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3) Iason von Pherai. Wahrscheinlich nicht Sohn (W. Wachsmuth Hellen. Altertumskunde I 2, 327), sondern Schwiegersohn (F. Pahle Jahrb. f. Phil. XCIII 1866, 533f. und Fürst Abamelek Lasareff Die pheräischen Tyrannen, Petersburg 1880 [russisch]) des Tyrannen Lykophron von Pherai, dessen Bestrebungen zugunsten eines thessalischen Einheitsstaates er mit größerem Erfolge aufnahm. Daß er einer sehr reichen Familie entstammte, geht aus den Anekdoten bei Polyaen. VI 1 hervor, in denen I. als verschlagener Übertölpler und Ausbeuter seiner Mutter und seiner Brüder Meriones und Polydoros erscheint. In seiner Jugend scheint er den Unterricht des Gorgias genossen zu haben: bezeugt ist, daß er diesem den Vorzug gab vor dem Athener Polykrates (Paus. VI 17, 9), und die Grundsätze seiner politischen Moral (vgl. den wohlbezeugten Ausspruch δεῖν ἀδικεῖν ἔνια, ὅπως δύνηται καὶ δίκαια πολλὰ ποιεῖν Arist. Rhet. Ι 12 p. 1373 a, danach Plut. de tuenda san. 23 p. 135 F; praec. ger. reip. 24 p. 818 A) wie auch sein panhellenisches Programm (s. u.) können sehr wohl von Gorgias beeinflußt sein. Von unersättlicher Machtbegier erfüllt (ἔφη πεινῆν, ὅτε μὴ τυραννοῖ Aristot. Pol. III 4 p. 1277 a), trat er die Herrschaft über Pherai um 380 an, vielleicht als unmittelbarer Nachfolger des Polyalkes und zweiter Mann von dessen Witwe, die vermutlich Lykophrons einzige Tochter und Erbin war (Pahle a. a. O.). Kurz vor 378 (vgl. Ed. Meyer Gesch. d. Alt. V 300. 387) war I. bereits imstande, jenseits des Pagasäischen Meerbutens in Oreos auf Euboia durch einen Handstreich dem Neogenes zur Tyrannis zu verhelfen (Diod. XV 30, 3). Bald darauf bemächtigten sich freilich die Spartaner der Stadt und legten eine Besatzung hinein. Dem politischen Gegensatz [772] gegen Sparta entsprach es, daß I. im Herbst 375 wahrscheinlich dem zweiten attischen Seebunde beigetreten ist (in der Stiftungsurkunde IG II 1, 17 hat Fabricius Rh. Mus. XLVI 589ff. überzeugend an einer später radierten Stelle, B Zeile 14/15, den Namen Ἰάσων ergänzt; die Einwendungen von Zingerle Eranos Vindobonensis 359ff. und Beloch Griech. Gesch. II 251, 3 sind nicht durchschlagend; Vgl. Dittenberger Syll.² nr. 80 not. 41. Ed. Meyer Gesch. d. Alt. V 395f. Niese Herm. XXXIX 110, 5). Mit I. zusammen traten die Molotterfürsten Alketas und Neoptolemos dem Seebunde bei. Diesen Schritt können sie ,kaum ohne vorherige oder nachträgliche Billigung I.s getan haben‘ (Fabricius), da sie gerade damals von ihm abhängig waren (s. u.). I.s Zugehörigkeit zum Bunde war aber nur von kurzer Dauer; schon vor 371 muß I. wieder ausgetreten sein, worauf sein Name in der Urkunde getilgt wurde (Fabricius a. a. O.). Da I.s Aspirationen besonders für Spartas Machtstellung bedrohlich schienen, wurde der Spartanerkönig Kleombrotos mit einem Heere ausgesandt, um die mit Sparta verbündeten Phoker zu schützen, und zwar nicht nur gegen die Thebaner, sondern auch gegen I. Vgl. O. Grillnberger Griechische Studien (Wilhering 1907) 140. Dieser Zug des Kleombrotos fällt (gegen Beloch Griech. Gesch. II 252 Anm. und Giacomo Tropea Giasone il tago della Tessaglia, Messina 1898 [Estratto dalla Rivista di Storia antica e Scienze affini, Anno III nr. 2], 37) nicht erst 371, sondern schon 374, vgl. Ed. Meyer Gesch. d. Alt. V 397f. Niese Herm. XXXIX 108, 2. Vincenzo Costanzi Saggio di Storia Tessalica, parte I, Pisa 1906 (Estratto dai Volumi XXVI e XXVII degli Annali delle Università Toscane), 104, 2. 108, 1. Grillnberger a. a. O. 137ff. und Swoboda Berl. philol. Wochenschrift 1908, 786. Zur Zeit von Kleombrotos’ Zuge hatte I. bereits die meisten Städte von Thessalien mit Güte oder Gewalt an sich gebracht, ja über die Grenzen des Landes hinausgegriffen: ihm gehorchten die Maraker und die Doloper; sogar der Molotterkönig Alketas beherrschte Epeiros nur noch als Vasall (ὕπαρχος) des I. Über die Frage, inwiefern Alketas überhaupt erst I. seine starke Stellung im Molotterlande verdankte, vgl. Klotzsch Epirotische Gesch. bis zum J. 280 (Berlinl911), 47 und Nilsson Gött. gel. Anz. 1912, 379. Die Stütze von I.s Macht bildete das reiche Familienvermögen, das ihm gestattete, ein Heer von 6000 erlesenen Söldnern zu unterhalten, die er persönlich ununterbrochen aufs sorgfältigste einexerzierte und durch zweckmäßige Behandlung so an sich fesselte, daß sie sich mit größter Bereitwilligkeit allen Anstrengungen und Gefahren unterzogen. Einzig das mächtige, mit Sparta verbündete Pharsalos war noch von ihm unabhängig: hier gebot Polydamas, dem durch das allgemeine Vertrauen der Pharsalier das Kommando auf der Burg und die Verwaltung der öffentlichen Gelder übertragen worden war. Um die Stadt und ihr Gebiet womöglich auf gütlichem Wege für sich zu gewinnen, knüpfte I. mit Polydamas Unterhandlungen an. Er schilderte ihm seine Hilfsmittel und entwickelte mit voller Klarheit ein politisches Programm: nach dem Beitritt von Pharsalos würde er sich zum Bundesfeldherrn [773] (ταγός) aller Thessaler wählen lassen; dann würde ein Bürgeraufgebot von 6000 Reitern und über 10000 Hopliten zustande kommen; alle umwohnenden Völkerschaften wären Untertanen und müßten leichtbewaffnete Bogenschützen stellen. Mit Theben und allen anderen Spartanerfeinden sei er bereite verbündet (Daß I. damals sich auch über seine angeblich gespannten Beziehungen zu Athen ausgelassen haben soll [Xen. hell. VI I, 10f.], steht im Widerspruch zu der Tatsache, daß er zu dieser Zeit noch Verbündeter Athens gewesen ist, vgl. Niese Herm. XXXIX 110f.). Unterwarf man noch Makedonien, woher auch die Athener ihr Schiffsbauholz bezögen, so werde leicht eine große thessalische Seemacht zustande kommen; für die Bemannung der Schiffe habe man die Penesten zur Verfügung. Thessalien sei reich an natürlichen Hilfsquellen und werde zudem, wenn unter einem ταγός geeint, die Tribute aller umwohnenden Völkerschaften beziehen. Schließlich hoffe er ohne große Mühe den Perserkönig zu überwinden. Im Falle der freiwilligen Unterwerfung versprach I. dem Polydamas, ihn zum größten nach ihm in Hellas zu machen (Xen. hell. VI 1, 5–12). Polydamas weigerte sich, auf den Antrag einzugehen, bevor er sich deshalb an die Spartaner gewandt habe. I. lobte die ehrenwerte Gesinnung, drohte aber mit Gewalt, wenn seinem Begehren nicht willfahrt werde. Polydamas begab sich nach Sparta, vermeintlich im eigenen Interessa in Wirklichkeit als unbewußtes Werkzeug des I., der durch Aufdeckung aller seiner Machtmittel die Spartaner abzuschrecken hoffte und aus ihrer Antwort zu erfahren gedachte, ob er ihr Eingreifen in Thessalien zu erwarten habe (Tropea 45f.). Vor dem κοινὸν τῶν Λακεδαιμονίων berichtete Polydamas über I.s Erklärungen; zugleich suchte er ein möglichst eindrucksvolles Bild von dem Charakter des thessalischen Dynasten zu entwerfen, der mit festem Willen und klarer Erkenntnis des Zweckmäßigen ein ausgezeichnetes Feldherrntalent, unermüdliche Tätigkeit und strenge Selbstbeherrschung gegenüber körperlichen Bedürfnissen verbinde und durch eine allen Anstrengungen gewachsene Körperkraft unterstützt werde (Xen. hell. VI 1, 6. 151). Xenophons ausführliche Nachrichten über die Darlegungen des Polydamas bilden für uns die wichtigste Quelle über I.; sie gehen ohne Zweifel auf Polydamas selbst zurück. Da die Spartaner damals die von Polydamas verlangte starke Heeresmacht nicht stellen konnten, unterwarf sich Polydamas dem I. Damit war die Einheit Thessaliens hergestellt, und I. wurde nunmehr sofort als ταγός der Thessaler anerkannt (Xen. hell. VI 1, 18). Seine Stellung war eine gesetzmäßige (vgl. Xen. hell. VI 4, 28 διὰ τὸ νόμῳ Θετταλῶν ταγὸς καθεστάναι). Die Hypothese Hillers v. Gaertringen (Aus der Anomia, Berlin 1890, 1ff.), wonach erst I.s Einrichtungen das Vorbild abgegeben hätten für die Fiktion einer gesamtthessalischen ταγεία des 6. und 5. Jhdts., scheitert schon an der sicher vor I. abgefaßten Sotairosinschrift (IG IX 2, 257), deren Worte κἐν ταγᾶ κἐν ἀταγίαι uns beweisen, daß auch in früherer Zeit die Stelle eines Bundesfeldherrn bald besetzt, bald unbesetzt sein konnte. Die ταγεία war in Wirklichkeit eine altthessalische Institution (vgl. Busolt Griech. Staats- und Rechtsaltertümer² [774] 68ff. Preuner Ein delphisches Weihgeschenk [Leipz. 1900] 79, 22. Swoboda Festschr. O. Hirschfeld [Berl. 1903] 319ff. Ed. Meyer Gesch. d. Alt. III 366; Theopomps Hellenika [Halle 1909] 220f. 231ff. 237ff. Costanzi Riv. di fil. XXIX 455; Saggio di Storia Tessalica 65. 72. 75. Beloch Griech. Gesch. I² 1, 337, 1), und I. knüpfte bewußt an die Einrichtungen eines früheren Bundesfeldherrn Skopas an, indem er eine gesamtthessalische Miliz in einer Sollstärke von über 8000 Reitern, 20000 Hopliten Und ungezählten Peltasten zusammenbrachte (vgl. zu diesen Zahlen Niese Herm. XXXIX 112f. 119. Ed. Meyer Theopomps Hellenika 222ff.) und den περίοικοι Tribut (τὸν φόρον ςσπεερ ἐπὶ Σκόπα τεταγμένος ἦν) auflegte (Xen. hell. VI 1, 19). Seine Herrschaft wurde als eine gemäßigte empfunden (Diod. XV 60, 5, vgl. Xen. hell. VI 4, 29), denn ganz im Gegensatz zu seinen persönlich unfähigen Nachfolgern zog er gütlichen Vergleich und freiwillige Unterwerfung der gewaltsamen Eroberung vor, und niemals ist gegen ihn der Vorwurf der Grausamkeit erhoben worden. Die Autonomie der Bundesstädte hat er, wie die Fortdauer der lokalen Münzprägung beweist, nicht angetastet, Vgl. Tropea a. a. O. 61f. In den nächsten Jahren nach 374 fing er seinem Programm getreu wirklich an, sich eine Seemacht zu schaffen (Xen. hell. VI 4, 21), und wiederholt äußerte er die bestimmte Absicht, nach Kleinasien überzusetzen und den Perserkönig zu bekämpfen (Isokr. V 119; vgl. Xen. hell. VI 1, 12). Schon die bloße Ankündigung dieses Planes trug gewaltig bei zur Erhöhung seines Ruhmes (Isokr. a. a. O.), und damals mag Isokrates, bekanntlich ein Verfechter derselben Idee, sein Gastfreund geworden sein (Isokr. epist. 6, 1). Mit Recht hebt Costanzi Saggio 108 hervor, daß die Ausführung dieses Planes erst nach der Erreichung der Hegemonie über ganz Griechenland möglich gewesen wäre. Diesem Ziel dienten I.s nächste Unternehmungen. In Theben suchte er die leitenden Staatsmänner persönlich an sich zu ketten. Mit Pelopidas verband ihn vertraute Freundschaft (Plut. Pelop. 28); den Epameinondas soll er durch Bestechung zu gewinnen gesucht, von ihm aber eine grobe Zurückweisung erfahren haben (Plut. de gen. Socr. 14 p. 583 F [hier anachronistisch in die Zeit vor der Befreiung der Kadmeia gesetzt]; apophth. p. 193 BC 13. Aelian. var. hist. XI 9, 20). Wahrscheinlich fällt 374 oder 373 die Unterwerfung der Perrhaiber. Diod. XV 57, 2 bringt sie erst im letzten Lebensjahr I.s unter. Das ist, auch abgesehen vom Schweigen Xenophons (hell. VI 4, 28) höchst unwahrscheinlich, da schon 374 mehrere Nachbarländer, darunter sogar Epeiros, I. untertan waren, vgl. Costanzi 109f. Auch die Nötigung des Amyntas von Makedonien zum Abschluß einer Symmachie mit I. läßt Diod. XV 60, 2 unrichtig erst in den letzten Monaten von I.s Leben erfolgen. Vielleicht handelte Amyntas bereits als I.s Vasall, als er dem athenischen Feldherrn Timotheos Schiffsbauholz lieferte (Ps.-Demosth. XLIX 26ff.), geradeso wie Alketas von Epeiros als Vasall I.s dem Timotheos seine Freundschaft bewies, indem er mit I. zusammen für ihn in Athen Zeugnis ablegte, vgl. Costanzi 110. Nach Ps.-Demosth. XLIX 10. 22–24. 62 trafen die beiden [775] Fürsten im Maimakterion (Nov./Dez.) 373 im Peiraieus ein und nahmen dort im Hause des Timotheos am hippodamischen Markte Quartier; um sie anständig zu bewirten, mußte Timotheos Teppiche, Gewänder, zwei silberne Phialen und eine Mine Silbers borgen. Vgl. Nepos Timoth. 4, 2f. (für einen Krieg, den Timotheos später gegen I. geführt haben soll, bietet sich kein Platz in der Geschichte). Die Tatsache einer vorübergehenden thessalischen Herrschaft über Makedonien bezeugen auch Isokr. V 20 und Arrian. anab. VII 9, 4. Zur Zeit des Timotheosprozesses war I. noch σύμμαχος der Athener (Ps.-Demosth. XLIX 10); etwa gleichzeitig scheint der athenische Feldherr Ktesikles auf dem Landweg durch das befreundete Thessalien nach Epeiros gezogen zu sein (Xen. hell. VI 2, 10, vgl. Niese Herm. XXXIX 110, 5). Aber mehr und mehr erkaltete seither I.s Verhältnis zu den Athenern. Noch einmal gelang es Iphikrates, falls Ed. Meyers (Gesch. d. Alt. V 405) Auffassung der von Polyaen. III 9, 40 überlieferten Anekdote das Richtige trifft, durch persönliche Bedrohung von I. die Beschwörung eines für Athen günstigen Bündnisses zu erpressen; ,aber Erfolg hatte das nicht, I.s Haltung wurde entschieden feindlich, und Athen tilgte seinen Namen aus der Urkunde des Seebundes‘. Möglicherweise war ein Interessenkonflikt auf Euboia die Ursache des Zerwürfnisses, vgl. Niese a. a. O. 111, 1. Die erwünschte Gelegenheit zu einer Intervention in Mittelgriechenland bot sich I. zur Zeit der Schlacht bei Leuktra (Sommer 371). Leider krankt gerade hier die Überlieferung an unheilbaren Widersprüchen. Nicht glaublich ist (trotz Bury’s Zustimmung, A history of Greece, [London 1900] 596) Diodors Angabe (XV 54, 5), daß I. schon vor der Schlacht zu den Thebanern gestoßen sei. Andererseits ist es nicht recht zu verstehen, warum das Hilfsgesuch der Thebaner an ihren Verbündeten I. (σύμμαχον ὄντα) erst nach der Schlacht abgegangen sein soll, wie Xenophon hell. VI 4, 20) behauptet. In Eilmärschen rückte mit seinem Söldnerheer und seiner Reiterei durch das ihm feindselige Phokis nach Boiotien; zugleich ließ er die Flotte mobil machen. Als er bei Leuktra eintraf, waren die Spartaner bereits geschlagen. Die Thebaner suchten ihn zu einem nochmaligen gemeinsamen Sturm auf das spartanische Lager zu bewegen, aber I. riet ihnen davon ab, da die Spartaner sonst mit dem Mute der Verzweiflung kämpfen wurden und so der Erfolg der Thebaner wieder in Frage gestellt wäre. An der Aufrichtigkeit dieses Rates darf man trotz Grote (History of Greece X² 258, 2) und E. v. Stern (Gesch. der spart und theban. Hegemonie vom Königsfrieden bis zur Schlacht bei Mantinea [Diss. Dorpat 1884] 139) mit Xenophon (s. u.) zweifeln, da ein gemeinsamer Angriff der Thebaner und I.s alle Aussieht auf Erfolg würde gehabt haben. Den Spartanern machte I., in ihr Hauptquartier sich begebend, klar, daß eine Wiederaufnahme des Kampfes im gegenwärtigen Augenblick für sie vernichtend wäre. So vermittelte er einen Waffenstillstand, nach dem die Thebaner dem spartanischen Heere freien Abzug aus Boiotien gewährten. Xenophon durchschaut wohl die wahren Motive des Vermittlers, wenn er andeutet (hell. VI 4, 25), es sei I. vor [776] allem daran gelegen gewesen, die Thebaner nicht durch einen zweiten Sieg allzumächtig werden zu lassen, sondern die Macht der Staaten, die bis jetzt um die Hegemonie gerungen hatten, im Gleichgewicht zu erhalten, dadurch ihr Mißtrauen gegeneinander zu nähren und den Kampf zwischen ihnen in der Schwebe zu halten, damit beide Parteien von ihm abhängig würden. Unter der Maske eines ehrlichen Maklers arbeitete so I. an der Aufrichtung seiner eigenen Hegemonie über Griechenland. Von besonderer Wichtigkeit war es für seine ferneren Absichten, daß er freien Eingang nach Hellas erhielt. Zu diesem Zwecke zerstörte er auf dem Rückwege nach Thessalien die Vorwerke der Phokerstadt Hyampolis (Λοκρίδα bei Diod. XV 57, 2 scheint auf einer Verwechslung von Lokris mit Phokis zu beruhen, vgl. Grillnberger 208f); ebenso riß er die Mauern der Spartanerkolonie Herakleia Trachis nieder, damit niemand diesen strategisch wichtigen Punkt besetze und ihm den Weg versperre (Xen. hell. VI 4, 27); die herakleotische Landmark schenkte er den Oitaiern und Maliern (Diod. XV 57, 2). Durchaus unhistorisch läßt Diodor, die ganze Geschichte I.s in sein letztes Lebensjahr zusammendrängend, erst jetzt den I. die Würde des thessalischen Bundesfeldherrn erlangen, mehrere Nachbarstämme unterwerfen und die Symmachie mit Makedonien schließen (XV 60, 2, vgl. Costanzi 108 Anm. Grillnberger 142). Sicher aber stand I. nach seiner Rückkehr aus Boiotien auf dem Höhepunkt der Macht und des Ansehens (vgl. Xen. hell. VI 4, 28), und jetzt mag er ganz offen die Thessaler zur Übernahme der Hegemonie über Griechenland aufgefordert haben (Diod. XV 60, 1f.). I. wurde aus seinen hochfliegenden Plänen durch einen gewaltsamen Tod herausgerissen. Auf die nächste Pythienfeier (Aug. oder Sept. 370) traf er gewaltige Vorbereitungen; alle thessalischen Städte sollten eine bedeutende Zahl Opfertiere zusammenbringen; zugleich befahl er den Thessalern, sich auf einen Kriegszug zu rüsten. Die Delpher gerieten dadurch in nicht geringen Schrecken; sie fürchteten, I. werde sich nicht mit der Leitung der Spiele begnügen, sondern seine Unternehmung sei gegen die delphischen Schätze gerichtet. Auf eine Anfrage antwortete der Gott den Geängstigten, ὄτι αὐτῷ μελήσει (Xen. hell. VI 4, 29f.). Aber bevor I. die glänzende Demonstration zur Ausführung bringen und seinen maßgebenden Einfluß in der delphischen Amphiktionie geltend machen konnte, wurde er bei einer Musterung der pheräischen Reiterei von sieben jungen Männern ermordet. Zwei der Mörder wurden von I.s Leibwächtern niedergehauen, die übrigen entflohen und wurden in den meisten griechischen Städten, in die sie kamen, mit Ehren ausgezeichnet, woraus man mit Xenophon (hell. VI 4, 32) schließen darf, daß die Angst der Griechen vor einer Tyrannis I.s groß gewesen war. Erst sein Tod ermöglichte es den Thebanern, die Früchte ihres Sieges von Leuktra wirklich einzuheimsen. Zur Beantwortung der Frage nach den Motiven der Verschworenen aber bietet die Überlieferung keinen Anhalt. Nach Ephoros (frg. 144 bei Diod. XV 60, 5) wäre der Grund eitel Ruhmsucht der jungen Männer gewesen, nach anderen (ἔνιος. bei Diod. a. a. O.) hätte I.s Bruder Polydoros die [777] Hand im Spiele gehabt Die Anekdote bei Val. Max. IX 10 ext., wonach die Mörder aus Zorn über eine entehrende Strafe gehandelt hätten, hat ebensowenig Gewähr wie Tropea’s müßige Vermutung (S. 65. 67), die Anstifter seien entweder in Theben oder unter der delphischen Priesterschaft zu suchen. Nach einer Anekdote bei Cic. de nat deor. III 70. Val. Max. I 8 ext. war auf I. schon früher ein Mordversuch gemacht worden, der jedoch die Heilung von einem für unheilbar erklärten Blutgeschwür zur Folge hatte. Plinius n. h. VII 166 berichtet dieselbe Merkwürdigkeit aus einer Schlacht. Bei Plut. de cap. ex inimicis util. 6 p. 89 G ist die Anekdote auf den Thessaler Prometheus übertragen; diesen hätte aber deswegen Pahle a. a. O. 532 nicht (nach Wyttenbachs Vorgang) mit I. identifizieren sollen, vgl. Beloch Gr. Gesch. II 251, 2. Costanzi Saggio 97. I. war mindestens zweimal verheiratet. Seine erste Frau, vermutlich Lykophrons Tochter, brachte ihm aus einer früheren Ehe drei Söhne ins Haus, Teisiphonos, Lykophron und Pytholaos oder Peitholaos. Zwar ist an sie Isokrates’ Brief Τοῖς Ἰάσονος παισίν (epist. 6) gerichtet; daß sie aber nicht Söhne, sondern Stiefsöhne I.s waren, bezeugt ausdrücklich Konon bei Phot. bibl. cod. 186 p. 142 Bk. I.s Tochter von dieser Frau war Thebe, die Alexandros von Pherai heiratete (Plut. Pelop. 28. Konon a. a. O.). I.s zweite Frau lebte später als Witwe in Theben (Xen. hell. VI 4, 37); der Umstand, daß Alexandros auch um sie warb, veranlaßte Thebe und ihre Brüder, ihn zu ermorden. Ein Söhnchen I.s namens Porthaon nennt Polyaen. VI 1, 6. I. wurde später bei den Griechen unmittelbar neben Themistokles gestellt hinsichtlich seiner Geschicklichkeit, Anschläge zu verbergen, sich nicht zu verraten, sich zu verstellen, die Gegner zu überlisten und ihren Absichten zuvorzukommen (Cic. de off. I 108). Zweifellos war er ebenso bedeutend als Stratege (Arr. tact 16, 3 kennt eine Tradition, wonach er Erfinder der ῥομβοειδὴς τάξις war) wie als Staatsmann. Mit klarem Blick steuerte er auf seine hohen Ziele los; über die Wirksamkeit seiner Mittel hat er sich nie getäuscht. Nur sein vorzeitiger Tod hat ihn um den vollen Erfolg betrogen; bei längerem Leben hätte wohl schon er das erreicht, was wenige Jahrzehnte später den großen Makedonen Philippos und Alexandros gelungen ist: die Einigung von ganz Griechenland und die Überwältigung des persischen Reiches.

Eine erschöpfende Monographie über I. fehlt. Gutes Urteil über seine Persönlichkeit und seine politischen Ziele zeigt die (ganz im Banne der unhaltbaren Chronologie Diodors stehende) Abhandlung von Giacomo Tropea (s. o.). Zu skeptisch verhält sich durchweg B. Niese (Herm. XXXIX 108ff.) gegenüber dem von Xenophon gezeichneten Bild I.s: die Tatsache, daß Xenophon den Beitritt des Thessalerfürsten zum zweiten attischen Seebund verschweigt, findet ihre Erklärung darin, daß Xenophon diesen Bund überhaupt nicht der Erwähnung würdigt, und gibt uns noch kein Recht, sein Bild überhaupt für verzeichnet zu halten.
[Stähelin.]

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