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2) Mythischer König des boiotischen Orchomenos, Repräsentant der einstigen Minyerherrschaft dieser Stadt über Boiotien, auch Argonaut.

§ 1. Sein Vater heißt entweder Klymenos (der ein Sohn des Orchomenos war nach Hesiod. frg. 277 Rz.2 oder des Presbon), bei Pind. Ol. IV 32, der vom Argonauten E. redet, und Schol. Apoll. Rhod. I 185. Apollod. Bibl. II § 67 Wg. Paus. IX 37, die den König E. nennen (auch Hyg. fab. 14 ist E. Periclymeni filius mit Muncker zu bessern in Clymeni f.), oder Poseidon, Apoll. Rhod. I 185. II 896 (Val. Flacc. I 415. Orpheus Arg. 150). Hyg. fab. 14. Schol. Pind. Pyth. IV 61. Beide Väter sind wohl als identisch zu betrachten (wie auch Klymenos und Hades); jedenfalls hat Klymenos enge Beziehungen zu Poseidon, wird er doch im Hain des Poseidon zu Onchestos in Boiotien erschlagen, Apollod. Bibl. II § 67 Wg. Auch die Gemahlin des Klymenos und Mutter des E. führt auf die Identität mit Poseidon; denn sie heißt Βούδεια im Schol. Hom. Il. XVI 572 BTwl. (Eustath. Hom. 1076, 26), Heroine des boiotischen Βούδειον, oder Βουζύγη, Tochter des Lykos, in Schol. Apoll. Rhod. I 185.

§ 2. Des E. Heimat ist allgemein das boiotische Orchomenos, nur bei Apoll. Rhod. I 785 und den von ihm Abhängigen ist die Stadt des Miletos genannt. Die alten und neuen Erklärer verstehen das kleinasiatische Milet, wahrscheinlich aber hat der gelehrte Dichter auf eine sonst verschollene Tradition angespielt, die den Miletos wie mit Kreta so auch mit Boiotien in Beziehung setzte.

§ 3. Die Sage vom Orchomenierkönige E. ist nur in später farbloser Fassung erhalten mit ihm feindlicher thebanischer Tendenz. E. hat Theben durch Krieg tributpflichtig gemacht, weil Perieres, des Menoikeus Wagenlenker, seinen Vater Klymenos im Hain des Poseidon zu Onchestos erschlagen hatte, Apollod. Bibl. II § 67 Wg., vgl. Paus. IX 37. Dieser Kampf von Orchomenos gegen Theben scheint einst eine eigene Heldensage erzeugt zu haben; durch Pherekydes frg. 48 in Schol. Eurip. Phoeniss. 53 ist aus ihr nur erhalten, daß zwei Söhne des Oidipus Phrastor und Laonytos im Kampfe gegen E. getötet seien.

Die Befreiung Thebens von der orchomenischen Herrschaft ist nur als Tat des Herakles, also in sehr junger Form, auf uns gekommen, und bei der Zusammenordnung der Heraklestaten unter seine Jugendwerke gesetzt, Albanische Bildertafel bei Jahn-Michaelis Bilderchroniken 69. Apollod. Bibl. II § 67. Diod. IV 10, also aus dem mythographischen Handbuch. Herakles schickt die Tribut fordernden Boten des E. verstümmelt zurück und erschlägt in der ursprünglichen Überlieferung allein den E., so bei Euripides Herakl. 220, wozu der bei Apollod. Bibl. II § 69 erhaltene Zug paßt, Athena habe ihn zum Kampf gerüstet. Sonst wird die Sage rationalistisch erzählt, aber in boiotischer Lokalfassung, wie die Titulatur des Herakles πολέμαρχος (Apollod. Bibl. II § 69; vgl. v. Wilamowitz zu Eurip. Herakl. 220) zeigt, vielleicht nach Matris, vgl. Bethe Quaest. Diod. myth. 42. Er schlägt die Minyer unter E. in der Schlacht, tötet E. selbst (so Apollod. Bibl. II § 69. Diodor. IV 10, 5) oder erzwingt doch von ihm Frieden (Paus. IX 37, 3); vgl. Paus. IX 17, 2. Strab. IX [434] 414. Zu einer Reiterschlacht ist der Kampf ausgebildet bei Schol. Pind. Ol. XIV 2. Polyaen. I 3, 5. Tzetz. Lykophr. 874. Auch die aitiologische Legende bei Paus. IX 26 setzt die Kraft der Orchomenier in ihre Rosse; Herakles werde als ?πποδέτας in der Nähe des boiotischen Kabirenheiligtums verehrt, weil er bei Nacht heimlich die Rosse von den Wagen der Orchomenier entführt und zusammengekoppelt habe. Mit dieser Schlacht ist die Verstauung der Abflüsse des Kephissos durch Herakles (d. h. die Zerstörung der alten Abzugskanäle, Katabothren, der ,mykenischen Zeit‘) und die so hervorgebrachte Überschwemmung Boiotiens in Verbindung gebracht in der Albanischen Bilderchronik (Jahn-Michaelis 69) und bei Polyaen. I 3, 5.

Als Siegeszeichen des Herakles über E. führt Eurip. Herakl. 49 einen Altar des Ζεύς Σωτήρ an, Paus. IX 17, 2 einen steinernen Löwen am Tempel der Artemis Εὐκλεία. Ebenda die Gräber der Androkleia und Alkis, Töchter des Antipoinos, die, um den Thebanern gegen Orchomenos Sieg zu verschaffen, sich freiwillig geopfert, Paus. IX 17, 1. Darstellungen des Kampfes des Herakles gegen E. glaubte Engelmann Arch. Zeitg. 1875, 20. 1879, 186 erkennen zu dürfen, dagegen Heydemann Ann. d. Inst. 1880, 93. Welckers Vermutung (Epischer Cyklus2 I 253. II 422), der Kampf des Herakles gegen E. sei im Epos Minyas behandelt worden, ist haltlos.

§ 4. Nachkommenschaft des E. wird bei Paus. IX 37, 4f., vgl. Schol. Aristoph. Nub. 508 Z. 50 genannt: Trophonios und Agamedes. Erst als Greis habe er sie mit einem jungen Weibe auf einen mitgeteilten Orakelspruch hin gezeugt.

§ 5. Verselbständigt ist E., der Argonaut, Pind. Ol. IV 19. Apoll. Rhod. I 185. II 896 und die Abhängigen. Aber auch in diesem Sagenkreise ist sein Ruhm verschollen. Wenige Spuren zeigen, daß er früher eine größere Rolle gespielt. Herodor (FHG II 41, 59 in Schol. Apoll. Rhod. II 895) bezeugt (vgl. Val. Flacc. V 65), daß E. das Steuer der Argo geführt, Apollonios berücksichtigt diese Tradition, indem er ihn, Nauplios und Euphemos nach des Tiphys Tode zum Steuerruder eilen läßt. Pindar Ol. XIV 32ff. führt den E. in Lemnos ein; er siegte gewappnet im Wettlauf und sprach zu Hypsipyle: ,so schnell bin ich, und ebenso sind Hände und Herz; auch junge Männer haben graue Locken.‘ Der Scholiast 29 d. e. 31. 32 erklärt: bei den Leichenspielen der Argonauten für Thoas auf Lemnos habe E. durch sein scheinbares Alter die lemnischen Weiber lachen gemacht, als er zum Wettlauf antrat, aber sogar die Boreaden besiegt. Noch Kallimachos (frg. 197) im Schol. Pind. Ol. IV 32 a hat die Sage erwähnt. Vgl. Liban. ep. 303. Es scheint die Weißhaarigkeit oder das Alter des E. Bedeutung gehabt zu haben, da auch das Orakel des E. bei Paus. IX 37, 4 auf sein hohes Alter hinweist. C. O. Müller Orchomenos an mehreren Stellen.
[Bethe.]

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