ART

Stachelschwein.

a) Namen: Griech. ὕστριξ, ιχος, ὁ oder ἡ (ὕστριγξ, ιγγος; Opp. cyn. III 391. Timoth. Gaz. 8 = Haupt Opusc. III 282). Etymologie von ὑς skr. úd, aufwärtsgerichtet, und τριξ, τριχός, das Haar, also ‚das Tier mit den aufwärtsstehenden Haaren (Stacheln), vgl. Boisacq Dict. étym. 1008. Ob sich Hesych s. ἄρκηλα· ὠόν· Κρῆτες τὴν ὕστριχα auf das S. bezieht, erscheint sehr zweifelhaft (vgl. Λεξικογραφικὸν ἀρχεῖον τῆς μέσης καὶ νέας Ἑλληνικῆς V [Athen 1918] S. 73), da Hesych. s. ὕστριξ· ζῶον ὀστρακόδερμον, ἐνάλιον, βρώσιμον unter ὕστριξ offenbar den Seeigel versteht. Unklar sind auch die Angaben bei Suid. s. ὕστριξ, wo einerseits ((ἢ ὕστριξ, ἀκαντόχοιρος, χερσαῖος ἐχῖνος) der Igel gemeint ist, anderseits ὕστριξ mit ὑστριχίς, ίδος, einer Peitsche aus Schweinsborsten, verwechselt ist, vgl. Schol. Aristoph. ran. 619. Phot. p. 634‚ 13. Etym. M. s. ὕστριξ. Auf das S. bezieht sich in der Notiz des Suidas nur die Bezeichnung [1928] ἀκαντόχοιρος, die genau unserem Worte S. entspricht, sowie der Zusatz: ἔστι δὲ καὶ ὑστριχὶς θηρίον τρίχας ἔχον ὑός, ἃς ἐν τῷ διώκεσθαι ἐξακοντίζει κατὰ τῶν διωκόντων. Lat. hystrix, icis ist aus dem Griechischen entlehnt und erscheint in den Glossen als istrix, histrix, histrex, histris, wo es als quadripes spinosus (spineus) bezw. animal, quod pilos habet acutos erklärt wird (vgl. CGL III 259, 31. IV 244, 38. 349, 25. 86, 58. 524, 20. V 300,30. 305, 43). Nach Aelian. nat an. VII 47 hießen die Jungen des S. ὄβρια.

b) Beschreibung: Vom S., das zuerst Herodot. IV 192 für Nordafrika erwähnt, gibt es zwei Arten, die auch im Altertum bekannt waren, aber von den Autoren nicht unterschieden werden, das gemeine S., Hystrix cristata L.‚ welches heute, allerdings immer seltener werdend, in Süditalien bis in die römische Kampagna, in Sizilien, Griechenland, Südspanien, in der Krim und Nordwestafrika vorkommt, sowie das langborstige S., Hystrix hirsutirostris, in Syrien, Persien und Vorderindien. Plin. n. h. VIII 125 (hystrices generat India et Africa) hatte Kunde von beiden Arten. Die erste Beschreibung des eigenartigen Groß-Nagers, der als vollkommener Einsiedler sich tagsüber in seinen selbstgegrabenen Gängen verborgen hält, jedoch, wenn er sich bedroht fühlt, grimmig seine Stacheln stellt, die Rückenmähne sträubt und prustend und trommelnd mit den hohlen Schwanzkielen rasselt‚ steht bei Arist. hist. an. I 6 p. 490 b 29, wo ὕστριξ als Tier mit ἀκανθώδεις τρίχες bezeichnet ist (vgl. Plin. n. h. VIII 125). Nach hist. an. VI 30 p. 579 a. 31 (vgl. VIII 17 p. 600 a 29) soll das S. einen Winterschlaf halten (φωλεῖ) und ebensolange trächtig sein wie die Bärin. [Einen eigentlichen Winterschlaf hält das S. nicht, sondern es bleibt während der Wintermonate meistens in seinem Bau], vgl. Plin. n. h. VIII 125 hibernis autem se mensibus condit. Die bei allen späteren Autoren in mehr oder minder phantastischer Ausstattung wiederkehrende Erzählung, daß das S. seine Stacheln wie Pfeile auf die Angreifer schleudere, findet sich beim echten Aristoteles noch nicht. Doch ist bereits [Arist] hist. an. IX 39 p. 623 a 33 vergleichsweise in bezug auf den Spinnfaden der Spinne vom Fortschleudern der Stacheln des S. (οἷον αἱ ὕστριχες) die Rede. Auf diese Stelle geht Plin. n. h. VIII 125 (missiles) zurück, der noch beizufügen weiß, daß das S. die Hunde, welche es verfolgen, vornehmlich auf das Maul zu treffen sucht (vgl. Opp. cyn. III 402i’) Wenn Keller Ant. Tierw.I 208 daraus, daß Plinius diese Fabelei vom Fortschleudern der Stacheln bringt, den Schluß zieht, daß das S. in der klassischen Zeit in Italien nicht vorgekommen sei, so verkennt er ganz die Arbeitsweise des Plinius, der hier wie so oft die fabulose Notiz einfach seiner Quelle entnommen hat, ohne sie auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. Die Entstehung dieser Fabelei sowie der allgemein verbreiteten Meinung von der Gefährlichkeit des S., das sich zwar sehr schrecklich gebärden kann und seine Stacheln mit Geschick stets auf die Seite zu richten versteht, woher es einen Angriff vermutet, von einem guten Jagdhund aber ohne weiteres zur Strecke gebracht wird, dürfte lediglich im ‚Jägerlatein‘ zu suchen sein. Nach Opp. cyn. III 391-406, der eine solche S. Jagd mit Hunden schildert, gibt [1929] es im Walde kein schrecklicheres und häßlicheres Tier als das S. Es ist nicht ganz so groß wie ein Wolf (so auch Timoth. Gaz. 8) und starrt ringsum von rauhen, dichten Stachelhaaren wie ein Igel. Wird es angegriffen, so richtet es die Stacheln auf, schießt die über den Rücken laufenden Stacheln auf den Angreifer und zieht sich unterdessen zurück. Vers 403 vergleicht der Dichter das S. mit einem Bogenschützen. In ähnlicher Weise schildert das ‚Abschießen‘ der Stacheln Aelian. nat. an. I 31 und mit fast den gleichen Worten Philes de propr. anim. 1358-1361 (περὶ ὕστριχος), der das Stachelschwein mit einem Pfeilschützen (τοξότης) vergleicht. Die übertriebenste Schilderung aber vom S. und seiner Gefährlichkeit gibt Claudian in seinem Gedicht ‚de hystrice‘ (carm. min. IX v. 1–48 p. 290f. Birt.)‚ die in dem Satze gipfelt fert omnia secum, se pharetra, sese iaculo, sese utitur arcu (v. 42). Nach Claudian ist das S. als ‚Schütze‘ dem Menschen weit überlegen an culliditas und sollertia. Sachlich brauchbar ist nur die Beschreibung der Stacheln v. 13f. alba subit radix alternantesque colorum tincta vices, spatiis internigrantibus, womit die in regelmäßigen Abständen wechselnde weiße und tiefbraune Färbung der Stacheln gut bezeichnet ist. Richtig ist die Bemerkung Aelian. nat. an. XII 26, daß die Stacheln der S. (er nennt hier libysche) empfindlich stechen und starke Schmerzen verursachen. Wenn jedoch Aelian mit der weiteren Bemerkung, daß man auch an Leichen schon Stiche des S. beobachtet haben soll (ὥς φασιν), sagen wollte, daß das S. Menschen tötet, so wäre das unzutreffend (vgl. Solin. 30. 28). Rein sachlich ist die Angabe Callim. Dian. 96, daß die kynosurischen (nach Keller lakonischen) Jagdhunde besonders geschickt seien die Lager (καλιαί) des S. aufzuspüren. Nur vergleichsweise erwähnt das S. Calpurn. Ecl. VI 13 venit et hirsuta spinosior hystrice barbam. Auch in der Volksmedizin wurde das S. verwendet und zwar gilt, wie Plin. n. h. XXIX 107 bemerkt, alles, was über die medizinische Verwendung des Igels gesagt wurde, in verstärktem Maße vom S. Nach XXX 123 verhindert die Asche des S. als Arznei getrunken Fehlgeburten; die Stacheln wurden (XXX 27) als Zahnstocher gebraucht. Eine andere Verwendung der Stacheln erwähnt Timoth. Gaz. 8 (Haupt Opusc. III 382); sie wurden vergoldet und von den Damen als Haarnadeln (περόνας εἰς τοὺς πλοκάμους) getragen. Daß übrigens das S. manchmal auch mit dem Dachs, Meles taxus L., verwechselt wurde, geht aus CGL III 320, 11 ὕστριξ melis‚ 12 ὕστρυξ taxus, 13 ὕστρυξ porcus silvaticus hervor (vgl. Λεξικογραφικὸν ἀρχεῖον. a. 0.). Über Darstellungen des S. in der Kunst vgl. Keller Ant. Tierw. I 208.[1]
[Steier.]
Anmerkungen (Wikisource)

Otto Keller, Die antike Tierwelt, Band 1: Säugetiere, Leipzig 1909, S. 208

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