ART

Addicere verwendet die alte Rechtssprache regelmässig in der Grundbedeutung, die Fest. ep. p. 13 an erster Stelle angiebt. Demnach weist A. hin auf den zur Rede und Handlung einer Person von einem andern hinzugefügten Spruch, insbesondere auf die in billigendem Sinn und von einem übergeordneten Wesen beigefügte Äusserung. So ist das aves addicunt der Auguren aufzufassen, so auch das A. des Gerichtsmagistrats bei der streitigen und streitlosen Legisactio (nach Varro l. l. VI 30. 53 ist es eines der drei verba certa legitima), ebenso das A. des Geschworenen, den (anders Muther Sequestration 143–146) die Zwölftafeln (Gell. XVII 2, 10, Schoell 118f., dazu Litteratur im Art. Absentia Nr. 4 A. c) anweisen, zu Gunsten der [350] allein erschienenen Partei zu entscheiden: praesenti litem addicito. Diese Worte stehen einem secundum praesentem litem dare oder iudicare gleich (Huschke Gaius, Beitrage 169); sie sind nicht vom „Zuspruch“ des Processgegenstandes zu verstehen – das Gesetz handelt keineswegs nur vom dinglichen Process –, vielmehr umfassen sie auch das den Schuldner absolvierende Erkenntnis. Als Handlung, wozu der Geschworenenspruch bestätigend hinzutritt, ist der von der anwesenden Partei auf Grund des Processprogramms gestellte Antrag zu denken. Das A. des Gerichtsmagistrats im Legisactionenverfahren ist ausdrücklich bezeugt für die rechtsgeschäftliche, Veräusserungszwecken dienende legis actio, d. h. für die in iure cessio (Gai II 24. Ulp. Fragm. XIX 9–15) und deren Abart, die manumissio vindicta (arg. Varro l. l. VI 30. Cic. ad Att. VII 2, 8, dazu Rein Privatrecht und Civilprocess² 572. 558, 1. Pernice Ztschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. XVIII 40, 3, anders Voigt Jus naturale III 40). Gaius II 24. I 134 sieht hier in der addictio einen „Zuspruch“, eine „Übereignung“; dennoch trifft auch in diesen Fällen die ursprüngliche Wortbedeutung zu, und nur in diesem letzteren Sinne kann das magistratische A. gefasst werden, wenn es sich – wie Bethmann-Hollweg Röm. Civilproc. I 117f. II 542. Demelius Confessio 77. Keller-Wach Röm. Civilproc. § 63 N. 725 richtig annehmen – an eine ernstlich gemeinte vindicatio und confessio (in iure) anschloss. Wo die angesprochene Partei in iure confitierte, nicht um zu veräussern, sondern überzeugt von der Unbestreitbarkeit des gegnerischen Rechtes, da hatte die addictio des Beamten blos die Bedeutung, die unangefochten gebliebene vindicatio von Staats wegen zu bekräftigen. Zu einer „Übereignung“ fehlte hier der Gegenstand. Addictio heisst der Spruch des Magistrats, weil er der Legisactio der Parteien nachfolgt. An dieselbe Stelle (Cic. Mur. 26. Gai. IV 15. 17. 18. Pseudo-Ascon. p. 164 Or.) gehört im alten Streitverfahren mit Sacrament und Condictio die Ernennung des Schwurgerichts durch den Beamten: daher A. iudicium (Varro l. l. VI 61. Trebatius bei Macrob. Sat. I 16, 28). Im neueren Process mit Schriftformeln wurde der Geschworene vor der Litiscontestatio ernannt; indessen blieb A. iudicem im Gebrauch (Belege bei Brissonius s. v. A. 4) neben dem häufiger (selbst bei Gai. IV 15. 17. 18) vorkommenden dare iudicem (vgl. auch Fragm. Atestinum Z. 16 im Hermes XVI 26, sog. L. Mamilia in Lachmanns Gromatici p. 265). Wiederholt (Ulp. Dig. XIII 4, 4, 1. Mod. Dig. X 2, 30. Iust. Inst. IV 17, 1) begegnet iudex (arbiter) actioni oder iudicio addictus. Hiernach hatte man die Vorstellung, dass der Geschworene zur Formel, die der Kläger vorläufig ediert hatte (Wlassak Litiscontestation 45) hinzuernannt werde (Näheres über die Bestellung des Judex und wider Ad. Schmidt Ztschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. XV 162, 3. Hartmann-Ubbelohde Ordo I 264. 2. 271f. u. A. bei Wlassak Röm. Processgesesetze II 197, 18. 289, 13).

In der jüngeren Rechtssprache tritt mehr die schon erwähnte zweite Bedeutung von addictio (= Zuspruch, Zuschlag; Gegensatz abdicere, s. [351] Pomp. Dig. I 2, 2, 24) in den Vordergrund. So verengt sich einerseits das Anwendungsgebiet des Ausdrucks, andrerseits wird es weiter, insofern das A. zwar gewöhnlich, doch nicht immer (z. B. Hor. Sat. II 5, 109. Iul. Dig. XLI 4, 7, 6) von Beamten ausgeht (vgl. neuerdings Pernice Labeo III 1. Abt. 103–105). Obrigkeitlich addiciert wird z. B. das Eigentum der gepfändeten, unverkäuflichen Sache dem Gläubiger (Dernburg Pfandrecht II 255–257, s. ferner II 240–250), oder eine Gütermasse dem sector (zu Böcking Pandekten d. röm. Privatrechts II § 142, Bethmann-Hollweg Röm. Civilpr. II 669f. vgl. Pernice Labeo I 350–358 und Art. Sectio). Im Concurs wird das ganze Cridavermögen vom magister, den die Gläubiger unter praetorischer Leitung wählen, dem Meistbietenden addiciert (Keller-Wach a. O. § 85). In diesen Fällen ist das A. ein „Übereignen“, meist an einen Käufer. Übrigens kann A. auch den Abschluss eines Pachtvertrags (so das A. der decumae bei Cic. in Verr. III 51. 83. 88; ob vendere und locare ursprünglich zusammenfallen, darüber s. C. C. Burckhardt Geschichte der Locatio conductio 24 N. 66) und einer Werkverdingung (Cic. in Verr. I 144) anzeigen, wie es denn überhaupt mehr der Laiensprache angehört und keinen für die Jurisprudenz verwertbaren Begriff ausdrückt (vgl. auch Bechmann Der Kauf I 43). Besonders häufig erscheint das Wort bei Versteigerungen aller Art; s. Art. Auctio. Als Kunstausdruck kommt bei den Juristen nur addictio in diem vor (s. d.). Dass das A. des Verkäufers nicht notwendig den Vollzug des Verkaufs in sich schliesst, zeigt z. B. Paul. Dig. XLIX 14, 50. Ulp. Dig. XLII 1, 15, 6.

Litteratur (zum A. bei der Legisactio): Stintzing Über das Verhältnis der Legisactio sacramento 39–41. Böcking Pand. d. röm. Privatrechts II 65. 68f. Rudorff Röm. Rechtsgesch. II 133, 24. 140. Bethmann-Hollweg Röm. Civilprocess I 117f. 188. II 542. M. Voigt Abh. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. VI 146f.; die Zwölftafeln II 56–58. 61. 650–654. M. Lichtenstein De in iure cessionis origine et natura (Berliner Diss. 1880) 33–35. 82f. Demelius Die Confessio 65. 77. 94. 95, 2. 101. Wach bei Keller Civilpr. § 13 N. 201. § 63 N. 725. A. Pernice Ztschr. f. Rechtsgesch. Rom. A. XVIII 40, 3. Sohm Institutionen⁴ 31f. 219. Bechmann Legis Actio sacramento in rem 8f. 25f. 29. 32. 33, 1. 47. E. Cuq Les institutions juridiques des Romains (Paris 1891) I 440-443.
[M. Wlassak.]

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