ART

Ἀσυλία.[WS 1] Das gewaltsame Wegführen fremder Personen oder Sachen heisst συλᾶν, das Recht der Selbsthülfe, fremden Schuldnern die Schiffsladung wegzunehmen, sowie das Recht, das ein Staat seinen Bürgern gegen Bürger eines fremden Staates einräumt, Kaperungen als Repressalien vorzunehmen, heisst σῦλον (vgl. Boeckh Staatsh. I² 194f.); συλᾶν ist daher sowohl die rechtlich zulässige, als auch die verbotene Wegführung, ebenso wie das vielfach mit ihm synonym gebrauchte, obgleich eigentlich im weiteren Sinne zu verstehend ἄγειν. So verbietet das Recht von Gortyn (I 1) das gewaltsame Wegführen eines Menschen (ἄγειν) vor der gerichtlichen Entscheidung bei der vindicatio [1880] in libertatem oder servitudem. In ältester Zeit konnte es gegen Fremde nicht als Unrecht gelten, sich Personen oder Sachen gewaltsam anzueignen, sowohl weil der Fremde rechtlos war, als auch, weil gegen ihn Repressalien möglich sein mussten, wenn er Rechtsverletzungen beging. Zwischen Angehörigen verschiedener Staaten wird daher das συλᾶν ursprünglich eine regelmässige Erscheinung gewesen sein. Einen Einblick in diese Verhältnisse gewährt uns noch eine Inschrift des 5. Jhdts. v. Chr., IGA 322, ein Vertrag zwischen Oiantheia und Chaleion, in welchem sich die Bürger der beiden Städte gegenseitig verpflichten, aus dem Gebiet der vertragschliessenden Städte einen Fremden oder dessen Eigentum nicht gewaltsam wegzuführen (συλᾶν), es sei denn, dass Repressalien geübt würden. Dagegen wird das συλᾶν auf dem Meere mit Ausnahme des Stadthafens erlaubt oder für ἄσυλον erklärt, d. h. ausgesprochen, dass gegen den zur See Kapernden rechtlich keine Repressalien geübt werden können. Mit fortschreitender Kultur und mit der Knüpfung neuer Handelsverträge, sowie insbesondere neuer Verträge zur Gewährung gegenseitiger Rechtshülfe (σύμβολα) ist diese A., d. h. der Schutz der Person und des Eigentums gegen gewaltsame Wegführung, allgemeiner geworden. Selbst der citierte Vertrag bedeutet einen solchen Fortschritt, indem er das Gebiet einer offenbar sowohl in Oiantheia als auch in Chaleion bestehenden A. für Fremde auf das vereinigte Gebiet beider Städte erweitert. Aber rechtlich notwendig, ausser in Fällen, wo Symbolieverträge vorliegen, ist die A. auch in späterer Zeit nicht, sie entsteht nur von selbst zur Vermeidung von Repressalien, die den Handelsverkehr beeinträchtigen. Weil sie aber kein dem Fremden von selbst zustehendes Recht ist, wird sie in einzelnen Fällen als Privileg gewährt. Namentlich den Proxenen, denen ohnehin ein erhöhter Rechtsschutz im fremden Lande gegeben werden muss, wird sehr oft mit der Proxenie die A. verliehen; zahlreiche ausserattische Inschriften, neben vereinzelten attischen, weisen eine Formel auf, kraft deren den Proxenen A. zu Wasser und zu Lande gewährt wird, andere Proxeniedecrete verleihen Ein- und Ausfuhr, ἀσυλεὶ καὶ ἀσπονδεί, d. h. mit Verbot des Kaperungsrechtes seitens der Bürger des Staates, in den ein- oder aus dem ausgeführt wird, selbst wenn kein Vertrag darüber besteht. Wie die Proxenie selbst, so haben sich auch die mit ihr verliehenen Privilegien zu einer blossen Ehre abgeschwächt. Wir finden daher die A. auch noch zu einer Zeit erwähnt, in der sie wohl praktisch keine Bedeutung mehr hatte und der betreffende Passus der Proxeniedecrete rein formelhaft wiederkehrt. Wie einzelnen Personen, so kann ferner auch ganzen Staaten die A. verliehen werden, wodurch jedem Bürger des betreffenden Staates der Schutz der Person und des Eigentums gegen gewaltsames Wegführen durch einen Bürger des verleihenden Staates garantiert wird. Neben diesem staatsrechtlichen Begriff der A. hat sich aber auch ein sacraler entwickelt: die Heiligkeit der Altäre und Tempel verbürgte nämlich denjenigen Personen, die sich dahin flüchteten, persönlichen Schutz (vgl. Asylon). Es ist natürlich, dass diese sacrale Form der A. nicht blos politische Bedeutung erlangt hat, sondern [1881] auch vielfach die staatsrechtliche Form beeinflusst hat. Um z. B. von fremden Staaten den Schutz der Person und des Eigentums für die eigenen Bürger leichter zu erlangen, also einen A.-Vertrag zu erreichen, hat die Stadt Teos ihr gesamtes Gebiet dem Dionysos geheiligt und nunmehr bei den verschiedenen Staaten zu erwirken versucht, dass diese das Gebiet von Teos, weil es heilig sei, auch für ἄσυλον erklären und sämtlichen Bewohnern den Schutz garantieren sollten. Bei Le Bas-Waddington III 60-85 sind die Decrete jener Staaten (ausser den Römern, Aitolern, Athamanen und Delphiern lauter kretische Städte) publiciert, welche dem Verlangen von Teos entsprochen und seinen Bewohnern die A. gewährt haben. Praktisch wirksam musste dieser Schutz dadurch werden, dass, wie einzelne dieser Decrete lehren, der die A. verleihende Staat diejenigen seiner Bürger, die einen Bürger von Teos oder dessen Eigentum wegführten, unter Strafe stellte oder wenigstens jedem Teer, der zur Kenntnis einer solchen Rechtsverletzung gelangte, Repressalien auf seinem eigenen Gebiete gestattete. Die A.-Decrete für Teos bieten daher zwar die staatsrechtliche Form der A., aber erreicht wurden die betreffenden Verträge dadurch, dass man ursprünglich das ganze Stadtgebiet für heilig und das gewaltsame Wegführen aus demselben demnach für frevelhaft erklärt hatte (vgl. Scheffler De rebus Teiorum 79ff., welcher auch die von Eckhel D. N. IV 307 aufgezählten kleinasiatischen Städte, die die Epitheta ἱεραί und ἄσυλοι führen, mit Recht heranzieht). Als Beispiel einer einem Collegium verliehenen A. sei noch die den dionysischen Künstlern in Athen von den Amphiktionen gewährte (CIA II 551) angeführt.
[Szanto.]
Anmerkungen (Wikisource)

transkribiert: Asylia.

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