ART

103) Domitia Longina, eine Tochter des Cn. Domitius Corbulo, Gemahlin des Kaisers Domitian. Beide Namen finden sich nur bei Suet. Dom. 1 und auf einer Münze der Stadt Lappa 3 auf Kreta, Eckhel VI 401 = Mionnet Suppl. IV 326, 199. Ihres Vaters Name erscheint CIL XIV 2795 = Dessau 272 (vielleicht auch enthalten in CIL VI 16983); CIL X 1422 = Dessau 271 heisst sie Cn. f(ilia) und bei Dio ep. LXVI 3, 4 wird sie die Tochter Corbulos genannt, wohl des Feldherrn in den Partherkriegen zur Zeit Neros (Nr. 50). So haben auch ihre Freigelassenen das Praenomen Cn., CIL X 1738. XIV 2795 = Dessau 272. Zwar nennt sich CIL IX 3432 ein T. Atticus auch Domitiae Aug(ustae) lib(ertus); doch ist dies nur eine ungenaue Bezeichnung; er ist nicht Freigelassener der Kaiserin, sondern des Kaisers und heisst daher T. (Flavius) Atticus. Wenn D. bei Ioann. Antioch. FHG IV 5791, 107 für eine Tochter des Kaisers Titus gehalten wird, so ist das offenkundige Verwechslung mit Iulia, da Domitian auch diese als seine Frau betrachtete. Wir kennen wohl den Tag (11. Februar, s. u.), aber nicht das Jahr ihrer] Geburt (nach Bernoulli Röm. Ikonogr. II 2, 62 etwa zwischen 50 und 55 n. Chr.).

Sie heiratete zuerst den L. Aelius (Plautius) Lamia Aelianus (Suet. Dom. 1, vgl. 10. Dio a. a. O.), dem sie aber von Domitian entführt wurde, worauf sie anfangs dessen Geliebte, bald aber seine officielle Gemahlin wurde, Suet. a. a. O. und 22. Dio a. a. O., zum J. 70 n. Chr.; als Gattin Domitians wurde sie auf der oben citierten Inschrift CIL X 1422 aus dem Theater von Herculaneum noch in der Zeit vor Domitians Thronbesteigung Domitia Cn. f. Domitiani Caesaris genannt. Aus dieser Ehe stammte ein Sohn, dessen Namen wir nicht kennen (Mowat Bull. épigr. V 236f. will auf ihn die Bronzemünzen aus Smyrna mit der Legende Οὐεσπασιανὸς νεώτερος, Eckhel VI 402. Cohen I² 539, beziehen; vgl. auch Dieudonné Rev. numism. 1898, 673f.); geboren [1514] ist er im J. 78 (das ist aus der sonst verdorben überlieferten Stelle Suet. Dom. 3 doch mit Sicherheit zu ersehen; zu den Emendationsversuchen vgl. Ihm Herm. XXXVI 291ff.). Bald nach der Thronbesteigung Domitians starb er and wurde consecriert (auf den Münzen, wo er als divus Caesar genannt ist, Eckhel VI 401. Cohen I² 535f., hat Domitian noch nicht den Siegerbeinamen Germanicus, den er im J. 84 annahm, vgl. Gsell Essai sur le règne de Domitien 53, 4); ein Sohn des Kaisers wird erwähnt Stat. silv. I 1, 97. Silius Pun. III 629 und Martial. IV 3, 8, als divus Stat. silv. I 1, 74 (genitorque deorum). IV 3, 139 (parens deorum) und Silius Pun. III 625 (divos dature), überall an Domitian gerichtet. Von andern Kindern Domitians wissen wir nichts, doch scheint es, dass Domitia noch einmal ihrem Gemahl Hoffnung gemacht habe, da Mart. VI 3 (im J. 90) dem Kaiser die baldige Geburt eines Sohnes und Nachfolgers wünscht.

Nach dem Regierungsantritt Domitians hiess Domitia als Gemahlin des Kaisers Augusta (wahrscheinlich erhielt sie diesen Titel sogleich; denn schon am 1. October 81 wird sie in den Arvalacten CIL VI 2060 Augusta genannt, vgl. auch Euseb.-Hieronym. a. Abr. 2097 = 81; jedenfalls ist die erwähnte Suetonstelle nicht so zu verstehen, als ob sie erst im zweiten Regierungsjahre Domitians diesen Titel erhielt) und wird so auf Inschriften und Münzen genannt, so vor allem in den Protocollen des Arvalcollegs, CIL VI 2060. 2064. 2065 (vgl. Suppl. 32367). 2067. 2068, in den J. zwischen 81 und 91, ferner Not. d. scavi 1890, 13 und auf griechischen Inschriften, Bull. hell. 1885, 22 (Kreta). Denkschr. Akad. Wien XLV 20, 4 (Kibyra); ebenso auf Inschriften von Sclaven und Freigelassenen CIL VI 8434. 8570. 8667. IX 3419. 3432; die vielen andern Inschriften hingegen, wo sie nur als Domitia Domitiani bezeichnet ist, sind wahrscheinlich nach dem Tode Domitians gesetzt (s. u.). Doch nennen die Freigelassenen, die ihr Andenken ehren, sie noch nach ihrem Tode Domitia Augusta, CIL XIV 2795 = Dessau 272. Münzen mit dem Titel Augusta bei Eckhel a. a. O. Cohen I² 535–538. Mionnet Suppl. IV 326, 198f. und sonst öfter. Alexandrinische Münzen bei Poole British Mus. Coins, Alexandria 35, 282f. Ihrer Stellung als Kaiserin entspricht es auch, dass sie der Schmeichler Statius Romana Iuno nennt, Silv. III 4, 18.

Doch wahrte Domitia keineswegs die zurückhaltende Würde, die ihr als der Gemahlin des Herrschers geziemt hätte. Schon früher waren Gerüchte laut geworden, dass Kaiser Titus unerlaubten Umgang mit ihr gepflogen habe, und wenngleich sich dies nicht erweisen liess und auch nicht viel Glauben fand, so ist doch bezeichnend für sie, dass sie diese Beschuldigung zwar feierlichst zurückwies, sich aber sonst immer ihrer Schandthaten zu rühmen pflegte, Suet. Tit. 10. Dio ep. LXVI 26, 4 (zum J. 81) = Zonar. XI 18 p. 57 Dind. III, vgl. Ioann. Antioch. FHG IV 579, 105. Bald darauf wurde sie des Ehebruchs thatsächlich überführt, womit sie freilich nur die eheliche Untreue ihres Gemahles vergalt. Der Schuldige war diesmal ein Tänzer, Namens Paris, der seine bevorzugte Stellung am Hofe [1515] bis zur Verführung der Kaiserin missbrauchte, Suet. Dom. 3. 13; vgl. 10. Dio ep. LXVII 3, 1 (J. 83?) = Zonar. XI 19 p. 58. Epit. de Caes. 11, 11. Vict. Caes. 11, 7. Schol. Iuven. VI 87. Während Paris vom Kaiser getötet wurde (Dio a. a. O.; vgl. Martial. XI 13), kam Domitia infolge der Fürsprache des Ursus mit der Verbannung vom Hofe davon, doch wurde sie bald wieder von Domitian, angeblich auf Bitten des Volkes, zurückgerufen, Suet. a. a. O. Dio a. a. O. Domitia wird auf Inschriften und Münzen der J. 81. 82. 84–87. 90 und 91 genannt (81: CIL VI 2060; 82: Cohen I² 538, 2; 84/85: alex. Münze; 85: Cohen nr. l3f.; 86: CIL VI 2064. Cohen nr. 18; 87: CIL VI 2065; 90: CIL VI 2067; 91: CIL VI 2068); es bleibt also für die Zeit der Verbannung entweder der Zeitraum Ende 82–84 oder Ende 87 bis Anfang 89; im Laufe des J. 89 müsste sie schon an den Kaiserhof zurückgekehrt sein, wenn man im J. 90 die Geburt eines Prinzen erwarten konnte (s. o.); die Jahre nach 91 können schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil Iulia vor dem J. 90 starb und diese ja nach Dios Bericht an die Stelle Domitias trat. Dass wir für diese Ereignisse lieber den früheren Zeitraum (also Ende 82–84) in Anspruch nehmen, dazu werden wir ausser durch die Gründe, welche v. Arnim Herm. XXXIV 372f. anführt, wonach die Verstossung Domitias noch vor dem Chattenkrieg, also vor dem Sommer 83, erfolgte, wohl auch durch die Erwägung veranlasst, dass auf Domitians Beschluss, sie bald wieder zurückzurufen, der schon in seinen ersten Regierungsjahren (s. o.) erfolgte Tod seines Sohnes und das Verlangen nach anderen Nachkommen mitgewirkt haben mag.

Aber Domitia traute seither dem Tyrannen nicht mehr ganz, sondern schwebte beständig in der Furcht, dass seine Rache sie doch noch einmal treffen könnte. So hat sie schliesslich an der Verschwörung teilgenommen, die zur Ermordung Domitians führte; ohne ihr Mitwissen wäre der Plan vielleicht nicht gelungen, Dio ep. LXVII 15, 2 = Zonar. XI 19 p. 60 D. = Ioann. Antioch. FHG IV 579f., 107 (über die irrtümliche Bezeichnung als Tochter des Titus s. o.). Suet. Dom. 14. Epit. de Caes. 11, 11. Vict. Caes. 11, 7.

Als Kaiserin scheint sie doch manchem Wohlthaten erwiesen zu haben; unter anderm rühmt sich auch Joseph. vita 429, stets ihre Gunst genossen zu haben. Auf grosse Reichtümer, die sie besessen haben muss, weist auch die Bezeichnung eines ihrer Sclaven als exactor hered(itatium) legat(orum) peculior(um), CIL VI 8434, hin; ebenso die häufige Erwähnung der ihr gehörigen Ziegelfabriken, s. im folgenden.

Domitia hat ihren Gemahl noch lange Zeit überlebt; ihr Name erscheint auf stadtrömischen Ziegeln noch bis zum J. 126. Als Private heisst sie Domitia Domitiani; es ist nicht daran zu zweifeln, dass dieser überaus oft vorkommende Name überall auf sie zu beziehen ist, vgl. Borghesi Oeuvres IV 382 (verbessert die Ansicht, die ebd. 157 ausgesprochen ist). Dressel CIL XV p. 158. Dessau Prosopogr. imp. Rom. II 27 nr. 156. Ziegel aus ihren Fabriken haben sich in Rom und dessen nächster Umgebung in grosser Zahl gefunden, CIL XV 548. 549. 553 aus dem J. 123; 550–552. [1516] 555–557 undatiert. Ein Ziegel, der den Stempel ex figlinis Domit(iae) Domitia[n(i)] trägt, hat sich auch in Puteoli gefunden, IGI. 2404, 2.

Sicher war sie im J. 140 nicht mehr am Leben, doch scheint sie nur kurze Zeit vorher gestorben zu sein; denn in diesem Jahre wird zur Feier ihres Andenkens von einem ihrer Freigelassenen in Gabii ein Tempel errichtet, wo alljährlich ihr Geburtstag, der 11. Februar (der nach CIL X 444 auch zu Lebzeiten Domitians gefeiert wurde) festlich begangen werden sollte, CIL XIV 2795 = Dessau 272, und es ist nicht anzunehmen, dass die Betreffenden lange nach ihrem Tode ihre Dankbarkeit bezeugt haben (Eckhel VI 400).

Ihr Name erscheint in der angegebenen Form Domitia Domitiani (also in der Zeit nach dem Tode Domitians) auf Inschriften ihrer Sclaven und Freigelassenen, CIL VI 8959. 11 569. 17 115. 19 718. 20 492. 24 655. IX 3469. X 1738. 7649. Not. d. scavi 1884, 80 = Bull. com. 1883, 239 nr. 677.

Ihre überaus charakteristischen, marcanten Gesichtszüge (man beachte z. B. die tief eingeschnittene Nasenwurzel) mit dem stolzen, strengen Ausdruck, der bei der Fülle der Formen auch Sinnlichkeit verrät, sind in den Münzporträts treu bewahrt (vgl. besonders Bernoulli Röm. Ikonogr. Münztaf. II 12). In Werken der Plastik lässt sich ihr Bildnis nicht mit Sicherheit nachweisen, doch scheinen mir Bernoullis (a. a. O. 63f.) Zweifel zu weit zu gehen; namentlich ist der gegen die Echtheit der herculanischen Bronzestatue geäusserte Grund, dass sie vor 79 nur Domitians Maitresse gewesen sei, unrichtig. Wird sie ja auch auf einer Inschrift, die gleichfalls aus Herculaneum ist (CIL X 1422) als Gattin des Caesars genannt, s. o. S. ausserdem Rev. arch. XXXIV (1899) 479. Vgl. über sie St. Gsell Essai sur le règne de l’empereur Domitien, Paris 1894.
[Stein.]

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