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Churrätien ist die deutsche Bezeichnung für die römische Provinz Raetia prima, nach ihrer Hauptstadt Curia, deutsch Chur. Ab dem Frühmittelalter bis in die frühe Neuzeit wird die Bezeichnung Churrätien als geographischer Begriff benützt und umfasst folgende Regionen: Graubünden (ohne Misox, Poschiavo, Val Müstair), Vorarlberg (vor allem den Walgau), das St. Galler Rheintal und das Sarganserland. Im späteren Mittelalter wird allerdings das nördliche Vorarlberg und das untere Rheintal nicht mehr zu Churrätien gerechnet.

Geschichte

Die römische Provinz Raetia

Unter dem Provinznamen Raetia waren seit den Jahren 16–14 v. Chr. die Gebiete des heutigen Graubündens und Südbayerns zwischen Donau und Inn sowie des nördlichen Tirols unter der römischen Herrschaft zusammengefasst worden. Um 180 wurde Raetia zur kaiserlichen Provinz 2. Klasse, verwaltet von einem Senator mit praetorischem Rang, um schliesslich ab dem 4. Jahrhundert, zur Diözese Italia gehörig, in Raetia prima (Curiensis) und Raetia secunda (Vindelica) aufgeteilt zu werden. Die beiden unter einen dux gestellten Teilprovinzen wurden nun von praesides, Statthaltern niederen Ranges, verwaltet. Von deren Residenzen Curia (Chur) und Augusta Vindelicorum (Augsburg) leiteten sich die späteren deutschen Bezeichnungen «Churrätien» und «Vindelicen» ab.


Ende der Römischen Herrschaft - Völkerwanderungszeit

Mit dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft um 476 reisst für Churrätien die Verbindung mit Italien nicht ab, im Gegenteil, schon die Ostgoten unter Theoderich setzen in der Provinz Raetia prima zur Sicherung Italiens wieder einen dux (deutsch: Herzog) ein. Dieser hatte aber rein militärische Befugnisse. Für die Zivilverwaltung erhielt sich das Amt des praeses. Der Hauptsitz dieser Verwaltung war Chur, das 452 erstmals als Bischofssitz erwähnt wurde. Bereits in den Jahren 533–548 n. Chr. bemächtigten sich die Franken unter König Theudebert des strategisch wichtigen Churrätiens, womit die politische Verbindung dieses Gebietes mit Italien endgültig abriss.

Aus der Merowingerzeit gibt es fast keine gesicherten Informationen über Churrätien. Sicher ist nur, dass weiter Handel zwischen dem nun langobardischen Italien und dem Norden getrieben wurde. Die Geschichtsschreibung ist sich darin einig, dass sich Churrätien in dieser Zeit weitgehender Selbständigkeit erfreute, ohne dass die Bindung ans Frankenreich ganz gelöst wurde. Erst die Alamannenzüge 710–712 und die endgültige Wiedereingliederung Alamanniens ins Frankenreich durch Karl Martell um 740 brachten auch Churrätien wieder näher ans fränkische Reich.

Die politische Kontrolle über Churrätien lag während der fränkischen Herrschaft in der Hand der Churer Adelsfamilie der Victoriden. Verschiedene Vertreter dieser Dynastie verbanden das alte politische Amt des praeses mit der Würde des Bischofs von Chur. So gelang es ihnen sowohl das alte römische Kaiser- und Fiskalgut wie auch Kirchengüter zu kontrollieren.


Eingliederung ins Frankenreich - die Grafschaft (Chur-)Rätien

Mit dem Tod des Churer Bischofs Tello (765) endete die Victoridenherrschaft. Karl der Grosse nutzte die Gelegenheit, indem er dessen Nachfolger, Bischof und Rector Constantius, 772/74 eine Schutzurkunde ausstellte, um ihn wieder an die Königsherrschaft zu binden. Dessen Nachfolger Remedius kam dann bereits vom Kaiserhof. Den Tod des Remedius (ca. 806) benutzte Karl dann zur endgültigen Integration des strategisch wichtigen Churrätiens in sein Reich. Indem er eine Ausscheidung zwischen Reichs- und Kirchengut vornahm (divisio inter episcopatum et comitatum) entzog er den Bischöfen von Chur praktisch die materielle Grundlage ihrer weltlichen Herrschaft, da offenbar diese «Teilung» den grössten Teil des bischöflichen Guts in Königsgut umwandelte. Weiter wurde in Churrätien die Grafschaftsverfassung eingeführt, also auch direkt die weltliche von der geistlichen Gerichtsgewalt geschieden.

Als Graf von Churrätien (comes curiae / curiensis) wurde Hunfried I. eingesetzt, dem das Königsgut als Herrschaftsgrundlage diente. Der Umfang dieses Königsguts wird durch ein Urbar des Reichsguts in Churrätien aus der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts zumindest teilweise überliefert. Dieses scheint aufgenommen worden zu sein als Reaktion auf vier Klageschriften des Bischof Victor III. von Chur an Kaiser Ludwig den Frommen (825), in denen sich der Bischof über die Übergriffe des Grafen Roderich auf das dem Bistum noch verbliebene Gut beschwerte.

Die (Mark-)Grafschaft (Chur-)Rätien bildete fortan einen Teil des fränkischen Reiches. Im Jahre 917 proklamierte Markgraf Burchard II. von Churrätien das Herzogtum Schwaben. Unter seinen Nachfolgern wurde Churrätien deshalb Teil des Herzogtums Schwaben und mit diesem wiederum des Heiligen Römischen Reiches.

Im Mittelalter ging das Grafenamt über Churrätien wieder in die Hände des Bischofs von Chur über. Die Bischöfe konnten jedoch ihren weltlichen Einfluss nicht wieder auf ganz Churrätien ausdehnen, sondern blieben auf die Umgebung von Chur, das Domleschg, das Engadin, Chiavenna, Bormio und den Vinschgau beschränkt.


18. und 19. Jahrhundert - der helvetische Kanton Rätien [Bearbeiten]Die geographische Bezeichnung «Rätien» wurde im ganzen Mittelalter und vermehrt wieder im 18. und 19. Jahrhundert für den Freistaat der drei Bünde verwendet, also nur noch für das Gebiet der ehemaligen Provinz Raetia prima. Der Zusatz Chur-Rätien verschwand endgültig im 19. Jahrhundert. Als am 21. April 1799 der ehemalige Freistaat der drei Bünde als neuer Kanton in die Helvetische Republik aufgenommen wurde, erhielt dieser vorerst die Bezeichnung «Kanton Rätien», später Graubünden.



Literatur

  • Otto P. Clavadetscher: Rätien im Mittelalter. Verfassung, Verkehr, Recht, Notariat. Ausgewählte Aufsätze. Festausgabe zum 75. Geburtstag. Thorbecke, Sigmaringen 1994. ISBN 3799570020
  • Otto P. Clavadetscher: Die Einführung der Grafschaftsverfassung in Rätien und die Klageschriften Bischof Viktor III. von Chur. in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Böhlau, Weimar 70.1953, S.46–111. ISSN 0323-4045
  • Otto P. Clavadetscher: Zum churrätischen Reichsgutsurbar aus der Karolingerzeit. Sonderdruck aus: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte. Schwabe, Basel 30.1950. ISSN 0036-7834
  • Ursus Brunold, Lothar Deplazes (Hrsg.): Geschichte und Kultur Churrätiens. Festschrift für Pater Iso Müller OSB zu seinem 85. Geburtstag. Disentis 1986. ISBN 3-85637-112-5
  • Sebastian Grüninger: Grundherrschaft im frühmittelalterlichen Churrätien. Dissertation Universität Zürich, Zürich 2003, Disertina Chur 2006. ISBN 3856373195
  • Elisabeth Meyer-Marthaler, Franz Perret (Hrsg.): Bündner Urkundenbuch. Bd 1. Bischofberger, Chur 1955.
  • Wolfgang von Juvalt: Forschungen über die Feudalzeit im Curischen Raetien. Zürich 1871.
  • Thomas von Mohr (Hrsg.): Codex Diplomaticus ad Historiam Raeticam. Sammlung der Urkunden zur Geschichte Cur-Raetiens und der Republik Graubünden. Bd 1. Chur 1863, Bd 2. Chur 1852–54.
  • Ulrich Stutz: Karls des Grossen divisio von Bistum und Grafschaft Chur. Ein Beitrag zur Geschichte der Reichs- und Kirchenverfassung der fränkischen Zeit im allgemeinen und zur Geschichte Churrätiens sowie des Eigenkirchenrechtes im besonderen. Weimar 1909.

Weblinks

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