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Carnuntum heute Petronell, in Niederösterreich, wird erst zum J. 6 n. Chr. genannt, Vell. II 109, 3 locus Norici regni. So ziemlich das einzige Überbleibsel der keltischen Zeit von C. ist sein Name (nach Holder von carno ,Steinhaufen‘ oder cornu, vgl. κάρνυξ, ,Trompete‘ abzuleiten); doch scheint es, dass aus der späteren Besiedelung des vom Festungslager verhältnismässig weit entfernten Ortes durch die römischen Kaufleute und Veteranen auf eine ansehnlichere Ausgestaltung der Keltenstadt geschlossen werden darf. In römischer Zeit fassen Vindobona und C. als an der West- und an der Ostpforte (diese die porta Hungarica) des Wienerbeckens gelegene Grenzorte die aus der Lage am Kreuzungspunkte zweier überaus wichtiger Strassen des keltisch-germanischen Ostens (des Donauthals und des über den niedrigsten Alpenpass ziehenden Weges – Bernsteinstrasse, Plin. n. h. XXXVII 45 sexcentis milibus passuum fere a Carnunto Pannoniae abesse litus id Germaniae ex quo invehitur, nämlich succinum) und aus der günstigen Terrainbildung (welche dem rechten – südlichen – Donauufer die Herrschaft über das gegenüberliegende sichert und in den Stromengen oberhalb Wiens und bei Hainburg natürliche Sperrmittel geschaffen hat) resultierende hervorragende verkehrspolitische und militärische Bedeutung der ganzen Tiefebene wie in zwei Brennpunkten zusammen. C. hat dabei die weitaus wichtigere Rolle gespielt; erst die Kämpfe gegen die Ungarn haben zur Umkehrung dieses Verhältnisses geführt.

Schon Tiberius hat (6 n. Chr.) die militärische Wichtigkeit C.s erkannt und dieses zum Stützpunkte seiner kriegerischen Operationen auserlesen. Spätestens unter Claudius ist, wie aus den in C. und Wien ziemlich zahlreichen Steinen von blos zweinamigen, also des Cognomens entbehrenden Soldaten der legio XIII gem. und der leg. XV Apoll. geschlossen werden darf (CIL III 4463. 4476. 4477. 4483. 11094. 11220. 11229 u. a.: vgl. Arch.-epigr. Mitt. XIII 208ff.) die Hauptmacht der Grenzwehr in den Ostalpen nach C. und Vindobona verlegt worden; man wird aber wohl nicht fehl gehen, wenn man annimmt, dass C. seit Tiberius’ erstem Erscheinen an der Donau eine römische Besatzung behalten habe. Auch dürfte [1602] bereits in vorflavischer Zeit die Garnison ungefähr dort stationiert gewesen sein, wo die legio XV Apollinaris im J. 73 das Lager erbaute oder umgestaltete, auf dem sog. Burgfelde, 2250 m. östlich vom Petroneller Schlosse, 1550 m. westlich vom Schlosse in Deutschaltenburg; dafür spricht die Thatsache, dass längs dem dem Burgfelde nächsten Stücke einer Verbindungsstrasse zwischen dem ,Burgfeld‘ und C. eine Anzahl der ältesten Soldatengräber gefunden worden ist (Arch.-epigr. Mitt. XVIII 208ff.). Sehr wahrscheinlich meint auch Plin. n. h. IV 80 (usque ad Pannonica hiberna Carnunti Germanorumque ibi confinium) das ältere Lager. Von der Bauinschrift des flavischen Lagers haben wir drei sehr fragmentierte Exemplare, die aber sich gegenseitig ergänzen: imp(eratore) Ve[spasiano] Caes(are) Aug(usto) [p(ontifice) m(aximo) imp(eratore decimum) p(atre) p(atriae) co](n)s(ule quartum) desig(nato quintum), T(ito) imp(eratore) Caes(are) A[u]g(usti) f(ilio) imp(eratore quartum) co(n)s(ule iterum) desig(nato tertium), Domitiano Caes(aris) Aug(usti) f(ilio) co(n)[s(ule iterum), C. Calpet[ano] Rantio Quir[inale] Valer[rio Fest]o leg(ato) Aug(usti) pr(o) [pr(aetore), Q. E[g]n[at]io C[ato leg(ato) leg(ionis) XV Apol(linaris)], leg(io) X[V Apol(linaris)] CIL III 11194–11196.

Das Lager liegt auf einem nach allen Seiten ausser gegen den Donaurand sich sanft abdachenden, aber die Umgebung und die Fernsicht beherrschenden Plateau über dem Donauufer und ist in seiner Umgrenzung leicht zu erkennen. Das Detail ist bisher nur teilweise erforscht. Lambeks Kupferstich mit der Darstellung der damals noch besser sichtbaren Ruinen ist sonderbarerweise in Verlust geraten, auch Marsiglis vor 1696 gezeichneter Plan (wiederholt im Führer durch C.³ 84 Abb. 54) ist zu dürftig; desgleichen geben Jordan und Below kaum Brauchbares an die Hand. Die Grabungen haben von dem etwa 400 ✕ 350 m. messenden Vierecke noch nicht viel mehr als ein Vierteil blosgelegt, aber wenigstens einige der wichtigsten Fragen gelöst und in Verbindung mit den Nachrichten über das Festungslager von Lambaesis am meisten unsere Anschauungen über den Bau der Legionslager in der Kaiserzeit beeinflusst (Plan im Führer³ Abb. 67); im Herbst 1896 sind, nachdem die Grabungen im Lager durch mehr als ein Decennium unterbrochen worden waren, neuerdings Untersuchungen eingeleitet worden, die technisch interessante Aufschlüsse über die Anlage von Mauer, Türmen und Graben in dem Stücke zwischen dem Ostthor und der Nordostecke ergeben haben. Die Fortsetzung dieser Untersuchungen wird nicht minder hier, als im Lager von Lambaesis angestrebt werden.

Das Lager ist der Mittelpunkt einer Kette von Befestigungswerken und von militärischen Bauten nicht fortificatorischer Bestimmung. Aus der ersteren Reihe ist ein Wachtturm im Südwesten des Lagers, sowie ein östlich auf der steilen Anhöhe ,am Stein‘ gelegenes Castell zu nennen, dessen Reste teilweise von dem sog. Quadenwall, einem ringförmigen Brandwall aus den Zeiten der Völkerwanderung, bedeckt und dadurch uns gerettet worden sind. An dem Bau dieses Castells waren beteiligt die legio X gem. (CIL III 11245 a. b) [1603] und die leg. XIV gem. (ebd. c); auch fanden sich Stücke einer in gewaltigen Formen ausgeführten Bauinschrift CIL III 11204 (Caracallas oder Antonius Elagabals Zeit). Eine Datierung der ersten Erbauung des Castells erscheint vorläufig nicht geraten. Dass es zum Schutze der Stromüberbrückung nötig war, lehrt der Augenschein. Von dem diesseitigen Brückenkopfe sind keine Spuren gefunden worden; dass der jenseitige in dem sog. öden Schlosse erhalten sei, haben die von mir und Tragau 1896 vorgenommenen Untersuchungen gezeigt. Vielleicht war auch auf der Höhe des über der Anhöhe ,am Stein‘ im Süden sich erhebenden Pfaffenberges, der gleichfalls einen (kleineren) Ringwall trägt, ein römischer Wachposten exponiert; leider beweisen die Inschriften 11123 und 11241 nichts dafür. Von den an zweiter Stelle genannten militärischen Bauten sind zu nennen: einige Badeanlagen in dem Thale des Deutsch-Altenburg durchschneidenden Baches, insbesondere die die Schwefeltherme benützende, dann eine von der Einsattelung zwischen dem Pfaffenberg und dem Braunsberge in der Richtung auf das Lager gezogene, in den Stein gebettete Wasserleitung, und höchst wahrscheinlich auch das Amphitheater. Auch kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die zahlreichen mit starken Mauern errichteten, bisher nicht durchforschten Bauten, die sich gegen Westen an das Lager anschliessen, militärisch oder wenigstens aerarisch waren. Die Besatzung des Lagers bildete bis auf Traian die legio XV Apollinaris, späterhin die legio XIIII gemina Martia victrix; secundäre Bedeutung haben die Garnisonierungen der legio X gemina pia fidelis, kurze Zeit lagen auch u. a. die legio XXX Ulpia victrix und die legio I adiutrix hier; und auf vorübergehenden Aufenthalt anderer Truppenteile führen inschriftliche Erwähnungen. Von Auxiliartruppen hat nur eine, die cohors I Aelia sagittariorum deutlichere Spuren ihres Aufenthaltes zurückgelassen (CIL III 4664. 11371). Die für C. vorauszusetzende Hauptstation der classis Flavia Pannonica ist bisher durch nichts bezeugt. Die Not. dign. occ. 34, 28 erwähnt den praefectus classis Histricae Arrunto (statt Carnunto?) sive Vindomanae a Carnunto translata, in welchen Worten irgend eine Verderbnis steckt, ausserdem noch occ. 9, 20 die fabrica Carnutensis scutaria.

Mit der Verlegung eines Legionscommandos nach C. war die Ausscheidung aus dem regnum Noricum verbunden, wahrscheinlich gleichzeitig auch die Vindobonas. Ziemlich früh dürfte auch das Obercommando der ganzen Provinz Pannonia von Savaria nach C. übersiedelt sein. Seither ist C. die Hauptstadt von Pannonien und nach dessen Teilung von Oberpannonien.

Eine unzweifelhafte Beziehung auf die in der Keltenstadt sich ausgestaltenden canabae von C. fehlt vorläufig; lixa CIL III 11259 kann Cognomen sein und die cast(ra) 11218 brauchen doch nicht die von C. zu sein. Wahrscheinlich dem Kaiser Hadrian verdankt C. das römische (oder latinische ?) Gemeindestatut (daher municipium Aelium Carnuntum, CIL III 4554. Orelli 2675; vgl. Ephem. epigr. IV 895) und dementsprechend die Tribus Sergia (CIL VIII 2675. III 4495. 11019). Noch in den J. 178 (4495) und 180–192 (Orelli 2675) bestand C. als municipium. [1604] Spätere Zeugnisse nennen C. colonia (CIL III 4236. 4539. 4567); man darf, da sie kaum erheblich in das 3. Jhdt. hineinreichen dürften, und weil Ephem. epigr. IV 892 Z. 8 und 894 b Z. 14 C. als Septimia bezeichnet wird, diese Rangeserhöhung wohl auf Kaiser Septimius Severus zurückführen, der multis hortantibus repugnans imperator est appellatus apud Carnuntum Idibus Augustis (des J. 193), Hist. Aug. Sev. 5, 1.

Die traurigen Zustände des 3. Jhdts. und besonders der gallienischen Zeit (vgl. die Funde von Münzen mit dem Bildnisse des Gegenkaisers Regalianus und seiner Frau Dryantilla in C. und den angrenzenden Gebieten) mögen den Wohlstand der Stadt stark geschädigt haben. Wir hören nichts von Neubauten, sondern nur von Wiederherstellungen, und diese tragen das schärfste Gepräge des Verfalls und der Armut, die von den Resten der Vergangenheit zehrt. Dass 307 die Iovii et Herculii religiosissimi Augusti et Caesares (CIL III 4413) eine wichtige Conferenz in C. abhielten (Lactant. de mort. persec. 29), hat für die Stadt wohl nicht erheblichere Folgen nach sich gezogen, als die meisten früheren kaiserlichen Besuche. Die Einfälle der Germanen brachten ihr die Schrecken der Zerstörung; Valentinians I. Zeitgenosse Ammian nennt sie zum J. 375 ein oppidum desertum quidem nunc et squalens sed ductori exercitus perquam oportunum, ubi fors copiam dedisset aut ratio (XXX 5, 2). Die Zerstörung muss arg gewesen sein, so dass sich C. nicht wieder erholen konnte. Der Name kehrt nur noch in der Not. dign. occ. 9, 20. 34, 26. 28 wieder. Spuren des Christentums fehlen gänzlich.

C. ist Kreuzungspunkt der Donauthalstrasse (Itin. Ant. 247, 4. 267, 12. Tab. Peut.) und der Strasse nach Steinamanger-Pettau (Itin. Ant. 262, 8. Tab. Peut.); beide lassen sich heute noch verfolgen, von der ersteren sind auch Meilensteine vorhanden, deren Entfernungsangabe in den Formularen CIL III 4642. 4644. 4645 a K. m. p. XXI (vgl. 4647) eine namhafte Ausdehnung des Gemeindegebietes zu bezeugen scheint.

Die Leitung der Gemeindegeschäfte erfolgte durch IIIIviri 11253 (iure dicundo 4554); decuriones 4495. 4554 und 4236. 4507. 4170. 4410; in C. fungierten auch Augurn 4495, Augustales Orelli 2675. CIL III 4539 und curatores thermarum, CIL III 4447. Von Vereinen in C. sind bisher bekannt das collegium veteranorum centonariorum 11093 und ein collegium conveteranorum 11189 sowie so[r]ores qua[e] con[t]u[l]erun[t] a[d] ar[a]m 4590.

Litteratur: Wolfgang Lazius Wiener Handschrift nr. 8457 fol. 27ff.: apologia adversus Brassicanum de Carnunto ad Beatum Rhenanum; die Hss. von Clusius (im Haag?) und Jupp (in Leyden), dann ,die Zeitverkürzung in der österr. Kriegsgefangenschaft‘ des 1760 bei Landshut gefangen genommenen Obersten von Below (in Berlin). Lambeks Collectaneen und die von Wikosch († 1826) sind noch aufzuspüren. CIL III p. 550ff. 1770ff. Sacken S.-Ber. Akad. Wien 1852. 1854. Kenner Mitt. des Altertumsvereins in Wien 1869; Mitt. der Centralcommission 1876. Kubitschek und Frankfurter Führer durch C.³ 1893. Ein Kärtchen auch in Umlaufts Rundschau für Geographie 1894. [1605] Kubitschek bei Ruggiero Diz. epigr. II 116 (mit Erweiterungen von anderer Hand). Die officiellen Grabungsberichte des Vereins Carnuntum werden in den Arch.-epigr. Mitt. veröffentlicht.
[Kubitschek.]
Nachträge und Berichtigungen

Ersatz für den überholten Art. S. 1607ff.

Carnuntum

Legionslager und Zivilstadt in der Provinz Pannonia superior, 45 km östlich von Wien, heute Petronell, Bhf. Bruck/L., Niederösterreich (Zivilstadt), und anschließend bis Bad Deutsch-Altenburg (Legionslager und Canabae). etc. etc.
[Herma Stiglitz.]

Carnuntum

Legionslager und Zivilstadt in Pannonia sup. (E) S XII 1575.
[Hans Gärtner.]

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