ART

Christodoros, des Paniskos Sohn, aus der Stadt Koptos beim ägyptischen Theben (daher Θηβαῖος), lebte unter dem byzantinischen Kaiser Anastasios I. (491–518 n. Chr.) als ungemein fruchtbarer epischer Dichter. Sagengeschichtliche Stoffe scheint er vor anderen bevorzugt zu haben; so verfasste er umfangreiche Πάτρια oder Gründungsgeschichten von Constantinopel, Thessalonich, Nakle, Milet, Tralles und Aphrodisias. Ferner ein Λυδιακά betiteltes Gedicht, worin u. a. auch die mythische Urgeschichte Lydiens behandelt wurde. Aber auch zeitgenössische Ereignisse hat er in Versen verherrlicht; seine sechs Bücher Ἰσαυρικά schilderten die Eroberung Isauriens durch den Kaiser Anastasios; drei Bücher Epigramme und vier Bücher Episteln werden wohl auch in der Hauptsache Menschen und Verhältnisse seiner Zeit betroffen haben; den Schülern des Neuplatonikers Proklos († 485 n. Chr.) hat er eine eigene Monographie gewidmet. Ob sich unter den ἄλλα πολλά, die er nach Suidas noch ausserdem herausgegeben haben soll, auch das Lehrgedicht Ἰξευτικά über die Kunst, Vögel mit Leimruten zu fangen, und die ausgesprochen christlichen θαύματα τῶν ἁγίων Ἀναργύρων Κοσμᾶ καὶ Δαμιανοῦ befanden, [2451] oder ob der Χριστόδωρος Θηβαῖος Ἰλλούστριος, dem Suidas diese letztgenannten Dichtungen zuschreibt, ein vom Sohne des Paniskos verschiedener Dichter war, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit entscheiden. Als Heimat wird bei dem einen wie bei dem andern Theben genannt, und einem Dichter mit dem ausgesprochen christlichen Namen Christodoros wird man stets geneigt sein, auch Gedichte christlich-kirchlichen Inhalte zuzutrauen, so heidnisch die Vorbildung des Mannes sonst auch scheint und so fest er auch sonst auf dem Boden der Antike stehen mag.

Ausser zwei Epigrammen auf den Tod eines gewissen Ioannes von Epidamnus (Anth. Pal. VII 697. 698) besitzen wir von diesem schreibseligen Epiker nur noch 416 Verse einer sog. Ekphrasis, worin er 80 eherne (?) Statuen beschreibt, mit denen die Wände des Zeuxippos (s. d.), eines vielgenannten Gymnasions im vornehmsten Stadtteil von Constantinopel, geschmückt waren. Anfang und Ende dieser Ekphrasis, die das zweite Buch der Anthologia Palatina (ed. Stadtmüller I p. 36–57) ausmacht, sind verstümmelt. Bekanntlich handelte es sich bei dieser Dichtgattung, die seit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert beliebt war, weniger um eine genaue Beschreibung von Örtlichkeiten oder Kunstwerken, als vielmehr um Proben eleganter Rhetorik und mythographischer Gelehrsamkeit. Und so sind denn auch Ch.s Statuenbeschreibungen für die Kunstgeschichte völlig wertlos; ein jeder Versuch, die von ihm so pomphaft und doch so ungenau geschilderten Bildwerke unter dem Antikenschatz unserer Museen wieder aufzufinden, muss misslingen. Die Namen der Statuen fand Ch. offenbar an den Postamenten angeschrieben; schon er selbst war nicht immer sicher, ob diese Beischriften das Richtige trafen (vgl. v. 228ff. 393–95. 407ff.), und wir Heutigen sind es noch weniger; aber bei der oberflächlichen Phrasenhaftigkeit seiner Beschreibung wäre es Vermessenheit, diese Beischriften unsrerseits corrigieren zu wollen. Die zehn Götterstatuen, die er namhaft macht, werden ja wohl durch ihre Attribute genügend kenntlich gewesen sein; dagegen ist dies bei den 34 Heroen in hohem Masse unwahrscheinlich, und ein unbärtiger Aias Telamonios z. Β. (v. 271ff.) erweckt entschieden Verdacht. Noch am ehesten wird man den von Ch. mitgeteilten Namen bei den 34 Bildnissen berühmter Männer und Frauen Glauben schenken, da derartige ikonische Statuen gleich vom Künstler mit Namensunterschrift versehen zu werden pflegen.

Was Ch. von seinen berühmten Persönlichkeiten mitzuteilen weiss, sind ausnahmslos die abgegriffensten Trivialitäten. Wo er über mythische Figuren spricht, verrät er Vertrautheit mit Homer, aber auch mit den späteren alexandrinischen Sagenversionen. Doch erfährt weder der Geschichtschreiber, noch der Mythograph, noch auch der Archaeologe durch Ch.s oberflächliches Gerede irgend welche wirkliche Bereicherung seines Wissens.

In Bezug auf die Metrik ist Ch. durchaus Schüler des Nonnos (s. d.); einen Vers ohne Caesur im dritten Fusse hat er niemals zugelassen, die weibliche Hauptcaesur auffallend bevorzugt. Im einzelnen Versfuss ist bei ihm der Spondeus ungleich seltener, als er dies bei Homer war. Die [2452] Elision wird nur bei Conjunctionen und Praepositionen gestattet, der Hiatus aufs ängstlichste vermieden; Endsilben, die auf einen kurzen Vocal auslauten, in der Arsis oder spondeischen Thesis so gut wie gar nicht angewandt, u. w. d. m. Wo Ch. es wagte, in der Structur des Hexameters von Nonnos abzuweichen, da geschah es meist in unmittelbarer Anlehnung an Homer. Auch in der Diction zeigt sich Ch. von keinem epischen Dichter so abhängig wie von Homer. Ausserdem waren ihm Apollonios Rhodios, Kallimachos und Theokrit bekannt. Am meisten aber verdankt er nächst Homer seinem Vorbilde Nonnos. Schlichte und allgemein gebräuchliche Redewendungen mied er fast krampfhaft; dagegen übernahm er mit Vorliebe homerische ἅπαξ εἰρημένα, und demselben Streben nach ausgesuchter Originalität des Ausdrucks verdanken eine ganze Reihe neuer Wortbildungen ihren Ursprung. Doch kann dies prunkende Wortgeklingel den trostlosen Mangel an eigenen Gedanken und an wirklicher Poesie mit nichten verschleiern. Vgl. ausser den verschiedenen commentierten Ausgaben der Anthologia Graeca W. Christ Gesch. d. Griech. Litt.³ 795 (wo Ch. meines Erachtens viel zu günstig beurteilt wird). F. Baumgarten De Christodoro poeta Thebano, Diss. Bonn 1881. Konrad Lange Rh. Mus. XXXV 110ff.
[F. Baumgarten.]

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