müssen Diess bemerken, weil sich auf ihn ein mehrfach geäusserter Vorwurf der Inconsequenz des Verfassers bezog, und weil diese Änderung uns die wesentlichste in der ganzen neuen Auflage zu seyn scheint.

D. Übers.

[51] In England nämlich, wo die gewöhnliche Form der Schlüsselblume (Primula veris) als „Primrose“ oder Frühröschen, die grosse blassgelbe (Pr. elatior) aber als „Cowslip“ oder Kuhtritt bezeichnet zu werden pflegt. In Deutschland hat der Volks-Mund meines Wissens noch keinen stetig verschiedenen Namen dafür.

D. Übs.

[52] Da in der neuesten Original-Auflage des DARWIN’schen Werkes einige Erwiderungen auf dieses Kapitel enthalten sind, so sehen wir uns veranlasst, es auch in der zweiten Deutschen Auflage unverändert stehen zu lassen.

BR.

[53] Vgl. unsere Entwickelungs-Gesetze der organ. Welt S. 78.

[54] Entwickelungs-Gesetze der organ. Welt 77–80, 229.

[55] Wir glauben uns keiner Indiskretion schuldig zu machen, wenn wir der Übersetzung Einreden beifügen, da Hr. DARWIN unsre abweichende Ansicht kannte, als er den Wunsch ausdrückte eine Übersetzung durch uns selbst oder unter unsrer Aufsicht veranstaltet zu sehen, und da er selbst die allseitige Diskussion seiner Theorie ausdrücklich wünscht.

[56] Geschichte der Natur, 1843, II, 63; Entwickelungs-Gesetze der organ. Welt 1858, S. 228.

[57] Geschichte d. Nat. II, 65–133.

[58] Geschichte d. Nat. II, 180–196.

[59] Entwickelungs-Gesetze S. 79, 232.

[60] Geschichte d. Nat. II, 29–60; Entwickelungs-Gesetze 79.

[61] Entwickelungs-Ges. S. 235.

[62] Entwickelungs-Ges. 77–80.

[63] A. a. O. S. 80–82.

[64] Diese Vorstellung ist in der neuen Auflage weggeblieben; vgl. S. 519, Anmerkung.

[66] So nach E. J. LOWE; — während dagegen SCHREIBERS, wenn wir nicht irren, Frosch-Larven dadurch an ihrer Verwandlung zu Fröschen (ohne Kiemen) hinderte, dass er sie nöthigte unter Wasser zu bleiben. (Zusatz zur zweiten Auflage.)

[67] Man hat die Dauer der Steinkohlen-Flora allein auf etwa 1 Million Jahre berechnet; setzt man dieselbe nun auch nur = 0,1 von der Dauer aller unsrer geologischen Schichten-Bildungen und diese nach DARWIN gleich der Dauer der vor-silurischen Schichten, so ergibt sich obiges Resultat.

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