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13) L. Cestius Pius (das Praenomen ist nur von Suet. ind. rhet. p. 99 Rffsch. bezeugt), ein sehr angesehener Rhetor und Declamator der augusteischen Zeit, gebürtig aus Smyrna (Hieron. a. Abr. 2004 = Suet. frg. 91* p. 127 Rffsch.), also von Geburt Grieche (Vermutungen über seinen lateinischen Namen s. bei Lindner 4f.). Als Ciceros Sohn an der Spitze der Provinz Asien stand, d. i. 29 v. Chr., befand sich gelegentlich unter den geladenen Gästen auch unser C., den Cicero, weil er sich erlaubt hatte, das Andenken seines Vaters zu verunglimpfen – Ciceronem negabat litteras scisse – durchprügeln liess (Sen. suas. 7, 13). Damals muss C. mindestens 20 Jahre alt gewesen sein; wir sind daher berechtigt, seine Geburt um 50 v. Chr. anzusetzen. Dazu stimmt, wenn bei Hieron. a. O. seine Blüte in das J. 13 v. Chr. gesetzt wird. Da C. damals, wie es ebenda heisst, latine Romae docuit, so werden wir annehmen können, dass er schon längere Zeit vorher nach Rom übergesiedelt ist, um sich dort eine leidliche Herrschaft über die lateinische Sprache anzueignen. Daraus, dass C. einem Sohne des Quintilius Varus beim Declamieren die Niederlage seines Vaters im Teutoburger Walde vorhielt, ergiebt sich, dass er noch nach 9 n. Chr. als Lehrer thätig gewesen ist (Sen. contr. I 3, 10). Da der junge Varus damals als Schwiegersohn des Germanicus in Aussicht genommen war (Sen. a. O.), so kann, da die drei Töchter des Germanicus, Agrippina, Drusilla, Iulia Livilla continuo triennio natae (Suet. Calig. 7) in den J. 16–18 geboren wurden, die Declamation vor 16 n. Chr. nicht stattgehabt haben; sie erheblich später anzusetzen, verbietet der Umstand, dass Varus damals nach derselben Senecastelle praetextatus war (das Verlöbnis ist jedenfalls spätestens nach der Verurteilung der Mutter des Varus, Claudia Pulchra, im J. 26 aufgelöst worden; im J. 28 wurde Agrippina mit Cn. Domitius, im J. 33 Drusilla mit L. Cassius Longinus, Livilla mit M. Vinicius vermählt, Tac. ann. IV 52. 66. 75. VI 15. Nipperdey bes. zu IV 66. Lindner 6). Über diese Zeit hinaus können wir das Leben des C. nicht verfolgen, doch könnte man Sen. contr. IX 3, 12 auf ein sehr hohes Alter beziehen. Von Natur mit reichen Gaben des Geistes ausgestattet – sein Gedankenreichtum wird contr. VII 1, 27 gerühmt –, hat er es keineswegs verschmäht, sich für seine Zwecke in der griechischen und römischen Litteratur umzusehen. Auf grosse Vorbilder, denen er gelegentlich nachahmte, weist hin contr. VII 1, 27. Bekanntschaft mit Homer (Il. IX 97) verrät contr. VII 7, 19; an Declamationen von auctores Graeci knüpft er an contr. I 1, 14; eine griechische Sentenz des Asianers Damas Skombros übertrug er ins Lateinische contr. X 4, 21. Von Römern scheint er, wie sein geistesverwandter Landsmann Arellius Fuscus, den Vergil bevorzugt zu haben (contr. VII 1, 27); mit Ciceros Reden hat er sich eingehend beschäftigt, speciell mit der Miloniana (s. u., Citat daraus suas. 7, 3; Citat aus pro Sext. Rosc. 72 in contr. VII 2, 3). Von Charakter war er höchst streitsüchtig und hämisch, ein Mann, der sich in eitler Selbstüberhebung nicht genug thun konnte (mordacissimus contr. VII praef. 8; nasutissimus suas. 7, 12; multa contumeliose interponebat, dixit contr. IX 3, 12. I 3, 10; nullius [2009] ingenii nisi sui amator suas. 7, 12). Als öffentlicher Redner vor Gericht und Volk trat er nie auf; in eigener Sache von Cassius Severus vor Gericht gezogen, zeigte er sich so ratlos, dass er sich nach einem Anwalt umsah (contr. III praef. 17). Dagegen erfreute er sich als Schulredner eines aussergewöhnlichen Ansehens. Für die Zeit um 10 v. Chr. bezeugt Cassius Severus bei Sen. contr. III praef. 14f., dass Redner wie Asinius Pollio, Messala Corvinus, Passienus weniger gern gehört wurden als C. und Latro. Seine Zuhörer, pueri fere aut iuvenes – bezeichnend für den Asianer – vergötterten ihn geradezu; sie würden ihn selbst dem Cicero vorgezogen haben, nisi lapides timerent. Seine Declamationen lernten sie auswendig, und von Ciceros Reden lasen sie nur die, gegen die C. sich vom Standpunkte des Gegners wandte. Ein Schüler, Argentarius (s. Bd. II S. 711f.), ging in der Nachäffung des Lehrers so weit, dass dieser ihn ärgerlich seinen simius oder auch griechisch ὁ πίθηκός μου nannte (contr. IX 3, 12). Ausser Argentarius werden uns als Schüler, welche bei ihm declamierten, genannt: Surdinus (Sen. suas. 7, 12. Lindner 16. Teuffel-Schwabe Röm. Litt.⁵ 23), Alfius Flavus (s. Bd. I S. 1475 Nr. 6; dazu Lindner 16f.), Quintilius Varus (contr. I 3, 10), Aietius Pastor, der, obgleich iam senator, an den Übungen teilnahm (contr. I 3, 11), ein Anonymus contr. VII 7, 19; dazu kommen als Nachahmer von Sentenzen Murredius contr. IX 6, 12 und Triarius contr. IX 6, 11. Obgleich Grieche von Geburt, declamierte er nur lateinisch (contr. IX 3, 12. Hieron. a. O.); dabei gingen ihm zuweilen die Worte aus, besonders in ausführlicheren Schilderungen (contr. VII 1, 27) und auch wohl, wenn er aus dem Stegreif sprach, was er – auch darin ein echter Asianer – oft zu thun pflegte (contr. IX 3, 13). Von Latro unterschied er sich dadurch, dass er seinen Schülern nicht blos Declamationen als Muster zur Nachahmung vortrug, sondern auch, gleich dem Arellius, an ihren Elaboraten Kritik übte (vgl. mit Bezug auf Surdinus suas. 7, 12; Argentarius contr. IX 3, 12. I 5, 3; Alfius Flavus contr. II 6, 8. I 1, 24. III 7; Quintilius und Aietius contr. I 3, 10f.) und ihnen in rhetorischen Dingen Unterweisungen erteilte. So gab er ihnen auf bestimmte Suasorien bezügliche Vorschriften suas. 1, 5f. und tadelte an ihnen den Gebrauch der sog. ἠχώ, wenn man anschliessend an eben gehörte Worte seine Rede so gestaltet, dass man diese Worte an den Anfang und an das Ende seiner Rede setzt, z. B. Anfang: ut verbis ducis vestri, iudices, incipiam ,cavete proditionem‘; Schluss: finio quibus vitam finiit imperator ,cavete proditionem‘ (contr. VII 7, 19; vgl. VII 7, 2). Vielleicht auf seine Anregung hin übersetzte Surdinus zur Übung des Stiles griechische Dramen ins Lateinische. Seinen Schülern empfahl er auch andere Declamatoren zu besuchen, um durch Beobachtung ihrer Fehler zu lernen (contr. I 3, 11. VII praef. 8). Meist declamierte er in seinem Schullocale, doch begab er sich auch wohl zu Redeturnieren in die Auditorien anderer Declamatoren. Eifersüchtig auf ihren Ruhm und streitbar, wie er war, hatte er an ihren Sentenzen fast immer Ausstellungen zu machen, nicht selten zog er sie rücksichtslos ins Lächerliche; vgl. mit Bezug auf Arellius Fuscus [2010] contr. II 3, 22; Latro VII 8, 10 (ein Streit mit ihm I 5, 8f.); Iulius Bassus I 3, 11; Triarius I 3, 9. 6, 11; Varius Geminus IV 8. VII 8, 10; Iunius Otho IV 8; Albucius Silus I 3, 8. 11; besonders VII praef. 8f. Zuweilen hielt er seine Vorträge auch in öffentlichen Bädern vor einem grösseren Publicum. Bei einer solchen Gelegenheit spielte ihm Cassius Severus arg mit (contr. III praef. 16f.). Als C. in massloser Aufgeblasenheit im Begriffe gegen Ciceros Miloniana zu recitieren (Quintil. X 5, 20) anhub: ,Wäre ich ein Gladiator, so würde ich Fusius sein; wäre ich ein Pantomime, so würde ich Bathyllus sein; wäre ich ein Pferd, Melissio‘, da fuhr Cassius ärgerlich mit der grausamen, aber wohlverdienten Bemerkung dazwischen: si cloaca esses, maxima esses. Aus der Fassung gebracht, weigerte sich C. weiter zu sprechen, bevor Cassius sich entfernt hätte. Doch Cassius erklärte, nicht eher das Bad zu verlassen, als bis er gereinigt wäre. Als Rächer des Cicero verlangte er einen öffentlichen Widerruf und citierte den C. zuerst lege inscripti maleficii vor den Praetor, dann wegen Undankbarkeit vor ein anderes Tribunal. Die Freunde des C. intervenierten, Cassius wollte von einer weiteren Verfolgung absehen, wenn C. schwüre, dass Cicero beredter sei als er, doch dazu konnte der anmassende Rhetor weder im Scherz noch im Ernst vermocht werden. Dass ein griechischer Rhetor, der nicht einmal des Lateinischen vollständig mächtig war, es wagen konnte, einen Cicero zu meistern (dieser Haltung widersprechen scheinbar die anerkennenden Äusserungen über Cicero in suas. 6, 4. 7, 2f. 10), lässt sich nur aus der damals herrschenden Geschmacksverirrung der grossen Masse erklären, auf die hin unser Rhetor oft sogar wider besseres Empfinden sündigte. Er selbst sagt in dieser Hinsicht recht bezeichnend von sich contr. IX 6, 12: multa dico, non quia mihi placent, sed quia audientibus placitura sunt. Mit richtigem Urteile geisselt er alberne Sentenzen an andern, an Schülern und Berufsgenossen, und doch sind seine eigenen Sentenzen oft nicht weniger gewagt, ja geschmacklos und kindisch, seine colores bei der thörichten Sucht, durch etwas Neues seine Vorgänger zu überbieten, nicht selten unnatürlich und lächerlich, seine divisiones zu spitzfindig und weithergeholt, kurz non servavit modum (contr. IX 6, 10; vgl. sein eigenes Urteil über eine kindische Sentenz contr. IX 6, 12; das des Montanus Votienus über einen intolerabilis color contr. IX 6, 10; das der scholastici contr. VII praef. 9; Belege bei Lindner 11–13). Noch mehr hascht er in der Darstellung nach Effect. Er gebietet über alle Raffinements und Geheimnisse rhetorischer Kunst, um sein Publicum zu fesseln und zu blenden. Mit einem Übermasse von Tropen und Figuren putzt er seine Rede buntscheckig auf; vor allem begegnen uns Beispiele für Epanaphora, ausserdem Antistrophe, Antithesis, Chiasmus, Hyperbaton, Klimax, Epidiorthosis u. a. (Beispiele bei Lindner 11). Durch häufige Fragen, Einwürfe, Anreden und Ausrufe wird der ruhige Fluss der Rede gewaltsam unterbrochen. Das exaltierte Pathos sucht sich in kurzen, abgerissenen Sätzen eine adäquate Form. So ist er in seinem ganzen Gebahren Asianer durch und durch. Wie in der Auflösung der Periode, so trägt seine Sprache [2011] auch im Wortschatze und noch mehr in der Syntax getreu den Stempel der silbernen Latinität an sich (Lindner 10). Unter den Männern, die auf den Verfall der Beredsamkeit eingewirkt haben, nimmt C. jedenfalls einen hervorragenden Platz ein. Von den Reden, die er den ciceronianischen entgegensetzte, hat sich keine Spur erhalten, dagegen finden sich zahlreiche, zum Teil umfangreiche Proben aus seinen Declamationen bei Seneca rhetor (s. die Indices der Ausgaben von Kiessling 536 und Müller 596f.). Dass der Sophokles-Scholiast Pius mit unserem Rhetor identisch ist, hält für möglich M. Schmidt Didymi fragmenta, Leipzig 1854, 273ff. Litteratur: Lindner De Lucio Cestio Pio, Züllichau Progr. 1858. Teuffel-Schwabe Röm. Litt.⁵ 641. Schanz Röm. Litt. II 209f.
[Brzoska.]

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