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Sextus Aurelius Victor (* um 320; † um 390) war ein spätantiker römischer Geschichtsschreiber.

Leben

Victor war aller Wahrscheinlichkeit nach afrikanischer Herkunft und stammte aus einfachen Verhältnissen, erhielt aber – wohl in seiner afrikanischen Heimat – eine gute Ausbildung. Spätestens 337 begab er sich nach Rom, wo er vermutlich juristische Studien trieb. Er machte in der Reichsverwaltung Karriere. In der Stadt Sirmium in Pannonien war er wohl in der Kanzlei des dortigen Provinzstatthalters tätig. Er war kein Christ, sondern hielt an der paganen Religion fest und wurde von dem ebenfalls paganen Kaiser Julian gefördert. Julian machte ihn 361 zum Statthalter der Provinz Pannonia Secunda, deren Hauptstadt Sirmium war, und verlieh ihm konsularischen Rang; spätestens damals muss er in den Senatorenstand aufgenommen worden sein. Der Tod Julians 363 bedeutete für Victor wohl einen Rückschlag; vielleicht schon damals, spätestens 365 verlor er sein Amt. Über seine Tätigkeiten in den folgenden Jahrzehnten ist nichts bekannt; er taucht erst nach einem Vierteljahrhundert wieder auf. Kaiser Theodosius ernannte ihn 388 zum Stadtpräfekten von Rom, doch übte er dieses Amt nur bis 389 aus. Anscheinend ist er kurz danach gestorben.

Kaisergeschichte

Victor schrieb 360/361 das Werk Historiae abbreviatae, das als Liber de Caesaribus oder Caesares bekannt wurde. Es behandelt knapp die römische Kaisergeschichte von Augustus bis Constantius II. und ist das einzige erhaltene Werk Victors. Die Historiae abbreviatae bieten trotz ihrer Kürze wichtige Nachrichten über das dritte und das vierte Jahrhundert. Auffällig sind Victors Gewohnheit, die beschriebenen Persönlichkeiten nach ihrem Bildungsstand zu beurteilen, seine lebhafte Abneigung gegen die Übermacht des Militärs und das (auf tiefe Missbilligung zurückzuführende) Verschweigen der Rolle des Christentums und der Kirche. Victor zeigt eine starke Neigung zu moralischen Bewertungen und nutzt dabei die historischen Beispiele zur Veranschaulichung allgemeiner Grundsätze. Stilistisch orientierte er sich an Sallust und Tacitus, wobei er die Eigenheiten des Tacitus noch überbot; er teilte auch die konservative Grundeinstellung dieser Autoren und übte wie sie scharfe Kritik an Verfallserscheinungen, wobei er den Senat keineswegs verschonte.

Victor führte eine Periodisierung der Kaisergeschichte ein, die teilweise die heute übliche vorwegnahm: erst julisch-claudische und flavische Dynastie, dann Adoptivkaiserzeit und Severer, dann Soldatenkaiserzeit, schließlich Dominat ab 282. Die Severer – afrikanische Landsleute Victors, gentis nostrae – werden positiv gesehen (auch Caracalla); erst mit dem Ende dieser Dynastie beginnt für Victor der Niedergang, für den er die Soldatenkaiser verantwortlich macht. Seine Quellen waren vor allem verlorene Werke: wahrscheinlich die bis Elagabal reichenden Kaiserbiographien des Marius Maximus und für die Folgezeit die Enmannsche Kaisergeschichte. Sueton und Tacitus hat er gekannt, aber möglicherweise nur indirekt (über eine verlorene Zwischenquelle) benutzt.


Corpus Aurelianum

Noch in der Spätantike wurde Victors Kaisergeschichte mit zwei anonymen Schriften verbunden, der Origo gentis Romanae (Ursprung des römischen Volkes), die die sagenhafte Vorgeschichte der Gründung Roms schildert, und De viris illustribus urbis Romae (Über die berühmten Männer der Stadt Rom), einer Darstellung der römischen Geschichte bis zum Ende der republikanischen Zeit in Form von 86 Kurzbiographien. Alle drei Werke zusammen bieten einen Überblick über die gesamte römische Geschichte bis um 360 n. Chr. und bilden das sog. Corpus Aurelianum, das zu Unrecht als Ganzes Victor zugeschrieben wurde.

Die Origo hat einigen Wert als Quelle für die Geschichte der römischen Mythologie, zumal da in ihr verlorenes Schrifttum verwertet ist. De viris illustribus ist eine sprachlich anspruchslose Zusammenfassung des Inhalts einer verlorenen Vorlage, vermutlich der Biographiensammlung des Hyginus. Unter die „berühmten Männer“ sind auch militärische Versager, Aufrührer und äußere Feinde Roms eingereiht.


Epitome de Caesaribus

Im Zeitraum zwischen 395 und 408 hat ein unbekannter paganer Autor eine knappe Darstellung der Kaisergeschichte von Augustus bis zum Tod des Kaisers Theodosius des Großen (395) verfasst, wobei er Material aus Victors Werk mit Nachrichten aus anderen, teils verlorenen Quellen zusammenstellte. Dieses anspruchslose Werk ist unter der (nicht authentischen) Bezeichnung Epitome de Caesaribus bekannt. Es wird oft unzutreffend als Kurzfassung von Victors Kaisergeschichte bezeichnet, obwohl nur ein relativ geringer Teil seines Materials von dort übernommen ist.


Rezeption

Victors Kaisergeschichte war eine der Quellen der Historia Augusta. Möglicherweise hat auch Ammianus Marcellinus, der Victor schätzte, in den verlorenen Partien seiner Kaisergeschichte aus ihr geschöpft. Der Kirchenvater Hieronymus wollte sich ein Exemplar verschaffen. Ansonsten war aber die Nachwirkung sehr gering, denn das sprachlich anspruchsvolle Werk wurde von der Epitome de Caesaribus verdrängt, worin sich das Vorherrschen eines Bedürfnisses nach elementarer Faktenkenntnis in der Spätantike zeigt. Im Mittelalter war die Kaisergeschichte so gut wie unbekannt; sie ist nur in zwei humanistischen Handschriften erhalten. Die mittelalterlichen Geschichtsschreiber hielten die Epitome für ein Werk Victors.

Die Schrift über die berühmten Männer ist auch unabhängig vom Corpus Aurelianum handschriftlich überliefert. Sie erlangte im 14. und 15. Jahrhundert große Beliebtheit bei den Humanisten, die - Angaben in der handschriftlichen Überlieferung folgend - meinten, Auszüge aus dem Geschichtswerk des Livius vor sich zu haben, als deren Urheber sie den jüngeren Plinius annahmen; rund zweihundert Handschriften aus dieser Zeit sind erhalten.

Die Schrift über den Ursprung der Römer ist nur in den zwei humanistischen Handschriften erhalten, die auch Victors Werk überliefern. Der berühmte Historiker Niebuhr erklärte die Origo gentis Romanae 1827 zu Unrecht für eine Fälschung eines Renaissance-Humanisten.

Die erste Ausgabe des gesamten Corpus Aurelianum besorgte Andreas Schott 1579 in Antwerpen.


Ausgaben

  • Franz Pichlmayr (Hrsg): Sexti Aurelii Victoris Liber de Caesaribus. Praecedunt Origo gentis Romanae et Liber de viris illustribus urbis Romae; subsequitur Epitome de Caesaribus, Leipzig 1911; mehrmals nachgedruckt, zuletzt Teubner, Stuttgart 1993, ISBN 3-8154-1108-4
  • Kirsten Groß-Albenhausen und Manfred Fuhrmann (Hrsg. und Übers.): S. Aurelius Victor, Die römischen Kaiser. Liber de Caesaribus, 2. Aufl., Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, ISBN 3-534-13664-0
  • Markus Sehlmeyer (Hrsg. und Übers.): Origo Gentis Romanae. Die Ursprünge des römischen Volkes, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-16433-4

Literatur

  • Harold W. Bird: Sextus Aurelius Victor. A Historiographical Study, Liverpool 1984, ISBN 0-905205-21-9

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