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26) Flavius Claudius Iulianus ist als Sohn des Iulius Constantius, des Bruders Constantins d. Gr., und der Basilina, einer Dame aus sehr begütertem, vornehmem Hause, im Mai oder spätestens Anfang Juni 332 zu Konstantinopel geboren (Ammian. XXV 3, 23. Anth. Pal., Caput 14 nr. 148; vgl. Neumann Philol. L 761) und verlor seine Mutter nach wenigen Monaten (Iulian. 454, 17 Hertlein). Um die Wende des J. 337 fiel sein Vater einem blutigen Aufruhr der Soldaten zum Opfer, die sich nur von den Söhnen des großen Constantin regieren lassen wollten und daher [27] sämtliche nicht zur Hauptlinie gehörigen männlichen Nachkommen des Constantius Chlorus mit Ausnahme des noch nicht sechsjährigen I. und seines etwa elfjährigen Stiefbruders Gallus töteten (Iulian. 349, 2ff. Hertlein: ἓξ ἀνεψιούς, sechs ,Verwandte', von denen I.s Vater [Iulius Constantius], sein Oheim (Dalmatius), sein ältester Bruder aufgeführt sind, wozu die beiden Söhne des Dalmatius, Dalmatius und Hannibalianus kommen, während der sechste Verwandte nicht festzustellen ist, vielleicht der Gemahl der Eutropia, der Tante I.s ?). Diesen rettete der Umstand, daß er lebensgefährlich erkrankt war, jenen sein kindliches Alter, während ein älterer Stiefbruder, dessen Namen wir nicht kennen, getötet wurde (Liban. II 240, 11 Förster). Um die Erziehung des verwaisten Knaben bemühte sich der mit seiner Mutter verwandte einflußreiche arianische Bischof Eusebios von Nikomedia (Ammian. XXII 9, 4), bei dem er auch wohl Aufnahme fand, und mit dem er dann bei dessen Ernennung zum Bischof von Konstantinopel noch im Laufe des J. 338 wieder hierher übersiedelte. Nach seinem siebenten Jahre, also etwa in der zweiten Hälfte des J. 339, wurde er dem Eunuchen Mardonios, einem geborenen Goten, übergeben, der schon die Erziehung seiner Mutter Basilina geleitet hatte (Iulian. 454, 9ff.), und besuchte gleichzeitig die öffentliche Schule in Konstantinopel (Liban. II 240, 16. 66, 8. Sokr. III 1, 9). Diesem Eunuchen, der auch von Libanios (II 241, 4) aufs höchste gerühmt wird, hat I. trotz seiner Verachtung für jene Menschengattung nicht nur für die Einführung in die Dichter, besonders den Homer, sondern auch für die ihm schon in frühester Jugend eingeprägten Lebensregeln und Grundsätze zeitlebens größte Dankbarkeit bewahrt (Iulian. 304, 21. 354, 6. 452, 2. 454, 7ff.). Dazu trat für die Grammatik als Lehrer der Lakonier Nikokles (Liban. II 129, 16. Sokr. III 1, 10) und für die Rhetorik der damals christliche Philosoph Hekebolios, der dem jungen Prinzen, vermutlich auf Befehl des Constantius, das Versprechen abnahm, nicht bei heidnischen Gelehrten Vorlesungen zu hören (Sokr. III 1, 10. 23, 5. Liban. II 241, 18ff.). Vielleicht im J. 344, wahrscheinlich aber erst 345 siedelte I. wieder nach Nikomedien über, angeblich weil Constantius fürchtete, I. könne in Konstantinopel zu populär werden (Liban. II 66, 12. 242, 5), vermutlich aber aus dem durchaus triftigen Grunde, daß eine Stadt wie Konstantinopel nicht gerade der geeignete Boden für heranwachsende Knaben war. Überhaupt ist das, was I. selbst und Libanios und andere Freunde und Verehrer I.s über das Verhältnis des Kaisers zu seinen jungen Vettern sagen, mit größter Vorsicht aufzunehmen. Constantius hatte durchaus keinen Grund, den beiden gegenüber besonders hart zu sein; kamen sie doch, da nach dem Blutbad von Konstantinopel, bei dem eine positive Schuld des Constantius anzunehmen kein Grund vorliegt (Eutrop. X 9: Constantio … sinente potius quam iubente), und nach dem 340 erfolgten Tode des zweiten Constantin das Constantinische Haus nur noch auf ihm selbst und seinem Bruder Constans beruhte, bei dem vom Heere beobachteten Erblichkeitsprinzip möglicherweise für die Nachfolge in Betracht, wie Constantius denn auch, als 350 der eben [28] genannte Constans umgekommen war und die Aussicht auf eigene Nachkommenschaft geschwunden schien, den älteren der beiden, Gallus, zum Caesar erhob und nach dessen reichlich verdienter Beseitigung sich entschloß, den noch sehr jugendlichen I. zu seinem Reichsgehilfen zu machen. Auf das, was dieser in den an Constantius gerichteten Reden zu[WS 1] dessen Lob sagt, ist allerdings ebensowenig Gewicht zu legen als auf das, was er wie auch seine Freunde nach dem zwischen beiden Reichsoberhäuptern ausgebrochenen Konflikt an Gehässigkeiten vorbringen, wohl aber auf beiläufige Äußerungen aus späterer Zeit, z. B. auf die, daß er nur auf Befehl des Constantius mehrfach das Theater besucht habe (Iulian. 453, 5), vor allen Dingen aber auf die Tatsachen selbst, die, vorurteilslos betrachtet, die Erziehung, die Constantius für die beiden Brüder anordnete, als in durchaus sachgemäßer Weise aus Freiheit und Zwang gemischt erscheinen lassen. Allerdings muß man dabei in Rechnung stellen, daß er ein eifriger, ja ängstlicher Christ, und daß sein Christentum sehr engherzig und von der Duldsamkeit seines Vaters weit entfernt war; dementsprechend sind die Lehrer der Prinzen eifrige Christen, und zwar ausgesprochene Arianer, wie Eusebios von Konstantinopel und Georgios, der spätere Bischof von Alexandria, der seine Lektüre leitete (Iulian. 488, 10); seine Erziehung ging darauf hinaus, ihn zu einem ,zuverlässigen‘ Christen zu machen (Eunap. vit. soph. 47 Boiss.: ὅπως εἴη χριστιανὸς βέβαιος).

Kurz vor I., wie Seeck (Untergang der antiken Welt IV 457f.) wohl mit Recht annimmt, ist der damals noch im Aufsteigen begriffene, später so berühmte Redner und Stilist Libanios nach Nikomedien übergesiedelt; aber I. hörte seinem Versprechen gemäß dessen Vorlesungen nicht, wußte sich aber die Nachschriften derselben zu verschaffen (Liban. II 241, 18. 242, 16ff. Sokr. III 1, 45), weshalb sich Libanios zu der Behauptung berechtigt glaubte, daß I.s schriftstellerische Leistungen des Libanios Geist atmeten (Liban. II 243, 12). Freilich war der Schüler damals noch recht jung, μειράκιον κομιδῇ, wie er selbst (Iulian. 350, 1. 550, 17) sagt, πρόσηβος, wie Libanios mit einiger Übertreibung und mit Rücksicht auf die Frühreife des Prinzen sagen konnte (Liban. II 242, 5), er war zwölf bis dreizehn Jahre alt; jedenfalls hatte er das dreizehnte Jahr vollendet, als er Nikomedien wieder verließ. Während des Aufenthalts in dieser Stadt und auch wohl schon von Konstantinopel aus hat er sich häufig auf dem von seiner Großmutter mütterlicherseits geerbten Landgute aufgehalten, von dem er in dem Schreiben, durch das er es seinem (sonst nicht bekannten) Freunde Euagrios zum Geschenk macht, eine entzückende Schilderung entwirft (Iulian. 549, 18–551. 15). Es lag nicht ganz 4 km von der Propontis und wohl Konstantinopel näher als Nikomedien, das von der Hauptstadt etwa 80 km entfernt ist.

Im Lauf des J. 345 aber trat auf Befehl des Constantius eine neue Veränderung im Leben I.s und seines Bruders Gallus ein, der sich bis dahin in Ephesos aufgehalten hatte (Sokr. III 1, 9). Es wurde ihnen beiden eine kaiserliche Domäne, Fundus Macelli in Kappadokien, als Aufenthalt [29] angewiesen. I. gefällt sich darin, diesen Aufenthalt als eine Verbannung zu schildern, wo er und sein älterer Bruder jeder Weiterbildung und des Verkehrs mit ihrer würdigen Altersgenossen entbehrt hätten (Iulian. 350, 1ff.). Letztere Klage mag berechtigt gewesen sein; der sehr vom Gottesgnadentum durchdrungene Constantius wird in dem Verkehr der Prinzen mit den Söhnen vornehmer Familien eine gewisse Gefahr erblickt haben. Jedenfalls wurden sie hier durchaus fürstlich gehalten, und aus späteren Äußerungen I.s erfahren wir, daß man ihn und seinen Bruder keineswegs ohne Bildungsmittel gelassen hatte; nur waren es nicht gerade diejenigen, auf deren Kenntnis der spätere I. den größten Wert gelegt hat, sondern christliche Schriften (Iulian. 488, 7ff.). Der Fundus Macelli trug auch keineswegs den Charakter eines Verbannungsortes (Sozom. V 2, 9–10, dessen Schilderung auf eigene Ortskenntnis schließen läßt), da er an den fruchtbaren Hängen des gewaltigen Argaeus in dem damals durch seine berühmten Söhne so sehr hervortretenden Kappadokien wenige Stunden von Caesarea lag, das, an der Kleinasien diagonal durchziehenden Straße zwischen den beiden politischen und Kulturzentren des Orients, Konstantinopel und Antiochia, gelegen, in jener Zeit seine höchste Blüte erreicht hat und beispielsweise im J. 360 Monate lang die Residenz des Augustus war; auch hat I., wie er sagt, in Kappadokien einmal den Kaiser gesehen (Iulian. 353, 8), also entweder in Fundus Macelli oder in Caesarea, vermutlich im Frühling 347; Constantius hat sich wohl selbst von dem Ergehen seiner beiden Vettern überzeugen wollen. Hier in Macellum wird I. auch die christliche Taufe, an der nicht zu zweifeln ist (Neumann Iuliani imp. librorum contra Christianos, quae supersunt 3–5), empfangen haben; jedenfalls war die Bildung, die die Brüder hier genossen, eine durchaus christliche, man kann sagen: theologische. Ihr verdankte I. nicht nur die genaue Kenntnis der christlichen Glaubenslehre und der christlichen Literatur, die wir später an ihm bewundern, sondern auch die logische und dialektische Schulung seines Geistes, die sich an der damaligen mit dem ganzen Rüstzeug hellenischer Spitzfindigkeit ausgestatteten christlichen Literatur ebenso gut erwerben ließ wie an der heidnischen. Es ist auch gar nicht zu bezweifeln, daß der Jüngling mit der ihm eigenen leidenschaftlichen Wärme und dem ihn kennzeichnenden Bedürfnis nach mystischer Versenkung in die geheimnisvollen Beziehungen zwischen Gottheit und Menschheit die christlichen Lehren mit Inbrunst aufnahm und sich, wie uns berichtet wird, mit ungewöhnlichem Eifer, z. B. auch durch Vorlesen der heiligen Schrift vor dem Volke, als Christ betätigte (Gregorii theologi oratio IV, cap. 87, Migne 35, 616).

Der Aufenthalt auf dem kappadokischen Landgute fand sein Ende durch die Ernennung des vierundzwanzig- oder fünfundzwanzigjährigen Gallus zum Caesar, zu der sich der Kaiser durch den 350 erfolgten Tod seines Bruders Constans bei der Unmöglichkeit, das ganze Reich allein zu regieren, veranlaßt sah. Gallus wurde Anfang des J. 351 an den Hof nach Sirmium berufen und im 15. März zum Caesar ernannt (Ammian. XIV [30] 1, 1. Iulian. 350, 20). Bald nach Gallus (Iulian. 349, 7) muß der jetzt annähernd neunzehnjährige I. den Fundus Macelli verlassen haben, wie es scheint, ohne Befehl des Kaisers, der ihm später diesen Vorwurf machte, vielleicht aber der Aufforderung seines Bruders folgend, den er, was ihm gleichzeitig auch vorgeworfen wird, April oder Mai 351 als neuen Caesar begrüßt und auf dessen Durchreise von Sirmium nach seiner neuen Residenz Antiochia die kurze Strecke von Konstantinopel bis Nikomedien begleitet hat; auf diese Weise lassen sich die verschiedenen Nachrichten (Ammian. XV 2, 7. Liban. II 244, 1. Sokr. III 1, 22), die wir hierüber haben, wohl vereinigen. Aber wenn I. den Fundus Macelli auch ohne Erlaubnis verlassen hatte, so hat der Kaiser ihm doch in den nächsten Jahren volle Bewegungsfreiheit gelassen, und I. hat davon ganz in seinem eigenen Sinne Gebrauch gemacht (Eunap. 48 Boiss.). In Nikomedia scheint er sich allerdings zunächst nur kurze Zeit aufgehalten zu haben; denn bald finden wir ihn in Pergamon, wo er den alten Philosophen Aidesios aus Kappadokien, den Schüler des ,göttlichen‘ Neuplatonikers Iamblichos, aufsuchte, von ihm aber an seine Schüler Eusebios von Myndos und Chrysanthios von Sardes gewiesen wurde, die ihn eine Zeitlang unterrichteten, dann aber den wissens- und offenbarungsdurstigen Jüngling auf ihren Mitschüler Maximus in Ephesos aufmerksam machten, von dessen Wundertaten sie ihm Unglaubliches erzählten (ebd. 48–51). Dieser Charlatan, der das Bild der Hekate zum Lächeln und die Fackeln im Tempel zur Selbstentzündung zu bringen vermochte, gewann I. ganz für sich und scheint den Bruch mit dem Christentum und den Übertritt – wenn man eine innerliche Wandlung so bezeichnen darf – zum Heidentum veranlaßt zu haben (Liban. II 67, 3. 20, 4, 245, 4). Das muß in den Winter 351/2 fallen (Eunap. 48 Boiss.: μειράκιον, als er zu Aidesios kam), so daß I., als er mehr als zehn Jahre später auf diese Zeit zurückblickte, wohl sagen durfte, daß er ,annähernd zwanzig Jahre lang jenen Weg gegangen‘ sei (Iulian. 558, 17). Nach dieser inneren Umwandlung kehrte er dann nach Nikomedia zurück, wo er einige Jahre – 352 bis Ende 354 – verbrachte, wohl die glücklichsten seines Lebens, da er, durch die Ausfolgung seines mütterlichen Erbes in behagliche Unabhängigkeit versetzt (Eunap. 48 Boiss.), seinen Büchern und dem Umgang mit gleichgestimmten Freunden leben konnte, wenn er auch wohl die strenge Beobachtung christlicher Kirchlichkeit, die er dem regierenden Kaiser zuliebe nicht aufgeben durfte, gelegentlich als lästige Beigabe, wenn auch nicht als charakterlose Verleugnung der neugewonnenen Erkenntnis empfinden mochte (Liban. II 245, 4. Sokr. III 1, 19f.). Es waren wohl mehr Erinnerungen an diese glückliche Zeit als an die Knabenjahre, die ihn zu der oben erwähnten Schilderung der von der Großmutter ererbten Sommerfrische nahe der Propontis begeisterten, von der aus man über das Buch wegsehend die lieblichste Aussicht auf das Meer und die Inseln und auf ,die Stadt, die den Namen des edeln Herrschers trägt‘, genießt (Iulian. 550, 15).

Aus diesem dem feinsten und höchsten Lebensgenuß, [31] der Bildung einer Weltanschauung, der Ausgestaltung der eigenen Persönlichkeit gewidmeten Dasein wurde der jugendliche Schöngeist durch den gewaltigen Gang der Weltereignisse herausgerissen. Zwar konnte ihm die Möglichkeit, daß er zur Mitregierung des Reichs berufen werden würde, schon lange nicht mehr verborgen sein, und diese Möglichkeit war seit dem Tode seines Vetters Constans, seit der scheinbar als endgültige Tatsache zu betrachtenden Kinderlosigkeit seines kaiserlichen Vetters Constantius, seit der Berufung des Gallus zur Caesarenwürde, die jene Tatsache gewissermaßen amtlich beglaubigt hatte, zur größten Wahrscheinlichkeit geworden. Aber immerhin schien die Verwirklichung dieser Wahrscheinlichkeit noch im weiten Felde zu liegen, da der Augustus das vierzigste Jahr noch nicht erreicht hatte und sein Caesar noch neun Jahre jünger war. Andererseits scheint die Angabe, daß Maximus dem jugendlichen Prinzen die Lust zum Regieren eingeflößt habe (Sokr. III 1, 18), durchaus glaublich; bei der unbedingten Hingabe I.s an ihn winkte ihm eine glänzende Zukunft in nächster Nähe des Thrones, und neben der Erfüllung eigennütziger Wünsche mochte ihm doch auch die Aussicht, den Neuplatonismus, wie er ihn auffaßte, den Thron besteigen zu sehen, glückverheißend entgegenleuchten. Immerhin kam die Katastrophe, die über Gallus hereinbrach, doch wohl unerwartet. Dieser hatte sich, ein trauriges Beispiel des Caesarenwahnsinns, der Herrschaft völlig unfähig und unwürdig erwiesen und konnte nach damaligen Anschauungen kaum anders als durch den Tod beseitigt werden; Ende 354 wurde er in Flanona, einer Stadt an der Ostseite der istrischen Halbinsel, hingerichtet. Unmittelbar darauf wurde I. an den Hof nach Mailand befohlen und machte auf dem Wege dorthin noch eine Erfahrung, die ihn mit frohen Hoffnungen für die Verwirklichung der im tiefsten Busen getragenen Pläne erfüllen mußte (Iulian. 603ff.). In Neu-Ilium ließ er sich wie ein Tourist von dem dortigen Bischof Pegasios in den alten Tempeln herumführen und war erfreut, sie alle in bestem Zustande zu finden, und noch mehr überrascht, in dem Bischof einen Mann zu entdecken, in dessen Seele die Ehrfurcht vor den alten Göttern nur mit einer dünnen Schicht Christentum bedeckt war, und der seine amtliche christliche Gesinnung sehr geschickt mit seiner heidnischen Grundstimmung zu vereinigen wußte. Als er bei Hofe anlangte, ließ ihn, wie oben erwähnt, der argwöhnische und in seinen Entschlüssen langsame Kaiser zunächst zur Rede stellen, weshalb er vor mehr als vier Jahren ohne Befehl Fundus Macelli verlassen und seinen Bruder auf der Durchreise durch Bithynien ein Stück Weges begleitet habe (Ammian. XV 2, 7. Iulian. 152, 4ff.). I. konnte sich von dem hinter diesen Beschuldigungen etwa lauernden Verdacht leicht reinigen, indem er nachwies, beides non sine iussu (Ammian. XV 2, 8) getan zu haben, was sich, da Constantius nichts befohlen hatte, wohl nur auf einen Befehl oder eine Aufforderung seines Bruders Gallus beziehen kann. Er blieb dann sieben Monate lang von Dezember 354 bis Juli 355 in Mailand am Hofe (Iulian. 351, 24 übertreibend, danach Liban. II 20,15), und zwar [32] sechs Monate gleichzeitig mit dem Kaiser (Iulian. 353, 11), der vermutlich einen Monat vor I.s Abreise seinen Alamannenfeldzag angetreten hat. In dieser ganzen Zeit sah er den Kaiser nur einmal (Iulian. 353, 9), während er in der Kaiserin Eusebia eine gütige Beschützerin fand (Ammian. XV 2, 8. 8, 3. Sokr. III 1, 24. Iulian. 158, 8ff.). Der ewig zögernde Kaiser konnte sich jetzt noch nicht entschließen, I. zum Caesar zu machen; einerseits erschien er ihm wohl noch zu jung, andererseits hatte er doch auch Furcht, durch Erteilung der Caesarenwürde wiederum den Anlaß zu Nebenbuhlerschaften zu geben. I. wurde wieder in die Heimat entlassen (Iulian. 352, 20), erhielt aber unterwegs, wie es scheint, zu Sirmium, von wo hochverräterische Umtriebe gemeldet wurden, den Befehl, sich nach Athen zu begeben, womit sich sein innigster Wunsch erfüllte (Ammian. XV 2, 8. Iulian. 336, 19. Liban. II 21, 1. 69, 11. 248, 8. 249, 14). Die Hochschule in Athen konnte ihm als Lernendem nicht viel mehr bieten; aber der Verkehr mit den dortigen Lehrern, unter denen der bekannteste Proairesios war, mit den ihn umschwärmenden gleichstrebenden jugendlichen Genossen (Liban. II 249, 5), unter denen sich auch die beiden später so berühmten Kappadokier Basileios und Gregor befanden, der Aufenthalt an dem Orte, dessen Denkmale an den höchsten Glanz hellenischen Geisteslebens erinnerten, muß ihm ein ununterbrochener Genuß gewesen sein; seine mystischen Neigungen befriedigte er durch den Besuch von Eleusis, wo er sich einweihen ließ (Eunap. 52 Boiss.), obwohl er die Kultstätte in traurigstem Zustande vorfand (Mamert. cap. 9 in Panegyrici latini ed. Baehrens). Aber der Aufenthalt war nur allzu kurz (Iulian. 353, 6: μικρὸν εἰς τὴν Ἑλλάδα κελεύσας ὑποχωρῆσαι πάλιν ἐκεῖθεν ἐκάλει παρ’ ἑαυτόν.); nach zwei oder drei Monaten, etwa Ende September oder Anfang Oktober, kam der unzweifelhaft durch die in der ersten Hälfte des August in Köln erfolgte Usurpation des Silvanus veranlaßte Befehl des Kaisers, sich an den Hof nach Mailand zu begeben, wo er in der zweiten Hälfte des Oktober angelangt sein wird. Hier verwandelte sich, wie er selbst mit einem gewissen Galgenhumor erzählt (Iulian. 858, 26ff.), der junge Philosoph mit Bart und Mantel durch die Kunst der Barbiere und Schneider in einen ziemlich komisch aussehenden Krieger. Wenige Wochen nach seiner Ankunft, am 6. November 355, wurde er, dreiundzwanzigundeinhalb Jahr alt, vor versammeltem Hof und Heer in feierlicher Rede vom Kaiser zum Caesar proklamiert und wenige Tage danach, mit seiner älteren Base Helena, des Kaisers jüngster Schwester, vermählt (Ammian. XV 8, 1–18).

Am 1. Dezember 355 reiste I. in seinen Wirkungskreis nach Gallien ab. Constantius geleitete den jungen Vetter ein Stück Weges bis über Ticinum hinaus (Ammian. XV 8, 18) und gab ihm 360 Soldaten, die, wie I. sagte, ,nur beten konnten‘ (Zosim. III 3, 2. Iulian. 357, 21 und 362, 22. Liban. II 252, 16), als Geleite mit. In Turin fand er die traurige Nachricht vor, daß Köln, das nicht lange vorher die Tragödie des Silvanus gesehen hatte, in die Hände der Franken gefallen sei (Ammian. XV 8, 19. Iulian. 359, 19), [33] was also wohl im Lauf des November erfolgt sein wird. Die Lage in Gallien war überhaupt sehr traurig. Constantius hatte, was keineswegs zu bezweifeln ist und dem Charakter der damaligen inneren Politik durchaus entspricht, die Germanen, im besondern die Alamannen zum Kampf gegen Magnentius aufgerufen und ihnen Land links des Rheins versprochen (Liban. II 250, 17. 252, 3. Zosim. II 53, 3); diese waren dem Ruf gefolgt und hatten in einer Breite von 55 km das linke Rheinufer besetzt. Wenn sie sich dort ruhig als friedliche Bewohner verhalten hätten, so wäre das zu ertragen gewesen, aber da sie jetzt der Rhein nicht mehr von der römischen Provinz trennte, so machten sie fortdauernd Plünderungszüge, die sie noch 100 bis 150 km von ihren jetzigen Grenzen in das innere Gallien hineinführten, so daß im J. 355 fünfundvierzig Städte als von ihnen verwüstet angegeben werden, die Kastelle und Flecken nicht gerechnet (Ammian. XV 8, 1. Iulian. 359, 5. Liban. II 25, 16. Zosim. III 1, 1. 5, 1). Es war also eine schwere Aufgabe zu bewältigen.

Vermutlich über den Mont Cenis ziehend, erreichte I. in der zweiten Hälfte des Dezember die Stadt Vienne, die ihm zunächst als Aufenthaltsort angewiesen worden war. Wie natürlich, war dem dreiundzwanzigjährigen Jüngling der Oberbefehl noch nicht übertragen, sondern ihm zunächst in der Person des tüchtigen Ursicinus eine Art Mentor zur Seite gestellt und dem Magister equitum et peditum Marcellus der Befehl über die Truppen gegeben worden. Der Kaiser hatte überhaupt für die Anleitung des Caesars Instruktionen gegeben, die dem kleinlichen und pedantischen Charakter des Constantius entsprechend wohl etwas sehr speziell ausgefallen sein mögen, sich, was besonders hervorgehoben wird, auch auf I.s Speisezettel erstreckten (Ammian. XVI 5, 3). Im allgemeinen aber kann man auch hier sagen, daß die Anordnungen des Constantius ganz sachgemäß waren, und daß, wie schon von anderer Seite (Koch Jahrb. klass. Philol. Suppl. XXV 371. 440; auch bei Sozom. V 2, 23 sehr vernünftige Erwägungen) bemerkt worden ist das Mißtrauen zunächst jedenfalls nicht, wie so oft behauptet wird, auf Seiten des Augustus, sondern auf Seiten des Caesars war, dem es selbstverständlich sehr schwer wurde, zu dem Mann, dem er – mit Recht oder Unrecht – die Tötung seines Vaters und seiner beiden Brüder als Schuld anrechnete (z. B. Iulian. 362, 9), Vertrauen zu fassen. I. hat, wie es seine angeborene Emsigkeit erwarten ließ, die lang ausgedehnten Winterquartiere in Vienne gut ausgenützt, seinen geliebten Büchern – seine Gönnerin Eusebia hatte ihm eine Bibliothek mitgegeben (Iulian. 159, 8) – gewiß viel Zeit gewidmet, vermutlich auch mancherlei, z. B. seine erste Rede zum Lobe des Kaisers und den Brief an Themistios, geschrieben; aber im übrigen bereitete er sich mit großem Eifer auf seinen militärischen Beruf vor. Dies ist hoch anzuerkennen; es beweist, daß er es mit seinem Herrscherberuf ernst nahm, spricht aber dagegen, daß ihm die Übernahme desselben eine so unwillkommene Last war, und daß er sich so ungeeignet dazu fühlte, wie er es seinen literarischen und philosophischen Freunden gegenüber [34] oft behauptet, denen er in erster Linie als der ebenbürtige Philosoph und Rhetor erscheinen wollte.

Am 1. Januar 356 (Constantio A. VIII et Iuliano C. conss.) trat der Caesar als Kollege seines Augustus sein erstes Consulat an. Erst nach Mitte Juni begab er sich auf Befehl des Constantius ins Lager und traf am 24. Juni (Ammian. XVI 2, 2) in Autun ein, das sich kurz vorher mit Hilfe herbeigeeIIIer Veteranen gegen einen Überfall eingebrochener Barbarenscharen mit knapper Not verteidigt hatte. Von hier aus zog er mit einer kleinen Schar von Panzerreitern und Balistariern (Artilleristen) trotz steter Bedrohung durch umherschweifende Germanen über Auxerre und Troyes nach Reims; dort vereinigte er sich mit dem Heere unter Marcellus, das über Metz, Decempagi (Tarquimpol in Lothringen) und Zabern in die von den Alamannen besetzte oberrheinische Ebene vordrang, wo Straßburg, Brumat, Selz, Speier, Worms und Mainz von den Barbaren genommen waren. Brumat wurde besetzt und feindliche Scharen, die vermutlich aus dem rechtsrheinischen Gebiete sich auf das linke Ufer geflüchtet hatten, zerstreut und aufgerieben. Constantius war nämlich, wahrscheinlich kurz nach dem 5. Juli, wo er noch in Mailand nachweisbar ist (Cod. Theod. I 2, 7), von hier aufgebrochen, hatte die Alpen und dann den Rhein wohl etwas oberhalb der Mündung der Aare überschritten (Iulian. 166, 19. Ammian. XVI 12, 16f.) und war von Süden in den Schwarzwald hinein und dann vielleicht das Kinzigtal hinab bis in die Rheinebene und in dieser bis in die Höhe von Brumat vorgedrungen, so daß ihm der Vorstoß des Caesars in das Elsaß eine wirksame Hilfe brachte. Sodann brach der Caesar mit seinem Heer nach Norden auf, um, vermutlich übei Zabern, Saarburg, Trier, Koblenz, Remagen, den Niederrhein zu erreichen und das verlorene Köln wiederzugewinnen, was ihm auch nach kurzer Zeit, wohl noch im September gelang, nachdem es zehn Monate in der Hand der Franken gewesen war (Iulian. 359, 20). Sodann wendete er sich über Trier nach dem Innern Galliens zurück, wo er in Sens Winterquartiere bezog. Dort befaßte er sich eifrig mit seinen militärischen Pflichten und traf Vorsorge, daß die gefährdeten Plätze mit Besatzungen versehen und die Zufuhr für die in die Garnisonen verteilten Truppen geordnet würde. Hiermit beschäftigt, kam er in große Bedrängnis, da nicht lange nach seiner Ankunft in Sens, also wohl noch im J. 356, die Alamannen heranrückten und ihn dort belagerten. Kaum konnte er mit der geringen Mannschaft, die er um sich hatte, die Einnahme verhindern, erzwang aber endlich nach dreißig Tagen den Abzug der Feinde. Marcellus war ihm, obwohl nur wenige Stunden von Sens entfernt, nicht zu Hilfe gekommen, dann aber nach Mailand an den Hof geeilt, um etwaigen Beschwerden I.s durch Klagen über ihn zuvorzukommen. Aber dieser hatte sich auch vorgesehen und seinen Oberstkämmerer, den Eunuchen Eutherios, ebendorthin geschickt, der die Beschuldigungen des Marcellus mit Leichtigkeit widerlegte und obendrein wahrscheinlich die Lobreden auf den Kaiser und die Kaiserin (Or. I und III) mitbrachte. Marcellus wurde seiner Stelle enthoben und in seine Heimat entlassen; zu seinem [35] Nachfolger wird Severus ernannt, aber dem Caesar untergeordnet, dem mit Beginn des Frühlings 357 (Constantio A. IX et Iuliano C. II conss.), nachdem auch Ursicinus abberufen worden war, die oberste Führung des Heeres übertragen wird (Iulian. 359, 4. Zosim. III 8, 1). Andererseits wird der nach dem Tode des Silvanus zum Magister peditum beförderte Barbatio, der unter Gallus Comes domesticorum, aber mit diesem verfeindet gewesen und auch I. nicht günstig gesinnt war, mit 25 000 Mann in das Gebiet der Rauraker, also in die Gegend von Basel, geschickt, damit man die Alamannen wiederum in konzentrischem Angriff von Süden und Westen – forcipis specie (Ammian. XVI 11, 3) – anpacken könne; von jener Seite sollte Barbatio, von dieser I. kommen. Die Zusammenarbeit gelang aber nicht, da Barbatio dem Caesar zu keinem großen Erfolge helfen wollte, worin er sich mit Constantius einig wußte, seinerseits aber auf diese Weise durch Versäumnis Schaden anrichtete. Anfang Juli scheint I. von Sens nach Reims aufgebrochen zu sein, um sich von dort nach Osten zu wenden. Inzwischen aber brachen die im Elsaß angesiedelten Germanen zwischen den beiden Heeren des I. und des Barbatio nach Südwesten in Gallien ein und gelangten bis in die Nähe von Lyon; mit großer Geschwindigkeit sperrte I. ihnen auf den in seinem Bereich liegenden Straßen den Rückweg und fing sie ab, entriß ihnen ihre Beute und tötete sie, während Barbatio die von I. angeordnete Sperrung der Straßen in seinem Bereich verhinderte, auf diese Weise einen Teil der Feinde entkommen ließ und sich obendrein noch über I.s angeblichen Eingriff in seinen Befehlsbereich beschwerte, die von I. zu jener Sperrung abgesandten beiden Tribunen, deren einer der spätere Kaiser Valentinian war, verdächtigte und deren Verabschiedung durchsetzte. I. rückte sodann über die Vogesen an den Rhein vor und hätte ihn überschritten, wenn ihm Barbatio nicht die dazu nötigen Schiffe verweigert hätte. Immerhin suchte er die Alamannen auf den Rheininseln auf, wo sie sich geborgen glaubten, und veranlaßte sie, sich auf das rechte Ufer zurückzuziehen. Sodann wendete er sich nach Zabern zurück, machte es zu einer starken Festung, legte dort aus der im Elsaß von den Äckern der Germanen eingebrachten Ernte (Ammian. XVI 11, 11. Liban. II 259, 6) Magazine an, die die Besatzung für ein ganzes Jahr sicher stellten, und brachte für sein Heer außerdem Proviant für zwanzig Tage zusammen. Die Barbaren wenden sich jetzt gegen Barbatio, den sie vollständig überrumpeln, und dem sie einen großen Teil seines Trosses abjagen. Dieser aber bringt seine Truppen in die Winterquartiere und begibt sich an den kaiserlichen Hof nach Mailand. Dann aber beschließen die Alamannen eine große Unternehmung gegen den Caesar. Sie schicken Gesandte an ihn, die ihren rechtlichen Anspruch auf das Land zwischen Vogesen und Rhein durch Berufung auf die Abmachungen mit Constantius geltend machen, im Fall der Abweisung mit Krieg drohen (Liban. II 259, 5. Ammian. XVI 12, 3; dazu v. Borries Hermes XXVII 177). Der Caesar behält die Gesandten, die er für Kundschafter erklärt, zurück und bleibt ruhig bei Zabern stehen. Man kann über diese Behandlung [36] der Gesandten verschieden denken; irgendwelche sittliche Bedenken kannten die Römer im Kampf mit Barbaren ja überhaupt nicht. Aber auch einer strengen Beurteilung wird I.s Verfahren wenigstens entschuldbar scheinen, da die Germanen die Naivität hatten, sich auf Abmachungen zu berufen, die ihnen zwar einen Streifen Landes links des Rheins einräumten, keinesfalls aber die Berechtigung zu frechen Plünderungszügen bis in das Innere der friedlichen Provinz gaben. Als die Alamannen von der Behandlung ihrer Gesandten hörten, gingen sie unter der Führung von sieben Königen, Chonodomarius und seinem Neffen Agenarich genannt Serapio, Vestralpus, Urius, Ursicinus, Suomarius und Hortarius, unterhalb der Illmündung über den Rhein, an der Stelle, die am bequemsten und nächsten für einen Angriff auf Zabern, den Schlüssel Galliens, liegt (v. Borries Die Alamannenschlacht des Jahres 357. Programm Straßburg 1892; Westdeutsche Zeitschrift XII 242). Als I. dies gemeldet wurde, beschloß er einen Hauptschlag zu tun und marschierte von Zabern auf geradem Wege ostwärts in der Richtung auf den Rhein und die Übergangsstelle der Germanen zu. Die Alamannen hatten inzwischen ihren Übergang über den Fluß fortgesetzt und in drei Tagen und drei Nächten (Ammian. XVI 12, 19) noch nicht einmal ihre ganze Macht, immerhin aber etwa 35 000 Mann (Ammian. XVI 12, 26. Liban. II 260, 10: τρισμύρια) übergesetzt, als I. auf dem Hügelrande der Rheinniederung, des Rieds zwischen Brumat und Bischweiler, mit-seinen 13 000 Mann anlangte (Ammian. XVI 12, 2). Die römischen Soldaten begehren sogleich gegen den Feind geführt zu werden, den sie in der sich vor ihnen ausbreitenden Niederung noch nicht zum Kampfe vorbereitet vor sich sehen. In dem sich entspinnenden Kampfe siegt zunächst der unter Severus kämpfende linke Flügel, während die Reiterei des rechten, den der Caesar selbst führt, von den Alamannen unter König Chonodomar geworfen wird, die dann aber bei dem Kern des Fußvolkes unüberwindlichen Widerstand finden und sich zur Flucht wenden, die durch den sumpfigen Boden des Rieds erschwert wird. Die Verfolgung wird bis an den Rhein ausgedehnt, über den sich die Germanen zum Teil schwimmend retten, während andere sich auf den bebuschten Inseln verstecken. Chonodomar sucht zu Pferde sein etwas weiter nördlich am linken Ufer aufgeschlagenes Lager zu erreichen; aber sein Pferd stürzt, er versteckt sich in Wald und Sumpf, wird aber umzingelt und muß sich ergeben. Ein bedeutender Sieg war erstritten, 6000 Germanen gefallen (Ammian. XVI 12, 63: sex milia. Zos. III 3, 3: ἓξ μυριάδες. Liban. II 262, 16: ὀκτακισχίλιοι). I. schickte den gefangenen Germanenfürsten dem zu Sirmium residierenden Kaiser zu, der ihn in Rom internieren ließ, wo er an Altersschwäche gestorben ist. I. aber verfaßte über diese Schlacht und ihre Vorgeschichte eine eigene Schrift, ein βιβλίδιον (Eunap. frg. 9, FHG IV 16. Liban. II 72, 4. Liban. ep. 1125), das uns leider nicht erhalten, aber zum größten Teil in die prunkvolle Schilderung, die Ammian von der Schlacht gibt, übergegangen und auch von Libanios in seiner Leichenrede verwendet worden ist (v. Borries Herm. XXVII 202–207).

[37] Nach Bestattung der Gefallenen, die, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, ohne Unterschied von Freund und Feind stattfand, und Entlassung der vor der Schlacht festgehaltenen germanischen Boten kehrte I. nach Zabern zurück. Von dort sandte er die Beute und alle Gefangenen nach Metz und zog selbst rheinabwärts nach Mainz, um dort den Rhein zu überschreiten und die Germanen in ihrem eigenen Gebiete aufzusuchen. Die nur bei Ammian (Ammian. XVII 1) vorliegende Schilderung dieses Zuges ist außerordentlich unklar, es geht nur so viel aus ihr hervor, daß I. nach seinem Rheinübergang vermutlich die nördlich vom Main wohnenden Alamannen, die, um dem Caesar entgegenzuziehen, den Fluß nach Süden überschritten hatten, in der Front von der Ebene her angriff, während er eine Abteilung seiner Soldaten den Main hatte aufwärts fahren lassen, um ihre von Verteidigern entblößten Gaue hinter deren Rücken zu verwüsten. Durch diesen doppelten Angriff, sowie durch systematische Verwüstung ihres Gebietes und durch die Wiederherstellung und Neuausrüstung eines von den Barbaren vergeblich bestürmten Kastells, vermutlich des an der Mündung der Nidda in den Main gelegenen, schüchterte er die Gegner, darunter tres immanissimi reges (Ammian. XVII 1,13), so ein, daß sie einen Waffenstillstand auf zehn Monate schlossen, während dessen sie das Kastell, wenn nötig, mit Lebensmitteln zu versorgen versprachen. Sodann sandte er seinen Magister equitum Severus nach dem im vorigen Jahre wiedergenommenen Köln, jedenfalls um auch dort das linksrheinische Land von plündernden Banden zu säubern; er sollte dann über Jülich nach Reims in die Winterquartiere ziehen. Severus traf auch tatsächlich auf eine Schar von 600 Franken, die, im Vertrauen auf die Beschäftigung des Caesars mit den Alamannen, bis weit hinein nach Gallien plünderten. Bei der Annäherung des Severus warfen sie sich in zwei verlassene Kastelle an der Maas, wo sie der herbeigeeilte Caesar im Dezember 357 und im Januar 358 54 Tage belagerte und durch Hunger zur Übergabe zwang. Er sandte sie dem Kaiser zur Aufnahme in sein Heer zu (Ammian. XVII 2, 3) und ging dann in die Winterquartiere nach Paris, wo er von da an am liebsten (Iulian. 438, 5: περὶ τὴν φίλην Λουκετίαν) residierte.

Im Mai des J. 358 (Datiano et Cereale conss.) zog I. in so schnellem Marsche nach Nordosten gegen die salischen Franken, die sich unbefugterweise in Toxandria, d. h. südlich der untersten Maas, niedergelassen hatten, daß ihn deren Gesandte erst in Tongern trafen. Der Caesar beschied sie mit zweideutigen Worten, zog dann blitzschnell hinter ihnen her, während er den Severus ihnen in den Rücken schickte, und zwang sie so zur Ergebung, d. h. er schloß das dem Reiche entfremdete Gebiet wieder dem Reiche an. Sodann drang er weiter in das Gebiet der Chamaven ein, die zwischen der alten Yssel und dem Rhein saßen und die für die römischen Besatzungen notwendigen Getreidezufuhr aus Britannien behinderten. Der Praefectus praetorio Galliarum Florentios war bereit, den Chamaven einen recht erheblichen Tribut zu zahlen, und hatte von Constantius die Genehmigung erhalten, dies [38] zu tun, wenn man es nicht gar zu schimpflich finde. I. jedoch hielt es für zu schimpflich (Iulian. 360, 17) und griff die Chamaven an, schlug sie und zwang sie um Frieden zu bitten. Dann stellte er die Kastelle an der unteren Maas wieder her und versorgte sie mit Proviant. Sodann regelte er die Getreidezufuhr aus Britannien neu, vermehrte die dazu bestimmte Flotte von 200 Schiffen um 400, die er im nächsten Jahre selbst von der Rheinmündung aufwärts bis zu den Kastellen geleitete. In demselben Jahre überschritt Severus den Mittelrhein und rückte in das Gebiet des Suomarius und des Hortarius, das wir an der Bergstraße, im Odenwald und im Kraichgau zu suchen haben, ein und zwang sie sich zu unterwerfen, die in Gallien gemachten Gefangenen herauszugeben und sich zu verpflichten, das Heer mit Getreide zu versorgen und Fuhrwerk und Bauholz zum Aufbau der zerstörten Städte zu liefern. Nur bei der Entgegennahme der Unterwerfung des Hortarius scheint I. wieder selbst gegenwärtig gewesen zu sein (Ammian. XVII 10, 8. 9), worauf er sich in die Winterquartiere nach Paris begab. Severus hatte sich bei diesem Feldzug nicht bewährt – Koch (Jahrb. f. Philol. Suppl. XXV [1899], 414) vermutet irgendeine Differenz zwischen ihm und I. – und wurde im folgenden Jahre durch Lupicinus ersetzt.

Im J. 359 (Eusebio et Hypatio conss.) widmete I. sich zunächst der friedlichen Aufgabe des Wiederaufbaus und der Befestigung zerstörter Städte und der Wiedererrichtung und Auffüllung der verbrannten Getreidemagazine, bereitete aber gleichzeitig durch Kundschafter den Angriff auf die noch nicht bezwungenen und bestraften alamannischen Gaue vor. Er zog, wie oben gesagt, nach dem Rheindelta, geleitete von dort die Getreideflotte aus Britannien den Rhein aufwärts (Ammian. XVIII 2, 3. Liban. II 273, 8) und ließ in den wiederhergestellten Ortschaften, Castra Herculis (Huissen in der Betuwe, Liban. II 273, 8), Quadriburgium (Schenkenschanz), Tricensimae (Kellen bei Kleve), Novesium (Neuß), Bonna, Antennacum (Andernach) und Bingio (Ammian. XVIII 2, 4) Besatzungen zurück, traf in letzterem Orte mit dem Praefectus praetorio Florentius, der Soldaten und Proviant mit sich führte, zusammen und zog mit ihm weiter nach Mainz, wo sich auch Lupicinus, des Severus Nachfolger, einstellte. Entgegen der Ansicht dieser beiden obersten Ratgeber, die bei Mainz, welcher Stadt gegenüber sich in der Zwischenzeit ein zahlreiches Heer von Alamannen eingefunden hatte, über den Strom gehen wollten, zog I. weiter stromaufwärts und gewann durch geschickte Täuschung der Feinde bei Nacht auf Schiffen den Übergang, der durch ein von dem neutralen König Hortarius (Ammian. XVIII 2, 13) den übrigen alamannischen Fürsten gegebenes Gelage begünstigt wurde. Zwar gelang es diesen, die auf dem Heimweg in tiefer Nacht mit den Römern zusammentrafen, durch die Finsternis und die Schnelligkeit ihrer Pferde begünstigt, zu entkommen, aber ihr Troß wurde niedergemacht. Darauf zogen die Germanen eiligst ab, und die Römer schlugen eine Brücke, zogen durch das Land des Hortarius in das der feindlichen Alamannen, in welchem sie in gewohnter Weise hausten und bis an die Grenzmarken der Burgunder, [39] die wir vielleicht an dem Schnittpunkt des Limes und der Jagst zu suchen haben (vgl. L. Schmidt Gesch. d. deutschen Stämme II [1915] 278), vordrangen, wo zwei vermutlich nördlich vom Main wohnende alamannische Fürsten, die Brüder Makrianus und Hariobaudes, sowie auch Vadomarius, der König der im südlichsten Schwarzwald Basel gegenüber wohnenden Akmannen, dieser mit Empfehlungsbriefen von Constantius, erschienen. Jenen beiden wurde Friede bewilligt, Vadomarius zwar persönlich freundlich aufgenommen, aber die Fürbitte, die er für die Könige Urius, Ursicinus und Vestralpus einlegte, zunächst abgewiesen, bis sie dann selbst um Frieden baten und diesen unter der Bedingung, daß sie die Gefangenen herausgäben, auch erhielten. Darauf begab sich I. in die Winterquartiere nach Paris, von wo aus er im vorgerückten Winter, womit Dezember 359 oder Januar 360 gemeint sein kann, eine wichtige Expedition ins Werk setzte. Es kam nämlich die Nachricht aus Britannien, daß die Pikten und Skoten in die römische Provinz plündernd und verwüstend eingefallen seien. I. dachte erst wohl daran, selbst nach Britannien hinüberzugehen; da er aber Bedenken trug, das noch immer durch die Einfälle der Germanen bedrohte Gallien zu verlassen, beauftragte er den Magister equitum Lupicinus mit diesem Zuge, der trotz Winterzeit sofort in Boulogne s. M. die nötigen Schiffe versammelte, mit einer ansehnlichen Truppenmacht nach Butupiae (Richborough bei Ramsgate) übersetzte und nach London eilte.

Das J. 360. (Constantio A. X et Iuliano C. III conss.) brachte für I. eine große Veränderung. Constantius mochte der für seinen Caesar sehr ehrenvollen Meinung sein, daß in Gallien und an dessen Grenzen so gesicherte Zustände hergestellt seien, daß hier ein großer Teil der Truppen entbehrt werden könnte, den er selbst gegen die Perser dringend nötig hatte (Liban. II 275, 11. Zosim. III 8, 1. 4). Es ist durchaus nicht notwendig anzunehmen, daß Constantius bei dem Befehle, Truppen abzugeben, eine böse Absicht gehabt habe, wohl aber mochten diejenigen, die ihn auf den Gedanken brachten, eigensüchtige Absichten hegen; denn in mißtrauischen, unselbständigen Charakteren ist leicht ein Verdacht erregt, und wenn das Mißtrauen einmal geweckt ist, gewinnen diejenigen, die es erregt haben und mit den Mitteln zur Abwehr der angeblich drohenden Gefahren bei der Hand sind, an Ansehen und Einfluß, und das ist es, was solche Ratgeber wollen. So wird es auch hier gewesen sein, ob aber gerade der Praefectus praetorio Galliarum Florentius und einige andere, die von I. (363, 24. Ammian. XX 4, 2) genannt werden, die Treibenden gewesen sind, ist nicht bewiesen; vielleicht waren sie pflichtmäßig dazu gezwungen, zu berichten, ob und was der Caesar an Truppen abgeben könne. Über diese Angelegenheit haben wir nur Nachrichten von I. selbst und von durch I. beeinflußten oder für ihn eingenommenen Schriftstellern, daher wird es sehr schwer sein, über den Zweck und die Bedeutung der Forderung des Constantius ins klare zu kommen. Der Kaiser verlangte also im Januar oder Februar 360 vier ganze Auxilia, die der Aeruli (Heruli) und der Batavi, die gerade [40] mit Lupicinus in Britannien waren, und die der Petulantes und Celtae, und von den übrigen Truppenteilen je 300, die Lupicinus, dessen Sendung über den Kanal am Hofe noch nicht bekannt war, auswählen sollte, wahrend I.s Stallmeister Gintonius Sintula die Gewandtesten aus den Leibwächtern aussuchen und dem Kaiser zuführen sollte (Ammian. XX 4, 2); an den Caesar schrieb Constantius, er möge die Tätigkeit der beiden nicht hindern (Iulian. 364, 6). Bei der Unsicherheit, die über die damalige Stärke der Legionen und Auxilien herrscht, und bei unserer Unkenntnis, wie sich in I.s Heer die Zahl der Legionen zu der der Auxilien stellte, ist es unmöglich, genau festzustellen, welcher Bruchteil des bei seinem Aufbruch aus Gallien auf 23 000 Mann angegebenen Iulianischen Heeres (Zosim. III 10, 2), wozu doch wohl noch die in Gallien zurückbleibenden Besatzungen zu rechnen sind, der Kaiser für sich forderte; er kann aber keinesfalls ,kaum viel weniger als zwei Drittel‘ (Seeck Untergang IV S. 282) und auch wohl nicht ,mindestens die Hälfte‘ (Geffcken Kaiser Iulianus 50) betragen haben, jedenfalls aber so viel, daß die Minderung, besonders da gewiß nicht die schlechtesten Leute ausgesucht wurden, eine empfindliche Schädigung I.s bedeutete.

Der Caesar widersetzte sich dem Befehl des Kaisers nicht direkt, sondern machte nur darauf aufmerksam, daß die aus den rechtsrheinischen Gebieten stammenden Soldaten nicht zum Dienst ,jenseits der AlpenGeffcken (ad partes transalpinas, Ammian. XX 4, 4) verpflichtet seien. Ohne sich daran zu kehren, suchte sich Sintula 600 der gewandtesten Leibwächter aus und marschierte damit ab. Im übrigen setzte aber I. dem Befehl des Augustus eine Art passiven Widerstandes entgegen. In seinem Innern mochten sich Gedanken verschiedenster Art begegnen. Einerseits wurde es ihm aus einer gewissen sittlichen Scheu vor Pflichtverletzung und vor dem Schein der Undankbarkeit augenscheinlich schwer, dem Constantius, der doch nun einmal der Übergeordnete war und ihn zum Caesar erhoben hatte, den Gehorsam zu verweigern (Iulian. 361, 18. Zosim. III 5, 4), andererseits hatte ihn das Mißtrauen gegen den Augustus, den er als den Henker seiner nächsten Verwandten betrachtete, nie verlassen (Iulian. 362, 7), ja, es war sogar durch die mehr oder weniger ehrlich gemeinten Einflüsterungen guter Freunde noch verstärkt worden. Auch wird er sich klar gewesen sein, daß die Gehorsamsverweigerung unzweifelhaft zur Annahme der höchsten Würde und damit, wie er den Vetter kannte, zum Kampfe auf Leben und Tod gegen Constantius führen würde, der bisher über innere Feinde immer triumphiert hatte. Aber gerade dies mußte den noch nicht Achtundzwanzigjährigen, der seinen Ehrgeiz vor sich selbst und vor andern immer hinter seiner Liebe zur Philosophie und zur Literatur versteckt hatte, reizen, um so mehr, als er doch schon ganz von dem Gedanken beherrscht war, je eher je lieber dem seiner Ansicht nach kulturfeindlichen und gottlosen Christentum die herrschende Stellung zu nehmen. Obendrein waren zufälligerweise die gegebenen ersten Berater des Caesars abwesend; der Magister equitum Lupicinus weilte in Britannien, und der Praefectus [41] praetorio in Vienne, von wo er unter dem Vorwurfe, für die Verproviantierung des Heeres sorgen zu müssen, auch auf I.s dringende Aufforderung hin nicht zurückkehrte, vermutlich weil er die Schwierigkeiten, die die Auswahl und die Absendung der Soldaten mit sich bringen mußte, voraussah und sich ihnen und den Gefahren, in die er in jedem Falle geraten mußte, entziehen wollte. So trat eine gefährliche Zögerung durch I.s Schwanken ein, das den Soldaten, die größtenteils keine Lust hatten, in den fernen Osten zu ziehen und, soweit sie verheiratet waren, Weib und Kinder zurückzulassen, natürlich nicht verborgen blieb. Ein in diesem Sinne aufreizender Zettel wurde im Quartier der Petulantes, die auch zu den für den Osten bestimmten Truppen gehörten, gefunden (Animian. XX 4, 10.11. Zosim. III 9,1). I. trat hier beschwichtigend ein, indem er für die Familien der Fortmarschierenden die Fahrpost zur Verfügung stellte. Dann war man wieder über den Weg, den die Truppen einschlagen sollten, im unklaren, worauf auf Rat des Notars Decentius, der den kaiserlichen Befehl überbracht hatte, das Allerungeeignetste geschah, nämlich alle Truppen nach Paris berufen wurden, um hier ihre Marschorder zu empfangen. I. spielte auch hierbei wieder eine zweideutige Rolle: er ermunterte sie zwar, dem Befehl des Kaisers Folge zu leisten, entwickelte aber andererseits eine so bestrickende Liebenswürdigkeit gegen alle, daß ihnen der Abschied von einem so gütigen Herrn doppelt schwer werden mußte. Es trat ein, was eintreten mußte. In der Nacht umstellten die Truppen den Palast und harrten bis zum Morgen aus, wo sie dann den erscheinenden I. mit ungeheurem Geschrei als Augustus begrüßten. I. suchte sie auch jetzt zu beschwichtigen, aber halb in Begeisterung, halb im Zorn erhoben sie den Widerstrebenden (Iulian. 365, 24) nach germanischer Weise auf den Schild und kamen nicht eher zur Ruhe, als bis I. sich, da sich nichts anderes fand, mit der Halskette eines Fahnenträgers wie mit einem kaiserlichen Diadem geschmückt hatte (Ammian. XX 4, 18). Gesteigert wurde der Eifer der Soldaten noch durch das in der nächsten Nacht sich verbreitende Gerücht, daß der neue Augustus ermordet worden sei, was sich sehr bald als irrig herausstellte. Am folgenden Tage kehrte auch Sintula mit den bereits abmarschierten 600 Soldaten nach Paris zurück. I., der jedem Soldaten ein Geschenk von fünf Goldstücken und einem Pfund Silber versprochen hatte, hielt eine sehr geschickte Ansprache und beruhigte das Heer vollständig, stand aber jetzt vor der schwierigen Aufgabe, sich mit Constantius auseinanderzusetzen.

Zunächst schrieb er einen Brief an diesen, in welchem er, ohne sich schon den Augustustitel beizulegen, ihm mitteilte, was geschehen war; er bat ihn, ihm jenen Titel zuzuerkennen, erbot sich aber, ihm nach wie vor gehorsam zu sein. Die verlangten Truppen könne er ihm zwar nicht schicken, aber er wolle ihm Mannschaften von den Laten und den unterworfenen Völkerschaften zusenden. Den Praefectus praetorio möge ihm Constantius ernennen, aber die übrigen Stellen wolle er selbst besetzen. Mit diesem Briefe sandte er seinen Magister officiorum Pentadios und seinen [42] Oberstkämmerer Eutherios, die auch das Vertrauen des Constantius genossen, an diesen ab und warb unterdessen die alten Soldaten des Magnentius an (Liban. II 280, 14), die er begnadigt hatte, was nicht gerade als eine Freundlichkeit gegen Constantius erscheinen konnte. Dieser war in der Zwischenzeit von Konstantinopel etwa am 15. Februar 360 gegen die Perser aufgebrochen und wurde von den Boten des I. im März in Caesarea Cappadociae eingeholt (Ammian. XX 9, 1ff.). Das Schreiben I.s erregte den höchsten Unwillen des Kaisers, dessen Gattin Eusebia, I.s Gönnerin, kurz vorher gestorben war (Ammian. XX 6, 4). Er schickte I.s Gesandte zurück und mit ihnen seinen Quaestor Leonas als Überbringer eines Briefs, in welchem er seinen Vetter kurzerhand aufforderte, sich mit dem Caesartitel zu begnügen. Außerdem ernannte er nicht nur in der Person des Nebridios, der bisher I.s Quaestor gewesen war, einen neuen Praefectus praetorio Galliarum als Nachfolger des aus Gallien geflohenen Florentius, dem I. übrigens seine Familie und seine Habe unberührt nachgeschickt hatte, sondern auch einen neuen Magister officiorum für Pentadios und verschiedene andere Beamte; zum Nachfolger des Lupicinus, der die von I. erbetenen Truppen dem Kaiser zuzuführen bestimmt gewesen war, hatte er schon vorher den Gumoarius ernannt. Die durchaus ablehnende Haltung des Constantius hängt unzweifelhaft mit dem Tode der Eusebia zusammen, der dem kaum dreiundvierzigjährigen Kaiser die Möglichkeit einer dritten Heirat und die Aussicht auf Nachkommenschaft eröffnete, und tatsächlich hat er sich nach Ablauf des Trauerjahres (Seeck Untergang IV 489) im Winter 360/1 in Antiochia mit Faustina vermählt, die, wenn auch erst nach des Constantius Tode, ein Kind geboren hat, Constantia, die spätere Gemahlin des Kaisers Gratian (Ammian. XXI 6, 4. 15, 6. XXVI, 7. 10). Die Soldaten hatten, weil sie nur die Nachkommenschaft des großen Constantin an der Spitze des Reichs sehen wollten, 337/8 alle übrigen Nachkommen des Constantius Chlorus getötet, und wir dürfen bestimmt annehmen, daß, solange noch die Möglichkeit direkter constantinischer Nachkommenschaft männlicher Linie vorlag, Constantius niemals zugegeben hätte, daß ein anderer zur Würde des Augustus aufsteige. Dem Boten des Kaisers gegenüber benahm sich I. sehr geschickt. Er nahm ihn freundlich auf, berief dann aber Soldaten und Volk von Paris am folgenden Tag zusammen und ließ das Schreiben des Constantius verlesen. Als man an die Stelle kam, in der der Kaiser erklärte, daß er die Maßnahmen des Caesars nicht genehmige, und daß dieser sich mit der Caesarenwürde genügen lassen müsse, begrüßte die versammelte Menge ihn noch einmal laut rufend als Augustus. Von den vom Kaiser ernannten Beamten nahm er seiner vorher abgegebenen Erklärung gemäß nur den Nebridios als Praefectus praetorio an, zu seinem Magister officiorum hatte er schon vorher an Stelle des Pentadios seinen Freund, den bisherigen Magister libellorum Anatolios, ernannt. Den Leonas sandte er mit einer den Verhältnissen entsprechenden Antwort wieder an den Hof zurück. Sodann sorgte er dafür, daß Lupicinus in Britannien [43] nichts von den Ereignissen in Gallien erfahre. Er selbst machte sich, um zu zeigen, wie ernst er es auch jetzt mit dem Schutze Galliens nehme, zu einem Zuge nach dem Niederrhein auf, den er bei Tricensimae (Kellen bei Kleve) überschritt, um in das Gebiet des Frankenstamms der Attuarii (Chattuarii) einzufallen, der die Grenzen Galliens öfters beunruhigt und seit Menschengedenken keinen Feind gesehen hatte. Er zwang ihm in üblicher Weise einen Frieden auf, kehrte an den Rhein zurück, befestigte und verstärkte dann, den Strom bis Basel aufwärts ziehend, die Grenzkastelle, sicherte das wiedergewonnene linksrheinische Gebiet und begab sich über Vesontio (Besançon) in die Winterquartiere nach Vienne, von wo aus er die Alpenpässe überwachen konnte. Constantius hatte in Caesarea Monate lang gezögert, dann endlich seinen Zug gegen die Perser angetreten, war jedoch, ohne mit diesen, die vorher Singara und Bezabde erobert hatten und dann wieder über den Tigris zurückgegangen waren, zusammenzutreffen, nach Antiochia zurückgekehrt. I. feierte am 6. November 360 zu Vienne seine Quinquennalien im Schmuck des kaiserlichen Diadems (Ammian. XXI 1, 4). Kurz vorher hatte er seine Gattin Helena verloren; ihre Leiche ließ er nach Rom überführen und an der Seite ihrer beiden Schwestern Constantia und Constantina, der Gattin des Gallus, in dem Mausoleum beisetzen, das Constantin der Große in der Vorstadt an der Via Nomentana nahe der Kirche der heil. Agnes für seine frühverstorbene älteste Tochter, die ebengenannte Constantia, hatte errichten lassen (Ammian. XXI 1, 5). Damit war wieder ein Band zwischen den beiden Vettern zerrissen.

Der Beginn des J. 361 (Tauro et Florentio conss.) fand I. in den Vorbereitungen zu dem Zuge gegen seinen Vetter; dazu gehörte es, daß er am 6. Januar zur Feier des Epiphaniasfestes in der Kirche erschien, um die christlichen Soldaten, die von seinen heidnischen Neigungen gehört haben mochten, zu beruhigen (Ammian. XXI 2, 4. 5). Im Beginn des Frühlings machte sich des Constantius Tätigkeit gegen seinen Caesar durch einen Einfall der Alamannen des südlichsten Schwarzwaldes unter ihrem König Vadomar in das nahe Raetien bemerklich. Die Alamannen kehrten zwar mit ihrer Beute über den Rhein zurück, aber es gelang I., den Vadomar, der, Freundschaft für ihn heuchelnd, sich auf das linke Rheinufer begeben hatte, zu fangen; von ihm, wie übrigens auch von anderer Seite, erfuhr er, daß Constantius die Barbaren gegen seinen Vetter mobil gemacht hatte (Iulian. 367, 27. 369, 9. Liban. II 281, 14. 283, 22ff. Ammian. XXI 3, 4); er ließ den unzuverlässigen Nachbar nach Spanien bringen. I. brach seinerseits im Mai in das südlichste Alamannengebiet ein, strafte den Stamm für seinen Raubzug, nahm ihm die Beute ab und ließ sich Pfänder für künftiges Wohlverhalten geben. Auf das linke Rheinufer zurückgekehrt, nahm er das Heer für sich in Pflicht, entließ den Praefectus praetorio Nebridios, der Constantius nicht absagen wollte (Ammian. XXI 5, 4. Liban. II 282, 16), ungekränkt, setzte den Lupicinus, der inzwischen aus Britannien zurückgekehrt war, und einige andere gefangen (Iulian. 361, 26) und beseitigte auch die übrigen Anhänger des Constantius. [44] Da dieser jetzt von Zugeständnissen nichts mehr wissen wollte, sondern dem I. durch Vermittlung eines Bischofs Epiktetus nur das Leben zusicherte (Iulian. 368, 12), ließ dieser im Juli sein Heer auf verschiedenen Straßen nach Osten aufbrechen. Ein Teil marschierte unter Führung des Magister equitum Iovinus und mit dem Quaestor Iovius durch Oberitalien, ein anderer unter dem Magister equitum Nevitta zwischen Alpen und Donau, während I. selbst mit den 3000 Mann (Zosim. III 10, 2), die er bei sich behielt, sich Zeit lassen konnte und mußte, wenn er nicht lange vor den andern Truppen in Sirmium, dem nächsten Ziele seines Zuges, anlangen wollte, wodurch er in große Gefahr hätte kommen können. Er marschierte aus der Gegend von Basel durch den südlichsten Schwarzwald an die obere Donau, und zwar bis zu dem Punkt, wo ihre Schiffbarkeit beginnt, also wohl bis in die Gegend von Ulm, verlud seine Truppen gegen Ende September auf eine große Zahl kleiner Boote und fuhr mit größter Geschwindigkeit den reißenden Strom abwärts. Was über werbende und regierende Tätigkeit während dieser Fahrt berichtet wird, ist wohl alles schönfärbende Phantasie (Mamert. in Panegyrici lat. ed. Baehrens 136 [cap. 7]; auch Liban. II 283, 10. 284, 2); denn viel wichtiger war es, daß I., jeder Nachricht vorauseilend, möglichst unbemerkt und schnell die Fahrt zurücklegte (Ammian. XXI 9, 2). Das vergrößernde Gerücht von I.s herannahenden Streitkräften bewog inzwischen die beiden höchsten Zivilbeamten des Westens, die übrigens gleichzeitig das Consulat bekleideten, den Praefectus praetorio Italiae Taurus und den Praefectus praetorio Illyrici Florentius, den wir aus Gallien kennen, zur Flucht. Nach elftägiger Fahrt (Zosim. III 10, 3. Ammian. XXI 9, 6: ut fax vel incensus malleolus ad destinata festinans. Liban. II 283, 4: ὥσπερ χειμάρρους) langte I. um den 10. Oktober 361 bei dem am rechten Donauufer zwischen der Mündung von Drau und Sau, etwa 30 km nördlich von Sirmium gelegenen Bononea (wahrscheinlich heute Banastor) an, rückte gegen das stark befestigte Sirmium vor, überrumpelte den dort kommandierenden Magister equitum Lucillianus, wurde von der Bevölkerung freudig empfangen und veranstaltete Circusspiele. Zwei Legionen und eine Sagittarierkohorte, die er hier vorfand, schickte er, weil er sich nicht auf sie verlassen zu können glaubte, nach Gallien. Unterwegs setzten sie sich in Aquileia fest, dessen Bevölkerung dem Constantius ergeben war. Inzwischen brach er, nachdem sich Nevitta mit seinen Truppen bei ihm eingefunden hatte, von Sirmium nach Naïssus auf, wo er in der zweiten Hälfte des Oktober eintraf. Hier erfuhr er von dem Abfall der Legionen in Aquileia, dirigierte den Magister equitum Iovinus, der mit seinen Truppen in Noricum angelangt war, dorthin und befahl allen in jener Gegend durchpassierenden Truppenteilen sich jenem anzuschließen, um die Stadt so schnell als möglich zu bezwingen (Ammian. XXI 11, 2. 12, 2). Die Rebellion in Aquileia und das durch sie veranlaßte Ausbleiben des Iovinus war der Grund für das längere Verweilen des I. in Naïssus, das er dazu benutzte, um publizistisch sein Vorgehen zu verteidigen und die Grundsätze, nach [45] denen er zu regieren gedachte, darzulegen. Von hier aus schrieb er die Briefe an die Athener, die Korinther und die Lakedaimonier (Zosim. III 10, 4. Liban. II 284, 14), von denen uns nur der erste erhalten ist. Die Art und Weise, wie er sein Verhalten zu rechtfertigen sucht, beweist, daß er sich nicht frei von Schuld fühlte, und daß er seine rhetorischen Studien nicht umsonst gemacht hatte; denn die ganze Darstellung läuft auf eine scharfe Anklage gegen Constantius hinaus, dessen Verhalten ihn gegen seinen Willen zur Erhebung gezwungen habe. Er verfaßte hier auch eine uns nicht erhaltene Anklagerede gegen Constantius an den Senat in Rom, die so gehässig war, daß diese Körperschaft sie mit Entrüstung ablehnte (Ammian. XXI 10, 7). Da traf gegen Ende des November die Nachricht ein, daß Constantius, der von Antiochien gegen seinen Vetter aufgebrochen war, in Mopsukrene in Kilikien am 3. November 361 vom Tode ereilt worden sei, und daß er, was in I. doch wohl eine gewisse Beschämung wachrief, ihn als seinen Nachfolger bezeichnet habe (Ammian. XXII 2, 1). Wenn Traumgesichte dem I. den Tod seines Vorgängers auch vorher verkündet hatten (Ammian. XXI 1, 6 und XXII 1, 2), so kam die Botschaft doch unerwartet, da Constantius erst 44 Jahre alt war; sie befreite den jungen Augustus plötzlich von allen Befürchtungen über den Kampf mit dem gefährlichen Gegner und bestärkte ihn in der Meinung, daß er von den Göttern zu Großem ausersehen sei.

Über die nichtkriegerische Tätigkeit I.s während seines Aufenthalts in Gallien ist zusammenfassend zu bemerken, daß er die geliebten Studien durchaus nicht vernachlässigt hat; er hat Reden (Or. I, II, III und VIII) verfaßt, Briefe geschrieben und viel gelesen (Ammian. XVI 5, 4–7); unter anderem ist der Brief an Themistios (Iulian. 328–345), der eine Art Erörterung über den Idealherrscher gibt, wohl mit Seeck (Untergang IV 469f. gegen Asmus Philos. Bibl. Bd. 116, 23, der ihn Ende 361 ansetzt) in das J. 356 zu [1] setzen. Ferner hat er sich mit Eifer in den Waffen geübt (Ammian. XVI 5, 10), sich jedenfalls auch mit kriegswissenschaftlicher Literatur beschäftigt und sich mit Eifer und Erfolg an der Zivilverwaltung beteiligt. Er sprach oft selbst Recht (Ammian. XVI 5, 12. XVIII 1, 2) und bemühte sich vor allem die finanziellen Lasten der Provinzialen zu erleichtern (Ammian. XVI 5, 14 [wozu Seeck Rhein. Mus., N.F. XLIX 630] XVII 3, 1ff. XVIII 1, 1), worüber er, wie es scheint, mit Florentius in Konflikt kam. Im ganzen hat er sich jedenfalls in diesen Jahren als ein tüchtiger Regent bewährt, der seine guten Absichten mit Energie, ja manchmal mit Eigenwilligkeit in die Wirklichkeit zu übersetzen wußte. Seine ersten militärischen Erfolge verdankte er wohl mehr den tüchtigen ihm beigegebenen Generalen; insbesondere der Sieg bei Brumat war kaum sein eigenstes Verdienst. Aber daß er sich mit völliger Todesverachtung immer in den ersten Reihen der Kämpfenden bewegte, war sehr viel wert und unterschied ihn vorteilhaft von seinem Vetter Constantius. Bei der Wiederherstellung der Kastelle, bei ihrer Befestigung und ihrer Versorgung mit Truppen und Lebensmitteln bewährte er sich als tüchtiger Organisator. Die höchsten Beamten, [46] die I. während seiner Caesarenzeit zur Seite standen, waren folgende. Die Würde des Praefectus praetorio Galliarum bekleidete Florentius und nach ihm Nebridios (Ammian. XX 9, 5 und 8), dann in Stellvertretung Germanianus, schließlich im Hauptamt Flavius Sallustius (Ammian. XXI, 8, 1; vgl. Seeck Briefe des Libanios S. 264). Als Magistri militum (bzw. peditum oder equitum) folgten aufeinander Ursicinus, Marcellus (Ammian. XVI 2, 8), Severus, Lupicinus (Ammian. XVIII 2, 7), Gumoarius, Nevitta (Ammian. XXI 8, 1) und Iovinus, letzterer nur vorübergehend, da er bald für Illyricum ernannt wurde (Ammian. XXI 12, 2). Praepositus cubiculi des I. war dauernd der hochgerühmte Eunuch Eutherios (Ammian. XVI 7, 2–4), sein Magister officiorum erst Pentadios, dann nach Zurückweisung des von Constantius gesandten Felix I.s Freund Anatolios, der vorher sein Magister libellorum gewesen war (Ammian. XX 9, 5 und 8). Als Quaestor stand ihm zuerst der durch einen die Lehre des Iamblichos wiedergebenden Abriß auch als Philosoph bekannte Saturninius Salutius Secundus (Zosimus III 2, 2. 5, 3f.; Iulian. 362, 26. 363, 20. Liban. II 272, 17; vgl. Seeck Briefe des Libanios S. 266. Zeller D. Philosophie der Griechen III 2⁴, 793) zur Seite, der schon in den Quellen sehr häufig Sallustius genannt und mit dem oben genannten Flavius Sallustius verwechselt wird. Er war unzweifelhaft der zuverlässigste und gediegenste ältere Freund des jungen Caesars, der seinen Schmerz über die im Frühling 358 erfolgte Abberufung dieses Mannes aus Gallien in einer Trostrede an sich selbst (Iulian. 311–327 [Or. VIII], übersetzt von Asmus Philos. Bibl. Bd. 116, 1–20) Ausdruck gab und ihm später als Augustus auch die Caesares und die Rede auf den König Helios (Iulian. 168–205 [Or. IV], übersetzt von Asmus ebd. S. 129–172) widmete. Des Salutius Nachfolger als Quaestor wurde Lucillianus (Iulian. 363, 21), der von dem obengenannten späteren Praefectus praetorio Nebridios (Ammian. XX, 9, 5) abgelöst wurde, auf den wiederum Iovius (Ammian. XXI 8, 1) folgte.

Die Nachricht vom Tode des Augustus muß in Naïssus etwa am 1. Dezember 361 eingetroffen sein. I. machte sich eiligst auf und erreichte über Serdica (Sofia) und die Paßhöhe von Succi (das Traianstor, türkisch Kapudzik), die er vorher durch Nevitta hatte besetzen lassen, da sie die wichtigste Verbindung zwischen Illyricum und Thrakien bildete, und über Philippopel Heraclea-Perinthus, von wo aus er, von der Bevölkerung von Konstantinopel mit Jubel begrüßt und eingeholt, am 11. Dezember seinen Einzug in die Hauptstadt hielt (Ammian. XXII 2, 4). Um das Glück vollzumachen, traf auch die Nachricht ein, daß die aufständischen Legionen in Aquileia nach Bekanntwerden von des Constantius Tode kapituliert und sich nach Auslieferung der Rädelsführer dem neuen Kaiser angeschlossen hätten (Ammian. XXII 8, 49). Nachdem Constantius unter großer Feierlichkeit und mit ostentativer Trauerbezeugung I.s beigesetzt war (Liban. II 286, 13ff.), ernannte er seinen alten Freund und Berater Saturninius Salutius Secundus zum Praefectus praetorio Orientis und stellte ihn an die Spitze einer Kommission, die über eine Anzahl hervorragender [47] Helfer des Constantius und Gegner I.s und seines Bruders Gallus zu Gericht sitzen sollte. Ihr ordnete er seinen Comes largitionum Claudius Mamertinus, der die Verhandlungen geleitet zu haben scheint, die Magistri equitum Arbitio, Nevitta, Iovinus und den Magister peditum Agilo bei und ließ sie, um sie dem Einfluß der Hauptstadt zu entziehen, in Kalchedon tagen (Ammian. XXII3, 1ff.). Dieses außerordentliche Gericht, das man nach seiner Zusammensetzung ein Kriegsgericht nennen darf, verurteilte einige, die es wohl verdient hatten, zum Tode, den Notar Paulus, der einer der gehaßtesten Ankläger im Dienste des Constantius gewesen war (Iulian. 363, 19. Liban. II 301, 12. Ammian. XXII 3, 10), den Agens in rebus Apodemios, der bei dem Sturz und der Hinrichtung des Gallus seine Hand im Spiele hatte, und den mächtigsten Mann am Hofe des Constantius, den Oberstkämmerer Eusebios, auf dessen Einfluß eine Anzahl gerade der gehässigsten Maßregeln des Kaisers zurückzuführen ist, aber auch den Comes largitionum Ursulus, der sich dem I. in Gallien sogar freundlich erwiesen hatte und jetzt, wie es scheint, der persönlichen Feindschaft der Offiziere wegen einer bei Gelegenheit der Belagerung von Amida gegen sie gerichteten Äußerung zum Opfer fiel (Ammian. XXII 3, 7f. XX 11, 5. Liban. II 301, 20). Florentius, der frühere Praefectus praetorio Galliarum, wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Bei dieser Gelegenheit muß auch schon den Dux Aegypti Artemios, dessen Hinrichtung sonst in die Zeit von I.s Anwesenheit in Antiochia, also in die Zeit zwischen Juni 362 und März 363, verlegt wird, sein Schicksal ereilt haben (vgl. Görres Ztschr. f. wiss. Theologie XXX 241 und 243 und Seeck Untergang IV 335f. 505); er hatte in Gemeinschaft mit dem arianischen Bischof Georgios von Alexandrien die heidnischen Tempel und Götterbilder geschändet und zerstört, und die Nachricht seines Todes gab dem alexandrinischen Pöbel das Signal zur grauenvollen Ermordung des Georgios, die, wie sicher feststeht, am 24. Dezember 361 stattfand (Ammian. XXII 11, 3 und 8. Larsow Die Festbriefe des hl. Athanasius 28). Einige andere wurden verbannt, so der Consul des noch laufenden Jahres Taurus, was Ammian., der über dieses unzweifelhaft überstürzte gewalttätige Scheingerichtsverfahren des sonst von ihm so hochbelobten I. entrüstet ist, zu der Äußerung veranlaßt, was dieser Mann denn anderes getan habe als seine Pflicht, jedenfalls könne man nur mit Empörung im amtlichen Protokoll lesen: consulatu Tauri et Florenti inducto sub praeconibus Tauro (Ammian. XXII 3,4). Sehr nützlich war es andererseits, daß I. die kaiserliche Kasse durch Entlassung einer großen Zahl von Dienern und Angestellten, Köchen, Haar- und Bartscherern und aller Eunuchen entlastete (Sokr. III 1, 50. Ammian. XXII 4, 10).

Inzwischen begann das Jahr 362 (Mamertino et Nevitta conss.); I. handelte insofern nicht folgerichtig, als er damals das tat, weswegen er kurz vorher Constantin d. Gr. herb getadelt hatte: er ernannte einen Barbaren, den Magister equitum Nevitta, zum Consul (Ammian XXI 10, 8. 12, 25). Mit großem Eifer widmete er sich der religiösen Frage. Vielleicht schon in Naïssus [48] hatte er die Verordnung erlassen, daß die heidnischen Tempel wieder geöffnet, wo sie ganz oder teilweise zerstört waren, auf Kosten derer wiederhergestellt werden sollten, die an der Zerstörung teilgenommen oder das Material zum Bauen von Häusern benützt hätten, daß wieder geopfert und die Verehrung der Götter wieder erneuert werden solle (Ammian. XXII 5, 2. Sokr. III 1, 48. Sozom. V 3, 1. Liban. II 289, 20ff.); zugleich aber hatte er allgemeine Glaubensfreiheit verkündigt, wodurch, wie I. wohl voraussehen konnte, die Christen veruneinigt werden mußten (Ammian. XXII 5, 3-5). Bald darauf, vermutlich in Konstantinopel, erließ er ein Edikt, das die Rückkehr aller verbannten Bischöfe, nicht auf ihre Sitze, sondern in ihre Heimat (Ammian. XXII 5, 3. Sozom. V 55, 2. Iulian. 522, 2. 515, 5) und die Rückgabe der konfiszierten Güter an sie befahl (Iulian. 560, 2ff.). Der Kirchenhistoriker Sokrates (III 1, 44ff.; vgl. auch Rufinus, ed. Mommsen X 28 und Iulian selbst 559, 18ff.) sieht in allen diesen Anordnungen nur die Absicht, sich das Wohlwollen der zahlreichen Gegner des Constantius zu erwerben, der die Orthodoxen verfolgt, die Heiden an ihrem Gottesdienst gehindert und durch die Eunuchenwirtschaft an seinem Hofe sich viele Feinde gemacht habe; deshalb habe I. die Orthodoxen und die Heiden begünstigt, die Eunuchen, die er, da er sich nicht wieder habe verehelichen wollen, nicht nötig gehabt habe (Sokr. III 1, 50. Sozom. V 5, 8), entfernt. Das ist eine sehr oberflächliche Ansicht. Bei I. handelte es sich um Höheres, als nur um die Befestigung seiner Herrschaft. Bei den Eunuchen spielt freilich die von jedem natürlich empfindenden Menschen gegen diese ,Mannweiber‘ (z. B. Iulian. 496, 15) gehegte Abneigung mit, die er in Einzelfällen, wie bei Mardonios und Eutherios, sehr wohl zu unterdrücken verstand, aber was die andern Maßregeln betrifft, so dienten sie dem höchsten und von seinem Standpunkt aus idealsten Zwecke, um dessentwillen allein schon die Alleinherrschaft ihm begehrenswert erschien. I. lebte ganz in der Welt althellenischer Schönheit, und diese war in seiner vielleicht nicht ganz klaren Vorstellung von der Verehrung der alten Götter, die er sich allerdings etwas vergeistigt dachte, nicht zu trennen. Gegenüber dem Christentum, das gerade im 4. Jhdt. durch die unglaubliche Heftigkeit des Streites der Sekten und zum großen Teil auch durch die Hinterhältigkeit und Gewalttätigkeit berufener Vertreter und eifriger Bekenner der christlichen Lehre einem philosophischen Beobachter wenig anziehend erscheinen mußte und durch seine Vermischung aller Stände und Verwischung aller Bildungsunterschiede bei den feineren Geistern überhaupt leicht Anstoß erregte, schien die Lehre der altgriechischen Philosophen, auch in der Form, die ihnen der Neuplatonismus gegeben hatte, als das bei weitem Höherstehende, dem auserwählten Geiste einzig Angemessene. Nichtsdestoweniger hatte er zunächst jedenfalls nicht die Absicht, die Christen irgendwie mit Gewalt zu unterdrücken (Iulian. 485, 11. 547, 7. 560, 12ff. Liban. 287, 7. Rufin. X 33), er lud sogar Christen an seinen Hof, wie den Aëtios, den Berater seines Bruders Gallus (Iulian. 522, 1), und seinen athenischen Studiengenossen, den [49] späteren Bischof Basileios den Großen von Caesarea (Iulian. 492, S), und diese Toleranz entsprach einerseits unzweifelhaft seiner Sinnesart; andererseits aber hatte er ans der Geschichte der früheren Christenverfolgungen gelernt, daß jeder Märtyrer für eine Sache diese fördert (Sokr. III 5). Er hätte von der Überlegenheit seiner religiösen Anschauungen über den Glauben der Christen, den er in den ersten Monaten seiner Regierung mehr als bemitleidenswerten Irrtum denn als verderbenbringende Torheit ansah, nicht so durchdrungen sein müssen, wie er es war, wenn er nicht des Glaubens gewesen wäre, daß jene durch ihre innere Kraft über das Christentum siegen müßten. Deshalb beschränkte er sich zunächst auf Verspottung (Liban. II 287, 6) und Herabsetzung der Christen, die er verächtlich Galiläer, welcher Name aber nicht wie Gregor Naz. (or. IV 76, Migne 601) behauptet, gesetzlich festgelegt war, nannte, um sie durch den Hinweis auf ihre Herkunft aus einem verachteten Erdenwinkel dem Hohn preiszugeben, ließ ihnen auch wohl durch Beamte Zurücksetzungen widerfahren (Iulian. 485, 16), hoffte andererseits aber auch durch Belehrung auf sie zu wirken (Iulian. 547, 5). Aber er wurde zu schärferen Maßregeln durch die aggressive Haltung der Christen selbst gezwungen, die sich nicht darauf beschränkten, Eingriffe, wie sie durch die Verordnung über die Wiederöffnung der heidnischen Tempel und über die Herausgabe der diesen früher gehörigen Güter verursacht wurden, abzuwehren, sondern sich Übergriffe und kecke Herausforderungen erlaubten. So ist kein Grund, zu bezweifeln, daß das, was Sokrates (III 12) über die Beschimpfung des Kaisers durch den alten erblindeten Bischof Maris von Kalchedon erzählt, richtig ist, ebenso die Zerstörung der Götterbilder in dem neueröffneten Tempel zu Merus (Sokr. III 15. Sozom. V 5, 5 nennt die Stadt Misos), einer unweit Kotyaïon (Kutahia) in Phrygien gelegenen Stadt, und die gerade jetzt erfolgende Niederreißung des letzten heidnischen Tempels in Caesarea Cappadociae durch die größtenteils christlichen Einwohner, die vorher schon den Tempel des Zeus und des Apollon zerstört hatten (Sozom. V 4). Auch ist die Vernichtung des von I. besonders geschätzten Apollontempels in Daphne bei Antiochia unzweifelhaft auf Brandstiftung durch antiochenische Christen zurückzuführen (Ammian. XXII 13, 1). Auch die Vorgänge in Alexandria, im besondern das Verhalten des Athanasios, waren derart, daß I. zu schärferen Schritten gereizt werden mußte. So nahm er dem Klerus die ihm bisher zustehende Gerichtsbarkeit und das Recht, Testamente auszufertigen und die Kirche zur Erbin einsetzen zu lassen (Iulian. 561, 2. Sozom. V 5, 2). Sodann ernannte er in die höchsten Stellen heidnische Beamte, die oft der christlichen Bevölkerung sehr unbequem waren, wie Anfang 363 den Renegaten Modestus (Seeck Briefe des Libanios S. 215) zum Praefectus urbi in Konstantinopel, der bald durch einen Aufstand vertrieben wurde, und den Alexander (Ammian. XXIII 2, 3) zum Consularis Syriae. An Stelle des Labarum, der von Constantin d. Gr. eingeführten Kreuzfahne mit dem Zeichen Christi, führte er als Feldzeichen die alten römischen Adler wieder ein, was auf Grund [50] einer Äußerung von Gregor Naz. als die erste christenfeindliche Maßregel angesehen wird, jedenfalls aber nicht vor dem Tode des Constantius erfolgt ist. Er schloß die Christen sodann von den hohen Hof- und Staatsämtern aus, mit der Begründung, daß ihnen ja verboten sei, das Schwert zu führen (Rufin. X 33. Sokr. III 13), und diesen Kunstgriff, unter Berufung auf ihre eigenen Lehren und Anschauungen sie allmählich aus dem öffentlichen Leben auszuschalten, der seine sophistische und rhetorische Ausbildung verrät, hat er weiterhin systematisch gehandhabt. Wenn Christen sich über habsüchtige Beamte beschwerten, so erinnerte er sie spöttisch daran, daß es das Gebot ihres Gottes sei, Unrecht geduldig zu ertragen (Sokr. III 13, 9). Ein andermal nimmt er den Arianern Edessas, die sich an den Valentinianern vergriffen hatten, ihr Kirchenvermögen und zieht es ein, damit sie, wie er sich ausdrückt, bequemer ins Himmelreich kämen (Inlian. 547, 26. Sokr. III 13, 9). Sehr bezeichnend ist auch sein Verhalten gegenüber der Stadt Bostra, der Hauptstadt des römischen Arabien, wo Christen und Heiden sich die Wage hielten (Sozom. V 15). Auf eine Drohung I.s, den – übrigens als Schriftsteller bekannten – Bischof Titus und die Geistlichkeit der Stadt für jede Ruhestörung zur Rechenschaft ziehen zu wollen, schrieb der Bischof dem Kaiser, daß auf seine (des Bischofs) Ermahnungen hin die Christen sich ruhig verhielten. I. benützte diese loyale Mitteilung in einer Weise, die neben seiner sonst oft bewiesenen Großzügigkeit sehr kleinlich erscheint. In einem Schreiben vom 1. August 362 (Iulian. 559, 17ff.) fordert er die Bostrener auf, ihren Bischof zu vertreiben, da aus dessen Worten hervorgehe, daß er sie verleumde, da er ihr gesetzliches Verhalten nur seinen Ermahnungen zuschreibe. Auch gegen Athanasios ging der Kaiser vor. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Todes des Constantius war der oben schon erwähnte arianische Bischof Georgios von Alexandria zunächst wohl, um vor der Wut des Volks geschützt zu sein, vom Praefecten am 30. November 361 gefangen gesetzt und, wie auch schon erwähnt, auf die Nachricht von der Hinrichtung seines Helfershelfers, des Dux Artemios, am 24. Dezember 361 mit dem Vorsteher der kaiserlichen Münze Dracontios, der den Altar in der Münze umgestürzt hatte, und einem Dritten, namens Diodoros, in dem ich einen Geistlichen zu erkennen glaube, der Knaben schon die Tonsur zu geben pflegte, ermordet worden (Larsow Festbriefe des hl. Athanasios S. 38. Ammian. XXII 11, 3–11). I. billigte die Ermordung natürlich nicht; aber daß sie ihm nicht ungelegen war, geht aus dem an die Alexandriner gerichteten Schreiben deutlich hervor (Iulian. 488, 14ff.). Athanasios kehrte auf des Kaisers Rückberufungsdekrct Anfang März 362 (Larsow Festbriefe S. 39) nach Alexandria zurück, nahm seinen verwaisten Bischofssitz wieder ein und gewann auch sofort wieder verschiedene Heiden für das Christentum. Dies erregte den Zorn des Kaisers, der den kühnen Bischof, da er ja nur die Rückkehr in die Heimat, aber nicht auf den Bischofssitz gestattet habe, aufs neue verbannte (Iulian. 514, 23. 556, 1). Athanasios verschwand sofort, indem er seine Gemeinde damit [51] tröstete, daß ,dieses Wölkchen bald vorübergehen‘ werde (Rufin. X 35), und blieb bis nach I.s Tode in der Verborgenheit. Die zum größten Teile christlichen Bewohner von Alexandrien faßte er sehr mild an und suchte sie durch Liebenswürdigkeit und Schmeicheleien zum alten Glauben zurückzuführen. – Der Stadt Pessinus, die sich in irgend einer Angelegenheit an ihn gewandt hatte, ließ er durch den Oberpriester von Galatien mitteilen, er werde ihnen helfen, wenn sie zur Verehrung der in ihr heimischen Göttermutter zurückkehrten (Iulian. 555, 8). Ähnliches berichtet Sozom. (V 3, 5) über Nisibis. Auch kann der Kaiser nicht davon freigesprochen werden, daß er mehrere Male die Ermordung von Christen ungesühnt gelassen hat, so in Gaza (Sozom. V 9), so auch in Arethusa (heute Restan), einer zwischen Epiphania und Emesa in Syrien gelegenen Stadt, wo der Bischof Marcus, den die Menge zum Schadenersatz für früher zerstörte Tempel zwingen wollte, auf seine Weigerung hin zu Tode gequält wurde (Sozom. V 10. Liban. ep. 730. Gregor. Naz. or. IV, cap. 88, Migne 35, 616f.). In seinem Misopogon weist I. sogar die Antiochener auf das gute Beispiel ihrer Nachbarn hin, die nicht nur die Tempel der Götter wiederaufgerichtet, sondern auch die Märtyrergräber zerstört hätten, wie es z. B. die Emesener getan hatten (Iulian 461, 16), und ganz unzweifelhaft ist auch der von Sozomenos (V 20) überlieferte Befehl I.s, zwei Märtyrerkapellen nahe dem Apollontempel von Didyma (nach der berühmten Priesterfamilie auch Branchidae genannt) bei Milet niederzureißen, tatsächlich gegeben worden. Zu diesen gegen die Christen gerichteten Maßregeln gehörte auch die Absicht, den Tempel der Juden zu Jerusalem wiederaufbauen zu lassen, womit er seinen Freund Alypios betraute (Ammian. XXIII 1, 2. 3. Sokr. III 20, 2. Iulian. 512, 16; ep. 25, die ich für echt halte), ein Plan, der trotz aller darüber berichteten Wundergeschichten wohl nie ins Werk gesetzt worden ist.

Am schwersten aber wurde von den Christen empfunden, daß I. ihnen den üblichen grammatischen und rhetorischen Unterricht zu erteilen verbot (Ammian. XXII 10, 7. XXV 4, 20. Sokr. in 12, 7. Sozom. V 4, 7) mit der Begründung, daß die Schriftsteller, an denen man diese Studien treibe, nicht bloß ihrer Form, sondern auch ihres Inhalts wegen gelesen würden und eine Norm auch für 5 das sittliche Verhalten abgeben sollten (Iulian. contra Christianos ed. Neumann 204, 12ff.), daß es aber, da die Christen den Inhalt dieser Schriftsteller verwürfen, widersinnig sei, daß sie diese ihrem Unterricht zugrunde legten, und daß sie mit den Waffen, die sie ihnen entnähmen und an ihnen schärften, deren Inhalt aufs erbittertste bekämpften (Iulian. 544, 6ff. Sokr. III 12, 7). Es handelt sich dabei trotz Rufinus (X 33; auch Zonar. XIII 12, 25 A) nur um ein Lehrverbot; denn ein Lernverbot lag gar nicht in der Richtung von I.s Maßregeln, der davon, daß nur Heiden den Unterricht in der bisherigen Form erteilen durften, eine Bekehrung junger Christen erwarten mochte (Iulian. 547, 4). Auch aus Gregors Worten (Gregor Naz. or. IV cap. 101, Migne 35, 636) ist nicht zu folgern, daß er von einem Lernverbot habe sprechen wollen; aber [52] die Durchführung des Lehrverbots wird tatsächlich viele Christen davon abgehalten haben, ihre Kinder in die Rhetorenschulen zu schicken. I. äußert einmal halb spöttisch, die Christen sollten doch ihren Unterricht an Matthäus und Lukas anknüpfen (Iulian. 546, 17); daß an den Evangelisten eine der bisherigen gleichwertige formale Schulung nicht gewonnen werden konnte, war ihm naturlich ebenso klar, wie den christlichen Rhetoren selbst. Daher versuchten sofort zwei christliche Gelehrte, Apollinarios Vater und Sohn (Sokr. III 16. Sozom. V 18), dem abzuhelfen, indem der Vater eine grammatische Unterweisung für Christen ausarbeitete, der berühmtere Sohn, seit 362 Bischof von Laodikeia in Syrien, der übrigens auch eine Schrift ερ ἀληθείας gegen I.s Verbot schrieb, die Bücher Mose in griechische Hexameter brachte, die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments zu epischen Gedichten gestaltete und die Evangelien und die Lehren der Apostel in platonische Dialoge verwandelte. Das für die Bildung der Christen so gefährliche Verbot verlor mit I.s Tode seine Bedeutung und ebenso die Werke der beiden Apollinarios, die daher auch der Nachwelt vorenthalten geblieben sind. Zu dem Feldzug gegen die Christen gehört auch des Kaisers schriftstellerische Tätigkeit, im besonderen muß auf den in Antiochia entstandenen, in der Hauptsache gegen die Christen dieser Stadt gerichteten Misopogon hingewiesen werden, vor allem aber auf die Schrift gegen die Christen, die uns leider nicht erhalten, aber von K. J. Neumann, soweit möglich, mit großem Scharfsinn wiederhergestellt worden ist (Iuliani Imp. librorum contra Christianos quae supersunt, ed. Neumann, Lipsiae 1880). Auch diese Schrift ist im Winter 362/3 in Antiochia entstanden, denn daß I. sie, wie man im Anschluß an eine Äußerung des Hieronymus vermutet hat, auf dem persischen Feldzug ausgearbeitet habe, ist ausgeschlossen (ebd. 7).

Es ist nicht möglich, die verschiedenen allgemeinen Maßregeln und besonderen Eingriffe, die in die fünf Vierteljahre von Anfang Dezember 361 bis Anfang März 363 fallen, sämtlich oder auch nur zum größeren Teil genau zu datieren: soviel aber steht fest und ist auch ausdrücklich bezeugt (Sokr. III 11, 1. Iulian. 485, 11. 547, 7. 560, 12. 561, 11. 562, 12), daß der Kaiser zu Anfang durchaus nicht gewalttätig vorgehen, daß er vielmehr das Christentum seiner Selbstzersetzung überlassen wollte, die er vielleicht durch die Rückberufung der Bischöfe zu beschleunigen gedachte, daß er aber allmählich durch die geringe Wirkung seiner Erlasse und die Widersetzlichkeit der Christen auf den Weg der Gewalt gedrängt wurde, deren Anwendung bei der Ungleichmäßigkeit, die sich bemerkbar machte, einen schlimmeren Eindruck machte als die gleichmäßige Feindseligkeit früherer Herrscher.

Der gegen das Christentum gerichteten abwehrenden und unterdrückenden Tätigkeit geht eine aufbauende zugunsten des Heidentums zur Seite. I. nahm es mit seinem Amt als pontifex maximus (μέγας oder μέγιστος ἀρχιερεύς, Iulian. 383, 8, 584. 15), das herkömmlicherweise mit dem kaiserlichen verbunden war, sehr ernst (vgl. hierzu Asmus Ztschr. f. Kirchengesch. XVI 45-71. [53] 220–252) und hat in der kurzen Zeit seiner Alleinherrschaft eine sehr eifrige organisatorische Tätigkeit entfaltet, die – das ist das Merkwürdige – die christliche Organisation zum Muster nahm. Es war seine Absicht, das ganze Reich in heidnische Metropolitanbezirke zu teilen, an deren Spitze je ein ἀρχιερεύς treten sollte, dem sämtliche Priester der Provinz unterstellt und die Beaufsichtigung des gesamten Gottesdienstes in derselben übertragen sein sollte (Iulian. 586, 10). Er hatte sich die Ernennung der Oberpriester vorbehalten (Iulian. 501, 12ff.), und an ihn sollten bei etwa entstehenden Konflikten die Appellationen gerichtet werden. Aber er ging noch viel weiter, soweit, daß Gregor von Nazianz ihm Nachäffung (πιθήκων μιμήματα Gregor. Naz. or. IV cap. 112, Migne 35, 649) christlicher Einrichtungen vorwerfen konnte. Die Vorschriften, die er über die Eigenschaften eines Priesters gab (Iulian. 372, 9ff. 586, 14), die Anordnungen, die er über Predigt, Gesang (Iulian. 386, 27. 566, 3ff.), ja, wenn wir Gregor Glauben schenken dürfen, über die Einrichtung heidnischer Klöster traf, die Erlasse, die die Ausübung der Liebeswerke (Iulian. 391, 9ff. 553, 6. 19ff.), für die er sogar Staatssteuern anweisen will, Almosengeben, Sorge für die Grabstätten und ähnliches empfahlen, lassen keinen Zweifel, daß er die Christen in diesen Punkten für vorbildlich hielt. Er vergaß dabei nur, daß eine einheitliche Leitung auch eine Einheitlichkeit des Glaubens voraussetzte, wie sie die Christen trotz allen Sektenwesens in den Hauptpunkten eben doch besaßen, und wie sie dem Heidentum abging, für das der Neuplatonismus zwar in den Schriften des Plotin und des Iamblichos ein allerdings nur wenigen zugängliches dogmatisches System zu schaffen versucht hatte, das sich aber dem Christentum gegenüber doch nur in der Ablehnung eins fühlen konnte. Er selbst opferte täglich meist mehrmals (Iulian. 518, 6. Liban. II 37, 11. 208, 13. 213, 14. Ammian. XXV 4, 17. Sokr. III 20, 2: φιλοθύτης) und schlachtete in Nachahmung seines Vorbildes Marc Aurel viele Stiere. Er verehrte besonders den Helios, den er gewissermaßen als den Hausgott seiner Familie betrachtete (vgl. Maurice Compt. rend. de l’Acad. des inscr. 1910, 96–103; Revue Archéolog. 4e série 17 [1911]), suchte allerdings auch berühmte Kultusstätten anderer Götter mit rührender Andacht auf. In die eleusinischen Mysterien hatte er sich vermutlich während seines Aufenthalts in Athen einweihen (Eunap. vitae soph. 52 Boisson.), und als Kaiser den verfallenen Tempel wiederherstellen lassen (Mamert. Panegyrici lat. 138, 5 Baehr.). Auf seinem Zuge von Konstantinopel nach Antiochia machte er einen Abstecher nach Pessinus in Galatien (Ammian. XXII 5, 5. Liban. II 40, 9), um der dort besonders verehrten Göttermutter zu huldigen, von Antiochia aus besuchte er den Iuppitertempelref group="WS">Vorlage: Iuppitertemtempel</ref> auf dem gewaltigen Mons Casius (heute Djebel Akraa, Ammian. XXII 14, 4. Liban. II 112, 14. 310, 18), auch zu dem Apollonheiligtum in Didyma bei Milet trat er in nahe Beziehungen (Iulian. 382, 5. 584, 2. 14). In Antiochia pflegte er besonders die Verehrung des Apollon in dessen in der Vorstadt Daphne (heute Bêt el-Mâ, etwa 8 km von Antiochia) gelegenen Tempel, wo er [54] bei einem von ihm mit großer Feierlichkeit in Szene gesetzten Opferfest eine grausame Enttäuschung erlebte und nach seiner eigenen Darstellung eine kläglich-lächerliche Rolle spielte (Iulian. 467, 4ff.).

Diese und andere Erfahrungen (z. B. in Galatien Iulian. 553, 9ff. 555, 8; in Kappadokien 484, 10), die geringe Zahl von Bekehrungen, unter denen die seines mütterlichen Oheims, des Comes Orientis Iulianus, seines alten Lehrers Hekebolios, der nach I.s Tode wieder konvertierte, und die des Bischofs Pegasius von Neu-Ilium, hervorzuheben sind, erfüllten ihn mit Bitterkeit, und wie sein Verhalten gegen die Christen immer unfreundlicher geworden ist, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß er nur durch seinen frühen Tod daran verhindert worden ist, noch schärfer gegen sie vorzugehen. Sein Berater in religiösen Angelegenheiten war sein Lehrer Maximus (Eunap. vit. soph. 46ff. Boiss.), den er gleich nach Beginn seiner Alleinherrschaft, ebenso wie einige andere Philosophen, an den Hof berief, und der im Januar 362, von I. mit Jubel begrüßt (Ammian. XXII 7, 3. Liban. II 303, 7), in Konstantinopel eintraf, von da ab den Kaiser nicht mehr verließ und auch an dessen Sterbelager stand. Maximus war aber nicht nur ein Verehrer der alten Götter und ein Philosoph, er war auch ein Wundermann, ein Gaukler, wie man wohl etwas scharf gesagt hat, der nicht nur die Götter verehrte, sondern es auch verstand, mit ihnen in direkte Verbindung zu treten (Eunap. 51), sie zur Äußerung ihres Willens zu bringen und mit ihrer Hilfe die Zukunft zu ergründen. Und da ist es denn erstaunlich, wie ein Mann von solchem Scharfsinn wie I., mit einem so fein zergliedernden Verstand, wie es namentlich seine Galiläerschrift beweist, so ganz abhängig von den Zauberkünsten dieses Mannes werden konnte, und es ist ein trauriges Schauspiel, zu sehen, wie bei den wichtigen Entscheidungen, die im Perserfeldzug getroffen werden mußten, die das Heer begleitenden verschiedenen Zukunftskünder (Ruf. X 34: magi, filosofi, haruspices, augures) miteinander in Streit geraten, und bald diese, bald jene den Ausschlag geben, so gelegentlich den Etrusci haruspices gegenüber zum Leidwesen des abergläubischen Ammian (XXV 5, 10) die ,Philosophen‘, deren Weisheit die der Etrusker allerdings kaum übertraf. Der rastlose Gottsucher hatte, nachdem ihn Philosophie und Theologie, die er mit heißem Bemühen studiert hatte, nicht zum Ziel geführt hatten, sich eben auch ,der Magie ergeben‘.

Was die übrige Verwaltungstätigkeit I.s betrifft, so haben wir schon gesehen, daß er sich bemühte, eine größere Sparsamkeit zu erzielen. So steuerte er namentlich dem übermäßigen Gebrauch der staatlichen Posten (Cod. Theod. ed. Mommsen-Meyer VIII 5, 12 [362 Febr. 2]. 13 [362 Juni 20]. 14 [362 Sept. 9]), verschärfte die Kontrolle der öffentlichen Einnahmen (Cod. Theod. VIII 1, 6 [362 Jan. 17]. 7 [362 März 1]), beschränkte die Ausgaben für die Haustruppe der Domestici (Cod. Theod. VI 24, 1 [362 Aug. 18]), beseitigte die mißbräuchliche Benutzung staatlicher Gebäude durch Privatleute (Cod. Theod. XV 1, 8 [362 Dez. 2]. 10 [362 Dez. 7]) in der schon in Gallien bekundeten und betätigten Absicht, die [55] Untertanen zu erleichtern. Diesem Zwecke dienten auch eine Anzahl von Gesetzen, die sich auf die bei der Steuererhebung eingeschlichenen Mißbräuche beziehen (Cod. Theod. XI 3, 3 [363 Febr. 16]. 4 [363 Febr. 27]. 16, 10 [363 März 13]). Auch eine geordnete Rechtspflege lag dem Kaiser am Herzen; namentlich lag ihm daran, daß die an ihn selbst eingelegten Berufungen nicht, wie es oft vorgekommen zu sein scheint, hintertrieben würden (Cod. Theod. XI, 30, 29 [362 Sept. 22]. 30 [362 Dez. 18]. 31 [363 März 23]). In einem dieser Erlasse äußert er sich ganz persönlich: nobis moderantibus rem publicam nullum audebit iudex provocationis perfugium iurgantibus denegare (Cod. Theod. XI 30, 30 S. 632). Charakteristisch für I.s Bildungsbestrebungen ist, daß er nicht nur die früher erteilten Privilegien der Ärzte und Lehrer bestätigt (Cod. Theod. XIII 3, 4 [362 Mai 12]), sondern den Stand zu heben sucht, indem er vorschreibt, daß sie nicht nur auf ihre Kunst, sondern auch auf ihren Charakter hin geprüft werden und von dem Rat der Stadt, in der sie lehren wollen, vorgeschlagen und von ihm selbst bestätigt werden sollen (Cod. Theod. XIII 3, 5 [362 Juni 17]); man tut dem Kaiser doch wohl Unrecht, wenn man darin nur eine Maßregel gegen die Christen erblicken will.

Für seine Auffassung von der kaiserlichen Gewalt ist bezeichnend, daß er dem Senat – es handelt sich jetzt nur um den in Konstantinopel – sichtbarlich besondere Ehre zu teil werden lassen will, womit er weniger an Augustus als an die von ihm so hoch verehrten Adoptivkaiser, in Sonderheit an Marc Aurel (Iulian. 328, 8. 407, 23ff. 422, 3ff, 427, 22ff.) anknüpft. So bestätigt er ihm Freiheit von bestimmten Lasten (Cod. Theod XI 23, 2 [362 März 13]) und gewährt bei einem gegen einen Senator eingeleiteten strafrechtlichen Verfahren diesem Stande, in quo nos quoque ipsos esse numeramus, eine gewisse Sonderstellung (Cod. Theod. IX 2, 1 [362 Febr. 2]). Demgemäß erschien er von Zeit zu Zeit im Senat und ergriff öfters das Wort. In der gleichen Richtung lag es, wenn er am 1. Januar im Gefolge der neu ernannten Consuln erschien, und wenn er sich bei einem versehentlichen Eingriff in die Gerichtsbarkeit der Consuln selbst eine Geldstrafe auferlegte (Ammian. XXII 7, 1. 2), wenn er ferner für das J. 363 sich selbst und einen Untertanen, welche Zusammenstellung seit mehr als sechzig Jahren nicht mehr vorgekommen war, als Consuln promulgierte (Ammian. XXIII 1, 1), womit er die Rückkehr zu den Anschauungen der schönsten Zeit des Kaisertums andeuten wollte.

Wenn wir jetzt den Faden der einzelnen Handlungen des Kaisers wieder aufnehmen, so finden wir ihn noch am 12. Mai 362 in Konstantinopel (Cod. Theod. XIII 3, 4). Bald darauf muß er von dort aufgebrochen sein, denn er ist zur Zeit des Adonisfestes, das ein Ernte- und Sommersonnenwendefest ist (Ammian. XXII 9, 15), also in den Juni fällt, in Antiochia eingetroffen. Dazu stimmt, daß Libanios an einer Stelle sagt, er habe sich den ganzen Sommer und den Winter (Liban. II 122, 18), an einer andern, er habe sich neun Monate (Liban. II 308, 16) in Antiochia aufgehalten, was, da I. am 5. März 363 von Antiochia aufgebrochen ist, auf den Anfang Juni 362 zurückführen [56] würde. Daneben kommt die Angabe des Zosimos (III 11, 3), I. habe zehn Monate in Konstantinopel geweilt, nicht in Betracht; denn diese würde für die Abreise I.s aus der Hauptstadt, wo er am 11. Dezember 361 eingezogen war, die erste Hälfte des Oktober 362 ergeben, wo er nach Ausweis des Cod Theod. schon zwei Monate in Antiochia weilte. Das Datum des Erlasses Cod. Theod. VII 4, 8 ist, worauf Gothofredus (Cod. Theod. III p. 300) und nach ihm Rode (Gesch. der Reaction K. Iulians 68, 1) und Seeck (Untergang IV 495) hingewiesen haben, gegenüber der gegenteiligen Vermutung der letzten Herausgeber (Cod. Theod. I 1 p. CCXXXVI. I 2 p. 316) bestimmt unrichtig und aus dem Wortlaut desselben, der den 1. August als Endtermin für die Gültigkeit des Verfügten angibt, falsch ergänzt, wohingegen das von den Herausgebern angezweifelte Datum des vorhergehenden Reskripts (362 Juli 28) den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Der Kaiser zieht (Ammian XXII 9, 2–5. 13–15) über Nikomedia und Nicaea bis an die Grenze von Gallograecia (Galatia), biegt von der großen Straße ab, um der ältesten Kultstätte der Göttermutter zu Pessinus (Liban. II 306, 9) einen Besuch abzustatten, zieht sodann über Ankyra, wie es scheint, eiligst durch Kappadokien, wird an der Grenze von Kilikien von dem dortigen Statthalter Celsus (Liban. II 305, 10; ep. 648. Ammian. XXII 9, 13), einem alten Studienfreund, empfangen, der, vom Kaiser hochgeehrt, ihn durch die Provinz geleitet. An der Grenze Syriens empfängt ihn eine Gesandtschaft der Antiochener, darunter Libanios, der vom Kaiser nicht gleich erkannt, aber von des Kaisers Oheim, dem Comes Orientis lulianus, ihm vorgestellt und von ihm freudig begrüßt wird (Liban. ep. 648; opera I 141, 1ff. Förster). Erst in Antiochia nach der Ankunft hielt Libanios seine Ansprache, den προσφωνητικὸς Ἰουλιανῷ (Liban. II 46–82). Gleich zu Beginn seines Aufenthalts traf er eine jener Maßnahmen, von denen es zweifelhaft sein kann, ob sie mehr seiner Menschenfreundlichkeit oder seiner Volkstümlichkeitshascherei entsprungen sind. Er setzte, ohne auf die tatsächlichen Verhältnisse und die Vorstellungen des Stadtrats Rücksicht zu nehmen, die Preise für Lebensmittel herunter und erntete dafür nur Widersetzlichkeit, Hohn und Spott (Iulian. 476, 2ff. Ammian. XXII 14, 1ff. Sokr. III 17. Sozom. V 18). Mit dem Pöbel von Antiochia – und der größte Teil der Bevölkerung war Pöbel – machte I. überhaupt traurige Erfahrungen. Nicht nur daß die Antiochener den mehr oder weniger eindringlichen Aufforderungen des Kaisers, sich an seiner Götterverehrung zu beteiligen, einen passiven Widerstand entgegensetzten, sie machten sich auch über den Kaiser und seine philosophischen Trabanten weidlich lustig, verlachten sie, karikierten sie und ließen ihren Witz in der Gassenjungenmanier der Großstadtbevölkerung an ihnen aus (Iulian. 471, 8 u. o); besonders des Kaisers Philosophenbart, den er als Caesar hatte ablegen müssen, jetzt aber wieder trug (vgl. Eckhel D. N. VIII 136), gab Anlaß zu unendlichen Spöttereien, die den Kaiser bewogen, sein Pamphlet gegen die Antiochener Misopogon zu nennen (Ammian. XXII 14,3. Sokr. III 17, 4). Wie schon erwähnt, war auch [57] hier I. sehr eifrig im Besuch der Heiligtümer und im Opfern und hoffte durch sein Beispiel wirken zu können. Die besonders bevorzugte Stätte seiner Opfer war der Apollontempel in der Vorstadt Daphne, bei dem es auch eine castalische Quelle gab, die, von Hadrian einstens verschüttet, jetzt von I. wieder geöffnet wurde (Ammian. XXII 12, 8. Rufin. X 36). In diesem Tempel wollte I. Aufschluß über die Zukunft erhalten. Aber die Antwort wurde ihm nicht, und zwar, wie ihm von den Priestern gesagt wurde, weil unmittelbar neben dem Tempel das Grab des Märtyrers Babylas liege, dessen Nähe die Verkündigung des Orakels hindere. I., dem der Totenkult der Galiläer überhaupt ein Greuel war (Iulian. contra Christ. ed. Neumann 225, 8ff.), ließ infolgedessen den Leib des Heiligen nach der Stadt transportieren (Liban. II 210, 6. IV 315, 1. Sokr. III 18. Sozom. V 19), und die Antiochener gestalteten diese Überführung zu einer großen Kundgebung für das Christentum und gegen I., der auch Verhaftungen und Bestrafungen anordnete, ohne bei der großen Masse die eigentlich Schuldigen treffen zu können. Doch dies war des Kummers für I. noch nicht genug, am 22. Oktober 362 brannte der Apollontempel nieder (Ammian. XXII 13, 1. 2. Iulian. 446, 8. 466, 14ff.), und wenn die Kirchenhistoriker sich darin gefallen, diesen angeblich durch Blitz entstandenen Brand als göttliche Strafe darzustellen (Sozom. V 20. J Theodoret. III 11), so kann, wie oben gesagt, dennoch kein Zweifel bestehen, daß Christen die Brandstifter gewesen sind. Der Kaiser ließ zur Vergeltung die Hauptkirche von Antiochia schließen und ihr Vermögen einziehen (Ammian. XXII 13, 2. Sokr. III 18 und 19. Sozom. V 8 und 19. Theodoret. III 12). Der Spott und Hohn, den die Antiochener über den Kaiser selbst, den Stiertöter und Fleischhändler, den Ziegenbock ausgossen (Ammian. XXII 14, 3. Sokr. III 17, 4. Iulian. Misopogon an verschiedenen Stellen), beweist einerseits die selbst unter diesen Verhältnissen milde Gesinnung des Kaisers, andererseits aber seine vollkommene Unfähigkeit, sich bei der großen Menge in Achtung zu setzen. Seine Rache an den Antiochenern war der erwähnte Misopogon, eine Schrift, die zwar die große schriftstellerische Gewandtheit des Kaisers zeigt und den Antiochenern manche bittere Wahrheit sagt, trotzdem aber ihren nächsten Zweck vollkommen verfehlt, weil Ironie auf den Menschenschlag, auf den sie in diesem Falle gemünzt war, durchaus keinen Eindruck macht, und weil der Kaiser, was sich aus seiner ungeheuren Überschätzung des geschriebenen Wortes erklärt, sich schon dadurch etwas vergab, daß er sich mit diesem Pöbel überhaupt in eine Diskussion einließ. Der dritte Schlag, den er gegen die Antiochener zu führen beabsichtigte, war die für seine Rückkehr vom Perserzug geplante Verlegung seiner Residenz nach Tarsos, die tragischerweise nur dadurch zur Ausführung kam, daß er dort beigesetzt wurde (Ammian. XXIII 2, 4f. Liban. II 141, 5).

I. war in Antiochia schriftstellerisch sehr tätig. Außer einer großen Zahl von Briefen und dem sieben Monate nach seiner Ankunft daselbst, also Januar 363, vollendeten Misopogon verfaßte er die an seinen philosophischen Freund Salutius gerichtete [58] Rede auf den König Helios, deren Inhalt ihm ,ungefähr in drei Nächten‘ kam, und ferner, wie oben erwähnt, die Schrift gegen die Christen. Am 1. Januar 363 trat er sein viertes Consulat zusammen mit dem Praefectus praetorio Galliarum Flavius Sallustius an (Iuliano A. IV et Sallustio conss.). Trotz aller andern Betätigungen des Kaisers galt der Aufenthalt I.s in erster Linie dem Feldzug gegen die Perser (das Beste über den Feldzug Sudhaus De ratione, quae intercedat inter Zosimi et Ammiani de bello a Iuliano imp. cum Persis gesto relationes, 1870). Eine persische Gesandtschaft, die sich dort einstellte, um über die streitigen Punkte friedlich zu verhandeln, wies der Kaiser verächtlich ab (Liban. II 307, 6ff. Sokr. III 19), und am 5. März verließ er, begleitet von einem vertriebenen persischen Prinzen Hormizda, Antiochia und begann damit den Feldzug gegen die Perser, bei dem ihm das Beispiel des großen Alexander vorleuchtete , den zu erreichen oder zu übertreffen sein Ehrgeiz war. I. hatte die Stadt im Groll verlassen; daher eilte der größte Teil des Rats der Antiochener, dem es allmählich klar geworden zu sein scheint, daß der Kaiser ihnen doch mancherlei Schaden tun könne, ihm nach und erhielt auch auf der ersten Marschstation Litarbae Zutritt zu ihm; aber erreicht haben sie nichts. Von dort aus zog er über Beroea (Aleppo), Batnae ciseuphratenses (Zosim. ed. Mendelssohn 128 Anm.) (Bâb) nach Hierapolis (Membidj) (Iulian. 525, 17ff.), wo er vom 9.-12. März weilte und die Truppen zusammenzog (Iulian. 519, 13. Ammian. XXIII 2, 7). Von hier aus überschritt er den Euphrat und gelangte über Batnae in Osrhoene am 14. März nach Carrhae, wo er zwei Tage verweilte und das Fest der Luna, die in seinem Göttersystem auch eine bevorzugte Stellung einnahm, beging. Hier soll er vor dem Altar der Göttin dem ihm verwandten Prokopios ohne Zeugen ein purpurnes Gewand übergeben und ihn als seinen Nachfolger bezeichnet haben (Ammian. XXIII 3, 2. XXVI 6, 1ff.; vgl. Seeck Briefe d. Libanios 247). Von hier aus waren zwei Wege nach Persien möglich (Ammian. XXIII 3, 1. Zosim. III 12): der eine führte zum Tigris und an ihm entlang durch Adiabene, der andere am Euphrat entlang, durch Assyria, worunter damals auch die Landschaft zwischen Euphrat und Tigris unterhalb der Mündung des Chaboras in den Euphrat verstanden wurde. Den letzteren beschloß er mit 65 000 Mann (Zosim. III 13, 1) selbst einzuschlagen, während er Prokop und den früheren Dux Aegypti Sebastianus mit einem kleineren Heer (Ammian. XXIII 3, 5: 30 000. Liban. II 330, 8: 20 000. Zosim. III 12, 5: 18 000. Magnus FHG IV 5: 16 000 Mann) auf ersterem nach dem Tigris sandte, damit sie sich womöglich mit dem König Arsakes von Armenien vereinigten und mit diesem Korduene (das Kurdenland) und Moxoene (das Gebirgsland südlich des Wansees) durchziehend, das reiche Chiliocomum und andere Gebiete des westlichen Mediens verwüstend und nach Süden marschierend, sich ihm wieder anschlössen. Er selbst zog am Belias (Belikh) entlang nach Süden über Davana und erreichte am 21. März Callinicum (früher Nicephorium, heute Ragga) am Euphrat oberhalb der Mündung jenes Flusses, wo er den [59] Tag des römischen Festes der Göttermutter, den 27. März, festlich beging. Am Ufer des Stroms abwärts ziehend, empfing er unterwegs unter Zelten eine Gesandtschaft der Saracenen (der Arabes scenitae), die ihm huldigend einen goldenen Kranz überreichten und sich dem Heere anschlossen. Hier holte den Kaiser auch die von dem Tribunen Constantianus und dem Comes und Magister equitum Lucillianus geführte, in Samosata gebaute Euphratflotte ein, die aus 1000 Lastschiffen mit Lebensmitteln, Geschossen und Belagerungsmaschinen, 50 Kriegsschiffen und 50 Pontons bestand (Ammian. XXIII 3, 9: im ganzen 1100 Schiffe. Zosim. III 13, 2: mehr als 1150. Magnus FHG IV 5 : 250, jedenfalls zu lesen 1250). Weiterziehend gelangte das Heer in den ersten Tagen des April nach Circesium (Cercusium) an der Mündung des Chaboras in den Euphrat; I. verstärkt die dort liegende Besatzung von 6000 Mann um 4000 (Magnus FHG IV 4), überschreitet in den nächsten Tagen mit einer gewissen Feierlichkeit den Chaboras und damit die Reichsgrenze. Der Marsch berührt weiterhin Zaitha, vor dem das Grabmal des Kaisers Gordian III. aus der Ebene aufragte, und das zerstörte Dura. Das Heer marschierte jetzt in weit auseinandergezogenen Kolonnen, so daß die Spitzen der von dem Magister equitum Lucillianus geführten Vorhut von dem Ende der von dem Comes domesticorum Dagalaifus, dem Dux Victor und dem Dux von Osrhoene Secundinus geführten Nachhut 12 bis 15 km Abstand hatten (Ammian XXIV 1, 3). Den Kern des Fußvolks, der die Mitte des Hauptheers bildete, kommandierte der Kaiser selbst, den rechten Flügel, der am Flußufer entlang marschierte, Nevitta, den linken Flügel, dem die Reiterei unter Hormizda beigegeben war, Arinthaeus; außerdem befand sich ein nicht unbeträchtlicher Teil des Heeres auf den Schiffen, und der Kaiser scheint sich ihm oft zugesellt zu haben. Nach mehreren Tagemärschen näherte man sich der Ortschaft Phathusa, vor der im Euphrat auf einer Insel der befestigte Platz Anatha (heute dort in der Nähe noch Anah) gelegen war. Von Lucillianus mit 1000 auf Schiffe gesetzten Leichtbewaffneten bedroht, ergaben sich die Einwohner, wurden jedoch nach dem syrischen Chalkis verpflanzt. Bei dem nächsten ähnlich gelegenen Kastell Thilutha begnügte sich der Kaiser mit dem sehr nichtssagenden Versprechen der Einwohner, daß sie sich dem Sieger unterwerfen würden. Das Heer passiert weiterhin die Ortschaften Achaiachala und Baraxmalcha, ohne sich weiter aufzuhalten, erreichte, nachdem durch eine übergesetzte Abteilung die etwa 10 km westlich vom Euphrat gelegene, von ihren Einwohnern größtenteils verlassene Stadt Diacira angesteckt und die Zurückgebliebenen getötet worden waren, große Erdharzquellen, dann über die Ortschaften Sitha und Megia die Stadt Ozogardana (Ammian. XXV 2, 3) oder Zaragardia (Zosim. III 15, 3), wo eine aus Stein aufgemauerte Gerichtsstätte an den Aufenthalt des Kaisers Traian erinnerte. Bei der Ortschaft Macepracta näherte man sich den Ruinen der medischen Mauer, hinter der die auch Verteidigungszwecken dienenden Bewässerungskanäle, die Euphrat und Tigris verbinden, beginnen. Das Heer überschreitet den ersten derselben, den Narraga (vgl. Ritter Erdkunde [60] X 17, 145f.: heute Nahr Isa), nimmt das an ihm gelegene große, stark befestigte, wassergeschützte Pirisabora oder Bersabora (heute Ambar) unter erheblichen Schwierigkeiten in zwei Tagen, bemächtigt sich der dort lagernden Lebensmittel, Waffen und Kriegsmaschinen und steckt die Stadt in Brand. An der Ortschaft Phissenia vorbeiziehend, erreicht das Heer den Naharmalcha (Königsfluß) genannten Verbindungskanal, zieht unter Benutzung von Schläuchen, Lederbooten und Bohlen durch das von den Feinden unter Wasser gesetzte Gelände an ihm entlang bis zu der von ihren jüdischen Einwohnern verlassenen Stadt Bithra, die, nachdem die Soldaten dort einquartiert gewesen waren, verbrannt wird, und wendet sich dann zur Belagerung der stark befestigten Stadt Maiozamalcha, die durch energischen Minenangriff nach tapferem Widerstande in zwei Tagen erobert und dann zerstört wird. Unter fortdauernden Kämpfen mit den Persern, bei denen sich der Kaiser unter Verachtung jeder Lebensgefahr immer in den vordersten Reihen befand, erreichte man ein königliches Wildgehege, das I. öffnen ließ, um den Soldaten die Gelegenheit zu geben, die darin gefangen gehaltenen Löwen, Wildschweine usw., zu jagen und zu töten. So näherte er sich dem Trümmerfeld von Seleukia, auf dem sich, wie es scheint, damals einige kleinere Wohnplätze und Kastelle erhoben (Sudhaus a. a. O. 66). Südlich von Seleukia, das zwischen dem Naharmalcha und dem Tigris lag, verband ein ursprünglich von Traian hergestellter, von Septimius Severus erneuerter Graben, der jetzt von den Persern mit Steinmassen verschüttet war, die beiden Wasserläufe. I. ließ ihn räumen und brachte so seine Flotte aus dem Naharmalcha in den Tigris. Das Heer aber überschritt den Traiansgraben und erreichte damit Coche, das auf dem von dem genannten Graben, dem Tigris und dem unterhalb von Coche in letztern fließenden Naharmalcha gebildeten Landstück lag. Coche aber war von der persischen Hauptstadt Ktesiphon nur durch den Tigris getrennt und gehörte gewissermaßen zu ihr. Vor dem Übergang über den Tigris selbst und dem Angriff auf die Hauptstadt ließ der Kaiser sein Heer sich von den Anstrengungen der letzten Wochen erholen (Ammian XXIV 6, 3). Hier war es auch, wo er zur Feier seines Geburtstages, der also in die letzten Tage des Mai oder die ersten des Juni fällt, Spiele veranstaltete; denn an der Tatsache, daß er die Spiele veranstaltete (Liban. I 147, 10. II 344, 13. Sozom. VI 1. Rufus Festus cap. 28. Eunap. FHG IV 22), ist, obwohl sie weder von Ammian noch von Zosimus berichtet wird, nicht zu zweifeln, and ebensowenig an der Richtigkeit der Angabe, daß der Tag der Spiele sein Geburtstag war, obwohl wir sie nur einer Notiz der Anthologia Palatino (XIV 148) verdanken. In der folgenden Nacht setzte das Heer unter heftigem Widerstand der Perser über den Tigris und erstieg das hohe Ufer nördlich von Ktesiphon, lieferte den Persern unter den Mauern der Stadt eine von Mitternacht bis zum nächsten Mittag dauernde siegreiche Schlacht, die ihm das Eindringen in dieselbe ermöglicht hätte, wenn es nicht einerseits durch die Absicht, die Gefallenen auszuplündern, andrerseits [61] durch den Befehl des vorsichtigen Victor, der einen Kampf in den Straßen der dichtbevölkerten Stadt für den Römern verderblich hielt, abgehalten worden wäre,

So stand denn der Kaiser siegreich vor den Toren der feindlichen Hauptstadt und schien dem Ziele eines endgültigen Sieges nahe zu sein. Der Perserkönig schickte auch Gesandte, die einen ehrenvollen Frieden anboten. Es ist nicht ganz klar, aus welchem Grunde I. die Friedensanerbietungen zurückwies. War es wirklich das Beispiel Alexanders d. Gr., die Absicht, es ihm mindestens gleichzutun oder ihn gar zu übertreffen, die ihn veranlaßte, die bisher errungenen Erfolge aufs Spiel zu setzen, oder war es die ernsthaftere Erwägung, daß nur durch eine völlige Niederwerfung des Erbfeindes die Ruhe des Reichs gewährleistet werde, und der Ehrgeiz, sich diesen Ruhm zu erwerben? Und ganz grundlos war die Hoffnung auf solche Niederwerfung nicht, da man erwarten konnte, daß die Truppen unter Prokopios und Sebastianus, vereint mit dem Heere des Armenierkönigs, den Tigris abwärts heranmarschierten, und daß es dann möglich werden würde, Ktesiphon zu erobern. Die beiden Hauptquellen, Ammian und Zosimus, schweigen über die Gründe, die I. bewogen, die Anträge des Perserkönigs abzuweisen, während Ammian wenigstens einen Grund für den Abzug von Ktesiphon angibt, nämlich die Unmöglichkeit, die durch ihre Lage sehr starke Stadt, wenn sie verteidigt würde, zu nehmen, und die große Überlegenheit des persischen Heeres (Ammian. XXIV 7, 1). Zunächst hielt sich der Kaiser noch etwa acht Tage in nächster Nähe der Stadt, wo wir das Kastell Abuzatha zu suchen haben, auf (Zosim. III 26, 1. Eutrop. X 16: castra apud Ctesiphontem stativa aliquamdiu habuit); wahrscheinlich wartete er auf das andere Heer oder wenigstens auf Nachrichten von demselben; dann aber zog er ab, und zwar, da es noch kein Rückzug sein sollte, vom Tigris nach Norden in das Binnenland. Vermutlich war das römische Heer sehr stark zusammengeschmolzen und die Verproviantierung äußerst schwierig; daß große Schwierigkeiten vorlagen, beweist auch die von Libanios (II 345, 6) berichtete Tatsache, daß der höchste Beamte (ὑφ’ ᾧ ἦν τῆς δυνάμεως τὸ πλέον), vermutlich also Salutius, sich schon gegen die Überschreitung des Tigris ausgesprochen habe. Aus dem Entschluß, in das Innere des Landes zu ziehen, ergab sich aber die Notwendigkeit, die mitgeführten Schiffe zu verbrennen, da sie stromaufwärts auf dem reißenden Tigris nicht fahren konnten und so nur die Beute der Perser geworden wären (Ammian. XXIV 7,4: das Ziehen der Flotte hätte 20 000 Mann erfordert. Liban. II 350, 9ff.); der Beschluß wurde ausgeführt, und nur eine geringe Zahl kleiner Schiffe verschont (Ammian. XXIV 7, 4: 12. Zosim. III 26, 3: 18 römische und 4 griechische Schiffe), die, auf Wagen mitgeführt, dazu dienen sollten, etwaige Flußübergänge zu bewerkstelligen. Sobald die Perser von dem Abmarsch der Römer nach Norden gehört hatten, schwärmten sie aus der Stadt heraus, verwüsteten das Land, das den Römern Nahrungsmittel liefern sollte, und beunruhigten das Heer durch fortdauernde Angriffe. Zunächst versuchten die Römer tatsächlich im [62] Binnenland zu bleiben; sie erreichten die Ortschaft Noorda und überschritten den Durus; beide Namen finden sich bei Zosimus (III 26, 3f.), sind aber, wie auch die weiterhin genannten, schwer zu identifizieren. Der Nebenfluß des Tigris, der überschritten worden sein muß, ist der Dialas (von Ammian. XXIII 6, 21 Diabas genannt), und es ist wahrscheinlich, daß dieser sich unter dem Durus des Zosimus verbirgt. Bei Barsaphtha (Zosim. III 27, 1) ist das Heer wohl wieder am Tigris, den es nun nicht mehr verläßt. Der Entschluß, sich vom Binnenland wieder dem Tigris zuzuwenden, ist wohl mit dem von Ammian (XXIV 8. 5) mit gewissem Nachdruck erwähnten vom 16. Juni 363 identisch, nach Korduene aufzubrechen. Unter fortdauernden, immer kühner werdenden Angriffen der Perser berührte das Heer (nach Zosim. III 27, 2ff.) das zwischen den Städten Nisbara und Nischandalba am Tigris gelegene Dorf Symbra, das vielleicht mit der Villa Hucumbra des Ammian (XXV 1, 4) identisch ist, sodann Danaba und Synka, Akkete und das Dorf Maronsa, das wir in dem Tractus Maranga des Ammian (XXV 1, 11) wiedererkennen, schließlich Tummara am Tigris, das jedenfalls dasselbe ist, wie das bei Ammian (XXV 6,4) genannte Sumere, heute Samarra. Zeitlich lassen sich die Ereignisse der letzten Tage folgendermaßen verteilen: nachdem am 17. Juni heftig gekämpft worden war, rastete das Heer am 18. und 19. in Hucumbra (= Symbra?), die nächsten zwei Tage waren wieder mit Kämpfen ausgefüllt, am 22., 23 und 24. Juni war ein vermutlich von den Römern erbetener Waffenstillstand (von Ammian. XXV 3, 1 falsch gesetzt), während am 25. bei Maranga (= Maronsa) wieder ein erbittertes Gefecht stattfand. Als I. am 26. Juni früh aufgebrochen war, erneuerten sich die Angriffe der Perser von allen Seiten: I., wegen der Hitze ohne Panzer und nur von einem Schild gedeckt (Ammian. XXV 3, 3), war wie immer ohne jede Rücksicht auf Todesgefahr eifrig tätig, die Truppen anzuspornen und aufzumuntern , als er von einem Speer (nur Zosimus III 29, 1: ξίφει) am rechten Arm und in der Seite getroffen wurde (Ammian. XXV 3, 6). Es ist nicht zu bezweifeln, daß dieser Speer von einem Angehörigen des römischen Heeres geschleudert worden ist, aber nicht von einem Christen, sondern von einem verbündeten Sarazenen aus dem Stamm der Taïener (Liban. II 517. 4: Ταϊηνός τις; dazu Crusius Philol. LI 735). Der Kaiser wurde, wie das in solchen Fällen immer geschieht, als die alleinige Ursache alles Mißgeschicks und als das Hindernis für den Abschluß eines Friedens um jeden Preis angesehen; das war es, was die Hand des Barbaren in Bewegung setzte, der außerdem durch die jedenfalls nicht verborgen gebliebene Abneigung der unzweifelhaft im Heere sehr zahlreichen Christen in seinem Vorhaben gestärkt sein mochte, ohne daß diese in irgend einer Weise bei der Tat selbst die Hand im Spiele hatten. I. wurde auf einem Schild in ein Zelt gebracht (Zosim. III29,1), wo er bald die Gewißheit seines bevorstehenden Todes erkannte. Er berief die beiden Philosophen Maximus und Priscus zu sich (Ammian. XXV 3, 23), unterhielt sich mit ihnen, solange es möglich war, und starb kurz vor Mitternacht, ohne einen Nachfolger bezeichnet zu haben (Ammian. [63] XXV 3, 22. Liban. II 855, 18). Am folgenden Tage wurde, nachdem der alte Salutius abgelehnt hatte (Ammian. XXV 5, 3. Liban. II 355, 9), der Primicerius domesticorum Iovianus, ein Christ, zum Augustus gewählt Der Rückzug wurde mit möglichster Schnelligkeit fortgesetzt und mit den Persern ein sehr ungünstiger Frieden geschlossen. Die Leiche I.s wurde von dem Heere mitgeführt, dem oben erwähnten Prokopios übergeben, der sie dem Wunsche des Verstorbenen entsprechend in einer Vorstadt von Tarsos beisetzte (Ammian. XXIII 2, 5. XXV 9, 12f. Zosim. III 34, 4). Der neue Kaiser sorgte für eine würdige Ausstattung des Grabmals (Ammian. XXV 10, 5), dessen Inschrift uns in zwei verschiedenen Formen (Zosim. III 34, 9. Zonar. XIII 13) überliefert ist, in beiden aber mit dem Verse des von I. so geliebten Homer (Il. III 179) schließt: ἀμφότερον βασιλεύς τ’ ἀγαθὸς κρατερός τ’ αἰχμητής.

Auch über die literarische Tätigkeit I.s, über Grund und Veranlassung, Inhalt und Form seiner Schriften, liegt eine außerordentlich ausgedehnte Literatur vor. Die älteste Gesamtausgabe ist die von Petrus Martinius und Carolus Cantoclarus (Paris 1583), weitaus besser die von Dionysius Petavius (Denis Pétau) mit ausgezeichneten Anmerkungen (Paris 1630), neben der dann ferner die von Ezechiel Spanheim (Leipzig 1696) zu nennen ist, in der unter anderm auch die Anmerkungen des Petavius wieder abgedruckt sind. Um den Text haben sich weiterhin bemüht Dan. Wyttenbach in seiner Ep. critica super nonnullis locis Iuliani imp., Göttingen 1769, auch abgedruckt bei G. H. Schaefer Iul. imp. in Constantii laudem oratio (Leipz. 1802) 225–280. J. Horkel Emendationes Iulianeae (Berlin 1841). B. Friederich Coniectanea ad Iuliani imp. aliorumque eiusdem aetatis scriptorum opera (Clausthal 1873), besonders aber Cobet Mnemosyne VIII (1859) 341-419. IX (1860) 1-21. 249–278. X (1861) 164–192 und F. C. Hertlein Emendationes Iulianeae (Pr. Wertheim 1847); Kritische Bemerkungen zu I.s Schriften (ebd. 1850); Coniectanea crit. in Iuliani orationes atque epistolas (ebd. 1856); Konjekturen zu griechischen Prosaikern (ebd. 1861 und 1873), der dann mit seiner Ausgabe Iuliani imp. quae supersunt praeter reliquia apud Cyrillum omnia (Leipz. 1875/6) seine Bemühungen gekrönt hat. Durch diese Ausgabe ist die Beschäftigung mit I.s Schriften außerordentlich belebt worden; auch der Text hat noch beträchtliche Besserungen erfahren, besonders durch Cobet Mnemosyne N. S. II. IV. X. XI. Klimek Herm. XXI 482–487; Coniectanea in Iulianum et Cyrilli Alexandrini contra illum libros (Breslau 1883); Pr. Leobschütz 1888 und durch die zahlreichen Arbeiten von E. Asmus, der als der genaueste jetzt lebende Kenner der Schriften I.s und der Literatur über sie bezeichnet werden kann. Die sehr zahlreichen Beitrage zur Erklärung einzelner Schriften des Kaisers oder einzelner Stellen in denselben enthalten meist ebenfalls Vorschläge zur Textgestaltung.

Von den Übersetzungen der Werke I.s sei hier genannt die französische des Gesamtwerks von E. Talbot (Paris 1863) mit einer einleitenden Studie über I. und kurzen sachlichen Anmerkungen und die deutsche der ,Philosophischen [64] Werke‘ von B. Asmus (Philos. Bibl. 116, Leipz. 1908), die Or. IV, V, VI, VII, VIII und den Brief an Themistios umfaßt, jeder einzelnen Schrift eine kurze Einleitung und eine Disposition vorausschickt und einige wenige Bemerkungen folgen läßt.

Bei der Besprechung der schriftstellerischen Tätigkeit I.s scheint es nützlich, die größeren politischen, philosophischen und religiösen Schriften gesondert von den Briefen zu behandeln; da die Grenze zwischen den beiden Gattungen fließend ist, halten wir uns an die in den Ausgaben übliche Scheidung.

I. Die zur ersten Gruppe gehörigen Schriften sind folgende:

1. Ἰουλιανοῦ Καίσαρος ἐγκώμιον εἰς τὸν Αὐτοκράτορα Κωνστάντιον (Or. I).
2. Ἰ. Κ. περὶ τῶν τοῦ Αὐτοκράτορος πράξεων ἢ περὶ βασιλείας (Or. II).
3. Ἰ. Κ. Εὐσεβίας τῆς βασιλίδος ἐγκώμιον (Or. III).
4. Ἰ. Αὐτοκράτορος εἰς τὸν βασιλέα Ἥλιον πρὸς Σαλούστιον (Or. IV).
5. Ἰ. Α. εἰς τὴν μητέρα τῶν θεῶν (Or. V).
6. Ἰ. Α. εἰς τοὺς ἀπαιδεύτους κύνας (Or. VI).
7. Ἰ. Α. πρὸς Ἡράκλειον κυνικὸν περὶ τοῦ πῶς κυνιστέον καὶ εἰ πρέπει τῷ κυνὶ μύθους πλάττειν (Or. VII).
8. Ἰ. Καίσαρος ἐπὶ τῇ ἐξόδῳ τοῦ ἀγαθωτάτου Σαλουστίου παραμυθητικὸς εἰς ἑαυτόν (Or. VIII).
9. Ἰ. Αὐτοκράτορος Θεμιστίῳ φιλοσόφῳ (Ep. Th.).
10. Ἰ. Α. Ἀθηναίων τῇ βουλῇ καὶ τῷ δήμῳ (Ep. Ath.). .
11. Fragmentum Epistolae (Fragm. Ep.).
12. Ἰουλιανοῦ Αὐτοκράτορος συμπόσιον ἢ Κρόνια (Caes.).
13. Ἰ. Α. ἀντιοχικὸς ἢ Μισοπώγων (Mis.).

Dazu kommen die sicher bezeugten verlorenen Schriften:

14. Das Buch über die Schlacht bei Straßburg. 40 :15. Ein Brief an die Korinther.
16. Ein Brief an die Lakedaimonier.
17. Ein Brief an den Senat in Rom.
18. Die Schrift gegen die Christen (In Gal.).

Es ist hier zunächst die Frage zu berühren, wie das Corpus der Schriften I.s zustande gekommen ist. Es liegt ja sehr nahe, als den Ordner des schriftstellerischen Nachlasses des Kaisers den Libanios anzunehmen, mit dem er sich gerade im letzten Jahre seines Lebens befreundet hatte, sich in den wichtigsten Weltanschauungsfragen eins wußte, und den er sich wohl als seinen künftigen Biographen dachte. Asmus (I.s Galiläerschrift im Zusammenhang mit seinen übrigen Werken, Freiburg i. B. 1904 [Galil.] 42) setzt eine solche Tätigkeit des Libanios mit Bestimmtheit voraus und glaubt, in den drei zu Lebzeiten des Constantius geschriebenen Reden des Kaisers die Überarbeitung, in der zweiten und dritten Rede sogar die von jenem eingeschobenen Abschnitte deutlich zu erkennen. Mir scheint diese Frage noch nicht spruchreif, und es ist zweifelhaft, ob sie es jemals werden wird. Was die nicht erhaltenen Schriften I.s betrifft, so lassen sich sehr wohl Gründe für ihr Verschwinden und ihre Nichtaufnahme in das Corpus anführen. Das Buch über die Schlacht bei Straßbarg hat I. verfaßt, als er noch von Constantius abhängig war und Christentum [65] heucheln mußte. Wenn also Libanios oder ein anderer Gesinnungsgenosse I.s, wie wahrscheinlich, dessen Schriften zusammenstellte, so wäre auch hier eine Überarbeitung in der Art, wie sie Asmus für die drei ersten Reden annimmt, am Platze gewesen. Da aber diese Schrift, wie wir annehmen dürfen, ihrem Inhalte nach völlig in des Libanios ἐπιτάφιος ἐπ’ Ἰουλιανῷ übergegangen ist, so lag es, natürlich besonders dem Libanios, wenn er der Herausgeber von I.s Schriften war, nahe, das genannte Buch des Verstorbenen nicht in die Sammlung seiner Werke aufzunehmen. Daß I. außer dieser Schrift noch ,Kommentare‘ über seine Taten geschrieben habe, kann ich trotz der Bemühungen Kochs (De Iuliani imp. scriptorum, qui res in Gallia ab eo gestas enarrarunt, auctore, Arnheim 1890; Jahrb. f. Philol. XLIII 362-368; ebd. Suppl. XXV 333–348; vgl. Hecker Pr. Kreuznach 1886), deren Vorhandensein zu beweisen, aus den Quellen nicht herauslesen (v. Borries Herm. XXVII 170–209, bes. 198 und 202ff.). Wo Eunap (frg. 9, FHG IV 16) von der Schriftstellerei des Kaisers handelt, ist nur von dem Buch die Rede, das er ganz dieser Schlacht widmete (βιβλίδιον [was Cobet Mnemosyne N. S. X 28 für verschrieben statt βιβλίον hält] ὅλον τῇδε ἀναθεὶς τῇ μάχῃ und unmittelbar darauf noch einmal τὸ περὶ τούτων βιβλίον), und Zosimus, der, viel später schreibend, die ganze schriftstellerische Tätigkeit I.s übersah, spricht an einer Stelle (III 2, 4) nur von den λόγοι und den ἐπιστολαί, an einer andern (III 8, 2) nur von einer συγγραφή, und auch Libanios (II 72, 4 Förster) erwähnt nur die Darstellung (τῇ συγγραφῇ) und kündigt an, daß er sie, wenn er, wie er hofft, zu einer ausführlichen Darstellung der Taten I.s kommen werde, zugrunde legen wolle.

Die Briefe I.s an die Korinther und die Lakedaimonier, die gleichzeitig mit Ep. Ath. abgefaßt worden sind, werden so ziemlich denselben Inhalt wie letztere gehabt haben; ihre Veröffentlichung wird also überflüssig erschienen sein, wenn ihnen der Kaiser überhaupt jemals die abschließende literarische Form gegeben hat. Der Brief an den Senat von Rom (Ammian. XXI 10, 7) dürfte lateinisch geschrieben gewesen sein und daher seine Form, da der Kaiser nur unzureichend Latein schrieb (Ammian. XVI 5, 7. Eutrop. X 16, 3), in der Hauptsache einem Übersetzer verdankt haben. Was schließlich die Schrift gegen die Christen betrifft, so ergibt sich aus deren Zweck und Inhalt, daß sie unter den christlichen Nachfolgern I.s nicht noch einmal erscheinen durfte und nicht lange darnach mit vielen andern gegen die Christen gerichteten Büchern der Vergessenheit und dem Untergang anheimgefallen ist (vgl. K. J. Neumann Iuliani imp. librorum contra Christianos quae supersunt 8–10).

Alle Vermutungen über weitere verlorenen Schriften I.s sind haltlos. Schwarz (De vita et scriptis Iuliani imp. 1888, 9 und 19), Asmus (Iulian und Dion Chrysostomus [Dion] 1895, 15) und Geffcken (Kaiser Iulianus 1914, 59 und 140) glauben auf Grund einer Notiz bei Suid. s. Ἐμπεδότιμος und s. Ἰουλιανός (Iulian. 609, 11–15 Hertl.) neben der gewöhnlich Caesarea genannten Schrift eine zweite mit dem Titel Κρόνια, die im J. 361 entstanden sein solle, annehmen [66] und letztere beide sogar Angaben über deren Inhalt machen zu können; man wird jedoch mit Christ-Stählin-Schmid Gesch. d. griech. Lit. II⁵ 833 die Notiz des Suidas für einen Irrtum halten müssen, da, ganz abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit des gleichen Titels für zwei verschiedene Schriften, nicht einzusehen ist, wie selbst ein so emsiger Mann wie I. neben allem andern noch die Zeit für eine solche Schrift hätte finden können. Suidas erwähnt ferner an der gleichen Stelle noch die Schrift eines I. περὶ τῶν σχημάτων, die wahrscheinlich von einem Astronomen dieses Namens herrührt (Christ⁵ 833), und eine andere πόθεν τὰ κακά, in der Schwarz 21 und Asmus Galil. 48 einen Teil der Galiläerschrift erblicken. Für nicht unmöglich hält Christ bei den vielseitigen Interessen I.s, daß er ein Werk Μηχανικά verfaßt habe, doch beruht die einzige Erwähnung einer solchen Schrift bei Ioannes Laurentius Lydus de mag. I cap. 47 zweifellos auf einem Irrtum.

Überlieferung. Die wichtigste und beste Hs. ist der aus dem 12./13. Jhdt. stammende Leydener Codex Vossianus (V), der alle Schriften I.s mit Ausnahme eines Teils der Briefe enthält, dem aber an zwei Stellen mehrere Blätter fehlen. Als diese noch vorhanden waren, ist Parisinus 2964 (Pc) im 15. Jhdt. aus ihm abgeschrieben worden. In allen anderen Hss. fehlen Or. V, VI, VII, Ep. Th., Ep. Ath., Fragm. Ep. Diese sind in zwei Gruppen zu scheiden, von denen die eine Mis. und Or. IV oder eines dieser beiden Stücke, die andere Caes. und Or. I, II, III und VIII oder einen Teil dieser Schriften enthält. Von der ersten Gruppe sind die wichtigsten Hss. Marcianus 251 des 15 Jhdts. (Mb) und Monacensis 118 des 16. Jhdts. (F), die Or. IV und Mis. ganz enthalten, ferner Monacensis 461 des 14./15. Jhdts. (E), der Or. IV und Mis. bis 353 D, und Monacensis 490 des 15. Jhdts. (G), der nur Or. IV gibt. Von diesen Hss. ist G am wertlosesten, da sie Schreibfehler und willkürliche Änderungen enthält. E und F sind Abschriften desselben Codex (u), aber nicht von Mb, wenn sie auch nahe zu diesem gehören. Die für Mb und u gemeinschaftliche Quelle (w) hat gemeinsame Verderbnisse mit V und geht wahrscheinlich durch mehrere Mittelglieder auf diesen zurück; E, F und Mb sind da von Bedeutung, wo sich die Lesart von V nicht genau feststellen[WS 2] läßt, und für Or. IV von 147 A an, da dies Stück in V fehlt.

Von der zweiten Gruppe enthält Monacensis 564 (früher Augustanus) des 12./13. Jhdts. (Aug.) nur Caes., Marcianus 366 des 15 Jhdts. (M) Caes., Or. I, II, III (bis 128 D) und VIII, zwei unter sich und mit M verwandte, nämlich Parisinus 1732 (Pa) und Parisinus 3020 (Pd) Caes. und Or. I, II und III, Monacensis 101 (Bav.) und Parisinus 2832 (Pb), beide aus dem 16. Jhdt., nur Caes. und Or. II bis 82 C. Von diesen Hss. haben Pa und Pd geringen Wert und ist Bav. besser als Pb. Von den übrigen stehen sich Aug. und M, das jüngere, aber treuere Abschrift ist, am nächsten, sie gehen auf eine gemeinschaftliche Quelle (y) zurück, die nicht aus V geflossen ist, da Aug und M V gegenüber oft die richtigere Lesart geben. Andererseits haben V, Aug und M vielfach die gleichen Verderbnisse. Also ist für V und y ein [67] Archetypus x anzusetzen. V zeigt sich durch die Wortstellung als Vertreter der echten Überlieferung, es steht x sehr nahe. Bav. kann nicht auf V zurückgehen, darf aber auch nicht auf y oder Aug oder M zurückgeführt werden; da es V gegenüber jedoch vielfach Übereinstimmung mit y zeigt, muß zwischen x und y ein Mittelglied z eingefügt werden, auf das es, wenn auch nur durch Vermittlung mehrerer Zwischenglieder zurückgeht (vgl. Iuliani imp. quae supersunt ed. Hertlein, praefatio, und Klimek, Pr. Leobschütz 1888).

Das Verhältnis der wichtigsten Hss. zueinander veranschaulicht folgende graphische Darstellung:

Die zeitliche Folge der größeren Schriften I.s scheint diese gewesen zu sein: 1. Or. I; 2. Or. III; 3. Ep. Th.; 4. Or. II; 5. Das Buch über die Schlacht bei Straßburg; 6. Or. VIII; 7. Ep. Ath.; 8. Der Brief an die Korinther; 9. Der Brief an die Lakedaimonier; 10. Der Brief an den römischen Senat; 11. Or. VII; 12. Or. VI; 13. Or. V; 14. Caes.; 15. Or. IV; 16. Mis.; 17. Frg. Ep. 18. In Gal. Von diesen gehören Or. I, III und II, die Lobreden zusammen, von Asmus (Galil. 40, 4) nach Schlosser (Universalhistorische Übersicht der Gesch. d. alten Welt III 3, 57) als zur Lektüre bestimmte sophistische Aufsätze bezeichnet, und ihnen schließt sich Ep. Th. an, da sie auch das Thema der Königsherrschaft behandelt. Zueinander gehören ferner die gleichzeitig entstandenen Nummern 7, 8, 9 und 10, von denen nur Ep. Ath. erhalten ist, sodann 11 und 12 (Or. VII und VI) und 13 und 15 (Or. V und IV).

1. und 2. Über die Zeit, in der Or. I, deren Schluß zu fehlen scheint (Iul. 61, 9, Hertlein Anm.), entstanden ist, gehen die Ansichten auseinander. Meist wird angenommen, sie sei schon in Mailand im November 355 ausgearbeitet worden 50 (Seeck Untergang IV 227. Gladis De Themistii Libanii Iuliani in Constantium orationibus 8); das ist aber unmöglich, da sie die zweite Rede des in Konstantinopel lebenden Themistios kennt, die schon von der am 6. November 355 in Mailand erfolgten Ernennung I.s zum Caesar weiß, während dieser bereits am 1. Dezember 355 von Mailand nach Gallien aufgebrochen ist. Andererseits hat sie dem Themistios bei seiner am 1. Januar 357 gehaltenen vierten Rede schon vorgelegen (Gladis 7ff. 19). Wahrscheinlich ist sie in der Zeit von Dezember 355 bis Juni 356 in Vienne ausgearbeitet worden; der ganz besondere Fleiß und die umfangreiche Benutzung der rednerischen Vorbilder sprechen für eine längere Zeit in Anspruch nehmende Ausarbeitung, und die in ihr bei aller Ehrerbietung sich ausdrückende Sicherheit für eine gewisse Gewöhnung an die [68] Caesarenwürde. Die etwa 349 auf Constantius gehaltene Rede des Libanios kannte I. bei der Niederschrift seiner ersten Rede zwar auch; aber die an vielen Stellen hervortretende Übereinstimmung mit ihr ergibt sich daraus, daß beide das Schema des Menander de laudationibus zugrunde gelegt haben (Gladis 48f.). Aus diesem Grunde tritt I.s Besonderheit in dieser schulmäßigen Rede noch nicht hervor, wohl aber schon seine große Belesenheit; wir finden Benützung von Herodot, Thukydides, Xenophon, Isokrates, Plutarch, besonders aber von Platon und Demosthenes, jedoch noch nicht von Dion Chrysostomos (Asmus Dion 12. 4; vgl. im übrigen Iuliani imp. in Constantii laudem oratio graece et latine cum animadversionibus Dan. Wyttenbachii. Accedit eiusdem ep. crit. ad Ruhnkenium. Recensuit G. H. Schaefer 1802. Ezechielis Spanhemii Observationes ad Iuliani imp. orationem I in dessen Ausgabe. Hertlein Zur Kritik der ersten Rede Iulians, Pr. Wertheim 1869. Cobet Mnemosyne N. S. X 336ff. 424-448 [auch zu Or. II und III]. Allard Julien l’Apostat I 362-371). Es drängt sich weiterhin die Vermutung auf, daß diese Rede, in der sich I.s Dankbarkeit für seine Erhebung zum Caesar ausspricht, im Herbst 356 durch den Kämmerer Eutherios an den Hof nach Mailand überbracht worden ist (Ammian. XVI 7, 2), und zwar gleichzeitig mit der auf die Kaiserin Eusebia (Or. III), die auch nach dem üblichen Schema Vaterland, Herkunft, Erziehung, Tugenden der Gepriesenen behandelt und mit geschichtlichen und mythologischen Beispielen, mit Vergleichen und mit Zitaten reichlich ausgestattet ist.

3. In Or. II, die nicht erst nach 358, sondern vermutlich im Winter 356/7 oder im Frühling 357 entstanden und zu dem Triumph, den Constantius im Mai 357 in Rom feierte, eingesandt worden ist (Gladis 10), hat sich I. schon mehr von dem schulmäßigen Schema frei gemacht. Wenn sie auch den Charakter des Panegyricus trägt, so tritt das Lob des Constantius doch zurück vor den allgemeinen Ausführungen, in denen der Verfasser ein Bild des Musterherrschers im Sinne Platons entwirft, dem die abschreckende Schilderung des τύραννος (Magnentius) gegenübertritt. Die Rede ist nach Asmus (Galil. 42 im Widerspruch zu Asmus Dion 12, 4) eine in homerischen Rahmen gefaßte Umformung von Or. I. Sie läßt die Erweiterung der Lektüre des Verfassers erkennen, zeigt aber vor allem eine umfassende Benützung von Dion Chrysostomos (Asmus Dion 12ff. Praechter Archiv f. Gesch. d. Philos. V 46ff.).

4. Mit dem Gedankenkreis dieser drei Reden, besonders mit dem der Or. II, berührt sich der Brief an den Themistios, der auch das Thema von der Königsherrschaft behandelt, und schon aus diesem Grunde ist er in das J. 356 (Seeck IV 470) und nicht mit Schwarz 10. Asmus. Philos. Bibl. 116, 23 und Geffcken 78. 147 in die Zeit nach dem Tode des Constantius, also nach November 361, zu setzen. In dieser Zeit bedurfte es nicht mehr der Mahnungen des Themistios, den innerlichen Widerstand gegen den Herrscherberuf fallen zu lassen, die wir aus dem Briefe I.s erschließen können, aber sie waren sehr wohl am Platz, als der durch allerlei Schrecken [69] hindurchgegangene Jüngling plötzlich in die gefährliche Nähe des Throns gerückt war, und was er dabei empfand, mit dem Homerverse ausdrückte: ἔλλαβε πορφύρεος θάνατος καὶ μοῖρα κραταιή (Ammian. XV 8, 17). Auch stimmt es zum J. 356, daß I. christenfeindliche Äußerungen vermeidet. Andererseits begreifen wir es vollständig, daß er nach der tiefen Durchwühlung seines Innern sich hier, wie Christ⁵ 833 sagt, nicht dozierend, nicht polemisierend, nicht posierend gibt, sondern uns wirklich einen Einblick in sein Herz eröffnet. Vgl. Negri L’Imperatore Giuliano l’Apostata 430–440.

5. Die nächste Schrift I.s ist das Buch über die Schlacht bei Straßburg, von dem oben schon gesagt ist, daß Libanios es in seinen ἐπιτάφιος dem Inhalt nach völlig aufgenommen habe und, wie wir hier hinzusetzen dürfen, zum Teil auch wohl der Form nach, da er ausdrücklich erwähnt (Liban. II 259, 19 Förster), daß er die Ansprache, die I. an seine Truppen hielt (Ammian. XVI 12, 9–12), und die ihm jedenfalls im Buche des Caesars vorlag, nicht aufgenommen habe, weil das den für die Leichenrede geltenden Regeln widerspreche. Die Schrift handelte übrigens nicht nur von der Schlacht, sondern schilderte als Vorgeschichte derselben auch die Taten I.s von seiner Erhebung an, da von da ab bis nach der Schlacht zwischen dem ἐπιτάφιος und Ammian eine augenfällige Übereinstimmung herrscht (v. Borries Herm. XXVII 176-181. 206). Sie ist unzweifelhaft im Herbst 357 oder Winter 357/8 in Paris entstanden, da Eunapius (frg. 9, FHG IV 16) sagt, der Caesar habe sie συνενθουσιῶν τοῖς ἑαυτοῦ καλοῖς (,noch ganz begeistert von seinen eigenen schönen Taten‘) geschrieben, und da Ammian. XVII 11, 1 zum J. 358 berichtet, daß man am Hofe über ihn als loquacem talpam et purpuratam simiam et litterionem Graecum spottete und behauptete, er putze seine geringen Taten mit schönen Worten auf.

6. Die Schrift, die der Caesar bei der Abberufung seines Quaestors Saturninius Salutius Secundus schrieb, der ihm in den nicht ganz zweieinhalb Jahren, die er ihm in Gallien zur Seite estanden, ein treuer väterlicher Freund geworden war, trägt weniger den in der Überschrift angekündigten Charakter einer Trostrede des Verfassers an sich selbst als den eines λόγος προπεμπτικός, einer Geleitrede für den Scheidenden, obwohl natürlich die Trostgründe für den Zurückbleibenden nicht fehlen. Die Abberufung des Salutius ist nicht, wie Seeck (Briefe des Libanios 267; Untergang IV 281) will, in das J. 359, sondern mit Schwarz 7 und Asmus Philos. Bibl. 116, 3 in das Frühjahr 358 zu setzen, schon aus dem Grunde, weil sonst für die verschiedenen Nachfolger des Salutius kein Raum mehr wäre. I. trägt auch hier noch die Fesseln des rhetorischen Schulschemas, aber er hat sie doch teilweise abgestreift, und namentlich in der am Schluß an die Gottheit gerichteten Fürbitte für seinen Freund tritt das Gefühl des warmempfindenden Menschen hervor (vgl. zum Text Cobet Mnemosyne IX 1–21. Mansion Rev. Instruction publ. Belgique XLI 246–255; ferner Sonneville ebd. XLII 97–101. Asmus Dion 16. Negri 440–446).

[70] 7. 8. 9. und 10. Von den in Naïssus in den sechs Wochen von etwa Mitte Oktober bis Ende November 361 verfaßten Briefen an die Athener, die Korinther, die Lakedaimonier und die Römer, die im Inhalt und im Ton, abgesehen von den durch die Rücksicht auf die verschiedenen Empfänger bedingten Unterschieden, wohl ziemlich übereingestimmt haben werden, ist außer einem kleinen Bruchstück an die Korinther (609, 5–10 Hertl.) nur der erstgenannte erhalten. Er ist diejenige von den erhaltenen Schriften, die sich am gehässigsten über Constantius ausspricht; der Umstand, daß der sterbende Vorgänger ihn als seinen Nachfolger bezeichnet hatte, und die eigenstem Interesse entsprungene Überlegung, daß die gegen den verstorbenen Augustus gerichteten Angriffe ein böses Vorbild für Angriffe gegen ihn selbst abgeben könnten, haben seinen späteren Äußerungen über Constantius den Stempel einer gewissen Mäßigung aufgeprägt. Aber hier griff er ihn mit den schärfsten Waffen an, weil er nur auf diese Weise seinen Abfall von ihm und seinen Kampf gegen ihn rechtfertigen konnte. Finden sich auch in dieser Schrift einerseits wieder einzelne Ausbrüche echter Leidenschaft und wahrer Empfindung, so ist dieser in vieler Hinsicht wertvollste Beitrag I.s zu seiner Selbstbiographie andererseits das unerfreulichste Erzeugnis seiner Feder. Denn es ist ihm nicht gelungen, den Widerspruch zwischen der stark betonten Liebe zu dem rein philosophischen Leben und der Tatsache des Kampfes um die Herrschaft in reine Harmonie aufzulösen. Wir wohnen daher einer im ganzen recht verlegenen und stellenweise auch recht verlogenen Entschuldigungskomödie bei. Wenn Geffcken 58 findet, daß I. sich in diesem Schreiben vor den nichtigen Stadtvätern einer hochmütigen Universität demütige und an sie den Reichtum seines Herzens verschwende, so ist das wohl zu modern gedacht; dem jungen Kaiser wird die Adresse, an die er sein Schreiben richtete, so bedeutungsvoll auch gerade ihre Wahl gemeint war, nicht so wichtig gewesen sein, als der Zweck, sich vor einem möglichst großen Publikum zu rechtfertigen.

11. In des Kaisers Aufenthalt in Konstantinopel, also in die Zeit von Dezember 361 bis Anfang Juni 362, fallen die beiden Reden, in denen sich der dem alten Kynismus nabestehende Kaiser (Asmus Dion 36 und Theol. Stud. und Kritik. LXVII 314-339) gegen die den Christen nahestehenden Pseudokyniker wendet, und zwar scheint Or. VII vor Or. VI im Frühjahr 362 geschrieben zu sein (Asmus Philos. Bibl. 116, 47 und 83). Veranlaßt ist jene durch einen öffentlichen Vortrag des Kynikers Herakleios, in dem dieser einen Mythos erzählt hatte, den I. als eine gegen seine Person gerichtete Satire ansah. Außerdem fühlte er sich durch die pietätlose Behandlung der Götter in seiner Frömmigkeit verletzt. Zweck dieser Rede, von der Asmus (Philos. Bibl. 116, 84 und Galil. 40, 4 mit Beziehung auf die Äußerung Iulian. 265, 18 Hertl.) annimmt, daß sie öffentlich vorgetragen wurde, ist, den Pseudokynikern den echten Kynismus vorzuführen und ferner auseinanderzusetzen, zu welchen Zwecken Mythen dienen können und sollen. Dies gibt gute Gelegenheit, als Muster einen selbstverfaßten Mythos vorzutragen, der zugleich eine Rechtfertigung [71] seines Verhaltens gegenüber Constantius und ein Regierungsprogramm gibt (Asmus Dion 1ff.). Am wenigsten gelungen sind, wie auch sonst, die theoretischen Auseinandersetzungen, die die Spuren der Hast des vielbeschäftigten Herrschers und eine gewisse Unklarheit zeigen; dagegen ist der Mustermythos ein Beispiel anziehender Erzählungskunst. Auch in dieser Rede ist der Einfluß des Dion Chrysostomos zu erkennen (Praechter 43ff Asmus Dion 12).

12. Doch I. glaubte sich mit dieser Abfertigung der Kyniker noch nicht genug getan zu haben und ließ auf sie etwa Mai oder Juni 362 (Iulian. 234, 7 Hertl.) eine zweite Rede ,gegen die ungebildeten Hunde‘ (Or. VI) folgen, die nach des Kaisers eigener Angabe (263, 12 Hertl.) eine ,Nebenarbeit von zwei Tagen‘ ist. Sie ist in der Hauptsache eine Verteidigung des von einem unwürdigen Scheinkyniker angegriffenen Diogenes, in dessen Person von dem kynisierenden Neuplatoniker I. der echte Kynismus gerechtfertigt wird; vgl. noch Günther Genethliakon Gottingense 1888, 177ff.

13. Die Reden auf die Göttermutter (Or. V) und auf den König Helios gehören zusammen, weil sie in den Mittelpunkt von I.s Theologie führen (vgl. Wendland Hellenistisch-römische Kultur² 158ff. 179ff. Mau Die Religionsphilosophie Kaiser Iulians 1908. Asmus Philos. Bibl. 116, 129–208, letztere beide mit Übersetzungen der beiden Reden) und im Aufbau einen gewissen Parallelismus zeigen. I. gibt an, er habe die Rede in einer Nacht (231, 8 Hertl.: ἐν βραχεῖ νυκτὸς μέρει) niedergeschrieben. Ob man mit Negri 201 aus der Äußerung 231, 12 Hertl.: μάρτυς δὲ ἡ θεός μοι τοῦ λόγου schließen muß, daß sie in Pessinus, wohin I. bei seiner vermutlich Anfang Juni 362 ausgeführten Übersiedlung nach Antiochia einen Abstecher zum Besuche der Göttermutter gemacht hat, geschrieben ist, scheint zweifelhaft; doch ist es eine ansprechende Vermutung. Christ⁵ 829 nimmt mit Asmus (Philos. Bibl. 116, 175) an, daß sie schon für den Tag, an dem das Fest der Göttermutter in Rom gefeiert wurde, auf den 27. März 362, verfaßt worden sei; sie gehörte dann auch zu den zahlreichen in Konstantinopel entstandenen Schriften des Kaisers. Der Hauptteil der Rede, eine Auslegung des Attis- und Kybelemythos in rationalistischem Sinne, ist verwirrt und unklar; dafür entschädigt die zu Beginn der Rede anmutig vorgetragene Erzählung von der Überführung des Bildes der Göttermutter von Pessinus nach Rom und am Schluß ein prachtvolles, aus tiefster Seele quellendes Gebet an die Göttin. (Zur Textkritik Asmus Rh. Mus. N. F. LXIV 318–320.)

14. Zwischen Or. V und IV fällt, wie aus einer Erwähnung in der letzteren (Iulian. 204, 7 Hertl.) hervorgeht, eines der charakteristischsten Werke des Kaisers, das wie Or. IV dem Salutius gewidmete Συμπόσιον ἢ Κρόνια, gewöhnlich aber Caesares genannt, das, auf das Saturnalienfest (Ende Dezember) 362 berechnet, in Antiochia entstanden ist. Nicht als ob es ein besonderes Kunstwerk wäre; denn der Kaiser selbst hat das Gefühl, daß ihm die satirische Ader fehlt (393, 12ff. Hertl.). Er geht auf menippeische Motive zurück (Saturnalien, Götterversammlung, Rangwettstreit) [72] und führt eine Anzahl seiner Vorgänger, zu denen sich noch Alexander d. Gr. gesellt, nicht weniger als dreimal an uns vorüber. Es handelt sich um ein Mahl, das Romulus-Quirinus im Olymp den Göttern und den vergötterten Kaisern gibt. Es wird die Örtlichkeit und der Sitz der Götter geschildert, dann die Götter selbst, vor allem Dionysos (= Iulian) und sein Lehrer Seilenos (= Maximus von Ephesos), Hermes und Apollon. Die Kaiser treten auf, von Silen bespöttelt, von den Göttern und vom Verfasser kurz beurteilt, die bösen Herrscher werden teils weggewiesen, teils gebrandmarkt. Dann folgt eine Prüfung der vorzüglichsten Kaiser auf ihre Zulassung zum Göttermahl und ein rednerischer Wettstreit unter ihnen, Alexander, Caesar, Octavian, Traian, Marc Aurel und Constantin heben ihre Taten hervor, der letztere nur vom Vorhof aus, da, wie Zeus sagt, der Eintritt einem Manne, der die Götter nicht verehre, nicht zukomme. Doch die Taten allein können den Ausschlag nicht geben; daher werden die Herrscher aufgefordert gewissermaßen die Losung anzugeben, nach der sie regiert haben. Dies geschieht, und Silen wirft seine kritischen Bemerkungen dazwischen. Sodann stimmen die Götter ab; Marc Aurel erhält den ersten Preis und darf sich zu Zeus und Kronos gesellen. Aber auch andere werden zugelassen: Alexander und Traian finden bei Herakles, Octavian bei Apollon, Caesar schließlich bei Ares und Aphrodite Platz, während Constantin von den recht zweifelhaften Göttinnen Τρυφή und Ἀσωτία aufgenommen wird, bei denen er auch Jesus findet, der die Verbrecher rein wäscht. Zum Schluß wendet sich Hermes an I. und ermahnt ihn, dem Vater Mithras treu zu bleiben. – Die Bedeutung dieser Schrift liegt für uns vor allem in den wertvollen Aufschlüssen über den Charakter und die Denkweise I.s, die sich aus seiner Beurteilung der Kaiser ergeben. Sind auch Urteile darunter, die uns überraschen, und andere, wie das über Constantin, das aus begreiflichen Gründen geradezu ungerecht ist, so ist doch im ganzen eine eingehende Beschäftigung I.s mit der römischen Geschichte und mit der Geschichte seiner Vorgänger erkennbar (vgl. Cauer Über die Caes. des Kaisers Iulianus Apostata, Pr. Breslau 1856). I.s Ideale sind Alexander und namentlich Marc Aurel, am meisten bewundert wird der philosophische Regent und der regierende Philosoph. Asmus (Dion 17–27) glaubt auch hier wieder beträchtlichen Einfluß von Dions erster und Anspielungen auf Dions vierte und zweite Rede zu erkennen. Zum Text: Cobet Mnemosyne IX (1860) 249–277. Hertlein Variae lectiones ad Iuliani Caesares e codicibus Parisinis enotatae, Pr. Wertheim 1863; Specimen novae Iuliani Caesarum editionis (Heidelberg 1857). Günther Genethliakon Gottingense 1888, 177ff. Ferner Allard II 128–133, Negri 420–429. Geffcken N. Jahrb. XXVII 476ff. 492.

15. Ähnliches wie über Or. V (nr. 13) ist über die Rede auf den König Helios (Or. IV) zu sagen, die vermutlich kurz nach den Caesares gegen Ende 362 zum Geburtstag des Gottes, dem 25. Dezember, geschrieben worden ist, aber nicht, wie Christ⁵ II 829 meint, dazu bestimmt war, bei den Natalicia Invicti in Rom vorgetragen zu [73] werden (Iulian. 170, 10 Hertl.), da hiergegen die Anrede und Widmung an Salutius (204, 4) spricht. Zu Helios glaubt I. in ganz besonders engem Verhältnis zu stehen (vgl. Maurice Compt. rend. de l’Acad. des inscr. 1910, 96–103; Revue Arcbéolog. 4e série 17 [1911]); er sah in ihm den Haus- und Schutzgott seiner Dynastie und zugleich den Mittelpunkt der ganzen Götterwelt, in dessen Wesen eine Fülle von Göttergestalten: Apollon, Dionysos, Ares, Hermes, Asklepios, Herakles, Attis, Osiris, Serapis usw. zusammenfließen. Der hiervon handelnde Hauptteil der Rede ist gerade so unklar wie der entsprechende in Or. V, wie selbst Mau, der den Irrgängen der iulianischen Gedanken mit hingebender Treue nachgeht, an verschiedenen Stellen (z. B. 45. 52. 81) zugesteht; es ist unmöglich, sich in diesem Gewimmel von Göttern zurecht zu finden, und es ist erstaunlich, daß sich in einem und demselben Geiste eine so hohe Auffassung von der Gottheit mit dem Glauben an eine so verwickelte Götterhierarchie verbinden konnte. Auch hier haben wir im Eingang eine von wahrem Gefühl getragene Schilderung, die Darstellung der unbestimmten Sehnsucht des Knaben nach der Sonne und den Sternen, und zum Schlusse ein inniges Gebet an den Helios, den er anfleht, ihm gnädig zu sein, ihm ein tugendhaftes Leben, eine möglichst vollkommene Einsicht und einen göttlichen Geist zu verleihen und ein sanftes Scheiden vom Leben zur rechten Zeit und schließlich den Aufstieg zu ihm zu gewähren. Bei Or. IV wie bei Or. V hat der ,göttliche‘ Iamblichos Pate gestanden. (Zum Text vgl. Cobet Mnemosyne N. S. XI 351–373 mit etwas schnellfertigen Urteilen über I. und Asmus Rh. Mus. N. F. LXIII 627–630.)

16. In Antiochia im Winter 362/3, jedenfalls nach dem 22. Oktober 362, ist auch der Misopogon entstanden, neben der Ep. Ath. die aufschlußreichste Bekenntnisschrift I.s. Der Mis. erscheint zunächst als ein unmittelbarer Gefühlerguß, als ein Erzeugnis der üblen Laune und des Ärgers des Kaisers über den erschreckenden Mangel an Verständnis nicht bloß für seine Bestrebungen zur Wiederbelebung der alten Götterdienste, sondern auch für seine volksfreundlichen Bemühungen, z. B. um Herabsetzung der Lebensmittelpreise. Und dennoch ist die Anlehnung an bekannte ältere Motive, die traditionelle Verteidigung der Philosophie, der ironische Spott über sich selbst und das ebenso ironische Lob seiner Gegner, sowie die Vertrautheit mit der Theorie der ,Städterede‘ und mit dem Thema ,über die Natur des Volkes‘, wie er dies bei Dion fand, auch mit dem üblichen σχῆμα des Philosophen mit Bart, Tintenfingern und Mantel deutlich zu erkennen (Geffcken Kynika 139-146; N. Jahrb. XXVII 403ff. 492. Asmus Dion 34ff.). Aber auch hier finden sich Wiederholungen, Übertreibungen, Geschmacklosigkeiten; es fehlt dem sich überstürzenden, temperamentvollen Verfasser das künstlerische Maß, das uns vielleicht eine abgerundete Leistung hätte schaffen können, die aber keinesfalls den biographischen Wert dieser sehr persönlichen Äußerung eines interessanten und in vieler Beziehung höchst anziehenden Menschen gehabt hätte. (Zum Text Cobet Mnemosyne X [N. S. I] 164–192; [74] zum Inhalt Negri 350–387. Asmus Philos. Bibl. 116, 129-171.)

17. Das im Vossianus 77 mitten in den Brief an Themistios hineingeschobene Briefbruchstück (Iulian. ed. Hertl. praefatio III) ist eine der letzten Kundgebungen des Kaisers, eine Anweisung an einen Oberpriester, wahrscheinlich Theodoros in Kleinasien. Asmus (Ztschr. Kirchengesch. XVI 45–71; 220–252) hat, wie vor ihm schon Reiske (Iulian. ed. Hertl. 588, Anm. zu 12) in dem am Anfang und Ende verstümmelten, durch Lücken, Verderbnisse und Interpolationen entstellten Stück den Haupt- und Schlußteil von Ep. 63 erkennen wollen, aber ihm gegenüber wird Geffcken (Kaiser Iulianus 153) recht haben, der mehrere meines Erachtens durchschlagende Gründe gegen jene Annahme anführt und der Ansicht ist, daß Ep. 63 weit früher geschrieben ist, jedenfalls zu einer Zeit, als der Kaiser den Boden Kleinasiens noch nicht wieder betreten hatte: nichtsdestoweniger können Fragm. Ep. und Ep. 63 an dieselbe Person gerichtet sein. Das Bruchstück enthält das Programm für die Reformen, die der Kaiser für die Hebung des heidnischen Gottesdienstes und zur praktischen Betätigung des religiösen Sinnes der Heiden beabsichtigt. Aber auch hier findet man alles ohne feste Ordnung rasch hingeworfen, und man kann Asmus (a. a. O.) Glauben schenken, wenn er annimmt, daß dieses Brieffragment gewissermaßen der erste Entwurf zu einer großen Enzyklika des kaiserlichen Oberpontifex, zu deren Abfassung er aber doch wohl nicht mehr gekommen ist, gewesen sei (vgl. Sintenis Herm. I 144. Bidez Rev. Instruction publique en Belgique XLIV 177–181. Negri 247–256. Asmus Dion 29ff.).

18. Eine hervorragende Stellung nimmt unter I.s Werken die Schrift gegen die Christen ein, über deren Form, Inhalt und Charakter wir, wenn sie auch leider verloren ist, dennoch ein ziemlich sicheres Urteil gewinnen können. Von den zahlreichen Widerlegungen ist uns die um 430 entstandene Schrift des Bischofs Kyrillos von Alexandria zum Teil erhalten. Sie war auf 30 Bücher berechnet, von denen immer je 10, zwei Pentaden, ein Buch der Schrift I.s zu widerlegen bestimmt waren. Erhalten sind von den Werken Kyrills nur 10 Bücher, von der zweiten Dekade nur Bruchstücke, von der dritten nichts, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß Kyrill seine Arbeit nie zu dem beabsichtigten Ende geführt hat. Aus den ersten 10 Büchern hat K. J. Neumann (Iuliani imp. contra Christianos quae supersunt 1880; Kaiser Iulians Bücher gegen die Christen. 1880) den ersten Teil der Schrift I.s mit größtem Scharfsinn fast vollständig wiederhergestellt, aus den Bruchstücken der späteren Bücher geringe Reste des zweiten herausgezogen, auch später im Anschluß an eine Veröffentlichung von Bidez und Cumont (Mém. Academie Royale de Belgique 1898, 130–138) noch ein kleines Stück nachgeliefert (Theol. Lit.-Ztg. XXIV 299–302). Entstanden ist die Schrift in Antiochia, also in der Zeit vom Juni 362 bis März 363; denn aus der Äußerung des Hieronymus (ep. 70, Opera ed. Vallarsius p. 427 E), daß er das Werk ,auf dem Perserzug ausgespien‘ habe, ist durchaus nicht zu schließen, daß er es etwa in den dreieinhalb [75] Monaten des Zuges selbst, wo reichlich andere Geschäfte drängten, im Zelt und am Wachtfeuer geschrieben habe, besonders da gerade diese Schrift eine sorgfältigere Ausarbeitung als die andern zeigt; erschienen ist sie jedenfalls erst nach I.s Aufbruch von Antiochia. Der Titel der Schrift ist, wie schon der Rezensent im Theol. Lit.-Blatt 1881, 113 bemerkt und Neumann Theol. Lit.-Ztg. XXIV 299 anerkennt, κατὰ Γαλιλαίων (nicht κατὰ Χριστιανῶν) λόγοι gewesen. Buch I behandelte den Ursprung der Gottesidee, die Götterlehre der Hellenen und den Gottesbegriff der Hebräer, das Verhältnis der Christen zu den Juden; Buch II enthielt die Kritik der Evangelien (vgl. dazu Harnack Ztschr. f. Theol. und Kirche V 92–100. Neumann a. a. O. 301f.); von Buch III ist so gut wie nichts bekannt, und Asmus (Galil. 1, 3) äußert sogar die Vermutung, daß auch I.s Schrift nie ganz vollendet worden sei, was aber zu dem oben angedeuteten Plan der Widerlegung durch die 30 Bücher Kyrills nicht recht paßt. Es ist selbstverständlich, daß I. nicht lauter neue Gedanken vorbringt, sondern die von seinen Vorgängern in der Polemik, Celsus und Porphyrius Tyrius, gebrauchten Einwände wieder aufnimmt (Geffcken Zwei griechische Apologeten 304ff. und N. Jahrb. XXI 168-174. 188–194). Im übrigen zeigt die Schrift eine genaue Kenntnis der Bibel, ein scharfsinniges Herausfinden der Punkte, an denen die Kritik einsetzen kann, eine kluge Ausnutzung der dogmatischen Streitigkeiten seiner Zeit, vor allem, wie Geffcken sagt, einen rechtschaffenen Haß und trägt auf diese Weise den Stempel der Persönlichkeit. Sie ist der Schlußstein von I.s literarischer Tätigkeit, sie faßt alles, was er gegen das Christentum gesagt und gedacht hat, systematisch zusammen, wie Asmus Galil. scharfsinnig und gründlich, bisweilen vielleicht etwas zuviel konstruierend, darlegt. Ein Hauptgedanke ist, daß das Christentum, das an den in seiner Verehrung eng begrenzten Gott eines kleinen verachteten Volks anknüpfe und glaube, nicht den Anspruch machen könne, Weltreligion zu sein, während andererseits I. in seinem figurenreichen Göttersystem natürlich auch für Jahwe ein bescheidenes Plätzchen frei hat (Zum Text: Gollwitzer Acta Seminarii philol. Erlang. IV 347–394; zum Inhalt: Teuffel De Iul. imp. christianismi contemtore et osore, 1844. Negri 226-261. Allard III 106–137. Asmus Dion 32ff.; Byz. Ztschr. III 116–145.)

II. Die Forschung über die Überlieferung der Briefe I.s ist durch die außerordentlich gründliche und scharfsinnige Tätigkeit von J. Bidez und F. Cumont, besonders durch deren gemeinsame in den Mémoires de l’Académie Royale de Bruxelles 1898 erschienene Arbeit Recherches sur la tradition manuscrite des lettres de l’empereur Julien (Bi et Cu) auf eine ganz neue Grundlage gestellt worden. Die Ergebnisse dieser Veröffentlichung, die in Einzelheiten vielleicht noch Änderungen erfahren werden, in ihren Grundzügen aber feststehen dürften, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.

Schon sehr bald nach dem Tode I.s beeilten sich die mit ihm in Verbindung stehenden Literaten, den Briefwechsel des Kaisers mit ihnen zu veröffentlichen; Libanios machte wenigstens [76] einen Teil der ihn angehenden Korrespondenz bekannt, hielt aber einen großen Teil der Briefe mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse zurück (Liban. Ep. 1860). Ob er auch den Briefwechsel I.s mit andern Sophisten herausgegeben hat, ist zweifelhaft; jedenfalls war Ende des 4. Jhdts. eine solche Sammlung vorhanden, von der es feststeht, daß sie nicht bloß die Briefe des Kaisers, sondern auch die Antworten der Sophisten enthielt; sie war in der Überlieferung meist mit den Briefen des Libanios vereinigt, woraus sich die häufigen Verwechselungen von Briefen des letzteren mit solchen I.s erklärt. Eine zweite Veröffentlichung wurde durch historisches Interesse hervorgerufen und wahrscheinlich durch einen Christen aus Alexandria besorgt, der die Verfolgungsurkunden des Kaisers sammeln wollte; sie erschien spätestens Anfang des 5. Jhdts., enthielt schon einige Fälschungen und ist von Sozomenos, der 9 der uns erhaltenen (10, 25, 26, 31, 42, 49, 52, 66, 75 Hertl.) und 14 uns verlorene kennt (Bi et Cu 16f.), für seine Kirchengeschichte reichlich ausgeschöpft worden. Vielleicht gab es noch eine dritte Sammlung, die die auf Verwaltung und Recht bezüglichen Kundgebungen I.s vereinigte.

Es ist nicht ganz sicher, ob diese Sammlungen jemals zu einer einzigen verschmolzen worden sind, aber dies ist nach einer Stelle des Zosimus (III 2, 4. Mendelssohn 113, 1ff.) wahrscheinlich, aus der geschlossen werden kann, daß eine solche Verschmelzung in der zweiten Hälfte des 5. Jhdts. vorgenommen worden ist, auf die auch die Verwirrung zurückgeführt werden muß, die durch die Aufnahme der Briefe eines älteren Sophisten, vielleicht des Iulian von Caesarea (s. u. S. 81f.), in die umfangreiche Sammlung der iulianischen Briefe angerichtet worden ist. Diese Sammlung ist im 6. Jhdt. viel gelesen worden; auf sie geht der größte Teil der heute erhaltenen Briefe I.s zurück, während ein kleinerer Teil aus den Ausgaben der Reden des Libanios stammt, denen sie beigefügt waren, und schließlich einige ganz wenige aus Geschichtschreibern, z. B. aus Eunapios, ausgezogen worden sein können. Von einem Brief (36 Hertl.) wissen wir, daß er aus Suidas in die Hss. gekommen ist (Bi et Cu 53f.).

Jedenfalls ist nur ein sehr kleiner Teil der Briefe auf uns gekommen, und diese sind zum Teil verkürzt, verstümmelt und in größter Unordnung. Zwei verschiedene Gesichtspunkte leiteten die byzantinischen Herausgeber der Briefe: die einen wollten, was sie von I. noch vorfanden, sammeln und lösten daher die Briefe I.s von den auf sie gegebenen Antworten los; der Codex Vossianus 77 gibt uns das einzige Beispiel dieser Art. Viel häufiger handelt es sich um Mustersammlungen, die die Briefe für ihre Zwecke zurechtstutzten, sie, wenn auch bisweilen noch zusammengehörige Gruppen unterschieden werden können, untereinander warfen und sie mit Briefen anderer Literaten (Libanios, Prokop von Gaza, Isidor von Pelusium, Iulian von Caesarea usw.) vermischten. So hat schließlich jeder einzelne Brief seine Überlieferung, und es ist eigentlich zu verwundern, daß man doch noch ein einigermaßen klares Bild von I.s Briefschreibekunst erhält.

Wie sich aus dem Gesagten ergibt, sind die [77] Handschriften, die für die Briefe in Betracht kommen, außergewöhnlich zahlreich; Bi et Cu haben annähernd 60, von denen einige allerdings nur für einen oder für wenige Briefe in Betracht kommen, verglichen. Eine der wichtigsten ist der S. 66 erwähnte, den größten Teil von I.s Gesamtwerk enthaltende Vossianus 77 aus dem 12./13. Jhdt. (V), der 28 Briefe, darunter zwei verstümmelte, gibt; neben ihm kommt eine Abschrift aus ihm, der zwischen 1400 und 1450 entstandene Parisinus 2964 (U = A Heyler = Pc Hertlein, bei dem S. VII 2954 verdruckt ist) deswegen in Betracht, weil er abgeschrieben ist, ehe V die heutigen Lücken hatte. Diese bilden mit einigen anderen weniger wichtigen, Harleianus 5610 aus dem 14. Jhdt. (H), Ambrosianus L 73 sup. aus dem Anfang des 13. Jhdts. (T) und Baroccianus 219 aus dem 14. Jhdt. (B = Bar. Hertlein), der sich aber aus der zweiten Gruppe ergänzt hat, die erste Gruppe der Hss. Davon verschieden ist eine zweite, die in erster Linie durch Codex Ambrosianus B 4 sup., den allerältesten, aus dem 10. Jhdt. (A), und Monacensis 490 aus dem 15. Jhdt. (M = Mon. Heyler = G Hertlein) vertreten ist, mit denen Neapolitanus 217 aus dem 14. Jhdt. (N), Parisinus 2131 aus dem Ende des 15. Jhdts. (P = J Heyler = Pi Hertlein), Harleianus 5635 aus dem 15. Jhdt. (O), Vaticanus 1353 aus der zweiten Hälfte des 15. Jhdts. (Q = M Heyler) und Vaticanus 1467 aus dem 15./16. Jhdt. zusammenzustellen sind; der Archetypus dieser Gruppe, von der einzelne Glieder Einflüsse aus Gruppe 1 aufweisen, läßt sich nicht genau feststellen. Mit dieser zweiten Gruppe verwandt ist eine andere, die hauptsächlich durch Palatinus 356 aus dem 14. Jhdt. (E = N Heyler = Heidelb. Hertlein) und Vaticanus 1363 aus dem 16. Jhdt. vertreten ist, während eine Reihe anderer Hss., Baroccianus 56 aus dem Ende des 14. Jhdts. (J), Ambrosianus + 49 sup. aus dem Anfang des 15. Jhdts. (K), Laurentianus XXXII 37 aus dem 14. Jhdt. (G = L Hertlein) der ersten Gruppe nahestehen. Von besonderem Interesse ist sodann der der zweiten Gruppe verwandte Parisinus 963 aus dem 15. Jhdt. (E = G Heyler = Ph Hertlein), der aus Kontamination mehrerer Archetypi entstanden ist und auch ps.-iulianische Briefe enthält, dessen Anordnung aber einer sehr alten Überlieferung anzugehören scheint; ihm steht Laurentianus LVII 34 aus dem 15. Jhdt. (I) nahe. Auf altüberlieferte Einteilung weist ferner eine andere Gruppe von Hss., Vaticanus 941 aus dem Anfang des 14. Jhdts. (D), Barberinianus II 41 aus dem 15. Jhdt. (F) und Ambrosianus C 6 sup. aus dem 16. Jhdt. (S), hin. Schließlich sind noch einige aus Kontamination von Hss. der aufgeführten Gruppen entstandene Sammlungen zu nennen, so besonders zwei Hss. aus dem 14. Jhdt. (X u. Y = Xa Papadopulos), die in dem jetzt als griechische Handelsschule dienenden früheren Kloster der Mutter Gottes auf der Insel Chalke (heute Halki) im Marmarameer von Papadopulos Kerameus entdeckt worden sind und 6 bis dahin unbekannte Stücke geliefert haben (zuerst veröffentlicht im Suppl. zu Bd. XVI der Ztschr. d. griech.-philol. Vereins zu Konstantinopel und dann im Rh. Mus. XLII 1887, 15–27; vgl. dazu H. Weil Rev. phil. X 142–145. D. Largajolli [78] und P. Parisio Riv. filol. XVII 289–325) und der diesen nahestehende Laurentianus LVIII 16 aus dem 15. Jhdt. (L = A Hertlein), der mit 46 Briefen die umfassendste Sammlung der Briefe I.s vor der ersten gedruckten Ausgabe darstellt und aus den ersten beiden Gruppen von Hss. geschöpft hat. Ganz beiseite steht eine Hs. aus St. Johann auf Patmos (II), die eine der ältesten, aus dem 11./12. Jhdt., ist, allerdings nur zwei Briefe enthält, aus keiner der bekannten geschöpft, aber auch keiner vorgelegen hat. Zu nennen ist endlich noch Parisinus 2755 aus dem 15. Jhdt, (C = H Heyler = Pk Hertlein), dessen erster Teil aus Parisinus 3044 (K Heyler = Pl Hertlein) abgeschrieben ist, während der zweite Teil vielleicht aus V, und wenn dies nicht der Fall, bestimmt aus einem Archetypus der ersten Gruppe entnommen ist.

An Gesamtausgaben der Briefe sind folgende zu nennen:

1. Die 1499 bei Aldus Manutius in Venedig erschienene, von Markos Musuros besorgte Ausgabe der griechischen Epistolographen, die im ersten Bande die Nummern 1–9 und 11–48 (darunter 25 b) nach Hertlein, also 48 Briefe I.s enthält. Der Herausgeber hat verschiedene Hss. abwechselnd benutzt, in der Hauptsache für den ersten Teil eine Hs. der zweiten Gruppe, die P nahe stand, im zweiten Teile eine solche der ersten Gruppe, wahrscheinlich eine uns verlorene Abschrift von V, im dritten die Hs. C.

2. Iuliani imp. Misopogon et epistolae, ed. Petrus Martinius, Paris 1566, ein Abdruck der Aldina mit Einfügung des aus Sokr. Schol. III 3 entnommenen Erlasses an die Alexandriner (10) hinter Nummer 9.

3. Die oben (S. 63) erwähnte Gesamtausgabe I.s von Petrus Martinius und Carolus Cantoclarus, Paris 1583, die aus Sozom. V 16 nr. 49 entnimmt und 50, 51, 52 und halb 63 aus U beifügt.

4. Die ebenfalls oben (S. 63) genannte Gesamtausgabe I.s von Petavius, Paris 1630, die zwischen 52 und 63 aus einer 1597 erschienenen Veröffentlichung des Vulcanius (nach Parisinus 963) die Nummern 53–57, sodann 58 und 59, die 1601 verstümmelt und als ein Stück in einem Buche von N. Rigaut (Rigaltius) erschienen waren, jetzt richtig getrennt beifügt, ferner 60 und 61 nach B, schließlich ein Bruchstück von 62 nach U veröffentlicht. Die willkürliche Reihenfolge dieser Ausgabe ist bis heute maßgebend geblieben.

5. Die Spanheim'sche Gesamtausgabe von 1696 (s. o. S. 63), die außer einigen aus zwei heute nicht mehr festzustellenden Codices gewonnenen Ergänzungen zu 63 nichts Neues gibt.

Nachdem Muratori in seinen Anecdota graeca 1709 vier Briefe I.s, nämlich 58 vollständig, 64, 65 und 66 nach A, und J A. Fabricius in Salutaris lux Evangelii 1731 die Briefe 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74 zum Teil und 75, sowie Ep. 835 von Libanios aus L (72 auch aus K) nach Abschriften von Rostgaard veröffentlicht, Hardt 1812 5 Briefe des Isidor von Pelusium als Briefe I.s nach M herausgegeben hatte, erschien

6. Iuliani imp. quae feruntur epistolae. Ed. L. H. Heyler, Mainz 1828. Er gibt die 63 Briefe [79] der Ausgabe von 1630, dazu das bis dahin nummerlose Edikt 25b Hertl. als Nummer 64, dann die 3 von Muratori und die 10 von Fabricius zuerst veröffentlichten Briefe als Nummer 65–77, darauf die 5 von Hardt veröffentlichten, von Hercher Herm. IV 427 als von Isidorus Pel. herrührend nachgewiesenen Briefe als 78–82, schließlich als Nummer 83 aus Q Brief 76 Hertl. Der beigegebene Kommentar tut heute noch gute Dienste. Heyler hat die Pariser Hss., ferner Q und R verglichen und M vergleichen lassen.

7. In seinen Epistolographi graeci, Paris 1873, hat R. Hercher S. 337–391 die Briefe I.s nach Heyler abgedruckt (Apparat dazu S. XLV–LI), jedoch 1, das, wie von ihm Herm. I 474 nachgewiesen, von Procop von Gaza herrührt, 71, das Ep. 835 von Libanios ist, und 78–82, die, wie oben gesagt, von Isidor von Pelusium verfaßt sind, fortgelassen, dafür aber das Bruckstück der lateinischen Übersetzung eines iulianischen Briefs, das ihm Moritz Haupt in einer Schrift des Bischofs Facundus von Hermiane (in Byzacene), Migne L. LXVII 621, nachgewiesen hatte, hinzugefügt (mit falscher Ordnungsnummer LXXVIII statt LXXVII; denn es ergeben sich bei ihm im ganzen 77 Nummern). Außer V (Vergleichung von Dübner) hat er L, G, M und Palatinus 134 benutzt.

8. Endlich hat C. F. Hertlein 1876 im zweiten Teil seiner Gesamtausgabe die Briefe in folgender Anordnung herausgegeben: 1–63 (und 25 b) nach Petavius-Spanheim, dann Heyler 65–70, 72–77 und 83 als Nummer 64–76, daran anschließend als 77 das aus Marcianus 366 (= M Hertlein) schon vorher von ihm Herm. VIII 167–172 mit Bemerkung von Mommsen veröffentlichte Edikt, als 78 das aus Harleianus 5610 (= H Bi et Cu) von Henning Herm. IX 257–266 herausgegebene Schreiben, als 79 den lateinischen Text des Facundus, ferner die Fragmente, die Epigramme und den vielfach angezweifelten Brief des Gallus an I. Das Verdienst seiner Ausgabe, die nach ihren Vorzügen und Mängeln von Bi et Cu 3–5 sorgfältig gewürdigt wird, beruht hauptsächlich auf genauer Vergleichung von V, während er im übrigen die von Hercher ihm überlassenen Vergleichungen von G, L, R, von Palatinus 134 und 146, Ottobonianus 90, Vaticanus 434 und 573 für einzelne Briefe benutzte. Wenn Bi et Cu 39, 2 zu der Angabe Hertleins, daß er die wahrscheinlich von J. D. van Lennep herrührenden Randbemerkungen in einem Exemplar der Genfer Ausgabe benutzt habe, bemerken, ihnen sei keine Genfer Ausgabe I.s bekannt, so irren sie sich, denn sie führen sie selbst S. 113 unter nr. 8 an; nur war ihnen nicht bekannt, daß Aurelia Allobrogum eine gelehrte Latinisierung für Genf ist. –

Was die Zahl der iulianischen Briefe betrifft, so geht die Zählung bei Hertlein bis 79; es sind aber tatsächlich 80, da neben 25 25 b steht. Dazu kommen die sechs (1*– 6*) von Papadopulos Kerameus zuerst veröffentlichten, ferner das von Grenfell, Hunt und Hogarth Fayum towns and their papyri 1900, 116 veröffentlichte Edikt, das Dessau Rev. phil. XXV 285 als von I. herrührend nachgewiesen hat. Von den bei Hertlein gedruckten Bruchstücken stammt das [80] erste und das dritte, die beide aus Suidas entnommen sind, aus dem (unechten) Briefe 3*, frg. 5 aus dem verlorenen Briefe an die Korinther (s. o. S. 70); über frg. 6 ist oben S. 65f. gehandelt worden. Die übrigen sechs, die teils aus Suidas, teils aus Geschichtschreibern herrühren, sind zum Teil (frg. 4, 7, 8, 9) unzweifelhaft iulianisch, sie können aber sämtlich, weil entweder zu kurz oder zu wenig charakteristisch, außer acht gelassen werden. Der Wortlaut des Briefs, der, wie Bi et Cu wahrscheinlich gemacht haben, der Mahnrede des alten Königs an seinen Sohn in dem griechischen Roman Barlaam und Josaphat zu grunde liegt, ist doch zu wenig gesichert, um in die Zahl der iulianischen Briefe aufgenommen zu werden, und der von Cumont Rev. phil. XVI 161ff. aus Baroccianus 56 für I. in Anspruch genommene Brief rührt, wie R. Förster Rh. Mus. N.F. XLIX (1894) 168 gezeigt hat, von Libanios her. Es liegen demgemäß im ganzen 87 Schriftstücke vor, die als Briefe I.s bezeichnet werden; von diesen ist aber ein beträchtlicher Teil als unecht auszuscheiden.

An einzelnen Briefen I.s hat die Kritik schon verhältnismäßig früh eingesetzt, und Heyler konnte in seiner Ausgabe von 1828 schon die Nummern 25, 67, 74, 77 (= 25, 66, 72, 75 Hertl.[2]) durch Einklammerung der Ordnungszahlen als unecht bezeichnen, während er bei einer ganzen Anzahl anderer seine Bedenken zu erkennen gab. Die Gründe für die Unechtheit von 66, 72 und 75 hat er gut zusammengefaßt; 66, angeblich an König Arsakes von Armenien, 75, an Basileios d. Gr. gerichtet, sind, obwohl von Sozom. VI 1, 3 und V 18, 7 erwähnt, nach Form und Inhalt vollkommen unmöglich. Jener, über den Geffcken Kaiser Iulianus 162 und 167 sich widerspruchsvoll äußert, ist vielleicht einem der früh auftauchenden I.-Romane entnommen (Bi et Cu 21. Asmus Ztschr. f. Kirchengesch. XVI 51, 5), dieser zur Gegenüberstellung der beiden großen Gegner von einem Christen ersonnen und vielleicht nur durch das überlieferte Wortspiel des Kaisers: ἀνέγνων, ἔγνων καὶ κατέγνων veranlaßt (Teuffel Ztschr. f. Geschichtswiss. IV 161. Negri Giuliano l’Apostata 460, 1. Bi et Cu 21). Brief 72, schon von Heyler als falsch erkannt, ist, wie Cumont (Rev. Instruction publique en Belgique XXXV 1–3) nachgewiesen hat, von dem Philosophen Eustathios an den Kaiser gerichtet und die Antwort auf 39. Auf 25 ist später zurückzukommen. Auch 1 und 24 hatte Heyler schon beanstandet; von jenem hat Hercher Herm. I 474 dann die Verfasserschaft des Prokopios von Gaza nachgewiesen, und 24 ist jetzt allgemein als das spielerische Kunststück eines jungen Damaszener Sophisten anerkannt (Cumont Sur l’authenticité de quelques lettres de Julien 1889. Schwarz Philol. LI 627f.). Diesen Ergebnissen entsprechend und zum Teil vorgreifend, kennzeichnete Hertlein in seiner Ausgabe 1, 24, 66, 72 und 75 als nichtiulianisch.

Seitdem ist nun die Forschung, namentlich durch Schwarz, Bidez, Cumont und Geffcken, weiter geführt worden. Sie beschäftigte sich in [81] erster Linie mit den an Iamblichos gerichteten Briefen 34, 40, 41, 53, 60, 61, auf deren Bedenklichkeit schon Dodwell (Exercitationes duae, Londini 1704, S. 187) hingewiesen hatte. Diese Briefe, die, wie Br. Friederich (Pr. Clausthal 1873, 7) sich ausdrückt, exquisita quadam venustate conscriptae sind, zeigen erstlich einen nicht ganz auf das Verhältnis zwischen Herrscher und Philosophen abgestimmten Ton, scheinen ferner nach den überschwenglichen Ehrfurchts- und Bewunderungsbezeugungen nur an den berühmten Iamblichos gerichtet sein zu können, der schon zu Constantins d. Gr. Zeiten gestorben ist. Heyler hat ebenso wie Naber Mnemosyne N.S. XI 388 und Negri 449 die Briefe dem Kaiser nicht absprechen wollen, während Zeller (Philos. der Griechen⁴ III 2, 736, 3) sich Dodwells Ansicht anschloß. Naher hat den großen Iamblichos, um die Briefe zu retten, erst 361 sterben lassen wollen, andere haben den jüngeren viel weniger bedeutenden Iamblichos, einen Neffen oder Enkel des berühmten Schulhauptes (Seeck Briefe des Libanios 184), der wie jener einen Schüler Sopatros gehabt habe, als Empfänger der Briefe bezeichnet. Denn der Sopatros, der in einem sonst durchaus nicht anzuzweifelnden Briefe I.s, 27, als lebend erwähnt werde, könne nicht mit dem Schüler des älteren Iamblichos identisch sein, weil er schon unter Constantin d. Gr. hingerichtet worden sei. Nun liegt hier aber ein durch ein von Hercher eingefügtes ὁ verstärktes Mißverständnis vor (Iulian. 518, 14), durch das Schwarz, der jenen Brief nicht opfern, aber auch neben den zwei Iamblichos nicht noch zwei Sopatros ansetzen wollte, veranlaßt worden ist (Philol. LI 629f.), den betreffenden Satz als interpoliert anzusehen. In Wirklichkeit liegt die Sache aber so, daß der Gastfreund, bei dem der Kaiser in Hierapalis in. den Tagen vom 9.–12. März 363 wohnt, nicht jener Sopatros, der Schüler und ,Verschwägerte‘ (κηδεστής) des Iamblichos ,τοῦ θειοτάτου‘ war, sondern überhaupt nicht mit Namen genannt ist und nur als Verwandter des Iamblichosschülers Sopatros, über dessen Leben oder Tod nichts ausgesagt ist, bezeichnet wird; in dem Satze ist weiter nichts als die Kopula, etwa ἧν, zu ergänzen. Diese Auffassung der Stelle teilt auch Zeller, wie aus dem Schlusse der oben angeführten Anmerkung hervorgeht, und wie ich nachträglich auch sehe, Bidez (Bull. de l’Académie de Belgique 1904, 493-506), der als Kopula ἐγένετο einfügt. Die Stelle in Brief 27 ist also nicht als interpoliert anzusehen, kann aber auch in keiner Weise für die Echtheit der Briefe an Iamblichos und Sopatros angeführt werden. Im Gegenteil ist von Schwarz (De vita et scriptis Iuliani 22ff. und Philol. LI 625ff.), Cumont (Sur l’authenticité usw.), Geffcken (K. Iulianus 144ff.) und Wilmer Cave France (The emperor Julian’s relation to the new Sophistic 93ff.) die nichtiulianische Herkunft der Briefe 34, 40, 41, 53, 60, 61 und 67 (letzterer an Sopatros, nicht an Sosipatros gerichtet, vgl. Cumont a. a. O. 18) bewiesen. Weiter ist nun aber Cumont gegangen, der für diese Briefe einen einzigen Verfasser, und zwar den seinerzeit hochberühmten Iulian von Caesarea, den Vorganger des Proairesios auf seinem athenischen Lehrstuhle (Sievers [82] Studien zur Gesch. der röm. Kaiser 231ff.), ansetzt und das Hineingeraten dieser Briefe unter die des Kaisers durch die Ähnlichkeit der Verfassernamen, besonders im Genitiv (Ἰουλιανοῦ Καίσαρος und Ἰουλιανοῦ Καισαρέως), erklärt – eine sehr ansprechende Vermutung, gegen die sich nicht viel einwenden läßt. Er geht aber dann noch weiter und schreibt auf Grund der Stilvergleichung auch noch die Briefe 8, 15, 16, 18, 19, 28, 32, 54, 57, 73 demselben Verfasser zu. Mit dieser Aufstellung Cumonts erklärt sich Schwarz Philol. LI 630 nicht einverstanden, wenn er auch die Unechtheit eines Teils der letztgenannten Briefe, nämlich von 8, 18, 19, 54 und 73 anerkennt, während er 28, 32 und 57 wenigstens für verdächtig hält. Geffcken 145 ist mit Cumont insofern einverstanden, als er die genannten Briefe (also 34, 40, 41, 53, 60, 61, 67 und 8, 15, 16, 18, 19, 28, 32, 54, 57, 73) als nichtiulianisch ausscheidet, aber die Verfasserschaft Iulians von Caesarea nicht gelten lassen will, sondern sie für Produkte entweder des jüngeren Iamblichos oder eines Mannes hält, der nach des Kaisers I. Tode ,die Persönlichkeiten aus seinem heidnischen Kreise in maiorem gloriam des Kaisers selbst hervorheben wollte‘, – eine Annahme, die mir weniger wahrscheinlich vorkommt als die von Cumont aufgestellte. Man wird letzterem und Geffcken bezüglich aller der genannten Briefe zustimmen müssen, nur nicht bezüglich der Briefe 15 und 16, die an einen Maximus gerichtet sind, in dem Cumont seiner Theorie zuliebe den Maximus von Byzanz erkennt. Der Ausdruck von Brief 15, den Geffcken N. Jahrb. XXI 165 für echt, in seinem Buche K. Iulianus 145 für unecht erklärt, ist allerdings reichlich überschwenglich, jedoch entwickelt gerade dem Maximus von Ephesos, seinem geliebten Lehrer, gegenüber der Kaiser stets eine ganz besondere Wärme (vgl. z. B. Ammian XXII 7, 3), und bezüglich 16 führt France a. a. O. 99 eine schlagende Parallele mit I.s zweiter Rede an (495, l1ff. = 104, 22ff.), die für des Kaisers Verfasserschaft spricht.

Die Briefe 35 und 3* bezeichnet Cumont Sur l’authenticité 20 als sehr verdächtig; jener ist eine längere Denkschrift für die Argiver, um sie von einer Abgabe, die sie seit sieben Jahren den Korinthern leisten, zu befreien. Es scheint trotz den Bemühungen von Asmus Philol. LXXII 115–124, dieses Schreiben für I. zu retten, gänzlich ausgeschlossen, daß er jemals in dieser Form bei irgend einem Beamten eine Fürbitte für die Argiver hätte einlegen können. Ebenso wird man sich bezüglich 3* den sachlichen und sprachlichen Bedenken von Cumont Sur l’authenticité 21, Schwarz Philol. LI 624 und Geffcken K. Iulian 145 anschließen müssen. Die Briefe 48 und 70 sind in ihrem Inhalte so neutral und in ihrem Tone so wenig der Person und der Würde I.s angepaßt, daß sie unbedingt auszuscheiden sind. 48 hat in C und in der Aldina keine Überschrift; eine zu Paris 1605 erschienene Blütenlese griechischer Briefe setzte Ζήνωνι ein, vermutlich weil man aus der ersten Zeile des Briefs irrtümlicherweise auf einen Arzt als Empfänger schloß and Brief 45 als solchen einen Arzt Ζήνων führte, und Heyler und Hertlein übernahmen [83] diese erfundene Adresse. In den beiden Handschriften von Chalke (X und Y) heißt der Empfänger Plutarch, womit der 431/2 in hohem Alter verstorbene, also 363 jedenfalls noch sehr jugendliche Philosoph (Zeller III⁴ 2, 807, 2) gemeint sein könnte, von dessen Beziehungen zu I. wir ebensowenig wissen, wie von denen zu Diogenes Vater und Sohn des Briefes 70 (vgl. Bi et Cu 113). Von 64 und 65 endlich ist anzunehmen, daß sie vielleicht mündliche Äußerungen I.s sind, die die Sammler aus Geschichtschreibern schöpften (Bi et Cu 51). So scheiden von den 87 iulianischen Briefen 26, also fast ein Drittel aus: 1, 8, 18, 19, 24, 28, 32, 34, 35, 40, 41, 48, 53, 54, 57, 60, 61, 64, 65, 66, 67, 70, 72, 73, 75, 3*; da 14 und 74 ein Ganzes bilden (s. u. S. 84), bleiben 60 Briefe übrig, die wir als von I. herrührend ansehen dürfen, wenn auch bei diesen selbst noch manche Zweifel bestehen bleiben und zu berücksichtigen ist, daß manche der vorliegenden Stücke zweifellos verkürzt und verstümmelt sind (Bi et Cu 28f. Papadopulos Kerameus Rh. M. N. F. XLII 17f.).

Man kann diese 60 Schreiben nun nach verschiedenen Gesichtspunkten gruppieren, und es liegt vor allem nahe, die amtlichen oder halbamtlichen auszuscheiden, von denen anzunehmen ist, daß sie in den Kanzleien hergestellt sind, wie Bi et Cu 19, 1 es beispielsweise für 25, 25 b, 43, 47, 76 und 77 vorauszusetzen geneigt sind. Doch selbst die, von denen Auszüge in den Codex Theodosianus aufgenommen sind, zeigen so viel Subjektives (vgl. was o. S. 55 über Cod. Theod. XI 30, 30 gesagt ist), daß ihre Ausscheidung sich kaum rechtfertigt. Die meisten Briefe diktierte der Kaiser, bisweilen schrieb er eigenhändig ein paar Zeilen, so lesen die Hss. Iulian. 485, 13 Hertl. nach Bi et Cu 19, 1: Ἀρταβίῳ ἰδιόγραφον; und sonst findet sich gelegentlich gegen Schluß der Briefe die Bemerkung: καὶ τῇ αὑτοῦ χειρί oder ähnlich (485, 6. 520, 21. 548, 18). Bei Aufstellung der Gruppen ist natürlich eine scharfe Scheidung nicht möglich, da das Verhältnis des Kaisers zu Sophisten und Philosophen teils das des bewundernden, aber fernstehenden Verehrers, teils das des warmherzigen Freundes ist, da ferner die Briefe an Freunde sehr häufig einen stark politischen Einschlag haben, und religiöse und gottesdienstliche Fragen oft in Privatbriefen eingehend behandelt werden, die dadurch geradezu den Charakter von Verfügungen erhalten, da auch an denselben Empfänger einmal eine staats- oder kirchenpolitische Anordnung, ein andermal ein rein privater Brief abgeht. Mit einiger Berechtigung lassen sich folgende Gruppen unterscheiden: 1) 11 rein private (3, 5, 9, 74 + 14, 16, 33, 36, 37, 46, 50, 55); 2) 15 Gunstbezeugungen, Berufungen usw. (2, 4, 12, 15, 20, 29, 31, 38, 39, 44, 68, 69, 71, 76, 4*); 3) 6 politische Privatbriefe. (13, 17, 23, 27, 30, 1*); 4) 7 offizielle politische Schreiben (22, 25 b, 45, 47, 58, 5* und Dessau); 5) 9 private Äußerungen in Religionssachen (6, 7, 43, 49, 56, 78, 79, 2*, 6*); 6) 11 amtliche Äußerungen über Religionsfragen (10, 11, 21, 25, 26, 42, 51, 52, 62, 63, 77), und schließlich 7) das alleinstehende Schreiben 59, das seinem ganzen Charakter nach unter die größeren Schriften des Kaisers, und zwar [84] am nächsten zu den Beden gegen den zeitgenössischen Zynismus) (Or. VI und VII) gehört. Asmus (Arch. f. Gesch. d. Philos. XV 425-441 und Philol. LXXI 376–389) hat sich gründlich mit ihm beschäftigt und nachgewiesen, daß es einerseits Lücken, andererseits zwei verschiedene Schlüsse aufweist, daß es sich also aus zwei verschiedenen Briefen gegen denselben Widersacher zusammensetzt, in welchem er einen aus Ägypten stammenden römischen Senator (576, 26) Neilos (oder Neilōios) Dionysios (Bi et Cu 116, 1, vgl. Iulian. 571, 14) zu erkennen glaubt, der sich nach Art der christlichen Pseudokyniker geberdete und den Kaiser durch persönliche und politische Spottreden gereizt hatte; vgl. dazu und dagegen Geffcken 158f.

Die übrigen Gruppen wären ja nun am natürlichsten zeitlich zu ordnen; aber die Entstehungszeit der Briefe ist sehr bestritten, nur bei einzelnen genau, bei andern wenigstens annähernd, bei vielen gar nicht festzustellen.

Von den Privatbriefen ist 55 um die Wende des J. 359 von Gallien aus an zwei Studiengenossen (jedenfalls in Athen) in wehmütiger Erinnerung an die gemeinschaftlich verlebte Zeit und an die philosophischen und rhetorischen Studien, denen der Caesar jetzt so ferngerückt ist, 46 wahrscheinlich bei Beginn der selbständigen Regierung, etwa Dezember 361, in Konstantinopel geschrieben; der letztere enthält die entzückende, von regem Naturgefühl zeugende Schilderung des von der Großmutter ererbten Landgutes nahe dem Bosporos, das er dem Jugendfreunde Euagrios (vgl. auch Iulian. 537, 2. Seeck Briefe des Lib. 128 II) schenkt. Zwei Briefe, 9 und 36, etwa Januar oder Februar 362 geschrieben, zeigen uns den Kaiser als leidenschaftlichen Bücherliebhaber, der sich in wenig kaiserlicher Weise um die Bibliothek des ermordeten Bischofs Georgios von Alexandria bemüht, die er von früher gut kennt. Die Echtheit von 36 ist gelegentlich angezweifelt worden (Geffcken 163), ist aber unbestreitbar; nur ist die Überschrift und das Schlußwort unrichtig (Bi et Cu 53). Zu dem Präfekten von Ägypten, Ekdikios, an den 9 gerichtet ist, steht der Kaiser sehr freundschaftlich, wie aus Brief 50, der wohl Ende September 362 aus Antiochia geschrieben ist, hervorgeht, in welchem er ihm scherzend, was jener selbst wissen müßte, die Höhe des Nilwasserstandes, mitteilt. Etwas später, gegen Ende 362, fallen die beiden Briefe an Libanios (3 und 74 + 14), die des Kaisers brennendes Interesse an des Sophisten rednerischer Tätigkeit kundtun; es handelt sich um die Rede XIV: πρὸς Ἰουλιανὸν ὑπὲρ Ἀριστοφάνους (Liban. II 83–113 Förster). Bi et Cu 78 haben aus den Hss. nachgewiesen, daß Brief 14 der Schluß von 74 ist, und die beiden Briefe I.s nebst den Antworten des Libanios als Probe der von ihnen zu erwartenden Ausgabe der I.-Briefe ediert (Bi et Cu 115–129). Die vier übrigen zu dieser Gruppe gehörigen Briefe (5 an die Priesterin Theodora, 16 an Maximus, 33 an Dositheos, 37 an Himerios (nicht an Amerios, Iulian. 532, 10 und Bi et Cu 43, 2) sind zeitlich nicht festzulegen und trotz Geffcken 146 (betreffs 37) für I recht charakteristisch; 16 and 33 scheinen nur Bruchstücke zu sein, 37 ist ein [85] regelrechter Kondolenzbrief zum Tode der Gattin, 5 ein kurzer Dank für übersandte Bücher, wie ihn auch 2* an dieselbe Adresse enthält.

Von der zweiten, mit der ersten nahverwandten Gruppe von Briefen ist der älteste der von Gallien aus an Priscus gerichtete (71), in welchem er diesen Philosophen, den er jedenfalls in Athen kennen gelernt hatte (Zeller III⁴ 2, S. 791), dorthin einlädt, wo er den Ozean erforschen könne. Bezeichnend ist für diesen Brief: die Vorsicht, mit der I. von der Gottheit spricht (598, 15 und 23), und das feierliche, etwas dunkle Gelöbnis für die Zukunft (593, 18). Zwei Briefe scheinen in der ersten Freude über die durch den Tod des Constantius eingetretene Entspannung der Lage Anfang Dezember 361 in Naïssus geschrieben zu sein, 38, dessen Schluß in Chalke gefunden ist (Rh. Mus. N. F. XLII 18. Bidez Bull. Acádemie de Bruxell. 1904, 493), an Maximus und 69 an Eutherios, der wohl nur der hochbelobte Oberstkämmerer I.s (Ammian. XVI 7, 2–4) sein kann. Kaum in Konstantinopel angekommen, hat er eine Anzahl hervorragender Männer an seinen Hof berufen, so von ausgezeichneten Christen durch Brief 12 seinen athenischen Studiengenossen, den großen Basileios, durch 31 den Bischof Aëtios, den Freund seines Bruders Gallus, wodurch bewiesen wird, daß er zu Anfang an die Möglichkeit friedlichen Zusammenlebens von Christen und Heiden am Hofe glaubte. Allerdings wird 12 von Heyler 215, Asmus Galil. 55, Negri 460, 1 und Christ⁵ 832 als an einen andern Basileios gerichtet angesehen, doch sehe ich mit Geffcken 101. 161 keinen Grund dafür ein. Auch dem hochberühmten athenischen Lehrer Proairesios, der ebenfalls Christ war, schrieb er ein schmeichelhaftes Briefchen, 2, um ihn als Historiographen zu gewinnen (vgl. Sievers Studien 235, der eine etwas andere Auslegung gibt); dieser hat aber, wie es scheint, abgelehnt. Aus derselben Zeit stammt auch wohl Brief 29 an Alypios (vgl. jedoch Seeck Briefe 56. Geffcken 139), da I. einerseits als Herrscher spricht, andrerseits auf seine Verbauerung in Gallien anspielt (520, 19), und ferner eine zweite Aufforderung an Maximus, entweder zu kommen oder wenigstens zu schreiben (15), und an Priscos (Brief 44, der bei Hertlein fälschlich die Überschrift Λιβανίῳ statt Πρίσκῳ führt), an den, wie es scheint, einige Monate später, etwa Frühling 362, noch eine dritte Einladung, 4* (wozu Bidez Bull. usw. 1904, 493ff.), ergeht. Aus der gleichen Zeit, wie dieser, stammt der von Heyler 497 und Schwarz Philol. LI 631 zu Unrecht angezweifelte, mit Teuffel Ztschr. f. Geschichtsw. IV 159 für echt zu haltende Brief 68 an einen Philippus (vgl. Seeck Briefe 240 II), den der Kaiser auf seiner Reise nach Antiochia sehen will, ebenso auch Brief 4 an den Philosophen Aristoxenos, den er auffordert, ihn in Tyana zu erwarten, damit er in Kappadokien ἄνδρα καθαρῶς Ἕλληνα sehe, ,ein wunderschönes Zeugnis warmer Empfindung‘, wie Geffcken 166 sagt. Erst von Antiochia und nicht von Konstantinopel aus wird I. den damals wahrscheinlich in Ägypten lebenden (Seeck Briefe 147 II) Eustathios berufen (76, vgl. Cumont Rev. Instruction publique en Belgique XXXV 1–3) und [86] ■■■■■■■■ ihn dann auf seinen Wunsch durch Brief 89 (bei Hertlein mit falscher Überschrift, s. Bi et Cu 4) entlassen haben, worauf jener mit Brief 72 dankt, der, wie Bi et Cu 75 dartun, nicht von I. an Libanios, sondern von Eustathios an I. gerichtet ist. Hierher gehört auch Brief 20, durch den der Kaiser den Eustathios zur Feier des Antritts seines Consulates, also auf den 1. Januar 363, einlädt (501, 8; vgl. Seeck Briefe 149 II. Geffcken 78, 1). Undatierbar ist 30 an Alypios, bei dem man vielleicht an Gleichzeitigkeit mit 44 denken könnte, da in beiden von einer sonst nicht bekannten Krankheit I.s die Rede ist (521, 2. 548, 4).

Eine dritte – kleine, aber wichtige und inhaltsreiche – Gruppe bilden die Privatschreiben, in denen Iulian sich über politische Pläne und Ereignisse ausspricht. Zu diesen gehört der im Winter 357/8 an seinen Vertrauten, den Arzt Oribasios, gerichtete Brief 17 , der die noch unsichere Stellung des Caesars, zugleich aber seine Zukunftshoffnungen (vgl. Brief 71) offenbart (vgl. dazu Koch Jahrb. f. Philol. Suppl. XXV 448ff. Asmus Philol. LXI 577–592. Geffcken 48. 136), sodann 13, aus Naïssus augenscheinlich unmittelbar nach der Kunde vom Tode des Constantius in höchster Bewegung an den Oheim Iulianus geschrieben (vgl. o. S. 85, Brief 38 und 69). Aus Konstantinopel ist Brief 23 an den alten Hermogenes, der vor 328 Praefekt von Ägypten war, gerichtet, der jedenfalls ein Gesinnungsgenosse des Kaisers und als Heide von den Geschöpfen des Constantius angefeindet worden war; auch in ihm zittert noch die Erregung I.s über die unerwartet eingetretene Lösung des Konflikts mit seinem Vorgänger nach, während andrerseits auf das in Kalchedon eingesetzte Strafgericht (Ammian. XXII 3, 1ff.) hingedeutet wird. Ebenfalls aus Konstantinopel, aber aus etwas späterer Zeit, ist ein zweiter Brief an den Oheim, I*, der unzweifelhaft iulianisch ist (Geffcken 164), aber, vielleicht infolge von Verstümmelung, mancherlei für uns Rätselhaftes enthält. Wahrscheinlich der letzte uns überlieferte Brief I.s ist 27 an Libanios (vgl. über ihn auch o. S. 81), der in den Tagen vom 9.–12. März 363 in Hierapolis in Syrien geschrieben ist und kurze Bemerkungen, besonders über die Götterverehrung in den passierten Orten, enthält. Man darf voraussetzen, daß es der erste einer längeren Reihe sein sollte, der dem befreundeten Redner und Schriftsteller den Stoff für eine Geschichte des Perserzuges liefern sollte; es scheint, daß der Kaiser damals noch hoffte, den Libanios zu seiner Begleitung auf dem Zuge zu gewinnen (518, 24).

Die vorliegenden amtlichen Schreiben und Erlasse des Kaisers stammen aus Konstantinopel, d. h. aus der Zeit vom Dezember 361 bis Juni 362. Die ersten Nummern werden sein: 22, die Aufnahme des Leontios in die Haustruppe, 47, ein den Thrakern gewährter Steuernachlaß, und 58, ein Schreiben an die Alexandriner, das unzweifelhaft von dem Eintreffen der Nachricht der Weihnachten 361 erfolgten Ermordung des Bischofs Georgios ergangen ist (vgl. Asmus Galil. 45). Es war ihm augenscheinlich darum zu tun, mit der Bevölkerung der [87] Stadt, die zu den politisch ausschlaggebenden des Reichs gehörte, in Verbindung zu treten, und indem er eine Bitte um Überlassung eines Obelisken ausspricht, ihr zugleich einige Schmeicheleien zu sagen. Vermutlich etwas später, nach dem Eintreffen der Nachricht vom Tode des Georgios, Ende Januar oder Anfang Februar 362, fällt Brief 45, der dem Arzt und Lehrer der Heilkunde, Zenon, in sehr schmeichelhaften, mit einem Homerzitat verbrämten Wendungen nach Alexandrien zurückzukehren gestattet. Die beiden folgenden Erlasse finden sich auch im Codex Theodosianus; der von Dessau dem I. zugewiesene betrifft die Auferlegung des aurum coronarium (= Cod. Theod. XII 13, 1) und ist vom 29. April 312, die ,stilistisch affektierte‘ Verordnung 25 b (== Cod. Theod. XIII 3, 4) befreit die Ärzte von öffentlichen Lasten und ist vom 12. Mai 362 datiert; 5*, ein kurzer Befehl, ist undatierbar.

Die noch übrigen 20 Briefe der fünften und sechsten Gruppe beziehen sich auf religiöse Angelegenheiten. Da sind erstlich die vier auf die alexandrinischen Verhältnisse bezüglichen: in nr. 10 vom Januar oder Februar 362 erteilt der Kaiser den Alexandrinern wegen der scheußlichen Ermordung des Georgios einen sehr milden Verweis in der leise angedeuteten Hoffnung, sie vom Christentum loszulösen Die vermutlich im Hochsommer 362 ergangene Verfügung 26 verweist den Athanasios, der sich, obwohl den vertriebenen Bischöfen die Rückkehr nur in die Heimat, aber nicht auf die Bischofssitze gestattet worden sei, wieder die Bischofswürde anmaße, aus der Stadt. Auf eine von den Alexandrinern für jenen eingelegte Fürbitte antwortet der Kaiser in einem längern, sehr bezeichnenden Schreiben, 51, in dem er ihnen vorhält, wie wenig es gerade ihnen anstehe, Christen zu sein, und den Athanasios nicht nur aus der Stadt, sondern aus ganz Ägypten ausweist (vgl. Asmus Galil. 16. 31. 45). Damit gleichzeitig ist ein kurzer Privatbrief (6) an den schon genannten ägyptischen Praefecten Ekdikios. Beide werden, da als letzter Termin für die Ausweisung der 1. Dezember 362 angegeben ist, Oktober oder November 362 geschrieben sein. Sodann gehören folgende auf die Christen bezüglichen Schreiben zusammen: 11, wie Cumont Rev. phil. N. S. XXVI 222–228 scharfsinnig dargetan hat, nicht an die Βυζάντιοι, sondern an die Βυζάκιοι, d. h. die Bewohner der Provincia Valeria Byzacena südlich Karthago, gerichtet; es hebt die Befreiung der Christen von den städtischen Lasten auf (vgl. dazu J. Lévy Rev. phil. N. 8. XXVI 272–278. Hiller v. Gaertringen ebd. 278f.), ist also Ausführungsbestimmung zu Cod. Theod. XII 1, 50 und XIII 1, 4, daher auf den 13. März 362 oder bald danach zu datieren. 42 scheint mir zu dem Gesetze vom 17. Juni 362 (Cod. Theod. XIII 3, 5) das zu sein, was man heute eine authentische Interpretation nennt, eine höchst charakteristische Darlegung der Ansichten des Kaisers über die widerspruchsvolle Haltung der Christen zum rhetorischen Unterricht (vgl. Negri 336ff.), die wahrscheinlich von Antiochia aus ergangen ist, wie mit Sicherheit der Brief 52 vom 1. August 362 an die Bewohner von Bostra, der Hauptstadt des römischen Arabien, dessen [88] Charakter oben S. 50 schon erörtert ist. Aus Antiochien werden auch die Briefe 7 und 43 ergangen sein, jener an den Statthalter der Euphratensis Artabios, sonst Atarbios genannt (Seeck Briefe 91), und dieser an Hekebolios, den früher christlichen, jetzt heidnisch gewordenen Lehrer I.s, der vermutlich eine Priesterstelle in Edessa bekleidete, dem er mitteilt, daß er das Vermögen der Arianer in Edessa konfisziere, damit sie leichter ins Himmelreich kämen. An Priester -und Priesterinnen gerichtet sind 49, 2*, 6*, 21, 62, 63, und zwar 49 an den Oberpriester Arsakios von Galatien, 2* an die Priesterin Theodora; 21 und 63 (letzterer nicht mit Frg. Ep. zu einem Schriftstück zu verbinden, wie Asmus Ztsch. f. Kirchengesch. XVI 57ff. zu beweisen versucht, s. o. S. 74) sind Anstellungsdekrete für Kallixeine als Priesterin der Demeter und der Göttermutter in Pessinus und für Theodoros als Oberpriester der Provinz Asia. 62 ist ein Strafedikt, nicht, wie Asmus ebd. XVI 222 und XXIII 481–495 und, ihm folgend, Geffcken 90 annimmt, an einen politischen Beamten, sondern an einen Priester (584, 17) gerichtet, der einen andern Priester hatte körperlich züchtigen lassen, und 6* ein kurzes Briefchen, das aber nicht notwendig an eine Priesterin gerichtet zu sein braucht, wie Papadopulos Kerameus annimmt. Diese Briefe enthalten in ihrer Gesamtheit die Anschauungen I.s über die Heiligkeit des priesterlichen Berufs und die Würde, die der Priester nicht bloß genießen, sondern auch in seinem ganzen Auftreten zeigen solle. Brief 56 weist den Ekdikios an, den gottesdienstlichen Gesang in Alexandria zu organisieren, 77 ordnet das Begräbniswesen und ist mit dem zweiten Teile des Gesetzes vom 12. Februar 363 (Cod. Theod. IX. 17, 5) identisch, vgl. o. S. 79. Brief 78, den Asmus a. a. O. XXIII 481–495 in etwas künstlicher Weise mit 62 und 63 in Verbindung bringt und als an Theodoros geschrieben ansieht, ist die an einen besorgten Gesinnungsgenossen gerichtete Rechtfertigung der Übertragung eines heidnischen Priesteramtes an den früheren Bischof Pegasios von Ilium; 79, nur lateinisch überliefert, von K. J. Neumann Iuliani imp. libri contra Christianos, p. 5 in das Griechische rückübersetzt, kündigt dem Bischof Photeinos von Sirmium das Erscheinen der Galiläerschrift an (vgl. Asmus Philol. LXV 421). Von besonderem Interesse ist endlich Brief 25, dessen Echtheit oft, z. B. von Bi et Cu 19, 1, von Bidez Bull. Académie de Bruxelles 1904, 493, Schwarz Philol. LI 631, Klimek Pr. Leobschütz 1888, 7, angezweifelt, aber von Teuffel Ztsch. f. Geschichtswiss. IV 156f. gegen Heyler verteidigt worden ist. Er ist an die Allgemeinheit der Juden, Ἰουδαίων τῷ κοινῷ, gerichtet, gewährt ihnen Befreiung von mancherlei Lasten und spricht die Hoffnung aus, daß sie künftighin in dem neuaufgebauten Jerusalem für ihn beten würden. Das Schreiben ist trotz einiger nicht ganz klaren Stellen unzweifelhaft echt, da sein Inhalt durchaus den sonst bekannten Anschauungen des Kaisers entspricht; es wird nach genauen Anweisungen I.s in der Kanzlei abgefaßt sein, woher sich das öftere Vorkommen des sonst von I. vermiedenen Hiatus und die Anwendung lateinischer in der Kanzlei [89] üblicher Fremdwörter, wie βρέβιον und σκρίνιον, erklärt. Vgl. Negri 278ff.

Zeitlich und örtlich gruppieren sich die genau oder annähernd festzulegenden Briefe folgendermaßen. Aus Gallien: Winter 357/8: 17; Winter 359/60: 55; unbestimmbar: 71. Aus Naïssus, also zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 361: 13, 38, 69. Aus Konstantinopel: Dezember 361: 2, 12, 15, 22, 23, 29, 31, 44, 46, 47, 58; Januar–Februar 362: 9, 10, 36, 45, 1*; Frühling 362: 4, 11, 25 b, 63, 68, 4*, Cod. Theod. XΙΙ 13, 1 (Dessau). Aus Antiochia: Hochsommer 362: 26, 42, 50, 52; Oktober–November 362: 6, 51; Ende 362: 3, 74 + 14, 20; Anfang 363: 77; nicht genau festzulegen, also zwischen Juni 362 und März 363 anzusetzen: 7, 21, 25, 39, 43, 49, 56, 59, 62, 76, 78, 79, 2*, 6*. Aus Hierapolis, 9.–12. März 363: 27. Nicht zu bestimmen: 5, 16, 30, 33, 37, 5*. – Hier mögen schließlich auch noch die sechs I. zugeschriebenen Epigramme erwähnt sein (Iulian. 611f. Hertlein und Cumont Rev. phil. XVI 165), die, sehr verschiedenen Inhalts und Werts, z. B. das Bier und die Orgel, den Jongleur und den Kentauren, zum Gegenstand haben; sie sind im ganzen wenig bedeutend, auch ist I.s Verfasserschaft wohl nicht über allen Zweifel erhaben. –

Über I.s Schriftstellerei läßt sich zusammenfassend folgendes sagen: Was seine Sprache betrifft, so ist er Attizist, und wenn als seine nächsten Vorbilder und Lehrer, besonders in den ersten Reden, Themistios und Libanios anzusehen sind, so scheint im übrigen seine schriftstellerische Tätigkeit in weitestgehendem Maße durch die Nachahmung des Dion Chrysostomos (Schmid Atticism. I 72–191) beherrscht, wie das Prächter Archiv Gesch. der Philos. V 42–51 und vor allem Asmus Pr. Tauberbischofsheim 1895 in seiner gründlichen Weise nachgewiesen hat. I. weist alle Besonderheiten der Attizisten auf, wie das ihm unter anderem Gregorius von Nazianz Migne G. XXXV 640f. spottend vorhält; aber was Wortschatz, Benutzung früherer Autoren, Bilder und Vergleiche betrifft, so finden wir ihn bewußt oder unbewußt meist auf den Spuren Dions. Aber es ist ihm so wenig, wie allen andern Attizisten, Aristides eingeschlossen, und man kann hinzufügen, so wenig wie allen, die in einer unlebendigen Sprache schreiben, gelungen, seine Sprache ganz stilrein zu halten, ja ihm bei seiner starken Subjektivität und Lebendigkeit noch weniger; denn wenn einerseits teils vorklassische, teils reindichterische Wörter und Wendungen einfließen, so drängt sich andererseits der Gebrauch der zeitgenössischen Vulgärsprache in seine attische Prosa hin. Die Frage des Hiatus bei I. ist von Sintenis Herm. I 69ff., Hertlein Herm. VIII 171fr., am sorgfältigsten von K. J. Neumann Iul. imp. libr. contra Christianos 153–160 behandelt worden; sie ist aber noch nicht endgültig geklärt und dürfte bei der Ungleichmäßigkeit der Arbeitsweise I.s schwerlich eine glatte Lösung finden. Nur soviel läßt sich sagen, daß in den ersten Schriften der Hiat am seltensten ist, vgl. Geffcken K. Iul. 132. Zu I.s Sprache überhaupt: Wilmer Cave France The emperor Julians relation to the new Sophistic 1896, 67–91. [90] Brambs Pr. Eichstätt 1897, 3–12. K. J. Neumann Theologische Literatur-Ztg. XXIV 302ff.

Was die rhetorische Gestaltung der Schriften betrifft, so ist zwischen den einzelnen Gruppen zu unterscheiden. In Or. I. II. III und auch in VIII wirkte nachgewiesenermaßen das Vorbild der genannten Themistios und Libanios (s. Gladis a. a. O.); weiterhin zeigt sich die Benutzung des Lehrbuchs des Menander de laudationibus, ferner war in den ersten Reden und in Or. VI. VII, Ep. Th., Frg. Ep. und Mis. auch inhaltlich Dion Chrysostomos wirksam, und daneben ist vorzugsweise in den ersten beiden Reden der starke Einfluß der I. und II. Olynthischen und der Kranzrede des Demosthenes und des Panegyrikos, des Euagoras und der Reden an Demonikos und Nikokles des Isokrates zu bemerken.

Die seit Jahrhunderten entwickelte Technik des Briefstils war I. geläufig und zur zweiten Natur geworden; aber sein Freund Libanios, der gepriesenste Briefschreiber seiner Zeit, wird ihm das unmittelbarste Muster geliefert haben. I.s Belesenheit ist als umfangreich zu bezeichnen, auch wenn man in Rechnung stellt, daß er vieles gewiß aus Anthologien und Mustersammlungen bezogen hat. Von seiner Kenntnis des Demosthenes, des Isokrates und des Dion Chrysostomos war bereits die Rede; von Geschichtschreibern ist besonders Herodot, sehr viel weniger Xenophon und Thukydides, von Philosophen Platon und Aristoteles zu nennen; auch Plutarch war ihm bekannt (Sonneville Rev. Instruction publique en Belgique XLII 97–101). Von Dichtern ist es Homer, der ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist; er führt nicht nur unendlich oft ganze und halbe Verse von ihm an, auch mitten in seiner Prosa erscheinen einzelne homerische Wörter und Wortverbindungen. Neben Homer sind es Hesiod, Pindar, Anakreon, Sappho, Babrius, die herangezogen werden, auch Archilochos, Simonides, Theokrit, Krates und Kallimachos hat er wohl selbst gelesen. Von den Tragikern spielt, wie bei den übrigen Attizisten, auch bei I. Euripides die erste Rolle, während Aischylos gar nicht, Sophokles nur aus zweiter Hand zitiert wird; unter den Komikern tritt Aristophanes, und zwar besonders seine Acharner, hervor, aber auch Eupolis und Menander werden gelegentlich angeführt. Vgl. dazu Hertlein in seiner Ausgabe. Schwarz Philol. LI 631-652. Brambs Pr. Eichstätt 1897 und 1899. France a. a. O. 73-82. Gladis a. a. O. 48–56.

Bei der Beurteilung des Wertes von I.s Schriften ist in erster Linie zu beachten, daß er nicht Berufsliterat, daß seine literarische Tätigkeit nur ein Nebenprodukt, allerdings ein bei seiner seelischen Konstitution notwendiges Nebenprodukt war. Der Reichtum der in ihm sich drängenden Gedanken, die außerordentlich hohe Meinung, die er von der Macht des Wortes, des geschriebenen und des gesprochenen, hatte, auch der Ehrgeiz, auf dem einzigen Gebiete, auf dem man damals außer auf dem kriegerischen sich Lorbeeren pflücken konnte, zu glänzen, trieben ihn zur Schriftstellerei. Aber als er zu schriftstellern begann, war ihm schon die verantwortungsvolle Aufgabe geworden, Gallien zu befrieden und die Germanengrenze zu sichern, [91] und seitdem ist er aus dem kriegerischen und politischen Getriebe nicht mehr herausgekommen. Immerhin läßt sich noch ein Unterschied zwischen den in verhältmäßiger Maße und den aus dem Stegreife niedergeschriebenen Aufsätzen, Reden und Briefen feststellen. Jene sind teils in den gallischen Winterquartieren, wie Or. I. II. III. VIII; Ep. Th., teils in der unfreiwilligen Muße zu Naïssus, wie Ep. Ath,, teils in Antiochia wie Caes., Mis. und In Gal., entstanden; die andern, Or. IV. V. VI. VII; Fragm. Ep., sind wie die Briefe zwischendurch und zum Teil, wie der Kaiser gelegentlich selbst angibt, in allerhöchster Eile niedergeschrieben worden. Bei den ersten Reden merkt man noch stark das sophistische Schema und die überlieferten Motive; aber bald wächst er darüber hinaus, und die lebendige Persönlichkeit sprengt die Fesseln der hergebrachten Form. Daher kann man die sämtlichen Schriften, mit Ausnahme etwa der drei ersten Reden, als höchst persönliche Bekenntnisse ansehen. Und damit ist auch der Standpunkt für die Beurteilung gewonnen: als literarische Erzeugnisse, vom rein ästhetischen Standpunkte aus betrachtet, haben die Schriften geringen Wert und verdienen wenigstens teilweise den Tadel, den beispielsweise Christ II⁵ 2, 825ff. und W. Schmid Jahresber. XXXIV 170f. reichlich über sie ergießen; aber als Selbstzeugnisse einer mit der ganzen Bildung ihrer Zeit erfüllten Persönlichkeit von größtem Reichtum des Innenlebens, von rastlosem Streben nach Ergründung der Welträtsel und nach sittlicher Vollkommenheit haben sie einen außerordentlichen Reiz, der gerade dadurch besonders wirkt, daß der kaiserliche Jüngling über den Sturm und Drang seines Strebens und Werdens hinauszuwachsen durch seinen frühen Tod verhindert worden ist. I.s literarische Begabung war unzweifelhaft groß, aber sie hat nicht Zeit gehabt, auszureifen; auch war er in seinem Denken selbständiger, als es von mancher Seite (z. B. von Schmid Jahresber. XXXIV 271) zugestanden wird. Wo er einfach erzählt, wie beispielsweise im Beginn von Or. V und gegen Ende von Or. VII (294, 25ff.), oder wo er Naturszenerien schildert, wie in Ep. 46, ist er unübertrefflich; ebenso wenn er nur sein Gefühl sprechen läßt, wie in den wundervollen Gebeten am Ende von Or. IV (204, 13) und Or. V (232, 13). Wo er dagegen philosophisch oder theologisch erörtert, ist er unklar und verworren, 50 weil eben auch seine philosophischen und theologischen Vorstellungen unklar und verworren sind. Besonders erfreulich ist die Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit seiner Gefühlsäußerungen, und wo ihn die Umstände einmal zwingen zu lavieren, merkt man, daß er sich selbst nicht wohl fühlt und darunter leidet. Den größten Reiz werden immer die eigentlichen Briefe ausüben, weil er in ihnen, ohne sich durch die Fesseln der Form behindern zu lassen, sein natürliches Gefühl, seine Begeisterung für alles Schöne, seine überquellende Freundschaft, seine idealen Bestrebungen aussprechen konnte.
[E. v. Borries.]

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