ART

Anthesteria (Ἀνθεστήρια) sind, wie der Name zeigt, ein Fest, wenn nicht das Hauptfest des Monats Anthesterion. Wir kennen die A. am besten aus Athen, jedoch waren sie nach Thuc. II 15 allen Ioniern gemeinsam; da nach der Vorstellung des 5. und, wie Solon bei Aristot. resp. Ath. c. 5, 2 zeigt, auch schon des 6. Jhdts. Athen die Metropolis der ionischen Zwölfstadt war, dachte sich Thukydides natürlich das Fest ebenda heimisch. Wir kennen A. unter anderem in Teos (CIG 3044), Branchidai d. h. Milet (CIG add. 2883 c erg. Ἀν[θεστηρί]οις), in Kyzikos, der Colonie Milets (CIG 3655, ebenda Διονύσια und Monat Ἀνθεστηριών), auch in Rhodos (nach Dittenberger De sacris Rhodiorum I p. IXf. Hesych. s. [2372] Ἀνθεστηριάδας. Bekk. An. 215, 16); auf A. in Phokeia kann man vielleicht aus den Floralia in Messalia schliessen (Iustin. XLIII 4, 6. K. F. Hermann Gott. Alt.² § 68, 40). Die Χόες in Magnesia am Maeander hatte nach den Μαγνητικά des Possis frg. 1 (FHG IV 483) erst Themistokles eingeführt, also eine spätere Copie Athens. Ausserhalb des ionischen Bereichs scheint es Χόες, also wohl auch A., in Syrakus zur Zeit des einen Dionysios (Timaeus frg. 28, FHG I 225) und im pontischen Herakleia (? Antig. Caryst. p. 126 Wilamow. bei Ath. X 437 e) gegeben zu haben. Der Gott, dem nach Thukydides a. a. O. das altionische Fest galt, ist Dionysos; dass es jemals A. ohne Dionysos gegeben hat, wie A. Mommsen Heortologie 19f. meint, mag man sich schwer vorstellen, obgleich die Feier in Athen sehr verschiedene Bestandteile enthielt. Über die athenische Festfeier haben wir für das 5.–2. Jhdt. eine reichhaltige, wenn auch keineswegs lückenlose Überlieferung; Aristophanes Acharner, die Atthidographen, der Redner Apollodor (Ps.-Demosth. or. LX, im folgenden nur ,in Neaer(am)‘) und der gleichnamige alexandrinische Gelehrte nehmen den ersten Rang ein. Der Gesamtname Ἀνθεστήρια findet sich u. a. bei Apd. frg. 28 (FHG I 433) und im Sprichwort θύραζε Κᾶρες (s. u.) οὐκέτ’ Ἀνθεστήρια bei Zenob. IV 33 und den dazu von Leutsch Paroem. Gr. I 93 gesammelten Parallelstellen. Ihrem Wesen nach konnte sie Thukydides a. a. O. auch als τὰ ἀρχαιότερα Διονύσια bezeichnen, und ebenso konnte man sie im nichtofficiellen Sprachgebrauch nach dem oder den Hauptfesttagen (z. B. Aristoph. Ach. 1076 ὑπὸ τοὺς Χόας .. καὶ Χύτρους) benennen. Mommsen a. a. O. 347ff.

Die Zeit ist sicher: am 11. Anthesterion die Πιθοιγία (Plut. qu. conv. III 7, 1), am 12. die Χόες (Harp.; bei Thuc. II 15 betrachten viele das Datum für interpoliert), am 13. die Χύτροι (Philoch. frg. 163, FHG I 411). Der Tag ist von Abend zu Abend zu rechnen (Vgl. Unger Handb. d. kl. Alt. I 552); wie die Modernen rechnet Didymos, wenn er Choen und Chytren auf einen Tag verlegt (Schol. Ar. Ach. 1076). Das Fest wurde zu der Jahreszeit gefeiert, in welcher der junge Wein des vergangenen Herbstes nach vollendeter Gährung zuerst trinkbar war, Plut. qu. conv. VIII 10, 3, d. h. um Ende Februar. Mehr als die Grammatikererklärungen des Namens A. (Et. M. s. Διονύσια. Ἀνθεστηριών) besagt die Feier des ersten Tages Πιθοιγία, die Fassöffnung, vermutlich ein Abend der Vorbereitung im Familienkreise. Es wurde geopfert und der neue Wein angestochen, auch sicherlich in die Χόες gefüllt und probiert; die Sklaven durften daran teilnehmen (Schol. Hes. op. 370). Dies letztere gilt aber schwerlich für das ganze Fest und in dem Umfange, wie Mommsen 350 und K. F. Hermann Gott. Alt.² § 43. 10 auf Grund der falschen Erklärung des Sprichworts θύραζε κᾶρες u. s. w. annahmen; s. u.

Der auf diesen Vorabend folgende Tag gehörte bis zum Sonnenuntergang noch zur Πιθοιγία, erst dann fing das Hauptfest, die Χόες, an. Doch wird man praktisch nicht so streng geschieden haben. Über die Vorbereitungen ausführlichst Mommsen 351ff. Den Namen des Festes erklärt der Mythos von Orestes Aufnahme in Athen Eur. Iph. T. 947–60. Phanod. frg. 13 (FHG I [2373] 368). Apd. (περὶ θεῶν) frg. 28. Plut. qu. conv. II 10, 1; das Bild einer wirklichen Feier, natürlich mit der Freiheit der Komödie, giebt Aristoph. Ach. 1000ff. Es ist die volkstümliche Seite, der öffentliche Schmaus und das Gelage, zu dem der βασιλεύς einladet: im 5. Jhdt. der ἄρχων, in der Sage der wirkliche König Demophon (Phanod.) oder dessen Söhne (Plut.) oder Pandion (Apd.), wie er überhaupt der Leiter ist (in der Kaiserzeit mögen Verschiebungen eingetreten sein; so veranstaltet in der Inschrift CIA III 1160 der βασιλεύς den (Epheben-) Agon an den Lenaeen, die ἀγορανόμοι leiten die Κύθρους; Zeit: 192/3 n. Chr.). Seine Speisen und einen χοῦς brachte jeder selbst mit; der Basileus sorgte (nach Aristophanes) für Ruhelager, Kränze und Salben, Süssigkeiten und πόρναι (? Ar. Ach. 1084ff.) und arrangierte einen Zecherwettkampf; der Sieger bekam von den Kampfrichtern als Preis einen Schlauch Wein (und einen Epheukranz, Schol. Ar. Ach. 1002; einen Kuchen, Phanod. a. a. O., ein ausnahmsweise kostbarer Preis Timaeus frg. 28). Dies schloss jedoch keineswegs private Zusammenkünfte aus: die Lehrer luden ihre Schüler ein, von denen sie soeben Honorar bekommen hatten (Ath. X 437; vgl. das Mahl der Knaben in Didymoi ἐν τοῖς Ἀν[θεστηρί]οις CIG add. 2883), und auf den Strassen sass man zusammen beim Wein (εὐρυχόρους κατ’ ἀγυιὰς ἱστάναι ὡραίαν Βρομίου χάριν ἄμμιγα πάντας heischt das Orakel bei Demosth. XXI 52; vgl. E. Maass De Lenaeo et Delphinio V und im allgemeinen Mommsen 360. Stengel Kultus-Alt. 164, 14). Alle Kinder über 3 Jahre waren mit Blumen bekränzt; dass auch Knaben und Epheben eifrig an den Festfreuden teilnahmen, zeigen, nach der Ansicht von einigen Gelehrten, die Bilder zweier Gefässe, welche letzteren zugleich die Form des χοῦς zur Anschauung bringen (das eine in Berlin: Arch. Ztg. X 1852 Taf. XXXVII, dazu Gerhard p. 404ff. = Furtwängler Berl. Vas. Kat. II nr. 2658; das andere Gaz. arch. IV 1878 pl. 7, und dazu Fivel ebenda p. 155f. V 1879, 6–18; namentlich 16ff. über den Anteil der Knaben. Daremberg et Saglio Dict. des ant. I 1128; über den χοῦς Krates bei Ath. XI 495 a). Ein Staatszuschuss für die Kosten des Festes an die einzelnen ist erst Erfindung des 4. Jhdts. Demades verschafft jedem ½ Mine (Plut. praec. reip. ger. 25. Schäfer Demosth.² III 211).

Den ernsteren religiösen Teil der Choenfeier bildet die symbolische Vermählung des Dionysos mit der βασίλιννα, der zukünftigen Gattin des Archen βασιλεύς (in Neaer. 72–78). Ihr sind 14 Ehrenjungfrauen, γερα(ι)ραί entsprechend den 14 Altären, die am Chytrenfest dem Dionysos errichtet werden (Et. M. 227, 36. Poll. VIII 108), und ein ἱερὸς κῆρυξ (Euneide nach Toepffer Att. Geneal. 183f.) für die Opferhandlungen beigegeben. Das Gesetz, welches die darauf bezügliche Instruction für den βασιλεύς enthält, steht neben dem Altar auf einer Säule, im ältesten Heiligtum des Dionysos, zu Limnai, das nur einmal im Jahre, am Choentage, während alle anderen Tempel geschlossen waren (s. u.), geöffnet wurde. Dieser Tempel und das Gemach, welches nur die βασίλιννα am Tage des γάμος betreten darf, scheinen von einander unzertrennlich zu sein. Nun hat uns Aristoteles resp. Ath. 8, 5 gelehrt, dass der γάμος im [2374] (τὸ νῦν καλούμενον) Βουκολεῖον stattfand, dieses aber nahe dem Prytaneion lag. Wenn das Prytaneion von der Zeit des Aristoteles bis auf Pausanias I 18, 3 dieselbe Stelle einnahm, so muss man das Bukoleion und damit, wie wir sehen, höchst wahrscheinlich auch Limnai in den Norden der Burg verlegen. Dies hat nach W. Dörpfelds Vorgang E. Maass De Lenaeo et Delphinio, Ind. schol. hib. Greifsw. 1891/2 consequent durchgeführt. Freilich kann er sich nur gezwungen mit Thuc. II 15 abfinden, der Olympieion, Pythion, Heiligtum der Ge und des Dionysos in Limnai als vorstädtische ἱερά der vortheseischen Stadt, die der Hauptsache nach im Süden lagen, bezeichnet. Ebenso consequent verlegt E. Curtius Bukoleion Prytaneion Limnai in den Süden, an die bestrittene ἀρχαία ἀγορά; erst in hellenistischer Zeit seien jene Staatsgebäude nach dem Norden verlegt, wo sie Pausanias sah (Stadtgesch. v. Athen 51. 244). Dagegen hält Judeich Rh. Mus. XLVII 53 zwar am Bukoleion im Norden fest, behält aber andererseits auch die von v. Wilamowitz Herm. XXI 617 früher verteidigte Ansetzung von Limnai im SO. beim Olympieion bei. Ohne diese Frage zu entscheiden ist es unmöglich, ein klares Bild von den athenischen Dionysosfesten zu entwerfen; und doch ist eine sichere Lösung kaum anders als vom Spaten zu erwarten. Mit dem γάμος wird die πομπή zusammenhängen, von deren Ausgelassenheit die Spottreden ἐκ τῶν ἁμαξῶν (Phot. s. v. Harp. Phot. Suid. s. πομπείας καὶ πομπεύειν) und das Herumschwärmen in Verkleidungen als Horen, Nymphen und Bakchen (Philostr. Ap. Tyan. IV 21) zeugen. Zeiteinteilung für die Χόες nach Mommsen: am Abend πομπή und γάμος am nächsten Tage das Gelage; indessen war wohl nur der γάμος zeitlich bestimmt; der Carneval lässt sich nicht so strenge Gesetze auferlegen. Das heitere Gelage schloss am Abend, es begannen die Χύτροι, dem Dionysos und dem chthonischen Hermes sowie den abgeschiedenen Seelen geweiht. Jeder wickelte seinen Kranz um den χοῦς und zog damit (hinaus aus der Stadt?) πρὸς τὸ ἐν Λίμναις τέμενος zur Priesterin des Gottes; im Heiligtum opferte er den Rest seines Weines (Phanod. frg. 13, vgl. die 14 Altäre, Alciphr. II 3, 11, und das Opfer des Themistokles in Magnesia a./M. an Dionysos Χοοπότης). Der Tag (oder alle Tage der A. galt als ein unreiner (Phot. s. μιαρὰ ἡμέρα. Hesych. s. μιαραὶ ἡμέραι, vgl. Eustath. Il. XXIV 526, welcher die πιθοιγία als ἀποφράς = dies nefastus bezeichnet), an dem die Seelen der Verstorbenen umgingen; um Befleckung zu vermeiden, schloss man die Tempel (Phanod. frg. 13 für die Χόες, angeblich zum erstenmal wegen Orestes) und wandte im Hause allerlei abwehrende Mittel (Pech und Wegedorn) an; vor allem opferte man dem Hermes χθόνιος, um ihn gegen die Toten gnädig zu stimmen, Theop. frg. 342 (FHG I 332). Über die ganze Feier Preller-Robert Griech. Myth.⁴ I 406 und besonders Rohde Psyche I 216ff. In jedem Hause kochte man die πανσπερμία in einem Topfe, χύτρα (Theop. a. a. O.), am Schmause mag man sich die Seelen teilnehmend gedacht haben, so dass man sie zum Schlusse mit dem Rufe θύραζε κῆρες, οὐκέτ’ Ἀνθεστήρια verjagte (so nach Phot. s. v. Crusius bei Ersch und Gruber s. [2375] Keren. Rohde a. a. O. 219). So hat man auch die Χόες mit den χοαί für die Toten in Verbindung gebracht, Schol. Ar. Ach. 961 nach einem Orakel. Das Totenopfer knüpft mythisch an die an, welche in der deukalionischen Flut umgekommen sind (vgl. Maass a. a. O. VIII, und dagegen Judeich a. a. O. 57); man hat deshalb auch andere Bräuche, die sich auf die Flut beziehen, mit den Chytren in Verbindung gebracht: die ὑδροφορία (Et. M. Hesych.) und das Opfer von Mehl und Honig im Erdspalt des τέμενος der Ge (innerhalb des Olympieionbezirks), durch den die Flut abgelaufen sein soll (Paus. I 18, 7), Rohde 218, 3. Endlich gehören hierher die ἀγῶνες χύτρινοι, über die freilich für das Nähere auf die Artikel Drama und Komödie verwiesen werden muss. Der Redner Lykurgos gab ein Gesetz, dass, wie früher, wieder an den Chytren ein Komödienagon im Theater stattfinden sollte καὶ τὸν νικήσαντα εἰς ἄστυ καταλέγεσθαι, ,unter die an den städtischen Dionysien concurrierenden Dichter aufzunehmen sei‘ (Mommsen 368. Vit. X orat. 841 e. f nach Philochoros, vgl. dessen frg. 137, FHG 407 und dazu Müller p. 405). Die Frösche des Aristophanes stimmen (215ff.) ein Lied an, das sie schon einmal am Chytrenfest in Limnai dem Gotte gesungen haben, als der schwärmende Komos ihrem τέμενος genaht ist, d. h. sie quaken jetzt auf der Bühne, wie ihre Vorbilder, die wirklichen Frösche, damals ἐν ταῖς λίμναις gequakt haben; der κῶμος ist das Ende des Choengelages, Phanod. frg. 13, s. o. (anders Mommsen 369.)

Litteratur meist schon genannt; am ausführlichsten A. Mommsenn Heortologie 345–373. Vgl. Stengel Griech. Kultusaltertümer 163–65. F. A. Voigt in Roschers Lex. d. Myth. I 1071ff.
[Hiller v. Gaertringen.]

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