ART

59) Ti. Iulius Alexander. Quellen, a) Autoren: Joseph. bell. Iud. II 220. 223. 309. 492–497. IV 616-618. V 45. 46. 205. 510. VI 237. 242; ant. Iud. XX 100–103. Tac. ann. XV 28; hist. I 11. II 74. 79. Suet. Vesp. 6, 3.

b) Inschriften: IGR I 1165 (Lichtbild: Ann. du serv. des ant. de l’Égypte XIII 2, 1914 p. XII). 1263. III 1015 = Dittenberger Syll. or. II 663. 669. 586.

c) Papyrus: P. Oxy. VI 899 (= Wilcken Chrest. nr. 361), Z. 28.

Literatur. Dessau Prosop. Imp. Rom. II 164f., 92. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes I3.4 567f. 624f. Cantarelli La serie dei prefetti di Egitto I 33f., Mem. Acc. dei Lincei 1906. Wissenschaftlich wertlos ist die Arbeit von J. Reach Tiberius Alexander, Progr. d. Stephansgymn. in Prag 1914.

Name. Die Inschriften geben seine tria nomina, bei den Autoren wird er durchweg nur Ti. Alexander genannt, ebenso P. Oxy. VI 899.

Abstammung. I. war von Haus aus ein alexandrinischer Jude aus vornehmer und reicher Familie, der Sohn des alexandrinischen Alabarchen (vgl. Schürer III⁴ 132f.) Alexandros (Lysimachos) und Neffe des berühmten jüdischen Philosophen Philon, fiel aber dann vom jüdischen Glauben ab, Joseph. ant. Iud. XX 100; bell. Iud. V 205 (s. o. Bd. I S. 1441 Nr. 26 und Klebs Prosop. Imp. Rom. I 48, 370). Tac. hist. I 11 nennt ihn eiusdem (s. Aegyptiae) nationis; ungenau, denn zwischen Alexandrinern und Ägyptern bestand ein großer staatsrechtlicher Unterschied (vgl. Stein Unters. zur Gesch. und Verw. Ägyptens 90). Übrigens hat er oder schon sein Vater vom Kaiser Tiberius das römische Bürgerrecht erhalten, wie sein Name zeigt.

Laufbahn. Er trat dann in den römischen Staatsdienst ein, wo er verschiedene Ämter der ritterlichen Laufbahn bekleidete. Tacitus nennt ihn ann. XV 28 (zum J. 63) einen inlustris eques Romanus. Das ist bei Tacitus ein stehender Ausdruck, aber wir finden ihn nur bei Tacitus, als technische [154] Bezeichnung haben wir ihn nicht zu fassen; gemeint ist ein Ritter, der die höheren Ämter der ritterlichen Laufbahn bekleidet hat (vgl. Mommsen St-R. III 563). Mit der Thronbesteigung des Kaisers Claudius war der Stern seiner Familie im Aufsteigen begriffen: sein Vater wurde aus der Haft entlassen, die Caligula über ihn verhängt hatte, sein Bruder Marcus wurde mit Berenike, der Tochter des jüdischen Königs Agrippa I., verlobt (vgl. Schürer a. a. O. 723, 56), und I. selbst wurde Epistrateg der Thebais, wo wir ihn nach einer Inschrift aus Tentyris am 3. April 42 im Amte finden (IGR I 1165 Τιβερίου Ἰουλίου Ἂλ[εξάνδ]ρου ἐπιστρατήγου; hierher gehört also Prosop. Imp. Rom. II 160, 75, wo die verbesserte Lesung noch nicht bekannt war). Wenige Jahre später war er Procurator von Judaea als Nachfolger des (C.) Cuspius Fadus (der bis mindestens 45 dort war). Unter ihm dauerte die Hungersnot in Judaea fort (vgl. Schürer a. a. O. 567), die durch die Königin Helena von Adiabene gelindert wurde. Die Söhne des Galiläers Juda, Jacobus und Simon, ließ er kreuzigen, Joseph. ant. Iud. XX 101. 102; bell. Iud. II 220. Er blieb hier bis zum J. 48, worauf Ventidius Cumanus sein Nachfolger wurde, Joseph. ant. Iud. XX 103. 104; bell. Iud. II 223.

Seine Tätigkeit in den folgenden 15 Jahren kennen wir nicht; erst im J. 63 finden wir ihn in Armenien unter dem Befehl des Cn. Domitius Corbulo in einer nicht bestimmt zu benennenden Stellung. Tac. XV 28 nennt ihn minister bello datus, wahrscheinlich als eine Art Generalstabschef des Feldherrn (praefectus exercitus Cappadocici?), s. u. Er wurde, als Corbulo mit dem König Tiridates in Rhandeia zusammentraf (vgl. Dio exc. LXII 23, 2), mit dem jungen Senatorssohn Annius Vinicianus, dem Schwiegersohn Corbulos, zum König vorausgeschickt, um als Ehrengefolge zu dienen und ein etwaiges Mißtrauen des Königs zu beseitigen. Auch daraus ergibt sich, daß I. damals schon eine angesehene Stellung im Heere Corbulos einnahm. Bald darauf wurde er Präfekt von Ägypten. Als solchen nennt ihn Joseph. bell. Iud. II 309 (Ἀλεξάνδρῳ … πεπιστευμένῳ τὴν Αἴγυπτον ὑπὸ Νέρωνος καὶ πεμφθέντι διέπειν; der Judenkönig Agrippa II. begab sich nach Alexandria, um I. zu seiner Ernennung zu beglückwünschen). 492 (ὁ τῆς πόλεως ἡγεμών) – 498. IV 616 (τῷ διέποντι τὴν Αἴγυπτον καὶ τὴν Ἀλεξάνδρειαν ) – 618. V 45 (τὴν Αἴγυπτον διέπων). Tac. hist. I 11. II 74 (praefectus Aegypti). 79. Suet. Vesp. 6, 3 (praefectus Äegypti). Pap. Oxy. a. a. O., wo von der Verlesung eines von ihm erlassenen δ[ι]άτ[αγ]μα die Rede ist. Sehr bekannt aber ist ein anderes, recht umfangreiches Edikt, das er als Präfekt (ἡγεμών) von Ägypten erließ und das inschriftlich erhalten ist, an einem Torflügel des großen Tempels von Hibis in Khargeh in der ,Großen Oase‘ (vgl. auch Lefebvre Ann. du serv. des ant. de l’Ég. XIII 1913, 6), IGR I 1263, vom 6. Juli 68, veröffentlich am 28. Sept. 68 (unter der Regierung des Kaisers Galba). Es beschäftigt sich hauptsachlich mit der Abstellung von Mißbräuchen der fiskalischen Beamten. Als Präfekt von Ägypten hatte I. im ersten Jahr seiner Statthalterschaft einen Aufstand der Juden in Alexandria zu unterdrücken. Ein Streit, der zwischen Griechen und Juden in [155] der Stadt entstanden war, nahm bald gefährlichen Charakter an. I. versuchte anfangs, die aufgeregten Juden zu beruhigen, sah sich aber nur verhöhnt und daher zur Anwendung von Waffengewalt gezwungen. Dio römischen Truppen zogen in das Judenviertel, wo sich nun blutige Kämpfe entspannen. Die Juden leisteten erbitterten, aber schließlich nutzlosen Widerstand; viele wurden getötet, ihre Häuser geplündert und in Brand gesteckt, auch Greise, Frauen und Kinder niedergemetzelt. Erst nach einem furchtbaren Blutvergießen ergaben sich die Überlebenden, und die Truppen zogen sich auf Befehl des I. zurück, Joseph. bell. Iud. II 492–498.

Auch im Vierkaiserjahr blieb I. in seinem Amte, das große Edikt ist, wie erwähnt, aus der Zeit Galbas, ebenso das andere (P. Oxy.). Eine wichtige Rolle war dem I. als Präfekten von Ägypten bei der Erhebung Vespasians beschieden. Nachdem Vespasian auf Drängen Mucians sich entschlossen hatte, die Herrschaft anzustreben, versicherte er sich vor allem auch des so wichtigen Ägypten. Er teilte daher dem I. seine Absicht mit und erlangte von diesem die Zusicherung seines Einverständnisses, Tac. hist. II 74. Joseph. bell. Iud.. IV 616. I. nahm sogleich, am l. Juli 69, den Truppen und dem Volk den Eid auf Vespasian ab und damit war der Anfang gemacht zur offiziellen Übertragung der Herrschergewalt an den neuen Kaiser, der daher den 1. Juli als dies imperii feierte, Tac. hist. II 79. Suet. Vesp. 6, 3. Joseph. bell. Iud. IV 617. 618. V 46. Fortan stand I. in hohem Ansehen beim neuen Herrscherhaus (als den Bewährtesten unter den φίλοι nennt ihn Joseph. a. a. O. V 45), und er wurde daher in leitender Stellung bei dem Heere verwendet, das unter dem Befehl des Titus Jerusalem belagerte. Die zeitlichen Grenzpunkte seiner Statthalterschaft von Ägypten lassen sich damit ziemlich genau bestimmen. Aus Joseph. a. a. O. II 309 ersehen wir, daß er, als der Judenaufstand ausbrach (Ende Mai 66; vgl. Joseph. II 284), eben die Verwaltung Ägyptens übernommen hatte; vgl. auch Klebs in Friedländers Iuvenal-Ausgabe II 603. Er behielt sie bis in die ersten Monate des Jahres 70; denn er begleitete, nachdem Vespasian und Titus den Winter 69/70 in Alexandria zugebracht hatten, den Titus, als dieser zu Ende des Winters (Joseph. IV 658) mit auserlesener Heeresmacht gegen Jerusalem zog, jedenfalls vor dem jüdischen Passahfest des J. 70 (Joseph V 99). Die Stellung, die I. im Heere des Titus vor Jerusalem einnahm, lernen wie aus Joseph. VI 237 kennen, wo er als ὁ πάντων τῶν στρατευμάτων ἐπάρχων bezeichnet ist; V 45. 46 wird er als einer der φίλοι des Titus genannt, die als geeignet angesehen wurden τῶν στρατευμάτων ἄρχειν. Daher hat Mommsen Herm. XIX 645 in der Inschrift von Arados (IGR III 1015) den Titel zu [ἔπ]αρχος [τ]οῦ Ἰουδαι[κοῦ στρατοῦ] ergänzt und die Stellung als ,Generalstabschef des Titus im Jüdischen Krieg‘ erklärt, lateinisch etwa praefectus exercitus Iudaici. I. stand damals ungefähr in demselben Verhälnis zu Titus, wie im J. 63 zu Corbulo (s. o.) oder wie ein Praefectus praetorio zum kriegführenden Kaiser; vgl. auch Mommsens Ausführungen zu CIL III 6809, p. 1241 und B. Pick Ztschr. f. Numism. XIII 207f. [156] Die Frage, ob die Inschrift dem älteren Plinius gesetzt ist oder nicht, braucht uns hier nicht zu beschäftigen; jedenfalls nennt sie den Geehrten ἀντεπίρο[πον Τιβερίο]υ Ἰουλίου Ἀλ[ε]ξ[άνδρου]. Als höchster Inspektionsoffizier gleich nach Titus während der Belagerang wird er Joseph. bell. V 510 erwähnt. In dem Kriegsrat, den Titus über das Schicksal des Tempels von Jerusalem hielt, wird I. unter den ranghöchsten Mitgliedern an erster Stelle genannt, er trat der Ansicht des Oberfeldherrn bei, daß der Tempel geschont werden solle, Joseph. VI 237. 242. Auch die militärischen Aufgaben, die er also zu leisten hatte, lassen es kaum zu, mit v. Domaszewski Rh. Mus. LVIII 225, 1 anzunehmen, daß er bloß Armeeintendant gewesen sei. Und daß er mittlerweile die senatorische Würde erreicht habe, braucht man nicht, wie Pick a. a. O. tut, ganz von der Hand zu weisen; die Insignien, und zwar wohl die consularischen, mindestens aber die praetorischenj dürfte er jedenfalls erlangt haben, da, wie wir jetzt wissen, Ti. Iulius Celsus Polemaeanus (vgl. Groag zu diesem), der schon zu Beginn der Regierung Vespasians (Groag a. a. O.) unter die Aediles adlegiert wurde, vorher Tribun der Legio III Cyrenaica in Ägypten unter der Statthalterschaft Alexanders gewesen war; vgl. Ritterling Österr. Jahresh. X 305. Cumont Bull. Acad. Belg. 1905, 198, 1.

Die Schrift περὶ κόσμου. Wiederholt ist mit I. in Verbindung gebracht worden die ps.-aristotelische Schrift περὶ κόσμου, die einem Alexandros gewidmet ist; dieser wird von dem unbekannten Verfasser mit dem Worten σοί, ὄντι ἡγεμόνων ἀρίστῳ angeredet. Die weitläufige literarische Fehde, die sich über diese Frage entsponnen hat, zeigt nur, daß bei der großen Auswahl unter den vornehmen Trägern dieses Namens und bei der vielseitigen Anwendung des Titels ἡγεμών eine bestimmte Zuweisung wenigstens insolange nicht möglich ist, als es nicht gelingt, die Persönlichkeit des Verfassers dieser Schrift und deren Abfassungszeit zu ermitteln. Daß die Schrift dem I. gewidmet sei, hat zuerst Bernays Ges. Abh. II 278–281 angenommen (nachdem Bergk Rh. Mus. 1882, 52f., an den Sohn des Herodes und Buecheler ebd. 294f., sowie Asbach 296f. an den Sohn des Antonius und der Kleopatra gedacht hatten); ihm schließen sich an Usener ebd. 281f. und Mommsen R. G. V 494. 566f., 1; dagegen Zeller Berl. S.-Ber. 1885, 399–415, und, diesem unbedingt folgend, Susemihl Gesch. d. alex. Lit. II 326f. 436. Capelle N. Jahrb. XV (1905) 532, 1; vgl. Dessau Prosop. Imp. Rom. II 165. Schanz Gesch. d. röm. Lit. III² 130f. Christ-Schmid Gesch. d. griech. Lit. I⁵ 684, 8.

Sonstige Erwähnungen. Auch die mehrfach behauptete Beziehung einiger Inschriften auf I. läßt sich nicht aufrecht erhalten. Dies gilt z. B. von CIL VI 294 = Dessau II 3464, einer Weihung, deren Dedikant Ti. Iulius Alexander genannt wird ohne Hinzufügung irgend eines Titels. Noch unwahrscheinlicher ist die Gleichsetzung mit dem Τι. Ἀλέξανδρος IGR I 1069; vgl. Preisigke Sammelb. 2250. Auch die Ehrung der Gytheaten für Τ. (sic) Ἰούλιον Ἀλεξανδ… IG V 1, *1173 hatte Kolbe [157] z. St. nicht ohne weiteres auf ihn oder seinen Sohn beziehen sollen, auch wenn sie nicht als Lenormantsches Gut verdächtig wäre. Selbstverständlich verschieden von ihm ist Tib. Iulius Alexander, praefectus cohortis I Flaviae ((ἔπαρχος σπείρης α’ Φλαουίας), der am 26. Aug. 158 das Weihebild der Isis in Alexandria aufstellt, IGR I 1044 = Dittenberger Syll. or. II 705 = Breccia Iscr. 52, 71 (mit Abb.), ebenso der Procurator Ti. Iulius Alexander unter Traian (s. den Folgenden). Hingegen gehört allem Anschein nach zu seiner Familie der Senator Ti. Iulius Alexander Iulianus (Nr. 61); vgl. Dessau Prosop. Imp. Rom. und Herm. 1910, 20. Sehr viel Wahrscheinlichkeit hat die Vermutung Friedländers zu Iuvenal 1, 129–131 für sich, daß mit dem Aegyptius atque arabarches, gegen den der Dichter so haßerfüllte Ausfälle richtet, weil seine Triumphalstatue auf dem Augustusforum aufgestellt war, kaum ein anderer als I. sein kann. Friedländer irrt nur darin, daß er Arabarch für identisch ansieht mit Epistrateg; daher ist es auch nicht, wie Groag Ztschr. f. d. österr. Gymn. 1902, 625 meint, eine Stütze für Friedländers Vermutung, daß wir I. seither als Epistrateg kennen gelernt haben (s. o.). I. war überhaupt nicht selbst arabarches, sondern Iuvenal erwähnt in seiner Verachtung gegen den verhaßten Alexandriner (zur ungenauen Bezeichnung Aegyptius s. o.), dessen Ämterlaufbahn er absichtlich ignoriert, nur das unrömische Amt, das sein Vater bekleidet hat (s. o.).
[Stein.]

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