ART

19) Q. Iulius Cordinus C. Rutilius Gallicus, der von Statius gefeierte Stadtpraefect unter Domitian.

a) Name. Sein Name lautet in einer von Josef Keil im Oktober 1913 in Ephesos gefundenen Ehreninschrift C. Rutilius C. f. Stellatina) Gallicus. Statius nennt ihn (silv. I praef.) Rutilius Gallicus (die Überschrift von I 4 Soteria Rutuli Gallici ist bereits von Poliziano verbessert worden, vgl. Statius herausg. v. Vollmer 207f.). Der Name Rutilius Gallicus begegnet ferner in den afrikanischen Terminationsinschriften (s. u.), den Fasti sodalium Augustalium (...Rutilius G[all]icus CIL VI 1984) und der Turiner Inschrift seiner Gattin (CIL V 6990); C. Rutilius Gallicus: CIL III 4591 (Ga[llic]us) und in den beiden Turiner Ehreninschriften CIL V 6988. 6989, die ihn bereits als cos. II bezeichnen, doch war dieser Name zur Zeit seines zweiten Consulates nicht mehr sein vollständiger. Denn ein neugefundenes Militärdiplom, das sich zweifellos auf denselben Mann bezieht (s. u.), nennt ihn Q. Iulius Cordinus Rutilius Gallicus (dieselbe Namensform ist in dem Turiner Inschriftfragment CIL V 7089 zu ergänzen: Q. Iuli[o Cordino] Rutil[io Gallico] co[s.] … ). Das Pränomen [1256] Gaius fehlt zwar im Militärdiplom, allein dies beweist nichts gegen die Identifizierung (vgl. Pallu de Lessert Centenaire Soc. nat. d. ant. 1904, 369ff.). Die offizielle Nomenklatur des Mannes wird in seiner späteren Lebenszeit Q. Iulius Cordinus C. Rutilius Gallicus gelautet haben (unter den ungefähr gleichaltrigen senatorischen Zeitgenossen des R. findet sich ein zweites Pränomen allerdings selten, doch vgl. Prosop. imp. Rom. II 346 nr. 231. 428 nr. 40. III 72 nr. 501. Mommsen Ges. Schr. IV 407. Pallu de Lessert a. a. O.). Das ihm in der älteren Literatur beigelegte Cognomen Valens beruht auf der falschen Lesung einer Statiusstelle (s. Vollmer 213).

b) Leben. Die Hauptquelle für Gallicus’ Biographie ist das Gelegenheitsgedicht, das ihm Statius im J. 89 (s. u.) anläßlich seiner Genesung zueignete (Silv. I 4, im folgenden nur Stat. zitiert); es enthält einen Abriß seiner Lebensgeschichte (v. 68–93), der in neueren Untersuchungen vielfach und zwar in sehr verschiedenem Sinne kommentiert wurde: Borghesi Oeuvr. V 72f. IX 272ff. Stobbe bei Friedländer S. G. III 1871, 404ff. Desjardins Rev. d. philol. I 1877, 7ff. Friedländer Index lect. Königsberg 1880. Mommsen CIL V p. 786. Nohl bei Friedländer S. G. III⁵ 453ff. Hirschfeld ebd. III⁶ 483f. Vollmer in seiner Ausgabe der Silvae 1898, 281ff. Groag Arch.-epigr. Mitt. XX 46ff. Dessau Prosop. imp. Rom. III 148f. Willems Sénat rom. en l’an 65 nr. 141 p. 69. Friedländer S. G. IV⁸ 107f. Stech Klio Bhft. X 8. 158. Aber erst Inschriftenfunde der jüngsten Zeit geben uns den authentischen Kommentar zur laudatio; sie lehren, daß die Aufzählung sämtlicher von R. bekleideten Ämter sowie (wenigstens in der vorconsularischen Laufbahn) die streng chronologische Anordnung keineswegs in der Absicht des Dichters lag.

Die Heimat des R. befand sich nach einer Anspielung des Dichters (v. 58f., vgl. Vollmer 288f.) am Fuße der Alpen, und in der Tat lehren uns die Turiner Inschriften CIL V 6988–6990. 7089 sowie seine Tribus Stellatina, daß R. aus Augusta Taurinorum stammte (vgl. Mommsen a. a. O. Vollmer 282; über C. Rutilius C. f. Pal(atina) Gallicus s. u. c).

Von Gallicus Abstammung sagt Statius (68–70): genus ipse suis permissaque retro Nobilitas nec origo latet, sed luce sequente Vincitur et magno gaudet cessisse nepoti (zur Überlieferung vgl. Vollmer 289f.). Aus diesen Versen geht hervor, daß R. nicht vornehmer, aber auch nicht obskurer Herkunft gewesen ist. Vermutlich gehörte er von Geburt dem Ritterstande an (Stobbe a. a. O. Vollmer 289). Aus den Worten prima togae virtus illi quoque (v. 71) erhellt, daß der Beruf des Rechtsanwaltes bereits von seinen Vorfahren (oder wenigstens von seinem Vater) ausgeübt worden ist.

In der Zeit zwischen 69 und 78 hat R. auch den Namen Q. Iulius Cordinus angenommen (s. o.): vermutlich auf Grund einer testamentarischen Namensübertragung (vgl. Mommsen Ges. Schr. IV 404ff. Pallu de Lessert a. a. O.). Ob der Testator Q. Iulius Cordus, Proconsul [1257] von Zypern unter Claudius (CIG II 2631. 2632) und Legat von Aquitanien im J. 69 (Tac. hist. I 76), oder etwa ein Bruder dieses Mannes war, läßt sich nicht entscheiden.

Die Geburt des R. ist um 26 n. Chr. anzusetzen (Statius schreibt zwar im. J. 89 [s. u.] non illud culpa senectae, Quippe ea bis senis vixdum orsa excedere lustris, v. 52f., aber R. war zwischen 52 und 54 bereits Ädilizier, s. u.). Er betätigte sich zuerst als Sachwalter (Stat. 71f., vgl. Friedländer III⁶ 481. Vollmer 282; auch später ist er immer wieder gerne zur Advokatur zurückgekehrt, vgl. Stat. 23ff. 30). über seinen Cursus bonorum bis zur Designierung zum Consulat klärt uns die ephesische Inschrift auf. Die bisher in den meisten Untersuchungen vertretene Annahme, daß R. vor seinem Eintritt in den Senat die ritterliche Offizierslaufbahn absolvierte, erweist sich als unrichtig; die Fehlerquelle liegt darin, daß man die Verse des Statius (v. 72–79: mox innumeris exercita castris Occiduas primasque domos et sole sub omni Permeruit iurata manus......Hunc Galatea vigens ausa est incessere bello ... perque novem timuit Pamphylia messes Pannoniusque ferox arcuque horrenda fugaci Armenia et patiens Latii iam pontis Araxes) auf den Anfang seiner Carriere (die vom Dichter ganz übergangen wird) bezog und die zeitliche Folge genau eingehalten glaubte. Gallicus diente als Militärtribun in der legio XIII. Gemina (die damals vielleicht schon in Pannonien [Poetovio?] lag, vgl. v. Domaszewski Westd. Ztschr. XXI 178. Filow Klio Bhft. VI 19, 6), trat durch die Bekleidung der Quaestur in den Senat, wurde hierauf curulischer Aedil und legatus divi Claudi leg(ionis) XV. Apollinaris (der Legionsbefehl geht in dieser Zeit nicht selten der Praetur zeitlich voraus, vgl. v. Domaszewski Rhein. Jahrb. CXVII 172). Ein Denkmal seiner Befehlshaberschaft ist das (nicht mehr vorhandene) Inschriftfragment CIL III 4591 (vgl. p. 1794) aus einem der letzten Jahre des Claudius (zwischen 52 und 54), das vor R. Vipstanus Gallus, wohl den damaligen Statthalter von Pannonien, nennt und wahrscheinlich von einem militärischen Bau in Carnuntum (vgl. Bormann Arch. epigr. Mitt. XVIII 222f.) oder Emona herrührt (gegen Hirschfeld Kl. Schr. 835f., der Vipstanus und R. für Suffectconsuln hielt, behalten Borghesi Oeuvr. V 303 und Ritterling Arch. epigr. Mitt. XX 10, 22 Recht). Nach dem Legionskommando, das R. auch unter Nero eine Zeitlang geführt haben dürfte (die nach Neros Sturz gesetzte Inschrift verschweigt dessen Namen), übernahm er die Praetur (daß er Praetor urbanus gewesen sei, wie aus den Worten gemini fasces [Stat. 80] geschlossen wurde, wird durch die ephesische Inschrift nicht bestätigt; s. u.). Gallicus’ nächstes Amt war – dem ephesischen Texte zufolge – das eines legatus provinciae Galaticae. Nach dieser Ausdrucksweise müßte man annehmen, daß er nicht Legatus Augusti pro praetore der Provinz war, sondern Unterstatthalter (vgl. Ritterling Öst. Jhfte. X 1907, 2998.), jedoch, wie Statius lehrt, mit militärischer Kompetenz; er unterstand wohl dem Oberkommando des Corbulo (vgl. Tac. ann. XIII 35. XV 25) und Caesennius [1258] Paetus (ebd. XV 6). Zu Galatien gehörte damals auch Pamphylien (Stat. 77. Tac. hist. II 9) und andere Nachbarländer, darunter Armenia minor, dessen Annexion gerade in diese Zeit fällt (s. o. Bd. VII S. 549ff.). Ob damit die Anspielungen des Statius auf Kriegstaten des R. in Galatien und Armenien in Verbindung zu bringen sind, wissen wir nicht (die Erwähnung des Araxes könnte für R.s Teilnahme an dem armenischen Feldzuge Corbulos im J. 59 sprechen – Tacitus nennt allerdings seinen Namen nicht –, sie könnte aber auch nichts weiter als eine poetische Floskel sein). Fraglich bleibt auch, ob aus Stat. 77 (s. o.) zu folgern ist, daß R. neun Jahre lang Legat in Galatien war oder ob in dieser Zeitangabe die Dienstjahre in Pannonien inbegriffen sind.

Daß Gallicus noch als Legat in Galatien fungierte, als Nero gestürzt wurde (9. Juni 68), erscheint wenig wahrscheinlich (Galba ernannte Calpurnius Asprenas zum Statthalter Galatiens, Tac. hist. II 9). Auf dem ephesischen Denkmal, das von M. Aemilius Pius, praef(ectus) coh(ortis) I. Bosp(oranorum) et coh(ortis) I. Hisp(anorum), legato errichtet wurde, wird er bereits als sodalis Augustalis, consul designatus bezeichnet; in die Priesterschaft fand er erst an Stelle Neros Aufnahme (CIL VI 1984 = Dessau 5025, vgl. Dessau Ephem. epigr. III p. 75): übrigens ein Beweis für das Ansehen, das er bereits damals sowohl bei Galba als in den senatorischen Kreisen (und zwar wohl namentlich in jenen, die sich unter Nero nur mit innerem Widerstreben der Gewalt gebeugt hatten) genoß. Vor seinem Consulat (der frühestens in das J. 70 gehören kann) hatte R. zwei Jahre lang die Stellung eines Legatus pro praetore des Proconsuls in Asia inne (so sind die Worte quid geminos fasces magnaeque iterata revolvam iura Asiae? velit illa quidem ter habere quaterque hunc sibi, sed revocant fasti maiorque curulis, nec promissa semel [v. 80ff.] wohl aufzufassen, wie auch die ,dem Legaten‘ in Ephesos gesetzte Inschrift zeigt; die gemini fasces besagen vermutlich dasselbe wie das folgende iterata iura; mit dem Ausdruck promissa [kaum permissa; auch die Hss. Cod. Vind. 140 und 76 bieten promissa] semel könnte möglicherweise eher die längere Dauer der Anwartschaft auf das erste als die Designierung zum zweiten Consulat gemeint sein). Seine Legation dürfte in die Proconsulatsjahre 69 bis 71 zu setzen sein. Zur Zeit der großen Reichskrise befand er sich anscheinend in Asia und wird sich Vespasian angeschlossen haben, der ihn zum Consul designierte (wenn M. Aemilius Pius nicht etwa nur seine früheren Offizierschargen aufzählt, könnte man vermuten, daß die von ihm befehligten Kohorten zu den Truppen Mucians gehörten, vgl. Tac. hist. II 83). Von Asia kehrte R. nach Rom zurück, um – vielleicht in der zweiten Hälfte des J. 71 oder im J. 72 – den Suffectconsulat zu bekleiden (die Worte revocant fasti lassen darauf schließen, daß R. die Fasces in Rom führte). In einem der ersten Regierungsjahre Vespasians wurde er auch in das Collegium der Pontifices aufgenommen (vgl. die unten zitierten Inschriften aus Africa).

[1259] Die nächsten Verse (v. 83–88) Libyci quid mira tributi Obsequia et missum media de pace triumphum Laudem et opes? tantas nec qui mandaverat ausus Expectare fuit usw. erhalten Aufhellung durch mehrere africanische Terminationssteine mit folgendem (nicht in allen Exemplaren vollständig erhaltenen) Text: Ex auct(oritate) Imp(eratoris) Vespasiani Cae(saris) Aug(usti) p(atris) p(atriae) fines provinciae novae et veter(is) derecti, qua fossa regia fuit, per Rutilium Gallicum, co(n)s(ulem), pont(ificem) et Sentium Caecilianum, praetorem, legatos Aug(usti) pro pr(aetore) (CIL VIII 14882. Bull. arch. du com. d. trav. hist. 1893, 239 = Compt. rend. Acad. d. inscr. XXII 1894, 43ff. Bull. arch. 1901, 413ff. = Dessau 5955. Bull. arch. 1911, 402f. = Rev. arch. XX 1912, 456). Wir erfahren durch diese Inschriften, daß Mommsens Erklärung der Statiusstelle (CIL V p. 786) das Richtige traf. R. wurde von Vespasian, der seine Verwendbarkeit offenbar zu schätzen wußte, in außerordentlicher Mission als legatus Augusti pro praetore (ad census accipiendos) nach Africa gesendet, um die (von diesem Kaiser wesentlich erhöhten) Steuern einzutreiben (die Sendung des R. ist vielleicht unter die Maßnahmen der Censur Vespasians im J. 73/74 einzureihen, vgl. Cagnat Compt. rend. 1894, 51; der Censortitel fehlt z. B. auch CIL XII 113; über das J. 74 kann man nicht hinausgehen; bei der Ebbe in den Staatskassen [s. o. Bd. VI S. 2685f.] wird Vespasian mit der Steuereinhebung nicht so lange zugewartet haben). Im Zusammenhang mit dieser finanziellen Aufgabe, die zu voller Zufriedenheit des Auftraggebers gelöst wurde (Stat. a. a. O.), stand die Grenzregulierung zwischen Africa vetus und Africa nova, die R., unterstützt von Sex. Sentius Caecilianus (vgl. Ritterling Österr. Jahresh. Bbl. VII 1904, 28ff.), im engen Anschluß an die Grenzbestimmung Scipios durchführte (Cagnat Compt. rend. 1894, 43ff. Gauckler Bull. arch. 1901, 413ff. Poinssot Compt. rend. 1907, 466ff. Weynand o. Bd. VI S. 2666; vgl. noch Knox Mc Elderry Journ. of rom. st. III 1913, 124f.). Die Amtstätigkeit des R. gab den Bewohnern von Leptis (wohl Leptis magna) den Anlaß, die Gemahlin des Legaten (wie zweifellos auch ihn selbst) durch eine Statue in seiner Heimatstadt Turin zu ehren (CIL V 6990 = Dessau 1008).

Das nächste Amt des R. war der Heeresbefehl am Niederrhein, wie schon Borghesi (Oeuvr. IX 272) aus den Versen des Statius (s. u.) folgerte und das Militärdiplom (Altert. unserer heidn. Vorzeit V 1911, 181f. Taf. 33) bestätigt hat. Das letztere zeigt uns R. am 15. April 78 als Armeekommandanten in Germania (so im Diplom; wie die angeführten Truppenkörper lehren, handelt es sich um Germania inferior: v. Domaszewski Altert. 184; Ber. üb. d. Fortschr. d. röm. germ. Forsch. 1906/1907, 98ff. Ritterling Korr.-Bl. XXV 1906, 20ff.; Röm. germ. Korr.-Bl. IV 1911, 39). In dieser Stellung, die er spätestens im J. 77 angetreten haben dürfte, hatte R. einen Feldzug zu führen: non vacat Arctoas acies Rhenumque rebellum Captivaeque preces Veledae ... pandere (Stat. 89ff.; vgl. die Worte des Tacitus Germ. 8: vidimus [1260] sub divo Vespasiano Veledam diu apud plerosque numinis loco habitam). Der Krieg galt demzufolge den Brukterern, bei denen Veleda als Seherin verehrt wurde (vgl. Tac. hist. IV 61. 65. V 22), und führte zur Gefangennahme der Jungfrau. Über den Gang der Operationen haben wir keine Kunde; das Schicksal Veledas spricht dafür, daß die Römer zur Offensive übergingen und in das Land der Brukterer (s. o. Bd. III S. 899f.) eindrangen; seither haben sich diese, wie es scheint, eine Zeit lang in einer gewissen Abhängigkeit von Rom befunden (vgl. Plin. ep. II 7, 2. Dessau Prosop. imp. Rom. III 409. Weynand o. Bd. VI S. 2671). Den günstigen Verlauf der Expedition bezeugt ferner die wohl aus diesem Anlaß erfolgte XIX. Imperatoren-acclamation Vespasians und die Verleihung von Ehrenbeinamen an einzelne Truppenkörper (vgl. CIL VI 3538 = Dessau 2729. v. Domaszewski a. a. O.; auf diesen Krieg beziehen Domaszewski Philol. LXVI 1907, 166f. und Tschauschner Leg. Kriegsvexill. 1907, 34ff. das aus Abteilungen der britannischen und obergermanischen Legionen gebildete Vexillationskommando des Velius Rufus, S.-Ber. Akad. Berl. 1903, 817, vgl. Riese Westd. Ztschr. XXVI 132; unter R. verdiente sich vielleicht C. Minicius Italus als Tribun der Legio VI victrix seine militärischen Auszeichnungen, CIL V 875. Gardthausen Philol. LXVI 487; es liegt kein Grund vor, mit Hirschfeld und Friedländer aus der knappen Ausdrucksweise des Statius auf einen militärischen Mißerfolg zu schließen: die Kürze erklärt sich aus der vom Dichter fingierten Situation; das Stillschweigen des Poeten spricht auch keineswegs dagegen, daß R. für seine Kriegstaten die Triumphalornamente erhalten habe; daß jedoch Veleda in Rom im Triumph aufgeführt worden sei Grimm D. Myth. I⁴ 78; vgl. Müllenhoff Germ. 209], ist nicht anzunehmen). Der entscheidende Sieg muß vor dem 15. April 78, aber vermutlich nicht lange vorher, erfochten worden sein (s. o. Bd. VI S. 2671 f.); auch an diesem Tage war die vollständige Einstellung der militärischen Aktionen wohl noch nicht erfolgt, da im Militärdiplom die honesta missio fehlt.

An der Losung zum Proconsulate von Asia oder Africa, die R. nach seiner consularischen Anciennität gebührt hätte (s. Waddington Fast. d. prov. As. n. 97ff. Pallu de Lessert Fast. d. prov. Afr. I 147ff.), wird er sich – ob schon auf Grund seiner Stadtpraefectur? (vgl. Mommsen St.-R. II³ 1062f.) – nicht beteiligt haben (daß ein solcher Verzicht unter Domitian wiederholt vorkam, zeigt Tac. Agr. 42).

Domitian ernannte R. zur Zeit des Krieges gegen die Dazier (84–89 n. Chr.) zum Praefectus urbi (Stat. 90ff. quae maxima nuper Gloria, depositam Dacis pereuntibus urbem … cum tanti lectu rectoris habenas … subisti). Die Dichterstelle beweist nur, daß R. die Praefectur verwaltete, während Domitian im J. 89 persönlich gegen die Dazier zu Felde zog (an den ersten Dazischen Feldzug des Kaisers im J. 85/86 [s. o. Weynand Bd. VI S. 2561ff. 2571. Köstlin Donaukriege Domitians 49f. 69f.] ist wegen der Ausdrücke nuper und Dacis pereuntibus [1261] kaum zu denken), es muß aber mit nichten aus Statius’ Worten gefolgert werden, daß der Kaiser ihn erst damals zu dieser Würde erhob (die Schilderung, die Statius von seiner Tätigkeit entwirft, scheint eine längere Amtsführung vorauszusetzen). Wie in dieser Funktion üblich, wird R. als Stadtpraefect den zweiten Consulat erhalten haben (über die Worte maiorque curulis Nec promissa semel v. 82f. s. o.). Als cos. II bezeichnen ihn die Turiner Inschriften CIL V 6988 (= Desaau 1007) und 6989 (die erstere ist von T. Flavius Scapula errichtet, also einem Manne, der erst unter dem Flavischen Kaiserhaus – vielleicht durch R.s Vermittlung – das Bürgerrecht erlangt hat). Der zweite (Suffect-) Consulat des R. dürfte – die Richtigkeit der Lesung promissa vorausgesetzt – in das J. 90 gehören; das früheste, in Betracht kommende Jahr wäre 89 (das Gedicht des Statius, in dem R. noch nicht als Consul II erscheint, ist nach den Säkularspielen des J. 88 [s. o. Bd. VI S. 2566f.] verfaßt), das späteste 92, da R. dieses Jahr nicht überlebt hat; aber 89 (wofür sich Borghesi, Hirschfeld und Dessau a. a. O. entscheiden) und 91 kommen nicht in Betracht, da den eponymen Consuln dieser Jahre, die ihre Würde zum erstenmal bekleideten, ein cos. II wohl nicht als Suffectus folgen konnte; im J. 92 ist der Nachfolger des Kaisers (cos. XVI mit Volusius Saturninus) bekannt. Es bleibt daher nur das J. 90, in dem Domitian zum 15. und Nerva zum zweitenmal Consuln waren. Daraus ergibt sich, daß die Soteria Rutilii Gallici wohl in das J. 89 gehört, wie auch Vollmer (5) und Friedländer (IV⁸ 103f.) aus anderen Gründen annehmen.

Nach der Darstellung des Statius erfüllte R. die vielen und wichtigen Aufgaben seines hohen Amtes, das ihn zur proxima cervix ponderis immensi machte (v. 6f.), mit ebensoviel Gewissenhaftigkeit als Humanität (vgl. v. 5f. 9ff. 16. 43-49; über R.s Amtstätigkeit s. Vollmer 288. Vigneaux Essai sur praef. urb. 65f. Gsell Domitien 64f.). Darf man freilich die Tendenz des Gratulationsgedichtes nicht außer acht lassen, so wird doch wenigstens das Lob der unermüdlichen Pflichterfüllung auch von einem gehässigen Beurteiler der domitianischen Zeit, von Iuvenal, bestätigt (XIII 157f. haec quota pars scelerum, quae custos Gallicus urbis Usque a lucifero donec lux occidat audit?, falsch ist die Angabe der Scholien: nomen praefecti vigilum).

Nicht lange nach der Säkularfeier des J.s 88 (vgl. v. 17f. 96f.) verfiel R. infolge von Überanstrengung (v. 54f.) in eine lebensgefährliche Krankheit; damals erwies sich in der Anteilnahme von hoch und nieder die Beliebtheit, deren er sich erfreute (v. 38ff. 115). Seine Genesung begrüßt Statius in der erhaltenen Soteria Rutilii Gallici. Aber als der Dichter das erste Buch seiner Silvae herausgab, war R. nicht mehr am Leben (vgl. silv. I praef.). Er starb, etwa 65 Jahre alt (vgl. Stat. 52f. und o.), spätestens im J. 92, in welchem Tettienus Serenus an seiner Stelle in das Collegium der Sodales Augustales aufgenommen wurde (CIL VI 1984). Ob R. bis [1262] zu seinem Tode Stadtpraefect geblieben ist, wissen wir nicht.

c) Familie. Die Gemahlin des R. hieß Minicia L(uci) f(ilia) Paetina (CIL V 6990; das Stillschweigen des Statius gestattet vielleicht die Vermutung, daß sie im J. 89 nicht mehr lebte). Für seine Kinder hielt Desjardins 23f. (ebenso Vollmer 283. Dessau Prosop. imp. Rom. III 149f.) C. Rutilius C. f. Pal(atina) Gallicus und Rutilia C. f. Paulina, Patrone der Seviri Augustales in Corfinium, die von diesen ob merita patris et ipsius durch Statuen geehrt wurden (CIL IX 3181. 3182). Doch sprechen die geringe Tribus Palatina (s. Mommsen St.-R. II³ 405. III 442f.; R. gehörte der Tribus Stellatina an, s. o.), die Beziehung zu den Seviri Augustales und die bei Personen aus dem hohen Amtsadel in dieser Zeit ungewöhnliche Einfachheit der Namengebung eher dafür, daß wir es hier mit Nachkommen von Freigelassenen des R. oder von Peregrinen, die diesem das Bürgerrecht verdankten, zu tun haben (die – doch nur teilweise – Gleichheit des Namens ist nicht auffällig, vgl. z. B. Bd. VII S. 304. 324. Dessau Herm. XLV 362. Prosop. imp. Rom. II 417 nr. 150 und sonst). Es müßte auch befremden, wenn Statius der Kinder des R. nicht weiter Erwähnung getan hätte als mit den Worten genus ipse suis (v. 68), die nicht unbedingt auf Nachkommenschaft gedeutet werden müssen (vgl. Vollmer 290). Eine Sklavin des R. ist möglicherweise in einer stadtrömischen Inschrift genannt: Theogenea C. Rutili Bonae Deae v(otum) s(olvit) m(erito) l(ibens) CIL VI 36 766, der Votivstein befand sich anscheinend in dem Heiligtum der Bona Dea in Trastevere, das M. Vettius Bolanus, vielleicht der Zeitgenosse des R., dessen Sohn Statius besingt, wiederherstellte (vgl. Gatti Bull. com. 1905, 348 Jordan-Hülsen Topogr. d. St. Rom I 3, 640).

d) Persönlichkeit. Statius feiert R. als hervorragenden Gerichtsredner (v. 23ff. 28ff. 71f.; ob die Worte seu plana solutis Quom struis orsa modis [v. 28f.] besagen, daß R. auch Reden veröffentlichte [vgl. Vollmer 286f.], ist zweifelhaft), er rühmt ihn sogar als Dichter (v. 22f. 29ff.), wobei allerdings nur an dilettantische Leistungen zu denken sein wird (Schanz G. d. r. Lit. II 2³, 219). Jedenfalls hatte er, wie seine Beziehung zu Statius zeigt, Interesse für literarische Bestrebungen. Der Zeit nach wäre es möglich (wie Stobbe 404 vermutet), ihn mit Ῥουτίλος zu identifizieren, der in Rom mit dem Stoiker Musonius Rufus, dem er Geld geliehen, ein scherzhaftes Wortgefecht hatte (Plut. de vit. aere al. 7 p. 830 B vol. V p. 140f. Bern. = Musonius ed. Hense fr. XXXVII, vgl. Hense p. XXVII). Aber es ist kaum anzunehmen, daß sich R. zu den Lehren der Stoa bekannte; die Vertrauensstellung, die ihm Domitian übertrug, spricht entschieden dagegen. Andrerseits beweist die Auszeichnung, die ihm in der Zeit des Senatsregimes unmittelbar nach Neros Sturz zuteil wurde (s. o.). und das Fehlen seines Namens in der Reihe der von Tacitus, Plinius und Iuvenal gebrandmarkten Delatoren der domitianischen Zeit, daß er kein unbedingt verwendbares Werkzeug des Herrscherwillens [1263] war. Ein klares Bild seiner Persönlichkeit gewährt uns Statius Glückwunschepistel wohl nicht, aber sie läßt doch die Eigenschaften erkennen, deren Lob ihm genehm war. Wir gewinnen aus allem, was wir von R. wissen, den Eindruck, daß er ein tüchtiger, gebildeter und maßvoll gesinnter Mann gewesen ist, der nach gutem Römerbrauche auf sehr verschiedenen Gebieten – als Militär wie als Jurist, im Finanzdienst wie in der politischen Verwaltung – seine Pflicht erfüllt hat.
[Groag.]

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