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Familia bezeichnet bei den römischen Juristen bald einen Vermögensinbegriff, bald eine Personengruppe, Dig. V 16, 195, 1 familiae appellatio varie accepta est. Nam et in res et in personas deducitur. Die erstere Bedeutung zeigt sich namentlich bei der hereditas (s. d.) in dem Satz der XII Tafeln: proximus agnatus familiam habeto, Dig. V 16, 195, 1; ebenso in dem altertümlichen Namen der Erbteilungsklage als actio familiae erciscundae, Dig. X 2. Paul. III 6, 1. Gai. II 219. Ulp. XIX 16. Auch im familiae emptor (s. Testamentum) tritt uns ein Erwerber des Nachlasses entgegen, Gai. II 102ff. Ulp. XX 7. 9. 13. XXVIII 6. Liv. XLV 40 (heredes familiae). Ebenso betraf der Zwangsverkauf der f. als Strafe einer Verletzung der Volkstribunen (Liv. III 55) das Vermögen, die χρήματα, Dionys. VI 89. Mommsen Röm. Strafrecht 937, 4.

Zweifelhaft ist, ob f. als Vermögensmasse das Ganze umfaßte, oder ob ein Unterschied zwischen f. und pecunia bestand. Beides (familia pecuniaque) wird mehrfach nebeneinander genannt. So bei dem familiae emptor, Gai. II 104 (s. Testamentum), vgl. Cic. de leg. III 7: suboles, familias pecuniasque censento. Nach Puchta-Krüger Institut.¹⁰ II § 194 dient der Zusatz pecunia zur Hervorhebung des eigentlichen Vermögens und betrifft nach II § 306a (was aus etymologischen [1981] Gründen wenig wahrscheinlich ist) die Forderungen. Andere sehen in der pecunia die res nec mancipi (s. Mancipatio). So Jhering Entwicklungsgeschichte des röm. R. 1894, 81ff. Karlowa R. R.-G. II 76 und mit eigenartiger Begründung Cuq Les institutions juridiques des Romains (Paris 1891) 92 wegen Cato de agric. 138 mulis, equis, asinis feriae nullae nisi in familia sunt. Nach Cuq wurden die nützlichen Tiere (Last- und Zugtiere) den res mancipi und damit der f. zugeteilt, die Luxustiere aber den res nec mancipi und der pecunia. Von besonderer Bedeutung wäre dies wegen des Umfanges der Testierfreiheit nach den 12 Tafeln. Tab. V 3, Ulp. XI 14 uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita ius esto. Ebenso Paul. Dig. L 16, 53. Anders Cicero de inv. II 148 und Auctor ad Herenn. I 23, woselbst es heißt: uti super familia pecuniaque sua legaverit. Doch nimmt man an, daß das letztere Wort aus der Formel der familiae emptio (Gai. II 104) an diesen Stellen eingeschoben ist und dem Wortlaute des Zwölftafeltextes ursprünglich fremd war, Karlowa R. R.-G. II 76. Jörs Birkmeyers Encyklopädie¹ 170 § 129 A. 2 a. E.; vgl. auch Cuq a. a. O. 283. 290. 296ff. 519. Wichtig wäre der angegebene Unterschied auch für Tab. X 7 (s. Furor) si furiosus escit adgnatum gentiliumque in eo pecuniaque eius potestas esto. Im späteren Rechte beschränkte sich der Ausdruck pecunia aber keineswegs auf bestimmte Arten von Vermögensstücken. So mit Recht Jörs a. a. O. 161 Anm. 4 § 121. Dig. XXXV 2, 1 pr. L 16, 97. 178 pr. 222 (pecuniae nomine non solum numerata pecunia, sed omnes res tam soli quam mobiles et tam corpora quam iura continentur), weil, wie Jörs a. a. O. richtig bemerkt, pecunia der allgemeine Wertmesser war; vgl. auch Cuq a. a. O. 91 § 4. Fest. p. 23. 212. Jörs nimmt daher a. a. O. an, daß f. das Vermögen in seiner Gesamtheit bezeichnete, pecunia dagegen die einzelnen Bestandteile. Sollte jedoch wirklich für die alte Zeit eine so scharfsinnige Unterscheidung sprachbildend gewesen sein, so bliebe doch unerklärt, warum der familiae emptor beides (f. und pecunia) neben einander genannt hat. Dies erweckt auch Bedenken gegen die Meinung Girards (Manuel élémentaire de droit Romain³, Paris 1901, 247. 222, 3. 257), der schon in den 12 Tafeln beide Ausdrücke für gleichbedeutend erachtet, während er freilich (257) einen Unterschied für die ältere Zeit als möglich zugibt, in der noch ein Kollektiveigentum am Grund und Boden bestand und das Einzeleigentum vornehmlich entweder aus Herdenvieh (pecunia) oder aus Sklaven (f.) bestand. Vermutlich deutete aber f. ursprünglich auf den Grundbesitz hin und pecunia auf das bewegliche Gut, und zwar wohl noch zur Zeit der 12 Tafeln. Mit Recht weist Cuq (Les institutions juridiques des Romains I 282) darauf hin, daß sich auch anderweit eine Unterscheidung der Erbgüter von dem persönlichen Vermögen findet.

Neben dieser Beziehung des Wortes f. auf Vermögensstücke bezeichnet es allerdings auch einen Personenkreis. Bald betrifft es die Sklaven (famuli), Fest. p. 86. 87, bald die Freigelassenen im Verhältnisse zu ihrem Patron, Dig. L 16, 196, 1. [1982] XXXI 77, 27. An andern Stellen umfaßt der Ausdruck alle abhängigen Hausgenossen, die Hauskinder mit inbegriffen, Dig. L 16, 40, 2 und 195, 3. Auch die fide bona servientes gehören zu dieser f., Dig. XXXIX 4, 12, 1 und 2. XLVII 8, 2, 14. Dies ist die Redeweise des interdictum unde vi, das bei der gewaltsamen Verdrängung eines Besitzers die Tat des Verdrängenden ebenso ansieht wie die gleiche Tat seiner Leute. Dig. XLIII 16, 1 pr. unde tu illum vi deiecisti aut familia tua deiecit; vgl. ebd. frg. 1 § 11. Andere Klagen standen hierin dem interdictum unde vi gleich, Dig. L 16, 195, 3. XXXIX 4, 1 pr. und § 5; vgl. Karlowa Röm. Rechtsg. II 36. 37. F. ist hierbei ein Inbegriff, der eine Mehrheit voraussetzt, Paul. V 6, 3 familiae autem nomine etiam duo servi continentur. Zuweilen erscheint aber auch das Unrecht eines einzigen Sklaven als eine Tat der f., Dig. XXI 51, 9 u. 11 vgl. mit XXI 1, 1, 1. 25, 1 u. 2.

An die Sklaven dachte man bei den Vorschriften über den a familia occisus und über die quaestio de oder a familia habenda, Paul. III 5, 1ff.; vgl. Dig. XXIX 5, 1 pr. 15 (commixta familia viri et uxoris). Vgl. auch Dig. XXIV 1, 54 und Dig. I 6, 2. In gleichem Sinne wurde die f. urbana von der f. rustica unterschieden, Dig. L 16, 166 pr. VII 8, 10, 4. Ebenso wird die f. publicanorum als corpus servorum vectigalis causa paratorum bezeichnet, L 16, 195, 3. So finden wir die Feuerwehr in der Hand von familiae publicae und privatae, Dig. I 15, 1.

Die Zurechnung der Haussöhne zur f. (L 16, 40, 2. 195, 3) führte im späteren Latein sogar dazu, die familiae (Hausgenossen) neben die servuli zu stellen und von ihnen zu unterscheiden, Cod. Theod. VII 20, 8.

Dieser Begriff der f. als der Hausleute erweiterte sich, insoweit als der Hausherr selbst zur f. gerechnet wurde, Dig. L 16, 196 pr. Solange er lebte, wurde dieses corpus personarum durch sein privates Recht (proprio iure), d. i. die potestas zusammengehalten, Ulp. Dig. L 16 frg. 195, 2. Auf dies so geknüpfte Band bezieht sich das in f. esse oder retineri, Vat. frg. 294. 296. Paul. IV 9, 8ff.; die f. adoptira Dig. II 4, 8 pr. XXXVIII 8, 1, 4. XXXVIII 10, 4, 10; die praetorische Erbfolgeklasse tum quem ex familia patroni, Inst. III 9, 6 (5), vgl. auch Coll. Leg. Mos. XVI 9 und Dig. L 16, 195, 5: mulier familiae suae et caput et finis est, und hierzu L 16, 196, 1: feminarum liberos in familia earum non esse palam est, quia qui nascuntur patris familiam sequuntur.

Das Band der potestas, welches die f. zusammenhielt, fiel mit dem Tode des Oberhaupts weg. Aber auch dann verblieb ein commune ius (Ulp. L 16, 195, 2), d. h. eine die Überlebenden verknüpfende gemeinsame Rechtslage als Bindeglied, und in ihr bestanden die familiae iura, die durch capitis deminutio (mutatio familiae) untergingen, Dig. IV 5, 3 pr. 6. 11.

Darum heißt die frühere Hausgemeinschaft auch nach ihrer Auflösung noch immer f. und umfaßt alle Agnaten, auch solche, qui cum una domo iam capi non possint, in alias domos tamquam in colonias exeunt, Cic. de off. I 54. So wurde die f. zu einer Gruppe von plures personae, [1983] quae ab eiusdem genitoris sanguine proficiscuntur, Dig. L 16, 195, 4.

Zu dieser agnatischen f. steht die f. naturalis patris im Gegensatze, die sog. kognatische Familie, die auch das in Adoption gegebene Kind umfaßt, Dig. XXXVIII 8, 14 (s. Cognati); vgl. auch Dig. XXV 4, 1, 13. Streng genommen ist diese durch Geburt und eheliche Zeugung von derselben Person abstammende Verwandtschaft kein geschlossenes Ganzes, sondern eine Menge miteinander verbundener, durcheinandergewachsener Familien (der väterlichen, der mütterlichen usw.), vgl. Kohler Aus Kultur und Leben 1904, 36 [Abdruck aus Westermanns Monatsh. LXVI Juni 1889, 328ff.]). Darum ist die kognatische Verwandtschaft als Ganzes ohne besondere Rechte, wie sie die agnatische Familie besaß; vgl. Puchta-Krüger Institution.¹⁰ VI § 219. Die Heraushebung dieser agnatischen f. aus der Masse der Verwandten ist das Gegenteil des Mutterrechts (Kohler a. a. O. 35), das der richtigen Meinung nach den Römern fremd war.

Ein Zwischengebilde zwischen der agnatischen und der kognatischen f. war der bei dem fideicommissum familiae relictum erwähnte Kreis der omnes qui ex nomine defuncti sunt, Dig. XXXI 32, 6. Hierzu gehörten auch die emanzipierten Kinder (Dig. XXXI 69, 1, 3. 4, vgl. auch XXX 114, 15. XXXI 77, 11), in der Regel wohl aber kaum alle cognati.

Eine Erweiterung der agnatischen f. ist die ebenfalls f. genannte gens, Liv. I 7, 14. IX 29, 8. X 33, 3. Tac. ann. III 76. XI 7. Fest. p. 86. Plin. n. h. XXXIV 137. Dig. L 16, 195, 4. Hierher gehört auch der princeps familiae, Dig. I 2, 2, 38 (Macrob. Sat. I 16, 11), während dies Wort sonst den paterfamilias bezeichnet, Ulp. IV 1.

In einem abgeleiteten Sinne heißen auch militärische Verbände (familiae tironum) familiae, vgl. Gothofredus ad c. 17 Cod. Theod. de iure fisci X 1, ebenso Beamtengruppen, die ingenui in sich schloßen, Paul. V 1, 3 (f. fiscalis). Cod. Theod. VII 4, 17. 28 pr. 31. VIII 5. 21.

Zweifelhaft ist der Ausgangspunkt der verschiedenen Bedeutungen des Wortes und die Reihenfolge ihrer Entstehung. Nach Festus p. 87 stammt es von dem oskischen famel = servus (famuletium = servitium). Anders derselbe Festus p. 86: familia antea in liberis hominibus dicebatur ... Postea hoc nomine etiam famuli appellari coeperunt (so auch Puchta-Krüger II 12 § 194). In der Tat ist famel ein bereits abgeleiteter Ausdruck von dem Sanskritstamme dha = setzen (vgl. Vaniçek Griech.-latein. etymologisches Wörterbuch, Leipzig 1877, 376), von dem v. Jhering Geist des römischen Rechts II⁴ 162 § 12 Anm. 214 nach Rossbach Untersuchungen über die römische Ehe 14 das Wort f. unmittelbar herleitet, während nach dem von Vaniçek Etymologisches Wörterbuch der latein. Sprache 1881, 128 Mitgeteilten famulus eine Zwischenbildung zwischen dhāman (sanskr. = Wohnsitz) und f. war. Die Doppelbedeutung des Wortes (teils res, teils personae) wird in der Regel aus einer Spaltung des Begriffs hergeleitet, mit dem der Römer ursprünglich alles bezeichnete, was sein war (Puchta-Krüger II 12 § 194: ‚alles, was bei dem Census angegeben werden mußte‘, [1984] vgl. Cic. de leg. III 7; für die allgemeine Bedeutung auch Jhering Geist II⁴ 162. 214 § 32. Karlowa Röm. R.-G. II 73. 75. Jörs a. a. O., vgl. auch Liv. XXII 53 domum familiam remque meam pessimo leto afficias). Obwohl es nicht unmöglich ist, daß dieses Ganze a potiori nach dem Erbsitze benannt wurde, so ist es doch nicht wahrscheinlich, daß ein durch Spaltung zweideutig gewordener Begriff in der Gesetzessprache der 12 Tafeln als technischer Ausdruck enthalten war. Wahrscheinlich ist eine Verschiebung des Wortes vom Sitz (dem von den famuli verwalteten Besitztume) auf die Menschen, die ihn bewohnten, geschehen, zunächst auf den Inbegriff der famuli, später auf solche, die durch ihren Ausgang aus demselben Stammsitz zusammenhingen und schließlich auf andere geschlossene Gruppen. Bei dieser Verschiebung des Namens vom Boden auf die Bewohner würde sich hiernach die entgegengesetzte Erscheinung zeigen, wie bei der Übertragung des Wortes tribus von der Volksgruppe auf ihre Bodenfläche. Nimmt man an, daß der Grundbesitz nach den famuli, die ihn bearbeiteten, seinen Namen erhielt, so liegt der Gedanke nahe, daß dieser Name auf den Inbegriff der famuli zurück übertragen wurde. Jedenfalls ist das Zwölftafelgesetz älter als das interdictum unde vi und die daneben oben erwähnten Gesetzesbestimmungen, die unter f. den Inbegriff der famuli verstehen. Dies spricht dafür, in der sachlichen Bedeutung des Wortes f. den Ausgangspunkt seiner späteren Verwendungen zu sehen.

Die wichtigsten Familienrechte s. unter Patria potestas, Tutela und Mancipium. Über Familiensacra vgl. Fest. ep. p. 245. 318. Über Familiengerichte s. Iudicia domestica und Gens.

Literatur: v. Savigny System. d. röm. R. VI 443ff. (über familiae mutatio). Pernice M. Antistius Labeo I 172ff. v. Jhering Geist des röm. Rechts II⁴ 156ff. § 32; Entwicklungsgeschichte des röm. Rechts 1894, 81ff. Hruza Beiträge zur Geschichte des griechischen und römischen Familienrechts, Leipzig 1892. 1894. Schupfer La famiglia secondo il diritto Romano, Roma 1876. Costa L’hereditas e la familia da Adriano ai Severi, Bologna 1893. Rivier Droit de famille rom., Paris 1894. Lambert La tradition Romaine sur la succession des formes du testament, Par. 1901, 46ff. Karlowa Röm. Rechtsgeschichte II 12. 15. 73ff. Puchta-Krüger Institut.¹⁰ I § 93b. 194. 219. 306a. v. Czyhlarz Institut.⁸·⁹ § 29ff. Sohm Institut.¹¹ 181. 438ff. 532ff. R. Leonhard Institut. 54ff. 331. 474. Jörs in Birkmeyers Encyklopädie¹ 165. 170. F. Leonhard in Birkmeyers Encyklopädie² 161ff. 172. Cuq Les institutions juridiques des Romains (Paris 1891) I 91. 152ff. 222. 282. 290. 296ff. 519. Girard Manuel élémentaire de droit Romain³ (Paris 1901) 247. 257. 798. Bonfante Diritto Romano (Firenze 1900) 181ff. Costa Corso di Storia del Diritto Romano I 199ff. 302. 350. Landucci Storia del diritto Romano² (Verona e Padova 1898) I § 384. 407 (über die strafrechtliche Bedeutung der F.). Voigt Röm. Rechtsgesch. I 113ff. II 56 § 75, 1 (über die Worte domus familiaque). III 68ff. § 138.
[R. Leonhard.]

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