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Delictum von de – linquo (linquo von demselben Stamme leik wie λείπω und leihe; vgl. A. Fick Vergl. Wörterbuch d. indogerm. Spr. I⁴ 120) heisst zunächst wohl verlassen, beiseite lassen, vom Wege abgehen, ver-gehen (s. Jhering Entwicklungsgeschichte d. röm. Rechts 103). So mag das Wort zunächst (im Gegensatz zu factum und maleficium) auf Unterlassungsfehler beschränkt gewesen sein; Fest. ep. p. 73, 9 delinquere est praetermittere. quod non oportet praeterire; hinc ... delicta; ähnlich Fronto de diff. 519 K.; vgl. auch die Formel der Kriegsankündigung bei Liv. I 32 quod . . fecerunt deliquerunt, zu der ganzen Unterscheidung Voigt XII Taf. I 384. 5. Aber schon Ennius (fab. 64 Müll.], Plautus (Amph. 494) und Terenz (Ad. 682) verwenden delictum auch für Begehungsverbrechen, und bei den Späteren ist kein Unterschied mehr zwischen maleficium und delictum zu entdecken. Der Übergang erklärt sich einfach daraus, dass auch im Begehungsdelict eine Unterlassung (d. i. des pflichtmässigen Verhaltens) gefunden wird, so Priscian. part. 510 K.: est delinquo – praeterlinquo; a delinquo [2439] delictum, pro peccato, quod delinquit officium suum, qui peccat. So bedeutet d. zunächst ganz allgemein Vergehen, Fehler, Verbrechen, Sünde und wechselt mit maleficium, facinus, peccatum, vitium und ähnlichem ab. So z. B. Cic. pro Caec. 7; pro Mur. 62; de off. I 145. 146; Lael. 90; paradox. 23; Tusc. IV 45. Sall. Cat. 3, 2. Caes. bell. Gall. VII 4. Suet. Aug. 66; Nero 29. Tac. ann. XIII 35. Senec. de ira I 16, 1 (ira delictum animi). Auch die Juristen kennen das Wort in dieser allgemeinen Bedeutung und verwenden es für Verstösse im rechtsgeschäftlichen Verkehr, Verletzung vertraglich übernommener Pflichten u. a.; vgl. Afric. Dig. XXI 1, 51 pr. Ulp. Dig. XXI 1, 1, 8. IV 4, 9, 3. XXXVIII 17, 2, 34. Pap. Dig. XXIV 3, 39. Paul. Dig. XLIII 5, 4. 19, 2.

Im engeren Sinne ist d. die unerlaubte Handlung, an deren Begehung die Rechtsordnung eine selbständige Rechtsfolge zu Ungunsten des Thäters anknüpft, indem sie über ihn – als Reaction gegen das Unrecht – eine Strafe verhängt. In diesem Sinn ist d. jegliches mit Strafe bedrohte Unrecht, ohne Rücksicht darauf, ob diese dem Staate geleistet wird, der in der Strafzufügung eine ihm obliegende Pflicht erfüllt, oder ob sie einem Privaten zu gute kommt, der in der Strafzufügung ein Privatrecht geltend macht. In diesem Sinn umfasst d. (und delinquere) auch das crimen (s. d.); dies trifft namentlich für die ältere Zeit zu, in welcher crimen, in der Bedeutung Vergehen gar nicht oder nur selten vorkommt. So häufig in der nichtjuristischen Litteratur, z. B. Cic. pro Balb. 5 (in delicti crimen venire); pro Lig. 2; pro Sest. 31; pro Rabir. perd. 2. Tac. ann. III 69. V 9. XIV 49. Hist. Aug. Aur. 39, 2. Aber auch in den Rechtsquellen steht d. für und abwechselnd mit crimen, z. B. Ulp. Dig. XXI 1, 23, 2. XLVIII 19, 1 pr. L 16, 131. Coll. I 11, 3. 4. Paul. V 17, 2 und Dig. XL 9, 15 pr. Macer Dig. XLVIII 3, 7. 19, 14. Mod. Dig. XLVIII 2, 20. 4, 7, 3. Menand. Dig. XLIX 16, 6 pr. Valent. und Val. Cod. Theod. IX 40, 9; besonders häufig wird bei Bestrafung eines crimen hinzugefügt pro modo delicti, pro ut quis deliquerit Ulp. Dig. I 18. 13 pr. III 6. 8. XXXVII 15. 1 pr. Mod. Dig. XXXVII 14, 7, 1. XLIX 16, 3, 5. Hermog. XLVIII 15, 7. Paul. V 25, 13. Im engsten Sinn ist d. = d. privatum, im Gegensatz zu crimen; es ist die unerlaubte Handlung, die mit einer Privatstrafe bedroht ist, welche vom Verletzten im Wege des Civilprocesses eingefordert wird. Über das Nebeneinanderstehen von öffentlicher Anklage und Privatstrafe und über die allmähliche Verwandlung einzelner Delicte zu crimina s. Art. Crimen.

2. Die Vorschriften des römischen Rechts über Privatdelicte entstammen teils der Volksgesetzgebung, teils dem praetorischen Edict; das letztere hat sowohl civile Strafklagen umgestaltet, als neue selbständige eingeführt; letztere zeichnen sich durch kurze Verjährungsfristen aus. Einen allgemeinen Delictsbegriff haben die römischen Juristen nicht ausgebildet, sie behandeln die einzelnen Delicte (vgl. besonders die Art. Furtum, Iniuria, Damnum) und sind dabei von dem Wortlaut der einschlägigen Gesetzes- oder Edictvorschriften durchaus abhängig. Der allgemeine [2440] Digestentitel de privatis delictis (XLVII 1) setzt sich aus drei kurzen Fragmenten zusammen. Immerhin lassen sich aus den Ausführungen der römischen Juristen allgemeine Voraussetzungen eines Delicts abstrahieren. Erfordert wird: a) eine Verletzung, Eingriff in eine fremde Rechtssphäre, Verletzung einer Person oder ihres Vermögens. Die Verletzung muss eingetreten sein; der blosse Versuch begründet das Delict noch nicht und ist als solcher straffrei; doch kann mit dem Versuch eines Delictes der Thatbestand eines anderen Delictes realisiert sein, Ulp. Dig. XLVII 2, 21, 7. b) Die Verletzung muss rechtswidrig, iniuria (= sine iure Ulp. Dig. XLVII 10, 1 pr.), erfolgt sein. Beispiele von Wegfall der Rechtswidrigkeit Gai. Dig. IX 2, 4 pr. L 17, 55. Paul. Dig. IX 2, 30 pr. L 17, 167, 1. Ulp. Dig. IX 2, 29, 3. XLVII 2, 46, 8; vgl. Pernice Labeo II² 19–102. c) Die Verletzung muss in einer positiven Handlung bestanden haben, eine blosse Unterlassung genügt regelmässig nicht. Iul. Dig. VII 1, 13, 2, andererseits Gai. Dig. IX 2, 8 pr. Ulp. Dig. IX 2, 27, 9; vgl. Pernice Labeo II² 124–128. d) Die Verletzung muss dem Thäter zur Schuld angerechnet werden können (culpa im weiteren Sinn, vgl. Pernice Labeo II¹ 244); bei den meisten Delicten wird zum Thatbestand dolus erfordert, bei anderen genügt blosse culpa (vgl. Art. Dolus, Culpa). Mit diesem Requisit der Schuld fliesst in den Quellen dasjenige des Causalzusammenhangs zusammen. ,Da culpa bei den Juristen ,Verschuldung‘ bezeichnet, so liegt ihnen der Begriff von causa, Ursache, gleich mit darin', Pernice Labeo II² 119.

3. Aus dem Delicte entsteht ein Forderungsrecht des Verletzten gegen den Übelthäter; letzterer obligatur ex delicto Gai. III 185, ersterer wird creditor Ulp. Dig. L 16, 12. Die Klage (actio), die dem Verletzten zur Geltendmachung des Forderungsrechts zusteht, heisst actio poenalis (s. d.). Das Forderungsrecht geht auf Leistung einer Strafe, Privatstrafe. Die Strafe ist ein Übel, das dem Thäter zugefügt wird wegen seiner That und als Rechtsfolge dieser That; der Strafanspruch entsteht in jeder Beziehung ex delicto. Der Inhalt der Strafansprüche ist bei den einzelnen Delicten sehr verschieden, in classischer Zeit geht er immer auf Entrichtung einer Geldsumme. Dabei ist die actio poenalis entweder a) reine Strafklage, actio poenalis im engeren Sinn, actio qua poenam tantum consequimur, sie bezweckt persönliche Satisfaction und Vergeltung, so dass die Einklagung eines allfällig eingetretenen Schadens neben und unabhängig von der Strafklage erfolgt; oder b) Schadenersatzklage, actio, qua rem consequimur, die Strafe besteht lediglich in der Verpflichtung, den durch das Delict angerichteten Schaden dem Verletzten zu decken, Strafe in Form des Schadenersatzes; oder c) gemischte Klage (actio mixta); hier wird mit einer Klage zugleich Strafe und Schadenersatz verlangt; so weit hier die zu leistende Summe den Betrag des Schadens übersteigt, liegt reine Strafe vor. Dabei ist festzuhalten, dass es sich überall (auch bei b) um Strafe handelt. Die Idee des Ersatzes geht in der Idee der Strafe auf; die – uns heute geläufige – Trennung von Strafe und Ersatz fehlt. Vgl. die Litteratur bei [2441] Actio poenalis (Bd. I S. 316ff.). Dies führt zu eigenartigen Consequenzen; solche sind a) Unvererblichkeit der Strafklage auf Seite des Thäters (in poenam heres non succedit), und zwar auch da, wo die Strafe lediglich im Schadenersatz besteht. Seit einem Rescript von Antoninus Pius haftet der Erbe des Delinquenten wenigstens insofern er aus dem Delict bereichert ist, Pomp. Dig. L 17, 38; b) cumulative Haftung mehrerer Thäter; jeder haftet auf den vollen Betrag der Strafe, so dass wenn die Strafe nur im Ersatz des Schadens besteht, dem Verletzten der Schaden mehrmals gedeckt wird: quod alius praestitit, alium non relevat, quum sit poena Ulp. Dig. IX 2, 11, 2; vgl. Tryph. Dig. XXVI 7, 55, 1; vgl. zu a) und b) den Art. Actio poenalis. c) Cumulation der Strafklagen, wenn durch eine und dieselbe Handlung der Thatbestand mehrerer Delicte realisiert ist, plura delicta in una re, Mod. Dig. XLIV 7, 53; hier entstehen neben einander und cumulativ die diesen mehreren Delicten entsprechenden Strafklagen; so wird z. B. dem Herrn eines servus iniuriose verberatus die actio iniuriarum und die actio legis Aquiliae (wegen Sachbeschädigung) zugesprochen. Dies war wenigstens herrschende Ansicht bei den römischen Juristen, s. Labeo (bei Paul.) Dig. XLVII 7, 1. Nerat. Dig. XLVII 10, 41; vgl. XLVII 10, 1, 9. Pap. Dig. XLVIII 5, 6 pr. Ulp. Dig. IX 2, 5, 1. XI 3, 11, 2. XLVII 8, 2, 26. Hermog. Dig. XLIV 7, 32; andere Juristen vertraten andere Ansichten, Referat bei Paul. Dig. XLIV 7, 34; die einen nahmen an, dass durch Anstellung der einen Klage die andere consumiert werde, so Mod. Dig. XLIV 7, 53, wieder andere, dass nach Anstellung der einen Klage die andere nur gewährt werden dürfe, sofern sie ergiebiger sei als die bereits angestellte, und nur auf diesen Mehrbetrag, sog. Nachklage auf den Überschuss, so besonders Paul. Dig. XLIV 7, 34 (libro singulari de concurrentibus actionibus). XLVII 7, 1. XLVII 2, 89, im Sinne dieser letzten Theorie scheinen die eben erwähnten und weitere Fragmente von den Compilatoren Iustinians interpoliert worden zu sein (Eisele). Vgl. hierzu Savigny System V 236ff. Merkel Concurs der Actionen 57ff. Vangerow Pand. III § 572. Eisele Archiv f. civil. Prax. LXXIX 336ff. Dernburg Pand. I § 135 Anm. 3. Nicht zu verwechseln damit sind die Fälle, wo durch (scheinbar eine, in Wahrheit) mehrere Handlungen mehrere Delicte realisiert werden (plura delicta concurrentia bei Ulp.); hier tritt selbstverständlich Cumulation der Strafansprüche ein, Ulp. Dig. XLVII 1, 2. XIX 5, 14, 1. Über die Concurrenz von actio legis Aquiliae und Contractsklage s. Art. Damnum.

4. Delictsfähigkeit. Zweifelhaft ist die Delictsfähigkeit des Sclaven. Sicher ist, dass aus ,Delicten‘ des Sclaven (d. h. aus schuldhaften Handlungen die, wenn von Freien begangen, Delicte sind) der Herr mit einer actio noxalis in der Weise haftet, dass er dem Verletzten entweder litis aestinmtionem sufferre aut [servum] noxae dare muss, er haftet servi nomine. Näheres s. u. Noxa. Unklar aber ist, wie sich die Römer dabei die Verpflichtung des Sclaven selbst und die Berechtigung des Verletzten diesem gegenüber gedacht haben. Für seine Zeit erklärt Ulpian [2442] Dig. XLIV 7, 14: servi ex delictis quidem obligantur et, si manumittantur, obligati remanent; dem entsprechend wird auch von delicta servi gesprochen, Paul. Dig. IX 4, 4 pr. Ulp. Dig. IX 3, 1, 8. IX 4, 14 pr. X 4, 20; viel häufiger werden verwendet noxa (s. u.) und maleficium (z. B. Gai. IV 75ff. und Dig. IX 4, 20. XLVII 10, 34. Alfen. Dig. XLIV 7, 20. Ulp. [Sab.?] Dig. XLVII 7, 7, 5). Für die Zeit Ulpians wird man die Delictsfähigkeit der Sclaven zugeben und darin zugleich einen Versuch einer Begründung der Noxalhaft des Herrn erkennen können. Die ursprüngliche Auffassung war dies schwerlich. In derselben Weise wie der Herr des Sclaven haftet seit altersher der Hausvater und der Eigentümer eines Tieres; für alle drei Fälle findet sich für die Thätigkeit des Gewaltunterworfenen (Haussohn, Sclave, Tier) der Ausdruck noxam committere, noxam nocere, Gai. IV 75ff. und Dig. IX 4, 1. Ulp. Dig. LX 1, 1 pr. Callistr. Dig. IX 4, 32. Paul. Dig. XXXV 2, 63 pr. Dies weist auf einen (für alle drei Fälle) einheitlichen Grundgedanken und Ausgangspunkt hin; dieser war aber nicht die Annahme eines Delicts und einer Delictsfähigkeit des Gewaltunterworfenen, weil diese für den dritten Fall (Tier; Delict eines Tieres?) versagt (so besonders Girard, anders z. B. Zimmern, Dernburg). Im Laufe der Zeit gelangt man hier wie anderwärts zu einer Differenzierung der drei Gewalten und so auch (mit der allgemeinen Entwicklung des Sclavenrechts in der Kaiserzeit) zu der Annahme der Delictsfähigkeit des Sclaven. Vgl. Art. Noxa.

Litteratur: Zimmern System d. röm. Noxalklagen 36ff. A. Schmidt Delictsfähigkeit der Sclaven (1873). Bekker Actionen d. röm. Privatrechts 1183ff. Pernice Labeo I 117–120. Dernburg Pandekten II § 133. Girard Nouv. rev. hist. 1888, 31–36. Wlassak Röm. Processgesetze II (1891) 114ff.

5. Sog. Quasidelicte. Neben die obligatio ex delicto stellen Gaius und Iustinian eine obligatio quasi ex delicto, Gai. Dig. XLIV 7, 5, 4ff. Iust. Inst. IV 5. Die Fälle sind verschiedenartig; es treten die rechtlichen Folgen eines Delictes ein, obwohl für die Annahme eines solchen die eine oder andere Voraussetzung fehlt. Regelmässig fehlt die Schuld; so haftet z. B. der Inhaber einer Wohnung, aus der etwas hinausgeworfen oder hinausgegossen wird, für den so angerichteten Schaden, ohne Rücksicht auf seine Schuld (Tit. Dig. IX 3, s. Art. Effundere); in anderen Fällen ist zwar eine Schuld vorhanden (utique aliquid peccasse intellegitur), sie wird aber nicht als Delictsschuld behandelt; so bei dem iudex, qui litem suam facit, Iust. Inst. IV 5 pr. Gai. Dig. L 13, 6.
[Hitzig.]

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