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Satyricon oder Satyrikon ist ein nur in Teilen erhaltener, satirischer Roman von Titus Petronius Arbiter (* ca. 14, † 66 n. Chr.), er erschien zur Zeit Neros.

Titel

Der älteste Zeuge für den Werktitel (C. Marius Victorinus † n. 363) und die ältesten Handschriften nennen das Werk übereinstimmend lediglich Satyricon. Dass der Name irgendwie mit gr. Satyrn und lat. Satura/Satire zu tun hat steht ausser Frage.

Zwar wurde der Titel schon zu Satyricon libri ergänzt, andere vermuten in Analogie zu den griechischen Liebesromanen (vgl. z. B. die Aethiopika des Heliodor) als Originaltitel Satyrica.

Möglich ist aber auch eine Verbindung mit icon („Bild“). In Unkenntnis der eigentlichen Absicht Petrons sollte es daher bei dem überlieferten Titel Satyricon bleiben.

Inhalt

Der erhaltene Teil beginnt mitten in einem Gespräch zwischen dem fahrenden Schüler Encolpius und seinem Lehrer Agamemnon über den Verfall der Redekunst. Es folgen eine Eifersuchtsszene mit Askyltos um den Knaben Giton, die Entsühnung der Priapuspriesterin Quartilla. In einer Villa in der Nähe von Cumae folgt das „Gastmahl des Trimalchio“, eines ungebildeten, neureichen Freigelassenen (sogen. Cena Trimalchionis). Nach weiteren Eifersuchtsgeschichten begibt man sich auf eine turbulente Schiffahrt, bei der man die einst (in heute verlorenen Szenen) betrogenen Lichas und Tryphäna wiedertrifft. Nach einem Schiffbruch gibt sich der Dichter Eumolp in der nahen Stadt Croton als krank und vermögend aus, um von den Erbschleichern zu profitieren. Encolpius erleidet derweil eine schwere sexuelle Niederlage bei der Ortsschönheit Circe, von der er sich erst am Ende der Geschichte nach mühsamen Heilbehandlungen erholt. Das Werk endet mit dem Testament des Dichters Eumolp, der seinen Erben abverlangt, seine Leiche zu essen.

Stil und Sprache

Das Werk wechselt nicht nur Prosa mit versgebundenen Partien ab (Menippeische Satire), auch die Reden der einzelnen Personen sind aufs genaueste den jeweiligen Sprechern und ihrer Situation angepasst. Die Virtuosität Petrons im Umgang mit der Stilhöhe hat immer wieder Bewunderung hervorgerufen.

Die Gedichte

Eingestreut in den Text erscheinen dreiunddreissig Gedichte unterschiedlicher Länge. Kurze einzeilige Epigramme (Sat 58.8) stehen den Gedichten von Troia (Sat 89) und dem Bürgerkrieg (Sat 119-114) mit 295 Zeilen gegenüber. Daneben finden sich an prägnanter Stelle vier kurze Vergil-Zitate.

Die Qualität von Petrons Gedichten wird hoch gerühmt. Der bekannte Philologe Stowasser zählt sie zu dem Besten, was jemals in lateinischer Zunge hervorgebracht wurde.

Originalität und literarische Vorlagen

Das Werk als Gesamtkomposition steht in mancherlei Hinsicht in der antiken Literatur einzigartig da.

Die erhaltenen Teile parodieren mehrere literarische Gattungen, z. B.:

die Odyssee: wie Odysseus wird auch der Protagonist Encolpius von den Göttern verfolgt, hier allerdings von Priapus, dem Gott der Fruchtbarkeit mit Impotenz; (zunächst ist seine dargestellte sexuelle Präferenz homosexuell, später heterosexuell; in der antiken Sexualauffassung allerdings ist Bisexualität die naturgemäße menschliche Weise der Lustauslebung, die durch die spätere christliche Auslegung verbindlich gewordene „natürliche“ Lustauslebung ist ihr unbekannt).

die gängigen griechischen Liebesromane: Encolpius, ein Taugenichts und Schmarotzer, führt ein kompliziertes Dreiecksverhältnis mit dem kongenialen Ascyltus und dem ehemaligen Strichjungen Giton, wobei alle Beteiligten auch anderen Abenteuern nicht abgeneigt sind;

das zeitgenössische Epos: in zwei längeren Verspartien werden der römische Bürgerkrieg (in Anspielung an Lucanus) bzw. die Zerstörung Trojas (möglicherweise als Parodie auf ein entsprechendes Werk von Kaiser Nero).

Daneben finden sich in bunter Folge eingestreut Erörterungen über den Verfall der Rhetorik, Novellen („Die Witwe von Ephesus“, „der Knabe von Pergamum“), unglaubwürdige Gespenstergeschichten, Liebesbriefkarikaturen etc..

Entstehungszeit

Entstehungszeit und die Identität des Autors mit dem bei Tacitus erwähnten Petronius waren seit der Wiederentdeckung in der Renaissance lange umstritten. Die vorgeschlagene Spanne reicht von der Zeit unter Augustus (G.C.Giardina 1972) bis zur Identität des Petronius Arbiter mit dem Bischof von Bologna im 5. Jh. n. Chr. (Goldast 1610).

Die äußeren Zeugnisse beweisen, dass das Satyricon vor dem Jahr 200 entstanden sein muss. Denn Terentianus Maurus, der an der Wende des 2. zum 3. Jh. lebte, zitiert ausführlich aus zwei Gedichten des Petronius (Fr 19 u. 20). Um dieselbe Zeit zitiert auch der Grammatiker Caper eine Stelle des Satyricon.

Doch die wahrscheinliche Verwendung einzelner Bonmots bei Statius (†96) und Martial (†103) legt nahe, dass das Satyricon bereits am Ende des 1. Jhs. vorlag.

Heute herrscht über beide Fragen weitestgehend Einigkeit. Insbesondere die grundlegende Arbeit von K.F.C. Rose hat gezeigt, wie eng Petrons Satyricon mit der Zeit Neros verbunden ist. Auch konnte für das Werk des Petronius Arbiter nie ein passenderer Autor namhaft gemacht werden, als eben Titus Petronius, der arbiter elegantiae Neros.

Die Satirische Intention

Die eigentliche satirische Intention des Petronius ist bis heute von Rätseln umgeben.

Von manchen wird das Satyricon für ein „vollkommen amoralisches Sittenbild“ gehalten. Andere konnten die für eine Satire typische Ermahnung nicht erkennen.

Auch wurde das Satyricon aufgrund der teils recht eindeutigen Szenen und seiner sexualisierten Symbolik oft als Pornographie oder Päderastie missdeutet. Übergreifendes Thema ist tatsächlich das wiederkehrende sexuelle Scheitern der Hauptfigur Encolpius. Die Sexualität im Satyricon ist aber offenbar nur ein Bild für das generelle Scheitern der Protagonisten.

Sicher ist jedenfalls, dass das Satyricon nicht identisch ist mit dem bei Tacitus erwähnten Petronius-Testament, in dem dieser die Missbräuche Neros unter Angabe der Namen und des jeweiligen Schändungsalters aufzeichnete.

Die Handschriftliche Überlieferung

Nur ein einziges, stark reduziertes Exemplar des Satyricon überlebte in der Benediktinerabtei in Fleury. Von ihm stammen alle anderen Texte des Satyricon.

Die handschriftliche Überlieferung gliedert sich in vier Klassen:

O - Die sogenannten „Kurzen Exzerpte“, bester Vertreter ist die älteste Handschrift, der Codex Bernensis 357 und der Codex Leidensis Vossianus 4° 30 („B“), angeblich aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts, daneben die Handschriften „R“ und „P“ mit ihren Nachfolgern.

L - Die sogenannten „Langen Exzerpte“, überliefert über die Codices Cujacianus und Benedictinus. Abkömmlinge des Bened. waren die Codices Memmianus und Dalecampianus. Keiner dieser Codices ist erhalten, die Rekonstruktion des L-Textes erfolgt über die Abschrift des Cod. Scaligeranus 61 und die gedruckten Texte (Tournes., Pithou) mit ihren Hinweisen auf unterschiedliche Lesarten.

H - Der Codex Paris. lat. 7989 olim Tragurensis, Die sogenannte Cena Trimalchionis (nur in einem Exemplar in Trau überliefert, Abschrift des vermutlich 1423 von Poggio in Köln entdeckten Exemplars, das ins 9. Jh. datiert wird).

Φ - Die sogenannten Florilegia („Blütenlesen“), Zitatsammlungen aus dem 12.-14. Jh.

Eine gesonderte Betrachtung verdienen die verstreut überlieferten Bruchstücke aus dem verlorenen Teil des Satyricon.

Ursprünglicher Umfang

Aus den Buchzahlen der erhaltenen Teile (XIV-XVI) lässt sich unschwer schliessen, dass das Werk ursprünglich einen sehr viel größeren Umfang gehabt haben muss.

Der Gesamtumfang wurde bislang meist auf etwa 1000 unserer heutigen Druckseiten geschätzt. Müller (1965, 409) hat gezeigt, dass die Metamorphosen des Apuleius, ein dem Satyricon vergleichbares Werk, im Mittel 25 unserer heutigen „Seiten“ je Buch enthielt, nur zwei Bücher haben 30 bzw. 34 Seiten. Daran gemessen hat allein die cena trimalchionis mit rund 53 „Seiten“ den Umfang von zwei mittleren Büchern bei Apuleius.

Der Umfang eines Buches fand lediglich in der Fassungskraft einer Buchrolle seine technologische Grenze. Aber die ist bei der Cena noch nicht erreicht, sie ist kürzer als das, was man in der Antike in ein „Buch“ hineinbekam. Nimmt man die Cena nicht als Ausnahme, sondern als Regel, so ergibt sich tatsächlich ein Umfang von etwa 1000 Seiten, was aber immer als ungewöhnlich viel erschien.

Nimmt man hingegen an, dass die Cena das XV. Buch einnahm und die anderen Bücher mehr dem Standard bei Apuleius und dem griechischer Romane entsprachen, dann dürften die schätzungsweise 18 Bücher etwa 450-500 Seiten umfasst haben. Danach wäre immerhin etwa ein Drittel des ursprünglichen Textes erhalten geblieben.

Nachleben und Rezeptionsgeschichte

Das Werk ist so vielseitig und faszinierend, dass sich Generationen von Gelehrten und Künstlern immer wieder mit ihm befasst haben. Seit der Renaissance gab es erste Versuche, verschiedene Überlieferungen kritisch zu sichten. Seither hat das Satyricon die Phantasie der Gebildeten angeregt. Seit der Aufklärung sind die Bewunderer Petrons zahlreich, und sein Einfluss auf die moderne Literatur ist nicht zu unterschätzen.

Der Roman wurde 1969 von Federico Fellini in einer sehr eigenen Fassung verfilmt und kam in Deutschland unter dem Titel Fellinis Satyricon in die Kinos.

Fälschung und Rekonstruktion

Die Unvollständigkeit und Lückenhaftigkeit des Satyricon forderten immer wieder dazu auf, die fehlenden Teile zu ergänzen. Insbesondere im Gefolge der aufsehenerregenden Wiederentdeckung und Veröffentlichung der Cena Trimalchionis 1664 kam es zu einer verstärkten Suche nach weiteren Fragmenten.

Die im Internet kursierende Liste von 35 Fragmenten „Fragmenta Petroniana. FRAGMENTA PETRONII QVAE QVIBUS IN LOCIS REPONENDA SINT, INCERTVM EST.“ stammt aus dem Jahre 1669, ist ein Produkt dieser Hysterie und daher grob fehlerhaft und voller willkürlicher Fehlzuschreibungen. Vor einer unkritischen Weiterverbreitung dieser Fragmente muss dringend gewarnt werden.

Bekannt sind vor allem die (ursprünglich nicht für einen Betrug gedachten) Ergänzungen von Pierre Lignage de Vaucienne (um 1610 bis ca. 1681), die unter dem Namen seines Herausgebers Nodot (Rotterdam 1692) sofort große Aufmerksamkeit erlangten, weil Nodot sie als „echte Petroniusfragmente“ verkaufte. Der „Nodot-Text“ wird noch heute gern verwendet, um eine flüssig lesbare Handlung zu erzeugen.

Im Jahre 1800 erregte der hochbegabte Josef Marchena mit einem gefälschten Petronius-Fragment Aufsehen, das er in St. Gallen gefunden haben wollte.

Den bislang gelungensten Versuch einer seriösen Rekonstruktion legte im Jahr 2004 Gottskalk Jensson vor.

Bedeutung

Die im „Gastmahl“ geschilderten Gespräche der geladenen Gäste bilden mit ihrem offensichtlich hohen Naturalismus eine wichtige Quelle für das sog. Vulgärlatein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch die vulgärsprachlichen Partien in starkem Maße künstlerisch gestaltet sind.

Bedeutende ältere Drucke

1482 Franciscus Puteolanus, Erstdruck Mailand 1482 (Nachdrucke Venedig 1499 und Paris 1520) (nur „O-Texte“)

1565 Johannes Sambucus Antwerpen [1565]

1575 Tournaesius (Jean de Tournes) und Dionysius Lebeus-Batillius (Denis Lebey de Batilly) (erster „L-Text“)

1577 Pithoeus (Pierre Pithou) (2. Ausg. 1587) („L-“ und „O-Text“)

1610 Melchior Goldast, Frankfurt 1610 (2. Aufl. 1621)

1664 Padua, Erstdruck der cena Trimalchionis (“H”)

1669 Michael Hadrianides, Amsterdam 1669 (Erste Gesamtausgabe incl. ’’cena Trim.’’)

1709 Petrus Burmannus Utrecht (Rhenum) 1709, (2. Ausg. Amsterdam 1743) mit umfangreicher Kommentarsammlung. (Nachdruck Hildesheim und New York 1974)

1773 Wilhelm Heinse „Begebenheiten des Enkolp“ „Rom“ (Schwobach b. Mitzlar) 1. Aufl. 1773. (erste deutsche Übersetzung)

Neuere Ausgaben (Auswahl)

Franz Bücheler, Berlin 1862, die grundlegende wissenschaftliche Ausgabe. (6. Aufl. von Heraeus Berlin 1922).

Stephen Gaselee, Cambridge Facsimile Ausgabe der cena Trimalchionis.

Martin S. Smith, Oxford 1975) (Cena Trimalchionis mit Kommentar)

Petronii Arbitri Satyricon Reliquiae. Hrsg. Konrad Müller. Erweiterte und korrigierte Ausgabe der 4. Auflage von 1995. München und Leipzig 2003.

Maßgeblich für Frankreich sind die Ausgaben von Ernout (ab 1922), für Italien diejenigen von Cesareo/Terzaghi (ab 1950).

Wichtige Sekundärliteratur

A. Collignon Étude sur Pétrone, Paris 1892

K.F.C. Rose The Date and Author of the Satyricon, Leiden 1971.

Wade Richardson Reading and Variant in Petronius: Studies in the French Humanists and Their Manuscript Sources, (Phoenix Suppl. 32), Toronto/ Buffalo/ London 1993

Gottskalk Jensson The Recollections of Encolpius. The Satyrica of Petronius as Milesian Fiction. (Ancient Narrative Supplementa 2) Groningen 2004.

Bibliographien

Gareth L. Schmeling/J.H. Stuckey: A Bibliography of Petronius. Leiden 1977 (Mnemosyne Suppl. 39)

Gareth L. Schmeling: The Petronian Society Newsletter. Gainesville, Univ. of Florida, 1ff. (1970ff.)

Weblinks

Lateinischer Text und weitgehend vollständige deutsche Übersetzung der Cena

Bibliographie allgemein zum Römischen Roman und speziell zu Petronius

Antikes Griechenland

Biographien, Griechische Mythologie , Kriegführung, Kunst, Architektur, Wissenschaft, Philosophie, Literatur, Sport, Leben, Geschichte, Index, Bilder/Zeichnungen

Griechenland im Mittelalter

Byzanz, Biographien, Kunst, Literatur, Orthodoxie, Byzantinische Armee, Geschichte, Index

Griechenland in der Neuzeit

Geographie, Inseln, Städte, Kunst, Musik, Biographien, Film, Sport, Wissenschaft, Literatur, Geschichte,

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Index

Zypern

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Index Griechisch: Αλφαβητικός κατάλογος

Römisches Imperium

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