ART

94) Iunius Mauricus, Senator der flavisch-traianischen Zeit, entstammte einer italischen Familie (vgl. Plin. ep. I 14, 4 ex illa nostra Italia), die seit der frühen Kaiserzeit im Senate nachweisbar ist. Sein Vater (oder Großvater) durfte Iunius Rusticus gewesen sein, der unter Tiberius die Senatsakten redigierte (Nr. 147). Mauricus’ Bruder war (Q.) Iunius Arulenus Rusticus, der in Wort und Schrift die Grundsätze der stoischen Schule vertrat (Plin. ep. I 14, 1. 2. II 18; vgl. Nr. 149). Auch Mauricus selbst muß sich schon in jüngeren Jahren der stoisch-republikanischen Gruppe im Senate angeschlossen und durch sein mannhaftes und unerschrockenes Auftreten, durch seinen Freimut, der sich nicht scheute, den Machthabern wie der herrschenden öffentlichen Meinung gegenüber die eigene Überzeugung offen zu bekennen, durch seinen unbeugsamen Gerechtigkeitssinn hohes persönliches Ansehen erlangt haben. Plutarch erzählt (Galba 8), daß in der Zeit unmittelbar nach Neros Tode (68 n. Chr.), als Nymphidius Sabinus die Macht in Rom in Händen hatte und das Volk seine Wut an den Werkzeugen des gestürzten Kaisers ausließ, Mauricus seine Stimme dagegen erhob; schon damals gehörte er nicht allein zu den besten Männern, sondern genoß auch den verdienten Ruf (Μαύρικον, ἄνδρα τῶν ἀρίστων καὶ ὄντα καὶ δοκοῦντα). In der sarkastisch-pointierten Weise, die ihm eigentümlich gewesen zu sein scheint, äußerte er im Senate, er fürchte, daß man bald Nero zu vermissen haben werde. Diese Worte richteten sich in erster Linie gegen Nymphidius, dessen Sturz bald danach erfolgte, sowie gegen die Ausschreitungen des Pöbels. Die Verfolgung der Delatoren an sich war dagegen wohl im Sinne des Mauricus. Denn zu Beginn des J. 70, als dem Namen nach der Caesar Domitian, in Wirklichkeit Licinius Mucianus das Regiment in Rom führte, verlangte Mauricus im Senate vom Caesar, ut commentariorum principalium potestatem senatui faceret, per quos nosceret, quem quisque accusandum poposcisset (Tac. hist. IV 40). Die Antwort lautete ablehnend: consulendum tali super re principem (Domitianus) respondit.

Die Regierung Domitians mit ihren monarchischen Bestrebungen mußte zu einem Zusammenstoß mit der republikanischen Partei führen. In den ersten Jahren scheint das Verhältnis allerdings noch erträglich gewesen zu sein. Rusticus gelangte anscheinend im September 92 zum Consulat [1052] (s. o. Bd. II S. 1490) und auch Mauricus dürfte ungefähr um dieselbe Zeit in die erste Rangklasse aufgerückt sein (daß er unter Nerva zum engsten Kreise des Herrschers gehörte, unter Traian am kaiserlichen Consilium teilnahm, spricht für consularischen Rang). In einem vermutlich im J. 89 (vgl. Friedländer Martial S. 56) gedichteten Epigramm, in dem Martial die Großen der domitianischen Zeit knapp charakterisiert, nennt er auch Mauricus und hebt seine aequitas hervor (V 28).

Als jedoch Domitians autokratische Tendenzen unverhüllt zutage traten, kam es zum offenen Zerwürfnis mit dem Kaiser. Die beiden iunischen Brüder waren neben Herennius Senecio und Helvidius Priscus die Führer des Widerstandes. Die dürftige Überlieferung gewährt uns keinen Einblick in diese Kämpfe und so wissen wir auch nichts Näheres über den persönlichen Anteil des Mauricus. Vielleicht noch im J. 93 (vgl. Mommsen Ges. Schr. IV 421. Weynand o. Bd. VI S. 2577) erfolgte die Katastrophe: Rusticus wurde getötet (s. Nr. 149), Mauricus relegiert (Plin. ep. III 11, 3. I 5, 10. Tac. Agr. 45).

Als unter Nerva der Versuch unternommen wurde, die Regierung im Geiste der bisherigen senatorischen Opposition zu führen, wurde Mauricus aus der Verbannung zurückberufen. Plinius berichtet in einem Briefe, der ersichtlich im J. 97 geschrieben ist (vgl. Mommsen Ges. Schr. IV 372), daß er Mauricus’ Rückkehr vom Exil erwarte (ep. I 5). Er wollte den Rat dieses bewährten Freundes – vir est gravis, sagt er bei diesem Anlaß von ihm, prudens, multis experimentis eruditus et qui futura possit ex praeteritis providere (15, 16) – abwarten, bevor er sich entschloß, dem Aquilius Regulus, der eine Annäherung an ihn Buchte, bindenden Bescheid zu geben. Aus dem späteren Verhalten des Plinius gegen Regulus geht hervor, daß Mauricus von einer Versöhnung mit dem begabten und einflußreichen, aber charakterlosen Manne abgeraten hat. Auch unter Nerva bekundete Mauricus seinen Freimut und seine scharfe Zunge. Als bei einem intimen Gastmahl, bei welchem Fabricius Veiento, ein Günstling Domitians, neben Nerva lag, der Kaiser darauf zu sprechen kam, was dem berüchtigten Delator Catullus Messalinus widerfahren wäre, wenn er noch lebte, meinte Mauricus ,nobiscum cenaret‘ (Plin. ep. IV 22, 4–6. Epit. de Caes. 12, 5).

Unter Traian blieb er gleichfalls seiner Gewohnheit treu. Als vor dem kaiserlichen Consilium über die Bewilligung eines Agons in Vienna verhandelt wurde, sprach er sich dagegen aus und fügte hinzu: vellem etiam Romae tolli posset (Plin. ep. IV 22, 3): eine Äußerung, deren Bedeutung erst dadurch völlig verständlich wird, daß gerade Traian den Wünschen der Stadtrömer nach Vergnügungen dieser Art sehr weit entgegenkam.

Über Mauricus’ politische Rolle unter Nerva und Traian erfahren wir nichts, über seine persönlichen Verhältnisse geben Briefe des Plinius einige Aufklärungen. Mauricus nahm sich mit besonderer Liebe der Kinder seines getöteten Bruders an (Plin. ep. II 18, 4). Er ersuchte den berühmten Literaten, ihm einen Lehrer für diese [1053] zu empfehlen (II 18), und wendete sich sogar, wenn wir Plinius glauben dürfen, mit der Bitte an diesen, ihm für seine Nichte einen Gatten vorzuschlagen (I 14; in Wirklichkeit wird Plinius seine Bereitwilligkeit zur Vermittlung schon vorher angedeutet haben). In einem Billett (VI 14) dankt Plinius für eine Einladung, die Mauricus an ihn ergehen ließ; wir erfahren daraus, daß dieser ein Landgut bei Formiae am Meere besaß. Der Redner blickt zu Mauricus in Verehrung auf und fühlt sich dem hochgesinnten Mann von Jugend an zu Dank verpflichtet (vgl. ep. I 5, 10. 16. 14, 3. II 18, 4); er weiß seine Charakterstärke nicht genug zu rühmen (quo viro nihil firmius, nihil verius IV 22, 3 und sonst). Ob indes die Freundschaft mit Plinius wirklich sehr in die Tiefe ging, läßt sich – ganz abgesehen von der Altersdifferenz – billig bezweifeln, wenn man die Verschiedenartigkeit der Charaktere in Betracht zieht; eher mag Tacitus trotz des Unterschiedes in den Jahren und wohl auch in der politischen und Lebensauffassung dem strengen Stoiker in wahrer geistiger Freundschaft verbunden gewesen sein.

Um das J. 107 war Mauricus noch am Leben (das 6. Buch der Plinianischen Briefe ist um diese Zeit herausgegeben, s. Mommsen Ges. Schr. IV 384. Peter Abh. d. sächs. Ges. d. W. XLVII 108), doch stand er damals gewiß schon im hohen Greisenalter und wird wohl noch unter Traian gestorben sein. Daß er Kinder hatte, erfahren wir durch Plin. II 18, 4. Die in späterer Zeit genannten Iunii Maurici (Nr. 95f.) werden seiner Nachkommenschaft angehört haben.
[Groag.]

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