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Ἐπίκληρος Die Erklärung bei Harpocr. s. ἐπίδικος: ἡ ἐπὶ παντὶ τῷ κλήρῳ ὀρφανὴ καταλελειμμένη, μὴ ὄντος αὐτῇ ἀδελφοῦ ist zu eng. Eine solche heißt bei Isai. X 4 ἐ. ἐπὶ παντὶ τῷ οἴκῳ, Suidas s. v. aber erklärt ausdrücklich καλοῦνται δὲ ἐπίκληροι κἂν δύο ᾦσι κἂν πλείους, und dieser Fall erscheint And. I 117. Isai. VI 46. Aus dem Gesetz über die ἐγγύησις bei [Demosth.] XL VI 18 ferner ergiebt sich, daß ein Mädchen erst dann ἐ. sein konnte, wenn sie weder Vater, noch Bruder von demselben Vater, noch väterlichen Großvater hatte. Aber auch in diesem Falle war sie es nicht notwendig, z. B. wenn ein verstorbener Bruder Söhne hinterlassen hatte. Selbstverständliche Voraussetzung war endlich eheliche Geburt. Ob die Mutter oder Brüder von derselben Mutter lebten, war gleichgültig. Für diese Erbtöchter war in Athen besondere Fürsorge getroffen in dem Bestreben, das Aussterben des Hauses zu verhüten, was sowohl in religiöser wie in politischer Hinsicht für ein Unglück galt. Der Archon war mit ihrer Obhut betraut, hatte sie vor jeder Unbill zu schützen und den Übeltäter zu bestrafen, er hatte auch die Aufsicht über die Vermögensverwaltung, so lange das Mädchen nicht heiratsfähig war, Arist. resp. Ath. 56, 7. Gesetz bei [Demosth.] XLIII 75. Der Vater der Erbtochter konnte letztwillig über sein Vermögen nur so verfügen, daß er diese dem Testamentserben vermählte, Isai. III 45. 42. X 13. Bei mehreren Erbtöchtern wurde ein Schwiegersohn adoptiert, die andern mit Mitgiften abgefunden, Demosth. XLI 3. War kein Testament vorhanden, so hatte der nächste männliche Verwandte Anspruch auf die Hand des Mädchens und das Erbe (τὸν κύριον ἔχειν [Demosth.] XL VI 18). Darüber gab es ein besonderes Gesetz (a. O. 19) oder vielmehr das erhaltene Intestatgesetz [Demosth.] XLIII 51 ist wahrscheinlich verkürzt und enthielt hinter σὺν ταύτῃσιν die bezüglichen Bestimmungen. Das nächste Anrecht hatten nach den Quellen der Bruder des Erblassers, Isai. X 5, dann des Bruders Söhne, Isai. III 72, die Söhne der Schwester, die Vatersbrüder des Erblassers und deren Nachkommenschaft, vgl. Plat. Leg. [115] XI 924 e. Der Zuspruch der Erbtochter erfolgte in einem gerichtlichen Verfahren (s. Ἐπίδικος), [Demosth.] XLVI 22. Eine bereits eingegangene Ehe hob die Ansprüche der Seitenverwandten nicht auf, Isai. III 64, der Ehemann ist gezwungen, auf die Erbansprüche seiner Frau zu verzichten, wenn er diese nicht verlieren will, Isai. X 18, wie anderseits wohl ein Mann seine Ehe löste, um eine Erbtochter heiraten zu können, Demosth. LVII 41. Die Anschauung ist durchaus, daß die Erbtochter nicht erbt, sondern ererbt wird, und Zweck der ganzen Einrichtung war der Ersatz des fehlenden Sohnes durch einen Sohn der Erbtochter. Daher die Bestimmungen bei Plut. Sol. 20, welche schon im Altertum Anstoß erregten. Es konnte nicht fehlen, daß diese Verhältnisse zu ganz unnatürlichen und darum unglücklichen Ehen führten, welche der Komödie reichen Stoff boten, vgl. Ar. Vesp. 583. Meineke Com. fr. IV 189. 190. 250 und die zahlreichen Titel ἐ. und ἐπιδικαζόμενος. Übrigens gelangt der Erbtochtermann nicht in den dauernden Besitz des Vermögens. Denn das Gesetz bestimmte, daß dieses mit der Volljährigkeit an den Sohn überging, [Demosth.] XLVI 20, der seinerseits der Mutter Unterhalt zu gewähren hatte. Er galt, soweit das Vermögen in Betracht kam, als Rechtsnachfolger seines Großvaters, in dessen Phratrie er natürlich eingeführt wurde. Daß er bei Lebzeiten des Ehemannes auch κύριος der Mutter wurde, werden wir dem Hyper. bei Harp. s. ἐ[πὶ δίετες ἡβῆσαι nicht glauben, vgl. Isai. VIII 31 und frg. 90 (Suid. s. τέως).

Diese verwickelten Verhältnisse mußten zu Streitigkeiten Anlaß geben. Zunächst konnte wegen schlechter Behandlung (κάκωσις, s. d.) der Erbtochter bei dem Archon eine εἰσαγγελία erstattet werden, während der Minderjährigkeit gegen den Vormund (επίτροπος), während der Ehe gegen den Ehemann, Arist. resp. Ath. 56, 6, sodann konnte jedenfalls gegen den erwachsenen Erbtochtersohn, welcher seiner Mutter den Unterhalt versagte, die σίτου δίκη (s. d.) erhoben werden. Eigentümlicherweise konnte das Erbtochterverhältnis auch durch Adoption begründet werden, was indessen selten vorgekommen sein mag, Isai. XI 9. 41. Auch die Tochter, welche bruderlos in einem unvermögenden Hause zurückblieb, wird zu den ἐ. gerechnet, und auch ihrer nahm sich das Gesetz an, indem es den nächsten Verwandten verpflichtete, sie zu heiraten oder doch auszustatten, und zwar je nach seiner Vermögensklasse mit 500, 300 oder 150 Drachmen. Mehrere gleich nahe Verwandte teilten sich in diese Leistung, von mehreren Töchtern brauchte nur eine ausgestattet zu werden. Der Archon selbst verfiel in Strafe von 1000 Drachmen, wenn er die Erfüllung dieser Pflichten nicht erzwang (Gesetz bei [Demosth.] XLIII 541. Daß indessen der Schutz der jährlich wechselnden Behörden als nicht genügend wirksam für die Erbtochter empfunden wurde, ersehen wir aus IG II 564 (Dittenberger Syll.² 429), wo die ἐπιμεληταί der Erechtheïs verpflichtet werden, sich um die Erbtochter eines verdienten Phylengenossen zu bekümmern und nötigenfalls an die Versammlung der Phyle zu berichten. Vgl. Meier-Lipsius Att. Proz. 614. Hafter Die Erbtochter nach attisch. Recht, Lz. 1887. [116]

Eine andere Bezeichnung ἐπικληρῖτις wird aus Isaios und Solon von Harp. s. ἐπίδικος und Poll. III 33 berichtet, bei Dichtern heißt sie auch ἔγκληρος, Eur. Iph. Taur. 682; Hippolyt. 1011. Sonst noch ἐπιπάματις (Hesych. I 1374) und πατροῦχος (Herodot. VI 57). Die letzte Bezeichnung stammt aus Sparta und ist identisch mit πατρῳῶχος, dem Ausdruck des Stadtrechts von Gortyna, welches von VII 15 – IX 24 ausführliche Vorschriften über die Erbtöchter enthält. Erbtochter ist danach die, die keinen Vater mehr und keinen Bruder von demselben Vater hat, VIII 40, heiratsfähig wird sie mit zwölf Jahren, XII 34. Berechtigt ist der älteste Vatersbruder, bezw., wenn Vatersbrüder fehlen, der Sohn des ältesten Vatersbruders. Bei mehreren Erbtöchtern hat der Nächstberechtigte auf die nächste Anspruch, VII 15. Im besonderen gelten folgende Bestimmungen: 1. Die Erbtochter ist ledig a) nicht heiratsfähig, dann erhält der Berechtigte die Hälfte des Vermögensertrages, abgesehen von einem etwaigen Hause, das der Erbtochter ganz verbleiht, VII 29;

b) sie ist heiratsfähig und willig α) der Berechtigte ist noch unreif, so gilt die Vorschrift bei a;

ß) er ist mannbar, aber minderjährig, so gehört bis zur Heirat der ganze Ertrag der Erbtochter, VII 35;

y) er ist mannbar und volljährig, so klagen die Verwandten auf Vollzug der Ehe, der Richter gibt zwei Monate Frist. Nach Ablauf derselben verliert der Verwandte sein Recht, und der Nächstberechtigte tritt an seine Stelle, VII 40;

δ) er ist außer Landes, dann tritt gleichfalls der Nächstberechtigte an seine Stelle, VIII 36;

ε) ein Berechtigter ist nicht vorhanden, so behält die Erbtochter das ganze Vermögen und kann heiraten, zunächst innerhalb der Phyle, wen sie will, demnächst, wen sie sonst mag, VIII 9;

c) sie ist heiratsfähig, will aber den Berechtigten nicht heiraten, so behält sie das Haus und was darin ist. Von dem übrigen Vermögen erhält der Berechtigte die Hälfte. Damit sind aber alle Ansprüche abgefunden, sie kann innerhalb der Phyle heiraten, wen sie will, VII 52.

2. Sie ist verheiratet und wird durch Tod des Vaters oder Bruders Erbtochter; a) sie will die Ehe fortsetzen, dann ruhen alle Ansprüche der Verwandten; b) sie will die Ehe lösen, α) es sind Kinder vorhanden, dann hat sie den Ehemann zu entschädigen, wie bei 1 c den Berechtigten, und kann innerhalb der Phyle heiraten. VIII 20; β) Kinder sind nicht vorhanden, dann behält sie ihr Vermögen und heiratet den Berechtigten nach den Vorschriften unter 1, VIII 27. 8. Die Erbtochter wird Witwe, gleichgültig ob aus der Ehe mit dem Nächstberechtigten oder einem andern Manne; α) es sind Kinder vorhanden, dann darf sie innerhalb der Phyle sich wieder verheiraten, VIII 30; ß) Kinder sind nicht vorhanden, so gelten die Vorschriften unter 1, VIII 33. Auch über die Vermögensverwaltung während der Minderjährigkeit der Erbtochter enthält das Gesetz VIII 43 Vorschriften. In zwei Hauptpunkten erscheint danach das Recht von Gortyna milder als das attische, insofern der Vater über die Hand der Erbtochter frei verfugt und die Ansprüche der Verwandten eine Ehe der Erbtochter nicht lösen, selbst wenn keine Kinder vorhanden sind. Dafür spricht der Wortlaut VIII 20 gegen Zitelmann 154. Ferner bedarf es zur Erlangung [117] der Erbtochter keines Verfahrens, sondern VIII 53 gibt nur dem Berechtigten ein Klagrecht, wenn jemand gegen diese Vorschriften die Erbtochter heiratet. Vgl. Bücheler u. Zitelmann Recht von Gortyn. 149. Inscr. jur. gr. 1469. Von Sparta hören wir bei Arist. Pol. II 1270 a, daß der Vater, wie in Gortyna, in der Wahl des Gatten der Erbtochter frei war, und bei Herodot. VI 57, daß, wenn der Vater sie nicht vergeben hatte, der König darüber entschied, wer auf die Erbtochter Anspruch habe. Der erstere berichtet auch, daß dort viele Erbtöchter waren. Charondas in Thurioi verlieh ähnlich wie in Athen, nicht nur den Verwandten Ansprüche auf die Erbtochter, sondern umgekehrt konnte auch diese gegen den nächsten Verwandten auf Heirat klagen, der ihr dann im Falle der Weigerung 500 Drachmen zahlen mußte, Diod. XII 18. Auch Androdamas von Rhegion gab den thrakischen Chalkidiern Gesetze über Erbtöchter, Arist. Pol. II 1274 b. Danach darf das Erbtöchterrecht als eine allen Griechen gemeinsame Einrichtung gelten. Etwas Ähnliches findet sich im indischen Recht, Leist Altarisches jus civile 213. 253.
[Thalheim.]

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