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Traumdeutung. Von der Voraussetzung der T., d. h. von dem Glauben an Träume, die die Zukunft verraten oder wenigstens andeuten und die entweder spontan als Teil der der Seele innewohnenden mantischen Fähigkeit entstehen oder aber in ihr durch Götter, Dämonen, Heroen und Totenseelen erregt werden sollten, sowie von den psychischen und physischen Grundlagen dieses Glaubens und der Art und Weise, wie solche Offenbarungen zustande kamen bzw. bewußt hervorgerufen werden konnten, ist in diesem Artikel nicht die Rede, der lediglich das auf die Deutung solcher Träume Bezügliche in den Hauptsachen darstellen soll und hier wieder insbesondere die kunstmäßig ausgebildete T., namentlich soweit sie literarischer Bearbeitung gewürdigt wurde.

Pollux (VII 188) nennt ὀνειροκρίται, ὀνειροπόλοι, ὀνειράτων ὑποκριταί, ὀνειροσκόποι nebeneinander [2234] und faßt sie als ὀνειρομάντεις zusammen, denn die T. (ὀνειροκρισία, Artem. II 25. 70) war ein Teil der Mantik (Stob. Eclog. II 238 μαντικῆς εἶδος τὸ ὀνειροκριτικόν; Plut. Symp. 8 p. 734 E ἡ διὰ τῶν ὀνείρων μαντική. Hesych. ὀνειροπολῶν· ὁ διὰ τῶν ὀνείρων μαντευόμενος), und zwar ein sehr wichtiger und nützlicher Teil, da der Traum die Wahrheit sagen und so den Menschen nützen sollte, denn Eustathios und das Etym. M. (p. 626, 27) leiten ὄνειρος von τὸ ὂν εἴρειν, d. h. τὸ ἀλητὲς ἀγγέλλειν bzw. von ὀνεῖν, d. h. ὠφελεῖν ab, mag gelegentlich der Mensch durch böse, Übles verkündende Träume auch in Furcht, ja Entsetzen geraten (Tzetz. Hist. 9, 621 ὀνειροφόβος, Suid., Hesych. ὀνειρόπληκτος, Phil. ὀνειροπλήξ). Einen Traum, und zwar besonders einen mantischen Traum haben, hieß gewöhnlich ὀνειροπολεῖν (Eustath. p. 533), doch konnte dieses Wort und die dazugehörigen Substantiva ὀνειροπόλημα und ὀνειροπολία (Hesych., Clem. Alex., Ps.-Plat. Epin. p. 985 C) auch ,einen Traum deuten‘ bzw. die T. bezeichnen, während ὀνειροπόλος immer, und zwar schon seit Homer (Il. I 63. V 149), nur den bedeutet, der Träume auslegte, und zwar zumeist den kunst- oder berufsmäßigen Deuter, der andern Leuten ihre Träume auslegte, seltener den, der selbst geträumt hatte und sich nun den Traum selbst zu erklären versuchte, wie z. B. Agamemnon bei Homer (Il. II). Der weitaus häufigste Ausdruck für Traumdeuter aber ist ὀνειροκρίτης (vgl. z. B. Theokrit. XXI 33 ὀνειροκρίτας, Theophr. Char. 16, 11. Eustath. Il. XI 48, 5; Od. p. 1877, 4), wozu das Fem. ὀνειροκριτίς (Boeckh Inscr. Att. I p. 469 nr. 481) und das Adiect. ὀνειροκριτικός treten; ὀνειρόμαντις dagegen findet sich außer bei Pollux (a. O.) nur noch bei Aischylos (Choeph. 33) und ὀνειρόφρων bzw. ὀνειροσόφος ,ein tüchtiger Traumdeuter‘ bei Eurip. Hec. 709 und Tzetz. (Exeg. Il. p. 51, 11). Für sich allein steht bei Artem. IV 63 ὀνειροφαντασία in der Bedeutung von Traumgesicht, Traumerscheinung.

Epos, Lyrik und Drama sind schon in ihren ältesten uns erhaltenen Belegen voll von Erwähnungen offenbarender Träume und zum Teil auch ihrer Auslegungen (vgl. z. B. den Traum der Klytaimestra bei Stesichoros, Aischylos, Sophokles und Euripides), ebenso die Prosa von den Logographen und Herodot angefangen, und das reicht ungebrochen fort bis in den Ausgang der antiken Literatur; namentlich die alexandrinische Epoche, dann der Wiederaufschwung der Mantik im 2. Jhdt. n. Chr. und das Emporwuchern der Mystik und Theosophie in dieser Zeit und besonders im Zeitalter des Neupythagoreismus (Apollonios von Tyana) und des Neuplatonismus (Plotin, Iamblichos) brachten auch eine Steigerung der Traummantik mit sich, genährt durch das Eindringen orientalischer Anschauungen und Lehren auf religiös-mystischem Gebiete, auch im Gefolge der orientalischen Mysterien (Isis, Sarapis, Mithras), die ebenso wie die altgriechischen Mysterien (Orpheus) dem Traumleben und der Traumoffenbarung stets Aufmerksamkeit schenkten, wozu noch die Traumheilung an zahlreichen Inkubationsstätten des Asklepios und Sarapis kam (vgl. Aristid. Rhet.). Darauf ist es zurückzuführen, daß die Hochblüte der kunstmäßigen und sogar literarisch behandelten T. erst in die alexandrinische [2235] bzw. Kaiserzeit fällt, obwohl schon bei Homer (Il. I 62f.) der ὀνειροπόλος nach dem Grunde von Phoibos’ Groll befragt werden soll, denn auch der Traum sei von Zeus; da der Traumdeuter hier neben dem Seher und Priester genannt wird (ἀλλ’ ἄγε δή τινα μάντιν ἐρήομεν ἢ ἰερῆα ἢ καὶ ὀνειροπόλον), handelt es sich jedenfalls schon hier um einen berufsmäßigen Ausleger, der der Klasse der hieratischen Personen beizuzählen ist, und auch der ὀνειροπόλος γέρων Eurydamas, ὃς ἐκρίνατ' ὀνείρους (Il. V 149f.), hat diese seine Tätigkeit offenbar berufs- und kunstmäßig ausgeübt. Und daß die T. eine Kunst war, die nicht jedermann ohne weiteres verstand, deutet auch schon Homer (Od. XIX 560f.) an, wenn er Penelope von dem Unterschied zwischen Wirklichkeit bedeutenden und nichtigen bzw. trügerischen Traumgesichten sprechen und Zweifel in die Deutung ihres Traumes setzen läßt. Da konnte nur der kunstmäßig Geschulte und von Natur hierzu Veranlagte richtig entscheiden. Während in dieser ältesten Epoche die Belehrung nur von Mund zu Mund und als sakrales Wissen nur vom Vater auf den Sohn oder die Tochter bzw. vom Seher auf den auserwählten Schüler erfolgte und nach Theodorus Prodromus die Τελμισσεῖς geradezu als Erfinder (ἐξευρόντες) der T. galten, wird sich doch bald die schriftliche Fixierung von vorbedeutenden Träumen samt ihrer Auslegung als notwendig erwiesen haben, besonders seit man in die T. System zu bringen angefangen hatte und sich nicht mehr nur der kleine Kreis der μάντεις damit beschäftigte.

System und Theorie aber suchten vornehmlich die Philosophen und die Ärzte auch in die T. hineinzubringen und sie dadurch aus der Empirie zu einer Art Wissenschaft emporzuheben oder dem Traumleben und seiner Bedeutung für die Menschen in ihren Systemen wenigstens irgendeinen Platz anzuweisen bzw. sie aus ihnen auf dem Wege der Spekulation zu eliminieren. Über die Stellung der Philosophen zur T. als einer Gattung der Mantik, über die systematische Schriften seit dem 4. Jhdt. v. Chr. zu erscheinen anfingen, unterrichten übersichtlich Ciceros Angaben in De divinatione. Schon Pythagoras selbst maß den Träumen große Bedeutung bei und demzufolge bevorzugten die Pythagoreer die Traumoffenbarung vor allen andern Arten der Mantik (W. W. Jäger Nemesios von Emesa, Berl. 1914, 54), wie für die Neupythagoreer des Philostratos Apolloniosbiographie bezeugt. Aber auch Sokrates (Plat. Symp. 23 p. 203 A) führte alle Mantik auf die Dämonen zurück, die sie den Menschen im Wachen und im Schlaf zukommen ließen, und darauf beruht letzten Endes die Einstellung der Neuplatoniker zur Traummantik, während die jüngere Akademie skeptischer verfuhr und Karneades ebenso wie Epikur den Glauben an die Traumorakel und die offenbarenden Träume überhaupt bekämpfte (vgl. für Epikur R. Philippson N. Jahrb. XXIII [1909] 489. H. Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1915, 95). Da ferner auch Aristoteles περὶ ἐνυπνίων und περὶ τῆς καθ’ ὕπνον μαντικῆς geschrieben hatte, so traten in alexandrinischer Zeit mehrere Peripatetiker mit Schriften über die T. hervor, daneben ganz besonders aber Stoiker (Susemihl I 868f.), denn die Stoa [2236] mußte sich wegen ihrer Lehre von der συμπάθεια und von der πρόνοια nicht nur für die Traummantik interessieren, sondern zu ihr auch eine günstige Stellung einnehmen (Th. Weidlich Die Sympathie 7f. C, Wachsmuth Die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen 1860). Da ferner die Alten aus Erfahrung den Einfluß der Nahrung und Verdauung auf Schlaf und Traumleben kannten, verboten schon Pythagoras und Empedokles (Hopfner OZ I § 529. 208. 539) mit Rücksicht auf die Traumoffenbarung den Genuß der stark blähenden Bohnen und stellten überhaupt gewisse diätetische Vorschriften auf, was die Medizin übernahm. Hierin liegt der Grund dafür, daß im Corpus des Hippokrates als 4. Buch der Schrift περὶ διαίτης die Abhandlung περὶ ἐνυπνίων erhalten ist (II 1f. K.), zugleich der älteste auf uns gekommene Traktat über die mantische Bedeutung der Träume, etwa um 400 v. Chr. verfaßt. Naturgemäß haben die zahlreichen Inkubationsstätten, die unter ärztlicher bzw. pseudoärztlicher Leitung standen, gerade der diätetischen Seite der Traumoffenbarung und -deutung besondere Aufmerksamkeit schenken müssen, wie namentlich die sog. Heiligen Reden des Aristeides Rhetor andeuten. Von der berühmtesten dieser Traumheilstätten, der des Asklepios in Epidauros, besitzen wir noch in den Ἰάματα Traumberichte, doch ohne Deutung, über andere aus ptolemäischer Zeit berichten Strabon (XVII 801) und die Notices et extraits de manuscrits de la bibl. impériale 18, 2, Paris 1865, 321f. und Dio Chrysostom. (Or. XI 129 Emp.), wozu E. Preuschen Mönchtum und Sarapiskult, Gießen 1903, und O. Weinreich RVV VIII 1, 119 zu vergleichen sind; über Demetrios von Phaleron und andere Sammler von Traumberichten später.

Eine Übersicht über Traumdeuter, die ihre Weisheit schriftlich fixierten und dabei auch die Theorie der T. behandelten, bietet Tertullian (De an. 46): ,Quanti autem commentatores et affirmatores in hanc rem? Artemon, Antiphon, Strato, Philochorus, Epicharmus, Serapion, Cratippus, Dionysius Rhodius, Hermippus, tota saeculi litteratura ... ceterum Epicharmus etiam summum apicem inter divinationes somniis extulit cum Philochoro Atheniensi‘, worauf eine Aufzählung der berühmtesten Inkubationsstätten folgt, nämlich die des Amphiaraus bei Oropos, des Amphilochos bei Mallos, des Sarpedon in der Troas, des Trophonios in Boiotien, des Mopsos in Kilikien, der Hermione in Makedonien und der Pasiphaë in Lakonien. Dann heißt es: ,Cetera cum suis et originibus et ritibus et relatoribus, cum omni deinceps historia somniorum Hermippus Berytensis quinione voluminum satiatissime exhibebit.‘ Hier fehlt Artemidor von Ephesos, der seinerseits eine Menge älterer Verfasser von Traumbüchern aufzählt und an ihnen gelegentlich auch Kritik übt, worüber erst später.

Zunächst sei eine möglichst vollständige und nach Tunlichkeit chronologisch geordnete Liste der antiken Literatur über die T. gegeben:

Als ältestes Werk dieser Art gab sich das Traumbuch der Phemonoë aus (Artem. IV 2, II 9 wo Hercher aus φήμη μόνον ihren Namen gewann), der Tochter Apollons, die seine erste [2237] Pythia zu Delphi gewesen (Paus. X 5), den Hexameter und den Spruch Γνῶθι σαυτὸν erfunden (Paus. X 6. Strab. IX 419) und über die Mantik aus dem Vogelflug, dem Klopfen oder Zucken in den verschiedenen Körperteilen bzw. -partien und aus den Träumen geschrieben haben sollte (H. Braun De auctor. indicib. Plinianis, Bonn 1856, 16); ihr Traumbuch war jedenfalls in Hexametern abgefaßt, aber (nach J. Fischer 18) ein Machwerk aus dem Ende der alexandrinischen Zeit. Ebenso apokryph war das Traumbuch des sizilischen Komödiendichters Epicharm, der, noch im 6. Jhdt. geboren, seit etwa 486 in Syrakus lebte, während jenes nur von Tertullian (De an. 46) erwähnte Werk erst in hellenistischer Zeit entstanden sein dürfte. Dagegen haben wir keinen Grund, an der Echtheit der Schrift des Antiphon Περὶ κρίσεως ὀνείρων zu zweifeln, die Suid. (s. Ἀντιφῶν Ἀθην.), Hermog. (De ideis II 11, 7) und Lukian. (Ver. hist. II 33) erwähnen (Diels Vorsokr. II4 289f.); er wird Athener und öfter τερατοσκόπος genannt und ist jedenfalls mit dem bekannten Sophisten Antiphon, einem Hauptgegner des Sokrates (Xen. mem. I 6) identisch, der wahrscheinlich von den Dreißig getötet wurde; Cicero (Div. I 39. II 70, 141) erwähnt ihn, ebenso Fulgentius (Myth. I 13) und der Alexanderroman (Ausfeld Griech. Alexanderroman 1907, 35. 128); die Fragmente bei Diels (305f.). Bei Melampus (Περὶ παλμῶν 18. 19) wird er mit der Phemonoë und den Ägyptern zusammen genannt. Nach Seneca (Contr. II 1, 33) muß sein Werk nicht nur Deutungen von Träumen bzw. von Traumsymbolen, sondern auch viele Träume selbst enthalten haben; es bildete für den später zu erwähnenden Antipatros von Tarsos eine der Quellen. In jener Zeit übrigens brachte sich ein verarmter Tochtersohn des Aristeides dadurch fort, daß er beim Tempel des Iakchos zu Athen aus einem πινάκιον ὀνειροκριτικόν weissagte (Plut. Ar. 27); so gehörte er jedenfalls zu den γόητες und βωμολόχοι, auf die die literarisch-theoretisch tätigen Traumdeuter wie Artemidor mit Verachtung herabsahen. Antiphons älterer Zeitgenosse war Kleagoras aus Phlius, den Xenophon (anab. VII 8, 1) als μάντις bezeichnet, der τὰ ἐνοίκια ἐν Λυκείῳ geschrieben habe, was unverständlich ist; doch bieten die schlechteren Hss. ἐνύπνια; nimmt man mit v. Wilamowitz diese Lesart an, so würde Kleagoras ein Traumbuch verfaßt haben, was zu seinem Beruf als Seher vortrefflich paßt (o. Bd. XI S. 556, 22f.). Nicht lange nach Antiphon (o. Bd. I S. 2529, 44f.) lebte Panyassis der Jüngere aus Halikarnass, der zwei Bücher Περὶ ὀνείρων schrieb und die Träume zwecks ihrer Deutung in mehrere Gruppen einteilte, was den Beifall auch der Späteren fand (Susemihl I 868f.). Er wird von Artem. (I 2) zusammen mit dem jedenfalls nur wenig später lebenden Nikostratos aus Ephesos genannt, und beide erhalten hier das Prädikat γνωριμώτατοι ἄνδρες καὶ ἐλλόγιμοι. Als Theoretiker der T. betätigte sich weiter Aristandros von Telmessos, der Traumdeuter Alexanders d. Gr. (Susemihl I 868f.), dessen Schrift Artem. (I 31) erwähnt; sie muß sich auf subtilste Einzelheiten erstreckt haben, da Artemidor sagt: ,Die Auslegung der (Traumbedeutung) der Zähne, die [2238] schon eine vielfache Behandlung erfahren hat, ist erst in unserer Zeit auf Grund der zahlreichen und trefflichen Vorarbeiten des A. von Telmessos von einigen wenigen Traumauslegern gehörig aufgefaßt worden‘, worauf Artemidor zunächst aus diesen Älteren referiert, um dann seine eigene Weisheit als Ergänzung vorzutragen. Die nun folgenden Autoren gehören der Zeit kurz nach Alexander d. Gr. und der Diadochen an. Hier ist an erster Stelle der Peripatetiker Straton zu nennen, der Schüler und Nachfolger des Theophrast (287–270), der wie sein Lehrer περὶ ὕπνου und περὶ ἐνυπνίων schrieb (Diog. Laert. V 59) und als Philosoph wohl mehr die Voraussetzungen der T. als diese selbst behandelte; auf ihn geht die Theorie der Traumentstehung bei Ps.-Plutareh (Plac. phil. V 2, 2) zurück. Περὶ ὀνείρων schrieb ferner, und zwar in 5 Büchern, Demetrios von Phaleron (gest. 283 oder bald nachher); über ihn sagt Artem. (II 44): ,In Erfüllung gegangene Traumgesichte und ihre Ausgänge bei der theoretischen Entwicklung der T. und der Grundlagen der Untersuchungen zu bieten, war nicht angezeigt, auch schien mir Derartiges keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben zu können, obwohl Geminos aus Tyros, Demetrios aus Phaleron und Artemon aus Milet, der erstere in 3, der andere in 5 und der letzte in 22 Büchern eine Unmenge von Träumen und zumeist vom Sarapis mitgeteilte Rezepte und Heilungen (συνταγὰς καὶ θεραπείας) aufgeschrieben haben.‘ Doch hat Demetrios die Theorie keineswegs ganz vernachlässigt, sondern trat für die Trauminspiration ein, die auch Aristoteles selbst verteidigt hatte. Auffällig ist, daß Diog. Laert. (V 80) diese Schrift des Demetrios nicht erwähnt (Susemihl I 869. 875, 188). Eine beachtenswerte Autorität auf diesem Gebiete war ferner der Athidenschreiber Philochoros, seit 306 v. Chr. Opferschauer und gläubiger Wahrsager von Beruf (Suid. μάντις καὶ ἰεροσκόπος), wie sein Fragment 146 (Dion. Hal., de Din. 3) über die Wunderzeichen in Ol. 118, 3 beweist, gestorben nicht vor 263 v. Chr. Nach Suidas schrieb er vier Bücher Περὶ μαντικῆς (frg. 190–203. FHG I 415f.) und darin jedenfalls auch über die Traummantik, da ihn Tertullian (a. O.) für sie als Autorität erwähnt. Nach Fulgentius (Myth. I 13) übernahm er die Bedeutung des Lorbeers für die bewußte Erzeugung von vorbedeutenden Träumen von Antiphon, eine Methode, die auch den griechisch-ägyptischen Zauberpapyri geläufig ist (Hopfner OZ II § 191f. 201). Ein mehrere Bücher umfassendes Traumbuch, in dem er u. a. die Traumsymbolik der Zunge (Art. I 32) und der Maus (ders. III 28) behandelte, verfaßte Apollonios aus Attaleia, der, da er aus dieser von Attalos II. (159–138) gegründeten Stadt (Strab. XIV 667) stammte, nicht vor der Mitte des 2. Jhdts. v. Chr. angesetzt werden kann; er benützte für sein Werk die Schrift Περὶ τεράτων καὶ σημείων, die unter Melampus’ Namen umlief und ebenfalls von der Bedeutung der Maus handelte. Die unter Melampus’ Namen noch erhaltenen Traktate περὶ παλμῶν und περὶ ἐλαιῶν (Über Körpermale) stammen erst aus byzantinischer Zeit. Mit Antipatros von Tarsos erscheint unter den literarischen Traumdeutern für uns zum ersten Male ein Stoiker, [2239] doch hatte schon Chrysippos (um 282 bis um 208) über die Traummantik geschrieben (Cic., Divin. I 3, 6: Chr. ... de divinationibus duobus libris explicuit sententiam, uno praeterea de oraculis, uno de somniis), und die Traumdeutung war ihm nach Cicero (II 63, 130) eine ,vis cernens et explanans' gewesen, ,quae a diis hominibus significentur in somniis‘; eine T. von ihm, doch ohne Namensnennung findet sich ebd. II 65, 134; jener Antipatros aber, als Schüler und wohl auch als Nachfolger des Diogenes von Babylon erst im 2. Jhdt. v. Chr. lebend, schrieb περὶ μαντικῆς (Cic. I 3, 6), wo er auch sehr viele Träume und T. anführte (Cic. I 20, 89. II 70, 144 u. Wachsmuth 14f.). Nun spricht auch Artemidor (IV 65) von einem Traumdeuter Antipatros, doch in verächtlichem Tone, woraus wohl mit Wachsmuth 15 anzunehmen ist, daß dieser Mann mit dem Peripatetiker nicht identisch war. Wahrscheinlich noch vor der Mitte des 1. Jhdts. v. Chr. lebte weiter Dionysios von Heliopolis in Unterägypten, der von Artemidor nur einmal (II 66), und zwar zusammen mit Alexander von Myndos hinsichtlich der Bedeutung der Schwalbe als Traumsymbol erwähnt wird. Derselben Epoche gehörte auch der Peripatetiker Kratippos an, der Lehrer von Ciceros Sohn; er betrachtete den νοῦς als seelisches Organ der Traumoffenbarung und ,brachte Beispiele in Erfüllung gegangener prophetischer Träume, bei denen der Zufall ausgeschlossen wäre, und suchte zu beweisen, daß schon ein einziger unanfechtbarer Fall dieser Art genügen würde, die Traumweissagung zur Tatsache zu erheben‘ (v. Arnim o. Bd. XI S. 1659). Noch vor der Mitte des 1. Jhdts. v. Chr. lebte wahrscheinlich auch Phoibos aus Antiochia, den Artemidor oft (I 2. II 8, 44. IV 48, 66) zitiert, doch nicht ohne Kritik; bemerkenswert ist, daß Phoibos auch die Phantasien, wie sie im halbwachen Zustande vorkommen, die φαντάσματα, berücksichtigte, obwohl die Späteren ihnen jede prophetische Bedeutung abzusprechen pflegten (Art. I 2), da sie sich nur auf die Gegenwart, nicht aber auf die Zukunft bezögen (Art. I 1, IV prooem. Macrob. Somn. I 3, 4f.). Auch der Stoiker Poseidonios schrieb über Träume und scheint sie in fünf Klassen eingeteilt zu haben (M. Gelzer Iuvenes dum sumus, Basel 1907, 49f.). Aus seiner Schrift Περὶ μαντικῆς, in der er lehrte, daß die von den Körperbanden, und zwar auch während des Schlafes befreite Seele, die Zukunft schaue, gibt Cicero (Div. I) einen Auszug (vgl. H. Diels Sibyll. Blätter 21f.). Bereits der ersten Hälfte des 1. Jhdts. n. Chr. gehört der Zoologe Alexandros von Myndos an; er war Anhänger der Theorie, daß die Seele aus sich selbst über prophetische Kräfte verfüge, und stellte bestimmte Traumkategorien auf. Artemidor zitiert jedenfalls direkt aus ihm (I 67. II 9, 66. Vgl. Oder Das Traumbuch d. Alex. v. Myndos, Rh. Mus. XLV 637f. H. Jungwirth Wien. Stud. XXXV 384f. und J. Fischer, der 34f. die Existenz seines Traumbuches bestreitet). Zur Zeit Neros schrieb Artemon von Milet (Wellmann Herm. XLII 616), den Plinius, Ailian und noch Fulgentius (Myth. I 13) erwähnen, und in der Zeit Hadrians Hermippos aus Berytos, ein Schüler des Herennius Philon aus Byblos, der Ὀνειροκριτικά in fünf Büchern [2240] herausgab (Tertull. de an. 46). Nicht datieren lassen sich Aristarchos, Apollodoros von Telmessos, Dionysios von Rhodos und Geminos von Tyros, doch gehören sie noch der Zeit vor Artemidoros an. Aristarchos gehörte zu den älteren Traumdeutern und erläuterte in seinem Traumbuch den ἀναγραμματισμός, d. h. die auf Buchstabenumstellung begründete Auslegung, ohne sich seiner aber im weiteren Verlauf seiner Schrift zu bedienen (Artem. IV 23). Wolff 61 wollte hier Aristandros statt Aristarchos lesen. Apollodoros von Telmessos scheint nach Artem. I 79 besonders erotische und obszöne, auch perverse Traumbilder beachtet zu haben, und Dionysios von Rhodos war nach Suidas (s. Διονύσιος Μουσωvίoυ) nicht nur Traumdeuter, sondern auch Priester; sein Traumbuch erwähnt zwar Fulgent. I 13, nicht aber Suidas. Da Artem. II 66 den Dionysios Ἡλιουπολίτης erwähnt, wollte G. Wolff 62 dafür Δ. ὁ Ἡλίου προφήτης lesen und in ihm den Rhodier Dionysios sehen, was Susemihl I 871, 174 mit Recht ablehnte. Ebenfalls nicht genauer datierbar, aber vor Artemidor lebte Geminos aus Tyros, der in drei Büchern wie Artemon aus Milet und Demetrios von Phaleron Heilträume des Sarapis zusammenstellte (Art. II 44). Artemidoros aus Ephesos selbst lebte im 2. Jhdt. n. Chr. unter Commodus (o. Bd. II S. 1334f.) und verfaßte außer Οἰωνοσκοπικά und Χειροσκοπικά (Suid.) auch die noch erhaltenen Ὀνειροκριτικά in fünf Büchern; er ist jedenfalls Stoiker gewesen (W. Reichhardt De Art. Daldian., Comm. Jen. V [1894] 111f. R. Dietrich Beitr. zu Art. Daldian., Progr. Rudolstadt 1910), geht teilweise aber auch auf Ps.-Hippokrates Περὶ διαίτης zurück und scheint auch jüdische Quellen verwendet zu haben (H. Lewy Rh. Mus. XLVIII 398f.). Er verarbeitete die reiche vor ihm liegende Literatur, ging ,wissenschaftlich‘ kritisch vor (Weinreich RVV VIII 1, 184f.) und hat – wenigstens nach Dietrich – gegen die alexandrinische Methode der T. polemisiert. Sein Werk, das auch für die antike Volkskunde von hohem Werte ist (E. Rieß Rh. Mus. XLIX 177f.), wird von Ps.-Lukian (Philopatr. 21, 22) zitiert und wurde von Suidas ausgezogen, dessen Glossen R. Dietrich a. O. sammelte. Proben aus seinem Werke, die Geschichte und Theorie der T. betreffend, weiter unten. Der Zeit nach Artemidor gehören an Serapion aus Askalon (Tertull. de an. 46. Fulgent. Myth. I 13), der Mathematiker Pappos aus Alexandria (Suid.), der wahrscheinlich unter Diokletian lebte (H. Usener Rh. Mus. XXVIII 408. F. Hultsch Papp. III praef. VIf.) und die beiden metrischen Traumbücher, die auf den angeblich persischen Magier Astrampsychos (ed. N. Rigaltius, Paris 1603. S. Gallaeus, hinter seinen Oracula Sibyll., Amsterdam 1689) jedenfalls auch erst unter Diocletian gefälscht wurden; den Magier erwähnt zuerst Diog. Laert. Prooem. 2. Aus byzantinischer Zeit stammen das Traumbuch des Achmet, der sich als Traumdeuter des Mamun, des ersten Ministers des Kalifen, bezeichnet und um 820 n. Chr. schrieb (ed. F. Drexl, Teubner 1925) und ein alphabetisch geordnetes, in Prosa verfaßtes Oneirokritikon, das sich als Buch des Propheten Daniel an König Nabuchodonosor bezeichnet [2241] (vgl. E. de Stoop Rev. phil. XXXIII 93f.). Die letzte theoretische Schrift aus dem Altertum über die Träume aber ist das Traktat des Bischofs Synesios aus dem 4. Jhdt. n. Chr. Περὶ ἐνυπνίων, der für diese Zeit eine Fülle von Traumbüchern bezeugt (II p. 1312 d Migne).

Zum Abschluß folgen noch einige charakteristische Stellen aus Artemidor: I Prooemium: ,Oft fühlte ich mich gedrängt, die Bearbeitung der vorliegenden Schrift in Angriff zu nehmen, doch hielt ich mich immer zurück: „Weder aus Hang zur Trägheit noch auch aus törichtem Leichtsinn“, wie der Dichter (Hom. Il. X 127) sagt, sondern da ich vor der Großartigkeit der darin enthaltenen Anschauungen, namentlich aber vor der Fülle des Stoffes zurückschreckte und auch eine gewisse Scheu vor dem Widerspruche der Leute empfand, besonders derer, die, wie sie sagen, überzeugt sind, es gebe weder eine Mantik noch eine Vorsorge der Götter, oder auch jener, die lediglich an Gymnastik und gesellschaftlichen Unterhaltungen Gefallen finden. Jetzt aber hat mich doch das vorherrschende Bedürfnis bewogen, das sich wegen seines guten Nutzens nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Nachwelt als notwendig herausstellt ... die Dinge, über die ich mir durch Erfahrung ein Urteil erwarb, niederzuschreiben. Ich glaube aber, daß ich dadurch ein doppeltes Resultat erzielen werde: Einerseits werde ich ... die widerlegen können, die die Mantik selbst und ihre Symbolik zwar ohne Gehässigkeit, aber mit einer nicht ganz oberflächlichen Beweisführung aus dem Wege zu räumen trachten, und andererseits werde ich jenen, die zwar von der Mantik Gebrauch machen, dabei aber auf keinen zuverlässigen Lehren fußend, nur im Finstern herumtappen und sie zu verachten schon nahe darin sind, seinen heilsamen Wegweiser statt des bisherigen planlosen Umherirrens aufstellen. Denn fast alle meine Vorgänger aus der jüngsten Zeit haben einander ... entweder abgeschrieben oder die von den Alten fein und richtig gemachten Bemerkungen verwässert oder endlich zu den wenigen Notizen der Alten eine Masse unwahrer Zusätze gemacht; denn sie schöpften nicht aus der Erfahrung, sondern schrieben aus dem Stegreif und ohne Vorbereitung, so, wie es einem gerade beliebte. Dabei bekamen die einen von ihnen die ganze ältere Literatur zu Gesicht, die andern aber nur einen Bruchteil, denn es entgingen ihnen etliche Werke, die wegen ihres hohen Alters sehr selten und verderbt sind. Was dagegen mich selbst anbelangt, so gibt es kein Buch, in dessen Besitz ich mich nicht gesetzt hätte, diesbezüglich von großem Ehrgeiz beseelt. Dazu kommt aber auch noch der Umstand, daß ich mich durch viele Jahre in der Gesellschaft von Wahrsagern, die sich auf öffentlichen Märkten hören lassen, unter Hintansetzung der Verleumdung bewegt habe, obwohl diese Leute unter dem Druck tiefer Verachtung stehen und von den Männern mit Ehrfurcht gebietenden Mienen und hochgezogenen Brauen (d. h. von den Zunftphilosophen und Sophisten) Landstreicher, Gaukler und Possenreißer gescholten werden; denn ich trieb mich in den Städten und Festversammlungen in Hellas, Asien und Italien und auf den größten und volksreichsten Inseln herum, [2242] um alte Traumgesichte und ihre Ausgänge zu erfahren. Denn es war rein unmöglich, sich diesbezüglich auf eine andere Art Übung zu erwerben ...‘ In II 70 beruft sich Artemidor wieder darauf, daß er bei der Niederschrift seines Buches in allererster Linie der Erfahrung folgte. In II 69 spricht er von den zuverlässigen und unzuverlässigen Gewährsmännern, die im Traume erscheinen, und zählt zu den zuverlässigen die Götter, Priester, Könige und Herrscher, die Eltern und Lehrer und endlich die Seher, setzt aber hinzu, ,nämlich die, die keine Betrüger sind. Denn was Pythagoreer, Physiognomon, Astragalomanten, Pyromanten, Koskinomanten, Morphoskopen, Cheiroskopen, Lekanomanten und Nekyomanten sagen, muß man samt und sonders als Lug und Trug und jeder vernünftigen Grundlage bar betrachten; denn ihre Künste sind von der Art und sie besitzen von der eigentlichen Mantik nicht die geringste Kenntnis, sondern ziehen durch Betrug und Schwindel die, die ihnen in den Wurf kommen, gründlich aus. Dagegen bewähren sich nur die Aussagen der Opferpriester, Vogelschauer, Astrologen, Wunderzeichenbeobachter, Traumdeuter und Eingeweideschauer als eigentliche Wahrheit.‘ Ferner sagt er I 12: ,Der Traumdeuter muß von Haus aus dazu befähigt sein, er muß Mutterwitz besitzen und darf sich nicht nur an tote Buchstaben halten, denn glaubt jemand, er werde auf dem Wege der bloßen Theorie ohne natürliche Begabung zum Ziele gelangen, so wird er stets nur ein Stümper und Dilettant bleiben.‘ Jedenfalls fühlte sich auch Artemidor selbst zum Traumdeuter geboren, ja nach II 70 auf göttlich-mystische Weise geradezu berufen, denn er sagt zu Cassius Maximus, dem er die ersten drei Bücher seines Werkes widmete: ,Dem Alles schauenden und beschützenden Apollon als meinem Stammgotte gehorchend, ging ich an diese Schrift, da er mich oft ermunterte, und der mir besonders in dem Augenblicke persönlich beistand, als Du meine Bekanntschaft machtest, und mir geradezu den Befehl gab, dieses Werk zu verfassen. Es ist aber auch gar kein Wunder, daß mich der daldäische Apollon, den wir mit epichorischem Namen Mystes nennen, in Erwägung Deiner Tugend und Weisheit dazu angeregt hat.‘ Bemerkenswert ist es auch, daß er (a. O.) die Leser bittet, an dem Text seines Werkes nichts zu ändern und vor allem aus Scheu vor dem Apollon Mystes nichts davon zu vernichten. In I 1 gibt Artemidor den grundlegenden Unterschied zwischen Traum und Traumgesicht insofern, als der Traum nur die Gegenwart (d. h. gegenwärtige Zustände oder Affekte) des Träumenden andeutet, das Traumgesicht dagegen die Zukunft voraussagt oder wenigstens (durch Symbole) andeutet, die dann der Deutung bedürfen, denn nach I 2 ist das Traumgesicht ,eine Bewegung oder ein vielgestaltiges Bilden der Seele, das die erst bevorstehenden guten oder bösen Dinge symbolisch andeutet‘, womit aber nur die sog. allegorischen Traumgesichte gemeint sind, neben die die sog. theorematischen treten, ,deren Erscheinung der Wirklichkeit (die aber erst die Zukunft bringt) vollkommen entspricht (I 2). Innerhalb der allegorischen Traumgesichte unterschieden ,manche‘ fünf Klassen, und zwar nach I 2 folgende:

1. Die subjektiven [2243] T., in denen man sich selbst handelnd oder leidend sieht, die also nur den Träumenden selbst angehen;

2. die objektiven Traumgesichte, in denen man andere handelnd oder leidend sieht, die also nur andere, aber nicht den Träumenden selbst betreffen;

3. die Verwandten-Traumgesichte, die auf irgendeinen Verwandten des Träumenden Bezug haben;

4. die politischen Traumgesichte, die sich auf Häfen, Festungswerke, Marktplätze, Schulen und Staatsgebäude beziehen [also die Gemeinde als Ganzes] betreffen, und endlich

5. die kosmischen Traumgesichte, die von Verfinsterungen der Sonne, des Mondes und der andern Himmelskörper, auch von ihrem vollständigen Verschwinden, und vom Festland und Meer und überhaupt von allen außerordentlichen Umwälzungen [wie Erdbeben, Überschwemmungen usw.] handeln.

Obwohl sich nicht jedes Traumgesicht in eine dieser fünf Klassen einordnen läßt und manches Traumgesicht auch an mehreren dieser Klassen Anteil haben kann, war Artemidor doch der Meinung, daß obige Klassifikation, wie sie bereits die Alten aufgestellt hatten, doch ihre volle Berechtigung habe. In I 3 bespricht ferner Artemidor sechs Grundelemente der Traumgesichte, ,da sie aber nicht durchaus universell sind, so machten einige 18, andere 100 und noch andere sogar 250 Grundelemente daraus, was bei den Leuten ein großes Gelächter erregte, weil es niemandem entgehen konnte, daß alle diese Abarten, man mag sagen, was man will, doch schließlich nur auf die sechs genannten zurückführen.‘ Man muß nämlich nach I 4 im Auge behalten, daß die einen Traumgesichte Viel durch Vieles, die andern Wenig durch Weniges, die dritten Viel durch Weniges und die vierten Weniges durch Vieles weissagen. Zu diesen Themen ist nun Macrobius (in somn. Scip. I 3, 2f.) zu vergleichen. Er unterscheidet im Anschluß an Cicero (De div.) fünf Klassen: ὄνειρος (bei Cicero) - somnium, ὅραμα - visio, χρηματισμός - oraculum, ἐνύπνιον - insomnium und φάντασμα – visum; die beiden letzten Klassen, ἐνύπνιον und φάντασμα, haben mit der Zukunftsschau (divinatio) nichts zu tun. Denn um ein ἐνύπνιον handelt es sich, wenn einer sich im Traum mit dem beschäftigt sieht, was ihn auch im Wachen beschäftigt, so wenn der Liebende von der Geliebten träumt, der Fürchtende vom Gegenstande seiner Furcht, der Vollgegessene und Hungernde vom Essen oder Hungerleiden oder Erbrechen; diese Träume bringen nichts Nützliches oder Bemerkenswertes nach dem Erwachen. Das φάντασμα wieder zeigt sich darin, daß man im Zustande zwischen Wachen und Schlafen allerlei Gestalten auf sich einstürmen sieht und erfreuliche und unerfreuliche Zufälle erlebt; hierher gehört auch der Alptraum (ἐπιάλτης). Unter den drei andern Klassen, die mantisch sind, bedarf die visio (ὅραμα) der Deutung (interpretatio), da sie die Zukunft nur andeutet (tegit figuris et velat ambagibus), und jede dieser drei Klassen sind entweder propria oder alterna oder communia oder publica oder endlich generalia. Die gleiche Einteilung, die im Wesentlichen stoisch ist, findet sich bei Nikephoros Gregoras (Scholia 608/09). Bezüglich der Neuplatoniker, die gerade dem φάντασμα besondere Bedeutung beimaßen, sei auf [2244] Iamblichos (de Myst. III 2f.) verwiesen. Bezüglich der Disposition seines Werkes sagt Artemidor (I 10) folgendes: ,Mit den Göttern werde ich nicht beginnen, wie die Alten, wenn es auch einigen als Frevel erscheinen sollte, sondern mit Rücksicht auf eine logische Aneinanderreihung den Anfang mit der Geburt machen, dann über die Erziehung handeln, hierauf der Reihe nach über den Körper und die Körperteile, die ihm zuwachsen oder von ihm abfallen, größer oder kleiner werden, sich in Bezug auf Form und Stoff verändern, dann über den Unterricht in den verschiedenen Fertigkeiten (Künsten), über Wettkämpfe, das Bad und die verschiedenen Waschungen, über die trockenen und flüssigen Nahrungsmittel, über Salben und Kränze über den Koitus und den Schlaf. Die Behandlung dieses Stoffes wird das 1. Buch begrenzen. Das 2. Buch wird handeln über das Erwachen, Liebkosungen, Männer- und Frauenputz, über die Lust und Lusterscheinungen, über Jagd, Fischfang, Schiffahrt, Landbau, Rechtsverfahren, Staatsverwaltung, über die Leiturgien, das Heer, den Gottesdienst, die Götter und den Tod und endlich noch über andere Dinge, an die im Verlaufe der Auseinandersetzung erinnert werden muß.‘ Als Artemidor aber diese beiden Bücher dem Cassius Maximus gewidmet und herausgegeben hatte, sah er sich nach III Prooem. genötigt, ,den übriggebliebenen Stoff speziell und unabhängig für sich sporadisch und in lose zusammmenhängenden Kapiteln‘ in einem 3. Buche zusammenzufassen, das er ebenfalls dem Cassius Maximus zueignete. Aber es zeigte sich, daß viele Leser auch in diesem 3. Buche, das Artemidor ,Der Wahrheitsfreund, ein Handbuch‘ betitelt hatte, doch noch allerlei vermißten, und so schrieb er noch ein 4. Buch, das er seinem Sohne Artemidoros widmete, und zwar zu praktischen Zwecken und nur für den Sohn allein, denn im Prooemium dieses 4. Buches schreibt er an seinen Sohn folgendes: ,Nach reiflicher Überlegung habe ich mich (wegen der Tadler und Kritiker, die er dem Μῶμος gleichsetzt) um meiner selbst willen und Deinetwegen darangemacht, dieses Buch niederzuschreiben, damit Du für jeden Fall hinreichend vorgesehen seiest, wenn es lediglich auf das Auslegen ankommen sollte, und den Skeptikern gegenüber schlagfertig dastehst, wohl eingedenk, daß dieses Buch an Dich gerichtet ist, damit Du allein es für Deine Zwecke ausnützest und nicht etwa durch Abschriften vielen zugänglich machst. Denn was da niedergeschrieben ist, wird Dich, falls es bei Dir bleibt, allen Traumauslegern überlegen machen oder wenigstens das Gute haben, daß Du keinem nachstehen wirst. Falls Du es aber zum Gemeingut aller machst, wird niemand glauben, daß Du mehr als die andern verstehst. Wisse nämlich wohl, daß viele oder eigentlich alle Werke, die eine Regelung der Mantik bezwecken, was Gediegenheit anbelangt, an das meinige nicht heranreichen.' Artemidor hatte in diesem Buche seinem Sohn noch allerlei Weisungen theoretischer Art und namentlich Ergänzungen bezüglich der Deutung der Traumsymbole gegeben, in einem fünften und letzten Buche stellte er dann noch Traumberichte mit ihrem Ausgang für diesen Sohn zusammen.

Literatur. A. Bouché-Leclercq [2245] Hist. de la divination dans l’antiquité I (Paris 1879) 291f. G. Wolff Porphyrii de philosoph. ex orac. haur. libror. rell., Berl. 1856, 56f. (Literatur der Antike). Büchsenschütz Traum u. Traumdeutung im Alterthume, Berl. 1868. J. Fischer Ad artis veterum onirocrit. historiam symbola, Diss. Jena 1899. O. Hey Der Traumglaube d. Antike, Progr. Münch. 1908. R. Dietrich Collectanea zu Artemidoros Daldiamus I., Rudolstadt 1911. Th. Hopfner Griechiech-ägypt. Offenbarungszauber (Stud. z. Palaeogr. u. Papyruskunde, ed. C. Wessely XXIII) II 1924 § 162–211. L. Deubner De incubatione capita quattuor, Lpz. 1900. F. Susemihl Gesch. der griech. Literatur der Alexandrinerzeit I 868f. F. S. Krauss Artemidoros aus Daldis, Symbolik der Träume, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet (Wien 1881), woraus obige Proben.
[Th. Hopfner.]

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