- Kunst Galerie -

 

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EMILIA GALOTTI

von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

Personen:

Emilia Galotti
Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia
Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla
Marinelli, Kammerherr des Prinzen
Camillo Rota, einer von des Prinzen Raeten
Conti, Maler
Graf Appiani
Graefin Orsina
Angelo und einige Bediente

Erster Aufzug

Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.

Erster Auftritt

Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchlaeuft). Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften!—Die traurigen Geschaefte; und man beneidet uns noch!—Das glaub ich; wenn wir allen helfen koennten: dann waeren wir zu beneiden.—Emilia? (Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlaegt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) Eine Emilia?—Aber eine Emilia Bruneschi—nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti!—Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel gefodert, sehr viel.—Doch sie heisst Emilia. Gewaehrt! (Er unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es ist wohl noch keiner von den Raeten in dem Vorzimmer?

Der Kammerdiener. Nein.

Der Prinz. Ich habe zu frueh Tag gemacht.—Der Morgen ist so schoen. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Lasst ihn rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)—Ich kann doch nicht mehr arbeiten. —Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig—Auf einmal muss eine arme Bruneschi Emilia heissen:—weg ist meine Ruhe, und alles!—Der Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Graefin Orsina.

Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin.

Der Kammerdiener. Ihr Laeufer wartet.

Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.—Wo ist sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?

Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen.

Der Prinz. Desto schlimmer—besser, wollt' ich sagen. So braucht der Laeufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine teure Graefin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)—Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber—ich habe!

Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die
Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; lasst ihn hereinkommen.
—Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.)

Zweiter Auftritt

Conti. Der Prinz.

Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?

Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot.

Der Prinz. Das muss sie nicht; das soll sie nicht—in meinem kleinen
Gebiete gewiss nicht.—Aber der Kuenstler muss auch arbeiten wollen.

Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten muessen kann ihn um den Namen Kuenstler bringen.

Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber mit Fleiss.—Sie kommen doch nicht leer, Conti?

Conti. Ich bringe das Portraet, welches Sie mir befohlen haben, gnaediger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient—Der Prinz. Jenes ist?—Kann ich mich doch kaum erinnern—Conti. Die Graefin Orsina.

Der Prinz. Wahr!—Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.

Conti. Unsere schoenen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die Graefin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschliessen koennen zu sitzen.

Der Prinz. Wo sind die Stuecke?

Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie.

Dritter Auftritt

Der Prinz. Ihr Bild!—mag!—Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.—Und vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke.—Ich will es aber nicht wiederfinden.—Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.—Waer' es auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen andern Grund gemalet ist—in meinem Herzen wieder Platz machen will: —Wahrlich, ich glaube, ich waer' es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so froehlich, so ausgelassen.—Nun bin ich von allem das Gegenteil.—Doch nein; nein, nein! Behaeglicher oder nicht behaeglicher: ich bin so besser.

Vierter Auftritt

Der Prinz. Conti mit den Gemaelden, wovon er das eine verwandt gegen einen Stuhl lehnet.

Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, dass Sie
die Schranken unserer Kunst erwaegen wollen. Vieles von dem
Anzueglichsten der Schoenheit liegt ganz ausser den Grenzen derselben.
—Treten Sie so!—Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung).
Vortrefflich, Conti—ganz vortrefflich!—Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem
Pinsel.—Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!

Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muss. Die Kunst muss malen, wie sich die plastische Natur—wenn es eine gibt—das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit dagegen ankaempfet.

Der Prinz. Der denkende Kuenstler ist noch eins soviel wert.—Aber das
Original, sagen Sie, fand demungeachtet—Conti. Verzeihen Sie, Prinz.
Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe
nichts Nachteiliges von ihr aeussern wollen.

Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!—Und was sagte das Original?

Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Graefin, wenn ich nicht haesslicher aussehe.

Der Prinz. Nicht haesslicher?—O das wahre Original!

Conti. Und mit einer Miene sagte sie das—von der freilich dieses ihr
Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.

Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die unendliche Schmeichelei finde.—Oh! ich kenne sie, jene stolze, hoehnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen wuerde! —Ich leugne nicht, dass ein schoener Mund, der sich ein wenig spoettisch verziehet, nicht selten um so viel schoener ist. Aber, wohl gemerkt, ein wenig: die Verziehung muss nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei dieser Graefin. Und Augen muessen ueber den wolluestigen Spoetter die Aufsicht fuehren—Augen, wie sie die gute Graefin nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.

Conti. Gnaediger Herr, ich bin aeusserst betroffen—Der Prinz. Und worueber? Alles, was die Kunst aus den grossen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Graefin Gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht.—Redlich, sag ich?—Nicht so redlich, waere redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, laesst sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schliessen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Wuerde, Hohn in Laecheln, Ansatz zu truebsinniger Schwaermerei in sanfte Schwermut verwandelt.

Conti (etwas aergerlich). Ah, mein Prinz—wir Maler rechnen darauf, dass das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe muessten uns auch nur beurteilen.

Der Prinz. Je nun, Conti—warum kamen Sie nicht einen Monat frueher damit?—Setzen Sie weg.—Was ist das andere Stueck?

Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand haelt). Auch ein weibliches Portraet.

Der Prinz. So moecht' ich es bald—lieber gar nicht sehen. Denn dem
Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)—oder vielmehr hier (mit
dem Finger auf das Herz) koemmt es doch nicht bei.—Ich wuenschte, Conti,
Ihre Kunst in andern Vorwuerfen zu bewundern.

Conti. Eine bewundernswuerdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen bewundernswuerdigern Gegenstand als diesen.

Der Prinz. So wett ich, Conti, dass es des Kuenstlers eigene Gebieterin ist.—(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantasie?—Emilia Galotti!

Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?

Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem Bilde zu verwenden). So halb!—um sie eben wiederzukennen.—Es ist einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. —Nachher ist sie mir nur an heiligen Staetten wieder vorgekommen—wo das Angaffen sich weniger ziemet.—Auch kenn ich ihren Vater. Er ist mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Anspruechen auf Sabionetta am meisten widersetzte.—Ein alter Degen, stolz und rauh, sonst bieder und gut!-Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.

Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die
Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, dass
man den Kuenstler dann erst recht lobt, wenn man ueber sein Werk sein
Lob vergisst.

Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir gelassen.—Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst.—Ha! dass wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wieviel geht da verloren!—Aber, wie ich sage, dass ich es weiss, was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es verlorengehen muessen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus diesem, dass ich wirklich ein grosser Maler bin, dass es aber meine Hand nur nicht immer ist.—Oder meinen Sie, Prinz, dass Raffael nicht das groesste malerische Genie gewesen waere, wenn er ungluecklicherweise ohne Haende waere geboren worden? Meinen Sie, Prinz?

Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie,
Conti? Was wollen Sie wissen?

Conti. O nichts, nichts!—Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.

Der Prinz (mit einer erzwungenen Kaelte). Also, Conti, rechnen Sie doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzueglichsten Schoenheiten unserer Stadt?

Conti. Also? mit? mit zu den vorzueglichsten? und den vorzueglichsten unserer Stadt?—Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze Zeit ebensowenig, als Sie hoerten.

Der Prinz. Lieber Conti—(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiss doch nur allein ein Maler von der Schoenheit zu urteilen.

Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines Malers warten?—Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was schoen ist! Aber das muss ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: eine von den groessten Glueckseligkeiten meines Lebens ist es, dass Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schoenheit.—Die Schilderei selbst, wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese Kopie—Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist doch nicht schon versagt?

Conti. Ist fuer Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.

Der Prinz. Geschmack!—(Laechelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen Schoenheit, Conti, wie koennt' ich besser tun, als es auch zu dem meinigen zu machen?—Dort, jenes Portraet nehmen Sie nur wieder mit—einen Rahmen darum zu bestellen.

Conti. Wohl!

Der Prinz. So schoen, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann.
Es soll in der Galerie aufgestellet werden.—Aber dieses bleibt hier.
Mit einem Studio macht man soviel Umstaende nicht: auch laesst man das
nicht aufhaengen, sondern hat es gern bei der Hand.—Ich danke Ihnen,
Conti; ich danke Ihnen recht sehr.—Und wie gesagt: in meinem Gebiete
soll die Kunst nicht nach Brot gehen—bis ich selbst keines habe.
—Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf
Ihre Quittung, fuer beide Portraete sich bezahlen—was Sie wollen.
Soviel Sie wollen, Conti.

Conti. Sollte ich doch nun bald fuerchten, Prinz, dass Sie so noch etwas anders belohnen wollen als die Kunst.

Der Prinz. O des eifersuechtigen Kuenstlers! Nicht doch!—Hoeren Sie,
Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)

Fuenfter Auftritt

Der Prinz. Soviel er will!—(Gegen das Bild.) Dich hab ich fuer jeden Preis noch zu wohlfeil.—Ah! schoenes Werk der Kunst, ist es wahr, dass ich dich besitze?—Wer dich auch besaesse, schoenres Meisterstueck der Natur!—Was Sie dafuer wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!—Am liebsten kauft' ich dich, Zauberin, von dir selbst!—Dieses Auge voll Liebreiz und Bescheidenheit! Dieser Mund!—Und wenn er sich zum Reden oeffnet! wenn er laechelt! Dieser Mund!—Ich hoere kommen.—Noch bin ich mit dir zu neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird Marinelli sein. Haett' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was fuer einen Morgen koennt' ich haben!

Sechster Auftritt

Marinelli. Der Prinz.

Marinelli. Gnaediger Herr, Sie werden verzeihen.—Ich war mir eines so fruehen Befehls nicht gewaertig.

Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schoen.
—Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen.
—(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?

Marinelli. Nichts von Belang, das ich wuesste.—Die Graefin Orsina ist gestern zur Stadt gekommen.

Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig darauf.—Sie haben sie gesprochen?

Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?—Aber, wenn ich es wieder von einer Dame werde, der es einkoemmt, Sie in gutem Ernste zu lieben, Prinz: so—Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli!

Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Koennt' es doch kommen?—Oh! so mag die Graefin auch so unrecht nicht haben.

Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!—Meine nahe Vermaehlung mit der Prinzessin von Massa will durchaus, dass ich alle dergleichen Haendel fuers erste abbreche.

Marinelli. Wenn es nur das waere: so muesste freilich Orsina sich in ihr
Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines.

Der Prinz. Das unstreitig haerter ist als ihres. Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zuruecknehmen, aber nicht wider Willen verschenken.

Marinelli. Zuruecknehmen? Warum zuruecknehmen? fragt die Graefin: wenn es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die Liebe, sondern die Politik zufuehret? Neben so einer Gemahlin sieht die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fuerchtet sie aufgeopfert zu sein, sondern—Der Prinz. Einer neuen Geliebten. —Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli?

Marinelli. Ich?—Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der Naerrin, deren Wort ich fuehre—aus Mitleid fuehre. Denn gestern, wahrlich, hat sie mich sonderbar geruehret. Sie wollte von ihrer Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgueltigsten Gespraeche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung ueber die andere, die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie die melancholischsten Dinge: und wiederum die laecherlichsten Possen mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Buechern ihre Zuflucht genommen; und ich fuerchte, die werden ihr den Rest geben.

Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoss gegeben.—Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr zurueckzubringen?—Wenn sie aus Liebe naerrisch wird, so waere sie es, frueher oder spaeter, auch ohne Liebe geworden—Und nun, genug von ihr. —Von etwas andern!—Geht denn gar nichts vor in der Stadt?—Marinelli. So gut wie gar nichts.—Denn dass die Verbindung des Grafen Appiani heute vollzogen wird—ist nicht viel mehr als gar nichts.

Der Prinz. Des Grafen Appiani? und mit wem denn?—Ich soll ja noch hoeren, dass er versprochen ist.

Marinelli. Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht viel Aufhebens davon zu machen.—Sie werden lachen, Prinz.—Aber so geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die schlimmsten Streiche. Ein Maedchen ohne Vermoegen und ohne Rang hat ihn in ihre Schlinge zu ziehen gewusst—mit ein wenig Larve, aber mit vielem Prunke von Tugend und Gefuehl und Witz—und was weiss ich?

Der Prinz. Wer sich den Eindruecken, die Unschuld und Schoenheit auf ihn machen, ohne weitere Ruecksicht, so ganz ueberlassen darf—ich daechte, der waere eher zu beneiden als zu belachen.—Und wie heisst denn die Glueckliche? Denn bei alledem ist Appiani—ich weiss wohl, dass Sie, Marinelli, ihn nicht leiden koennen; ebensowenig als er Sie—, bei alledem ist er doch ein sehr wuerdiger junger Mann, ein schoener Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich haette sehr gewuenscht, ihn mir verbinden zu koennen. Ich werde noch darauf denken.

Marinelli. Wenn es nicht zu spaet ist.—Denn soviel ich hoere, ist sein
Plan gar nicht, bei Hofe sein Glueck zu machen.—Er will mit seiner
Gebieterin nach seinen Taelern von Piemont—Gemsen zu jagen, auf den
Alpen, und Murmeltiere abzurichten.—Was kann er Besseres tun? Hier
ist es durch das Missbuendnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der
Zirkel der ersten Haeuser ist ihm von nun an verschlossen—Der Prinz.
Mit euren ersten Haeusern!—in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die
Langeweile und nicht selten die Duerftigkeit herrschet.—Aber so nennen
Sie mir sie doch, der er dieses so grosse Opfer bringt.

Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti.

Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse—Marinelli. Emilia Galotti.

Der Prinz. Emilia Galotti?—Nimmermehr!

Marinelli. Zuverlaessig, gnaediger Herr.

Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.—Sie irren sich in dem Namen.—Das Geschlecht der Galotti ist gross.—Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!

Marinelli. Emilia—Emilia Galotti!

Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen fuehrt.—Sie sagten ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti—eine gewisse. Von der rechten kann nur ein Narr so sprechen—Marinelli. Sie sind ausser sich, gnaediger Herr.—Kennen Sie denn diese Emilia?

Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.—Emilia Galotti?
Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta?

Marinelli. Ebendie.

Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet?

Marinelli. Ebendie.

Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen?

Marinelli. Ebendie.

Der Prinz. Mit einem Worte—(Indem er nach dem Portraete springt und es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!—Diese? Diese Emilia Galotti?—Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoss mir den Dolch ins Herz!

Marinelli. Ebendie!

Der Prinz. Henker!—Diese?—Diese Emilia Galotti wird heute—Marinelli. Graefin Appiani!—(Hier reisst der Prinz dem Marinelli das Bild wieder aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde dahin ab.

Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin ich verloren!—So will ich nicht leben!

Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnaediger Herr?

Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verraeter!—was mir ist?—Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Moegt ihr es doch wissen! Moegt ihr es doch laengst gewusst haben, alle ihr, denen ich der tollen Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!—Nur dass Sie, Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft versicherten—O ein Fuerst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! —, dass Sie, Sie, so treulos, so haemisch mir bis auf diesen Augenblick die Gefahr verhehlen duerfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen jemals das vergebe—so werde mir meiner Suenden keine vergeben!

Marinelli. Ich weiss kaum Worte zu finden, Prinz—wenn Sie mich auch dazu kommen liessen—, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.—Sie lieben Emilia Galotti!—Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe das geringste gewusst, das geringste vermutet habe, so moege weder Engel noch Heiliger von mir wissen!—Ebendas wollt' ich in die Seele der Orsina schwoeren. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Faehrte.

Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli—(indem er sich ihm in die
Arme wirft) und bedaueren Sie mich.

Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer Zurueckhaltung!—"Fuersten haben keinen Freund! koennen keinen Freund haben!"—Und die Ursache, wenn dem so ist?—Weil sie keinen haben wollen.—Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre geheimsten Wuensche mit, schliessen uns ihre ganze Seele auf: und morgen sind wir ihnen wieder so fremd, als haetten sie nie ein Wort mit uns gewechselt.

Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich mir selbst kaum gestehen wollte?

Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual gestanden haben?

Der Prinz. Ihr?—Alle meine Muehe ist vergebens gewesen, sie ein zweites Mal zu sprechen.—Marinelli. Und das erstemal—Der Prinz. Sprach ich sie—Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch lange erzaehlen?—Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie koennen: und fragen Sie dann.

Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?—Was Sie versaeumt haben, gnaediger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun der Graefin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweiten:—und solche Waren nicht selten aus der zweiten um so viel wohlfeiler.

Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder—Marinelli. Freilich, auch um so viel schlechter-Der Prinz. Sie werden unverschaemt!

Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.—Ja, so muesste man auf etwas anders denken.—Der Prinz. Und auf was?—Liebster, bester Marinelli, denken Sie fuer mich. Was wuerden Sie tun, wenn Sie an meiner Stelle waeren?

Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit ansehen—und mir sagen, dass ich nicht vergebens sein wolle, was ich bin—Herr!

Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich hier keinen Gebrauch absehe.—Heute, sagen Sie? schon heute?

Marinelli. Erst heute—soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen ist nicht zu raten.—(Nach einer kurzen Ueberlegung.) Wollen Sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue?

Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.

Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.—Aber bleiben Sie nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich—Doch, doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiss. Sie wollen, Prinz, wegen Ihrer Vermaehlung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, dass er noch heute abreiset.—Verstehen Sie?

Der Prinz. Vortrefflich!—Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.)

Siebenter Auftritt

Der Prinz. Sogleich! sogleich!—Wo blieb es?—(Sich nach dem Portraete umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch betrachten? betrachten mag ich dich fuers erste nicht mehr.—Warum sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde druecken? (Setzt es beiseite)—Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug—laenger als ich gesollt haette: aber nichts getan! und ueber die zaertliche Untaetigkeit bei einem Haar alles verloren!—Und wenn nun doch alles verloren waere? Wenn Marinelli nichts ausrichtete?—Warum will ich mich auch auf ihn allein verlassen? Es faellt mir ein—um diese Stunde (nach der Uhr sehend), um diese naemliche Stunde pflegt das fromme Maedchen alle Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hoeren.—Wie, wenn ich sie da zu sprechen suchte?—Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage—heute werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe.—Indes, wer weiss?—Es ist ein Gang.—(Er klingelt, und indem er einige von den Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener herein.) Lasst vorfahren!—Ist noch keiner von den Raeten da?

Der Kammerdiener. Camillo Rota.

Der Prinz. Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur aufhalten muss er mich nicht wollen. Dasmal nicht!—Ich stehe gern seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel laenger zu Diensten. —Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.—(Sie suchend. ) Die ist's.—Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorsprecherin Achter Auftritt

Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz.

Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie.—Hier ist, was ich diesen Morgen erbrochen. Nicht viel Troestliches!—Sie werden von selbst sehen, was darauf zu verfuegen.—Nehmen Sie nur.

Camillo Rota. Gut, gnaediger Herr.

Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot..
Bruneschi will ich sagen.—Ich habe meine Bewilligung zwar schon
beigeschrieben. Aber doch—die Sache ist keine Kleinigkeit.—Lassen
Sie die Ausfertigung noch anstehen.—Oder auch nicht anstehen: wie
Sie wollen.

Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnaediger Herr.

Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben?

Camillo Rota. Ein Todesurteil waere zu unterschreiben.

Der Prinz. Recht gern.—Nur her! geschwind.

Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein
Todesurteil—sagt' ich.

Der Prinz. Ich hoere ja wohl.—Es koennte schon geschehen sein. Ich bin eilig.

Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl nicht mitgenommen!—Verzeihen Sie, gnaediger Herr.—Es kann Anstand damit haben bis morgen.

Der Prinz. Auch das!—Packen Sie nur zusammen; ich muss fort—Morgen,
Rota, ein Mehres! (Geht ab.)

Camillo Rota (den Kopf schuettelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt und abgeht). Recht gern?—Ein Todesurteil recht gern?—Ich haett' es ihn in diesem Augenblicke nicht moegen unterschreiben lassen, und wenn es den Moerder meines einzigen Sohnes betroffen haette.—Recht gern! Recht gern!—Es geht mir durch die Seele dieses graessliche Recht gern!

Zweiter Aufzug

Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti.

Erster Auftritt

Claudia Galotti. Pirro.

Claudia (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite hereintritt). Wer sprengte da in den Hof?

Pirro. Unser Herr, gnaedige Frau.

Claudia. Mein Gemahl? Ist es moeglich?

Pirro. Er folgt mir auf dem Fusse.

Claudia. So unvermutet?—(Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester!
Zweiter Auftritt

Odoardo Galotti und die Vorigen.

Odoardo. Guten Morgen, meine Liebe!—Nicht wahr, das heisst ueberraschen?—Claudia. Und auf die angenehmste Art!—Wenn es anders nur eine Ueberraschung sein soll.

Odoardo. Nichts weiter! Sei unbesorgt.—Das Glueck des heutigen Tages weckte mich so frueh; der Morgen war so schoen; der Weg ist so kurz; ich vermutete euch hier so geschaeftig—Wie leicht vergessen sie etwas, fiel mir ein.—Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre sogleich wieder zurueck.—Wo ist Emilia? Unstreitig beschaeftigt mit dem Putze?—Claudia. Ihrer Seele!—Sie ist in der Messe.—"Ich habe heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte sie und liess alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte—Odoardo. Ganz allein?

Claudia. Die wenigen Schritte—Odoardo. Einer ist genug zu einem
Fehltritt!—Claudia. Zuernen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie
herein—einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine
Erfrischung zu nehmen.

Odoardo. Wie du meinest, Claudia.—Aber sie sollte nicht allein gegangen sein.—Claudia. Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer, alle Besuche auf heute zu verbitten.

Dritter Auftritt

Pirro und bald darauf Angelo.

Pirro. Die sich nur aus Neugierde melden lassen.—Was bin ich seit einer Stunde nicht alles ausgefragt worden!—Und wer koemmt da?

Angelo (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er ueber das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). Pirro!—Pirro!

Pirro. Ein Bekannter?—(Indem Angelo vollends hereintritt und den
Mantel auseinanderschlaegt.) Himmel! Angelo?—Du?

Angelo. Wie du siehst.—Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen, dich zu sprechen.—Auf ein Wort!—Pirro. Und du wagst es, wieder ans Licht zu kommen?—Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei erklaeret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung

Angelo. Die doch du nicht wirst verdienen wollen?—Pirro. Was willst du?—Ich bitte dich, mache mich nicht ungluecklich.

Angelo. Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.)—Nimm! Es gehoeret dir!

Pirro. Mir?

Angelo. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr—Pirro.
Schweig davon!

Angelo. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle fuehrtest—Pirro. Wenn uns jemand hoerte!

Angelo. Hatte ja die Guete, uns auch einen kostbaren Ring zu hinterlassen.—Weisst du nicht?—Er war zu kostbar, der Ring, als dass wir ihn sogleich ohne Verdacht haetten zu Gelde machen koennen. Endlich ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafuer erhalten, und das ist dein Anteil. Nimm!

Pirro. Ich mag nichts—behalt alles.

Angelo. Meinetwegen!—wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen
Kopf feil traegst—(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.)

Pirro. So gib nur! (Nimmt ihn.)—Und was nun? Denn dass du bloss deswegen mich aufgesucht haben solltest—Angelo. Das koemmt dir nicht so recht glaublich vor?—Halunke! Was denkst du von uns?—dass wir faehig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht.—Leb wohl! —(Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muss ich doch fragen.—Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt gesprengt. Was will der?

Pirro. Nichts will er; ein blosser Spazierritt. Seine Tochter wird heut abend auf dem Gute, von dem er herkoemmt, dem Grafen Appiani angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten—Angelo. Und reitet bald wieder hinaus?

Pirro. So bald, dass er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest. —Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er ist ein Mann—Angelo. Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm gedienet?—Wenn darum bei ihm nur viel zu holen waere!—Wenn fahren die junge Leute nach?

Pirro. Gegen Mittag.

Angelo. Mit viel Begleitung?

Pirro. In einem einzigen Wagen.—die Mutter, die Tochter und der Graf.
Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen.

Angelo. Und Bediente?

Pirro. Nur zwei; ausser mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll.

Angelo. Das ist gut.—Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es eure? oder des Grafen?

Pirro. Des Grafen.

Angelo. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, ausser einem handfesten
Kutscher. Doch!—Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?—Das
bisschen Schmuck, das die Braut etwa haben duerfte, wird schwerlich der
Muehe lohnen—Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst!

Pirro. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger sein?

Angelo. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an nichts!

Pirro. Nimmermehr!

Angelo. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen. Bursche! ich denke, du kennst mich.—Wo du plauderst! Wo sich ein einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!—Pirro. Aber, Angelo, um des Himmels willen!—Angelo. Tu, was du nicht lassen kannst! (Geht ab.)

Pirro. Ha! Lass dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist sein auf ewig! Ich Ungluecklicher!

Vierter Auftritt

Odoardo und Claudia Galotti. Pirro.

Odoardo. Sie bleibt mir zu lang aus—Claudia. Noch einen Augenblick,
Odoardo! Es wuerde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen.

Odoardo. Ich muss auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann ich's erwarten, diesen wuerdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen. Alles entzueckt mich an ihm. Und vor allem der Entschluss, in seinen vaeterlichen Taelern sich selbst zu leben.

Claudia.—Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke.—So ganz sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter?

Odoardo. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu wissen? Vermenge dein Vergnuegen an ihr nicht mit ihrem Gluecke.—Du moechtest meinen alten Argwohn erneuern:—dass es mehr das Geraeusch und die Zerstreuung der Welt, mehr die Naehe des Hofes war als die Notwendigkeit, unserer Tochter eine anstaendige Erziehung zu geben, was dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben—fern von einem Manne und Vater, der euch so herzlich liebet.

Claudia. Wie ungerecht, Odoardo! Aber lass mich heute nur ein einziges Wort fuer diese Stadt, fuer diese Naehe des Hofes sprechen, die deiner strengen Tugend so verhasst sind.—Hier, nur hier konnte die Liebe zusammenbringen, was fuereinander geschaffen war. Hier nur konnte der Graf Emilien finden; und fand sie.

Odoardo. Das raeum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum recht, weil dir der Ausgang recht gibt?—Gut, dass es mit dieser Stadterziehung so abgelaufen! Lass uns nicht weise sein wollen, wo wir nichts als gluecklich gewesen! Gut, dass es so damit abgelaufen!—Nun haben sie sich gefunden, die fuereinander bestimmt waren: nun lass sie ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen.—Was sollte der Graf hier? Sich buecken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen suchen? um endlich ein Glueck zu machen, dessen er nicht bedarf? um endlich einer Ehre gewuerdiget zu werden, die fuer ihn keine waere?—Pirro!

Pirro. Hier bin ich.

Odoardo. Geh und fuehre mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.)—Warum soll der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann?—Dazu bedenkest du nicht, Claudia, dass durch unsere Tochter er es vollends mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz hasst mich—Claudia. Vielleicht weniger, als du besorgest.

Odoardo. Besorgest! Ich besorg auch so was!

Claudia. Denn hab ich dir schon gesagt, dass der Prinz unsere Tochter gesehen hat?

Odoardo. Der Prinz? Und wo das?

Claudia. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so gnaedig—Odoardo. So gnaedig?

Claudia. Er unterhielt sich mit ihr so lange—Odoardo. Unterhielt sich mit ihr?

Claudia. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so bezaubert—Odoardo. So bezaubert?—Claudia. Hat von ihrer Schoenheit mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen—Odoardo. Lobeserhebungen? Und das alles erzaehlst du mir in einem Tone der Entzueckung? O Claudia! eitle, toerichte Mutter!

Claudia. Wieso?

Odoardo. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen.—Ha! wenn ich mir einbilde—Das gerade waere der Ort, wo ich am toedlichsten zu verwunden bin!—Ein Wolluestling, der bewundert, begehrt.—Claudia! Claudia! der blosse Gedanke setzt mich in Wut.—Du haettest mir das sogleich sollen gemeldet haben.—Doch, ich moechte dir heute nicht gern etwas Unangenehmes sagen. Und ich wuerde (indem sie ihn bei der Hand ergreift), wenn ich laenger bliebe.—Drum lass mich! lass mich!—Gott befohlen, Claudia!—Kommt gluecklich nach!

Fuenfter Auftritt

Claudia Galotti. Welch ein Mann!—Oh, der rauhen Tugend!—wenn anders sie diesen Namen verdienet.—Alles scheint ihr verdaechtig, alles strafbar!—Oder, wenn das die Menschen kennen heisst:—wer sollte sich wuenschen, sie zu kennen?—Wo bleibt aber auch Emilia?—Er ist des Vaters Feind: folglich—folglich, wenn er ein Auge fuer die Tochter hat, so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen?

Sechster Auftritt

Emilia und Claudia Galotti.

Emilia (stuerzet in einer aengstlichen Verwirrung herein). Wohl mir! wohl mir!—Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt? (Indem sie den Schleier zurueckwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er, meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank!

Claudia. Was ist dir, meine Tochter? was ist dir?

Emilia. Nichts, nichts—Claudia. Und blickest so wild um dich? Und zitterst an jedem Gliede?

Emilia. Was hab ich hoeren muessen? Und wo, wo hab ich es hoeren muessen?

Claudia. Ich habe dich in der Kirche geglaubt—Emilia. Eben da! Was ist dem Laster Kirch' und Altar?—Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die Arme werfend.)

Claudia. Rede, meine Tochter!—Mach meiner Furcht ein Ende.—Was kann dir da, an heiliger Staette, so Schlimmes begegnet sein?

Emilia. Nie haette meine Andacht inniger, bruenstiger sein sollen als heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte.

Claudia. Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten.

Emilia. Und suendigen wollen auch suendigen.

Claudia. Das hat meine Emilia nicht wollen!

Emilia. Nein, meine Mutter; so tief liess mich die Gnade nicht sinken. —Aber dass fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen machen kann!

Claudia. Fasse dich!—Sammle deine Gedanken, soviel dir moeglich.—Sag es mir mit eins, was dir geschehen.

Emilia. Eben hatt' ich mich—weiter von dem Altare, als ich sonst pflege—denn ich kam zu spaet—, auf meine Knie gelassen. Eben fing ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz nahm. So dicht hinter mir!—Ich konnte weder vor noch zur Seite ruecken—so gern ich auch wollte; aus Furcht, dass eines andern Andacht mich in meiner stoeren moechte.—Andacht! das war das Schlimmste, was ich besorgte.—Aber es waehrte nicht lange, so hoert' ich, ganz nah an meinem Ohre—nach einem tiefen Seufzer—nicht den Namen einer Heiligen—den Namen—zuernen Sie nicht, meine Mutter—den Namen Ihrer Tochter!—Meinen Namen!—O dass laute Donner mich verhindert haetten, mehr zu hoeren!—Es sprach von Schoenheit, von Liebe—Es klagte, dass dieser Tag, welcher mein Glueck mache—wenn er es anders mache—sein Unglueck auf immer entscheide.—Es beschwor mich—hoeren musst' ich dies alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht hoerte.—Was konnt' ich sonst?—Meinen guten Engel bitten, mich mit Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer!—Das bat ich; das war das einzige, was ich beten konnte.—Endlich ward es Zeit, mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte, mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel erlauben duerfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte—Claudia. Wen, meine Tochter?

Emilia. Raten Sie, meine Mutter, raten Sie—Ich glaubte in die Erde zu sinken—Ihn selbst.

Claudia. Wen, ihn selbst?

Emilia. Den Prinzen.

Claudia. Den Prinzen!—O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der eben hier war und dich nicht erwarten wollte!

Emilia. Mein Vater hier?—und wollte mich nicht erwarten?

Claudia. Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das haettest hoeren lassen!

Emilia. Nun, meine Mutter?—Was haett' er an mir Strafbares finden koennen?

Claudia. Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch—Ha, du kennest deinen Vater nicht! In seinem Zorne haett' er den unschuldigen Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner Wut haett' ich ihm geschienen, das veranlasst zu haben, was ich weder verhindern noch vorhersehen koennen.—Aber weiter, meine Tochter, weiter! Als du den Prinzen erkanntest—Ich will hoffen, dass du deiner maechtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu bezeigen, die er verdienst.

Emilia. Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu richten. Ich floh—Claudia. Und der Prinz dir nach—Emilia. Was ich nicht wusste, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fuehlte. Und von ihm! Aus Scham musst' ich standhalten: mich von ihm loszuwinden wuerde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht haben. Das war die einzige Ueberlegung, deren ich faehig war—oder deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet—faellt mir es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter. Jetzt weiss ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich verlassen.—Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Strasse wieder, und hoere ihn hinter mir herkommen, und hoere ihn mit mir zugleich in das Haus treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen—Claudia. Die Furcht hat ihren besondern Sinn, meine Tochter! Ich werde es nie vergessen, mit welcher Gebaerde du hereinstuerztest.—Nein, so weit durfte er nicht wagen, dir zu folgen.—Gott! Gott! wenn dein Vater das wuesste!—Wie wild er schon war, als er nur hoerte, dass der Prinz dich juengst nicht ohne Missfallen gesehen!—Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es fuer einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen.

Emilia. Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muss das wissen. Ihm muss ich es sagen.

Claudia. Um alle Welt nicht!—Wozu? warum? Willst du fuer nichts und wieder fuer nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht wuerde: wisse, mein Kind, dass ein Gift, welches nicht gleich wirket, darum kein minder gefaehrliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber koennt' es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein Kind—so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschoepf. Dein gutes Gestirn behuete dich vor dieser Erfahrung.

Emilia. Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern Einsichten mich in allem unterwerfe.—Aber, wenn er es von einem andern erfuehre, dass der Prinz mich heute gesprochen? Wuerde mein Verschweigen nicht, frueh oder spaet, seine Unruhe vermehren?—Ich daechte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen.

Claudia. Schwachheit! verliebte Schwachheit!—Nein, durchaus nicht, meine Tochter! Sag ihm nichts. Lass ihn nichts merken!

Emilia. Nun ja, meine Mutter! Ich habe keinen Willen gegen den Ihrigen.—Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz leicht.—Was fuer ein albernes, furchtsames Ding ich bin!—Nicht, meine Mutter?—Ich haette mich noch wohl anders dabei nehmen koennen und wuerde mir ebensowenig vergeben haben.

Claudia. Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wusste, er wurde dir es sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen.—Der Prinz ist galant. Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. Eine Hoeflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als nichts.

Emilia. O meine Mutter!—so muesste ich mir mit meiner Furcht vollends laecherlich vorkommen!—Nun soll er gewiss nichts davon erfahren, mein guter Appiani! Er koennte mich leicht fuer mehr eitel als tugendhaft halten.—Hui! dass er da selbst koemmt! Es ist sein Gang.

Siebenter Auftritt

Graf Appiani. Die Vorigen.

Appiani (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein und koemmt naeher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt). Ah, meine Teuerste!—Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend.

Emilia. Ich wuenschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht vermuten.—So feierlich? so ernsthaft?—Ist dieser Tag keiner freudigern Aufwallung wert?

Appiani. Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit so viel Glueckseligkeit fuer mich—mag es wohl diese Glueckseligkeit selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein Fraeulein, so feierlich macht.—(Indem er die Mutter erblickt.) Ha! auch Sie hier, meine gnaedige Frau!—nun bald mir mit einem innigern Namen zu verehrende!

Claudia. Der mein groesster Stolz sein wird!—Wie gluecklich bist du, meine Emilia!—Warum hat dein Vater unsere Entzueckung nicht teilen wollen?

Appiani. Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen:—oder vielmehr, er sich aus meinen.—Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das Muster aller maennlichen Tugend! Zu was fuer Gesinnungen erhebt sich meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluss, immer gut, immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe—wenn ich ihn mir denke. Und womit sonst als mit der Erfuellung dieses Entschlusses kann ich mich der Ehre wuerdig machen, sein Sohn zu heissen—der Ihrige zu sein, meine Emilia?

Emilia. Und er wollte mich nicht erwarten!

Appiani. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, fuer diesen augenblicklichen Besuch, zu sehr erschuettert, zu sehr sich seiner ganzen Seele bemaechtiget haette.

Claudia. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschaeftiget zu finden und hoerte—Appiani. Was ich mit der zaertlichsten Bewunderung wieder von ihm gehoert habe.—So recht, meine Emilia! Ich werde eine fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Froemmigkeit ist.

Claudia. Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen!
—Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia!

Appiani. Was? meine gnaedige Frau.

Claudia. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf—so wie sie da ist, zum Altare fuehren?

Appiani. Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr.—Wer kann Sie sehen, Emilia, und auch auf Ihren Putz achten?—Und warum nicht so, so wie sie da ist?

Emilia. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch nicht viel praechtiger, nicht viel.—Husch, husch, und ich bin fertig! —Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer verschwenderischen Grossmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu solchem Geschmeide schickte!—Ich koennte ihm gram sein, diesem Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen waere. Denn dreimal hat mir von ihm getraeumt—Claudia. Nun! davon weiss ich ja nichts.

Emilia. Als ob ich es truege, und als ob ploetzlich sich jeder Stein desselben in eine Perle verwandele.—Perlen aber, meine Mutter, Perlen bedeuten Traenen.

Claudia. Kind!—Die Bedeutung ist traeumerischer als der Traum. —Warest du nicht von jeher eine groessere Liebhaberin von Perlen als von Steinen?—Emilia. Freilich, meine Mutter, freilich—Appiani (nachdenkend und schwermuetig). Bedeuten Traenen—bedeuten Traenen!

Emilia. Wie? Ihnen faellt das auf? Ihnen?

Appiani. Jawohl, ich sollte mich schaemen.—Aber, wenn die
Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist—Emilia.
Warum ist sie das auch?—Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht
habe?—Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?—Wissen
Sie es noch?

Appiani. Ob ich es noch weiss? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe.

Emilia. Also, ein Kleid von der naemlichen Farbe, von dem naemlichen
Schnitte; fliegend und frei—Appiani. Vortrefflich!

Emilia. Und das Haar—Appiani. In seinem eignen braunen Glanze; in
Locken, wie sie die Natur schlug—Emilia. Die Rose darin nicht zu
vergessen! Recht! recht!—Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor
Ihnen da!

Achter Auftritt

Graf Appiani. Claudia Galotti.

Appiani (indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht). Perlen bedeuten Traenen!—Eine kleine Geduld!—Ja, wenn die Zeit nur ausser uns waere!—Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre ausdehnen koennte!—Claudia. Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewoehnlich. Nur noch einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wuensche—sollt' es Sie reuen, Herr Graf, dass es das Ziel Ihrer Wuensche gewesen?

Appiani. Ah, meine Mutter, und Sie koennen das von Ihrem Sohne argwoehnen?—Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewoehnlich truebe und finster.—Nur sehen Sie, gnaedig Frau:—noch einen Schritt vom Ziele oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines.—Alles was ich sehe, alles was ich hoere, alles was ich traeume, prediget mir seit gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet sich an jeden andern, den ich haben muss und haben will.—Was ist das? Ich versteh es nicht.—Claudia. Sie machen mich unruhig, Herr Graf—Appiani. Eines koemmt dann zum andern!—Ich bin aergerlich; aergerlich ueber meine Freunde, ueber mich selbst—Claudia. Wieso?

Appiani. Meine Freunde verlangen schlechterdings, dass ich dem Prinzen von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn woll' es nicht anders.—Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren.

Claudia (stutzig). Bei dem Prinzen?

Neunter Auftritt

Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen.

Pirro. Gnaedige Frau, der Marchese Marinelli haelt vor dem Hause und erkundiget sich nach dem Herrn Grafen.

Appiani. Nach mir?

Pirro. Hier ist er schon. (Oeffnet ihm die Tuere und gehet ab.)

Marinelli. Ich bitt um Verzeihung, gnaedige Frau.—Mein Herr Graf, ich war vor Ihrem Hause und erfuhr, dass ich Sie hier treffen wuerde. Ich hab ein dringendes Geschaeft an Sie—Gnaedige Frau, ich bitte nochmals um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen.

Claudia. Die ich nicht verzoegern will. (Macht ihm eine Verbeugung und geht ab.)

Zehnter Auftritt

Marinelli. Appiani.

Ap piani. Nun, mein Herr?

Marinelli. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht.

Appiani. Was ist zu seinem Befehle?

Marinelli. Ich bin stolz, der Ueberbringer einer so vorzueglichen Gnade zu sein.—Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner ergebensten Freunde in mir verkennen will—Appiani. Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf.

Marinelli. Auch das!—Der Prinz muss sogleich an den Herzog von Massa, in Angelegenheit seiner Vermaehlung mit dessen Prinzessin Tochter, einen Bevollmaechtigten senden. Er war lange unschluessig, wen er dazu ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen.

Appiani. Auf mich?

Marinelli. Und das—wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf—nicht ohne mein Zutun—Appiani. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit.—Ich habe schon laengst nicht mehr erwartet, dass der Prinz mich zu brauchen geruhen werde.—Marinelli. Ich bin versichert, dass es ihm bloss an einer wuerdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht wuerdig genug sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen.

Appiani. Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort!—Mit wem red ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft haett' ich mir nie traeumen lassen.—Marinelli. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein unverzeihliches Unrecht, dass ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein wollen.—Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie werden sie mit Begierd' ergreifen.

Appiani (nach einiger Ueberlegung). Allerdings.

Marinelli. Nun so kommen Sie.

Appiani. Wohin?

Marinelli. Nach Dosalo, zu dem Prinzen.—Es liegt schon alles fertig; und Sie muessen noch heut abreisen.

Appiani. Was sagen Sie?—Noch heute?

Marinelli. Lieber noch in dieser naemlichen Stunde als in der folgenden. Die Sache ist von der aeussersten Eil'.

Appiani. In Wahrheit?—So tut es mir leid, dass ich die Ehre, welche mir der Prinz zugedacht, verbitten muss.

Marinelli. Wie?

Appiani. Ich kann heute nicht abreisen—auch morgen nicht—auch uebermorgen noch nicht.—Marinelli. Sie scherzen, Herr Graf.

Appiani. Mit Ihnen?

Marinelli. Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist er um so viel lustiger.—Sie koennen nicht?

Appiani. Nein, mein Herr, nein.—Und ich hoffe, dass der Prinz selbst meine Entschuldigung wird gelten lassen.

Marinelli. Die bin ich begierig zu hoeren.

Appiani. Oh, eine Kleinigkeit!—Sehen Sie; ich soll noch heut eine
Frau nehmen.

Marinelli. Nun? und dann?

Appiani. Und dann?—und dann?—Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv.

Marinelli. Man hat Exempel, Herr Graf, dass sich Hochzeiten aufschieben lassen.—Ich glaube freilich nicht, dass der Braut oder dem Braeutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes haben. Aber doch, daecht' ich, der Befehl des Herrn—Appiani. Der Befehl des Herrn?—des Herrn? Ein Herr, den man sich selber waehlt, ist unser Herr so eigentlich nicht—Ich gebe zu, dass Sie dem Prinzen unbedingtem Gehorsam schuldig waeren. Aber nicht ich.—Ich kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines groessern Herrn—Marinelli. Groesser oder kleiner: Herr ist Herr.

Appiani. Dass ich mit Ihnen darueber strittet—Genug, sagen Sie dem Prinzen, was Sie gehoert haben—dass es mir leid tut, seine Gnade nicht annehmen zu koennen, weil ich eben heut eine Verbindung vollzoege, die mein ganzes Glueck ausmache.

Marinelli. Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem?

Appiani. Mit Emilia Galotti.

Marinelli. Der Tochter aus diesem Hause?

Appiani. Aus diesem Hause.

Marinelli. Hm! Hm!

Appiani. Was beliebt?

Marinelli. Ich sollte meinen, dass es sonach um so weniger Schwierigkeit haben koenne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurueckkunft auszusetzen.

Appiani. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?

Marinelli. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.

Appiani. Die guten Eltern?

Marinelli. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiss.

Appiani. Ja wohl gewiss?—Sie sind mit Ihrem ja wohl—ja wohl ein ganzer Affe!

Marinelli. Mir das, Graf?

Appiani. Warum nicht?

Marinelli. Himmel und Hoelle!—Wir werden uns sprechen.

Appiani. Pah! Haemisch ist der Affe; aber—Marinelli. Tod und
Verdammnis!—Graf, ich fodere Genugtuung.

Appiani. Das versteht sich.

Marinelli. Und wuerde sie gleich itzt nehmen—nur dass ich dem zaertlichen Braeutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.

Appiani. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit uebrig.—Kommen Sie, kommen Sie!

Marinelli (der sich losreisst und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur
Geduld!

Elfter Auftritt

Appiani. Claudia Galotti.

Appiani. Geh, Nichtswuerdiger!—Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist in Wallung gekommen. Ich fuehle mich anders und besser.

Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf—Ich hab einen heftigen Wortwechsel gehoert.—Ihr Gesicht gluehet. Was ist vorgefallen?

Appiani. Nichts, gnaedige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli hat mir einen grossen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum Prinzen ueberhoben.

Claudia. In der Tat?

Appiani. Wir koennen nun um so viel frueher abfahren. Ich gehe, meine Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes auch fertig.

Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf?

Appiani. Ganz ruhig, gnaedige Frau. (Sie geht herein und er fort.)

Dritter Aufzug

Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen.

Erster Auftritt

Der Prinz. Marinelli.

Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der groessten
Verachtung aus.

Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird
Emilia noch heute die Seinige?

Marinelli. Allem Ansehen nach.

Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel!—Wer weiss, wie albern Sie sich dabei genommen.—Wenn der Rat eines Toren einmal gut ist, so muss ihn ein gescheiter Mann ausfuehren. Das haett' ich bedenken sollen.

Marinelli. Da find ich mich schoen belohnt!

Der Prinz. Und wofuer belohnt?

Marinelli. Dass ich noch mein Leben darueber in die Schanze schlagen wollte.—Als ich sahe, dass weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, ueber die er sich vergass. Er stiess Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung—und forderte sie gleich auf der Stelle.—Ich dachte so: entweder er mich oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, wenn auch; so muss er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit.

Der Prinz. Das haetten Sie getan, Marinelli?

Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so toericht bereit ist, sich fuer die Grossen aufzuopfern—man sollt' es voraus wissen, wie erkenntlich sie sein wuerden—Der Prinz. Und der Graf?—Er stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen.

Marinelli. Nachdem es faellt, ohne Zweifel.—Wer kann es ihm verdenken?—Er versetzte, dass er auf heute doch noch etwas Wichtigers zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit.

Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! —Darauf liessen Sie es gut sein und gingen—und kommen und prahlen, dass Sie Ihr Leben fuer mich in die Schanze geschlagen, sich mir aufgeopfert—Marinelli. Was wollen Sie aber, gnaediger Herr, das ich weiter haette tun sollen?

Der Prinz. Weiter tun?—Als ob er etwas getan haette!

Marinelli. Und lassen Sie doch hoeren, gnaediger Herr, was Sie fuer sich selbst getan haben.—Sie waren so gluecklich, sie noch in der Kirche zu sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet?

Der Prinz (hoehnisch). Neugierde zur Genuege!—Die ich nur befriedigen muss.—Oh, es ging alles nach Wunsch.—Sie brauchen sich nicht weiter zu bemuehen, mein allzu dienstfertiger Freund!—Sie kam meinem Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich haette sie nur gleich mitnehmen duerfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie wissen wollen—und koennen gehn!

Marinelli. Und koennen gehn!—Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und wuerd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmoegliche versuchen. —Das Unmoegliche sag ich?—So unmoeglich waer' es nun wohl nicht; aber kuehn!—Wenn wir die Braut in unserer Gewalt haetten, so stuend' ich dafuer, dass aus der Hochzeit nichts werden sollte.

Der Prinz. Ei! wofuer der Mann nicht alles stehen will! Nun duerft' ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte sich an der Landstrasse damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger einen Wagen an, und riss' ein Maedchen heraus, das er im Triumphe mir zubraechte.

Marinelli. Es ist eher ein Maedchen mit Gewalt entfuehrt worden, ohne dass es einer gewaltsamen Entfuehrung aehnlich gesehen.

Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wuessten, so wuerden Sie nicht erst lange davon schwatzen.

Marinelli. Aber fuer den Ausgang muesste man nicht stehen sollen.—Es koennten sich Ungluecksfaelle dabei ereignen—Der Prinz. Und es ist meine Art, dass ich Leute Dinge verantworten lasse, wofuer sie nicht koennen!

Marinelli. Also, gnaediger Herr—(Man hoert von weitem einen Schuss.) Ha! was war das?—Hoert' ich recht?—Hoerten Sie nicht auch, gnaediger Herr, einen Schuss fallen?—Und da noch einen!

Der Prinz. Was ist das? was gibt's?

Marinelli. Was meinen Sie wohl?—Wie, wann ich taetiger waere, als Sie glauben?

Der Prinz. Taetiger?—So sagen Sie doch—Marinelli. Kurz: wovon ich gesprochen, geschieht.

Der Prinz. Ist es moeglich?

Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben versichert.—Ich habe nochmals Ihr Wort—Der Prinz. Aber die Anstalten sind doch so—Marinelli. Als sie nur immer sein koennen!—Die Ausfuehrung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu pluendern. Und ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem Tiergarten gestuerzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Huelfe. Waehrend des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und durch den Tiergarten in das Schloss bringen.—So ist die Abrede.—Was sagen Sie nun, Prinz?

Der Prinz. Sie ueberraschen mich auf eine sonderbare Art.—Und eine Bangigkeit ueberfaellt mich—(Marinelli geht an das Fenster.) Wornach sehen Sie?

Marinelli. Dahinaus muss es sein!—Recht!—und eine Maske koemmt bereits um die Planke gesprengt—ohne Zweifel, mir den Erfolg zu berichten.—Entfernen Sie sich, gnaediger Herr.

Der Prinz. Ah, Marinelli—Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu viel getan, und vorhin zu wenig?

Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab—Marinelli.
Absehn?—Lieber alles mit eins!—Geschwind, entfernen Sie sich.—Die
Maske muss Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.)

Zweiter Auftritt

Marinelli und bald darauf Angelo.

Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort faehrt der Wagen langsam nach der Stadt zurueck.—So langsam? Und in jedem Schlage ein Bedienter?—Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen—dass der Streich wohl nur halb gelungen ist:—dass man einen Verwundeten gemaechlich zurueckfuehret—und keinen Toten.—Die Maske steigt ab.—Es ist Angelo selbst. Der Tolldreiste!—Endlich, hier weiss er die Schliche.—Er winkt mir zu. Er muss seiner Sache gewiss sein.—Ha, Herr Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg muessen!—Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach der Tuere zugeht.) Jawohl sind sie haemisch.—Nun, Angelo?

Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr!
Man muss sie gleich bringen.

Marinelli. Und wie lief es sonst ab?

Angelo. Ich denke ja, recht gut.

Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen?

Angelo. Zu dienen! So, so!—Aber er muss Wind gehabt haben. Denn er war nicht so ganz unbereitet.

Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast!—Ist er tot?

Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn.

Marinelli. Nun da, fuer dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel mit Gold.)

Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen muessen.

Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten?

Angelo. Ich koennte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn geraechet habe. Das ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als fuer Treu' und Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr —Marinelli. Mit deinem Nicolo!—Aber der Graf, der Graf—Angelo. Blitz! der Graf hatte ihn gut gefasst. Dafuer fasst' ich auch wieder den Grafen!—Er stuerzte; und wenn er noch lebendig zurueck in die Kutsche kam, so steh ich dafuer, dass er nicht lebendig wieder herauskommt.

Marinelli. Wenn das nur gewiss ist, Angelo.

Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiss ist! —Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir wollen heute noch ueber die Grenze.

Marinelli. So geh.

Angelo. Wenn wieder was vorfaellt, Herr Kammerherr—Sie wissen, wo ich zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird fuer mich auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere. (Geht ab.)

Marinelli. Gut das!—Aber doch nicht so recht gut.—Pfui, Angelo! so ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuss waere er ja wohl noch wert gewesen.—Und wie er sich vielleicht nun martern muss, der arme Graf! —Pfui, Angelo! Das heisst sein Handwerk sehr grausam treiben—und verpfuschen.—Aber davon muss der Prinz noch nichts wissen. Er muss erst selbst finden, wie zutraeglich ihm dieser Tod ist.—Dieser Tod! —Was gaeb' ich um die Gewissheit!

Dritter Auftritt

Der Prinz. Marinelli.

Der Prinz. Dort koemmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem
Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, befluegelt ihre Fuesse. Sie
muss noch nichts argwoehnen. Sie glaubt sich nur vor Raeubern zu retten.
—Aber wie lange kann das dauren?

Marinelli. So haben wir sie doch fuers erste.

Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie ihnen vorenthalten?

Marinelli. Auf das alles weiss ich freilich noch nichts zu antworten.
Aber wir muessen sehen. Gedulden Sie sich, gnaediger Herr. Der erste
Schritt musste doch getan sein.—Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn
zuruecktun muessen.

Marinelli. Vielleicht muessen wir nicht.—Da sind tausend Dinge, auf die sich weiter fussen laesst.—Und vergessen Sie denn das Vornehmste?

Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht gedacht habe?—Das Vornehmste? was ist das?

Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu ueberreden—die einem Prinzen, welcher liebt, nie fehlet.

Der Prinz. Nie fehlet? Ausser, wo er sie gerade am noetigsten brauchte. —Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil hoeret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloss mit einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden. —Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie, Marinelli, muessen sie empfangen. Ich will hier in der Naehe hoeren, wie es ablaeuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe.

Vierter Auftritt

Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien.

Marinelli. Wenn sie ihn nicht selbst stuerzen gesehen—Und das muss sie wohl nicht; da sie so fortgeeilet—Sie koemmt. Auch ich will nicht das erste sein, was ihr hier in die Augen faellt. (Er zieht sich in einen Winkel des Saales zurueck.)

Battista. Nur hier herein, gnaediges Fraeulein!

Emilia (ausser Atem). Ah!—Ah!—Ich danke Ihm, mein Freund—ich dank
Ihm.—Aber Gott, Gott! wo bin ich?—Und so ganz allein? Wo bleibt
meine Mutter? Wo blieb der Graf?—Sie kommen doch nach? mir auf dem
Fusse nach?

Battista. Ich vermute.

Emilia. Er vermutet? Er weiss es nicht? Er sah sie nicht?—Ward nicht gar hinter uns geschossen?—Battista. Geschossen?—Das waere! —Emilia. Ganz gewiss! Und das hat den Grafen oder meine Mutter getroffen.—Battista. Ich will gleich nach ihnen ausgehen.

Emilia. Nicht ohne mich.—Ich will mit; ich muss mit: komm' Er, mein
Freund!

Marinelli (der ploetzlich herzutritt, als ob er eben hereinkaeme). Ah, gnaediges Fraeulein! Was fuer ein Unglueck, oder vielmehr, was fuer ein Glueck—was fuer ein glueckliches Unglueck verschafft uns die Ehre—Emilia (stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr?—Ich bin also wohl bei Ihnen?—Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Raeubern ohnfern ueberfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hilfe—und dieser ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen und brachte mich hierher.—Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht tot—und ich lebe?—Verzeihen Sie. Ich muss fort; ich muss wieder hin—wo ich gleich haette bleiben sollen.

Marinelli. Beruhigen Sie sich, gnaediges Fraeulein. Es stehet alles gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, fuer die Sie so viel zaertliche Angst empfinden.—Indes, Battista, geh, lauf: sie duerften vielleicht nicht wissen, wo das Fraeulein ist. Sie duerften sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshaeusern des Gartens suchen. Bringe sie unverzueglich hierher. (Battista geht ab.)

Emilia. Gewiss? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts widerfahren?—Ah, was ist dieser Tag fuer ein Tag des Schreckens fuer mich!—Aber ich sollte nicht hier bleiben—ich sollte ihnen entgegeneilen—Marinelli. Wozu das, gnaediges Fraeulein? Sie sind ohnedem schon ohne Atem und Kraefte. Erholen Sie sich vielmehr und geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist.—Ich will wetten, dass der Prinz schon selbst um Ihre teure, ehrwuerdige Mutter ist und sie Ihnen zufuehret.

Emilia. Wer, sagen Sie?

Marinelli. Unser gnaedigster Prinz selbst.

Emilia (aeusserst bestuerzt). Der Prinz?

Marinelli. Er floh auf die erste Nachricht Ihnen zu Huelfe.—Er ist hoechst ergrimmt, dass ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen Augen gleichsam, hat duerfen gewagt werden. Er laesst den Taetern nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhoert sein.

Emilia. Der Prinz!—Wo bin ich denn also?

Marinelli. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen.

Emilia. Welch ein Zufall!—Und Sie glauben, dass er gleich selbst erscheinen koenne?—Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter?

Marinelli. Hier ist er schon.

Fuenfter Auftritt

Der Prinz. Emilia. Marinelli.

Der Prinz. Wo ist sie? wo?—Wir suchen Sie ueberall, schoenstes
Fraeulein.—Sie sind doch wohl?—Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre
Mutter—Emilia. Ah, gnaedigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine
Mutter?

Der Prinz. Nicht weit; hier ganz in der Naehe.

Emilia. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine oder den andern vielleicht treffen! Ganz gewiss treffen!—denn Sie verhehlen mir, gnaediger Herr—ich seh es, Sie verhehlen mir—Der Prinz. Nicht doch, bestes Fraeulein.—Geben Sie mir Ihren Arm und folgen Sie mir getrost.

Emilia (unentschlossen). Aber—wenn ihnen nichts widerfahren—wenn meine Ahnungen mich truegen:—warum sind sie nicht schon hier? Warum kamen sie nicht mit Ihnen, gnaediger Herr?

Der Prinz. So eilen Sie doch, mein Fraeulein, alle diese
Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen.

Emilia. Was soll ich tun? (Die Haende ringend.)

Der Prinz. Wie, mein Fraeulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich hegen?—Emilia (die vor ihm niederfaellt). Zu Ihren Fuessen, gnaediger Herr—Der Prinz (sie aufhebend). Ich bin aeusserst beschaemt.—Ja, Emilia, ich verdiene diesen stummen Vorwurf.—Mein Betragen diesen Morgen ist nicht zu rechtfertigen:—zu entschuldigen hoechstens. Verzeihen Sie meiner Schwachheit.—Ich haette Sie mit keinem Gestaendnisse beunruhigen sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich durch die sprachlose Bestuerzung, mit der Sie es anhoerten, oder vielmehr nicht anhoerten, genugsam bestraft.—Und koennt' ich schon diesen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig verschwindet—mir nochmals das Glueck, Sie zu sehen und zu sprechen, verschafft; koennt' ich schon diesen Zufall fuer den Wink eines guenstigen Glueckes erklaeren—fuer den wunderbarsten Aufschub meiner endlichen Verurteilung erklaeren, um nochmals um Gnade flehen zu duerfen: so will ich doch—beben Sie nicht, mein Fraeulein—einzig und allein von Ihrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer soll Sie beleidigen.—Nur kraenke mich nicht Ihr Misstrauen. Nur zweifeln Sie keinen Augenblick an der unumschraenktesten Gewalt, die Sie ueber mich haben. Nur falle Ihnen nie bei, dass Sie eines andern Schutzes gegen mich beduerfen.—Und nun kommen Sie, mein Fraeulein—kommen Sie, wo Entzueckungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. (Er fuehrt sie, nicht ohne Straeuben, ab.) Folgen Sie uns, Marinelli.—Marinelli. Folgen Sie uns—das mag heissen: folgen Sie uns nicht!—Was haette ich ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter vier Augen mit ihr bringt.—Alles, was ich zu tun habe, ist—zu verhindern, dass sie nicht gestoeret werden. Von dem Grafen zwar hoffe ich nun wohl nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es sollte mich sehr wundern, wenn die so ruhig abgezogen waere und ihre Tochter im Stiche gelassen haette.—Nun, Battista? was gibt's?

Sechster Auftritt

Battista. Marinelli.

Battista (eiligst). Die Mutter, Herr Kammerherr—Marinelli. Dacht' ich's doch!—Wo ist sie?

Battista. Wann Sie ihr nicht zuvorkommen, so wird sie den Augenblick hier sein.—Ich war gar nicht willens, wie Sie mir zum Schein geboten, mich nach ihr umzusehen: als ich ihr Geschrei von weitem hoerte. Sie ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht—unserm ganzen Anschlage! Alles, was in dieser einsamen Gegend von Menschen ist, hat sich um sie versammelt; und jeder will der sein, der ihr den Weg weiset. Ob man ihr schon gesagt, dass der Prinz hier ist, dass Sie hier sind, weiss ich nicht.—Was wollen Sie tun?

Marinelli. Lass sehen!—(Er ueberlegt.) Sie nicht einlassen, wenn sie weiss, dass die Tochter hier ist?—Das geht nicht.—Freilich, sie wird Augen machen, wenn sie den Wolf bei dem Schaefchen sieht.—Augen? Das moechte noch sein. Aber der Himmel sei unsern Ohren gnaedig!—Nun was? die beste Lunge erschoepft sich, auch sogar eine weibliche. Sie hoeren alle auf zu schreien, wenn sie nicht mehr koennen.—Dazu, es ist doch einmal die Mutter, die wir auf unserer Seite haben muessen.—Wenn ich die Muetter recht kenne—so etwas von einer Schwiegermutter eines Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.—Lass sie kommen, Battista, lass sie kommen!

Battista. Hoeren Sie! hoeren Sie!

Claudia Galotti (innerhalb). Emilia! Emilia! Mein Kind, wo bist du?

Marinelli. Geh, Battista, und suche nur ihre neugierigen Begleiter zu entfernen.

Siebenter Auftritt

Claudia Galotti. Battista. Marinelli.

Claudia (die in die Tuer tritt, indem Battista herausgehen will). Ha! der hob sie aus dem Wagen! Der fuehrte sie fort! Ich erkenne dich. Wo ist sie? Sprich, Ungluecklicher!

Battista. Das ist mein Dank?

Claudia. Oh, wenn du Dank verdienest (in einem gelinden Tone)—so verzeihe mir, ehrlicher Mann!—Wo ist sie?—Lasst mich sie nicht laenger entbehren. Wo ist sie?

Battista. Oh, Ihre Gnaden, sie koennte in dem Schosse der Seligkeit nicht aufgehobner sein.—Hier mein Herr wird Ihre Gnaden zu ihr fuehren. (Gegen einige Leute, die nachdringen wollen.) Zurueck da! ihr!

Achter Auftritt

Claudia Galotti. Marinelli.

Claudia. Dein Herr?—(Erblickt den Marinelli und faehrt zurueck.) Ha!
—Das dein Herr?—Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und
Sie, Sie sollen mich zu ihr fuehren?

Marinelli. Mit vielem Vergnuegen, gnaedige Frau.

Claudia. Halten Sie!—Eben faellt mir es bei—Sie waren es ja—nicht?—der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? mit dem ich ihn allein liess? mit dem er Streit bekam?

Marinelli. Streit?—Was ich nicht wuesste: ein unbedeutender
Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten—Claudia. Und
Marinelli heissen Sie?

Marinelli. Marchese Marinelli.

Claudia. So ist es richtig.—Hoeren Sie doch, Herr Marchese.
—Marinelli war—der Name Marinelli war—begleitet mit einer
Verwuenschung—Nein, dass ich den edeln Mann nicht verleumde!—begleitet
mit keiner Verwuenschung—Die Verwuenschung denk ich hinzu—Der Name
Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.

Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani?—Sie hoeren, gnaedige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffaellt. —Des sterbenden Grafen?—Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich nicht.

Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen!—Verstehen Sie nun?—Ich verstand es erst auch nicht, obschon mit einem Tone gesprochen—mit einem Tone!—Ich hoere ihn noch! Wo waren meine Sinne, dass sie diesen Ton nicht sogleich verstanden?

Marinelli. Nun, gnaedige Frau?—Ich war von jeher des Grafen Freund; sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben nannte—Claudia. Mit dem Tone?—Ich kann ihn nicht nachmachen; ich kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles!—Was? Raeuber waeren es gewesen, die uns anfielen?—Moerder waren es; erkaufte Moerder!—Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! Mit einem Tone!

Marinelli. Mit einem Tone?—Ist es erhoert, auf einen Ton, in einem
Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen
Mannes zu gruenden?

Claudia. Ha, koennt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton!
—Doch, weh mir! Ich vergesse darueber meine Tochter.—Wo ist
sie?—Wie? auch tot?—Was konnte meine Tochter dafuer, dass Appiani dein
Feind war?

Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter.—Kommen Sie, gnaedige Frau—Ihre Tochter ist hier; in einem von den naechsten Zimmern, und hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon voellig erholt. Mit der zaertlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschaeftiget—Claudia. Wer?—Wer selbst?

Marinelli. Der Prinz.

Claudia. Der Prinz?—Sagen Sie wirklich der Prinz?—Unser Prinz?

Marinelli. Welcher sonst?

Claudia. Nun dann!—Ich unglueckselige Mutter!—Und ihr Vater! ihr Vater!—Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich verfluchen.

Marinelli. Um des Himmels willen, gnaedige Frau! Was faellt Ihnen nun ein?

Claudia. Es ist klar!—Ist es nicht?—Heute im Tempel! vor den Augen der Allerreinesten! in der naehern Gegenwart des Ewigen!—begann das Bubenstueck, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Moerder! feiger, elender Moerder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, aber nichtswuerdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden!—morden zu lassen!—Abschaum aller Moerder!—Was ehrliche Moerder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich!—Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien?—Dich! Dich Kuppler!

Marinelli. Sie schwaermen, gute Frau.—Aber maessigen Sie wenigstens Ihr wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind.

Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin?—Was kuemmert es die Loewin, der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie bruellet?

Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich hoere meine Mutter!

Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehoert, sie hat mich gehoert. Und ich sollte nicht schreien?—Wo bist du, mein Kind? Ich komme, ich komme! (Sie stuerzt in das Zimmer und Marinelli ihr nach.)

Vierter Aufzug

Die Szene bleibt.

Erster Auftritt

Der Prinz. Marinelli.

Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend). Kommen Sie,
Marinelli! Ich muss mich erholen—und muss Licht von Ihnen haben.

Marinelli. O der muetterlichen Wut! Ha! ha! ha!

Der Prinz. Sie lachen?

Marinelli. Wenn Sie gesehen haetten, Prinz, wie toll sich hier, hier im Saale, die Mutter gebaerdete—Sie hoerten sie ja wohl schreien!—und wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen—Ha! ha!—Das weiss ich ja wohl, dass keine Mutter einem Prinzen die Augen auskratzt, weil er ihre Tochter schoen findet.

Der Prinz. Sie sind ein schlechter Beobachter!—Die Tochter stuerzte der Mutter ohnmaechtig in die Arme. Darueber vergass die Mutter ihre Wut, nicht ueber mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es nicht lauter, nicht deutlicher sagte—was ich lieber selbst nicht gehoert, nicht verstanden haben will.

Marinelli. Was, gnaediger Herr?

Der Prinz. Wozu die Verstellung?—Heraus damit. Ist es wahr? oder ist es nicht wahr?

Marinelli. Und wenn es denn waere!

Der Prinz. Wenn es denn waere?—Also ist es?—Er ist tot? tot?—(Drohend.) Marinelli! Marinelli!

Marinelli. Nun?

Der Prinz. Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig an diesem Blute.—Wenn Sie mir vorher gesagt haetten, dass es dem Grafen das Leben kosten werde—Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben gekostet haette!—Marinelli. Wenn ich Ihnen vorher gesagt haette?—Als ob sein Tod in meinem Plane gewesen waere! Ich hatte es dem Angelo auf die Seele gebunden, zu verhueten, dass niemanden Leides geschaehe. Es wuerde auch ohne die geringste Gewalttaetigkeit abgelaufen sein, wenn sich der Graf nicht die erste erlaubt haette. Er schoss Knall und Fall den einen nieder.

Der Prinz. Wahrlich, er haette sollen Spass verstehen!

Marinelli. Dass Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefaehrten raechte—Der Prinz. Freilich, das ist sehr natuerlich!

Marinelli. Ich hab es ihm genug verwiesen.

Der Prinz. Verwiesen? Wie freundschaftlich!—Warnen Sie ihn, dass er sich in meinem Gebiete nicht betreten laesst. Mein Verweis moechte so freundschaftlich nicht sein.

Marinelli. Recht wohl!—Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist eins.—Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, dass keiner der Ungluecksfaelle, die sich dabei ereignen koennten, mir zuschulden kommen solle—Der Prinz. Die sich dabei ereignen—koennten, sagen Sie? oder sollten?

Marinelli. Immer besser!—Doch, gnaediger Herr—ehe Sie mir es mit dem trocknen Worte sagen, wofuer Sie mich halten—eine einzige Vorstellung! Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgueltig. Ich hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget. Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umstaenden den Verdacht, den Sie gegen mich hegen, aber auch unter diesen?—(Mit einer angenommenen Hitze.) Wer das von mir denken kann!—Der Prinz (nachgebend). Nun gut, nun gut—Marinelli. Dass er noch lebtet. O dass er noch lebte! Alles, alles in der Welt wollte ich darum geben—(bitter) selbst die Gnade meines Prinzen—diese unschaetzbare, nie zu verscherzende Gnade—wollt' ich drum geben!

Der Prinz. Ich verstehe.—Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, blosser Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es.—Aber wer mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia?—Auch die Welt?

Marinelli (kalt). Schwerlich.

Der Prinz. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn
glauben?—Sie zucken die Achsel?—Ihren Angelo wird man fuer das
Werkzeug und mich fuer den Taeter halten—Marinelli (noch kaelter).
Wahrscheinlich genug.

Der Prinz. Mich! mich selbst!—Oder ich muss von Stund' an alle Absicht auf Emilien aufgeben—Marinelli (hoechst gleichgueltig). Was Sie auch gemusst haetten—wenn der Graf noch lebte.—Der Prinz (heftig, aber sich gleich wieder fassend). Marinelli!—Doch Sie sollen mich nicht wild machen.—Es sei so—Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: der Tod des Grafen ist fuer mich ein Glueck—das groesste Glueck, was mir begegnen konnte—das einzige Glueck, was meiner Liebe zustatten kommen konnte. Und als dieses—mag er doch geschehen sein, wie er will!—Ein Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht?—Topp! auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muss es ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, waere nun gerade weder stille noch heilsam. Es haette den Weg zwar gereiniget, aber zugleich gesperrt. Jedermann wuerde es uns auf den Kopf zusagen—und leider haetten wir es gar nicht einmal begangen!—Das liegt doch wohl nur bloss an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten?

Marinelli. Wenn Sie so befehlen—Der Prinz. Woran sonst?—Ich will
Rede!

Marinelli. Es koemmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehoert.

Der Prinz. Rede will ich!

Marinelli. Nun dann! Was laege an meinen Anstalten? dass den Prinzen bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft?—An dem Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit einzumengen die Gnade hatte.

Der Prinz. Ich?

Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, dass der Schritt, den er heute morgen in der Kirche getan—mit so vielem Anstande er ihn auch getan—so unvermeidlich er ihn auch tun musste—, dass dieser Schritt dennoch nicht in den Tanz gehoerte.

Der Prinz. Was verdarb er denn auch?

Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt.

Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie?

Marinelli. Also, kurz und einfaeltig. Da ich die Sache uebernahm, nicht wahr, da wusste Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? und der Prinz indes den Grund meines Gebaeudes untergrub?

Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwuenscht!

Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde fuehre?

Der Prinz. Verdammter Einfall!

Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten haette?—Traun! Ich moechte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter den geringsten Argwohn gegen ihn schoepfen koennte?

Der Prinz. Dass Sie recht haben!

Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht—Sie werden verzeihen, gnaediger Herr.

Zweiter Auftritt

Battista. Der Prinz. Marinelli.

Battista (eiligst). Eben koemmt die Graefin an.

Der Prinz. Die Graefin? Was fuer eine Graefin?

Battista. Orsina.

Der Prinz. Orsina?—Marinelli!—Orsina?—Marinelli!

Marinelli. Ich erstaune darueber nicht weniger als Sie selbst.

Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin nicht hier. Ich bin fuer sie nicht hier. Sie soll augenblicklich wieder umkehren. Geh, lauf!—(Battista geht ab.) Was will die Naerrin? Was untersteht sie sich? Wie weiss sie, dass wir hier sind? Sollte sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen haben?—Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch!—Ist er beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?

Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit ganzer Seele wieder der Ihrige!—Die Ankunft der Orsina ist mir ein Raetsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was wollen Sie tun?

Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen—Marinelli. Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen—Der Prinz. Aber bloss, um sie gehen zu heissen.—Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir haben andere Dinge hier zu tun—Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, koemmt sicherlich von selbst.—Aber hoer ich sie nicht schon?—Eilen Sie, Prinz!—Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hoeren koennen.—Ich fuerchte, ich fuerchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren.

Dritter Auftritt

Die Graefin Orsina. Marinelli.

Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist das?—Niemand koemmt mir entgegen, ausser ein Unverschaemter, der mir lieber gar den Eintritt verweigert haette?—Ich bin doch zu Dosalo? Zu dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschaeftiger Augendiener entgegenstuerzte? wo mich sonst Liebe und Entzuecken erwarteten?—Der Ort ist es, aber, aber!—Sieh da, Marinelli!—Recht gut, dass der Prinz Sie mitgenommen.—Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen haette, haette ich nur mit ihm auszumachen.—Wo ist er?

Marinelli. Der Prinz, meine gnaedige Graefin?

Orsina. Wer sonst?

Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier?—Er wenigstens ist der Graefin Orsina hier nicht vermutend.

Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten?

Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, dass er eines
Briefes von Ihnen erwaehnte.

Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine
Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?—Es ist wahr, es hat ihm nicht
beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, dass er eine
Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei
Antworts genug, und ich komme.

Marinelli. Ein sonderbarer Zufall!

Orsina. Zufall?—Sie hoeren ja, dass es verabredet worden. So gut als verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat.—Wie er dasteht, der Herr Marchese! Was er fuer Augen macht! Wundert sich das Gehirnchen? und worueber denn?

Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals wieder vor die Augen zu kommen.

Orsina. Bessrer Rat koemmt ueber Nacht.—Wo ist er? wo ist er?—Was gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische hoerte?—Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor.

Marinelli. Meine liebste, beste Graefin—Orsina. Es war ein weibliches Gekreische. Was gilt's, Marinelli?—O sagen Sie mir doch, sagen Sie mir—wenn ich anders Ihre liebste, beste Graefin bin—Verdammt, ueber das Hofgeschmeiss! Soviel Worte, soviel Luegen! Nun, was liegt daran, ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen. (Will gehen.)

Marinelli (der sie zurueckhaelt). Wohin?

Orsina. Wo ich laengst sein sollte.—Denken Sie, dass es schicklich ist, mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?

Marinelli. Sie irren sich, gnaedige Graefin. Der Prinz erwartet Sie nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen—will Sie nicht sprechen.

Orsina. Und waere doch hier? und waere doch auf meinen Brief hier?

Marinelli. Nicht auf Ihren Brief—Orsina. Den er ja erhalten, sagen
Sie—Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen.

Orsina (heftig). Nicht gelesen?—(Minder heftig.) Nicht gelesen?—(Wehmuetig und eine Traene aus dem Auge wischend.) Nicht einmal gelesen?

Marinelli. Aus Zerstreuung, weiss ich—Nicht aus Verachtung.

Orsina (stolz). Verachtung?—Wer denkt daran?—Wem brauchen Sie das zu sagen?—Sie sind ein unverschaemter Troester, Marinelli!—Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch! mich!—(Gelinder, bis zum Tone der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das ist natuerlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur Gleichgueltigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?

Marinelli. Allerdings, allerdings.

Orsina (hoehnisch). Allerdings?—O des weisen Mannes, den man sagen lassen kann, was man will!—Gleichgueltigkeit! Gleichgueltigkeit an die Stelle der Liebe?—Das heisst, nichts an die Stelle von etwas. Denn lernen Sie, nachplauderndes Hofmaennchen, lernen Sie von einem Weibe, dass Gleichgueltigkeit ein leeres Wort, ein blosser Schall ist, dem nichts, gar nichts entspricht. Gleichgueltig ist die Seele nur gegen das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das fuer sie kein Ding ist. Und nur gleichgueltig fuer ein Ding, das kein Ding ist—das ist soviel als gar nicht gleichgueltig.—Ist dir das zu hoch, Mensch?

Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fuerchtete!

Orsina. Was murmeln Sie da?

Marinelli. Lauter Bewunderung!—Und wem ist es nicht bekannt, gnaedige
Graefin, dass Sie eine Philosophin sind?

Orsina. Nicht wahr?—Ja, ja, ich bin eine.—Aber habe ich mir es itzt merken lassen, dass ich eine bin?—O pfui, wenn ich mir es habe merken lassen, und wenn ich mir es oefterer habe merken lassen! Ist es wohl noch Wunder, dass mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schoepfung bei guter Laune zu erhalten.—Nun, worueber lach ich denn gleich, Marinelli?—Ach, jawohl! Ueber den Zufall! dass ich dem Prinzen schreibe, er soll nach Dosalo kommen; dass der Prinz meinen Brief nicht lieset und dass er doch nach Dosalo koemmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr naerrisch!—Und Sie lachen nicht mit, Marinelli?—Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der Schoepfung, ob wir arme Geschoepfe gleich nicht mitdenken duerfen. —(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch!

Marinelli. Gleich, gnaedige Graefin, gleich!

Orsina. Stock! Und darueber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, lachen Sie nur nicht.—Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur Ruehrung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine ernsthafte—sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt!—Zufall? Ein Zufall waer' es, dass der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu sprechen, und mich doch hier sprechen muss? Ein Zufall?—Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslaesterung. Nichts unter der Sonne ist Zufall—am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die Augen leuchtet.—Allmaechtige, allguetige Vorsicht, vergib mir, dass ich mit diesem albernen Suender einen Zufall genennet habe, was so offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist!—(Hastig gegen Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so einem Frevel!

Marinelli (vor sich). Das geht weit!—Aber gnaedige Graefin….

Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Ueberlegung—und mein Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.)—Machen Sie, Marinelli, machen Sie, dass ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst bin ich es wohl gar nicht imstande.—Sie sehen, wir sollen uns sprechen, wir muessen uns sprechen!

Vierter Auftritt

Der Prinz. Orsina. Marinelli.

Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muss ihm zu Hilfe kommen

Orsina (die ihn erblickt, aber unentschluessig bleibt, ob sie auf ihn zugeben soll). Ha! da ist er.

Der Prinz (geht quer ueber den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern
Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schoene
Graefin.—Wie sehr bedaure ich, Madame, dass ich mir die Ehre Ihres
Besuchs fuer heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschaeftiget.
Ich bin nicht allein.—Ein andermal, meine liebe Graefin! Ein
andermal.—Itzt halten Sie laenger sich nicht auf. Ja nicht laenger!
—Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie.

Fuenfter Auftritt

Orsina. Marinelli.

Marinelli. Haben Sie es, gnaedige Graefin, nun von ihm selbst gehoert, was Sie mir nicht glauben wollen?

Orsina (wie betaeubt). Hab ich? hab ich wirklich?

Marinelli. Wirklich.

Orsina (mit Ruehrung). "Ich bin beschaeftiget. Ich bin nicht allein." Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man damit nicht ab? Jeden Ueberlaestigen, jeden Bettler. Fuer mich keine einzige Luege mehr? Keine einzige kleine Luege mehr, fuer mich? —Beschaeftiget? womit denn? Nicht allein? wer waere denn bei ihm?—Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli! Luegen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn eine Luege?—Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm?—Sagen Sie mir, sagen Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund koemmt—und ich gehe.

Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen
Teil der Wahrheit sagen.

Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe.—Er sagte ohnedem, der Prinz: "Ein andermal, meine liebe Graefin!" Sagte er nicht so?—Damit er mir Wort haelt, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Luege, und ich gehe.

Marinelli. Der Prinz, liebe Graefin, ist wahrlich nicht allein. Es sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmuessigen kann; Personen, die eben einer grossen Gefahr entgangen sind. Der Graf Appiani.

Orsina. Waere bei ihm?—Schade, dass ich ueber diese Luege Sie ertappen muss. Geschwind eine andere.—Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch nicht wissen, ist eben von Raeubern erschossen worden. Der Wagen mit seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt.—Oder ist er nicht? Haette es mir bloss getraeumt?

Marinelli. Leider nicht bloss getraeumt!—Aber die andern, die mit dem
Grafen waren, haben sich gluecklich hieher nach dem Schlosse gerettet:
seine Braut naemlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach
Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte.

Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die
Mutter der Braut?—Ist die Braut schoen?

Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe.

Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie haesslich waere. Denn ihr Schicksal ist schrecklich.—Armes gutes Maedchen, eben da er dein auf immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen!—Wer ist sie denn, diese Braut? Kenn ich sie gar?—Ich bin so lange aus der Stadt, dass ich von nichts weiss.

Marinelli. Es ist Emilia Galotti.

Orsina. Wer?—Emilia Galotti? Emilia Galotti?—Marinelli! dass ich diese Luege nicht fuer Wahrheit nehme!

Marinelli. Wieso?

Orsina. Emilia Galotti?

Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden—Orsina. Doch! doch!
Wenn es auch nur von heute waere.—Im Ernst, Marinelli? Emilia
Galotti?—Emilia Galotti waere die unglueckliche Braut, die der Prinz
troestet?

Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben?

Orsina. Und Graf Appiani war der Braeutigam dieser Braut? der eben erschossene Appiani?

Marinelli. Nicht anders.

Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Haende schlagend.)

Marinelli. Wie das?

Orsina. Kuessen moecht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat!

Marinelli. Wen? verleitet? wozu?

Orsina. Ja, kuessen, kuessen moecht' ich ihn—Und wenn Sie selbst dieser
Teufel waeren, Marinelli.

Marinelli. Graefin!

Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge!

Marinelli. Nun?

Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke?

Marinelli. Wie kann ich das?

Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran?

Marinelli. Woran?

Orsina. Schwoeren Sie!—Nein, schwoeren Sie nicht. Sie moechten eine Suende mehr begehen.—Oder ja, schwoeren Sie nur. Eine Suende mehr oder weniger fuer einen, der doch verdammt ist!—Haben Sie keinen Anteil daran?

Marinelli. Sie erschrecken mich, Graefin.

Orsina. Gewiss?—Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts?

Marinelli. Was? worueber?

Orsina. Wohl—so will ich Ihnen etwas vertrauen—etwas, das Ihnen jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge straeuben soll.—Aber hier, so nahe an der Tuere, moechte uns jemand hoeren. Kommen Sie hierher!—Und! (Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hoeren Sie! ganz in geheim! ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre naehert, als ob sie ihm zufluestern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz ist ein Moerder!

Marinelli. Graefin—Graefin—sind Sie ganz von Sinnen?

Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als eben itzt.—Zuverlaessig, Marinelli—aber es bleibt unter uns—(leise) der Prinz ist ein Moerder! des Grafen Appiani Moerder!—Den haben nicht Raeuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz umgebracht!

Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die
Gedanken kommen?

Orsina. Wie?—Ganz natuerlich.—Mit dieser Emilia Galotti—die hier bei ihm ist—deren Braeutigam so ueber Hals ueber Kopf sich aus der Welt trollen muessen—mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen, in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen. Das weiss ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch gehoert, was er mit ihr gesprochen—Nun, guter Herr? Bin ich von Sinnen? Ich reime, daecht' ich, doch noch ziemlich zusammen, was zusammen gehoert.—Oder trifft auch das nur so von ungefaehr zu? Ist Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht.

Marinelli. Graefin, Sie wuerden sich um den Hals reden

Orsina. Wenn ich das mehrern sagte?—Desto besser, desto besser! —Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen.—Und wer mir widerspricht—wer mir widerspricht, der war des Moerders Spiessgeselle. —Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Tuere dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.)

Sechster Auftritt

Odoardo Galotti. Die Graefin. Marinelli.

Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnaedige Frau—Orsina. Ich habe hier nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts uebelzunehmen—An diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.)

Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte!
—Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der aeussersten
Bestuerzung ist—dass er so unangemeldet hereintritt.

Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel.—Ha, willkommen!

Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, dass hierherum die Meinigen in Gefahr waeren. Ich fliege herzu und hoere, dass der Graf Appiani verwundet worden, dass er nach der Stadt zurueckgekehret, dass meine Frau und Tochter sich in das Schloss gerettet. —Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie?

Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer
Tochter ist nichts Uebels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie
befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich,
Sie zu melden.

Odoardo. Warum melden? erst melden?

Marinelli. Aus Ursachen—von wegen—Von wegen des Prinzen. Sie wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem freundschaftlichsten Fusse. So gnaedig er sich gegen Ihre Gemahlin und Tochter bezeiget—es sind Damen—Wird darum auch Ihr unvermuteter Anblick ihm gelegen sein?

Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet.

Marinelli. Aber, gnaedige Graefin—kann ich vorher die Ehre haben, Sie nach Ihrem Wagen zu begleiten?

Orsina. Nicht doch, nicht doch.

Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie, dass ich meine Schuldigkeit beobachte.—Orsina. Nur gemach!—Ich erlasse Sie deren, mein Herr! Dass doch immer Ihresgleichen Hoeflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre Schuldigkeit waere, als die Nebensache betreiben zu duerfen!—Diesen wuerdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit.

Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen?

Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn.

Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr, ich muss Sie hier mit einer Dame lassen, die—der—mit deren Verstande—Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben—deren sie oft sehr seltsame fuehret. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort.

Odoardo. Recht wohl.—Eilen Sie nur, mein Herr.

Siebenter Auftritt

Die Graefin Orsina. Odoardo Galotti.

Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer fluechtigen Neugierde). Was er Ihnen auch da gesagt hat, ungluecklicher Mann!—Odoardo (halb vor sich, halb gegen sie). Ungluecklicher?

Orsina. Eine Wahrheit war es gewiss nicht—am wenigsten eine von denen, die auf Sie warten.

Odoardo. Auf mich warten?—Weiss ich nicht schon genug?—Madame!—Aber, reden Sie nur, reden Sie nur.

Orsina. Sie wissen nichts.

Odoardo. Nichts?

Orsina. Guter, lieber Vater!—Was gaebe ich darum, wenn Sie auch mein Vater waeren!—Verzeihen Sie! Die Ungluecklichen ketten sich so gern aneinander.—Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen.

Odoardo. Schmerz und Wut? Madame!—Aber ich vergesse—Reden Sie nur.

Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter—Ihr einziges Kind waere!
—Zwar einzig oder nicht. Das unglueckliche Kind ist immer das einzige.

Odoardo. Das unglueckliche?—Madame!—Was will ich von ihr?—Doch, bei
Gott, so spricht keine Wahnwitzige!

Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir vertraute?—Nun, nun, es mag leicht keine von seinen groebsten Luegen sein.—Ich fuehle so was!—Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer ueber gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren.—Odoardo. Was soll ich denken?

Orsina. Dass Sie mich also ja nicht verachten!—Denn auch Sie haben
Verstand, guter Alter, auch Sie.—Ich seh es an dieser entschlossenen,
ehrwuerdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein
Wort—so haben Sie keinen.

Odoardo. Madame!—Madame!—Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen.—Sagen Sie es! sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr—es ist nicht wahr, dass Sie von jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so wuerdigen Gattung der Wahnwitzigen sind—Sie sind eine gemeine Toerin. Sie haben nicht, was Sie nie hatten.

Orsina. So merken Sie auf!—Was wissen Sie, der Sie schon genug wissen wollen? Dass Appiani verwundet worden? Nur verwundet?—Appiani ist tot!

Odoardo. Tot? tot?—Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz.

Orsina. Das beiher!—Nur weiter.—Der Braeutigam ist tot, und die
Braut—Ihre Tochter—schlimmer als tot.

Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot?—Aber doch zugleich auch tot?—Denn ich kenne nur ein Schlimmeres—Orsina. Nicht zugleich auch tot. Nein, guter Vater, nein!—Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst recht anfangen zu leben.—Ein Leben voll Wonne! Das schoenste, lustigste Schlaraffenleben—solang es dauert.

Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand bringen soll! heraus damit!—Schuetten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in einen Eimer.—Das einzige Wort! geschwind.

Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen!—Des Morgens sprach der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf seinem Lust—Lustschlosse.

Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter?

Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst!—Sie hatten nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden, recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entfuehrung, sondern bloss ein kleiner—kleiner Meuchelmord.

Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter. Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entfuehrung.—(Blickt wild um sich und stampft und schaeumet.) Nun, Claudia? Nun, Muetterchen?—Haben wir nicht Freude erlebt! O des gnaedigen Prinzen! O der ganz besondern Ehre!

Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es?

Odoardo. Da steh ich nun vor der Hoehle des Raeubers—(indem er den
Rock von beiden Seiten auseinanderschlaegt und sich ohne Gewehr sieht.)
Wunder, dass ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Haende zurueckgelassen!
—(An alle Schubsaecke fuehlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts!
nirgends!

Orsina. Ha, ich verstehe!—Damit kann ich aushelfen!—Ich hab einen mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie geschwind, eh' uns jemand sieht!—Auch haette ich noch etwas—Gift. Aber Gift ist nur fuer uns Weiber, nicht fuer Maenner.—Nehmen Sie ihn! (Ihm den Dolch aufdraengend.) Nehmen Sie!

Odoardo. Ich danke, ich danke.—Liebes Kind, wer wieder sagt, dass du eine Naerrin bist, der hat es mit mir zu tun.

Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite!—Mir—wird die Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste, die beste—wenn Sie ein Mann sind.—Ich, ich bin nur ein Weib, aber so kam ich her! fest entschlossen!—Wir, Alter, wir koennen uns alles vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem naemlichen Verfuehrer beleidiget.—Ah, wenn Sie wuessten—wenn sie wuessten, wie ueberschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm beleidiget worden und noch werde—Sie koennten, Sie wuerden Ihre eigene Beleidigung darueber vergessen.—Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die betrogene, verlassene Orsina.—Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter verlassen.—Doch was kann Ihre Tochter dafuer?—Bald wird auch sie verlassen sein.—Und dann wieder eine!—Und wieder eine!—Ha! (wie in der Entzueckung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal alle—wir, das ganze Heer der Verlassenen—wir alle in Bacchantinnen, in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns haetten, ihn unter uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwuehlten—um das Herz zu finden, das der Verraeter einer jeden versprach und keiner gab! Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte!

Achter Auftritt

Claudia Galotti. Die Vorigen.

Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten!—Ah, unser Beschuetzer, unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da?—Aus ihren Wispern, aus ihren Mienen schloss ich es.—Was soll ich dir sagen, wenn du noch nichts weisst?—Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles weisst?—Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!

Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht).
Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig—und antworte mir. (Gegen die
Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte—Ist der Graf tot?

Claudia. Tot.

Odoardo. Ist es wahr, dass der Prinz heute morgen Emilien in der Messe gesprochen?

Claudia. Wahr. Aber wenn du wuesstest, welchen Schreck es ihr verursacht, in welcher Bestuerzung sie nach Hause kam-Orsina. Nun, hab ich gelogen?

Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie haetten!
Um wie vieles nicht!

Orsina. Bin ich wahnwitzig?

Odoardo (wild hin und her gehend). Oh—noch bin ich es auch nicht.
—Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.—Bester
Mann, darf auch ich—ich dich bitten—Odoardo. Was willst du? Bin ich
nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.)
Weiss es Emilia, dass Appiani tot ist?

Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fuerchte, dass sie es argwohnet, weil er nicht erscheinet.—Odoardo. Und sie jammert und winselt.—Claudia. Nicht mehr.—Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindruecke nie maechtig, aber nach der geringsten Ueberlegung in alles sich findend, auf alles gefasst. Sie haelt den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem Tone—Mache nur, Odoardo, dass wir wegkommen.

Odoardo. Ich bin zu Pferde.—Was zu tun?—Doch, Madame, Sie fahren ja nach der Stadt zurueck?

Orsina. Nicht anders.

Odoardo. Haetten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu nehmen?

Orsina. Warum nicht? Sehr gern.

Odoardo. Claudia—(ihr die Graefin bekannt machend) die Graefin Orsina, eine Dame von grossem Verstande, meine Freundin, meine Wohltaeterin.—Du musst mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.

Claudia. Aber—wenn nur—Ich trenne mich ungern von dem Kinde.

Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Naehe? Man wird ihn endlich doch vorlassen. Keine Einwendung!—Kommen Sie, gnaedige Frau. (Leise zu ihr.) Sie werden von mir hoeren.—Komm, Claudia. (Er fuehrt sie ab.)

Fuenfter Aufzug

Die Szene bleibt.

Erster Auftritt

Marinelli. Der Prinz.

Marinelli. Hier, gnaediger Herr, aus diesem Fenster koennen Sie ihn sehen. Er geht die Arkade auf und nieder.—Eben biegt er ein, er koemmt.—Nein, er kehrt wieder um.—Ganz einig ist er mit sich noch nicht. Aber um ein Grosses ruhiger ist er—oder scheinet er. Fuer uns gleichviel!—Natuerlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt haben, wird er es wagen zu aeussern?—Wie Battista gehoert, soll ihm seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde. —Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz untertaenigst Eurer Durchlaucht fuer den gnaedigen Schutz danken, den seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich, mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig nach der Stadt bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten, welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem ungluecklichen, lieben Maedchen zu nehmen geruhen wollen.

Der Prinz. Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich, schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut.—Wenn er hoechstens seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeisst: aber Emilien, anstatt sie nach der Stadt zu fuehren, mit sich nimmt? bei sich behaelt? oder wohl gar in ein Kloster, ausser meinem Gebiete, verschliesst? Wie dann?

Marinelli. Die fuerchtende Liebe sieht weit. Wahrlich!—Aber er wird ja nicht—Der Prinz. Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns dann helfen, dass der unglueckliche Graf sein Leben darueber verloren?

Marinelli. Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwaerts! denkt der Sieger, es falle neben ihm Feind oder Freund.—Und wenn auch! Wenn er es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fuerchten, Prinz. —(Ueberlegend.) Das geht! Ich hab es!—Weiter als zum Wollen soll er es gewiss nicht bringen. Gewiss nicht!—Aber dass wir ihn nicht aus dem Gesichte verlieren.—(Tritt wieder ans Fenster.) Bald haett' er uns ueberrascht! Er koemmt.—Lassen Sie uns ihm noch ausweichen, und hoeren Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befuerchtenden Fall tun muessen.

Der Prinz (drohend). Nur, Marinelli!—Marinelli. Das Unschuldigste von der Welt!

Zweiter Auftritt

Odoardo Galotti. Noch niemand hier?—Gut, ich soll noch kaelter werden. Es ist mein Glueck.—Nichts veraechtlicher als ein brausender Juenglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und doch liess ich mich fortreissen: und von wem? Von einer Eifersuechtigen, von einer fuer Eifersucht Wahnwitzigen.—Was hat die gekraenkte Tugend mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten. —Und deine Sache—mein Sohn! mein Sohn!—Weinen konnt' ich nie—und will es nun nicht erst lernen—Deine Sache wird ein ganz anderer zu seiner machen! Genug fuer mich, wenn dein Moerder die Frucht seines Verbrechens nicht geniesst.—Dies martere ihn mehr als das Verbrechen! Wenn nun bald ihn Saettigung und Ekel von Luesten zu Luesten treiben, so vergaelle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebuesset zu haben, ihm den Genuss aller! In jedem Traume fuehre der blutige Braeutigam ihm die Braut vor das Bette, und wann er dennoch den wolluestigen Arm nach ihr ausstreckt, so hoere er ploetzlich das Hohngelaechter der Hoelle und erwache!

Dritter Auftritt

Marinelli. Odoardo Galotti.

Marinelli. Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie?

Odoardo. War meine Tochter hier?

Marinelli. Nicht sie, aber der Prinz.

Odoardo. Er verzeihe.—Ich habe die Graefin begleitet.

Marinelli. Nun?

Odoardo. Die gute Dame!

Marinelli. Und Ihre Gemahlin?

Odoardo. Ist mit der Graefin—um uns den Wagen sogleich herauszusenden. Der Prinz vergoenne nur, dass ich mich so lange mit meiner Tochter noch hier verweile.

Marinelli. Wozu diese Umstaende? Wuerde sich der Prinz nicht ein Vergnuegen daraus gemacht haben, sie beide, Mutter und Tochter, selbst nach der Stadt zu bringen?

Odoardo. Die Tochter wenigstens wuerde diese Ehre haben verbitten muessen.

Marinelli. Wieso?

Odoardo. Sie soll nicht mehr nach Guastalla.

Marinelli. Nicht? und warum nicht?

Odoardo. Der Graf ist tot.

Marinelli. Um so viel mehr—Odoardo. Sie soll mit mir.

Marinelli. Mit Ihnen?

Odoardo. Mit mir. Ich sage Ihnen ja, der Graf ist tot.—Wenn Sie es noch nicht wissen—Was hat sie nun weiter in Guastalla zu tun?—Sie soll mit mir.

Marinelli. Allerdings wird der kuenftige Aufenthalt der Tochter einzig von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erste—Odoardo. Was vors erste?

Marinelli. Werden Sie wohl erlauben muessen, Herr Oberster, dass sie nach Guastalla gebracht wird.

Odoardo. Meine Tochter? nach Guastalla gebracht wird? und warum?

Marinelli. Warum? Erwaegen Sie doch nur—Odoardo (hitzig). Erwaegen! erwaegen! Ich erwaege, dass hier nichts zu erwaegen ist.—Sie soll, sie muss mit mir.

Marinelli. O mein Herr—was brauchen wir uns hierueber zu ereifern?
Es kann sein, dass ich mich irre, dass es nicht noetig ist, was ich fuer
noetig halte.—Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der
Prinz entscheide.—Ich geh und hole ihn.

Vierter Auftritt

Odoardo Galotti. Wie?—Nimmermehr!—Mir vorschreiben, wo sie hin soll?—Mir sie vorenthalten?—Wer will das? Wer darf das?—Der hier alles darf, was er will? Gut, gut, so soll er sehen, wieviel auch ich darf, ob ich es schon nicht duerfte! Kurzsichtiger Wueterich! Mit dir will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso maechtig, als wer kein Gesetz hat. Das weisst du nicht? Komm an! komm an!—Aber, sieh da! Schon wieder, schon wieder rennet der Zorn mit dem Verstande davon.—Was will ich? Erst muesst' es doch geschehen sein, worueber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofschranze! Und haette ich ihn doch nur plaudern lassen! Haette ich seinen Vorwand, warum sie wieder nach Guastalla soll, doch nur angehoert!—So koennte ich mich itzt auf eine Antwort gefasst machen.—Zwar auf welchen kann mir eine fehlen?—Sollte sie mir aber fehlen, sollte sie—Man koemmt. Ruhig, alter Knabe, ruhig!

Fuenfter Auftritt

Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti.

Der Prinz. Ah, mein lieber, rechtschaffner Galotti—so etwas muss auch geschehen, wenn ich Sie bei mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie es nicht. Doch keine Vorwuerfe!

Odoardo. Gnaediger Herr, ich halte es in allen Faellen fuer unanstaendig, sich zu seinem Fuersten zu draengen. Wen er kennt, den wird er fodern lassen, wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um Verzeihung—Der Prinz. Wie manchem andern wollte ich diese stolze Bescheidenheit wuenschen!—Doch zur Sache. Sie werden begierig sein, Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe wegen der ploetzlichen Entfernung einer so zaertlichen Mutter.—Wozu auch diese Entfernung? Ich wartete nur, dass die liebenswuerdige Emilie sich voellig erholet haette, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir diesen Triumph um die Haelfte verkuemmert, aber ganz werde ich mir ihn nicht nehmen lassen.

Odoardo. Zu viel Gnade!—Erlauben Sie, Prinz, dass ich meinem ungluecklichen Kinde alle die mannigfaltigen Kraenkungen erspare, die Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guastalla fuer sie bereit halten.

Der Prinz. Um die suessen Kraenkungen des Freundes und des Mitleids, wuerde es Grausamkeit sein, sie zu bringen. Dass aber die Kraenkungen des Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafuer, lieber Galotti, lassen Sie mich sorgen.

Odoardo. Prinz, die vaeterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern.
—Ich denke, ich weiss es, was meiner Tochter in ihren itzigen
Umstaenden einzig ziemet—Entfernung aus der Welt—ein Kloster—sobald
als moeglich.

Der Prinz. Ein Kloster?

Odoardo. Bis dahin weine sie unter den Augen ihres Vaters.

Der Prinz. So viel Schoenheit soll in einem Kloster verbluehen?—Darf eine einzige fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so unversoehnlich machen?—Doch allerdings: dem Vater hat niemand einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen.

Odoardo (gegen Marinelli). Nun, mein Herr?

Marinelli. Wenn Sie mich sogar auffodern!

Odoardo. O mitnichten, mitnichten.

Der Prinz. Was haben Sie beide?

Odoardo. Nichts, gnaediger Herr, nichts.—Wir erwaegen bloss, welcher von uns sich in Ihnen geirret hat.

Der Prinz. Wieso?—Reden Sie, Marinelli.

Marinelli. Es geht mir nahe, der Gnade meines Fuersten in den Weg zu treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den Richter aufzufodern—Der Prinz. Welche Freundschaft?—Marinelli. Sie wissen, gnaediger Herr, wie sehr ich den Grafen Appiani liebte, wie sehr unser beider Seelen ineinander verwebt schienen—Odoardo. Das wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein.

Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Raecher bestellet—Odoardo. Sie?

Marinelli. Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen, und in einem Tone! in einem Tone!—Dass er mir nie aus dem Gehoere komme, dieser schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, dass seine Moerder entdeckt und bestraft werden!

Der Prinz. Rechnen Sie auf meine kraeftigste Mitwirkung.

Odoardo. Und meine heissesten Wuensche!—Gut, gut!—Aber was weiter?

Der Prinz. Das frag ich, Marinelli.

Marinelli. Man hat Verdacht, dass es nicht Raeuber gewesen, welche den
Grafen angefallen.

Odoardo (hoehnisch). Nicht? Wirklich nicht?

Marinelli. Dass ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege raeumen lassen.

Odoardo (bitter). Ei! Ein Nebenbuhler?

Marinelli. Nicht anders.

Odoardo. Nun dann—Gott verdamm' ihn, den meuchelmoerderischen Buben!

Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein beguenstigter Nebenbuhler—Odoardo.
Was? ein beguenstigter?—Was sagen Sie?

Marinelli. Nichts, als was das Geruechte verbreitet.

Odoardo. Ein beguenstigter? von meiner Tochter beguenstiget?

Marinelli. Das ist gewiss nicht. Das kann nicht sein. Dem widersprech ich, trotz Ihnen.—Aber bei dem allen, gnaediger Herr—denn das gegruendetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit soviel als nichts—bei dem allen wird man doch nicht umhin koennen, die schoene Unglueckliche darueber zu vernehmen.

Der Prinz. Jawohl, allerdings.

Marinelli. Und wo anders? wo kann das anders geschehen als in
Guastalla?

Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht.—Ja so, das veraendert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen selbst—Odoardo. O ja, ich sehe—Ich sehe, was ich sehe.—Gott! Gott!

Der Prinz. Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich?

Odoardo. Dass ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das aergert mich, weiter nichts.—Nun ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich will sie wieder zu ihrer Mutter bringen, und bis die strengste Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht weichen. Denn wer weiss—(mit einem bittern Lachen) wer weiss, ob die Gerechtigkeit nicht auch noetig findet, mich zu vernehmen.

Marinelli. Sehr moeglich! In solchen Faellen tut die Gerechtigkeit lieber zuviel als zuwenig.—Daher fuerchte ich sogar—Der Prinz. Was? was fuerchten Sie?

Marinelli. Man werde vor der Hand nicht verstatten koennen, dass Mutter und Tochter sich sprechen.

Odoardo. Sich nicht sprechen?

Marinelli. Man werde genoetiget sein, Mutter und Tochter zu trennen.

Odoardo. Mutter und Tochter zu trennen?

Marinelli. Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhoers erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid, gnaediger Herr, dass ich mich gezwungen sehe, ausdruecklich darauf anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen.

Odoardo. Besondere Verwahrung?—Prinz! Prinz!—Doch ja, freilich, freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz? nicht?—O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich! (Faehrt schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.)

Der Prinz (schmeichelhaft auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber
Galotti—Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht).
Das sprach sein Engel!

Der Prinz. Sie sind irrig, Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei dem Worte Verwahrung wohl gar an Gefaengnis und Kerker.

Odoardo. Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig!

Der Prinz. Kein Wort von Gefaengnis, Marinelli! Hier ist die Strenge der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu vereinigen. Wenn Emilia in besondere Verwahrung gebracht werden muss, so weiss ich schon—die alleranstaendigste. Das Haus meines Kanzlers—Keinen Widerspruch, Marinelli!—Da will ich sie selbst hinbringen, da will ich sie der Aufsicht einer der wuerdigsten Damen uebergeben. Die soll mir fuer sie buergen, haften.—Sie gehen zu weit, Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen.—Sie kennen doch, Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine Gemahlin?

Odoardo. Was sollt' ich nicht? Sogar die liebenswuerdigen Toechter dieses edeln Paares kenn ich. Wer kennt sie nicht?—(Zu Marinelli.) Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden muss, so muesse sie in dem tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen Sie darauf, ich bitte Sie.—Ich Tor, mit meiner Bitte! ich alter Geck! —Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer ueber gewisse Dinge seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!"

Der Prinz. Ich verstehe Sie nicht.—Lieber Galotti, was kann ich mehr tun?—Lassen Sie es dabei, ich bitte Sie.—Ja, ja, in das Haus meines Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich sie selbst hin; und wenn ihr da nicht mit der aeussersten Achtung begegnet wird, so hat mein Wort nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht.—Dabei bleibt es! dabei bleibt es!—Sie selbst, Galotti, mit sich, koennen es halten, wie Sie wollen.—Sie koennen uns nach Guastalla folgen, Sie koennen nach Sabionetta zurueckkehren: wie Sie wollen. Es waere laecherlich, Ihnen vorzuschreiben.—Und nun, auf Wiedersehen, lieber Galotti!—Kommen Sie, Marinelli, es wird spaet.

Odoardo (der in tiefen Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar nicht sprechen, meine Tochter? Auch hier nicht?—Ich lasse mir ja alles gefallen, ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines Kanzlers ist natuerlicherweise eine Freistatt der Tugend. Oh, gnaediger Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin, nirgends anders als dahin. —Aber sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen ist ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen koennen, warum man sie von ihren Eltern trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen, sie dieser Trennung wegen zu beruhigen—muss ich sie sprechen, gnaediger Herr, muss ich sie sprechen.

Der Prinz. So kommen Sie denn—Odoardo. Oh, die Tochter kann auch wohl zu dem Vater kommen.—Hier, unter vier Augen, bin ich gleich mit ihr fertig. Senden Sie mir sie nur, gnaediger Herr.

Der Prinz. Auch das!—O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Fuehrer, mein Vater sein wollten! (Der Prinz und Marinelli geben ab.)

Sechster Auftritt

Odoardo Galotti (ihm nachsehend, nach einer Pause). Warum nicht?—Herzlich gern.—Ha! ha! ha!—(Blickt wild umher.) Wer lacht da?—Bei Gott, ich glaub, ich war es selbst.—Schon recht! Lustig, lustig! Das Spiel geht zu Ende. So oder so!—Aber—(Pause) wenn sie mit ihm sich verstuende? Wenn es das alltaegliche Possenspiel waere? Wenn sie es nicht wert waere, was ich fuer sie tun will?—(Pause.) Fuer sie tun will? Was will ich denn fuer sie tun?—Hab ich das Herz, es mir zu sagen?—Da denk ich so was: So was, was sich nur denken laesst. —Graesslich! Fort, fort! Ich will sie nicht erwarten. Nein!—(Gegen den Himmel.) Wer sie unschuldig in diesen Abgrund gestuerzt hat, der ziehe sie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort! (Er will gehen und sieht Emilien kommen.) Zu spaet! Ah! er will meine Hand, er will sie!

Siebenter Auftritt

Emilia. Odoardo.

Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater?—Und nur Sie?—Und meine Mutter? nicht hier?—Und der Graf? nicht hier?—Und Sie so unruhig, mein Vater?

Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter?—Emilia. Warum nicht, mein Vater?—Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein koennen und ruhig sein muessen: koemmt es nicht auf eines?

Odoardo. Aber, was meinest du, dass der Fall ist?

Emilia. Dass alles verloren ist—und dass wir wohl ruhig sein muessen, mein Vater.

Odoardo. Und du waerest ruhig, weil du ruhig sein musst?—Wer bist du? Ein Maedchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich wohl vor dir schaemen?—Aber lass doch hoeren, was nennest du, alles verloren?—Dass der Graf tot ist?

Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein
Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in
dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?—Wo ist meine Mutter?
Wo ist sie hin, mein Vater?

Odoardo. Voraus—wenn wir anders ihr nachkommen.

Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er darum tot ist—darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns fliehen, mein Vater!

Odoardo. Fliehen?—Was haett' es dann fuer Not?—Du bist, du bleibst in den Haenden deines Raeubers.

Emilia. Ich bleibe in seinen Haenden?

Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich.

Emilia. Ich allein in seinen Haenden?—Nimmermehr, mein Vater.—Oder Sie sind nicht mein Vater.—Ich allein in seinen Haenden?—Gut, lassen Sie mich nur, lassen Sie mich nur.—Ich will doch sehn, wer mich haelt—wer mich zwingt—wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen kann.

Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind.

Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Haende in den Schoss legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht duerfte?

Odoardo. Ha! wenn du so denkest!—Lass dich umarmen, meine Tochter! —Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem Meisterstuecke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns.—Ha, wenn das deine Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Lass dich umarmen, meine Tochter!—Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen Untersuchung—o des hoellischen Gaukelspieles!—reisst er dich aus unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi.

Emilia. Reisst mich? bringt mich?—Will mich reissen, will mich bringen: will! will!—Als ob wir, wir keinen Willen haetten, mein Vater!

Odoardo. Ich ward auch so wuetend, dass ich schon nach diesem Dolche griff (ihn herausziehend), um einem von beiden—beiden!—das Herz zu durchstossen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater! —Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben.—Mir, mein Vater, mir geben Sie diesen Dolch.

Odoardo. Kind, es ist keine Haarnadel.

Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!—Gleichviel.

Odoardo. Was? Dahin waere es gekommen? Nicht doch; nicht doch!
Besinne dich.—Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.

Emilia. Und nur eine Unschuld!

Odoardo. Die ueber alle Gewalt erhaben ist.—Emilia. Aber nicht ueber alle Verfuehrung.—Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heisst, ist nichts: Verfuehrung ist die wahre Gewalt.—Ich habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe fuer nichts. Ich bin fuer nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter—und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Uebungen der Religion kaum in Wochen besaenftigen konnten!—Der Religion! Und welcher Religion?—Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die Fluten und sind Heilige!—Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir diesen Dolch.

Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch!—Emilia. Wenn ich ihn auch nicht kenne!—Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund. —Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn.

Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe—da! (Gibt ihr ihn.)

Emilia. Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstossen, reisst der
Vater ihr ihn wieder aus der Hand.)

Odoardo. Sieh, wie rasch!—Nein, das ist nicht fuer deine Hand.

Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich—(Sie faehrt mit der
Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.)
Du noch hier?—Herunter mit dir! Du geboetest nicht in das Haar
einer—wie mein Vater will, dass ich werden soll!

Odoardo. Oh, meine Tochter!—Emilia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie erriete!—Doch nein, das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie sonst?—(In einem bittern Tone, waehrend dass sie die Rose zerpflueckt.) Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte—ihr zum zweiten Male das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem! Solcher Vaeter gibt es keinen mehr!

Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.) —Gott, was hab ich getan! (Sie will sinken, und er fasst sie in seine Arme.)

Emilia. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblaettert.—Lassen
Sie mich sie kuessen, diese vaeterliche Hand.

Achter Auftritt

Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen.

Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das?—Ist Emilien nicht wohl?

Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl!

Der Prinz (indem er naeher koemmt). Was seh ich?—Entsetzen!

Marinelli. Weh mir!

Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan!

Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblaettert.—War es nicht so, meine Tochter?

Emilia. Nicht Sie, mein Vater—Ich selbst—ich selbst—Odoardo. Nicht du, meine Tochter—nicht du!—Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein ungluecklicher Vater!

Emilia. Ah—mein Vater—(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den
Boden.)

Odoardo. Zieh hin!—Nun da, Prinz! Gefaellt sie Ihnen noch? Reizt sie noch Ihre Lueste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, dass ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragoedie zu beschliessen? Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Fuesse wirft.) Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und liefere mich selbst in das Gefaengnis. Ich gehe und erwarte Sie als Richter—Und dann dort—erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!

Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Koerper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb ihn auf.—Nun? Du bedenkst dich?—Elender!—(Indem er ihm den Dolch aus der Hand reisst.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen.—Geh, dich auf ewig zu verbergen!—Geh! sag ich.—Gott! Gott! —Ist es, zum Ungluecke so mancher, nicht genug, dass Fuersten Menschen sind: muessen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Emilia Galotti, von Gotthold
Ephraim Lessing.


				

				


				

				

				

				

Lessing, Gotthold Ephraim : Die Erziehung des Menschengeschlechts, Der Freigeist, Die Juden, Emilia Galotti, Gespräche für Freimaurer, Hamburgische Dramaturgie, Laokoon, Minna von Barnhelm, Miß Sara Sampson, Nathan der Weise,

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