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Ammonios Hermeiou (griechisch Ἀμμώνιος τοῦ Ἑρμείου Ammōnios tou Hermeíou, auch Ammonios von Alexandria, lateinisch Ammonius Hermiae; * um 440 in Alexandria; † vermutlich nach 517) war ein einflussreicher spätantiker Philosoph (Neuplatoniker). Sein zur Unterscheidung von gleichnamigen Philosophen dienender Beiname Hermeiou bedeutet Sohn des Hermeias. Er studierte in Athen und unterrichtete später in seiner Heimatstadt Alexandria, wo er eine Tradition der Aristoteles-Kommentierung begründete, die von seinen Schülern fortgesetzt wurde.

Leben
Herkunft, Ausbildung und Lehrtätigkeit

Ammonios war ein Sohn des Neuplatonikers Hermeias von Alexandria und der Aidesia, einer Verwandten des Philosophen Syrianos, bei dem Hermeias in Athen studiert hatte. Syrianos war von ca. 432 bis ca. 437 der Leiter (Scholarch) der neuplatonischen Philosophenschule in Athen, welche an die Tradition der Platonischen Akademie anknüpfte und damals das bedeutendste Zentrum des Platonismus war. Später kehrte Hermeias in seine Heimatstadt Alexandria zurück; dort verbrachte er anscheinend sein restliches Leben als öffentlich besoldeter Philosophielehrer. Nach seinem Tod übersiedelte die Witwe Aidesia mit ihren beiden jugendlichen Söhnen, Ammonios und seinem jüngeren Bruder Heliodoros, nach Athen, um ihnen die bestmögliche philosophische Ausbildung zu verschaffen. Die Brüder wurden Schüler des berühmten Neuplatonikers Proklos, der die Nachfolge des Syrianos angetreten hatte.

Nach der Studienzeit, die fünf bis sechs Jahre gedauert haben dürfte, begaben sich Aidesia, Ammonios und Heliodoros wieder nach Alexandria. Während Heliodoros als Astronom tätig war – von einer philosophischen Aktivität ist nichts bekannt –, wurde Ammonios Philosophielehrer, vermutlich wie sein Vater im öffentlichen Dienst. Im Mittelpunkt seines Unterrichts standen die Lehren Platons und des Aristoteles. Daneben beteiligte sich Ammonios an den astronomischen Forschungen seines Bruders. Er behandelte in seinen Lehrveranstaltungen auch die Astronomie des Ptolemaios.

Zu seinen Schülern zählte der Philosoph Damaskios, der – damals noch sehr jung – in eine nähere Beziehung zu seiner Familie trat; offenbar stand er Ammonios’ Mutter Aidesia nahe, denn er hielt ihr die Grabrede, die er mit Versen schmückte. Später verfasste Damaskios die Philosophische Geschichte (früher Vita Isidori genannt), die eine wertvolle Quelle für das Leben des Ammonios ist; sie ist allerdings nur fragmentarisch erhalten.

Dass Ammonios 517 noch am Leben war, wird in der Forschung gewöhnlich angenommen, doch einen Beweis dafür gibt es nicht.[1] Auch für die in der Forschungsliteratur mitunter wiedergegebene Annahme, dass er 526 bereits verstorben war, fehlt ein eindeutiger Beleg.


Religionspolitische Haltung

Zwischen der christlichen Bevölkerungsmehrheit Alexandrias und den Anhängern traditioneller Kulte, zu denen die Neuplatoniker gehörten, bestanden schwere Spannungen, die sich gewaltsam entluden und auch zu behördlichen Maßnahmen gegen die Philosophen führten. Ammonios gehörte von Haus aus zu der religiösen Minderheit. Als prominenter Philosophielehrer wurde er in den Konflikt verwickelt, obwohl er sich nicht religiös exponiert hatte und auch Christen als Schüler akzeptierte. Der Verlauf der Auseinandersetzung ist in den Einzelheiten unklar; das Verständnis der Vorgänge wird dadurch erschwert, dass die erhaltenen Bruchstücke von Damaskios’ Philosophischer Geschichte teilweise schwer einzuordnen und zu deuten sind und Damaskios den Charakter seines ehemaligen Lehrers, in dem er einen Verräter sieht, sehr negativ beurteilt.

Sicher ist, dass es zu einer Verfolgung von Philosophen kam, die der religiösen Minderheit angehörten. Der Religionskonflikt in Alexandria hatte sich im Lauf der achtziger Jahre verschärft, bis es 488/89 zu staatlichem Einschreiten kam. Auf Betreiben des Patriarchen von Alexandria wurde ein kaiserlicher Sonderbeauftragter namens Nikomedes zur Untersuchung von Anschuldigungen gegen die Philosophielehrer nach Alexandria geschickt, worauf manche Gelehrte untertauchten; andere wurden verhaftet und gefoltert. Das hatte zur Folge, dass der zuvor vielfältig blühende Unterrichtsbetrieb der Neuplatoniker großenteils zum Erliegen kam. Ammonios war der einzige nichtchristliche Philosophielehrer, der die Krise unbehelligt überstand. Er konnte seine Lehrtätigkeit erfolgreich fortsetzen, nachdem er eine Einigung mit den Behörden erzielt hatte. Dabei kam ihm der Umstand zustatten, dass er von sich aus keinen religiösen Eifer zeigte. Die religiöse Dimension des Neuplatonismus, die beispielsweise für seinen Lehrer Proklos und für seinen Schüler Damaskios eine zentrale Rolle spielte, scheint ihm fremd gewesen zu sein.[2]

Damaskios behauptet, Ammonios sei als Opportunist nur an seinem persönlichen Vorteil interessiert gewesen; er habe aus Habsucht eine Übereinkunft mit dem Patriarchen getroffen.[3] In der Forschung ist die Möglichkeit erwogen worden, dass Ammonios verriet, wo sich geflohene Philosophen versteckt hielten. Dies geht aber aus den erhaltenen Fragmenten von Damaskios’ Werk nicht hervor und ist unwahrscheinlich.[4] Möglicherweise bezieht sich der Vorwurf der Habgier auf ein Bestreben des Philosophielehrers, seine öffentliche Besoldung nicht zu verlieren.[5] Zur finanziellen Lage berichtet Damaskios in anderem Zusammenhang, dass Ammonios' Mutter Aidesia, die für ihre Großzügigkeit bekannt war, ihren Söhnen eine Schuldenlast hinterließ.[6]

Der Inhalt der Vereinbarung zwischen Ammonios und dem Patriarchen ist unbekannt; sicher ist nur, dass sie dem Philosophielehrer fortan einen ungestörten Unterrichtsbetrieb ermöglichte. Früher fand in der Forschung die Hypothese Anklang, Ammonios habe zugesagt, sich im Unterricht auf Aristoteles zu konzentrieren, da dessen Lehre den Christen weniger Angriffsflächen geboten habe als der stärker mit der alten Religion verknüpfte Platonismus. Tatsächlich behandeln sämtliche überlieferten Werke des Ammonios aristotelische Philosophie. Die Annahme, dass dies auf die Vereinbarung zurückzuführen sei, ist allerdings spekulativ und nach heutigem Forschungsstand nicht überzeugend.[7] In der Forschung ist sogar vermutet worden, dass Ammonios zum Christentum konvertierte, doch hat sich diese Hypothese als nicht plausibel erwiesen.[8] Richard Sorabji glaubt, dass Ammonios in erster Linie einen Verzicht auf Kultpraktiken in seiner Schule zusagte.[9]

In der älteren Forschung wurde betont, dass in Alexandria, wo Christen am Unterricht eines Neuplatonikers teilnehmen konnten, in gebildeten Kreisen das Verhältnis zwischen den Religionen generell entspannter gewesen sei als in Athen, wo die Neuplatoniker eine militant antichristliche Haltung einnahmen. In Athen habe man die Philosophie eng mit paganer Theologie und mit Kultpraktiken verbunden, in Alexandria vorwiegend religiös neutrale Themenbereiche gepflegt und weniger metaphysische Spekulation betrieben. Dieser Unterschied diente auch als Erklärung dafür, dass die Schule in Athen schließlich behördlich geschlossen wurde, während in Alexandria der Philosophieunterricht den Untergang der Überreste der alten Religion überdauerte. Heute werden die komplexen Verhältnisse jedoch differenzierter betrachtet. Die beiden Zentren standen ideell und personell in regem Austausch, eine Reihe von Philosophen waren im Lauf ihres Lebens an beiden Orten studierend oder lehrend tätig. Konsequente Gegner des Christentums gab es unter den Philosophen in Alexandria ebenso wie in Athen, wie die in den Quellen geschilderten Spannungen und Konflikte zeigen.[10]

Eine entscheidende Rolle spielte jedenfalls in Alexandria die Weichenstellung, die Ammonios unter dem Gesichtspunkt seiner persönlichen Prioritäten vornahm. Er war offenbar nicht von starken religiösen Überzeugungen geleitet, sondern war in erster Linie Gelehrter. Daher konnte er sich leichter als andere Neuplatoniker mit den bestehenden Verhältnissen arrangieren und so den Fortbestand des Unterrichtsbetriebs sichern.


Werke

Überliefert sind Kommentare zu De interpretatione, zu den Kategorien, zu den Analytica priora (unvollständig) und zur Isagoge, einer von dem Neuplatoniker Porphyrios verfassten Einführung zu Aristoteles’ Kategorien. Den Kommentar zu De interpretatione redigierte und publizierte Ammonios selbst, bei den anderen Kommentaren handelt es sich um Aufzeichnungen seiner Schüler aus seinem Unterricht, die unter seinem Namen veröffentlicht wurden. Außerdem publizierten seine Schüler Johannes Philoponos und Asklepios von Tralleis unter ihren eigenen Namen Kommentare zu Werken des Aristoteles und zur Einführung in die Arithmetik des Nikomachos von Gerasa, deren Ausgangsmaterial Mitschriften aus seinen Lehrveranstaltungen waren.[11] Dadurch sind auch die Grundzüge von Ammonios’ Kommentierung weiterer Schriften des Aristoteles überliefert: Metaphysik, Physik, Meteorologica, Analytica posteriora, De anima und De generatione et corruptione.

Bis auf kurze Fragmente verloren sind einige in späterer Literatur erwähnte Werke des Ammonios, darunter ein Kommentar zur Topik des Aristoteles und eine Schrift über die hypothetischen Schlüsse. Eine Abhandlung behandelte die Gottesvorstellung des Aristoteles, in einer anderen ging Ammonios auf eine Stelle in Platons Dialog Phaidon ein, wobei er sich gegen die Behauptung wandte, Platon sei Skeptiker gewesen. Olympiodoros der Jüngere berichtet, dass Ammonios im Unterricht Platons Gorgias behandelte; dies ist aber kein Beleg dafür, dass er einen Kommentar zu diesem Dialog verfasst hat.

Eine verschollene, von Johannes Philoponos erwähnte[12] Schrift des Ammonios über das Astrolabium ist anscheinend im 20. Jahrhundert aufgetaucht; Christos Soliotis meint, es handle sich dabei um einen Text, den er in zwei Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek entdeckt und 1987 veröffentlicht hat.[13]
Lehre

Ammonios betont seine Unabhängigkeit. Er stellt fest, ein Kommentator habe nicht von vornherein alles, was er kommentiert, für wahr zu halten, sondern solle alle Behauptungen kritisch prüfen und sich nötigenfalls auch gegen sie wenden.[14]
Metaphysik und Kosmologie

Nach der in Neuplatonikerkreisen seit Porphyrios vorherrschenden Sicht der Philosophiegeschichte besteht zwischen Platon und Aristoteles eine grundsätzliche Übereinstimmung. Davon geht auch Ammonios aus. Er hält die Unterschiede zwischen den Lehrmeinungen dieser beiden erstrangigen Autoritäten für scheinbar; Aristoteles habe nicht die Ontologie Platons bekämpft, sondern nur deren irrige Deutung bei manchen Platonikern.[15] Die Metaphysik des Ammonios steht im Einklang mit den Grundüberzeugungen der spätantiken Neuplatoniker. Gemäß der neuplatonischen Lehre von der intelligiblen Welt und deren Gliederung in Hypostasen (Seinsstufen) unterscheidet er im Gegensatz zu den Christen zwischen dem Einen (höchste Gottheit, oberstes Prinzip) und dem Demiurgen (Schöpfer), den er für den (indirekten) Urheber der sinnlich wahrnehmbaren Dinge hält. Er verwendet zwar für beide die Bezeichnung „der Gott“, wo der Zusammenhang keine Differenzierung erfordert, doch bedeutet dies nicht, dass er sie gleichsetzt. In der Gottheit des Aristoteles, dem „unbewegten Beweger“, sieht Ammonios sowohl die Zweckursache als auch die Wirkursache des Kosmos. Mit dieser Annahme versucht er einen Einklang der aristotelischen Theologie mit der platonischen aufzuzeigen. Die Existenz der Welt betrachtet er als notwendige Konsequenz aus der Güte des Demiurgen. Wegen der Zeitunabhängigkeit dieser Notwendigkeit hält er die Welt für ewig, lehnt also die christliche Vorstellung einer Weltentstehung in der Zeit ab. Wäre der Kosmos zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden, so hätte Gott in der Zeit einen Beschluss gefasst und somit eine Meinungsänderung vollzogen, was unmöglich sei, da es der Unwandelbarkeit seiner Natur widerspräche. Von einer Schöpfung könne man nur im Sinne einer Kausalität sprechen, nicht im Sinne eines bestimmten Vorgangs in der Zeit. Die Erschaffung der vergänglichen Dinge schreibt Ammonios nicht einer direkten Einwirkung des Demiurgen zu, sondern er nimmt dafür zuständige Zwischeninstanzen an; nur für die Existenz ewiger Entitäten im Kosmos ist der Demiurg die unmittelbare Ursache.[16]
Logik und Determinismusfrage

In der Logik ist Ammonios stark von seinem Lehrer Proklos beeinflusst; sein Kommentar zu De interpretatione beruht, wie er selbst mitteilt, auf Aufzeichnungen aus Proklos’ Unterricht, die er mit eigenen Ausführungen ergänzt. In diesem Kommentar äußert er sich zum Streit um den Determinismus. Dabei nimmt er insbesondere zu dem von Aristoteles im neunten Kapitel von De interpretatione vorgetragenen und verworfenen „Seeschlacht-Argument“ Stellung. Das oft diskutierte Argument besagt, dass die Aussage „Morgen wird eine Seeschlacht stattfinden“, wenn sie wahr ist, zeitunabhängig wahr ist und daher schon heute zutrifft; ihre Wahrheit steht somit bereits vor dem Ereignis fest, woraus gefolgert wird, dass das Ereignis determiniert ist. Ammonios lehnt wie Aristoteles den Determinismus ab; er versucht durch Unterscheidung zwischen definit (notwendig) und indefinit (einfach, nicht notwendig) wahren Aussagen eine Lösung zu finden. In der älteren Forschung wurde er zu den Anhängern der traditionellen „Standarddeutung“ gezählt, die meinen, dass für Aristoteles Aussagen über künftige Ereignisse weder wahr noch falsch sind, solange das Ereignis noch kontingent ist. Damit wird das Bivalenzprinzip, das nur die Wahrheitswerte „wahr“ und „falsch“ zulässt und jeder Aussage genau einen dieser Wahrheitswerte zuweist, eingeschränkt. Ohne diese Einschränkung müsste ein deterministisches Verständnis akzeptiert werden. Nach heutigem Forschungsstand ist jedoch davon auszugehen, dass Ammonios Aristoteles eine bivalente Nicht-Standard-Position zuschreibt und diese auch selbst vertritt. Nach dieser Position kann man an einer nichtdeterministischen Lehre festhalten, ohne die Bivalenz einschränken zu müssen; Aussagen über Künftiges sind zwar jederzeit wahr, aber nicht schon jetzt notwendig wahr.[17] Außerdem geht Ammonios noch auf zwei weitere deterministische Argumente ein, die nicht bei Aristoteles vorkommen. Eines davon ist das „Schnitter-Argument“, das sich gegen die logische Zulässigkeit von zukunftsbezogenen Vielleicht-Aussagen richtet, das andere betrifft die Vorsehung. Ammonios meint, man könne den Göttern eine überzeitliche genaue Kenntnis der gesamten Zukunft zuschreiben, ohne dass diese Position zum Determinismus führen müsse. Die künftigen Ereignisse seien ihrer eigenen Natur nach kontingent, aus der Perspektive des überzeitlichen göttlichen Wissens jedoch feststehend. Für die Götter gebe es zwar eine Kenntnis der chronologischen Reihenfolge von Ereignissen, aber keine Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft. Da die Götter außerhalb der Zeit seien, seien ihnen kontingente Ereignisse der Zukunft zwar bekannt, doch nicht so, dass sie ihnen wie den Menschen als zukünftig erscheinen.[18]
Rezeption

Zu den Schülern des Ammonios gehörten berühmte Philosophen wie Damaskios, Simplikios, Olympiodoros der Jüngere und Johannes Philoponos sowie weniger bekannte Gelehrte wie Asklepios von Tralleis, ferner der spätere Bischof Zacharias von Mytilene (auch Zacharias Scholastikos oder Zacharias Rhetor genannt) und der prominente Arzt Gessios (Gesios) von Petra. Damaskios tadelt in seiner „Philosophischen Geschichte“ zwar den Charakter seines Lehrers heftig, doch dessen außergewöhnlichem Fleiß und Wissen (insbesondere in der Astronomie und Geometrie) zollt er Anerkennung. Der starke Einfluss des Ammonios auf die Philosophie der Spätantike beruhte in erster Linie auf seiner Aristoteles-Kommentierung, indirekt auch über die Aristoteles-Kommentare seiner Schüler, die ihre Aufzeichnungen aus seinen Lehrveranstaltungen verwerteten. Sein Kommentar zur Isagoge des Porphyrios wirkte sich auf die spätere Kommentierung dieses Werks aus.[19] Im 6. Jahrhundert wies der Neuplatoniker David („David der Unbesiegbare“), ein wahrscheinlich aus Armenien stammender Schüler Olympiodoros’ des Jüngeren und Aristoteles-Kommentator, auf Lehrmeinungen des Ammonios hin und übernahm einiges aus dessen Gedankengut. So kam es zu einer armenischen Ammonios-Rezeption, denn Werke Davids waren nicht nur in den griechischen Originalfassungen verbreitet, sondern wurden auch ins Altarmenische übersetzt.[20]
Die erste Seite der Erstausgabe von Ammonios' Isagoge-Kommentar, Venedig 1500

Zacharias von Mytilene verfasste einen Dialog (eigentlich ein aus fünf Dialogen bestehendes Werk) „Über die Erschaffung der Welt“ (De mundi opificio, oft kurz Ammonios genannt), worin er Ammonios auftreten lässt; es gelingt Ammonios nicht, die Lehre von der Ewigkeit der Welt überzeugend zu verteidigen. Die Rahmenhandlung bildet ein Gespräch des Autors mit einem von den Lehren des Ammonios beeinflussten christlichen Jüngling, den er von dieser Neigung abbringt. Zacharias behauptet, seine Darstellung fuße auf wirklichen Gesprächen, die er in Alexandria mit seinem Lehrer Ammonios geführt habe.[21]

Ein Einfluss des Ammonios auf die lateinischen Aristoteles-Kommentare des Boethius und sogar ein Studienaufenthalt des Boethius in Alexandria ist vermutet worden, doch hat sich diese Ansicht in der Forschung nicht durchgesetzt.[22] Ferner hat Jean-Yves Guillaumin die Hypothese vorgetragen, dass Boethius für seine Schrift De institutione arithmetica die auf Ammonios’ Unterricht fußende alexandrinische Kommentierung der Einführung in die Arithmetik des Nikomachos von Gerasa herangezogen hat.[23]

In der arabischsprachigen Welt des Mittelalters war Ammonios als Aristoteles-Kommentator bekannt. Sein Kommentar zur Isagoge des Porphyrios wurde ins Syrische und ins Arabische übersetzt. Der Philosoph al-Fārābī wies auf seine Argumentation zur Schöpfungslehre hin.[24] Zu Unrecht wurde Ammonios die doxographische Schrift „Über die Ansichten der Philosophen“ zugeschrieben. Dieses nur in einer einzigen Handschrift überlieferte Werk fußt zwar auf antiken Quellen, stammt aber von einem arabischen Philosophen des 9. Jahrhunderts (Pseudo-Ammonios).[25]

Wohl im 12. Jahrhundert wurden die Kommentare des Ammonios zu den Kategorien und zur Isagoge ins Georgische übersetzt; die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem 13. Jahrhundert.

Wilhelm von Moerbeke übersetzte 1268 den Kommentar des Ammonios zu De interpretatione ins Lateinische. In dieser lateinischen Fassung war das Werk Thomas von Aquin zugänglich, der es für seinen eigenen Kommentar verwertete.

Die Erstausgabe des Kommentars zur Isagoge erschien 1500 bei dem venezianischen Verleger Nikolaos Vlastos; der Herausgeber war der aus Kreta stammende Gelehrte Zacharias Kalliergis. Der Humanist Pomponio Gaurico fertigte eine lateinische Übersetzung dieses Werks an, die erstmals 1504 in Venedig veröffentlicht und im 16. Jahrhundert mehrmals nachgedruckt wurde. 1503 erschien bei Aldus Manutius in Venedig die erste Ausgabe des Kommentars zu De interpretatione.
Quellenausgaben

Polymnia Athanassiadi (Hrsg): Damascius: The Philosophical History. Apamea Cultural Association, Athen 1999, ISBN 960-85325-2-3 (kritische Edition mit englischer Übersetzung)
Maria Minniti Colonna (Hrsg.): Zacaria Scolastico: Ammonio, Napoli 1973 (kritische Edition mit italienischer Übersetzung und Kommentar)

Ausgaben von Ammonios’ Werken

Ammonius: In Porphyrii isagogen sive V voces, hrsg. Adolf Busse. Verlag Georg Reimer, Berlin 1891 (Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 4 Teil 3; kritische Ausgabe)
Ammonius: In Aristotelis categorias commentarius, hrsg. Adolf Busse. Verlag Georg Reimer, Berlin 1895 (Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 4 Teil 4; kritische Ausgabe)
Ammonius: In Aristotelis de interpretatione commentarius, hrsg. Adolf Busse. Verlag Georg Reimer, Berlin 1897 (Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 4 Teil 5; kritische Ausgabe)
Ammonii in Aristotelis analyticorum priorum librum I commentarium, hrsg. Maximilian Wallies. Verlag Georg Reimer, Berlin 1899 (Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 4 Teil 6; kritische Ausgabe)
Christos Soliotis (Hrsg): Unpublished Greek texts on the use and construction of Astrolabe. In: Praktika tes Akademias Athenon 61/1 (1986), 1987, S. 423–454 (S. 430−434 kritische Ausgabe der Ammonios zugeschriebenen Abhandlung über das Astrolabium; Einleitung des Herausgebers griechisch mit englischer Zusammenfassung)

Übersetzungen

englisch

Ammonius: On Aristotle On Interpretation 1−8, übersetzt von David Blank, Duckworth, London 1996, ISBN 0-7156-2657-4
Ammonius: On Aristotle On Interpretation 9, übersetzt von David Blank, Duckworth, London 1998, ISBN 0-7156-2691-4
Ammonius: On Aristotle Categories, übersetzt von Marc Cohen und Gareth B. Matthews, Duckworth, London 1991, ISBN 0-7156-2253-6

französisch

Les Attributions (Catégories): le texte aristotélicien et les prolégomènes d’Ammonios d’Hermeias, übersetzt von Yvan Pelletier, Bellarmin, Montréal 1983, ISBN 2-89007-473-0

georgisch (mittelalterlich)

T'xzulebebi k'art'ul mcerlobaši : Amonios Ermisis t'xzulebebi k'art'ul mcerlobaši („Die Werke des Ammonios Hermeiou in der georgischen Literatur“), hrsg. Maïa Rapava, Tbilisi 1983 (kritische Ausgabe der georgischen Übersetzungen)

lateinisch (mittelalterlich)

Ammonius: Commentaire sur le Peri Hermeneias d’Aristote. Traduction de Guillaume de Moerbeke, hrsg. Gérard Verbeke, Publications Universitaires de Louvain, Louvain 1961 (Corpus Latinum commentariorum in Aristotelem Graecorum. 2)

lateinisch (humanistisch)

Ammonius Hermeae: Commentaria in quinque voces Porphyrii, übersetzt von Pomponius Gauricus; In Aristotelis categorias (erweiterte Nachschrift des Johannes Philoponus = CAG XIII/i), übersetzt von Ioannes Baptista Rasarius, hrsg. Rainer Thiel und Charles Lohr, Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, ISBN 3-7728-1229-5 (Neudruck der Ausgaben Venedig 1539 und Venedig 1562 mit einer Einleitung der modernen Herausgeber)
Ammonius Hermeae: Commentaria in Peri hermeneias Aristotelis, übersetzt von Bartholomaeus Sylvanus, hrsg. Rainer Thiel, Gyburg Radke und Charles Lohr, Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2005, ISBN 3-7728-1232-5 (Neudruck der Ausgabe Venedig 1549 mit einer Einleitung der modernen Herausgeber)

Literatur

Henri Dominique Saffrey/Jean-Pierre Mahé: Ammonios d’Alexandrie. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. 1, CNRS, Paris 1989, ISBN 2-222-04042-6, S. 168−170
Elias Tempelis: The School of Ammonius, Son of Hermias, on Knowledge of the Divine. Athen 1998, ISBN 960-85212-5-4
Koenraad Verrycken: The metaphysics of Ammonius son of Hermeias. In: Richard Sorabji (Hrsg.): Aristotle Transformed. The ancient commentators and their influence. Duckworth, London 1990, ISBN 0-7156-2254-4, S. 199−231

Weblinks

David Blank: Eintrag, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
Isagoge-Kommentar des Ammonios, lateinische Übersetzung von Pomponio Gaurico, Digitalisat der Erstausgabe Venedig 1504

Anmerkungen

↑ Koenraad Verrycken: The development of Philoponus’ thought and its chronology. In: Richard Sorabji (Hrsg.): Aristotle Transformed. The ancient commentators and their influence, London 1990, S. 233−274, hier: 239f.
↑ Athanassiadi (1999) S. 30.
↑ Damaskios, Philosophische Geschichte 118B Athanassiadi.
↑ Gegen die von Athanassiadi (1999) S. 30−32 erwogene Verratshypothese wendet sich Richard Sorabji: Divine names and sordid deals in Ammonius’ Alexandria. In: Andrew Smith (Hrsg.): The Philosopher and Society in Late Antiquity, Swansea 2005, S. 203−213, hier: 210.
↑ Richard Sorabji: The Philosophy of the Commentators, 200−600 AD. A Sourcebook, Bd. 1, London 2004, S. 23f.
↑ Damaskios, Philosophische Geschichte 56 Athanassiadi.
↑ Henry J. Blumenthal: Alexandria as a Centre of Greek Philosophy in Later Classical Antiquity. In: Illinois Classical Studies 18, 1993, S. 307−325, hier: 320−322; Henry J. Blumenthal: John Philoponus: Alexandrian Platonist? In: Hermes 114, 1986, S. 314−335, hier: 321−325; Verrycken (1990) S. 229f.
↑ Siehe dazu Blumenthal (1986) S. 322f.; Étienne Évrard: Jean Philopon, son commentaire sur Nicomaque et ses rapports avec Ammonius. In: Revue des Études grecques 78, 1965, S. 592−598, hier: 597f.; Verrycken (1990) S. 229 Anm. 219; Thiel/Lohr (2002) S. VII.
↑ Sorabji (2005) S. 203−207.
↑ Siehe zu dieser Frage Blumenthal (1993) S. 313f., 323f. und Blumenthal (1986) S. 314−316, 319−321. Vgl. Ilsetraut Hadot: The Role of the Commentaries on Aristotle in the Teaching of Philosophy according to the Prefaces of the Neoplatonic Commentaries on the Categories. In: Henry Blumenthal/Howard Robinson (Hrsg.): Aristotle and the Later Tradition, Oxford 1992, S. 175−189.
↑ Für Einzelheiten siehe Leendert G. Westerink: Deux commentaires sur Nicomaque: Asclépius et Jean Philopon. In: Revue des Études grecques 77, 1964, S. 526−535; Évrard (1965) S. 592f., 598.
↑ Siehe dazu Heinrich Dörrie/Matthias Baltes (Hrsg.): Der Platonismus in der Antike, Band 3, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, S. 277.
↑ Soliotis (1987) S. 447.
↑ Ammonios, Prolegomena zum Kategorien-Kommentar 8.
↑ Cristina D’Ancona: Il neoplatonismo alessandrino: alcune linee della ricerca contemporanea. In: Adamantius 11, 2005, S. 9−38, hier: 34−36; Verrycken (1990) S. 220.
↑ Koenraad Verrycken: La métaphysique d’Ammonius chez Zacharie de Mytilène. In: Revue des Sciences philosophiques et théologiques 85, 2001, S. 241−266, hier: 243f., 246, 253f.; Tempelis (1998) S. 134−148.
↑ Zu Ammonios’ Lösung siehe Michael Groneberg: Ammonios und die Seeschlacht. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 49, 2002, S. 236−250. Vgl. Doukas Kapantaïs: Determinism and Deliberation in De Interpretatione 9. In: Hasard et nécessité dans la philosophie grecque, Athen 2005, S. 130−154. Kapantaïs hält die Lösung des Ammonios für verfehlt, da sie weder als Argument gegen den Determinismus brauchbar sei noch die Auffassung des Aristoteles korrekt wiedergebe. Vgl. Mario Mignucci: Ammonius on Future Contingent Propositions. In: Michael Frede/Gisela Striker (Hrsg.): Rationality in Greek Thought, Oxford 1996, S. 279−310 und die Beiträge im von Gerhard Seel herausgegebenen Band Ammonios and the Seabattle. Texts, Commentary, and Essays, Berlin 2001.
↑ Lucca Obertello: Proclus, Ammonius and Boethius on Divine Knowledge. In: Dionysius 5, 1981, S. 127−164, hier: 138−145; Richard Sorabji: The three deterministic arguments opposed by Ammonius. In: Ammonius: On Aristotle On Interpretation 9, übers. von David Blank, London 1998, S. 3−15, hier: 5−7.
↑ Henry J. Blumenthal: Pseudo-Elias and the Isagoge Commentaries Again. In: Rheinisches Museum für Philologie 124, 1981, S. 188−192.
↑ Maïa Rapava: Traditions et innovations dans l’école néo-platonicienne d’Alexandrie (Ammonius Hermias et David l’Invincible). In: Bedi Kartlisa 40, 1982, S. 216−227; Saffrey/Mahé (1989) S. 169f.
↑ Siehe dazu Philip Merlan: Ammonius Hermiae, Zacharias Scholasticus and Boethius. In: Greek, Roman, and Byzantine Studies 9, 1968, S. 193−203, hier: 193−197; vgl. Verrycken (2001) S. 247ff. (Kritik der Position Merlans).
↑ Die Hypothese stammt von Pierre Courcelle. Sie wird unterstützt von Cornelia J. de Vogel: Boethiana I. In: Vivarium 9, 1971, S. 49−66, hier: 50, 54, 56−65. Für die Gegenargumente siehe James Shiel: Boethius’ Commentaries on Aristotle. In: Mediaeval and Renaissance Studies 4, 1958, S. 217−244, hier: 226−230, 235f., 239, 244; Lorenzo Minio-Paluello: Boethius als Übersetzer und Kommentator aristotelischer Schriften. In: Manfred Fuhrmann/Joachim Gruber (Hrsg.): Boethius, Darmstadt 1984, S. 146−154, hier: 147f.; James Shiel: Boethius’ commentaries on Aristotle. In: Richard Sorabji (Hrsg.): Aristotle Transformed. The ancient commentators and their influence, London 1990, S. 349−372, hier: 355−358, 362f., 370.
↑ Jean-Yves Guillaumin: La structure du chapitre 1, 4 de l’Institution Arithmétique de Boèce et le cours d’Ammonios sur Nicomaque. In: Revue d’histoire des sciences 47, 1994, S. 249−258.
↑ Vincenzo Poggi: Ammonio d’Ermia, maestro di Severo d’Antiochia. In: Alfredo Valvo (Hrsg.): La diffusione dell’eredità classica nell’età tardoantica e medievale, Alessandria 1997, S. 159−175, hier: 161−164.
↑ Ulrich Rudolph (Hrsg.): Die Doxographie des Pseudo-Ammonios, Stuttgart 1989, S. 16f.


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