ART

Ius Aelianum. Die einzige Quellenstelle, die über das Ius Aelianum berichtet, ist Pomponius (Dig. I 2, 2, 7 i. f. nach der Erzählung über das Ius Flavianum): augescente civitate quia deerant quaedam genera agendi, non post multum temporis spatium Sextus Aelius alias actiones composuit et librum populo dedit, qui appellatur ius Aelianum.

Aus dieser Nachricht ergibt sich die Abfassung einer Actionensammlung durch Sextus Aelius Paetus ,Catus‘ (vgl. über ihn Jörs a. a. O. 99ff. und oben den Art. Aelius Nr. 105, Bd. I S. 527). Sextus Aelius war Consul 556 = 198, Censor 560 = 194, seine Blütezeit fällt also rund 100 Jahre nach der Publikation [1203] des Ius Flavianum (s. u. den Art. Ius Flavianum), das unterdessen veraltet war (deerant quaedam genera agendi), da neue Gesetze neue Legisactiones notwendig machten, die auch noch nach Cn. Flavius vermutlich von den Pontifices offiziell festgestellt wurden (Jörs a. a. O. 97ff.). Streitig ist unter den Gelehrten, ob Sextus Aelius alle zu seiner Zeit geltenden Spruchformeln, auch die im I. Flavianum veröffentlichten, aufgenommen hat, also ob das Ius Aelianum an die Stelle des Ius Flavianum trat (Sanio a. a. O. 189), oder ob das neue Buch nur als ein Supplement zum Ius Flavianum die neuentstandenen Legisactiones enthielt (Huschke a. a. O. 179ff.). Sicheres läßt sich hier nicht finden. Jedenfalls umfaßte das I. Aelianum neben den Legisactiones keine Geschäftsformulare (wie vermutlich das Ius Flavianum), da diese ihre alte Unbeweglichkeit schon verloren hatten und zu einer Publikation in dem Formelbuch nicht mehr geeignet waren, seit die cavierende Tätigkeit der Juristen sich eifrig mit ihnen befaßte (Jörs a. a. O. 103f.).

Einige Schriftsteller (Schoell a. a. O. 22f. Voigt a. a. O. 328=10. Karlowa a. a. O. 1475f. Lenel a. a. O. 9 A. 2; derselbe zweifelnd in Holtzendorffs Enzykl.⁷ 344. Bremer a. a. O. I 15. Krüger a. a. O. 59) wollen das I. Aelianum einfach identifizieren mit dem von Pomponius § 38 genannten Buche des Sextus Aelius, von dem er sagt, inscribitur tripertita, qui liber veluti cunabula iuris continet (tripertita aber heiße es, da es die XII Tafelgesetze, die interpretatio und die legisactio enthalte); I. Aelianum sei nur der Name, den die Praxis in Anlehnung an das Ius Flavianum dem Werke gegeben habe, das der Autor selbst ,tripertita‘ betitelte.

Die Selbständigkeit der Actionensammlung des Ius Aelianum gegenüber den Tripertita vertrat zuerst Huschke (a. a. O. 178ff.; ihm folgen Rudorff a. a. O. I 158, 263, Jörs a. a. O. 103f., Sanio a. a. O. 189, und jüngst Zocco-Rosa a. a. O. 31). Auch wenn man mit Jörs in den tripertita wirklich drei selbständige Teile annimmt, ist die Identifizierung des dritten Teiles, der legisactio (Pomp.) mit dem I. Aelianum durch nichts gerechtfertigt; noch viel weniger aber ist ihre Möglichkeit, geschweige denn Wahrscheinlichkeit abzusehen, wenn man die Dreiteilung in lex, interpretatio und legisactio bei der Besprechung jedes einzelnen Rechtssatzes annimmt, wie dies im Anschluß an Huschke (a. a. O.) einzelne Gelehrte tun (Lenel a. a. O. 8, Mommsen a. a. O. III 368, Kipp a. a. O. 100).

Pomponius stellt gar keinen Zusammenhang her zwischen den beiden Werken, was sich mit einer Korruption des Digestentextes allein nicht erklären läßt. Denn das Ius Aelianum ist eine einfache Actionensammlung, die entweder überhaupt nur ,quaedam‘ genera agendi enthielt, oder diese neben den schon bekannten actiones des berühmten Ius Flavianum. Ferner stimmt mit den Nachrichten über die tripertita nicht überein, was Pomponius über die Art der Benennung des flavischen Klagspiegels sagt (die in der Titelgebung des ,ius Aelianum‘ wiederkehrt): [1204] ,nam nec de suo quicquam adiecit‘. Die Sammlung des Aelius mußte mindestens ebenso rasch veralten wie die des Flavius, und daher ist es nicht glaubhaft, daß sie sich bis auf Pomponius (extat liber; oder nach Sanio nur bis auf dessen Vorlage Varro) erhalten habe und das zu einer Zeit, von der Cicero berichtet, daß ein Anschwellen derartiger Literatur zu beobachten war. Ein solches Werk kann Pomponius nicht veluti cunabula iuris nennen. — Für die Tripertita sind aber diese keineswegs leicht zu nehmenden Worte gewiß nicht zuviel gesagt, für das erste Werk, das von der einfachen Formelsammlung zu selbständiger Behandlung des Rechtestoffes überging, wenn auch noch an der Hand der Gesetzestexte und ohne eigenes System (vgl. Cic. de or. I 186). Dieses Werk, nicht aber eine einfache Formelsammlung kann man cunabula iuris nennen, und zwar iuris ⟨civilis⟩, wie Huschke ganz richtig herausfühlte (wenn wir auch das ⟨civilis⟩ vielleicht nicht in den Text setzen wollten).

Von den uns erhaltenen Resten der literarischen Tätigkeit des Sextus Aelius bezieht sich keiner auf das I. Aelianum; sie gehören den Tripertita an.

Abzulehnen ist die in jüngster Zeit aufgestellte Hypothese von Lambert (a. a. O. 518), der im I. Aelianum und in den Tripertita eine private Sammlung alter Rechtssätze erblicken will, die den historischen Kern der im übrigen erfundenen Zwölftafelgesetzgebung bilde (vgl. Art. Zwölftafelgesetz). Diese Ansicht hat nicht nur bei Pomponius a. a. O. keine Stütze, sondern sie würde auch die große Bedeutung, welche die Tripertita gerade für die Entwicklung der römischen Rechtswissenschaft haben, ganz verkennen. Vgl. dagegen Girard Nouv. Rev. hist. XXVI 381ff. Lenel Sav.-Ztschr. XXVI 498ff. (s. u. den Art. Ius Flavianum).

Literatur: Jörs Röm. Rechtswissenschaft 99ff. Krüger Gesch. d. Quellen d. r. R.² 58ff. Kipp Gesch. d. Quellen d. r. R.³ 100f. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 475f. Rudorff Röm. Rechtsgesch. I 158. 263. Zocco-Rosa Ius Flavianum e Ius Aelianum (Catania 1912). Huschke Ztschr. f. gesch. Rechtswiss. XV 178ff. Sanio Varroniana 189. Schöll Legis XII tab. reliquiae 22f. Voigt Über das Aelius-und Sabinussystem 328 = 10 S.-A. Lenel Sabinussystem (Festg. f. Jhering) 8f. Bremer Iurispr. anteh. I 15. Mommsen Jur. Schr. III 368. Lambert L’histoire traditionelle des XII tables etc. (Mélanges Appleton) 51811. Girard Nouv. Rev. hist. XXVI 381ff. Lenel Sav.-Ztschr. XXVI 498ff. Literaturverzeichnis bei Kalb Jahresbericht kl. Altertumswiss. CXXXIV 17f.
[Danneberg.]

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