ART

89) Apollonios rex Tyri, Held eines Romans, welcher uns in vulgärlateinischer, mehrfach an das Bibellatein anklingender, christianisierter Fassung vorliegt, aber seinem ganzen Aufbau, vielleicht auch sprachlichen Anzeichen nach (wiewohl die meisten von A. Riese angenommenen Graecismen nach der Untersuchung von Ph. Thielmann Über Sprache und Kritik des lateinischen Apolloniusromans, Speier 1880/81, anders beurteilt werden können) auf ein früh verloren gegangenes heidnisch-griechisches Original zurückgeht. Letzteres war ausführlicher und vermutlich mehr rhetorisch gefärbt als die lateinische Bearbeitung, entbehrte aber wahrscheinlich manchen einzelnen Zug, welchen die den Roman durch Einfügung märchenartiger Motive zum Volksbuch herabstimmende Bearbeitung hinzugethan hat (E. Rohde Der griech. Roman 417f.). Dem Lateiner dürfte auch die aus der kynischen Humoristik übernommene, seit Varros Saturae Menippeae und Petronius in der lateinischen Litteratur mehrfach (Teuffel-Schwabe Röm. Litteraturgesch. § 28, 3) begegnende Mischung von Prosa und Versen (c. 11. 16. 18. 41) zuzuschreiben sein. Besonders nahe Verwandtschaft [145] in grossen und kleinen Zügen zeigt das Buch mit dem Roman des Xenophon von Ephesos (Rohde a. a. O. 412f. Riese praef. ed. II p. XVI, 4), so dass man entweder annehmen muss, Xenophons Roman sei eine Nachahmung des Apolloniusromans (Krumbacher Byzantin. Litteraturgesch. 434) oder das Umgekehrte (Riese, Rohde) sei der Fall, oder beide haben aus gemeinsamer Quelle geschöpft. Hat der Verfasser des griechischen Originals (welches vielleicht dem Joh. Malalas p. 254 bekannt war) den Xenophon benützt, so ist dieses wohl nicht vor das 3. Jhdt. n. Chr. zu setzen. Die lateinische Bearbeitung lag dem Venantius Fortunatus (VI 8, 5, geschrieben zwischen 566 u. 568) und dem Verfasser der Abhandlung de dubiis sermonibus (Gramm. lat. V 579 Keil, aus dem 7. Jhdt.) vor und gehörte bereits vor Mitte des 8. Jhdts. einer gallischen Bibliothek, 821 derjenigen des Klosters Reichenau an (A. Riese praef. ed. II p. XIV). Da in ihr die Rätselsammlung des Symphosius benützt ist (Μ. Haupt Opusc. III 21f.), so ist sie nicht vor dem 5. Jhdt. n. Chr. entstanden. Das Buch ist durch das ganze Mittelalter sehr beliebt gewesen, oft übersetzt (zuerst, so viel wir wissen, im 9. oder 10. Jhdt. ins Angelsächsische; über die vulgärgriechischen Bearbeitungen s. Krumbacher a. a. O.), bearbeitet (nach einer englischen Übersetzung in dramatischer Form durch Shakespeare, Pericles prince of Tyre) und abgeschrieben worden. Die gegen 100 Handschriften, welche erhalten, aber noch lange nicht alle verglichen sind, zeigen, wiewohl sie alle auf dieselbe lateinische Grundlage zurückgehen, hinsichtlich der Ausführlichkeit und Darstellungsform beträchtliche Verschiedenheiten; von den 3 Klassen, welche A. Riese unterscheidet, ist die erste vorzüglich durch Laurent. plut. LXVI 40 (saec. IX/X) vertreten; ausführlicher ist Parisin. 4955 (Ende saec. XIV), dessen Text Μ. Ring (Pressburg u. Leipzig 1887) herausgegeben hat; wesentlich auf diesen beiden Handschriften beruht der Text in Rieses 2. Ausgabe, welche gesondert auch den (verkürzten) Text des Oxoniensis (saec. XI) enthält. Erste Ausgabe s. l. et a. ca. 1471; dann von Μ. Velser nach dem jetzt verlorenen Augustanus 1595. A. Riese Historia Apollonii regis Tyri, Leipzig 1871; 2. Auflage 1893. Im allgemeinen s. Μ. Haupt Opusc. III 4ff. A. Riese Vorrede der Ausg. E. Rohde Gr. Rom. 408–424; weitere Litteratur Teuffel-Schwabe Röm. Litteraturgesch. § 489.
[W. Schmid.]

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